Das Hamburgische OVG hatte in dem vorliegenden Eil- verfahren darüber zu befinden, ob und unter welchen Voraussetzungen der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund gegeben ist, wenn der Studienbewerber die vorläufige Zulassung auf einen Studienplatz außerhalb der festgesetzten Kapa- zität zum ersten Fachsemester in einem Studiengang begehrt, der zwar an der von ihm gewählten Universität, nicht aber bundesweit zulassungsbeschränkt ist. Konkret ging es um die Zulassung zum Studiengang der Rechts- wissenschaft (Staatsprüfung) an der Universität Ham- burg.
I. Ausgangslage
Bislang hatte die Glaubhaftmachung des Anordnungs- grundes in Eilverfahren, die auf Zulassung zu Studien- plätzen außerhalb der festgesetzten Kapazität gerichtet sind, nur eine geringe Bedeutung. Dies liegt v.a. darin begründet, dass entsprechende Verfahren in nennens- wertem Umfang lange nur in den bundesweit zulas- sungsbeschränkten und zentral von der Stiftung für Hochschulzulassung (ehemals ZVS) vergebenen Studi- engängen Medizin, Zahnmedizin, Tiermedizin und Psy- chologie von Studienbewerbern eingeleitet wurden. Bei diesen Studiengängen genügt – eine vorangegangene Bewerbung im regulären Zulassungsverfahren1 und die fehlende endgültige Zulassung an einer anderen Hoch- schule2 vorausgesetzt – nach unbestrittener Ansicht für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes der schlichte Hinweis darauf, dass der Bewerber das Studi- um sogleich aufnehmen möchte und die Vorlesungen alsbald beginnen bzw. bereits begonnen haben.3
- 1 Siehe dazu Hamburgisches OVG vom 24.6.1991, Bs III 193/91, NVwZ-RR 1992, 22; Hamburgisches OVG vom 16.12.1996, Bs III 144/96, juris; Hamburgisches OVG vom 23.4.2008, 3 Nc 216/07, HmbJVBl 2009, 2; andere Auffassung aber etwa OVG Nordrhein- Westfalen vom 20.3.2013, 13 C 91/12, NWVBl 2013, 340.
- 2 Siehe statt aller VGH Baden-Württemberg vom 19.7.2001, NC 9 S 2/01, VBlBW 2002, 163; Brehm/Zimmerling, Hochschulkapazitäts- recht, Band 1, Der Kapazitätsprozess, Rn 170 mit umfassenden Nachweisen.
- 3 Bayerischer VGH vom 27.4.2005, 7 CE 05.10057 ua, VGHE BY 58, 91; VGH Baden-Württemberg vom 23.2.1999, NC 9 S 113/98, NVwZ-RR 2000, 23; Schleswig-Holsteinisches VG vom 7.10.2002, 9 C 19/02 ua, juris.
Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese geringen An- forderungen an die Glaubhaftmachung eines Anord- nungsgrundes auch dann gelten können, wenn es sich um einen lediglich örtlich zulassungsbeschränkten Stu- diengang handelt, der entsprechende Studiengang also anderenorts nicht zulassungsbeschränkt ist, so dass der Studienbewerber sein Studium ohne weiteres an einer anderen Hochschule aufnehmen kann. Bislang wurde in der Rechtsprechung lediglich vereinzelt das Bestehen ei- nes Anordnungsgrundes in diesen Fällen des sog. örtli- chen bzw. relativen Numerus Clausus problematisiert. Bereits in den achtziger Jahren entschied das OVG Bre- men hierzu, dass wegen der Möglichkeit des Studienbe- werbers, an andere Hochschulen auszuweichen, im All- gemeinen kein Grund für eine vorläufige Zulassung durch eine einstweilige Anordnung vorliege. Der vorläu- figen Sicherung des vermeintlichen Rechts, das Studium bei der Wahluniversität zu absolvieren und abzuschlie- ßen, bedürfe es schon deshalb nicht, weil der Studienbe- werber zunächst auf andere Studienorte ausweichen könne.4 Angesichts der Zunahme von örtlichen Zulas- sungsbeschränkungen, insbesondere in Bachelor- und Masterstudiengängen, gewinnt diese Frage jedoch zu- nehmend an Bedeutung.
