A. Einleitung
Hochschulen und Forschungsinstitute werden im Zuge der Umsetzung der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie und anderer unionaler Vorschriften in das deutsche Recht zunehmend wie (zumindest mittelständische) Unternehmen behandelt.2 Die Neuregelung der Umsatz- besteuerung des öffentlichen Sektors zum 1. Januar 2016 nach § 2b Umsatzsteuergesetz (UStG) (auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden soll) macht die- ses augenfällig.
Daher lässt ein jüngeres Judikat des Bundesgerichts- hofs zum Ordnungswidrigkeitenrecht aufhorchen, in dem der BGH den Gedanken einer Verhängung einer Geldbuße gegen juristische Personen (auch des öffentli- chen Rechts) nach § 30 des Ordnungswidrigkeitengeset- zes (OWiG) aufgrund der Verwirklichung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit eines Organs oder Vertreters einer juristischen Person – sog. Leitungsperson – entwi- ckelt hat.3 Eine schuldhafte Pflichtverletzung dieser Lei- tungspersonen könne auch darin liegen, dass sie ihrer Garantenpflicht nicht nachkommen, wenn sie Wissen über steuerrechtlich relevante Vorgänge haben, das sie nicht offenbaren und wenn infolgedessen derjenige, dem sie ihr Wissen nicht offenbart haben, einen Tatbestand einer Vorschrift des Steuerstraf- oder Ordnungswidrig- keitenrechts begeht.4 Die Garantenpflicht (aus Ingerenz) könne daraus resultieren, dass denjenigen, dem Obhuts- pflichten für eine bestimmte Gefahrenquelle übertragen sind, dann auch eine „Sonderverantwortlichkeit“ für die
1 Die Autorin dankt Herrn Rechtsanwalt Michael Dengler, Speyer, für wertvolle Hinweise.
2 Dazu etwa Jörg Stalleiken, Drittmittelforschung im Einkommen- und Körperschaftssteuerrecht. Unter besonderer Berücksichti- gung der Abgrenzung steuerbarer wirtschaftlicher Tätigkeiten von steuerfreier hoheitlicher Betätigung staatlicher Hochschulen, Münster 2010; zur Tendenz zur umsatzsteuerrechtlichen Gleich- stellung von Wissenschaftseinrichtungen mit privaten Unterneh- mungen (wie etwa Unternehmensberatungen), die sich schon län- ger abzeichnete, und zur Rechtslage zuvor vgl. Wolfgang Kessler/ Thomas Fritz/Christian Gastl, Umsatzbesteuerung öffentlich- rechtlicher Hochschulen im Spannungsfeld zwischen nationalem und EG-Recht, UR 2002, S. 452 – 459; Hans-Friedrich Lange, Juristische Personen des öffentlichen Rechts als Unternehmer im Umsatzsteuerrecht, UR 2000, S. 1–13; Christoph Gröpl, Öffent- liche Zuschüsse, Privatisierung und Umsatzsteuer – Umsatz- steuerrechtliche Folgen öffentlicher Zahlungen im hoheitlichen und nichthoheitlichen Bereich vor dem Hintergrund aktueller Privatisierungsbestrebungen –, DStZ 1998, S. 113–124; Thomas Küffner, Wettbewerb entscheidet über Umsatzsteuerpflicht der
Integrität des von ihm übernommenen Verantwortungs- bereichs treffe.5 Das Urteil führt weiter aus, dass in die- sen Fällen eine Haftung aus mittelbarer Täterschaft in Betracht komme, von der sich die Amtsträger aber da- durch exkulpieren könnten, dass sie Tax Compliance- Regelungen für ihre Einrichtung erließen. Leitsatz 17 des Urteils lautet daher: „Für die Bemessung der Geldbuße ist zudem von Bedeutung, inwieweit die bebußte juristische Person ihrer Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein effizi- entes Compliance-Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss. Da- bei kann auch eine Rolle spielen, ob die juristische Person in der Folge dieses Verfahrens entsprechende Regelungen optimiert und ihre betriebsinternen Abläufe so gestaltet hat, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig je- denfalls deutlich erschwert werden.“ 6
Zwar bezieht sich diese Entscheidung der Sache nach auf Manager(innen) öffentlicher Einrichtungen, die an Korruptionsvergehen beteiligt sind. Sie ist jedoch deswe- gen bemerkenswert, da sie den Gedanken einer Einrich- tung eines (Tax) Compliance Managements auf die Or- ganhaftung für öffentliche Einrichtungen nach § 30 AO bezieht. Bislang waren zur Einrichtung von Compliance- Organisationen ausdrücklich nur Unternehmen der Fi- nanzwirtschaft verpflichtet.7 Das folgt etwa aus § 33 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, § 33 d Abs. 5 Nr. 2 des Wertpapier- handelsgesetzes und verschiedenen Verordnungen aus dem Bereich der Finanzdienstleistungsaufsicht. 8
öffentlichen Hand, DStR 2003, S. 1606–1608.
