I. Einleitung
Baden-Württemberg als drittgrößte Wirtschaftsregion in Deutschland2 und als Innovationsstandort Nr. 1 in Europa3 ist in ganz besonderer Weise davon abhängig, dass in der Hochschulpolitik die Weichen richtig gestellt sind für die zukunftsfähige Sicherung der akademisch aus- gebildeten Fachkräftebasis und der Innovationsfähigkeit.
Stellt der zwischen BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und der CDU vereinbarte und mit einer breiten parla- mentarischen Mehrheit unterlegte Koalitionsvertrag die Weichen in der Hochschulpolitik richtig? Oder sind die richtigen Weichenstellungen ausgeblieben, weil zwei Partner zueinander finden mussten, die ursprünglich mit vollkommen anderen Koalitionsvorstellungen in die Landtagswahl gegangen sind?
Aus Sicht der Arbeitgeber Baden-Württemberg er- folgt vorliegend die Bewertung des Koalitionsvertrags zu ausgewählten Aspekten im Bereich Hochschulpolitik.
II. Hochschulfinanzierung sichern
Mit dem Hochschulfinanzierungsvertrag „Perspektive 2020“ hat Baden-Württemberg die Hochschulfinanzie- rung verbessert, indem unsichere Programmmittel suk- zessive in die Grundfinanzierung umgewandelt werden. Dies war ein wichtiger Meilenstein.
Diese mittelfristige Sicherung des baden-württem- bergischen Wissenschaftssystems muss verstetigt und den Hochschulen am Wissenschafts- und Innovationss- tandortBaden-WürttembergeinelangfristigePlanungs- perspektive gegeben werden. Das Bekenntnis der Koali- tion, erneut einen langfristigen Hochschulfinanzie- rungsvertrag abzuschließen,4 wird daher durch die Ar- beitgeber Baden-Württemberg ausdrücklich begrüßt.
Vor dem Hintergrund des strukturellen Defizits im Landeshaushalt, der zutreffend vereinbarten strukturel-
- 1 Ministerpräsident Kretschmann, Regierungserklärung vom 1. Juni 2016, S. 3. Abrufbar unter: https://www.baden-wuerttemberg.de/ fileadmin/redaktion/dateien/PDF/160601_Regierungserklaerung_ Kretschmann_Protokollversion.pdf (16.8.2016).
- 2 Statistisches Bundesamt: Bruttoinlandsprodukt nach Bundes- ländern 2015. Abrufbar unter: http://www.statistik-portal.de/ Statistik-Portal/de_jb27_jahrtab65.asp (16.8.2016).
len Einsparungen sowie einer Schuldenbremse in der Landesverfassung sei bereits an dieser Stelle daran erin- nert, dass Investitionen in den Hochschulbereich Inves- titionen in die Zukunft darstellen, die das Land voran- bringen. Bildungsinvestitionen sind für den Staat gut an- gelegtes Geld. Die Rendite, die der Staat für seine Bil- dungsinvestitionen erhält, liegt nach Berechnungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) pro Studierenden bei 5,7 %.5
Dass beim Abschluss des erneut langfristigen Hoch- schulfinanzierungsvertrags den Hochschulen für Ange- wandte Wissenschaften (HAW) und der Dualen Hoch- schule Baden-Württemberg (DHBW) eine nachhaltige Finanzierung besonders für den Aufbau von Studien- plätzen zugesichert werden sollen,6 überzeugt. Nachdem durch den Hochschulfinanzierungsvertrag „Perspektive 2020“ für die Universitäten sichergestellt wurde, dass de- ren Studienplätze bis spätestens 2019 über die erhöhte Grundfinanzierung langfristig abgesichert sind, er- scheint es sachgerecht, nun auch die Finanzierung der HAW und DHBW anzupassen.
