I. Sprachen der Internationalisierung
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) begleitet seit etwa 10 Jahren die „Internationalisierung“ der deutschen Hochschulen mit grundsätzlichen Empfehlungspapie- ren. Das erste, 2008, war sehr hochgemut.2 Es sah die deutschen Hochschulen „der Zukunft“ als „transnatio- nale Hochschule“, als „gestaltenden Teil des sich in der Entwicklung begriffenen Welthochschulsystems“, der „entstehenden globalen Hochschulgemeinschaft“, mit dem Auftrag, „junge Menschen nicht nur berufsfähig zu machen, sondern für die Wahrnehmung eines Weltbür- gertums (global citizenship) zu qualifizieren“.3 Das zwei- te, 2011, reagierte auf die Tatsache, dass bei der Internati- onalisierung die Vielzahl und Verschiedenheit der Spra- chen eine Rolle spielen muss, in denen Wissenschaft, zum Teil seit Jahrhunderten, auf hohem Niveau betrie- ben wird.4 Die HRK stellte fest: „Die Hochschulen haben auf die Herausforderung der Internationalisierung mit der verstärkten Verwendung der englischen Sprache in Forschung und Lehre reagiert.“5 Die Hinwendung zu ausschließlich englischsprachiger Kommunikation in Forschung und Lehre gehe zu Lasten anderer Sprachen und gefährde damit die Sprachenvielfalt. Es sei deshalb erforderlich, „Mehrsprachigkeit sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene erfolgreich in der Wissenschaft zu verankern. Ziel ist es, in den Hochschu- len ein verstärktes Bewusstsein für sprachpolitische Fra- gen und damit einen bewussten Einsatz von unter- schiedlichen Sprachen im Hochschulalltag zu fördern.
- 1 Text eines Vortrags „Lehre nur auf Englisch? Akademische Sprachpolitik gegen Gesetz und Verfassung“ am 17.1.2017 in der LMU München, Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaf- ten, Institut für Deutsch als Fremdsprache, für die Veröffentli- chung aktualisiert und erweitert.
- 2 „Die deutschen Hochschulen in der Welt und für die Welt“, Entschließung der 4. Mitgliederversammlung am 18. November 2008, in: HRK (Hrsg.), Die deutschen Hochschulen internatio- nalisieren! – Internationale Strategie der HRK – Sprachpolitik an deutschen Hochschulen (Beiträge zur Hochschulpolitik 2/2012), Bonn 2012.
- 3 HRK (Fn. 2), S. 1, 7–18.
Nur eine sinnvolle Gewichtung der nationalen Sprache, d. h. des Deutschen, der ‚internationalen’ Sprache Eng- lisch sowie weiterer Sprachen wird langfristig wirkliche Mehrsprachigkeit fördern.“6
Im dritten, bislang neuesten Papier, 2017, erhält das Thema „Sprache“ schließlich einen eigenen Ab- schnitt.7 Internationalisierung dürfe nicht gleichgesetzt werden „mit einer generellen Abkehr vom Deutschen als Unterrichtssprache“.8 Idealerweise bildeten erst mehrere Fremdsprachen„denGrundsteininterkulturellerInterakti- on“. Keinesfalls dürfe der Unterricht in einer Fremdsprache zum Absinken des wissenschaftlichen Niveaus führen. „Ge- gebenenfalls ist der deutschen Sprache der Vorzug zu ge- ben, wobei internationale Inhalte auch in deutschsprachige Veranstaltungen Eingang finden müssen.“9
Mit den Empfehlungen von 2011 und 2017 zeigt die HRK Distanz zu vielen anderen Institutionen der deut- schen Wissenschaft, namentlich zu manchen Kultus- und Wissenschaftsministerien in Bund und Ländern, zu den meisten Großinstitutionen der Forschungsförde- rung und auch zu vielen Hochschulleitungen, die das Englische zum Leitmedium der Wissenschaft erklären und für die gewünschte Internationalisierung seinen Ge- brauch als immer erforderlich, aber auch als genügend ansehen. Aus solcher Hochschätzung des Englischen kann dann sogar der Wunsch erwachsen, die akademi- sche Lehre vom Deutschen ganz auf diese andere Spra- che umzustellen – so die Technische Universität Mün- chen für das Aufbaustudium und andere Hochschulen für einzelne Studiengänge.10
4 Sprachenpolitik an deutschen Hochschulen, Entschließung der 11. Mitgliederversammlung am 22. November 2011, in: HRK (Fn. 2), S. 31–49.
5 HRK (Fn. 2), S. 32.
6 HRK (Fn. 2), S. 33.
7 HRK: Zur Internationalisierung der Curricula, Empfehlung der
HRK-Mitgliederversammlung vom 9.5.2017, www.hrk.de, unter
„Positionen“ (zuletzt abgerufen am 14.8.2017).
8 HRK (Fn. 7), bei Fn. 4.
9 HRK (Fn. 7), „Sprache“, Absatz 1 und 2.
10 Angaben bei www.daad.de/deutschland/studienangebote/de
(zuletzt abgerufen am 14.8.2017).
Axel Flessner
Akademische Lehre nur auf Englisch? – Sprachpolitik an deutschen Hochschulen, rechtlich betrachtet1
Ordnung der Wissenschaft 2017, ISSN 2197–9197
230 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2017), 229–236
II. Kritik
Es gibt immer wieder fundierte wissenschaftliche Kritik an der Erhebung des Englischen über andere Sprachen.11 Die jüngste solche Äußerung, knapp und tiefschürfend, ist die einer prominent besetzten Arbeitsgruppe, die von den Wissenschaftsräten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz beauftragt wurde, sich mit dem Thema Wissen- schaftssprache zu befassen, dieses Thema „angestoßen durch die weltweite Umstellung auf das Englische als Wis- senschaftssprache“. Die Arbeitsgruppe hat im Herbst 2016 ihren Bericht vorgelegt; er wurde von den Wissenschaftsrä- ten sogleich veröffentlicht.12 Seine erste Empfehlung (von insgesamt 7) für Maßnahmen in Schule, Universität, Litera- tur und Medien lautet: „Institutionalisierung einer gestuf- ten Mehrsprachigkeit in der akademischen Lehre, d.h. Ein- führung in die Wissenschaften in den tradierten Kultur- sprachen (z.B. Deutsch), schrittweiser Erwerb von Kompetenzen in der globalen Kommunikationssprache (Englisch) und in anderen Wissenschaftssprachen (z.B. Französisch, Italienisch Russisch).“13
