Übersicht
I. Entwicklung der Fachhochschulen
II. Drei Fragen zum Promotionsrecht
III. Recht auf Promotionsbetreuung
- Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG
- Einschränkungen des Schutzbereichs
a) Dienstpflicht und Aufgabenprofil
b) Kontextualität von Promotionsverfahren
IV. Promotionsrecht für Fachhochschulen?
I. Entwicklung der Fachhochschulen
1968 wurden die Fachhochschulen als neuer Hochschultyp gegründet und den Universitäten an die Seite gestellt. Sie sollten die wachsende Nachfrage nach einer wissenschaftlichen, aber berufsbezogenen Ausbildung bedienen. Ihre Etablierung – in der Gründungsphase oft die Statusanhebung bereits existierender Fachschulen – war von Zweifeln, Widerständen und Startschwierigkeiten begleitet.1 Damit schien ein bekanntes Muster auf, das sich schon bei der Gründung der technischen Hochschulen Ende des 19. Jahrhunderts, der Zuerkennung ihres universitären Status nach 1945 sowie der Einrichtung der Handelshochschulen, Pädagogischen Hochschulen, Kunst- und Musikhochschulen und Bergakademien gezeigt hatte.2 Die Ursachen der jeweiligen Friktionen waren im Einzelnen vielfältig. Gleichwohl spielte die als solche wahrgenommene Statusgefährdung der Universität durchgängig eine Rolle. Damals wie heute haben sich diese Abwehrkämpfe erledigt. Aus der Geschichte geblieben ist die Erkenntnis, dass neue Hochschultypen stets in Relation und Abgrenzung zur Universität gedacht werden. Das gilt in besonderer Weise für die Fachhochschulen, deren Entwicklung bis heute vom Ringen um die eigene Identität geprägt ist.3
Seit ihren Anfangstagen haben die Fachhochschulen einen enormen Aufschwung erlebt, der sich in nahezu jedem einschlägigen Indikator widerspiegelt. Die Zahl der Einrichtungen ist gestiegen, ebenso die Zahl der Studierenden, der Personalbestand und die Finanzmittel.4 Heute gibt es 213 Fachhochschulen und 120 Universitäten.5 Die jeweiligen Anteile an der Studierendenschaft haben sich verschoben. 1995 studierte etwa ein Fünftel aller Studierenden an einer Fachhochschule, 2019 war es über ein Drittel.
Mit dem Wachstum hat sich der Fachhochschulsektor zunehmend differenziert. Einrichtungsgrößen und Trägerschaften variieren stark.6 Auch das angebotene Fächerspektrum hat sich weiterentwickelt. Anfangs wurden v.a. Ingenieur‑, Betriebswissenschaften und Sozialwesen angeboten. Diese Beschränkungen finden sich heute nicht mehr, zumindest über den Sektor hinweg betrachtet.7 Die Akademisierung von Berufsfeldern wie den Gesundheitsberufen wird vorwiegend von den Fachhochschulen getragen.8 Die disziplinäre Öffnung hat ein klassisches Unterscheidungsmerkmal zu den Universitäten aufgeweicht, die sich als „universitas litterarum“ traditionell dem Fächerkanon in seiner gesamten Breite verpflichtet fühlen.
Auch das Aufgabenportfolio der Fachhochschulen hat sich erweitert. Zwar steht die Aufgabe der berufs-
Guido Speiser
Das Promotionsrecht für Fachhochschulen
1 Braun, Promotionsrecht für Fachhochschulen?, 1994, S. 68 ff.; von Grünberg/Sonntag, 50 Jahre Fachhochschule – über das langsame Entstehen eines neuen Hochschultyps, OdW 2019, S. 157 ff.; Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 53 ff.; Lackner, Die Stellung der Fachhochschulen im deutschen Hochschulsystem, in: Cai/Lackner (Hrsg.), Jahrbuch Angewandte Hochschulbildung 2016, 2019, S. 136; Wissenschaftsrat; Empfehlungen zur Rolle der Fachhochschulen im Hochschulsystem (Drs. 10031–10), 2010, S. 25; Pautsch/Dillenburger, Kompendium zum Hochschul- und Wissenschaftsrecht, 2016, S. 36 ff.; Schreiterer, Einführung: Die Rolle der Fachhochschulen im Wissenschaftssystem, in: Borgwardt (Hrsg.), Zwischen Forschung und Praxis, 2016, S. 19 ff.; Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Entwicklung der Fachhochschulen (Drs. 5102/02), 2002, S. 5 ff.
2 Braun (Fn. 1), S. 27ff.
3 von Grünberg/Sonntag (Fn. 1), S. 159 ff.; Schreiterer (Fn. 1), S. 21 ff.; Pautsch, Das Promotionsrecht – ein Privileg der Universitäten?, in: Cai/Lackner (Hrsg.), Jahrbuch Angewandte Hochschulbildung 2016, 2019, S. 178.
4 Wissenschaftsrat 2010 (Fn. 1), S. 131 ff. Zuletzt ist das Wachstum stark auf private Fachhochschulen entfallen, im Folgenden betrachtet werden aber nur die staatlichen Fachhochschulen.
5 Zu diesen und den folgenden Zahlen: Hochschulrektorenkonferenz, Hochschulen in Zahlen 2020, abrufbar unter https://www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02-Dokumente/02–06-Hochschulsystem/Statistik/2020–08-27_Statistikfaltblatt_Deutsch_2020_Hochschulen_in_Zahlen.pdf [31.5.2020].
6 Wissenschaftsrat 2010 (Fn. 1), S. 24 ff.
7 Pautsch (Fn. 3), S. 178; Pautsch/Dillenburger (Fn. 1), S. 37; kritisch: Schreiterer (Fn. 1), S. 27.
8 Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Personalgewinnung und ‑entwicklung an Fachhochschulen (Drs. 5637–16), 2016, S. 21; Lackner (Fn. 1), S. 153; Ziegele/Roessler/Mordhorst, Hochschultyp im Wandel? Zur zukünftigen Rolle der Fachhochschule im deutschen Hochschulsystem, in: Cai/Lackner (Hrsg.), Jahrbuch Angewandte Hochschulbildung 2016, 2019, S. 161.
Ordnung der Wissenschaft 2021, ISSN 2197–9197
2 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 1 9 — 3 2
- Hier und im Folgenden sind stets Frauen und Männer gemeint,
auch wenn im Interesse der besseren Lesbarkeit die männliche
Form gewählt ist.
9 Vgl. Meurer, Zugang von FH-/HAW-Absolventinnen und ‑Absolventen
zur Promotion, kooperative Promotion und Promotionsrecht,
2018, S. 52 ff. Hochschulrektorenkonferenz, Handhabung
der Kooperativen Promotion — Empfehlung der 18. Mitgliederversammlung
(2015), abrufbar unter https://www.hrk.de/fileadmin/_
migrated/content_uploads/Empfehlung_Handhabung_
der_Kooperativen_Promotion_12052015_01.pdf [12.6.2020], Ziffer
II; Waldeyer, Die Professoren der Fachhochschulen als Träger des
Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit, NVwZ Heft 20 2010, S.
1280; Waldeyer, Die Professoren der Fachhochschule als Träger
des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit. Die Neue Hochschule
Heft 1 2008, S. 13; Detmer, Das Recht der (Universitäts-)Professoren,
in: M. Hartmer/Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht — ein
Handbuch für die Praxis, 3. Aufl. 2016, Rn. 66; zum Zusammenhang
mit § 1–2 des HRG: Pautsch (Fn. 3), S. 179; zur Historie: von
Grünberg/Sonntag (Fn. 1), S. 159 ff.; Schreiterer (Fn. 1), S. 23 ff.;
Braun (Fn. 1), S. 144 ff.
10 BVerfGE 126, 1, 46 ff.; Waldeyer 2010 (Fn. 9), S. 1282.
11 BVerfGE 126, 1, 20.
12 Fröhlich/Kortmann, Auf der Suche nach einer zielführenden
Lösung, in: DUZ Wissenschaft & Management, Heft 6 2019, S. 22;
Lackner (Fn. 1), S. 154; Pautsch/Dillenburger (Fn. 1), S. 38.