Das OVG Nordrhein-Westfalen vertritt hierzu in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass dem Studi- enbewerber das erforderliche Rechtsschutzinteresse für einen Antrag nach § 123 VwGO fehle, wenn dieser einen entsprechenden Studienplatz an einer anderen Hoch- schule erlangt hat oder einen solchen ohne Zulassungs- beschränkungen erlangen kann.5 Es liege dann in der Hand des Bewerbers, sein Studium zunächst anderen- orts ohne Zeitverlust aufzunehmen, um es für den Fall
4 OVG Bremen vom 15.1.1985, 1 B 75/84, KMK-HSchR 1985, 829, 833; OVG Bremen vom 28.10.1980, 1 B 39/80, Leitsatz in NJW 1981, 1798; OVG Bremen vom 12.11.1981, 1 B 51/81, KMK- HSchR 1982, 611; siehe auch VGH Baden-Württemberg vom 23.12.1987, NC 9 S 212/87, KMK-HSchR 1988, 706; Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik Deutsch- land, 4. Aufl 2003, 454.
5 OVG Nordrhein-Westfalen vom 19.7.2010, 13 C 56/11, juris; OVG Nordrhein-Westfalen vom 19.3.2010, 13 C 120/10, juris; OVG Nordrhein-Westfalen vom 3.6.1996, 13 C 40/96, JurBüro 1997, 88.
Cornelia Feldmann
Anordnungsgrund bei örtlichem Numerus Clausus – Hamburgisches OVG vom 15.8.2013, 3 NC 16/13
Ordnung der Wissenschaft 2014, ISSN 2197–9197
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eines erfolgreichen Hauptsacheverfahrens an der Wun- schuniversität unter Höherstufung in das jeweils erreich- te Fachsemester fortzusetzen. Dies sei dem Studienbe- werber regelmäßig zumutbar.6 Etwas anderes komme le- diglich dann „in Betracht, wenn gewichtige Gründe in der Person des Studienbewerbers oder familiäre bzw. so- ziale Gründe oder eine spezielle Ausrichtung des Studi- engangs an der Hochschule der Wahl die Aufnahme des gewählten Studiengangs an einem anderen Studienort als dem gewünschten im Einzelfall als unzumutbar er- scheinen lassen“.7
Bereits in seinem Beschluss vom 4.4.20128 (betref- fend das Wintersemesters 2011/2012) hatte sich das Ham- burgische OVG der Auffassung des OVG Nordrhein- Westfalen angeschlossen und für auf die vorläufige Zu- lassung zum Studiengang Rechtswissenschaft (Staatsexa- men) gerichtete Eilverfahren obiter dictum entschieden, dass es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungs- grundes fehle, wenn der „Studienbewerber in dem be- treffenden (oder einem vom Inhalt und Abschluss her entsprechenden) Studiengang einen – endgültigen – Stu- dienplatz an einer anderen deutschen als der zuerst ge- wünschten (und insoweit zulassungsbeschränkten) Hoch- schule ohne Zulassungsbeschränkungen, also mit einem schlichten Zulassungsantrag, erlangen“ könne. Dem Be- werber sei es grundsätzlich zuzumuten, zunächst das Studium an einer Hochschule ohne Zulassungsbeschrän- kung aufzunehmen. Etwas anderes gelte nur, wenn der be- treffende Bewerber besondere Bindungen an den Studien- ort vortragen und glaubhaft machen könne.
Das Hamburgische Verwaltungsgericht folgte dieser Einschätzung „seines“ OVG in der Folgezeit – d.h. in den Verfahren betreffend das Sommersemester 2013 – nicht.9 Die Zugrundelegung der vom OVG geäußerten Rechts- aufassung bewirke, dass das in Art. 12 Abs. 1 GG eben- falls verbürgte Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte faktisch leerliefe. Der Zulassungsanspruch bestehe je- doch gerade nicht nur für die Zulassung zu einem be- stimmten Studiengang an einer beliebigen anderen Hoch- schule, sondern beinhalte die Zulassung zum Studium in die- sem Studiengang bei der Wunschuniversität. Ohne die An- nahme eines Anordnungsgrundes drohe deshalb der endgültige Untergang dieses verfassungsrechtlich ge- währleisteten Anspruches. Überdies sei die Wahl der Hochschule sowohl in Bachelor- und Masterstudiengän- gen als auch für den Studiengang Rechtswissenschaft prägend für den späteren Berufseinstieg. Die Vielfältig-
- 6 OVG Nordrhein-Westfalen vom 8.3.2006, 13 B 253/06, juris, Rn 7; so auch OVG Berlin-Brandenburg vom 19.3.2008, OVG 5 NC 125.07, juris; VG München vom 25.9.1997, M 3 E L 97.20034, juris, Rn 6 f.