III. Recht?
Bei allen diesen Stellungnahmen, auch den Empfehlun- gen der HRK und der eben genannten Arbeitsgruppe, wird nicht angesprochen, auf welcher Rechtsgrundlage die Sprachpolitik für Hochschulen überhaupt betrieben werden kann und welchen Rahmen sie schon vorfindet. Die deutschen Großinstitutionen, die den Gebrauch des Englischen vorantreiben, haben im deutschen Wissen- schaftssystem rechtliche, organisatorische und finanziel- le Macht – man sollte erwarten, dass, wie in Wirtschaft und allgemeiner Politik, dies auch in der Wissenschafts- politik die Frage nach rechtlicher Begründung und Begrenzung der Macht auslöst.
11 Am Institut für Deutsch als Fremdsprache (s. oben Fn. 1) schon 2008, s. den Bericht von Simone Schiedermair, Sprachenpolitik an Hochschulen in Zeiten von Exzellenz und Internationalisie- rung: Das Beispiel München, in: Zielsprache Deutsch (Interna- tionale Zeitschrift für Deutsch als Fremdsprache/Deutsch als Zweitsprache) 2008, Heft 3, S. 59–77. Es folgten Eins/Glück/ Pretscher (Hrsg.), Wissen schaffen, Wissen kommunizieren
– Wissenschaftssprachen in Geschichte und Gegenwart, 2011; Oberreuter/Krull/H.J. Meyer/Ehlich (Hrsg.), Deutsch in der Wissenschaft – Ein politischer und wissenschaftlicher Diskurs, 2012; Arbeitskreis Deutsch als Wissenschaftssprache (ADAWIS) (Hrsg.), Die Sprache von Forschung und Lehre : Welche, Wo, für Wen?, 2013; ADAWIS (Hrsg.), Die Sprache von Forschung und Lehre: Bindeglied der Wissenschaft zu Kultur und Gesellschaft?, 2016; Colin/Umlauf (Hrsg.), Mehrsprachigkeit und Elitenbil- dung im europäischen Hochschulraum, Heidelberg 2015, 259 S.; umfassend und besonders eingängig auch für Nicht-Linguisten
Die Hochschulgesetze der Länder stellen in sehr aus- führlichen Bestimmungen viele Anforderungen an die Hochschulen und die akademische Lehre auf, darunter auch solche in Richtung Internationalisierung, sie sagen aber nichts zu der eigentlich elementaren Frage, in wel- cher Sprache denn diese Lehre stattfinden soll.14 Die sprachpolitische Abstinenz der Gesetzgeber spiegelt sich in der Literatur. Selbst in den Standardwerken des Hoch- schulrechts kommen Begriffe wie „Sprache“, „Sprache der Lehre“, „Sprachpolitik“ nicht vor.15 Erst seit kurzem kann man Aufsätze zur rechtlichen Bewertung der Sprach- politik für die akademische Lehre finden. Sie machen dar- auf aufmerksam, dass auch die Sprachpolitik für die Hoch- schulen, wie alles staatliche Handeln, rechtlich gebunden ist und dass diese Politik vor allem die Grundrechte der Stu- dierwilligen und der Hochschullehrer zu beachten hat.16
IV. Die Rechtslage
Der Verfasser dieses Beitrags hat in seinem genannten Auf- satz17 die Rechtslage so zusammengefasst: Die Umstellung der akademischen Lehre auf das Englische stößt an
• die Ausbildungs- und Berufsfreiheit der Studieren- den und der Studierwilligen (Art. 12 GG)
• die Berufs- und Wissenschaftsfreiheit der Hoch- schullehrer (Art. 5 III undArt. 12 GG)
• das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Studieren- den und Lehrenden (Art. 2 GG)
• das Verbot der Diskriminierung und der Privilegie- rung wegen der Sprache (Art. 3 III GG)
• das Demokratiegebot für die staatlichen Institutio- nen (Art. 20 GG)
• den Anspruch der Allgemeinheit auf die Gewährleis- tung eines bis zur obersten Stufe voll leistungsfähigen Hochschulsystems in ihrer Landessprache (Art. 5 III GG)
jetzt Trabant, Globalesisch oder was? – Ein Plädoyer für Europas
Sprachen, München 2014, 235 S.
12 Mittelstraß/Trabant/Fröhlicher, Wissenschaftssprache – Ein Plädo-
yer für Mehrsprachigkeit in der Wissenschaft, Stuttgart 2016, 50
S.; das Zitat steht im Vorwort, S. 7.
13 Mittelstraß u.a. (Fn. 12), S. 41
14 Beispiel: BayHSchG, Art. 2 I‑VI, 43 I‑VI, 55 I‑II, 56 I‑VI, 57 I‑III. 15 Beispiel: Hartmer/Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht – Ein Hand-
buch für die Praxis, 3. Aufl. 2017.
16 Sachs/Lethaus, Verpflichtung zu fremdsprachiger Lehre? Neue
Herausforderungen für die Lehrenden in der internationalisierten Hochschule, Forschung & Lehre (F&L) 2015, 628–629; Flessner, Der Rechtsanspruch auf die Landessprache in der Universität, Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2015, 212–215; Jantz, Sprach- wahl und Wissenschaftsfreiheit, OdW 2017, 41–50.
17 ZRP 2015, 212–215.
• die verfassungsrechtliche Verantwortung des deut- schen Staates für seine Sprache (nicht nur für seine Wissenschaft!), die ihn zu ihrem Gebrauch in allen sei- nen Institutionen und deswegen auch zu ihrer Beibe- haltung und Pflege in den Hochschulen verpflichtet.