3 Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.5.2017 – 1 StR 265/16, NJW
2017, 3798, Rn. 116.
4 Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.5.2017 – 1 StR 265/16, NJW
2017, 3798, Rn. 79 ff.
5 Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.5.2017 – 1 StR 265/16, NJW
2017, 3798, Rn. 87.
6 Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.5.2017 – 1 StR 265/16, NJW
2017, 3798, Leitsatz 14.
7 Vgl. Susanne Meyer, Rechtspflicht zur Compliance?, online:
Homepage des Bundesverbands der Compliance-Manager vom 21.03.2013, https://www.bvdcm.de/news/rechtspflicht-zur-com- pliance (Abruf am 14.8.2019).
8 Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 der Kommission vom
25. April 2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie, Abl. C/2016/2398
Margrit Seckelmann1
Tax Compliance Management bei Wissenschaftsein- richtungen
Ordnung der Wissenschaft 2019, ISSN 2197–9197
238 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2019), 237–242
Der Gedanke einer Tax Compliance ergibt sich aber auch aus Grundsatz 5 des Deutschen Corporate Gover- nance Kodizes 2019, in dem der Begriff der Compliance sogar ausdrücklich definiert ist: „Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unter- nehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf de- ren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Com- pliance).“9 Der Deutsche Corporate Governance Kodex richtet sich an börsennotierte Unternehmen; das sind solche, die „im regulierten Markt, nicht lediglich im Freiverkehr einer Börse, z.B. dem Entry Standard der Frankfurter Wertpapierbörse, gelistet sind“. 10
B. Grundzüge eines Tax Compliance Managements für Wissenschaftseinrichtungen
I. Tax Compliance Management als Element eines Compliance Managements
Das erwähnte Urteil des Ersten Strafsenats des BGH vom 9. Mai 2017 (1 StR 265/16) zieht den Kreis der Ver- pflichteten aber weiter – wenn man die Entscheidung so interpretiert, dass aus der Möglichkeit zur Exkulpation bezogen auf § 30 AO spiegelbildlich eine Pflicht zur Ins- tallation eines solchen Systems folgt. Die vorgenannte Entscheidung des Ersten Strafsenats des BGH lässt sich nämlich verallgemeinernd dahingehend interpretieren, dass es die Geschäftsführerhaftung nach § 30 OWiG, die gem. § 130 OWiG auch auf Organe öffentlich-rechtlicher Anstalten übertragbar ist, mindern oder gar ausschlie- ßen kann, wenn die Einrichtung ein effizientes Compli- ance Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss. 11
Diese Verallgemeinerung hat nicht zuletzt das Bun- desfinanzministerium vorgenommen. In seinem Schrei- ben vom 23.5.2016 (BStBl. I 2016, S. 490) hat es zu § 153 AO dahingehend Stellung genommen, dass die Etablie- rung und Durchführung eines „innerbetrieblichen Kon- trollsystems“ ein Indiz gegen das Vorliegen von Vorsatz oder Leichtfertigkeit von Steuerpflichtigen oder deren gesetzlichen Vertretern darstellen kann. 12
So sehr man diese Entwicklung bedenklich finden
9 https://www.dcgk.de/de/kodex/dcgk-2019.html?file=files/ dcgk/usercontent/de/Konsultationen/2019/DCGK%20 2019/190522%20DCGK%202019.pdf(14.8.2019), vgl. auch Ziffer 4.1.3 der Vorgängerregelung.