Aus Sicht der Arbeitgeber Baden-Württemberg ist eine langfristige Kopplung der Mittelvergabe an transpa- rente Leistungs- und Qualitätskriterien der richtige Weg. So können die Hochschulen in Baden-Württemberg auch bei ansteigender Zahl an Studienanfängern eine qualitätsgesicherte Ausbildung ermöglichen und im in- ternationalen wissenschaftlichen und technologischen Wettbewerb ihre Spitzenstellungen verteidigen. Wün- schenswert wäre es daher gewesen, wenn der Koalitions- vertrag die bereits im aktuellen Hochschulfinanzie- rungsvertrag vereinbarte Verpflichtung zur Entwicklung eines Kennziffernsystems zur Messung der zentralen Leistungsdimensionen der Hochschulen7 im Koalitions- vertrag fortgeschrieben und dadurch politisch weiter aufgewertet hätte.
ischen Vergleich, In: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg
1/2015, S. 18.
4 Vgl. S. 38 Koalitionsvertrag.
5 Pfeiffer/Stichnoth, Fiskalische und individuelle Bildungsrenditen –
aktuelle Befunde für Deutschland, In: ZEW Discussion Paper No.
15–010, S. 17.
6 Vgl. S. 38 Koalitionsvertrag.
7 Vgl. S. 2 Hochschulfinanzierungsvertrag 2016 ‑2020.
3 Einwiller, Innovationsindex 2014: Baden-Württemberg im europä-
Ordnung der Wissenschaft 2016, ISSN 2197–9197
Matthias Toepfer
Bringt die „im besten Sinne bürgerliche Koalition“1 auch eine sinnvolle Hochschulpolitik?
Bewertung des Koalitionsvertrages 2016 – 2021
212 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2016), 211–216
Das klare Bekenntnis zur Fortschreibung der Exzel- lenzinitiative und deren Absicherung durch Landes- haushaltsmittel8 9 ist zu begrüßen. Die nunmehr be- schlossene Exzellenzstrategie bietet die Chance, dass Ba- den-Württemberg das erfolgreichste Bundesland im Bund-Länder-Programm zur Förderung der Spitzenfor- schung an Universitäten bleibt. Die Reduktion auf nun- mehr zwei Förderlinien (Exzellencluster, Exzellenzuni- versitäten) bei Verzicht auf die Fortführung der Gradu- iertenschulen ist zu begrüßen, da sich strukturierte Pro- motionsprogramme hinreichend etabliert haben. Die projektbezogene Förderung von Forschungsfeldern durch Exzellenzcluster kann einen wichtigen Beitrag zur Profilschärfung von Universitäten im internationalen Wettbewerb leisten. Die für Universitäten mit Exzellenz- cluster zudem vorgesehene Universitätspauschale zur Stärkung ihrer Governance hat das Potenzial, positiv auch auf die institutionellen Rahmenbedingungen und Landeshochschulgesetze einzuwirken. Dass sich als Ex- zellenzuniversität nur bewerben kann, wer mindestens zwei Exzellenzcluster eingeworben hat, stellt eine Her- ausforderung dar. Durch den kleineren Zuschnitt der Cluster bietet sich aber auch kleineren Hochschulen die reale Möglichkeit, eine Spitzenförderung zu erhalten. Die vorgesehene dauerhafte Förderung von elf Exzellen- zuniversitäten bzw. Universitätsverbünden in einem Wettbewerbsverfahren ist zu begrüßen. Die zwischen- zeitlich diskutierte Beschränkung auf bundesweit drei bis fünf Förderfälle hätte dem bewährten dezentralen Aufbau der deutschen Universitätslandschaft klar widersprochen.