Die genannten Grundrechte und staatsrechtlichen Grundsätze verpflichten den deutschen Staat, zu gewähr- leisten, dass man an seinen Hochschulen jedes Fach bis zum höchsten Abschluss auf Deutsch studieren kann. Nach dem Grundgesetz darf die deutsche Sprache deshalb aus der akademischen Lehre nicht verdrängt werden.
Die Begründung dieser Rechtsauffassung muss hier nicht wiederholt werden. Der folgende Beitrag führt sie vielmehr fort mit der Frage, wie sich die verfassungs- rechtliche Gewährleistung des Deutschen in der akade- mischen Lehre denn verträgt mit den Gründen, die von angesehenen deutschen Institutionen in der Regel für die Umstellung der Lehre auf das Englische vorgebracht werden.
V. Internationalisierung?
Wie kann die Internationalisierung der deutschen Hoch- schulen, die in der Hochschulpolitik gefordert wird, überhaupt gelingen, wenn es den Hochschulen nicht erlaubt sein soll, Studiengänge auf das Englische umzu- stellen? Die Antwort darauf ist zunächst, dass die bezeichnete Rechtslage sich nicht gegen deutsche Studi- engänge in fremder Sprache richtet, sondern die Gewähr- leistung des Studiums auf Deutsch fordert. Immer schon enthalten Studiengänge in Deutschland aus fachspezifi- schen Gründen auch Unterrichtseinheiten in fremder Sprache, und auch ganze Studiengänge in einer Fremd- sprache sind rechtlich unproblematisch, wenn die Hoch- schule in der Lage bleibt, ein Studium desselben Faches auf Deutsch ohne Einbuße an Qualität zu gewährleisten.
Die Internationalisierung durch fremdsprachiges Studium bleibt also möglich, allerdings erfordert sie Res- sourcen. Wenn diese für beides – ein ordentliches Studi- enangebot auf Deutsch und Studium in einer Fremd- sprache – nicht ausreichen, muss die Hochschule be- rücksichtigen, dass hinter dem Interesse an einem Studi- um auf Deutsch die Grundrechte von Studierenden und Hochschullehrern sowie die verfassungsrechtliche Sprachverantwortung des Staates stehen, während die Möglichkeit einer Lehre auch in einer Fremdsprache nur
- 18 Mittelstraß u.a. (Fn. 12), S. 10–16, 20–25, 39–41.
- 19 Mocikat, Die Sprache in den Naturwissenschaften: Herausforde-rungen in Zeiten der Internationalisierung, in: Colin/Umlauf (Fn. 11), S. 57- 67; ausführlich über die Sprachlichkeit aller Wissen- schaft auch Flessner, Die Bedeutung von Wilhelm von Humboldts
ein je nach den Umständen berechtigtes, aber doch nur hochschulpolitisches Desiderat ist, das gewiss nicht die Zurücksetzung von Grundrechten und Staatsgrundsät- zen rechtfertigt.
Die Politik der Internationalisierung, die nicht auf Fremdsprachen schlechthin, sondern gerade auf das Englische setzt, hat zudem spezifische Schwächen, die bei ihrer rechtlichen Bewertung besonders ins Gewicht fallen. Sie wird im allgemeinen damit begründet, dass das Englische inzwischen die globale Verkehrssprache auch in der Wissenschaft ist und so den Wissenschaft- lern den internationalen Austausch erleichtert, die inter- nationale berufliche Mobilität verschafft, den Studieren- den das Studium in verschiedenen Ländern erlaubt und den Absolventen den globalen Arbeitsmarkt eröffnet.
Diese Begründung für die Relativierung der Landes- sprache und sogar für ihre Ersetzung in der akademi- schen Lehre durch das Englische nimmt Wissensverlus- te in Kauf (im folgenden unter 1.) und bedroht sogar die Wissenschaftlichkeit der englischsprachigen Lehre selbst (im folgenden unter 2.).
1. Wissensverluste
Die Sprache ist nach Sprach- und Erkenntnistheorie auch in der Wissenschaft nicht nur Mittel der Kommu- nikation, „Verkehrsmittel“, sondern der Gewinnung (Produktion) und am Ende der Aufnahme und Aneig- nung (Rezeption) von Wissen; die Wissenschaft ist ins- gesamt und von Anfang an „sprachlich verfasst“.18 Sie ist das notwendige Medium des gesamten Wissenschafts- prozesses und muss deshalb nicht nur wissenschaftliche Ergebnisse transportieren, sondern Forschern und Den- kern zunächst den Zugang zum Gegenstand eröffnen und ihnen sodann, nach getaner Forschungs- und Denk- arbeit, die Verbreitung ihrer Ergebnisse im wissenschaft- lichen Forum, dann in der Lehre, und weiter ihre Annah- me durch die soziale Umwelt ermöglichen – dies alles auch in der Naturwissenschaft!19 Die Wissenschaftsge- schichte ist voll von Erzählungen über den Widerstand gegen neue Erkenntnisse, der – neben anderen Beweisen eben auch durch Sprache – überwunden werden musste.
Sprach- und Erkenntnistheorie sagen aber auch, dass jede wissenschaftstaugliche Einzelsprache den Wissen- schaftsprozess auf ihre Weise beeinflusst und das mit ihr mögliche Bild der Wirklichkeit zeichnet. Für den fragen- den Zugang zum Erkenntnisgegenstand bietet jede Ein- zelsprache eine eigene Perspektive, für die soziale Durch-
Sprachdenken für die Rechtswissenschaft, in: Festschrift 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, hrsg. von Grundmann u.a., 2010, S. 874, 887–893, mit weiteren Nachweisen von Stimmen aus der Naturwissenschaft.