10 Meyer (Fn. 7).
11 Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.5.2017 – 1 StR 265/16, NJW
2017, 3798.
12 Bundesfinanzministerium, Schreiben vom 23.5.2016 (BStBl. I
2016, S. 490), Tz. 2.6.
13 Institut der Wirtschaftprüfer, Prüfungsstandard „Grundsätze
und auch danach fragen kann, inwieweit man unter die- sen Umständen noch Freiwillige für die Leitung von Hochschulen und Forschungsinstituten finden lassen: Es empfiehlt sich aus haftungsrechtlichen Gründen für die Leitung derartiger Wissenschaftseinrichtungen, über die Einrichtung eines Tax Compliance Management System (TCMS) nachzudenken. Als Orientierungspunkte kön- nen hierbei der Prüfungsstandard „Grundsätze ord- nungsgemäßer Prüfungen von Compliance Manage- ment Systemen“ dienen, den das Institut der Wirtschafts- prüfer für Unternehmen entwickelt hat (IDW PS 980),13 und der von der dortigen Arbeitsgruppe „Tax Compli- ance“ erarbeitete IDW-Praxishinweis 01/2016. 14
1. Compliance Management System
Unter einem Compliance Management System (CMS) sind die „auf der Grundlage der von den gesetzlichen Vertretern festgelegten Ziele eingeführten Grundsätze und Maßnahmen eines Unternehmens [bzw. hier: einer öffentlich-rechtlich organisierten Einrichtung, M.S.] zu verstehen, die auf die Sicherstellung eines regelkonfor- men Verhaltens der gesetzlichen Vertreter und Mitarbei- ter des Unternehmens [bzw. hier: einer öffentlich-recht- lich organisierten Einrichtung] sowie ggf. von Dritten abzielen, d. h. auf die Einhaltung bestimmter Regeln und damit auf die Verhinderung von wesentlichen Verstößen (Regelverstöße).“15
Ein CMS nach IDW PS 980 enthält folgende Elemen- te, die in die Geschäftsabläufe eingebunden werden:
• Compliance-Kultur
• Compliance-Ziele
• Compliance-Organisation
• Compliance-Risiken
• Compliance-Programm
• Compliance-Kommunikation und
• Compliance-Überwachung und ‑verbesse-
rung.16
2. Tax Compliance Management System
Ein Tax Compliance Management System ist „ein abge-
grenzter Teilbereich eines CMS […], dessen Zweck die voll-
ordnungsgemäßer Prüfungen von Compliance Management
Systemen“ (IDW PS 980), Stand: 11.3.2011.
14 Institut der Wirtschaftprüfer, Arbeitsgruppe „Tax Compliance“,
IDW-Praxishinweis 01/2016, online: https://www.wts.com/wts. de/publications/wts-tax-weekly/anhange/2017_29_1_idw-pra- xishinweis‑1–2016.pdf (Abruf am 18.3.2019).
15 IDW-Praxishinweis 01/2016, S. 2 Tz. 6 unter Bezugnahme auf den IDW PS 980 von April 2011 (dort Tz. 5).
16 IDW-Praxishinweis 01/2016, S. 2 Tz. 8 unter Bezugnahme auf den IDW PS 980 von April 2011 (dort Tz. 6).
Seckelmann· Tax Compliance Management bei Wissenschaftseinrichtungen
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ständige und zeitgerechte Erfüllung steuerlicher Pflichten ist“. 17 Es ist u. a. abhängig von:
• der Rechtsform der Einrichtung,
• den von der Einrichtung verfolgten Zielen
• der (Binnen-)Organisationsstruktur,
• der Art der anfallenden Steuern und
• den Prozessabläufen im Einzelnen und den
Fragen der einrichtungsinternen Delegation und Aufgaben. 18
II. Überprüfung und Anpassung der Strukturen und Abläufe
Um eine Exkulpation der Instituts- bzw. Hochschullei- tung zu erzielen, ist es wichtig, dass die Einrichtung die Elemente eines (T)CMS auf ihre eigene Organisation und ihre gesetzlichen sowie satzungsmäßigen Aufgaben anpasst.