13 Niederdrenk, Zur Rolle der Fachhochschulen im deutschen Hochschulsystem,
in: Baden-Württemberg Stiftung (Hrsg.), Gleichartig - aber anderswertig? Zur künftigen Rolle der (Fach-)Hochschulen
im deutschen Hochschulsystem, 2013; S. 22; vgl. Waldeyer 2010
(Fn. 9), S. 1281.
14 Schreiterer (Fn. 1), S. 28.
15 Hartmer, Das Recht des wissenschaftlichen Nachwuchses, in: M.
Hartmer/Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht — ein Handbuch für die
Praxis, 3. Aufl. 2016, Rn. 10, mit Verweis auf den entsprechenden
KMK-Beschluss; vgl. Ziegele/Rössler/Mordhorst (Fn. 8), S. 160;
Lackner (Fn. 1), S. 137; Pautsch/Dillenburger (Fn. 1), S. 38.
16 Speiser, Grenzen des Marktes in der Wissenschaft, in Merten/
Knoll (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsmarketing, 2019, S. 69 ff.
17 Wissenschaftsrat (Fn. 8), S. 24 f.; Schreiterer (Fn. 1), S. 27 f.; von
Coelln, Den Doktor nicht mit dem Bade ausschütten (21.3.2019),
abrufbar unter https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/
den-doktor-nicht-mit-dem-bade-ausschuetten-promotion-anfachhochschulen-
16099100.html?printPagedArticle=true#pageIn
dex_2 [12.8.2020].
18 von Coelln (Fn. 17); Lackner (Fn. 1), S. 150.
19 Deutscher Hochschulverband, Zum Promotionsrecht der Fachhochschulen
(Resolution des 64. DHV-Tages v. 25.3.2014), 2014,
S. 3.
und praxisbezogenen Ausbildung bis heute im Mittelpunkt.
Dies spiegelt sich in der Lehrverpflichtung der
Fachhochschulprofessoren*, die mit 18 Semesterwochenstunden
i.d.R. doppelt so hoch ausfällt wie die der
Universitätsprofessoren. Überdies wird die Lehre stärker
professoral getragen, die Curricularnormwerte liegen
höher und die Lerngruppen sind kleiner. Ausweislich
der insoweit übereinstimmenden Landeshochschulgesetze
gehört heute auch die Forschung zu den Regelaufgaben,
zumeist in Form der anwendungsbezogenen
Forschung.9 Forschungstätigkeit gehört heute zu
den Dienstaufgaben von Fachhochschulprofessoren.
Auf individueller und institutioneller Ebene ist damit
auch an Fachhochschulen die Einheit von Forschung
und Lehre gegeben, wenn auch in anderer Ausprägung
als an Universitäten.10 Im Ergebnis haben sich in den
Landeshochschulgesetzen und im Hochschulrahmenrecht
des Bundes die Aufgaben der Hochschultypen
angeglichen.11
In der Praxis ist der traditionell niedrige Stellenwert
der Fachhochschulforschung deshalb gestiegen, i.d.R.
mit Fokus auf anwendungsbezogener Forschung.12 Allerdings
verschwimmt die Grenze zur universitären
Grundlagenforschung zunehmend, in einigen Forschungsbereichen
(z.B. der künstlichen Intelligenz) ist
sie nicht einmal konzeptionell haltbar. Damit wird eine
weitere Demarkationslinie zwischen den Hochschultypen
löchrig.13 In dieser Entwicklung mag man den ursprünglich
für Großbritannien beschriebenen academic
drift erkennen, nach dem sich neue Hochschultypen am
Goldstandard der Forschungsuniversität ausrichten.
Der vermeintliche „Sog nach oben“, nach dem die Fachhochschulen
nach „einer materiellen und statusmäßigen
Gleichstellung mit den Universitäten“14 streben, ist
immer wieder kritisch kommentiert worden, nicht zuletzt
von Fachhochschulvertretern. Signum dieser Entwicklung
ist die Namensänderung vieler „Fachhochschulen“
in „Hochschulen für angewandte Wissenschaften“
bzw. „Universities of Applied Sciences“, die in den
Hochschulgesetzen der meisten Länder ermöglicht oder
vollzogen wurde.15 Der neue Begriff ist nicht nur Umetikettierung,
sondern gleichermaßen Ausdruck und
Vollzug einer substantiell veränderten Vorstellung des
Bezeichneten selbst.
Ihre stärkere Forschungsorientierung hat dazu geführt,
dass Fachhochschulen zunehmend in den entsprechenden
Drittmittel‑, Publikations- und Personalmärkten
agieren.16 Ihre Befähigung, in ihrer heutigen
Konfiguration dort zu reüssieren, wird allerdings immer
wieder bezweifelt. Zu den benannten Problemen zählen
die schwierige Rekrutierung von Professoren, der fehlende
Mittelbau, die oft untermaßig vorhandene (für
Drittmittelanträge aber entscheidende) wissenschaftsakzessorische
Struktur, die gering ausgeprägte Forschungskultur,
der fehlende Auftrag zur Nachwuchsqualifikation
und die unzureichende Grundfinanzierung.
17 Auch die Spannung zwischen professoraler Forschungsaufgabe
und Lehrverpflichtung ist vielfach
festgestellt worden.18 Diese Defizite, gepaart mit dem
politisch forcierten Einbezug der Fachhochschulen in
den wettbewerblich organisierten Forschungsraum, haben
Forderungen nach einer Angleichung der Startbedingungen
verstärkt.19
Speiser · Das Promotionsrecht für Fachhochschulen 2 1
20 BVerfGE 126, 1, 23; Waldeyer 2010 (Fn. 9), S. 1282 f.; Pautsch/Dillenburger
(Fn. 1), S. 83 ff.; von Coelln (Fn. 17); Meurer (Fn. 9), S.
6.
21 von Grünberg/Sonntag (Fn. 1), S. 161; Wissenschaftsrat 2010
(Fn. 1), S. 20; Schreiterer (Fn. 1), S. 20.
22 Wissenschaftsrat 2010 (Fn. 1), S. 18, auch mit Verweis auf neue
institutionelle Hochschulformen; Wissenschaftsrat 2002 (Fn. 1),
S. 7; Niederdrenk (Fn. 13), S. 12; Ziegele/Roessler/Mordhorst (Fn.
8), S. 161.
23 Wissenschaftsrat 2010 (Fn. 1), S. 26; Niederdrenk (Fn. 13), S. 14;
24 Vgl. die Darstellungen in Wissenschaftsrat 2010 (Fn. 1), S. 29 ff.;
Ziegele/Roessler/Mordhorst (Fn. 8), S. 162 ff.; Lackner (Fn. 1), S.
150 ff.; von Coelln (Fn. 17).
25 Ziegele/Roessler/Mordhorst (Fn. 8), S. 161.
26 Schreiterer (Fn. 1), S. 26.
27 Vgl. den Überblick in Meurer (Fn. 9), S. 23 ff.
28 von Coelln (Fn. 17); Hartmer (Fn. 15), Rn. 10/14; Deutscher Hochschulverband
(Fn. 19), S. 1.
Ein weiterer, wirkmächtiger Entdifferenzierungsfaktor
zwischen Universität und Fachhochschule war die
Bologna-Reform.20 Mit dem gestuften Studiensystem
wurde die bis dato gerade nicht gegebene Gleichwertigkeit
der Abschlüsse hergestellt. Damit glich sich auch die
Studienstruktur an, etwa mit Blick auf Regelstudienzeiten
und neuen (mitunter forschungsorientierten) Masterstudiengängen
an Fachhochschulen. Das Bolognaziel
der berufsbefähigenden Studiengänge kam den Fachhochschulen
entgegen, führte auf Seiten der Universitäten
zu einer Verberuflichung der Hochschulbildung und
sorgte so für weiteren Konvergenzdruck.21
Gegenläufig zu den skizzierten Konvergenzen zeigt
sich im gesamten Hochschulsektor eine einrichtungsbezogene
Differenzierung. Die Hochschulen unterscheiden
sich immer weniger voneinander, nicht weil sie einem
Einrichtungstyp zugehören, sondern weil sie ein je
eigenes institutionelles Profil entwickeln.22 Dies folgt
zum einen aus der wissenschaftsinternen Wettbewerbsorientierung,
in der eine klare und möglichst nachgefragte
Positionierung die größten Erfolgschancen zu haben
scheint. Zum anderen können einzelne Akteure die
zunehmend pluralen gesellschaftlichen und politischen
Ansprüche, die an sie gerichtet werden, nicht mehr alle
erfüllen. Zu den profilbildenden Merkmalen gehören
fachspezifische Forschungsleistungen, Lehrkompetenz
für bestimmte Zielgruppen und Lehrformate, Kooperation
mit Wirtschaft und Gesellschaft, Transferkompetenzen,
internationale Netzwerke, regionale Verankerung
und die viel zitierte Third Mission. Diese Heterogenität
zeigt sich im Fachhochschulsektor besonders eindrücklich
an der starken Spreizung der eingeworbenen
Drittmittel.23 Die stärkere Forschungsorientierung der
Fachhochschulen bezieht sich deshalb nicht auf alle Einrichtungen
gleichermaßen, sondern auf den Sektor
insgesamt.
