Das als „Kracher“1 bezeichnete und auf Kritik stoßende2 Urteil des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 14.11.20163 hat den in den Senat oder in ein Lei- tungsorgan gewählten Hochschullehrern eine dominie- rende Rolle zuerkannt: Bei der Wahl der Mitglieder des Leitungsorgans einer Hochschule sei nur dann ein hin- reichendes Mitwirkungsniveau der Hochschullehrer gewährleistet, wenn ein Selbstverwaltungsgremium mit der Stimmenmehrheit der gewählten Vertreter der Gruppe der Hochschullehrer die Wahl eines Leitungsor- gans verhindern kann, das das Vertrauen der Gruppe der gewählten Hochschullehrern nicht genießt. Vergleichba- res soll für die Abwahl gelten: „Die in ein Selbstverwal- tungsorgan gewählten Vertreter der Hochschullehrer müssen sich von dem Mitglied eines Leitungsorgans, das ihr Vertrauen nicht mehr genießt, trennen können, ohne im Selbstverwaltungsgremium auf eine Einigung mit den Vertretern anderer Gruppen und ohne auf die Zustimmung eines weiteren Organs oder des Staates angewiesen zu sein“ (LS 5). Diese Reduzierung von Wahl und Abwahl auf eine besondere Gruppe der gewählten Hochschullehrer war für das Ministerium für Wissen- schaft, Forschung und Kunst Anlass, zu einem Symposi- um zur Zukunft der Hochschulgovernance in Baden- Württemberg einzuladen. In ihrem Grußwort erhoffte Ministerin Theresia Bauer vom Symposium konkrete Vorschläge für die Reform der hochschulrechtlichen Lei- tungsstruktur. Keine Urteilskritik, sondern ein konst- ruktiver Umgang mit der Entscheidung des Verfassungs- gerichtshofs BW war angesagt.
Unter der kundigen Leitung des Journalisten für Bil- dung und Wissenschaft Jan-Martin Warda diskutierte
- 1 Max-Emanuel Geis, Hochschul-Selbstverwaltung – Ein Impulsre- ferat, OdW 2017, 97.
- 2 Timo Rademacher/Jens-Peter Schneider, Die „Hochschullehrer- mehrheit“ des § 10 Abs. 3 LHG in der Rechtsprechung des baden- württembergischen Verfassungsgerichtshofs, VBlBW 2017, 155, 156: schlichte Behauptungen des Verfassungsgerichtshofs BW statt gebotener Auseinandersetzung mit Literatur und Rechtsprechung, keine Berücksichtigung der abweichenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 158 f.: keine Rechtsfortbildung nach anerkannten Methoden sowie S. 159: Überschreiten der Grenzen verfassungskonformer Auslegung. Michael Fehling, Unzureichende Kompetenzen des Senats im reformierten Landeshochschulgesetz
ein unterschiedliche Sichtweisen garantierendes Podium zunächst untereinander und sodann mit dem Auditori- um von weit über 200 Personen eine Reihe von Reform- vorschlägen. Die Hochschullehrerseite auf dem Podium wurde von Prof. Dr. Jens-Peter Schneider, Universität Freiburg, und Prof. Dr. Wolfgang Löwer, Universität Bonn, repräsentiert. Die Seite der Wirtschaft wurde von Dipl.-Vw. Stefan Küpper, Geschäftsführer des Arbeitge- berverbandes Südwestmetall, vertreten. Gleichermaßen der Wirtschaft wie der Wissenschaft zurechenbar war Prof. Dr. Dr. Andreas Barner, u. a. Präsident des Stifter- verbandes für die Deutsche Wissenschaft.
In den vier Eingangsstatements war man sich darin einig, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichts- hofs BW, trotz seiner besonderen Akzentsetzung, auf der Linie der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfas- sungsgerichts zu den hochschulrechtlichen Leitungs- strukturen liege. Jens-Peter Schneider hob die von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung immer wieder betonte weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers in Sa- chen Hochschulorganisation hervor, die mit den nun äu- ßerst detaillierten Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs BW nur schwer in Einklang zu bringen seien. Für die zentrale Frage, wie die Entscheidung des Verfassungsge- richtshofs BW landesrechtlich umgesetzt werden könne, hatte Jens-Peter Schneider einen Vorschlag bereit, der in der nachfolgenden Diskussion weitgehend auf Zustim- mung stieß: Die Abwahl eines Rektors solle eine Angele- genheit des Senats bleiben, besondere Abwahlgremien sollten nicht geschaffen werden. Um den Anforderungen des Urteils des Verfassungsgerichtshofs BW auch für den Fall gerecht zu werden, dass sich der Gesetzgeber ent-
Baden-Württemberg, OdW 2017, 62 kritisiert u. a. das Reden von „prozessualen Mitwirkungs- oder Entscheidungsbefugnissen des Senats“, wobei man offensichtlich „prozessual“ und „prozedural“ verwechselt, S. 67 ff.: eine verzerrte Rezeption der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 69: Verkennung, dass ein Grup- penmodell mit Gruppenrepräsentation nicht demokratisch ist, sondern vordemokratisch-ständisch.