Man kann sich dabei einen Regelkreis zwischen acht Ele- menten vorstellen, die zyklisch und re-iterativ miteinan- der verbunden sind:
1. die Schaffung eines Risikobewusstseins (Präventi- on)
2. die Etablierung einer Compliance-Kultur,
3. die Entwicklung von Compliance-Zielen,
4. die Erstellung eines Compliance-Programms,
5. die Anpassung der Organisation an dieses nebst kla-
rer Definition und Zuordnung von Verantwortlich-
keiten,
6.die Kommunikation der Organisationsgestaltung
und der Verantwortlichkeiten an die Mitglieder (auch die Gremienmitglieder) und die Beschäftig- ten,
7. die Anwendung in der Praxis (also die adäquate steuerrechtliche Einstufung von neuen Forschungs- projekten unter Zulieferung der erforderlichen Angaben) und schließlich
8.die kontinuierliche Überwachung und Verbesse- rung der Compliance selbst.
Bezogen auf die umsatz/ertrags- und körperschafts- steuerliche Behandlung von Auftragsforschung sind für ein korrektes TCMS folgende Schritte erforderlich, die im Einzelnen abzuarbeiten sind: 19
17 IDW-Praxishinweis 01/2016, S. 5 Tz. 22 unter Bezugnahme auf den IDW PS 980 von April 2011 (dort Tz. 26 ff.).
18 IDW-Praxishinweis 01/2016, S. 5 Tz. 24.
III. Inhalt der Selbstverpflichtung
Nach einer Überprüfung und ggf. Korrektur der Verant- wortlichkeiten und Abläufe (wer muss wem welche Daten bis wann liefern?) kann der zweite Schritt des TCMS in Angriff genommen werden: die Selbstver- pflichtung der Einrichtung und der dort Arbeitenden. Zu dieser gehört die schriftliche Niederlegung einer Risikoanalyse (I.), dann (II.) die Aufstellung von Kriteri- en zur steuerlichen Einstufung und schließlich (III.) eine Festlegung und Ausführung der Verfahrensabläufe (ins- besondere die sorgfältige Auswahl der Mitarbeiter20 , sachgerechte Organisation und Aufgabenverteilung, Aufklärung und Belehrung der Mitarbeiter21 , sowie ein Monitoring, vgl. die §§ 30, 130 OWiG).
1. Formale Anforderungen
In Teil I., der Risikoanalyse, ist die Ist-Organisation (schriftlich oder elektronisch dokumentiert) darzustel- len, wie sie sich aus den gesetzlichen, satzungsmäßigen und anderen einschlägigen Rechtsgrundlagen ergibt (1.). Dazu gehört auch die Bezugnahme auf den Geschäfts- verteilungsplan (so vorhanden) und die ausdrückliche Benennung des oder der Haushaltsverantwortlichen. Danach ist (unter 2., die beiden Punkte können auch getauscht werden) auf die konkreten Aufgaben der Ein- richtung in Forschung und/oder Lehre bzw. Weiterbil- dung einzugehen.
Entscheidend ist dann unter 3. die Identifikation der anfallenden Steuerarten wie Lohnsteuer, Umsatzsteuer, Körperschaftssteuer, ggf. auch Gewerbe- bzw. Kapitaler-
1. Risikoanalyse und Prävention
a) Darstellung der Ist- Organisation und der Aufgaben
b) Aufnahme und Beurteilung der steuerrechtlichen Sachverhalte
(1) Ermittlung der Steuerarten
(2) Abgrenzung hoheitliche Forschung – Auftragsforschung
(3) Frage der Anwendung gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse
(4) Beurteilung der vorhandenen Risiken
2. Überprüfung der vorhandenen Strukturen in Bezug auf ihre Fähigkeit zur Lösung der ermittelten Risiken
Überprüfung der Ist- Organisation anhand des IDW-Praxishinweises 01/2016 und von IDW PS 980
Erkenntnisinteresse: Welche Maßnahmen bzw. Strukturveränderungen sind vorzunehmen?