Insgesamt sinkt somit die typologische Stabilität im
Hochschulsystem. Zwar hat die Kategorisierung in Universität
und Fachhochschule Bestand, erlaubt aber immer
weniger treffsichere Aussagen über die zugehörigen
Institutionen. Dies hat Diskussionen darüber befeuert,
was Fachhochschulen gegenüber Universitäten auszeichnet
und auszeichnen sollte. Die weitgreifenden Debatten,
Empfehlungen und Szenarien sollen hier nicht
nachgezeichnet werden.24 Ebenso wenig soll hier beurteilt
werden, ob die Entwicklung schließlich zur Einebnung
der binären Hochschulstruktur führen wird – einem
System ohne „Status- und Rechtsunterschiede
mehr auf Ebene der Institutionen“25 oder einem „dritten
Weg…zwischen den beiden kanonischen Typen hochschulpolitischer
Orthodoxie“26.
Die Frage nach dem Promotionsrecht für Fachhochschulen
ergibt sich nahezu zwangsläufig aus dem „rutschenden
System“. Wenn Fachhochschulen gesetzlich
zur Forschung beauftragt sind, wenn Forschungstätigkeit
kein kategoriales Unterscheidungsmerkmal zwischen
Universitäten und Fachhochschulen mehr darstellt
und wenn die Promotion zentral für das Forschungsgeschehen
und die Qualifikation des wissenschaftlichen
Nachwuchses ist, dann muss die
institutionelle Verortung des Promotionsrechts in den
Blick geraten. Dies gilt umso mehr, als sowohl das Verfügen
als auch das Nicht-Verfügen über das Promotionsrecht
das Selbstverständnis und die Entwicklungsoptionen
der Fachhochschulen und damit auch des Wissenschaftssystems
als Ganzes prägen.
II. Drei Fragen zum Promotionsrecht
Zum Promotionsrecht für Fachhochschulen lassen sich
drei zentrale Fragen stellen. Erstens lässt sich fragen, ob
Fachhochschulen das Promotionsrecht erhalten sollten.
Diese viel diskutierte Frage ist wissenschaftspolitisch.
Ausgegangen wird meist von organisations- und wissenschaftsgeschichtlichen
Darstellungen, die dann in normative
Aussagen münden. Die vorgebrachten Argumente
werden nicht selten von Status‑, Positions- und Identitätsüberlegungen
unterlegt.27 Häufig wird ein
Systembezug hergestellt. Dazu gehören Argumente, die
das Promotionsrecht für Fachhochschulen mit einem
Promotionsrecht für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen
in Zusammenhang bringen.28
2 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 1 9 — 3 2
29 Pautsch (Fn. 3), S. 176/182; Epping, Zur schleichenden Angleichung
der Hochschultypen: Auch ein Promotionsrecht für
Fachhochschulen?, in Hanau/Leuze/Löwer/Schiedermair (Hrsg.),
Wissenschaftsrecht im Umbruch — Gedächtnisschrift für Hartmut
Krüger, 2001, S. 69; Hufen/Geis, Verfassungsrechtliche Fragen eines
Promotionsrechts für Fachhochschulen, in: Becker/Bull/Seewald
(Hrsg.), Festschrift für Werner Thieme zum 70. Geburtstag,
1993, S. 631.
30 Zum Verständnis der Wissenschaftsfreiheit als Jedermann-
Grundrecht: BVerfGE 15, 256 (263); 35, 79 (112); 47, 327 (367), 88,
129 (136)).
31 Hufen/Geis (Fn. 29), S. 631; Pautsch, Promotionsrecht für Fachhochschulen
nunmehr verfassungsgemäß? NVwZ Heft 11 2012,
S. 676.
32 Vgl. das Homogenitätsgebot: BVerfGE 35, 79 (Ls. 8.a)).
33 BVerfGE 61, 210, 237 ff.; 64, 323, 353 ff.
34 BVerfGE 126, 1.
35 BVerfGE 126, 1, 46.
36 BVerfGE 126, 1, 24; vgl. in diesem Punkt bereits BVerfGE 61, 210,
252; vgl. auch Waldeyer 2008 (Fn. 9), S. 13.
37 Zu den in den Landeshochschulgesetzen normierten Mindesteinstellungsvoraussetzungen
für Professoren im Allgemeinen sowie
für Fachhochschulprofessoren im Besonderen: Detmer (Fn. 9), S.
39 ff./66.
Zweitens lässt sich fragen, ob Fachhochschulen das
Promotionsrecht haben dürfen. Diese Überlegung ist
wissenschaftsrechtlicher Natur, weil sie – jenseits der
Wünschbarkeit eines solchen Szenarios – nach dessen
Zulässigkeit fragt. In Rede stehen dabei verfassungsrechtliche,
einfachgesetzliche und untergesetzliche Mindestanforderungen
an die Verleihung und Ausübung des
Promotionsrechts. Mit Blick auf eine oder mehrere dieser
Normen lässt sich prüfen, ob Fachhochschulen die
jeweiligen Bedingungen erfüllen. Auch diese Fragestellung
ist in den vergangenen Jahrzehnten intensiv diskutiert
worden. Wesentliche Aspekte dieses Debattenstrangs
werden im Folgenden nachgezeichnet.
Eine zentrale Rolle spielt die Anforderung, dass das
Promotionsrecht die Wissenschaftlichkeit der gradverleihenden
Institution voraussetzt.29 Dies lässt sich wie
folgt begründen: Notwendige Voraussetzung für das
Promotionsrecht ist die Grundrechtsträgerschaft nach
Art. 5 Abs. 3 GG. Diese wiederum steht in einer Äquivalenzbeziehung
zur Wissenschaftlichkeit des Grundrechtsträgers:
Alle und nur denjenigen, die im Sinne der
Norm wissenschaftlich tätig sind, kommt ihr Schutz zu.30
Genau dann wenn die Tätigkeit eines Rechtssubjekts in
die Bereiche Forschung und Lehre fällt, wird der Schutz
von Art. 5 Abs. 3 GG aktiviert. Die Norm ist blind gegenüber
weiteren persönlichen, institutionellen und typologischen
Charakteristika seiner Träger. Würde nichtwissenschaftlichen
Einrichtungen das Promotionsrecht zugesprochen,
wären sie ipso facto „wissenschaftliche“ Einrichtungen.
Dies wäre mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu
vereinbaren.31 In ihrer bekannteren Lesart verbietet die
Norm die sachlich nicht begründbare Ungleichbehandlung
von Rechtssubjekten, also Gleiches ungleich zu behandeln.
32 Zugleich untersagt Art. 3 Abs. 1 GG eine sachlich
nicht gerechtfertigte Gleichbehandlung von Personen,
also Ungleiches gleich zu behandeln. Dies wäre der
Fall, wenn nicht-wissenschaftlichen und wissenschaftlichen
Rechtssubjekten gleichermaßen die Grundrechtsträgerschaft
des Art. 5 Abs. 3 GG zukäme.
Die Hinweise, die das BVerfG zur Wissenschaftlichkeit
von Fachhochschulen gegeben hat, sind deshalb
auch für deren Promotionsrechtsfähigkeit bedeutsam
gewesen. In zwei frühen Urteilen 1982 und 1983 blieb das
Gericht in dieser Frage unentschieden.33 Die Urteile ließen
offen, ob die Tätigkeit von Fachhochschulen und damit
von Fachhochschullehrern als wissenschaftlich zu
qualifizieren sei. Mit dem Vorenthalten des Prädikats der
Wissenschaftlichkeit wurde weder die Grundrechtsträgerschaft
nach Art. 5 Abs. 3 GG festgestellt noch die notwendige
Bedingung für das Promotionsrecht erfüllt.
