Wir wenden uns nun zu den staatspolizeilichen Anstalten, welche die Heilung ausgebrochener Contagien2 begünstigen sollen. Sie betreffen das ärztliche Personal, die materiellen Heilmittel, die Geldunterstützungen und die endliche Reinigung der angesteckt genesenen Wohnorte.
Jede Epedemie fordert zu ihrer Behandlung eine größere Anzahl von Aerzten als die regelmäßig Beschäftigten. Doppelt ist dies bei einer ansteckenden Krankheit der Fall, welche manchen Arzt ebenfalls ergreifen, und die Zahl der verfügbaren also noch mehr verringern wird. Wenn sich daher nicht, wie übrigens eine schöne Erfahrung der letzten großen Epidemien hoffen läßt, die noethige Zahl von Freiwilligen, sei es aus Humanität, sei es aus Lernbegierde, einfinden sollte, so ist es Sache des Staates, durch verhältnismäßige Anerbietungen, das noethige Personal herbeizuziehen. Ob ein Zwang dabei statt finden durfte, ist an und für sich zweifelhaft und möchte jeden Falles nicht räthlich sein, weil mit Gezwungenen schwerlich der Zweck erreicht würde.
Weit schwieriger ist es nach manchen Erfahrungen, die zwar sehr untergeordnete, allein doch unentbehrliche Classe von Krankenwärtern zu erhalten. Bei sehr tödlichen Contagien ist ihr Geschäft so offenbar lebensgefährlich, dass auch die größten Geldanerbietungen ihren Zweck verfehlen könnten, und daß man daher schon wiederholt zu dem, freilich verzweifelten, Mittel schreiten mußte, schweren Verbrechern die Erlassung ihrer Straften unter der Bedingung der Abwartung Pestkranker anzubieten.
Seltener wird es in einem Staate mit guter deutscher Medicinalpolizei an dem materiellen Heilsmitteln fehlen. Die Apotheken sind immer versehen und Fehlendes wird asbald ergänzt. Nur in dem Falle, wenn ein in der Regel blos in kleinen Quantitäten vorrätiges Mittel in einer Epedimie plötzlich stark gebraucht würde, könnte eine Hilfe bei Staates nötig werden, welche aber wohl am besten in einer solchen Erhöhung des Preises bestünde, daß das Fehlende auf die schleunigste wenn schon theuerste Weise von den einzelnen Apotheken herbeigeschafft werden könnte. Hiermit wäre noch eine außerordentliche Untersuchung der Apotheken, ob die erforderlichen Arzneistoffe wirklich nach Menge und Güte untadelhaft vorhanden sind, ferner ein Verbot, solche spezifischen Heilmittel anders als gegen ärztliches Rezept und nur in gewöhnlichen Quantitäten abzugeben, mit Nutzen zu verbinden.
Unmittelbare Geldunterstützungen sind bei contagiösen Epidemien nicht zu vermeiden, und können auch, da sie zur Abwendung einer allgemeinen Gefahr und eines nicht blos die zunächst Beteiligten angehenden Übels dienen, völlig gerechtfertigt werden. Außer den mehr zu den prophylaktischen Mitteln gehörigen Unterstützungen erfordert der Heilzweck Beiträge zur Stärkung der Kranken und besonders bei Wiedergenesenen, Unterhalt ihrer Familien und Bezahlung der ärztlichen Hilfe, so wie der Heilmittel. Und zwar wird eine solche Hilfe nicht nur bei den zu allen Zeiten armen und bedürftigen Classen nötig sein, sondern sie kann auch wegen der Sperrung alles Erwerbes für solche erwünscht sein, welche keineswegs regelmäßige Ansprüche auf Armenunterstützung machen. Die Form der Gabe muss daher schonend sein und nicht als Almosen erscheinen. Am besten wird geradezu aus öffentlichen Kassen das Erforderliche bezahlt und dann unentgeltlich denen, welche es verlangen, gereicht. Eine Vertheilung der auf solche Weise gemachten Ausgaben zwischen der allgemeinen Staatskasse und den Kassen der einzelnen Gemeinden ist ohne Zweifel gerecht, indem teils allgemeine, teils bloß örtliche und nachbarliche Zwecke erreicht werden. Daß die Gemeinden dadurch hart bedrückt werden, und auf eine lange Reihe von Jahren in ihren Vermögensverhältnissen zurückgebracht werden können, ist freilich unleugbar, und keines der geringsten Übel einer Contagion.
Robert (von) Mohl (1799 — 1875) war Professor für Staatswissenschaften in Tübingen sowie seit 1847 Professor in Heidelberg. Als „politischer“ Professor war er unter anderem Mitglied der Nationalversammlung in der Paulskirche sowie der badischen Ersten Kammer. Zu seinen wichtigsten Schriften gehört „Die deutsche Polizeiwissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates“ von 1833.
Robert Mohl
Ansteckende Krankheiten1
1 Robert Mohl, in: Rotteck/Welcker (Hg.), Staatslexikon, 1 Bd. 1834, S. 603, 611 f.
2 die Übertragung einer Krankheit von einer Person auf eine andere über bloßen Kontakt.
Ordnung der Wissenschaft 2020, ISSN 2197–9197
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