3. Entwicklung und Umsetzung der Maßnahmen
a) Erarbeitung von Maßnahmen auf der Basis des Vergleichs der Ist-Organisation und der notwendigen Kompetenzen und Strukturen mit dem Ziel der Etablierung einer Tax-CMS-Kultur
Wichtig: gemeinschaftliche Erarbeitung durch alle mit den Fragen befassten, die sich dann auf die erarbeiteten Grundsätze verpflichten
b) Information der Forschenden bzw. Lehrenden und aller anderen,
bislang nicht- beteiligten Mitarbeitenden
c) Regelmäßiges Controlling
19 20 21
Orientiert am IDW-Praxishinweis 01/2016 und am IDW-PS 980. Bzw. Mitarbeiterinnen.
Bzw. Mitarbeiterinnen
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tragssteuer. Zu den jeweiligen Punkten sind in der Risi- koanalyse die Abläufe, aber auch die identifizierten Pro- bleme darzustellen, die mit der jeweiligen Steuerart ver- bunden sind (z. B. die Frage der Besteuerung der Auf- tragsforschung nach dem Umsatzsteuergesetz, insbesondere bezogen auf den Betrieb gewerblicher Art [BgA] sowie die Besteuerung nach dem Körperschafts- steuergesetz für die nicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 23 KStG von der Körperschaftssteuer befreite Anwendung gesi- cherter wissenschaftlicher Erkenntnisse).
2. Dokumentation der inhaltlichen Überlegungen
Im nächsten Teil (II.) sind dann die Maßnahmen darzu- stellen, mit deren Hilfe die Einrichtung die identifizier- ten Probleme angehen will und unter III. schließlich sind die auf die Risikoanalyse und die neuen Grundsätze angepassten Strukturen und Abläufe darzustellen.
Die Teile II und III sind insofern das Kernstück der Selbstverpflichtung der Einrichtung, in die auch alle mit der Abwicklung Betrauten einzubeziehen sind (auch z. B. der/die Steuerberater[in] bzw. Wirtschaftsprüfer[in] der Einrichtung).
Ein Kernproblem werden dabei die Kriterien sein, nach denen die Einrichtung die Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nicht-hoheitlicher Forschung sowie zwischen Forschung und der Anwendung gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse vornimmt.
Hier finden sich in den einschlägigen Kommentaren zur Körperschaftssteuer zumeist recht pauschale Hin- weise auf Judikate, nach denen die Entnahme von Blut- proben durch Universitätskrankenhäuser im Auftrag der Polizei oder aber die Materialprüfung durch universitäre Labore im Auftrag der Wirtschaft derartige Anwen- dungsfälle sind.22 Schwerer wird die körperschaftssteu- erliche Einstufung im Bereich der sozial- , wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Forschung: Hier geht die im Internet zu findende Ansicht, bei Gutachten, die „dem Auftraggeber als konkrete Entscheidungshilfe für die Lösung konkreter, technischer, wirtschaftlicher oder rechtlicher Fragen dienen“ sollen, handle es sich vielfach um die Anwendung gesicherter wissenschaftlicher Er- kenntnisse, sicherlich zu weit.23 Dies verkennt die Aus-
22 Vgl. etwa Wolfgang Kessler/Bastian Schmidt, Unverbindliche Arbeitshilfe für die Teilnehmer der 13. Freiburger Arbeitstagung, 13.12.2012, online: http://hochschulbesteuerung.de/wp-content/ uploads/2016/08/20121213_Arbeitshilfe_Abgrenzung_For- schung_AF_AgwE.pdf (Abruf am 14.8.2019).