Seine agnostisch-reservierte Haltung gab das Gericht
knapp 30 Jahre später auf. 2010 legte es ein Urteil vor, das
den Fall eines Professors der Hochschule Wismar betraf
und zugleich bis heute maßgebliche Grundsatzüberlegungen
enthielt.34 Das Gericht verwies auf die gesetzlich
veranlasste Aufgabenannäherung der Hochschultypen.
Bisher sei die vornehmliche Aufgabe der Fachhochschulen
die Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit gewesen,
Forschung habe nur im Rahmen des Ausbildungsauftrags
stattgefunden. Nun weise „die Mehrheit der
Bundesländer in ihren Hochschulgesetzen den Fachhochschulen
[…] Forschung […] als Aufgabe, teilweise
sogar ohne funktionale Bindung an ihren Ausbildungsauftrag,
ausdrücklich [zu]“35. Dabei sei die an Fachhochschulen
durchgeführte anwendungsbezogene Forschung
als Forschung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG aufzufasSpeiser
· Das Promotionsrecht für Fachhochschulen 2 3
38 BVerfGE 126, 1, 21; Waldeyer 2010 (Fn. 9), S. 1280. Eine hier nicht
zu vertiefende Frage lautet, wie aktuell der Forschungsbezug
der Lehre im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG sein muss. Das BVerfG
macht geltend, dass wissenschaftliche Lehre nicht nur in der
Kommunikation eigener Forschungsergebnisse bestehen muss.
Möglich sei auch, die Forschung in einem Wissenschaftsgebiet
„permanent zu verfolgen, zu reflektieren, kritisch zu hinterfragen
und für [die] Lehre didaktisch und methodisch zu verarbeiten“
(BVerfGE 126, 1; 23; vgl. BVerfGE 35, 79, 112; vgl. auch Waldeyer
2008 (Fn. 9), S. 11; kritisch gegenüber der Weite dieses Lehrbegriffs:
Hartmer (Fn. 15), Rn. 11; von Coelln, Artikel 5, in: Friauf/
Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 2014
(44. Erg.-Lfg. XI/14), Rn. 42). Diese Bewertungskompetenz muss
zwar, so könnte man argumentieren, auf eigener Forschungstätigkeit
gründen. Diese kann aber in der Vergangenheit liegen, etwa
während der u.U. lange zurückliegenden Promotion. Folgte man
dem, wäre wissenschaftliche Lehre auch dann möglich, wenn der
Lehrende nicht mehr aktuell forscht (a.A. Kempen, Grundfragen
institutionellen Hochschulrechts, in: M. Hartmer/Detmer (Hrsg.),
Hochschulrecht — ein Handbuch für die Praxis, 3. Aufl. 2016, Rn.
88). Möglich wären damit auch reine wissenschaftliche Lehranstalten.
39 BVerfGE 126, 1, Ls. 1.
40 Vgl. BVerfGE 126, 1, 21 f.; Pautsch (Fn. 3), S. 184; Pautsch (Fn. 31),
S. 677; Waldeyer 2010 (Fn. 9), S. 1284.
41 Epping (Fn. 29), S. 66; Starck, Art. 5, in: Mangoldt/Klein/Starck
(Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, 6. Aufl. 2010, S. 365; Hartmer
(Fn. 15), Rn. 8; Pautsch (Fn. 31), S. 676.
42 Auch vor 1949 war der universitäre Status keine rechtliche
Voraussetzung für das Promotionsrecht. Davon zeugen die
Technischen Hochschulen, denen das Recht 1899 verliehen wurde
und die erst in den 1960er Jahren in Technische Universitäten
umbenannt wurden (Braun (Fn. 1), S. 15; Pautsch (Fn. 31), S. 674.).
43 Vgl. die Darstellung solcher Argumente in Braun (Fn. 1), S. 116 ff.
44 Vgl. die Einschätzungen von Epping (Fn. 29), S. 74 und Braun
(Fn. 1), S. 179 f., die sich allerdings auf die damalige Rechtslage
beziehen.
45 § 18 Abs. 1 HSG LSA; § 4 Abs. 3 Satz 3 HessHG; § 76 Abs. 2
LHG-BW; HG NW § 67b (2)-(4); § 54a HSG SH; zu den frühen
Regelungen in Sachsen-Anhalt und Bremen: Pautsch (Fn. 31), S.
675; Kluth, Verfassungsrechtliche Aspekte des Promotionsrechts,
in: Dörr/Fink/Hillgruber/Kempen/Murswiek (Hrsg.), Die Macht
des Geistes — Festschrift für Hartmut Schiedermair, 2001, S. 575 f.;
vgl. den Überblick in Meurer (Fn. 9), S. 19 ff.; zu den einschlägigen
Regelungen im vierten Hochschulrechtsänderungsgesetz in
Baden-Württemberg, s. Deutscher Hochschulverband – Landesverband
Baden-Württemberg, Stellungnahme zum Gesetzentwurf,
abrufbar unter https://www.hochschulverband.de/fileadmin/
redaktion/download/pdf/landesverband/BWUE/Stellungnahme_
4._HRAEG_24082020.pdf, S. 17/20f. [20.9.2020].
sen.36 Damit habe sich der dienstrechtliche Auftrag von
Fachhochschullehrern erweitert.37 Überdies sei die
Fachhochschullehre wissenschaftliche Lehre.38 Fachhochschulen
seien deshalb wissenschaftliche Hochschulen
und Fachhochschullehrer genuin wissenschaftlich
Tätige. Damit sei der Grund entfallen, ihnen den Schutz
des Art. 5 Abs. 3 GG zu versagen. Fachhochschullehrer,
„denen die eigenständige Vertretung eines wissenschaftlichen
Faches in Forschung und Lehre übertragen worden
ist, [können sich] auf die Freiheit von Wissenschaft,
Lehre und Forschung (Art. 5 Abs. 3 GG) berufen“39. Damit
stellte das Gericht implizit fest, dass die notwendige
Bedingung für die Verleihung des Promotionsrechts an
Fachhochschulen erfüllt ist. In der Folge wurde das verfassungsrechtliche
Argument für die Verwehrung dieses
Rechts unbrauchbar.40 Der bis dato häufig vorgebrachte
modus tollens kollabierte.
Aus dem Grundgesetz lassen sich keine weiteren spezifischen
Voraussetzungen ableiten, die Institutionen
mit Promotionsrecht erfüllen müssen. Ein verfassungsrechtlich
verankertes Promotionsmonopol für Universitäten
oder einen anderen Einrichtungstyp gibt es deshalb
nicht.41 Die Entwicklung dokumentiert das Fehlen
einer solchen institutionellen Verkopplung. Wiederholt
haben nicht-universitäre Hochschulen das Promotionsrecht
erhalten, etwa die Pädagogischen Hochschulen, die
Hochschule Kassel oder die Sporthochschule Köln.42
Weder begrifflich noch faktisch setzt das Promotionsrecht
den universitären Status voraus. Umgekehrt gilt
das nicht: Alle deutschen Universitäten haben das Promotionsrecht
– viele würden sagen: ´müssen haben´,
weil sie den Verlust dieses Merkmals mit dem Wesen der
Universität für unvereinbar halten.
In der Literatur werden weitere Voraussetzungen für
das Promotionsrecht genannt, die aus anderen Rechtsquellen
abgleitet werden. Dazu gehören das Gewohnheitsrecht
bzw. darauf aufsetzende, systematisierende
Überlegungen.43 Diese gewohnheitsrechtlichen Voraussetzungen
können aber nur so lange Geltung beanspruchen
wie (abweichendes) förmliches Recht gesetzt wird.