Der Ausschluss der Einführung allgemeiner Studien- gebühren durch die Koalitionäre10 überzeugt hingegen nicht. Bei der Entwicklung eines dauerhaft tragfähigen Gesamtkonzepts der Hochschulfinanzierung halten die Arbeitgeber Baden-Württemberg weiterhin eine sozial- verträgliche, nachgelagerte Beteiligung der Studierenden an den Kosten des Studiums für unverzichtbar. Der da- mit verstärkte Wettbewerb der Bildungseinrichtungen würde sich zudem positiv auf das Dienstleistungsver- ständnis der Hochschulen gegenüber den Studierenden auswirken und zu einer Verbesserung der Qualität in der Lehre führen. Statt sich mit einem Komplettverzicht auf sozialverträglich gestaltete Studiengebühren Handlungs- optionen in der Hochschulpolitik zu verbauen, sollte von
der Politik lieber ernsthaft die Frage diskutiert werden, ob zumindest auch das „Draufsatteln“ eines Masters nach einem bereits berufsqualifizierenden Bachelor wirklich Aufgabe des Steuerzahlers sein sollte.
III. Hochschulautonomie richtig verstehen
Hochschulautonomie ist nicht nur Satzungsautonomie. Die Hochschulen brauchen vielmehr Handlungsfreiheit, Flexibilität und Planungssicherheit. Nur so können die Hochschulen ihren umfangreichen Aufgaben in einem Umfeld wachsenden Wettbewerbs gerecht werden.
Baden-Württemberg zählt zu den Bundesländern mit nur mittlerer Autonomieausprägung.11 Insofern ent- täuscht es, dass sich die Koalition nach dem Wortlaut des Koalitionsvertrags nur zur Sicherung der Freiräume ei- ner eigenverantwortlichen Hochschule bekennt,12 sich jedoch nicht explizit die Ausweitung der Hochschulau- tonomie zur Aufgabe gemacht hat.
Aus Sicht der Arbeitgeber Baden-Württemberg kön- nen die mit der öffentlichen Finanzierung der Hoch- schulen verbundenen berechtigten Länderinteressen über mehrjährige Zielvereinbarungen und Hochschul- verträge hinreichend gesichert werden. Die Hochschu- len müssen unabhängig von politischer Einflussnahme in das Tagesgeschäft sein und sollten nicht mit Überbü- rokratisierung gelähmt werden.
Die Hochschulen brauchen entscheidungsfähige und transparente Governance-Strukturen mit starken und kompetenten Hochschulräten für die Profilbildung. Mit der Novellierung des Landeshochschulgesetzes 2014 wurde die Besetzung der Hochschulräte durch die struk- turelle Stimmenmehrheit des Wissenschaftsministeri- ums in den Findungskommissionen und durch Proporz- vorgaben13 tendenziell aber geschwächt. Es enttäuscht daher, dass sich die Koalitionsparteien im vorliegenden Koalitionsvertrag nicht auf eine Evaluierung und Kor- rektur der Besetzungsregelungen bei den Hochschulrä- ten einigen konnte, sondern dieses Thema nicht abgebil- det haben in der Vereinbarung.
Auch die ausdrückliche Erwartungshaltung der Koa- lition an die Hochschulen, den Anteil an Professorinnen signifikant zu erhöhen14 und damit implizit eine fächer- übergreifende Quote anzustreben, steht nicht in Über- einstimmung mit unserem Verständnis einer Hoch-
(Kurzfassung), S. 26. Abrufbar unter: http://www.kas.de/wf/doc/
kas_42287-544–1‑30.pdf?150819130654 (16.8.2016). 12 Vgl. Koalitionsvertrag S. 37.
13 Vgl. § 20 Abs. 4 LHG.
14 Vgl. S. 39 Koalitionsvertrag.
8 9
10 11
Vgl. S. 38 Koalitionsvertrag.
Vgl. Kap. I ID 10 Nebenabreden zum Koalitionsvertrag, Abrufbar unter: https://www.gruene-bw.de/app/uploads/2016/07/Nebenab- reden.pdf (16.8.2016).
Vgl. S. 42 Koalitionsvertrag.