- 7 So unter Bezugnahme auf das OVG Nordrhein-Westfalen: VG
keit der Gestaltung von Bachelorstudiengängen im Wett- bewerb der Hochschulen führten in vielen Fällen dazu, dass ein Übergang zum Masterstudiengang praktisch nur noch an der eigenen Hochschule möglich sei, so dass schon der Einstieg in das Studium vorentscheidend für den konsekutiven Masterstudiengang und damit für den Berufszugang sein könne. Dies gelte für das Studium der Rechtswissenschaft entsprechend. Denn auch dieses schließe nicht mehr mit einem vermeintlich landes- oder bundesweit einheitlichen ersten Staatsexamen ab, sondern mit der ersten Prüfung, die aus der universitä- ren Schwerpunktbereichsprüfung und der staatlichen Pflichtfachprüfung bestehe. Dabei komme der universi- tären Prüfung mit 30 Prozent bei der Gesamtnotenbil- dung erhebliches Gewicht zu. Außerdem bestehe bei ei- nem Verweis auf das Hauptsacheverfahren das Risiko, dass eventuell vorhandene Studienplätze im Eilverfahren an andere Studienbewerber vergeben worden sind, die besondere Bindungen an den Studienort Hamburg glaubhaft gemacht haben. Zudem sei auch zu befürch- ten, dass die Hochschulen ihre durch öffentliche Mittel finanzierten Kapazitäten nicht mehr voll ausschöpfen würden, da sie auf freie Plätze an anderen Hochschulen verweisen könnten und eine Kontrolle durch die Verwal- tungsgerichte im Rahmen von Eilverfahren nicht mehr befürchten müssten.
II. Die Entscheidung
In dem vorliegenden Verfahren musste das Hamburgi- sche OVG auf die von der Universität Hamburg geführ- ten Beschwerden hin nunmehr entscheiden, ob es an sei- ner obiter dictum bereits geäußerten Ansicht festhält oder sich von den Argumenten des Verwaltungsgerichts überzeugen lässt und diese Auffassung sogleich wieder aufgibt. Das Hamburgische OVG hat sich dabei für einen für alle Beteiligten „gesichtswahrenden“ Mittelweg ent- scheiden. Im Einzelnen:
1. Fehlender Anordnungsgrund bei begehrter Zulassung zum Studiengang Rechtswissenschaft (Staatsprüfung)
Das OVG hat der Beschwerde der Universität stattgege- ben und die Beschlüsse des Hamburgischen Verwal- tungsgerichts aufgehoben, mit denen die Hochschule verpflichtet worden war, die Antragsteller auf Studien- plätze außerhalb der festgesetzten Kapazität unabhängig davon in das erste Fachsemester zuzulassen, ob die
Münster vom 12.3.2009, 9 L 45/09, juris.
8 Hamburgisches OVG vom 4.4.2012, 3 NC 53/11, juris, Rn 75 ff,
Leitsatz in WissR 2012, 186.
9 Hamburgisches VG vom 5.5.2013, 20 ZE 24/13 ua, nv.
Feldmann · Anordnungsgrund bei örtlichem Numerus Clausus 3 1
Antragsteller eine besondere persönliche Bindung an den Wunschstudienort dargelegt haben. Das Hamburgi- sche OVG hat – anders als die Vorinstanz – erneut ange- nommen, dass es für einen Antrag auf Zulassung auf einen außerkapazitären Studienplatz an der Glaubhaft- machung eines Anordnungsgrundes fehlt, wenn an min- destens einer deutschen Universität zum entsprechen- den Semester (hier Sommersemester 2013) die Zulassung zum Studiengang Rechtswissenschaft (Staatsprüfung) ohne kapazitäre Beschränkung eröffnet ist und der Studienbe- werber keine besondere Bindungen an den Studienort Hamburg schlüssig dargelegt hat. Denn in diesen Fällen sei es dem Bewerber zumutbar, das Studium zunächst an einer anderen Hochschule aufzunehmen. Entscheidend sei im Hinblick auf Sicherung des Grundrechts auf freie Wahl der Ausbildungsstätte allein, dass eine im Hauptsa- cheverfahren realisierbare Option bestehe, den behaup- teten Zulassungsanspruch bei der Wunschhochschule vor Beendigung des Studiums durchsetzen und das Stu- dium an der Wunschhochschule noch unter zumutbaren Bedingungen aufnehmen zu können. Denn in diesem Fall werde das Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstät- te nicht endgültig vereitelt.