Zu nennen ist überdies das Hochschulrahmengesetz
(HRG), dem seit der Föderalismusreform 2006 aber nur
noch eingeschränkte Prägekraft zukommt. Die wenigen
im HRG heute noch enthaltenen Regelungen mit Bezug
zum Promotionsrecht (v.a. § 1–2) stehen dessen Verleihung
an Fachhochschulen jedenfalls nicht im Wege und
könnten überdies von den Ländern qua eigenem Legislativakt
überrollt werden.44
Aus Sicht eines Landesgesetzgebers gibt es seit der
BVerfGE 2010 deshalb keine grundlegenden rechtlichen
Hürden mehr, seinen Fachhochschulen das Promotionsrecht
zu verleihen oder die rechtliche Möglichkeit dafür
zu schaffen. Dies hat eine Reihe von Bundesländern auf
jeweils unterschiedliche Weise ins Werk gesetzt. Gegenwärtig
sind dies Sachsen-Anhalt, Hessen, Baden — Württemberg,
Nordrhein-Westfalen und Schleswig
-Holstein.45
Die Literatur hat sich bisher vor allem mit der skizzierten
Frage der Zulässigkeit des Promotionsrechts für
Fachhochschulen befasst. Die Frage, ob Fachhochschu2
4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 1 9 — 3 2
46 Nicht betrachtet wird hier das Argument, dass Fachhochschulen
als juristische Personen selbst Grundrechtsträger sind
(vgl. Art. 19 Abs. 3 GG) und deshalb über das Promotionsrecht
verfügen müssen. In einem solchen Argument dürfte das Verbot
der sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung nach
Art. 3 Abs. 1 GG hinsichtlich Universitäten und Fachhochschulen
eine Rolle spielen.
47 BVerfGE 35, 79, 112.
48 BVerfGE 35, 79, Ls. 1; vgl. 47, 327, 367.
49 BVerfGE 35, 79, 113; 90, 1, 12 f.; 126, 1, 18.
50 BVerfGE 35, 79, 112 f.; vgl. die Aufzählungen in Starck (Fn. 41),
Rn. 361 und Kempen (Fn. 38), Rn. 67.
51 von Coelln (Fn. 38), Rn. 52; Starck (Fn. 41), Rn. 361; Jarass, Art. 5,
in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik
Deutschland – Kommentar, 15. Aufl. 2018, Rn. 138; von der
Decken, Art. 5 — VIII. Freiheit von Wissenschaft, Forschung und
Lehre, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Grundgesetz
– Kommentar, 14. Aufl. 2017, Rn. 45.
52 Hufen, Wissenschaft zwischen Freiheit und Kontrolle, NVwZ
2017, S. 1265; Jarass (Fn. 51), Rn. 138.
53 Fröhlich/Kortmann (Fn. 12), S. 22.
len das Promotionsrecht erhalten müssen, fand hingegen
kaum Aufmerksamkeit. Dieser Frage soll im Folgenden
nachgegangen werden. Das Argument, das zu einer bejahenden
Antwort führt, lautet wie folgt:46
(1) Fachhochschullehrer sind Grundrechtsträger nach
Art. 5 Abs. 3 GG.
(2) Art. 5 Abs. 3 GG umfasst das Recht auf Promotionsbetreuung.
(3) Fachhochschullehrer haben das Recht auf Promotionsbetreuung.
(4) Fachhochschulen müssen das Promotionsrecht
haben.
Prämisse (1) wurde wie dargestellt vom BVerfG festgestellt.
Die folgende Diskussion widmet sich deshalb
dem verbleibenden Argument. Prämisse (2) und Schlussfolgerung
(3) werden in Abschnitt III. beleuchtet, Abschnitt
IV. widmet sich der Schlussfolgerung (4).
III. Recht auf Promotionsbetreuung
- Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG
Unter den Forschungsbegriff des Art. 5 Abs. 3 GG fallen
Tätigkeiten, die „nach Inhalt und Form als ernsthafter
planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit
anzusehen“ sind bzw. die „geistige Tätigkeit mit dem
Ziele, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer
Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen“47. Nach
einem Gedanken von Rudolf Smend von 1927 macht das
BVerfG überdies die „Eigengesetzlichkeit“ der Wissenschaft
geltend.48 Im Ergebnis wird eine prozessbezogene,
inklusive und abstrakte Definition von Forschung vorgelegt,
die sich bewusst nicht auf Forschungsformate, Forschungsgegenstände
oder wissenschaftstheoretische
Positionen festlegt.49 Ob sich ein Tätigkeitstypus unter
diesen Forschungsbegriff subsumieren lässt, muss deshalb
immer erst plausibilisiert werden. Ohne Mühe
gelingt dies bei der Wahl eines Forschungsgegenstands,
der Entwicklung einer Forschungsthese, der Wahl oder
Konzeption einer Methode, der Auswahl wissenschaftlicher
Mitarbeiter, der Durchführung des Vorhabens und
der Bewertung der Ergebnisse.50 Vorbereitende, begleitende
und unterstützende Tätigkeiten, die im Zusammenhang
mit dem Forschungsprozess stehen, sind ebenfalls
erfasst.51 Auch die Verbreitung der Forschungsergebnisse
ist geschützt, etwa die Wahl von Publikationsort
und ‑format.52
Beinhaltet Art. 5 Abs. 3 GG auch das Recht des
Grundrechtsträgers, Promotionsvorhaben zu betreuen?
Dafür sprechen zwei alternative Begründungen. Zum einen
hat sich die Forschung in vielen Disziplinen zu einer
Gemeinschaftsanstrengung entwickelt. Sie findet in arbeitsteiligen,
komplex organisierten und zunehmend interdisziplinären
Teams statt. Promovenden nehmen in
diesem unhintergehbaren Arbeitsmodus oft eine zentrale
Rolle ein. Ihre Projekte umfassen v.a. die Durchführung
von Teilprojekten (Messungen, Datenerhebung,
Datenauswertung, Literaturrecherche etc.) und die Ergebnisverarbeitung
(Texterstellung, Präsentationen, Publikationen
etc.). Die Projekte sind jeweils Teil der übergeordneten
Forschungsvorhaben und für deren Gelingen
notwendig. Aus der Perspektive des Hochschullehrers
ist die Bedingung der Möglichkeit, solche größeren
Forschungsvorhaben durchzuführen, die gezielte und
koordinierte Einbindung von Promovenden. Will er sein
Grundrecht auf Forschungsfreiheit auf diese Weise ausüben,
muss er deshalb Promotionsarbeiten vergeben
und betreuen können. Im Fall von Fachhochschulprofessoren
mag man die Situation als verschärft ansehen. Im
Gegensatz zu Universitätsprofessoren stehen ihnen
kaum Grundmittel und Mitarbeiter für die Forschung
zur Verfügung. Wollen sie ihren Forschungsauftrag erfüllen,
sind sie auf Drittmittel und auf drittmittelbeschäftigte
Promovierende angewiesen.53
Zum anderen lässt sich die Betreuung von Promotionsarbeiten
als Teil der Forschungstätigkeit ansehen,
nicht nur als deren notwendige Voraussetzung. Zur Promotionsbetreuung
gehört es, Kandidaten auszuwählen,
Themen für deren Dissertationen vorzuschlagen und zu
Speiser · Das Promotionsrecht für Fachhochschulen 2 5
54 Vgl. Hinweise in der Literatur, die aber i.d.R. nicht begründet
werden. Nach Hufen/Geis gehört das „Promotionsrecht zum
Kernbereich wissenschaftlicher Tätigkeit“ Hufen/Geis (Fn. 29),
S. 631; zitiert von Pautsch (Fn. 3), S. 182; vgl. Kluth (Fn. 45), S.
577/587. Hartmer konstatiert mit Blick auf die Forschungsfreiheit:
„Individuell können sich berufene Universitätsprofessoren auf
ihr Recht berufen, als Prüfer und „Betreuer“ an Promotionsverfahren
teilzunehmen.“ Und später: „[Dem]…Universitätslehrer steht
aus Art. 5 Abs. 3 GG…das Recht zu, Doktoranden anzunehmen,
zu betreuen und als Prüfer an Promotionsverfahren teilzunehmen“
(Hartmer (Fn. 15), Rn. 8/14). Kempen sieht „das Erstellen
von Gutachten, die Bewertung der Forschungsleistungen anderer
im Rahmen von Promotionen, Habilitationen und Berufungsverfahren“
als erfasst an (Kempen (Fn. 38), Rn. 67; vgl. Starck (Fn.
41), Rn. 361).
55 BVerfGE 35, 79, 112 ff.; 47, 327, 367.
56 Hartmer (Fn. 15), Rn. 17; Wissenschaftsrat (Fn. 8), S. 42.
57 Hartmer (Fn. 15), Rn. 22; zu den Pflichten des Doktorvaters,
s. 3.2.