Dohmen/Krempkow, Hochschulautonomie im Ländervergleich
Toepfer · Bewertung des Koalitionsvertrags 2016 – 2021 2 1 3
schulautonomie. Denn insbesondere in Bereichen, in denen naturwissenschaftlich-technische Qualifikationen erforderlich sind, fehlt es oftmals an einer ausreichenden Zahl von Bewerberinnen. Mehr Frauen für MINT zu be- geistern ist auch für die Arbeitgeber Baden-Württem- berg ein wichtiges Anliegen. Politische Vorgaben an die Hochschulen halten wir aber nicht für den richtigen Weg.
Vielmehr sollte die Hochschulautonomie gestärkt werden durch eine Beschränkung gesetzlicher Vorgaben auf das wirklich notwendige Maß. Die vereinbarte Eva- luierung des in der vergangenen Legislaturperiode ver- abschiedeten Partizipations- und Integrationsgesetzes15 bietet hierzu eine Chance. Dem durch die Hochschulen zu tragenden administrativen und finanziellen Aufwand für die Einrichtung sowie für eine qualitätsgesicherte Arbeit eigener Antidiskriminierungsstellen steht nach unserer Ansicht kein erkennbar erhöhter Nutzen gegen- über. Die durch das Land unterstützten lokalen und regi- onalen Antidiskriminierungsnetzwerke halten wir wei- terhin für vollkommen ausreichend, um von Diskrimi- nierung betroffenen Personen kompetente Unterstüt- zung zu geben. Die Hochschulen sollten daher wieder entlastet werden.
Auch ist zu hoffen, dass die vereinbarte ergebnisoffe- ne Evaluierung des Landespersonalvertretungsgesetzes (LPVG)16 tatsächlich dazu genutzt wird, den gestiegenen Aufwand auch für die Hochschulen infolge der durch die Novellierung des LPVG in 2013 erhöhten Freistellungs- staffeln sowie ausgeweiteter Informations- sowie Beteili- gungsrechte der Personalräte kritisch zu hinterfragen.
Dass eine Task Force „Bürokratieabbau und Strate- giefähigkeit“ unter maßgeblicher Beteiligung von Ange- hörigen der Hochschulverwaltungen und ‑leitungen zeitnah eingesetzt werden soll,17 begrüßen wir.
IV. Innovationspartnerschaften ausbauen
Baden-Württemberg investiert rund 4,8 % seines Brutto- inlandsprodukts (BIP) in Forschung und Entwicklung (FuE) und verfügt damit über die höchste FuE-Aktivität aller Bundesländer.18 Der Südwesten übertrifft damit aktuell deutlich die im Rahmen der Europa ‑2020-Stra- tegie gesetzten Zielmarke, 3% des BIP für FuE aufzuwen- den.19
- 15 Vgl. S. 128 Koalitionsvertrag.
- 16 Vgl. S. 69 Koalitionsvertrag.
- 17 Vgl. S. 37 Koalitionsvertrag.
- 18 Bundesbericht Forschung und Innovation 2016, ErgänzungsbandIII Forschungs- und Innovationspolitik der Länder, S. 8.
- 19 Ziele der Strategie 2020. Abrufbar unter: http://ec.europa.eu/europe2020/pdf/targets_de.pdf (16.8.2016).