Das Hamburgische OVG hat jedoch zugleich festge- halten, dass dies nur dann gelte, wenn „das betreffende Studium lang genug ist, um nach einem rechtskräftigen Erfolg im Hauptsacheverfahren einen Quereinstieg bei der Wunschhochschule unter Anerkennung der bei der anderen Hochschule erbrachten Studienleistungen zu ermöglichen“. Diese Voraussetzung sieht das Hamburgi- sche OVG beim Studium der Rechtswissenschaft (Staats- examen) – anders etwa als bei Bachelor- und Masterstu- diengängen – als gegeben an. Sowohl die Regelstudien- zeit von neun Semestern als auch die inhaltliche Ausge- staltung des Studiengangs ließe es insoweit hinreichend wahrscheinlich erscheinen, dass ein Wechsel zum höhe- ren Fachsemester „problemlos möglich“ sei. Dies gelte insbesondere auch im Hinblick auf fachliche Gesichts- punkte. Die Struktur des Studiengangs sei durch die §§ 5, 5a DRiG im Wesentlichen bundesweit vorgegeben. Et- was anderes gelte zwar gegebenenfalls hinsichtlich der Schwerpunktbereichsausbildung; allerdings sei davon auszugehen, dass ein gegebenenfalls vorhandener Zulas- sungsanspruch im Hauptsacheverfahren noch vor Be- ginn der Schwerpunktbereichsausbildung realisiert wer- den könne. Dies gelte jedenfalls dann, wenn – wie vorlie- gend – die Schwerpunktausbildung erst mit dem sechs- ten Semester beginne. Erst wenn insofern zeitlicher Verzug drohe, weil der Bewerber bis zum Abschluss des Grundstudiums noch keine Zulassung bei der Wunschu-
niversität erhalten habe, sei für den Wechsel zum nun angestrebten höheren Fachsemester dann das Vorliegen eines Anordnungsgrundes zu bejahen, falls sich in sei- nem anhängigen Hauptsacheverfahren keine baldige rechtskräftige Klärung zu seinen Gunsten abzeichne. Bis zu diesem Zeitpunkt drohten den Antragstellern jedoch keine wesentlichen Nachteile, die durch Versagung einst- weiligen Rechtschutzes entstehen und im Fall des Obsie- gens im Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt wer- den könnten.
2. Bestehender Anordnungsgrund bei begehrter Zulas- sung zu Bachelor- und Masterstudiengängen
Anders beurteilt dies das Hamburgische OVG jedoch obiter dictum bei den Bachelor- und Masterstudiengän- gen. Hier sei ein späterer Quereinstieg bei der Wunsch- hochschule nicht gleichermaßen möglich. Die Regelstu- dienzeit von Bachelorstudiengängen liege in aller Regel bei sechs Semestern. Es spreche wenig dafür, dass das betreffende Studium lang genug ist, um nach einem rechtskräftigen Erfolg im Hauptsacheverfahren einen Quereinstieg bei der Wunschhochschule unter Anerken- nung der bei der anderen Hochschule erbrachten Studi- enleistungen zu ermöglichen. Auch eine Vergleichbar- keit der Studieninhalte könne nicht schlicht unterstellt werden. So gebe es hier insbesondere keine bundesrecht- lichen Vorgaben. Zudem seien die Hochschulen gerade bemüht, im Sinne von Alleinstellungsmerkmalen eigene Strukturen und Ausbildungsinhalte zu entwickeln. Auch die Anerkennungsperspektive für Studienleistungen, die an anderen Hochschulen erbracht worden sind, sei weniger klar. Zwar sähen alle Länder bzw. Hochschulen Anrech- nungsbestimmungen von vorausgegangenen Studienleis- tungen vor. Diese stellten jedoch darauf ab, dass keine „wesentlichen Unterschiede“ zwischen den erworbenen und den an der aufnehmenden Hochschule zu erwer- benden Kenntnissen und Fähigkeiten bestehen. Ob die- se Voraussetzungen vorliegen, sei nur anhand aufwendi- ger Einzelfallprüfungen zu klären, die den Rahmen des einstweiligen Rechtschutzverfahrens sprengen würden. Dies gelte erst recht für Masterstudiengänge. Diese Stu- diengänge seien noch spezieller und mehr von dem Bemühen der Hochschulen um Alleinstellungsmerkma- le geprägt. Zudem dauerten sie regelmäßig nur zwei Jah- re, was einen Quereinstieg unter zumutbaren Bedingun- gen nach einem Erfolg im Hauptsacheverfahren noch unwahrscheinlicher mache. Die Verneinung des Anord- nungsgrundes entspreche deshalb hier zwangsläufig einer „Verweisung auf ein Absolvieren des gesamten Stu- diums an der anderen Hochschule“. Dies könne im Hin-
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blick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht hingenommen werden, weil hierdurch das Recht auf freie Wahl der Ausbil- dungsstätte vereitelt werde. Der Studienbewerber erleide insofern unwiederbringliche und damit unzumutbare Nachteile.