Flessner · Akademische Lehre nur auf Englisch? 2 3 1
232 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2017), 229–236
setzung des Erkannten ihre eigene Semantik, Gramma- tik und Argumentationsweise.20 Jede Einzelsprache ist deshalb in globaler Perspektive auch ein unvollkomme- nes Medium. Erst in vollkommener Mehrsprachigkeit würde die Wissenschaft in ihrem Idealzustand daher das vollständige Bild erstellen können.21 Gleichzeitig sehen wir, dass es – allein schon in Europa – in verschiedenen Sprachen unterschiedliche und jeweils reiche Wissen- schaftskulturen gibt.
Bei dieser Sachlage die Menschen für ihr wissensba- siertes Leben im Globalen nur mit einer Sprache zu rüs- ten, blendet die tatsächlich bestehende Vielfalt der Wis- senskulturen und der mit ihnen erreichten Welterfas- sung aus und kann so eine wahre Internationalisierung der Hochschulen und ihrer Lehre nicht erreichen. Die Wissenschaft in einen Zustand sprachlicher Monokultur zu versetzen, ist daher kein genuin wissenschaftliches Anliegen, sondern allenfalls eines der Wissenschaftspo- litik; diese mag dabei die Kostenvorteile unifizierter Kommunikation im Sinn haben und die damit verbun- denen Wissensverluste in Kauf nehmen. Für die rechtli- che Bewertung ist jedenfalls festzustellen, dass Internati- onalisierung, die eine realistische Weltkenntnis wegen ihres Willens zur Monokultur gar nicht erreichen kann, zur Einschränkung von Berufsfreiheit, Wissenschafts- freiheit, Persönlichkeitsrechten und der Sprachverant- wortung des Staates nach dem Grundgesetz nicht geeig- net ist.
2. Wissensverzichte
Es ist bekannt, dass wissenschaftliche Publikationen, die im englischen Sprachraum entstehen, nur selten auf Quellen und Literatur eingehen, die in anderen Spra- chen vorliegen. Das ist in der Rechtswissenschaft sogar in den Teildisziplinen zu beobachten, die internationa- len Rechtsstoff behandeln – Völkerrecht, internationales Privat- und Strafrecht, Rechtsvergleichung.
Die Nichtbeachtung anderssprachiger Quellen und Literaturbeiträge kann der Arbeitseffizienz, aber auch reiner Bequemlichkeit geschuldet sein. Die Wissenschaft in den etwa 70 Ländern mit englischer Landes- oder Amts- oder jedenfalls Bildungssprache22 und mit etwa
- 20 Ausführlich Mittelstraß u.a. (Fn. 12), S. 11–16, 26–30. Zum Zu- sammenhang zwischen Sprache und Denken gibt der prominente ARD-Journalist Franz Stark eine sehr gute gemeinverständliche Zusammenfassung der Erkenntnisse der Linguistik und der anderen Teile der interdisziplinären „Kognitionswissenschaft“ (Psychologie, Neurologie, Kulturanthropologie, Philosophie): Stark, Wie viel Englisch verkraftet die deutsche Sprache? – Die Chance zwischen Globalisierungserfordernis und Deutschtüme- lei, 2. Aufl. 2010, S. 22–66 (linguistische Grundbegriffe), 67–98 (Sprache und Denken).
- 21 Die Erkenntnis vom unlöslichen Zusammenhang zwischen dem
einem Drittel der Weltbevölkerung produziert weltweit genug, um im eigenen Bereich den Eindruck entstehen zu lassen, man könne sich die Beobachtung weiterer Sprachräume gefahrlos ersparen. Diese Selbstzufrieden- heit wird aber auch aktiv gefördert. Es wird inzwischen von Zeitschriften berichtet, die ihren Autoren jede Zitie- rung von Quellen und Texten in anderen Sprachen als Englisch herausstreichen.23 Die einflussreichen amerika- nischen Zitierindices berücksichtigen ausländische Pub- likationen, und besonders die in anderer Sprache, nur höchst lückenhaft und in keinem auch nur annähernd realistischen Verhältnis zur Menge der ernstzunehmen- den Publikationen des Auslands.24 In Großbritannien ist das Nichtkennen von Fremdsprachen inzwischen offizi- elle Schulpolitik; Fremdsprachen sind für die Sekundar- stufe der staatlichen Schulen als Pflichtfach abgeschafft. Es droht eine „Verarmung der Wissenschaft durch eine monosprachliche Horizontbegrenzung“.25
Für die Wissenschaft, weltweit gesehen, führt diese sprachpolitische Haltung zu einem Verlust an Welterfas- sung, und der Verlust wird zunehmend größer, je mehr das Englische zum weltweit allein gültigen Erkenntnis- und Verkehrsmedium erklärt wird, weil dann auch die- jenigen, die es als Fremdsprache benutzen (müssen), diese Selbstbeschränkung auf das mit Englisch Ermittel- bare und Sagbare übernehmen werden. Wenn sprachlich bedingtes Nichtwissen und Nichtwissenkönnen zum wissenschaftlichen Ideal erhoben wird, werden allmäh- lich alle in ihrem Bemühen um fremdsprachlich gestütz- te Wissenserweiterung nachlassen.
Für die rechtliche Bewertung der Umstellung auf EnglischistnichtalleindieserVerlusteinNegativposten, sondern mehr noch die innere Widersprüchlichkeit die- ser akademischen Sprachpolitik. Mit ihr soll die Interna- tionalisierung, also die Erweiterung des Horizonts der deutschen Hochschulen erreicht werden. Wenn diese In- ternationalisierung aber vor allem auf die englische Sprache setzt, führt sie in eine Sprachwelt, in der das wis- senschaftliche Verbleiben im eigenen Sprachraum, das Abschalten des Fragens und Forschens über die eigene Sprachgrenze hinaus, zum guten Ton gehört. Eine solche Sprachpolitik mag, schon wegen der Größe des engli-
Denken und der einzelnen Sprache geht auf Wilhelm von Hum-
boldt zurück; darüber ausführlich Flessner (Fn. 19), S. 874–880.
22 Dazu Metzler Sprachlexikon, hrsg. von Glück, 4. Aufl. 2010, Stich-
wörter „Englisch“ und „“Englisch als Zweitsprache“.