Hierauf sollte sich die Politik aber nicht ausruhen, denn Baden-Württemberg bleibt bei der Messung der Innovationsdynamik innerhalb des Innovationsindex 2014 deutlich hinter der europäischen Spitze zurück.20
Um die hohe FuE-Aktivität am Wirtschaft- und In- novationsstandort Baden-Württemberg langfristig zu si- chern, bedarf es der richtigen Rahmenbedingungen für funktionierende und vertrauensvolle Kooperationen zwischen Hochschulen und Unternehmen. Die 2014 ins Landeshochschulgesetz eingeführte Transparenzklau- sel21 erhöht den bürokratischen Aufwand für Hochschu- len und Drittmittelgeber hingegen deutlich. Die Trans- parenz der Forschungsprojekte für alle Statusgruppen ei- ner Hochschule entspricht nicht den Bedürfnissen der Unternehmen, die ihre Forschung verständlicherweise nicht gegenüber Mitbewerbern öffentlich machen wol- len. Es enttäuscht daher, dass im Koalitionsvertrag keine kritische Evaluierung der Transparenzklausel sondern lediglich eine Anpassung an die Standards des vom Wis- senschaftsrat beschlossenen Kerndatensatz Forschung vereinbart wurde.22 Die Arbeitgeber Baden-Württem- berg halten weiterhin eine kritische Evaluierung der Transparenzklausel für zwingend. Spätestens, wenn ein Rückgang der eingeworbenen Mittel aus Auftragsfor- schung festzustellen ist, muss die Transparenzklausel korrigiert werden.
Baden-Württemberg mit seiner hohen FuE-Intensi- tät hat ein herausragendes Interesse daran, dass endlich eine steuerliche Forschungsförderung in Deutschland durchgesetzt wird. Für die Sicherung der Innovationsfä- higkeit auch im internationalen Wettbewerb halten die Arbeitgeber Baden-Württemberg eine steuerliche For- schungsförderung in Form einer Steuergutschrift in Höhe von 10 % der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung für notwendig. Damit würde Deutschland endlich seinen Standortnachteil in dieser Frage gegen- über beinahe allen großen Industrienationen abbauen.
Die Arbeitgeber Baden-Württemberg begrüßen es daher ausdrücklich, dass sich die Koalitionsparteien da- rauf verpflichtet haben, sich auf Bundesebene für die Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung einzusetzen.23 Dass diese Forschungsförderung vor al- lem auf kleine und mittlere Unternehmen fokussieren soll,24 halten wir aber für eine nicht sachgerechte Einengung.
20 Einwiller, Innovationsindex 2014: Baden-Württemberg im euro- päischen Vergleich, In: Statistisches Monatsheft Baden-Württem- berg 1/2015, S. 24.
21 Vgl. § 41 a LHG.
22 Vgl. S. 40 Koalitionsvertrag. 23 Vgl. S. 38 Koalitionsvertrag. 24 Vgl. S. 14 Koalitionsvertrag.
214 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2016), 211–216
Sowohl der aktuelle Gesetzesentwurf der GRÜNEN- Bundestagsfraktion zur steuerlichen Forschungsförde- rung25 als auch die Entschließung des Bundesrats zur Einführung einersteuerlichen Förderung von For- schung und Entwicklung26 gehen mit ihrer Fokussie- rung auf kleine und mittelständische Unternehmen nicht weit genug. Denn nach der Wissenschaftsstatis- tik des Stifterverbands tragen gerade die Unterneh- men mit 500 und mehr Beschäftigten den ganz we- sentlichenTeilderFuE-Aufwendungen;in2014betrug deren Anteil an den gesamten FuE-Aufwendungen der Wirtschaft mehr als 87 %.27
Wir halten daher bei allen gesetzgeberischen Initiati- ven zur steuerlichen Forschungsförderung eine Erweite- rung über kleine und mittelständische Unternehmen hi- naus für notwendig. Anknüpfungspunkt für eine For- schungsförderung sollte die Forschungstätigkeit und nicht die Unternehmensgröße sein.
Die in der aktuellen Entschließung des Bundesrats zudem vorgesehene Beschränkung, dass nur Personal- aufwendungen als Bemessungsgrundlage für die steuer- liche Forschungsförderung herangezogen werden, hal- tenwirauchiminternationalenVergleichnichtfürsach- gerecht. Um die Innovationsfähigkeit zu halten und zu unterstützen, sollten die tatsächlichen Aufwendungen der Forschung, und somit auch die Sachaufwendungen, in die steuerliche Forschungsförderung einbezogen wer- den. Hierauf sollte die neue Landesregierung dringend hinwirken.