3. Besondere Bindung an einen Studienort als Anord- nungsgrund
Unabhängig davon, ob die Zulassung zu einem Bache- lor‑, Master- oder Staatsexamensstudiengang begehrt wird, sieht das Hamburgische OVG einen Anordnungs- grund für das Begehren auf Zulassung auf einen Studi- enplatz außerhalb der festgesetzten Kapazität ausnahms- weise dann als gegeben an, wenn der Studienbewerber eine besondere persönliche Bindung an den Studienort glaubhaft macht. Ob der Antragsteller eine hinreichende Bindung an den Wunschstudienort hat, will das Ham- burgische OVG anhand der Grundsätze der Stiftung für Hochschulzulassung für die bevorzugte Berücksichti- gung des ersten Studienortwunsches im Rahmen der Wartezeitquote bei Studiengängen des zentralen Vergabe- verfahrens ermitteln.10 Danach kann eine solche besondere zwingende Bindung in eigenen gesundheitlichen, familiä- ren oder wirtschaftlichen Umständen sowie wissenschaft- lichen Gründen begründet sein, § 21 Abs. 3 Satz 3 Verga- beVO Stiftung.11 Stets setzt diese Bindung jedoch nach § 21 Abs. 3 Satz 2 VergabeVO Stiftung voraus, dass unter Anlegung eines strengen Maßstabs die Zulassung an einem anderen Studienort mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre.
Als familiärer Grund ist hier etwa bei Alleinstehen- den die Betreuung eines eigenen minderjährigen Kindes anerkannt, wenn bei einer Zulassung an einem anderen als dem gewünschten Studienort die Wahrnehmung der elterlichen Aufgaben stark beeinträchtigt wäre. Auch die Pflege von pflegebedürftigen Verwandten in aufsteigen- der Linie oder Geschwistern kann eine besondere Orts- bindung begründen, wenn andere Personen zur Pflege nicht vorhanden sind. Für die entsprechende Glaubhaft- machung ist freilich ein ausführliches ärztliches Gutach- ten vorzulegen, in dem auch Angaben zum Ausmaß und Umfang der notwendigen Pflege enthalten sind. Es muss eine Pflegebedürftigkeit vorliegen, die der Pflegestufe II oder III nach dem SGB IX entspricht. Gelegentliche Hil-
- 10 So auch schon Hamburgische OVG vom 1.6.2012, 3 Nc 51/11, NVwZ-RR 2012, 887; Hamburgische OVG vom 4.4.2012, 3 Nc 53/11, juris, Rn 77, Leitsatz in WissR 2012, 186.
- 11 Verordnung über die zentrale Vergabe von Studienplätzen durch die Stiftung für Hochschulzulassung.
- 12 Siehe hierzu Hochschulstart, Das Magazin zur Studienplatzbe- werbung, Wintersemester 2013/14, 58.