58 BVerfGE 35, 79, Ls. 3.
59 BVerfGE 126, 1, 46; Waldeyer 2008 (Fn. 9), S. 9; Waldeyer 2010
(Fn. 9), S. 1282.
diskutieren, bei der Konzeption der Projekte zu beraten,
die Durchführung zu betreuen sowie die mündliche und
schriftliche Promotionsleistung zu bewerten. Diese Tätigkeiten
lassen sich unter den Forschungsbegriff des
BVerfG fassen. Sie sind Teil der organisierten Gemeinschaftsanstrengung,
methodisch und systematisch Erkenntnisse
zu gewinnen. Ob die Tätigkeiten zum Zentrum
oder zur Peripherie des Forschungsbegriffs zählen,
bleibt ohne Folgen. Wie dargestellt sind auch Tätigkeiten
erfasst, die den Forschungsprozess unterstützen oder
begleiten.
Das Recht auf Promotionsbetreuung fällt damit in
den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG.54 Die subjektivrechtliche
Dimension des Art. 5 Abs. 3 GG garantiert die
autonome Tätigkeit des Grundrechtsträgers im Schutzbereich.
55 Dem Staat und Dritten ist es untersagt, die Betreuung
von Promotionsarbeiten zu beeinflussen, zu behindern
oder zu untersagen. Zugleich steht es dem
Grundrechtsträger frei, sein Recht nicht auszuüben und
die Betreuung von Kandidaten mit sachlicher Begründung
abzulehnen.56 Ebenso kann er ein eingegangenes
Promotionsverhältnis wieder lösen, etwa wenn die Vertrauensbasis
zum Promovenden nicht mehr gegeben
ist.57
Da Art. 5 Abs. 3 GG auch eine wertentscheidende
Grundsatznorm darstellt, hat der an einer staatlichen
Einrichtung tätige Grundrechtsträger das „Recht auf solche
staatlichen Maßnahmen auch organisatorischer Art,
die zum Schutz seines grundrechtlich gesicherten Freiheitsraums
unerlässlich sind, weil sie ihm freie wissenschaftliche
Betätigung überhaupt erst ermöglichen“58.
Analog zu den aus der Norm erwachsenden Leistungsrechten
muss der Staat deshalb die Voraussetzungen herstellen,
unter denen das Recht auf Promotionsbetreuung
wahrgenommen werden kann. Er hat die organisatorischen,
administrativen und finanziellen Verhältnisse zu
schaffen, in denen der Grundrechtsträger die geschützten
Einzeltätigkeiten tatsächlich ausüben kann. Das
Recht darf für den Grundrechtsträger nicht im Formalen
verbleiben, es muss eine reale Handlungsoption sein. Zu
diesen Voraussetzungen gehört ein strukturell gesicherter
Zugang zu Promotionsverfahren. Dem Grundrechtsträger
muss die verfahrensrechtliche Möglichkeit offenstehen,
Promovenden in der gebotenen Weise autonom
betreuen zu können. Diese Möglichkeit ist unerlässlich,
will er sein Grundrecht ausüben. Wie zu sehen sein wird,
kann dieser Zugang nicht bedingungs- und kontextlos
verfügbar gemacht werden. Gleichwohl muss sich diese
Konditionalität auf das notwendige Mindestmaß beschränken.
Andernfalls wäre die Grundrechtsausübung
in problematischer Weise eingeschränkt. - Einschränkungen des Schutzbereichs
a) Dienstpflicht und Aufgabenprofil
Das Recht der Fachhochschullehrer auf Promotionsbetreuung
ist aus zwei wesentlichen Gründen begrenzt.
Die BVerfG-Entscheidung von 2010 enthielt den Hinweis,
dass die Wissenschaftlichkeit einer öffentlich getragenen
Einrichtung von einer legislativen Entscheidung
über ihren Aufgabenzuschnitt abhängt.59 Entscheidet
der Gesetzgeber, wissenschaftliche Einrichtungen zu
schaffen oder bestehenden Einrichtungen Aufgaben in
Forschung und Lehre zuzuweisen, genießen diese Einrichtungen
den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG. Im Fall der
Hochschulen ist die weitgehend freie Aufgabenzuweisung
durch den Landesgesetzgeber ausschlaggebend.
Dieses Prinzip reguliert nicht nur die institutionelle,
sondern auch die persönliche Grundrechtsträgerschaft.
Einschlägig sind die rechtlich verbindlichen Regelungen,
die im Rahmen einer Anstellung, der Dienstpflicht eines
Beamten oder einer selbständigen Tätigkeit getroffen
werden. Sie benennen insbesondere die dienstlich geschuldeten
Pflichten des Beschäftigten. Der Beschäftigte
geht die Rechtsbindung freiwillig ein, etwa in Form eines
Arbeitsvertrags. Regelmäßig korrespondieren die Aufgaben
des Beschäftigten mit denen seines Arbeitgebers.
Entsprechend sind die gesetzlichen Aufgaben einer
Hochschule für die daraufhin orientierten Aufgaben der
Beschäftigten relevant.
Im Kontext der dienstlich ausgeübten Wissenschaft
sorgt das Prinzip nicht nur dafür, dass eine Grundrechtsträgerschaft
vorliegt, sondern auch ob und inwiefern sie
2 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 1 9 — 3 2
60 Vgl. Jarass (Fn. 51), Rn. 140.
61 BVerwG in DVBl. 1986, 1109, meine Hervorhebung; vgl. Waldeyer
2008 (Fn. 9), S. 10 ff.
62 Kempen (Fn. 39), Rn. 96; vgl. BVerfGE 93, 85, 98.
63 Zur Reichweite und Begrenzung dieser Verpflichtung: BVerfGE
125, 1, 25; 126, 1, 26; Detmer (Fn. 9), Rn. 174; zur Änderungsmöglichkeit
der dienstlichen Aufgaben: Waldeyer 2010 (Fn. 9), S. 1283.
64 BVerfGE 126, 1, 56; Detmer (Fn. 9), Rn. 173.
65 BVerfGE 88, 129, 139; vgl. 139, 148, 191.
66 von Coelln (Fn. 38), Rn. 98.
67 Niederdrenk (Fn. 13), S. 22; Waldeyer 2008 (Fn. 9), S. 13; vgl. aber
die vereinzelt eingerichteten Forschungsprofessuren an Fachhochschulen,
etwa seit 2009 in Brandenburg.
68 Zu den Voraussetzungen und Spielarten des Promotionsrechts:
Braun (Fn. 1), S. 15 ff.; zur Geschichte: Kluth (Fn. 45), S. 571 f.
69 BVerfGE 61, 210, 245; 88, 129, 140.
70 Pautsch (Fn. 31), 674; Thieme (Fn. 1), Rn. 421; Meurer (Fn. 9), S. 8.
71 Kluth (Fn. 45), S. 573.
eingeschränkt ist. Beispielsweise besteht die Aufgabe einer
staatlichen Schule und damit die Dienstaufgabe ihrer
Lehrer in der Weitergabe gesicherten Wissens, nicht
in forschungsgeleiteter Lehre (vgl. Art. 7 Abs. 1 GG). Unternimmt
ein Lehrer diese Form der Lehre, erfüllt er seinen
Dienstauftrag nicht in der geschuldeten Weise. Obwohl
er also faktisch Wissenschaft betreiben mag, kann
er sich nicht auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen.60 In ähnlicher
Weise kann sich ein Universitätslektor, dessen Aufgabe
in der Vermittlung von Fremdsprachenkenntnissen besteht,
nicht auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen. Analoge Überlegungen
können zu wissenschaftlichen Mitarbeitern
und – jenseits der staatlichen getragenen Wissenschaft –
zu Unternehmensforschern angestellt werden. In diesen
Fällen schränken freiwillige Rechtsbindungen (i.d.R. in
Form von Arbeitsverträgen) die Grundrechtsträgerschaft
im dienstlichen Rahmen von vornherein ein. Solche
partiellen oder vollständigen Schutzbereichsbeschränkungen
sind Eingriffen in den Schutzbereich logisch
vorgängig und deshalb nicht mit diesen gleichzusetzen.