23 HRK (Fn. 4), S. 40 f.; Mocikat, in: ADAWIS 2016 (Fn. 11), S. 67. 24 Mittelstraß u.a. (Fn. 12), S. 29 f, 31 mit weiteren Angaben.
25 Mittelstraß u.a. (Fn. 12), S. 36. Die dort zitierte Klage der British
Academy , dass die britischen Wissenschaftler „Gefangene ihrer Sprache“ geworden seien, und die Akademie-Empfehlungen zum (Wieder-)Aufbau des Fremdsprachenunterrichts haben anschei- nend bisher nichts bewirkt.
schen Sprachraums, für Hochschulen in anderen Sprach- räumen immer noch eine Erweiterung sein. Sie kann aber nicht rechtfertigen, den Einzelnen und der Allge- meinheit ihren verfassungsrechtlichen Anspruch auf den Gebrauch auch der eigenen Landessprache in den Hochschulen mit der Behauptung zu verweigern, das Englische biete die bessere Wissenschaft.
Wenn eine staatliche Hochschule (mit Einwilligung des zuständigen Ministeriums) die Umstellung des Stu- diums auf das Englische beschließt, gelten für beide die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts. Nach diesem muss das staatliche Ermessen „entsprechend dem Zweck der Ermächtigung“ ausgeübt werden (§ 40 VwVfG). Die Hochschulgesetze fordern auf und ermäch- tigen zur Internationalisierung um der Erweiterung des Horizonts willen.26 Wenn diese Erweiterung nur darin bestehen soll, dass die akademische Lehre vom heimi- schen Sprachraum in einen anderen wechseln soll, der zwar größer ist, aber den Blick in weitere Sprachräume selbst für überflüssig erklärt, entsteht den deutschen Hochschulinstanzen offensichtlich ein Problem des Fehlgebrauchs ihres Ermessens. Dieses besteht auch dann, wenn man ihren Beschluss nicht als Verwaltungs- akt, sondern als (untergesetzliche) Normsetzung an- sieht.27 Da mit der Verdrängung des Deutschen aus der Lehre in Grundrechte eingegriffen wird, kommt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ins Spiel – die Ent- sprechung zur Ermessenslehre auf der verfassungsrecht- lichen Ebene. Auch dort geht es um die Zweckeignung der Maßnahme. Die deutsche Hochschulpolitik, die die akademische Lehre auf das Englische umstellen will, kann der inneren Widersprüchlichkeit ihres Strebens rechtlich nicht entkommen.
Die Internationalisierung der deutschen Hochschu- len kann nach allem nur so aussehen, wie HRK und Wis- senschaftsrat es vorzeichnen: „Generell sollte das Ziel al- ler Bemühungen im institutionellen Rahmen einer Etab- lierung von Mehrsprachigkeit in der Wissenschaft ein Zustand sein, in dem jeder Wissenschaftler in der Lage ist, dem wissenschaftlichen Diskurs (in Schrift und Wort) in aus disziplinärer Perspektive zentralen Wissen- schaftssprachen zu folgen (Lese- und Rezeptionsfähig-
- 26 Z.B. BayHSchG, Art. 2 II 1, 55 II 1.
- 27 Nach Art. 56 I 1 und 58 I 1 BayHSchG ist die Studien- und Prü-fungsordnung für einen Studiengang (genehmigungsbedürftige)„Satzung“ der Hochschule.
- 28 Mittelstraß u.a. (Fn. 12), S. 42, Empfehlung Nr. 7; in demselbenSinn HRK (Fn. 4), S. 33, 36, und HRK (Fn. 7): „Der Fremdspra- chenerwerb ist … curricular zu verankern. … Über den allge- meinen Sprachgebrauch hinaus ist auch die fachspezifische Mehr- sprachigkeit der Studierenden gezielt zu fördern. Nur vertiefte, fachspezifische Kenntnisse einer oder mehrerer Fremdsprachen ermöglichen es den Studierenden, internationale Forschungsbe- funde zu rezipieren..“
keit) und seinerseits von der scientific community als Au- tor und als Sprecher einer Wissenschaftssprache gelesen und verstanden wird.“28 An diese Fähigkeiten müssen auch die Studierenden herangeführt werden.29 Es ist ein Grundzug der Universität der Mehrsprachigkeit, dass sie von ihren Lehrern, Forschern und Studierenden neben der Achtung der Landessprache bis zur Grenze ihres Könnens die Kenntnis und den Gebrauch einer Anzahl von Fremdsprachen verlangt. Gewollte Selbstbeschrän- kung auf eine einzige Wissenschaftssprache gibt es in der wahrhaft internationalisierten Hochschule nicht.
VI. Hochschulautonomie?
Wenn der Staat den deutschen Hochschulen etwas aufer- legt oder etwas Wichtiges entzieht, ist schnell von der „Hochschulautonomie“ die Rede, die zu achten sei – sie ist zunächst ein hochschulpolitisches Argument. Sie kann aber auch ein rechtlicher Einwand der Hochschulen gegen Regelungen der Gesetzgeber oder Regierungen werden – vielfältige Rechtsprechung, auch des BVerfG, zeugtdavon,auchwennderBegriffselbst–Hochschul- autonomie – in Gesetzen und Verfassungen nicht vor- kommt.30
Die Autonomie der Hochschulen als Schranke für staatliches Regeln gründet sich in Deutschland auf Ver- fassungsbestimmungen und die Hochschulgesetze in den Bundesländern, darüber hinaus auf ein gemeindeut- sches Verständnis von der Selbstverwaltung der eigent- lich vom Staat getrennten, aber von ihm gegründeten und getragenen Körperschaften und Anstalten.31 Sie wird aber auch aus der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 III GG) hergeleitet – in dem Sinne, dass auch die Hochschu- len und ihre Untergliederungen (Fakultäten, Fachberei- che) sich auf dieses Grundrecht gegenüber dem Staat be- rufen können.32
Wenn Hochschulautonomie demnach auch rechtlich für akademische Sprachpolitik ins Feld geführt werden kann, ist hier zu fragen: Muss der Staat den Hochschulen wegen ihres Rechts auf Autonomie erlauben, das Studi- um auf eine Fremdsprache umzustellen? Sieht man die Hochschulautonomie allein im Hochschulrecht der Län-
29 Näher dazu für die Rechtswissenschaft Flessner (Fn. 19), S. 897 f; ders., Juristische Methode und Europäisches Privatrecht, JZ 2002, 14, 22–24.