- 13 BVerfG vom 18.7.1972, 1 BvL 32/70, BVerfGE 33, 303, 329; BVerwG vom 23.10.1996, 6 C 1/94, BVerwGE 102, 142, 146;
feleistungen bei der Haushaltsführung werden nicht als ausreichend angesehen.12 Als wirtschaftlicher Grund für eine bestimmte Ortspräferenz wird beispielsweise ein Stipendium angesehen, das nur für den Wahlstudienort gilt.
III. Bewertung
Die Entscheidung des Hamburgischen OVG ist zu begrüßen. Das Gericht hat sich – anders als die Vorins- tanz und das OVG Nordrhein-Westfalen – keine Scheu- klappen aufgesetzt und sich nicht zur Äußerung einer abstrakten Rechtsauffassung hinreißen lassen. Es hat vielmehr entsprechend der ihm zukommenden Aufgabe das Vorliegen eines Anordnungsgrundes anhand der aus Art. 19 Abs. 4 GG abzuleitenden Maßstäbe im konkreten Einzelfall geprüft und ist dementsprechend zu einem ausdifferenzierten und zugleich überzeugenden Ergeb- nis gelangt.
Dabei ist das Hamburgische OVG zunächst zurecht von der Maßgabe ausgegangen, dass Art. 12 Abs. 1 GG nicht nur die Berufswahl, sondern auch die freie Wahl der Ausbildungsstätte schützt. Dazu gehört gerade auch die Freiheit, zwischen verschiedenen Universitäten und damit auch den Studienort zu wählen.13 Das aus Art. 12 Abs. 1 GG erwachsene Teilhaberecht erstreckt sich des- halb auf die Teilhabe an freien Ausbildungskapazitäten an dem Studienort, an dem der einzelne Bewerber stu- dieren will. Das Recht auf Teilhabe an den vorhanden Aus- bildungsressourcen besteht insofern uneingeschränkt und ist nicht „allein auf die Fälle zugeschnitten, in denen die Be- schränkungen des freien Zugangs zur Ausbildung gleich- zeitig die Freiheit der Berufswahl beeinträchtigen“.14 Ein irgendwie gearteter „Verständniswandel“ des Grund- rechts – wie der VGH Baden-Württemberg und das OVG Berlin-Brandenburg meinen –, dass das Grund- recht als Teilhaberecht „lediglich auf die Erschöpfung der insgesamt vorhandenen Ausbildungskapazitäten ge- richtet“15 ist bzw. die „Verwirklichung des Teilhaberechts eines noch nicht zugelassenen Studienbewerbers vor- nehmlich unter dem Gesichtspunkt seiner Fachpräfe- renz Gewicht beizumessen ist, während seiner Ortsprä- ferenz durch Anlegung strenger Maßstäbe an ihre Durchsetzbarkeit nachrangige Bedeutung“16 zukommt,
VerfGH Berlin vom 16.9.2008, 81/08, 81 A/08; VGH des Saarlan-
des vom 10.7.2008, 3 B 370/08, juris.
14 So aber VGH Baden-Württemberg vom 23.12.1987, NC 9 S
212/87, KMK-HSchR 1988, 706, 706 f.
15 VGH Baden-Württemberg vom 23.12.1987, NC 9 S 212/87,
KMK-HSchR 1988, 706, 707.
16 OVG Berlin-Brandenburg vom 19.3.2008, OVG 5 NC 125.07,
juris, Rn 9.
Feldmann · Anordnungsgrund bei örtlichem Numerus Clausus 3 3
hat nicht stattgefunden. Er stünde im Übrigen auch mit dem eindeutigen Wortlaut der Verfassungsbestimmung unddemWillendesVerfassungsgebersimklarenWider- spruch.17 Danach ist die freie Wahl der Ausbildungsstätte explizit geschützt. Daran vermag ein behaupteter – substan- tiell jedoch nicht belegbarer – „Verständniswandel“ zu der Bedeutung der freien Wahl des Hochschulortes nichts zu ändern. Auch wenn es um die Verwirklichung des An- spruchs auf freie Studienortwahl geht, muss deshalb ef- fektiver Rechtsschutz gewährt werden.18 Dies schließt es aus, was das Hamburgische OVG zutreffend erkannt hat, die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes im- mer dann zu verneinen, wenn der entsprechende Studi- engang anderenorts ohne Zulassungsbeschränkung an- geboten wird und deshalb anderenorts aufgenommen werden kann.