3 VerfGH BW, Urteil vom 14.11.2016, 1 VB 16/15, juris; zu dieser Entscheidung vgl. die Nachw. in Fn. 1 und 2; Lothar Zechlin, Wissenschaftsfreiheit und Organisation. Die „Hochschullehrer- mehrheit“ im Grundrechtsverständnis der autonomen Universität, OdW in diesem Heft, S. 263 ff; Friedhelm Hufen, JuS 2017, 279 ff.
Thomas Würtenberger
Bericht über das Symposium des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst zum Urteil des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg
1 VB 16/15 zum Landeshochschulgesetz
Ordnung der Wissenschaft 2017, ISSN 2197–9197
218 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2017), 217–220
scheiden sollte, dass zur Abwahl eine qualifizierte Mehr- heit etwa von zwei Dritteln erforderlich sein soll, könn- ten die gewählten Senatoren aus der Hochschullehrer- gruppe durch ihre Stellvertreter ergänzt werden. Damit könne ein hinreichend legitimiertes und nicht allzu klei- nes Gremium von gewählten Hochschullehrern auf- grund von senatsinternen Diskussionen die Abwahlent- scheidung treffen. Allerdings vermochte er, wie die gro- ße Mehrheit der Diskutanten, die These des Verfassungs- gerichtshofs, allein durch Wahl legitimierte Professoren seien zur Abwahl berechtigt, nicht zu teilen.
Wolfgang Löwer begrüßte demgegenüber die Exklusi- on der Dekane von Abwahlentscheidungen. Seiner An- sicht nach würden die Dekane keine fachwissenschaftli- chen Interessen vertreten, sondern seien auf die Vertre- tung von Fakultätsinteressen festgelegt. Sollen allein die in den Senat gewählten Hochschullehrer über eine Ab- wahl entscheiden, müsse funktionelle Pluralität gesi- chert sein. Diese setze ein hinreichend breites, die Wis- senschaftsdisziplinen spiegelndes Abwahlgremium vor- aus, so dass er den Vorschlag von Jens-Peter Schneiderfürnachdenkenswerthielt.Davonabgesehenforderteer stärkere Beteiligungsrechte des Senats an Zielvereinba- rungen und an der Entwicklungsplanung.
Mit deutlichen Worten kritisierte Stefan Küpper die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs BW. Denn deren Umsetzung könne die hohe Leistungsfähigkeit der Hochschulen in Baden-Württemberg bedrohen, was für die Wirtschaft negative Folgen haben könne. Um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden, dürfte aber auch nicht an alten Leitungsstrukturen festgehalten werden. Eine moderne Hochschulorganisation müsse entscheidungsfähig sein, um in Reaktion auf eine sich wandelnde Forschungslandschaft und den gesellschaftli- chen Wandel immer wieder veränderte hochschulstrate- gische Konzepte auf den Weg bringen können.
Andreas Barner warnte, die in Deutschland derzeit von der Verfassungsgerichtsbarkeit vorgeschriebene Neugestaltung der hochschulrechtlichen Leitungsstruk- turen zu verabsolutieren. So habe die ETH in Zürich ganz andere Leitungsstrukturen; und dennoch herrsche auch dort ein Ausmaß an Wissenschaftsfreiheit, die die- se Hochschule in den Rang einer Spitzenuniversität hat gelangen lassen. Seiner Ansicht nach benötige eine idea- le Universität nur wenig rechtliche Vorgaben für ihre Leitungsstrukturen; denn wenn das Hochschulrecht be- müht werden müsse, wären meist Defizite in der Hoch- schulkommunikation der Anlass. Hochschulsteuerung müsse in einem iterativen Dialog der Leitungsorgane mit einer Reihe von ganz unterschiedlichen Partnern statt- finden. Eine Gruppe, wie etwa die der Hochschullehrer,
ganz besonders herauszuheben, sei falsch. So könne etwa der Hochschulrat positive Akzente setzen. Zudem sei wichtig, junge Forscher in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, eine Engführung hochschulinterner Kommunikation in Sachen Wissenschaft auf die Profes- sorengruppe sei anachronistisch.
Nach diesen Statements wandte sich die Diskussion auf dem Podium und mit dem Publikum einer Reihe von Fragen zu, die durch die jüngere verfassungsgerichtliche Rechtsprechung aufgeworfen sind:
Wer sind die Grundrechtsträger im Hochschulorga- nisationsrecht? Muss die traditionelle Konzeption, dass nur die Hochschullehrer die Wissenschaftsfreiheit in der Hochschulorganisation repräsentieren, aufgebrochen werden? Es streitet, so die überwiegende Ansicht in der Diskussion, vieles dafür, jedenfalls besoders qualifizierte „Juniorforscher“ in den Kreis der für die Repräsentation relevanten Grundrechtsträger einzubeziehen. Vom Ver- fassungsgerichtshof BW ist diese Frage allerdings völlig ausgeblendet worden. Ob eine gewisse Öffnung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfolgt, bleibt nach Ansicht von Jens-Peter Schneider abzuwarten.