30 Ausführlich Kempen, Grundfragen des institutionellen Hoch- schulrechts, in: Hartmer/Detmer (Hrsg.) (Fn. 15), 1. Kap., Rn. 117–142.
31 Kempen (Fn. 30), Rn. 22–28, 117–124.
32 So jüngst auch, nach früherem Zögern, BVerfG 15.7.2015, 2 BvE
4/12, NVwZ 2015, 1361 mit Anm. Lenz, JuS 2016, 858, Anm. Hufen.
Flessner · Akademische Lehre nur auf Englisch? 2 3 3
234 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2017), 229–236
der begründet, ist die Antwort einfach. Die Verpflich- tung des deutschen Staates auf seine Sprache in seinen Hochschulen folgt aus dem Grundgesetz, der Bundes- verfassung.33 Gegen sie kann das Bundesland, das die Hochschulen in der Sprachpolitik freier stellen will, nichts ausrichten.
Die Antwort ist schwieriger zu finden, wenn, wie überwiegend angenommen, die Hochschulautonomie aus Art. 5 III GG herzuleiten ist. Dann steht das Grund- recht der Hochschule auf unabhängige Gestaltung der Lehre gegen das ebenfalls aus Art. 5 III GG herzuleiten- de Grundrecht der Hochschullehrer auf Sprachfreiheit für ihre Lehrtätigkeit. Hier könnte man versuchen, nach der Lehre von der „praktischen Konkordanz“ zwischen gegensätzlichen, aber an sich gleichrangigen Grund- rechtspositionen zu einer ausgleichenden und angemes- senen Sprachpolitik an den Hochschulen zu kommen.34
Für die Auflösung der hier gegebenen Kollision muss aber grundsätzlicher und genauer angesetzt werden. Zu berücksichtigen ist, dass der Gedanke der Hochschulau- tonomie sich nicht gegen die Angehörigen der Hoch- schule, sondern gegen die Hochschulpolitik des Staates, seine Gesetzgeber und Regierungen richtet und dass im Falle der akademischen Lehre der Staat eben nicht frei hochschulpolitisch entscheidet, sondern selbst durch an- dere Grundrechte (Berufsfreiheit, Diskriminierungsver- bot) und staatsrechtlich an die deutsche Sprache in sei- nen Hochschulen gebunden ist. Wo der Staat verfas- sungsrechtlich gebunden ist, kann er von vornherein keine davon abweichende Politik betreiben. Ein Grund- recht der Hochschule gegen den Staat auf eine eigene Sprachpolitik gegen diese Verfassungslage kann es nicht geben, es wäre widersinnig.
Es wäre widersinnig auch deshalb, weil die Hoch- schulautonomie ja aus der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 III GG) folgen soll. Wissenschaft bedeutet ständige Un- zufriedenheit mit dem gefühlten Nichtwissen, diese führt zum methodischen Fragen und Forschen. Für die Freiheit zu diesem Fragen und Forschen sich einem Sprachraum hinzugeben, in dem tendenziell das Wis- senwollen an den Grenzen dieses Sprachraums enden darf, entspricht nicht dem Begriff der Wissenschaft im Sinn von Art. 5 III GG, es ist eher seine Umkehrung. Das bewusst akzeptierte Nichtwissen zu begünstigen, kann nicht der Sinn der Wissenschaftsfreiheit der Hochschu- len sein.
Das HRG bestätigt diese Auffassung. Sein § 4 II soll verdeutlichen, was die Mitglieder der Hochschule als
- 33 S. oben, bei Fn. 17.
- 34 So Jantz, OdW 2017, 44, 47.
- 35 BGBl. I 185, zuletzt geändert 2007, BGBl. I 506.
Teil ihrer nach Art. 5 III 1 GG verbürgten „Freiheit der Lehre“ im Rahmen der zu erfüllenden Lehraufgaben „wahrnehmen können“, nämlich: „ … die Abhaltung von Lehrveranstaltungen und deren inhaltliche und metho- dische Gestaltung“. In Satz 2 wird sodann den zuständi- gen Hochschulorganen erlaubt, die Organisation des Lehrbetriebs sowie die Aufstellung und Einhaltung von Prüfungsordnungen zu regeln. Es wird dort aber aus- drücklich hervorgehoben, dass diese Entscheidungen „die Freiheit der Lehre im Sinne von Satz 1 nicht beein- trächtigen“ dürfen. Mit anderen Worten: Die Freiheit der Lehre der Hochschullehrer rangiert, was die Sprache der Lehre angeht, vor dem Organisationsrecht der Hoch- schule; dieses umfasst nicht Inhalt und Methode der Lehre und damit auch nicht die Wahl der Unterrichts- sprache. Ein Recht der Hochschule, ihre Mitglieder auf eine Fremdsprache zu verpflichten, gibt die Hochschul- autonomie nicht her, wenn sie Bestandteil der Wissen- schaftsfreiheit nach Art. 5 III GG ist.
VII. Besonderheiten beim Master-Studium?
Aus Hochschulen und Wissenschaftsministerien ist gele- gentlich zu vernehmen, dass die Sprachpolitik für post- graduale Studiengänge, besonders für das Master-Studi- um, freier gestellt sei. Dafür gibt es aber in den maßge- benden Rechtstexten keine Anhaltspunkte.