Gleichwohl folgt aus der Möglichkeit des Bestehens eines Zulassungsanspruches an der Wunschuniversität noch nicht, dass dieser immer uneingeschränkt im Wege des Eilrechtschutzes vorläufig verwirklicht werden kann. Art. 19 Abs. 4 GG gebietet die umfassende Überprüfung der Kapazität seitens der Verwaltungsgerichte im Eilver- fahren nämlich nur dann, wenn anderenfalls „schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile ent- stünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entschei- dung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre“.19 Nur dann erscheint also aus verfassungsrechtlichen Grün- den ein einstweiliger Rechtschutz überhaupt geboten. Auf § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO übertragen bedeutet dies, dass eine Regelungsanordnung mit dem Ziel, vorläufig bei einer Hochschule einen Studienplatz zu einem be- stimmten Semester zu erhalten, nur zulässig ist, wenn die Regelung, „um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint“. Die Notwendigkeit einer Re- gelung ist dabei nach strengen Maßstäben zu beurteilen, weil durch den Erlass der begehrten einstweiligen An- ordnung die Hauptsache vorweggenommen wird.20 Ein Anordnungsgrund besteht hier nur, wenn es dem Studien- bewerber unter Berücksichtigung seiner Interessen schlecht- hin unzumutbar ist, auf das Hauptsacheverfahren verwie-
- 17 VerfGH Berlin vom 16.9.2008, 81/08, 81 A/08, juris, Rn 10.
- 18 Brehm/Zimmerling, aaO, Rn 167; andere Auffassung jedoch VGHBaden-Württemberg vom 23.12.1987, NC 9 S 212/87, KMK- HSchR 1988, 706, 707, wenn es um die Teilhabe an außerhalb der festgesetzten Kapazität bestehende Kapazitäten geht.
- 19 BVerfG vom 19.10.1977, 2 BvR 42/76, BVerfGE 46, 166, 179; BVerfG vom 31.3.2004, 1 BvR 356/04, NVwZ 2004, 1112; BVerfG vom 25.7.1996, 1 BvR 638/96, DVBl 1996, 1367; Hessischer VGH vom 5.11.1991, 7 TG 2074/91, NVwZ-RR 1992, 361; OVG Nordrhein-Westfalen vom 21.11.1988, 15 B 2380/88, NJW 1989, 1105; VerfGH Berlin vom 16.9.2008, 81/08, 81 A/08, juris, Rn 13.
sen zu werden.21 Dies hatte die Vorinstanz verkannt, indem sie vom Recht der freien Wahl der Ausbildungsstätte zu- gleich auf drohende, unzumutbare Nachteile i.S.v. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO schloss.
Das Hamburgische OVG wendet das geltende Recht hier hingegen zutreffend an und nimmt insofern zu Recht an, dass der Verweis auf das Hauptsacheverfahren nur dann unzumutbar ist, wenn dem Studienbewerber hierdurch schwere Nachteile drohen, die im Hauptsa- cheverfahren nicht mehr beseitigt werden können. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn wegen der besonderen persönlichen Umstände ein Verweis auf die Aufnahme des Studiums an einem anderen Studienort eine beson- dere persönliche Härte darstellen oder wenn der glaub- haft gemachte Anspruch auf Zulassung bei der Wahluni- versität zu dem Studiengang hierdurch voraussichtlich endgültig vereitelt werden würde.22 Entscheidend ist für letzteres, ob das eigentliche Begehren „Zulassung bei der Wunschuniversität“ im Hauptsacheverfahren noch wir- kungsvoll verfolgt werden kann. Hier gilt: Ist mit einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren erst zu einem Zeitpunkt zu rechnen, zu dem der Studienbewerber das anderenorts aufgenommene Studium bereits annähernd oder gar vollständig abgeschlossen hat, so scheidet ein späterer Ortswechsel nach einer positiven Entscheidung im Hauptsacheverfahren – zumindest unter zumutbaren Bedingungen – aus. Dann aber bedeutet der Verweis auf das Hauptsacheverfahren zugleich die endgültige Verei- telung des (glaubhaft gemachten) Zulassungsanspruchs an der Wunschuniversität. Eine solche endgültige Rechtsvereitelung – hier des Rechts auf freie Wahl der Ausbildungsstätte – zu verhindern, ist gerade ureigener Zweck jedes einstweiligen Rechtschutzverfahrens. In diesen Fällen ist deshalb zwingend das Vorliegen eines Anordnungsgrundes anzunehmen.