23 Vgl. Kessler/Schmidt (Fn. 22).
24 Eher zweifelnd Stalleiken (Fn. 2).
25 BVerfGE 123, 267 (Leitsatz 4) – Lissabon.
strahlungswirkung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, die im- mer dann, wenn mit einer genuin wissenschaftlichen und vor allem selbstentwickelten Methodik oder Zu- gangsweise an Fragen auch der Auftragsforschung her- angegangen wird, den Charakter der Forschung in den Vordergrund treten lässt. Ob man die Ausstrahlungswir- kung eines (nationalen) Grundrechts für die Beurteilung des unionsrechtlichen Ansatzes heranziehen kann, ob eine Wettbewerbsverzerrung im steuerlichen Sinne vor- liegt, ist zumindest umstritten.24 Jedoch ist das Abstellen auf die Methodik und Zugangsweise letztlich diejenige, die der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gewährleistung des unantastbaren Kernbereichs der Grundrechte bestmöglich nahekommt.25
Das bedeutet konkret: Während die Einschaltung ei- ner universitären Einrichtung zu Zwecken der (bloßen) Marktforschung sicher als Anwendung gesicherter wis- senschaftlicher Erkenntnisse einzustufen wäre, ist diese Frage bei Forschungsprojekten deutlich schwieriger zu beurteilen, für die ein spezieller Fragebogen zu entwi- ckeln ist, der z. B. auch noch im Rahmen eines Pre-Tests überprüft wird.26 Sofern hier neue Methoden entwickelt oder bestehende Methoden rekombiniert werden, steht der Forschungscharakter im Vordergrund. Ein weiteres Indiz hierfür ist es, wenn Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden (durch die Einstellung eines Projektberichts ins Internet oder durch die Publikation der Ergebnisse in Aufsätzen bzw. einer Monographie; auch die Präsentation auf wissenschaftlichen Tagungen kann ein solches Indiz sein).
Letztlich hilft nur eines: dokumentieren, was der Ein- stufung zugrunde liegt. Die Einstufung selbst liegt dabei vom Grundsatz her bei der Institutsleitung, nicht beim Projektleiter oder der Projektleiterin. Die einzuholende und zu dokumentierende Einschätzung des Projektlei- ters oder der Projektleiterin ist jedoch ein wesentlicher Bestandteil der Informationsbeschaffung im Rahmen des Einschätzungsvorgangs (manche Hochschulen ha- ben auch entsprechende Checklisten mit Freitextfeldern dazu entwickelt27). Aber diese Selbsteinstufung muss von der Hochschul- bzw. Institutsleitung ihrerseits ge- würdigt werden, um zu einer Exkulpation derselben beizutragen.
26 Vgl. etwa Rolf Porst, Fragebogen. Ein Arbeitsbuch, 4. Aufl., Wies- baden 2014; zur qualitativen Inhaltsanalyse vgl. Jochen Gläser/ Grit Laudel, Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als Instrumente rekonstruierender Untersuchungen, 4. Aufl., Wiesbaden 2010.
27 Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Erklärung zur steuerlichen Behandlung von Projekten/Tätigkeiten, online: https://www.zuv. uni-freiburg.de/formulare/st5.pdf (Abruf am 14.8.2019).
Seckelmann· Tax Compliance Management bei Wissenschaftseinrichtungen 2 4 1
Mitarbeitenden als Exkulpationsmöglichkeiten ankommt.29Ein Tax Management Compliance System für Wissenschaftseinrichtungen mag man daher aus guten rechts- und wissenschaftspolitischen Gründen ablehnen – faktisch wird man aber wohl kaum darum herumkom- men.
Die Autorin ist Geschäftsführerin des Deutschen For- schungsinstituts für öffentliche Verwaltung und zugleich Privatdozentin an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften.
IV. Fazit
Man kann sich natürlich fragen, warum wissenschaftli- che Einrichtungen zunehmend Anforderungen unter- worfen werden, die für mittelständische Unternehmen gelten – das ist an anderer Stelle auch getan worden.28 Aber Hochschul- und Institutsleitungen sollten sich dar- über im Klaren sein, dass die Berufung auf die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierte Wissenschaftsfreiheit als (alleinige) Exkulpation von den Gerichten zuneh- mend weniger als alleiniger Grund anerkannt werden dürfte, sondern dass es auf Fragen der Organisation sowie auf die Auswahl, Information und Schulung der
28 Vgl. Margrit Seckelmann, Evaluation und Recht. Strukturen, Prozesse und Legitimationsfragen staatlicher Wissensbeschaffung durch (Wissenschafts-)Evaluationen, Tübingen 2018, S. 65.
29 Astrid Plantiko/Albina Dreshaj/Stefan Winheller, Die Finan- zierung von gemeinnützigen Forschungsorganisationen durch Auftragsforschung und deren steuerliche Auswirkungen – ein Überblick über § 68 Nr. 9 AO, ZStV 2018, 1.
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