Nach dem HRG von 197635 bereiten die Hochschulen durch die ihnen aufgetragene „Pflege der Wissenschaf- ten und der Künste … auf berufliche Tätigkeiten vor, die die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und wissenschaftlicher Metoden oder die Fähigkeit zu künst- lerischer Gestaltung erfordern“ (§ 1 I). Lehre und Studi- um sollen die Studierenden „auf ein berufliches Tätig- keitsfeld vorbereiten …“ (§ 7), und die Studiengänge sol- len „in der Regel zu einem berufsqualifizierenden Ab- schluss“ führen (§ 10 I 1). „Postgraduale“ Studien können sodann „zur Vermittlung weiterer wissenschaftlicher oder beruflicher Qualifikationen oder zur Vertiefung ei- nes Studiums“ angeboten werden (§ 12 Satz 1). Das ge- samte Studium, auch das postgraduale, ist deshalb bun- desrechtlich auf Wissenschaftlichkeit und Berufsqualifi- zierung ausgerichtet.
An dieser Ausrichtung des gesamten Studiums haben die Bundesländer nichts ändern wollen, als sie 1999 in der KMK den Eintritt in den „Bologna-Prozess“ be- schlossen.36 Dadurch wurde zwar ein System gestufter Studienabschlüsse (Bachelor, dann Master) eingeführt,
36 Darüber und über die Rechtsverbindlichkeit dieses Prozesses informativ und klärend Lindner, Rechtsfragen des Studiums, in: Hartmer/Detmer (Fn. 15), Rn. 34–38.
für beide Studienstufen aber der wissenschaftliche und berufsqualifizierende Charakter beibehalten. Der KMK- Beschluss vom 10.10.2003 über „Ländergemeinsame Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen“37 spricht dem Bachelor-Stu- diengang zu, „wissenschaftliche Grundlagen, Methoden- kompetenz und berufsfeldbezogene Qualifikationen entsprechend dem Profil der Hochschule und des Studi- engangs“ zu vermitteln ((Punkt A.3.1); die Master-Studi- engänge sollen dann „der fachlichen und wissenschaftli- chen Spezialisierung“ dienen (Punkt A.3.2). In diesem „System … stellt der Bachelorabschluss als erster berufs- qualifizierender Abschluss den Regelabschluss dar und führt damit für die Mehrzahl der Studierenden zu einer ersten Berufseinmündung“ (Punkt A.2). Der Master ist nur „weiterer berufsqualifizierender Abschluss“, die „Durchlässigkeit im Hochschulsystem (muss) auch nach Einführung des neuen Graduierungssystems erhalten bleiben“ (Punkt A. 2 letzter Satz).
Der Unterschied dieses Systems zu dem vom HRG vorgefundenen und geregelten System besteht nicht in einer Änderung seiner Wissenschaftlichkeit und Berufs- orientierung auf den verschiedenen Stufen, sondern da- rin, dass schon mit Abschluss der ersten Stufe, dem Ba- chelor, in der Regel nach 6 Semestern der „erste berufs- qualifizierende Abschluss“ soll erreicht werden können.
Die Hochschulgesetze der Bundesländer folgen die- sen Vorgaben. Eine freiere Stellung für die Sprachpolitik in den Master-Studiengängen lässt sich ihnen nicht ent- nehmen. Als Beispiel diene hier das bayerische Hoch- schulgesetz.38 Nach seinem Art. 2 bereiten die Hoch- schulen „auf eine berufliche Tätigkeit vor“. Nach Absatz 5 der Vorschrift sollen sie zudem den Erwerb von Zu- satzqualifikationen ermöglichen, „die den Übergang in das Berufsleben erleichtern“. Nach Art. 55 I sollen Lehre und Studium die Studierenden „auf ein berufliches Tä- tigkeitsfeld vorbereiten“, und zwar so, dass sie „zu wis- senschaftlicher Arbeit befähigt werden“. Ein Unterschied zwischen dem Bachelor- und dem Master-Studium wird da nicht gemacht. Ebenso nicht in Art. 56 I, wo nur ver- langt wird, dass „ein Studiengang“ (also jeder!) „in der Regel zu einem berufsqualifizierenden Abschluss“ füh- ren soll. In Absatz 3 dieser Bestimmung wird dann für die „grundständigen“ Studiengänge verlangt, dass sie zu einem „ersten berufsqualifizierenden Hochschulab- schluss“ führen sollen. Aber auch den dann genannten „postgradualen Studiengängen“, also auch dem Master-
- 37 Heute in der Fassung vom 4.2.2010, abrufbar unter www.kmk.org (zuletzt abgerufen am 14.8.2017).
- 38 BayGVBl. 2006, 245, zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.7.2017, GVBl. 362.
Studium, wird das Ziel der Vermittlung „weiterer … be- ruflicher Qualifikationen“ und der „beruflichen Weiter- bildung“ gesetzt.
An keiner Stelle des Gesetzes wird gesagt, dass na- mentlich in ihrer Eignung für das Berufsleben ein grund- sätzlicher Unterschied zwischen den grundständigen und den postgradualen Studiengängen bestehen solle. Der einzige Unterschied ist, dass die grundständigen auf einen „ersten Abschluss“ hinführen müssen, während die postgradualen eine berufliche Zusatzqualifizierung vermitteln, also auf einen zweiten und weiteren „Ab- schluss“ hinführen, aber auch ohne Abschluss enden können. Jedenfalls dann, wenn in der Berufswelt ein weiterer solcher Abschluss verlangt wird oder jedenfalls Vorteile bietet und deswegen von der Hochschule ange- boten wird (ohne dieses Ziel dürfte sie ihn ja nicht anbie- ten), gelten für ihn dieselben grundsätzlichen Anforde- rungen wie für die grundständigen. Die Lehre in der Hochschule ist, ob “gestuft“ oder nicht, grundsätzlich dieselbe und ist rechtlich als Einheit zu behandeln. Eine Unterscheidung zur Sprachpolitik für das grundständige und das postgraduale Studium wird auch in den Emp- fehlungen der HRK nicht gemacht.39
Das BayHSchG erlaubt allerdings, für das Master- Studium „weitere Zugangsvoraussetzungen“ (über die allgemeine Hochschulreife hinaus) festzulegen, „insbe- sondere den Nachweis einer studiengangsspezifischen Eignung“ (Art Abs. 5 Satz 2). Dazu können vielleicht auch nachzuweisende Sprachkenntnisse gehören. Diese Sprachkenntnisse müssen aber aus der fachlichen Eigen- art des Studiengangs erforderlich sein (besonders etwa in Studiengängen über fremdsprachliche Kulturen).40 Die Hochschule kann nicht – umgekehrt – fremdsprach- liche Eignungsnachweise verlangen, um erst damit die Einrichtung eines fremdsprachlichen Studiengangs zu begründen. Den logischen Vorrang hat die Entschei- dung über die Einrichtung des Studiengangs, erst dann können – auch sprachliche – Zugangsvoraussetzungen fachgerecht festgelegt werden. Es kann nicht angenom- men werden, ein Landesgesetzgeber habe den Hoch- schulen auf einem gewundenen Weg, gleichsam durch die Hintertür, sprachpolitisch freie Hand geben wollen.