IV. Fazit
Abgesehen von den Fällen, in denen der Studienbewer- ber besondere persönliche Bindungen an den Wunsch- studienort vorbringen kann, ein vergleichbarer Studien-
20 OVG Rheinland-Pfalz vom 13.1.2003, 6 D 11940/02, WissR 2003, 168; Schleswig-Holsteinische OVG vom 9.6.2004, 3 NB 1/04, juris, Rn 4; VG Dresden vom 30.5.2002, NC 5 K 406/01, juris, Rn 5
21 OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13.1.2003, 6 D 11940/02, WissR 2003, 168; VG Bayreuth, Beschluss vom 17.12.2012, B 3 E 12.10004, juris, Rn 15; VG Köln, Beschluss vom 22.2.2013, 6 Nc 162/12, juris, Rn 4; Kopp/Schenke, 17. Aufl. 2011, § 123 Rn 26.
22 Vgl hierzu BVerfG vom 25.10.1988, 2 BvR 745/88, BVerfGE 79, 69, 74.
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gangandernortsnichtangebotenwirdoderdieeinschlägi- gen Studien- und Prüfungsordnungen eine Anerkennung anderenorts erbrachter Studienleistungen ausschließen, kommt es demnach für das Vorliegen eines Anordnungs- grundes bei örtlich zulassungsbeschränkten Studiengän- gen auf zweierlei an: zum einem auf die Länge des betref- fenden Studiengangs, zum anderen auf die voraussichtliche Verfahrensdauer eines anzustrebenden Hauptsacheverfah- rens. Nur wenn die Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu einem Zeitpunkt zu erwarten ist, zu dem bei Obsiegen des Studienbewerbers ein Quereinstieg bei der Wunschuni- versität noch möglich ist, fehlt es an der erforderlichen Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Dies wird im Ergebnis regelmäßig allenfalls bei Studiengängen der Fall sein, die auf das Abschlussziel Staatsexamen gerichtet sind.
Dass das Vorliegen eines Anordnungsgrundes von der Verfahrensdauer des Hauptsacheverfahrens abhängt, bedeutet zugleich, dass die Gerichte der Verwaltungsge- richtsbarkeit das Vorliegen des Anordnungsgrundes selbst steuern können. Denn auf die Verfahrensdauer haben sie unmittelbaren Einfluss. Die Verwaltungsge- richte sollten diese Entscheidung deshalb zum Anlass nehmen, sich – auch in Zulassungsverfahren – der Be-
deutung des Hauptsacheverfahrens zu besinnen und diesem die wichtige gesetzliche Aufgabe zukommen las- sen, eine umfassende, der Rechtskraft fähige und – auch was zeitliche Belange angeht – die Rechte der Beteiligen- den wahrende Prüfung des Zulassungsbegehrens zu ge- währleisten. Das Verwaltungsgericht Freiburg23 hat in- sofern den Anfang gemacht und ist in den bundesweit zulas- sungsbeschränkten Studiengängen Medizin und Zahnmedi- zin dazu übergegangen, in den Hauptsacheverfahren sehr zeitnah, d.h. zusammen mit den einstweiligen Rechtsschutz- verfahren, zu entscheiden. Eilanträge und die Rechtsunsi- cherheiten, die mit rein vorläufigen Prüfungen und Ent- scheidungen grundsätzlich verbunden sind, erübrigen sich dann. Diese Verfahrensweise stellt deshalb einen Gewinn für alle Beteiligten, d.h. sowohl für die betroffe- nen Studienbewerber, die betroffenen Hochschulen als auch für die angerufenen Gerichte dar. Sie sollte bunde- weit Einzug in die verwaltungsgerichtliche Praxis erfah- ren.
Die Autorin ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, Fachan- wältin für Verwaltungsrecht, Partnerin der Kanzlei Dr. Fettweis & Sozien, Freiburg.
23 Siehe etwa VG Freiburg vom 20.3.2012, NC 6 K 2155/11, juris, betreffend die Zulassung zum Studiengang Humanmedizin zum Wintersemester 2011/12; VG Freiburg vom 6.12.2012, NC 6 K 2032/12, juris, betreffend die Zulassung zum Studiengang Humanmedizin zum Wintersemester 2012/13.