V. Zu Unternehmensgründungen ermutigen
Im internationalen Vergleich wagen in Deutschland noch zu wenige Menschen den Weg in die unternehme- rische Selbstständigkeit. Im Global Innovation Index 2016 rangiert Deutschland bei der Dichte an Neugrün- dungen lediglich auf Platz 60, was klar als Schwäche im internationalen Innovationswettbewerb qualifiziert wird.28
Zur Sicherung von Innovation, Wohlstand und Be- schäftigung in Baden-Württemberg ist es daher enorm wichtig, dass die an den Hochschulen entstehenden Ide- en und Forschungsergebnisse schnell in die Praxis über- führt und wirtschaftlich verwertet werden.
Die durch die Koalitionsparteien vereinbarte Stär- kung der Gründerkultur an den Hochschulen und die
- 25 BT-Drs. 18/7872.
- 26 BR-Drs. 227/16.
- 27 Vgl. Tabelle 2 FuE-Aufwendungen und FuE-Personal, nachBranchen, In: Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft 2014, Abrufbar unter: https://www.stifterverband.org/facts_forschung_ und_entwicklung_2014 (16.8.2016).
- 28 The Global Innovation Index 2016, S. 370. Abrufbar unter: htt- ps://www.globalinnovationindex.org/gii-2016-report (16.8.2016).
Förderung von Ausgründungen aus Hochschulen und Universitäten29 begrüßen die Arbeitgeber Baden-Würt- temberg ausdrücklich.
Wir brauchen eine lebendige Gründungskultur an den Hochschulen. Die Lehre muss unternehmerisches Denken vermitteln, Mut machen für die Selbstständig- keit und jungen Menschen das notwendige Rüstzeug mitgeben, um ihr eigenes Unternehmen zu gründen.
Dass sich jüngst über 90 Prozent der Hochschulen an einer Ausschreibung des Landes zur Förderung der Gründungskultur an Hochschulen beteiligt haben,30 zeigt beeindruckend, dass die Hochschulen die wichtige Aufgabe der Vermittlung von Gründergeist, Technolo- gietransfer und Ausgründungen kraftvoll gestalten wol- len. Nach Ansicht der Arbeitgeber Baden-Württemberg sollte die Landesregierung die Vereinbarung im Koaliti- onsvertrag schnell mit weiterem Leben füllen und nach einer erfolgreichen Evaluierung dieser Ausschreibungs- runde das Förderprogramm verstetigen und ausbauen.
VI. Hochschulen für die Digitalisierung ertüchtigen
Als ganz wesentliches Handlungsfeld bestimmen die Koalitionsparteien zutreffend die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Für das Innovationsland Baden-Württemberg ist es von zentraler Bedeutung, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen.31 Um diese Chan- cen der Digitalisierung bestmöglich nutzen zu können, bedarf es entsprechender Impulse auch in der Bildungspo- litik. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte umfassende, hochschulübergreifende Digitalisierungsoffensive32 begrü- ßen die Arbeitgeber Baden-Württemberg daher ausdrück- lich.
Denn der digitale Wandel muss noch breiter an den Hochschulen ankommen. Die Hochschulen müssen da- bei unterstützt werden, Didaktik, Curricula und Lehror- ganisation weiterzuentwickeln, damit Studierende best- möglich für eine Erwerbstätigkeit in der Wirtschaft 4.0 ausgebildet werden.
Die durch die Koalitionsparteien den Hochschulen zu- gesagte Unterstützung bei der Digitalisierung muss nach Ansicht der Arbeitgeber Baden-Württemberg zwingend auch verlässliche Finanzierungsstrukturen enthalten. Der aktuell sehr hohe Anteil an externer Projektfinanzierung bei Digitalisierungsprojekten an Hochschulen steht ei-
29 Vgl S. 41 Koalitionsvertrag.
30 Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-
Württemberg, Pressemitteilung Nr. 65 / 2016, Abrufbar
unter: https://mwk.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/ redaktion/m‑mwk/intern/dateien/Anlagen_PM/2016/065_PM_ Gr%C3%BCndungskultur.pdf (16.8.2016).