In der Praxis ist Art. 5 Abs. 3 GG deshalb kein
binäres Grundrecht, das man vollständig hat oder vollständig
nicht hat. Es liegt in Abschattungen vor, die von
der Rechtssituation des jeweiligen Grundrechtsträgers
abhängen. Die individuelle Konstellation eröffnet und
beschränkt zugleich den dienstlich verfügbaren Schutzbereich
des Art. 5 Abs. 3 GG. Geschützt ist nur die Wissenschaft,
die beauftragt wurde.
Diese Überlegungen treffen auch auf den Hochschullehrer
zu. Ihm können „Rechte aus Art. 5 III nur in dem
Umfang erwachsen, in dem er kraft Amtes lehrt und
forscht“61 Auch innerhalb seines Dienstauftrags akzeptiert
der Hochschullehrer freiwillig Verkürzungen seiner
Rechte. Die Lehrverpflichtung beschränkt seine negative
Lehrfreiheit.62 Hinzu tritt die Pflicht, Lehrveranstaltungen
in einem bestimmten, allerdings nicht beliebig weitem
Gebiet zu übernehmen.63 Überdies muss ein Hochschullehrer
sein Lehrangebot den Vorgaben der jeweiligen
Studien- und Prüfungsordnung anpassen.64
Die Zugehörigkeit zur Gruppe der Hochschullehrer
reicht zur Bestimmung des Schutzbereichs allerdings oft
nicht aus. Ausschlaggebend ist das individuelle, verbindlich
vereinbarte Aufgabenspektrum. Das BVerfG verwies
mehrfach auf unterschiedliche Zuständigkeiten und
Amtspflichten von Hochschullehrern, die nicht nur
nicht illegitim, sondern sogar geboten seien.65 Wird
etwa auf eine Lehrprofessur berufen, kann sich der Stelleninhaber
nicht umstandslos auf alle Rechte nach Art. 5
Abs. 3 GG berufen, die einem Forschung und Lehre gleichermaßen
vertretenden Hochschullehrer zustehen. Er
ist dienstlich zu eingeschränkter Forschungstätigkeit angewiesen.
Sein Portfolio an forschungsbezogenen Einzelrechten
ist deshalb regelmäßig eingeschränkt.
Auch die Rechteausstattung eines Fachhochschullehrers
hängt von den individuell vereinbarten Dienstaufgaben
und indirekt vom gesetzlich festgelegten Aufgabenportfolio
seiner Hochschule ab.66 Zu berücksichtigen
ist insbesondere die i.d.R. hohe Lehrverpflichtung und
der begrenzte Forschungsauftrag.67 Die Forschungsfreiheit
des Fachhochschullehrers und mithin sein Recht auf
Promotionsbetreuung sind deshalb regelmäßig eingeschränkt.
Er verfügt über dieses Recht nicht in gleichem
Umfang wie der Universitätsprofessor. In diesem begrenzten
Rahmen bleibt das Grundrecht allerdings ungeschmälert
erhalten. Die Beschränkung des Schutzbereichs
führt nicht zu dessen vollständigem Verlust.
b) Kontextualität von Promotionsverfahren
Der Staat verleiht den Hochschulen durch Rechtsakt das
Promotionsrecht, also die Befugnis zur Verleihung des
Doktorgrads.68 Die Zuständigkeit für die Verleihung
obliegt den Ländern, die diese in ihren Hochschulgesetzen
wahrnehmen.
Die Wahrnehmung des Promotionsrechts kommt
den Hochschulen zu. Die darauf anzuwendenden Regelungen
sind Gegenstand der akademischen Selbstverwaltung.
69 Entsprechend gestalten die Hochschulen und
ihre Fakultäten das Promotionsrecht mit satzungsrechtlichen
Regelungen wie den Promotionsordnungen aus
und führen Promotionsverfahren gemäß dieser Regelungen
durch.70 Fakultäten und Hochschullehrern
kommt die Rolle von Amtswaltern bzw. Organwaltern
zu, die das Promotionsverfahren durchführen.71
Unabhängig davon, ob Hochschule oder Fakultäten
eigentliche Träger des Promotionsrechts sind72, ist jeSpeiser
· Das Promotionsrecht für Fachhochschulen 2 7
72 Plädoyer für letztere: Kluth (Fn. 45), S. 577; ähnlich Hartmer
(Fn. 15), Rn. 14.
73 Hartmer (Fn. 15), Rn. 20; z.B. Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften
Speyer, Promotionsordnung vom 2.12.2014
(zuletzt geändert am 7.11.2016), abrufbar unter https://www.
uni-speyer.de/fileadmin/Universitaet/Rechtsgrundlagen/PromO071116.
pdf [15.7.2020], § 6.
74 Kluth (Fn. 45), S. 578; a.A. Hartmer der ein „öffentlich-rechtliches
Verhältnis sui generis“ annimmt: Hartmer (Fn. 15), Rn. 18. Darüber
hinaus besteht ab einem bestimmten Zeitpunkt im Promotionsverfahren,
der je nach Promotionsordnung unterschiedlich
definiert ist, ein Rechtsverhältnis zwischen Promovend und
Fakultät.
75 Hartmer (Fn. 15), Rn. 34; vgl. BerlHG, §30 ff.
76 BVerfGE 88, 129, 139 ff.; Hartmer (Fn. 15), Rn. 20; Epping (Fn. 29),
S. 76 ff.; z.B. BerlHG § 32; vgl. HRG § 15 Abs. 4.
77 BVerfGE 88, 129, 139.
78 BVerfGE 88, 129, 140; vgl. Epping (Fn. 29), S. 77 f.; Hartmer (Fn.
15), Rn. 11; Detmer (Fn. 9), Rn. 184.
79 BVerfGE 88, 129, 141. A.A. Epping und Hartmer, die eine förmlich
nachgewiesene wissenschaftliche Qualifikation auf Habilitationsniveau
(nicht aber zwingend die Habilitation selbst) für notwendig
halten: Epping (Fn. 29), S. 77 f.; Hartmer (Fn. 15), Rn. 11.
80 BVerfGE 88, 129, 141. Damit wies das Gericht zugleich eine Vorstellung
des aus Art. 5 Abs. 3 GG abzuleitenden Homogenitätsgebots
zurück, nach der eine Binnendifferenzierung innerhalb der
Hochschullehrergruppe nicht möglich sei (vgl. BVerfGE 54, 363,
387; 57, 70, 92 f.; 88, 129, 137). Vgl. den materiellen Hochschullehrbegriff
des Gerichts: BVerfGE 35, 79, 127; 61, 210, 248 f.; 88, 129,
137.
81 Hartmer (Fn. 15), Rn. 34.
denfalls klar, dass der Hochschullehrer es nicht ist. Mit
der Wahrnehmung seines Rechts auf Promotionsbetreuung
trägt er vielmehr wesentlich zur Wahrnehmung des
Promotionsrechts der Hochschule bzw. der Fakultät bei.
Umgekehrt kann sein individuelles Recht auch nur so realisiert
werden – also innerhalb des organisatorischen
und fachlichen Gefüges einer Institution. Die wechselseitige
Inanspruchnahme bedingt die Einbindung seines
individuellen Rechts in den Regelungsrahmen der Hochschule,
zu dem insbesondere die Promotionsordnung
zählt. Dort geregelt werden u.a. die Pflichten des Doktorvaters,
etwa die fachliche Betreuung und Förderung
des Promovenden und die Notwendigkeit, das Lösen einer
gegebenen Betreuungszusage ausreichend zu begründen.
73 Eine Verletzung dieser Pflichten kann eine
Amtspflichtverpflichtung darstellen. Zugrunde liegt die
Vorstellung, dass mit der Annahme eines Doktoranden
durch den Hochschullehrer ein „unvollkommen zweiseitiges
öffentlich-rechtliches vertragliches“74 Rechtsverhältnis
etabliert wird.
Für das Promotionsverfahren ist überdies das allgemeine
Prüfungsrecht anzuwenden.75 Dazu zählen die
Fairness der Prüfungsbedingungen sowie die Nachvollziehbarkeit
und Justiziabilität der Prüfungsergebnisse.
Hinzu kommt die Bedingung, dass eine Prüfungsleistung
nur von Personen bewertet werden darf, die mindestens
die durch die Prüfung festzustellende oder eine
gleichwertige Qualifikation besitzen.76 Ein Promotionsprüfer
muss deshalb promoviert sein. Fachhochschullehrer
erfüllen diese Bedingung regelmäßig, weil die
Promotion zu ihren Einstellungsvoraussetzungen zählt.