Den Hochschulgesetzen lässt sich nach allem nicht entnehmen, dass die Hochschulen sprachpolitisch für dasMaster-StudiumeinefreiereStellunghätten.Anders kann es auch nicht sein, denn die Verpflichtung der Hochschulen auf die deutsche Sprache beruht auf Bun-
39 S. HRK 2011 und HRK 2017, oben Fn. 4 und 7.
40 Ausführlich dazu Lindner (Fn. 36), Rn. 78, 79, 82–86.
Flessner · Akademische Lehre nur auf Englisch? 2 3 5
236 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2017), 229–236
desverfassungsrecht. Das Grundgesetz kennt den Unter- schied zwischen grundständigem und postgradualem Studium nicht. Nach ihm ist auch der Zugang zum Mas- ter-Studium eine Stufe der Berufswahl, die nicht mit dem Erfordernis der Kenntnis einer Fremdsprache er- höht werden (Art. 12) und nicht wegen einer Unkenntnis dieser Fremdsprache zur Diskriminierung genutzt wer- den darf (Art. 3 III GG); und nach ihm ist auch das Mas- ter-Studium (und gerade dieses!) wissenschaftliche Leh- re, deren Freiheit nicht eingeschränkt werden darf (Art. 5 III), und gerade der Ort, an dem die Verdrängung der deutschen Sprache den Qualitätsverlust des deut- schen Hochschulsystems und das Versagen des deut- schen Staates in seiner Verantwortung für die deutsche Landessprache am deutlichsten markieren würde. Kurz- um: Die Stufung des Studiums durch die Hochschulge- setze der Länder ändert nichts daran, dass das gesamte Studium, auch das postgraduale, den bundesverfas- sungsrechtlichen Anforderungen an Zugänglichkeit, Freiheit und Qualität genügen muss. Vor dem Grundge- setz sind alle Studiengänge gleich.
VIII. Europäischer und globaler Hochschulraum
Nach deutschem Verfassungsrecht darf die deutsche Sprache aus der akademischen Lehre in Deutschland nicht verdrängt werden. Isoliert Deutschland sich damit im „Europäischen Hochschulraum“, dem die KMK mit ihrem Bologna-Eintritt angehören, oder gar in dem glo- balen Hochschulraum, dem die HRK mit ihren Empfeh- lungen dienen möchte?
In Italien hat kürzlich der Verfassungsgerichtshof die Wahrung der italienischen Sprache als vorrangiges Me-
dium an den staatlichen Universitäten eingefordert.41 In Frankreich hat die jüngste Revision des Bildungsgesetzes dafür gesorgt, dass die akademische Lehre auf Franzö- sisch verpflichtet bleibt; Englisch ist an den Hochschulen nur erlaubt, wenn es fachspezifisch oder durch didakti- sche Erfordernisse begründet ist.42 Dies darzustellen und außerdem die sprachlichen Verpflichtungen der Hochschulen aus europäischem Unionsrecht und aus Völkerrecht zu erörtern, erfordert eine eigene Untersu- chung. Jedenfalls sollten schon das italienische und das französische Beispiel genügen, um Furcht vor deutscher Isolierung durch seine Verfassung in Europa nicht auf- kommen zu lassen.
Vor dem Vorwurf der Selbstisolierung können die Hochschulen sich am besten mit einem klaren Konzept der Mehrsprachigkeit der Wissenschaft schützen, wie es von der Arbeitsgruppe der Wissenschaftsräte begründet worden ist.43 Die Autoren schreiben am Schluss: „Spra- che in der Wissenschaft bzw. Sprache der Wissenschaft (ist) nicht nur ein Kommunikationsmedium, sondern auch ein konstitutives Element der Wissenschaft selbst. Wenn die Wissenschaft das nicht sieht, kennt sie sich selbst nicht. Und wenn die Wissenschaftspolitik an einer derartigen Problemlage vorbeisieht, gerät sie in Gegen- satz zu einer Bildungspolitik, die beansprucht, in der Wissenschaft das kulturelle Wesen einer modernen Ge- sellschaft zu erkennen“.44 Aus rechtlicher Sicht ist hinzu- zufügen: Wenn Wissenschaftspolitik und Hochschulen in Deutschland dabei auch an der Landessprache vorbei- sehen, müssen sie am Grundgesetz scheitern.
Axel Flesssner ist Professor i. R. der Humboldt-Universität, Berlin.
- 41 Urteil (Sentenza) Nr. 42 vom 21.2.2017, deutsche Übersetzung und Kommentare unter www.adawis.de unter „Aktuelles“.
- 42 Loi no. 2013–660 du 22 juillet 2013 relative à l’enseignement supérieur et à la recherche, Art. 2, aufrufbar bei www. legifrance.gouv.fr unter „Les codes en vigeur>Code de l’éducation>enseignement supérieur“.
- 43 Mittelstraß u.a. (Fn. 12).
- 44 AaO., S. 42 f.