31 Vgl. S. 13 Koalitionsvertrag. 32 Vgl. S. 37 Koalitionsvertrag.
Toepfer · Bewertung des Koalitionsvertrags 2016 – 2021 2 1 5
ner nachhaltigen Verankerung von digitalen Medien in Studium und Lehre entgegen, da oftmals Inselprojekte entstehen, die weder in die strategische Hochschulent- wicklung eingebettet sind noch diese vorantreiben.33
Die Arbeitgeber Baden-Württemberg sehen insbe- sondere die Ingenieurwissenschaften als Schlüsselbe- reich bei der Gestaltung der Digitalisierung an den Hochschulen. Daher erwarten wir nun eine kraftvolle Entwicklung von Maßnahmen zur Stärkung der Ingeni- eurwissenschaften basierend auf den vorliegenden Hand- lungsempfehlungen der unabhängigen Expertenkom- mission Ingenieurwissenschaften@BW2025.34 Insbeson- dere eine weitere Verbesserung der interdisziplinären Ausrichtung der Ingenieurwissenschaften bei gleichzei- tiger Sicherung der fachlichen Tiefe würde Baden-Würt- temberg im internationalen Wettbewerb stärken.
VII. Fazit
Eine sinnvolle Ausgestaltung der Hochschulpolitik ist für Baden-Württemberg als eine der hochschulreichsten und forschungsintensivsten Regionen Europas von ganz besonderer Bedeutung.
Der Koalitionsvertrag 2016 – 2021 stellt aus Sicht der Arbeitgeber Baden-Württemberg die Weichen in der Hochschulfinanzierung richtig. Wenn man sich nicht ei- ner politischen Diskussion sozialverträglicher Studien-
gebühren entzogen hätte, wäre dies eine durchaus runde Sache.
Die Stärkung der Gründerkultur, die Förderung von Ausgründungen sowie die Digitalisierungsoffensive an Hochschulen sind wichtige politische Impulssetzungen im Koalitionsvertrag, welche durch die Arbeitgeber Ba- den-Württemberg begrüßt werden.
Verbesserungsbedarf sehen die Arbeitgeber Baden- Württemberg bei der weiteren Stärkung der Hochschul- autonomie, insbesondere durch eine Evaluierung und Anpassung der Besetzungsregelungen für Hochschulräte sowie der Transparenzklausel.
Bei der steuerlichen Forschungsförderung muss die Landesregierung auf Bundesebene klar Position bezie- hen gegen eine aktuell diskutierte unsachgemäße Veren- gung der Förderung auf kleine und mittlere Unternehmen.
In der Gesamtschau stellt der Koalitionsvertrag ein tragfähiges Gerüst für eine erfolgreiche Hochschul- und Forschungspolitik am Wirtschafts- und Innovationss- tandort Baden-Württemberg dar.
Matthias Toepfer ist Referatsleiter Hochschulpolitik und Politischer Dialog bei der Landesvereinigung Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände e. V. (Arbeitgeber Baden-Württemberg).
- 33 Hochschulforum Digitalisierung, Arbeitspapier Nr. 4, S. 15, Ab- rufbar unter: https://hochschulforumdigitalisierung.de/sites/de- fault/files/dateien/HFD-Thesenpapier_Sep2015.pdf (16.8.2016).
- 34 Abschlussbericht Expertenkommission Ingenieurwissenschaf- ten@BW2025, Abrufbar unter: https://mwk.baden-wuerttemberg. de/fileadmin/redaktion/m‑mwk/intern/dateien/Anlagen_ PM/2015/132_PM_Anlage_Abschlussbericht_Expertenkommis- sion_Ingenieurwissenschaften@BW2025_.pdf (16.8.2016).
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