Wie stark muss die Stellung des Rektorats in der Hochschulorganisation sein? Die geläufige Formel, dass eine starke Stellung des Rektorats zum Ausgleich erheb- liche Mitentscheidungsrechte des Senats erfordere, wur- de aus guten Gründen nicht weiter thematisiert. Denn diese Formel krankt daran, dass starke Mitentschei- dungsrechte des Senats eine starke Stellung des Rektorats verhindern und wichtige strategische Entscheidungen des Rektorats erschweren können. Nach Andreas Barner stehen die Universitäten mittlerweile unter erheblichem internationalem Konkurrenzdruck. Um konkurrenzfä- hig zu bleiben, müssen die Universitäten Prioritäten set- zen und umsteuern können, was nur einem starken Rek- torat gelingen kann. In diesem Zusammenhang betonte Andreas Barner: In der Exzellenzinitiative war Baden- Württemberg auch darum äußerst erfolgreich, weil es starke Rektorate hatte. Die Stärke der baden-württem- bergischen Rektorate müsse daher erhalten bleiben.
Welche Abwahlregelungen sollten getroffen werden? In der Diskussion sprach man sich überwiegend für ge- wisse Hürden bei den Abwahlregelungen aus. Bei zu weit reichenden Abwahlregelungen könne, so wurde be- fürchtet, der Universitätsleitung der Mut zu Reformen fehlen. Für Stefan Küpper führen erleichterte Abwahlre- gelungen zu Kompromisskandidaten des Mittelmaßes. Auf deutlichen Widerspruch stießen Vorschläge, den Rektor durch Urwahl zu bestimmen oder durch Urab- wahl abzulösen. Jens-Peter Schneider verwies mit Nach-
Würtenberger · Symposium zum Landeshochschulgesetz 2 1 9
druck darauf, dass ein Wahlverfahren unter Beteiligung einer Findungskommission den Vorteil einer besonders sachkundigen Kandidatenauslese habe.
Sollen die Dekane im Senat entgegen der Entschei- dung des Verfassungsgerichtshofs BW mit Stimmrecht an der Wahl und Abwahl eines Rektors beteiligt sein? Nach Jens-Peter Schneider bedeutet es einen Kulturwech- sel in Baden-Württemberg, wenn künftig in den Senaten eine Mehrheit gewählter Hochschullehrer notwendig sei. Es komme zudem zu schwer handhabbaren Folgeproble- me: Wie schafft es die Professorenschaft, Wahllisten zu erstellen, die dem Prinzip der wissenschaftspluralisti- schen Repräsentation genügen? Wolfgang Löwer schloss in diesem Zusammenhang ein Mehrfachstimmrecht in der Professorengruppe aus, weil dies wissenschaftsplura- listische Entscheidungen hindern könne. Andreas Bar- ner plädierte, anders als Wolfgang Löwer in seinem Ein- gangsstatement, dafür, dass die Dekane ihr Stimmrecht bei der Abwahl eines Rektors behalten müssten. Denn die Dekane würden als Repräsentanten ihrer Fakultäten eine gemeinsame, gesamtuniversitäre Verantwortung wahrnehmen.
Die Ergebnisse des Stuttgarter Symposiums lassen sich sehen. Was verfassungsrechtlich möglich und was für die Behauptung der Universität in einer Phase raschen Wan- dels der Forschungslandschaft, gesellschaftlichen Wan- dels und Wandels der internationalen Rahmenbedingun- gen sinnvoll ist, lässt sich, wie das Symposium deutlich machte, nicht immer in Einklang zu bringen. Für die Um- setzung des Urteils des Verfassungsgerichtshofs BW konn- ten gleichwohl wichtige Vorschläge diskutiert werden. Da es starker Hochschulleitungen bedürfe, um die nötige inne- re Reformfähigkeit von Hochschulen zu sichern, sah man fast einhellig bei der im Landeshochschulgesetz geregel- ten Kompetenzverteilung zwischen Senat und Rektorat keinen grundsätzlichen Änderungsbedarf. Man darf ge- spannt sein, wie die problematischen Vorgaben des Ver- fassungsgerichtshofs BW bei der Novellierung des Lan- deshochschulgesetzes umgesetzt werden.
Thomas Würtenberger ist Professor an der Albert-Lud- wigs-Universität Freiburg und Leiter der Forschungs- stelle für Hochschulrecht und Hochschularbeitsrecht.
220 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2017), 217–220