Aus einer Entscheidung des BVerfG von 1993 lässt sich
ein darüber hinaus gehendes Qualifikationserfordernis
für Promotionsprüfer ableiten. Das Gericht befand es als
zulässig, dass nach anwendungsorientiertem Profil eingestellte
Professoren der Gesamthochschule Duisburg
nach der einschlägigen Promotionsordnung „besondere
Forschungsleistungen“77 nachweisen müssen, um an
Promotionsverfahren teilnehmen zu können. Die Beurteilung
der Promotion setze „eine besondere wissenschaftliche
Befähigung voraus“78. Bei Professoren mit
universitärem Profil werde diese i.d.R. durch die Habilitation
nachgewiesen. Professoren mit anwendungsorientiertem
Profil könnten hingegen den Nachweis i.d.R.
so nicht erbringen, ein anderweitiger Nachweis sei deshalb
gerechtfertigt. Die besonderen Forschungsleistungen
müssten in Form und Umfang allerdings nicht formal
abgeprüft werden oder „habilitationsadäquat“79
sein. Über die Promotion hinausgehende Veröffentlichungen,
Patente und Informationen über aktuelle Forschungsaktivitäten
reichten hin. Dies stelle eine „von der
Sache her gerechtfertigte Differenzierung“80 zwischen
den Professorengruppen dar. Das BVerfG selbst verblieb
im Vagen, ob die Erfordernis der zusätzlichen Forschungsleistungen
notwendig oder nur zulässig ist. Aus
hiesiger Sicht lässt sich aus dem Argument des Gerichts
eine Notwendigkeit ableiten.
Diese und weitere prüfungsrechtliche Anforderungen
sind weitgehend in den Hochschulgesetzen und dem
einschlägigen Satzungsrecht niedergelegt. Zu berücksichtigen
ist überdies, dass die im Promotionsverfahren
getroffenen Entscheidungen Verwaltungsakte darstellen,
etwa die Zulassung und die Verleihung des Doktorgrads.
Anwendung finden deshalb auch die entsprechenden
verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen.81
Das dargestellte Regelungsgeflecht gestaltet und begrenzt
das individuelle Recht auf Promotionsbetreuung.
Der Hochschullehrer übt sein Recht innerhalb dieses
Rahmens aus, der in der universitären Praxis seit langem
etabliert und weitgehend unstrittig ist. Seine kontextuelle
Bedingtheit teilt das Recht auf Promotionsbetreuung
mit den aus Art. 5 Abs. 3 GG abzuleitenden organisationsrechtlichen
Teilhaberechten. Das BVerfG hat wiederholt
die „Einschätzungsprärogative“ des Gesetzgebers
2 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 1 9 — 3 2
82 BVerfGE 88, 203, 262; vgl. BVerfGE 35, 79, 116; 50, 290, 332; 139,
148, 181.
83 BVerfGE 28, 243, 260 f.; 30, 173, 193; 47, 327, 369; 67, 213, 228; 126,
1, 24.
84 Überdies könnte die hier nicht vertiefte Frage gestellt werden, ob
in diesem Szenario die Rechte angehender Promovenden besser
geschützt würden. Zur grundrechtsrelevanten Thematik der
Zulassung zur Promotion: Kluth (Fn. 45), S. 574 ff.; Thieme (Fn. 1),
Rn. 424; Hartmer (Fn. 15), Rn. 17; vgl. z.B. BerlHG § 35 (2)-(3).
85 Deutscher Hochschulverband (Fn. 19), S. 2.
86 BVerfGE 35, 79, 114.
hinsichtlich der Hochschulorganisation betont.82 Von
der Gestalt der Hochschulorganisation hängen aber die
konkreten Mitwirkungs- und Einflussmöglichkeiten des
Hochschullehrers ab. In analoger Weise hängt die individuelle
Ausprägung des Rechts auf Promotionsbetreuung
von den gesetzlichen und hochschulbinnenrechtlichen
Verfahrens- und Organisationsregeln ab. Hie wie dort ist
dies nicht als Eingriff in den Schutzbereich zu sehen,
sondern als notwendige Bestimmung des Schutzbereichs
nach Maßgabe des relevanten Kontextes.
Zwischenfazit
Das am Ende von Abschnitt II. vorgestellte Argument
hat sich bisher als stichhaltig erwiesen:
(1) Nach der BVerfG-Entscheidung von 2010 sind Fachhochschullehrer
regelmäßig zu Forschung und Lehre
im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG beauftragt. Sie sind
deshalb Träger der Wissenschaftsfreiheit.
(2) Die Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG
umfasst das Recht auf Promotionsbetreuung. Der
Grundrechtsträger hat das Recht, diese Tätigkeit frei
von Ingerenzen des Staates oder Dritter auszuüben.
Zugleich ist der Staat verpflichtet, die Voraussetzungen
für die individuelle Rechteausübung zu schaffen.
Dazu gehört ein strukturell gesicherter Zugang
der Grundrechtsträger zu Promotionsverfahren.
(3) Der Fachhochschullehrer verfügt über das Recht auf
Promotionsbetreuung. Er hat deshalb grundsätzlich
Anspruch auf Zugang zu Promotionsverfahren. Mit
Blick auf seinen regelmäßig beschränkten Forschungsauftrag
ist sein Recht auf Promotionsbetreuung
jedoch begrenzt.
Im folgenden Abschnitt wird die noch verbleibende
Schlussfolgerung (4) des Arguments diskutiert, nach der
Fachhochschulen das Promotionsrecht haben müssen.
IV. Promotionsrecht für Fachhochschulen?
Verfügt eine Fachhochschule nicht über das Promotionsrecht
und hat ein dort beschäftigter Fachhochschullehrer
keinen anderweitigen geregelten Zugang zu Promotionsverfahren,
liegt ein Eingriff in das Recht auf Promotionsbetreuung
vor.
Je nach landes- und satzungsrechtlichen Regelungen
mögen zwar noch Ausnahme- und Einzelfallregelungen
möglich sein, denen ein Fachhochschullehrer an promotionsberechtigten
Hochschulen nachsuchen kann. Diese
können jedoch seinen Anspruch auf einen strukturell
gesicherten Zugang zu Promotionsverfahren nicht
befriedigen.
Lässt sich der Eingriff rechtfertigen? Grundsätzlich
ist das denkbar. Art. 5 Abs. 3 GG gilt vorbehaltlos, aber
nicht absolut. Die damit verbundenen Rechte und Pflichten
können und müssen begrenzt werden, wenn andere
Rechtsgüter mit Verfassungsrang beeinträchtigt werden.
83 Zu beachten sind dabei die bekannten Kautelen,
insbesondere die Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit
des Eingriffs.
Welche Verfassungsgüter würden nun beeinträchtigt,
wenn alle Fachhochschulen über das Promotionsrecht
verfügten und damit ihren Hochschullehrern (in der gebotenen
begrenzten Weise, s. III. 2.) einen strukturellen
Zugang zu Promotionsverfahren eröffneten?84 Ohne
Zweifel würde dies die Statik des Wissenschaftssystems
erheblich verändern. Dagegen ließen sich gewichtige Argumente
vorbringen. Hingewiesen wurde – um nur eine
solche Überlegung zu nennen – auf die Gefahr einer
„Nivellierung“ und die daraus folgende Schwächung des
gesamten Systems.85 Um eine solche Konstellation sinnvoll
zu organisieren, wären überdies rechtliche Anpassungen
nötig. Insbesondere müsste auch den Fachhochschulen
die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses
als institutioneller Auftrag übertragen werden.
Solche Erwägungen sind allerdings wissenschafts- und
rechtspolitischer Natur. Hier in Rede stehen dagegen nur
Gefährdungen, die die Konstellation für andere Verfassungsgüter
mit sich brächte.
Das Risiko für die Funktionalität des Wissenschaftssystems
könnte nun auch als rechtlich erheblich aufgefasst
werden. Nach dieser Vorstellung verletzt es die aus
Art. 5 Abs. 3 GG abzuleitende staatliche Pflicht, für
funktionsfähige Wissenschaftseinrichtungen zu sorgen86.
Dieses Argument verfängt indes kaum. Zum eiSpeiser
· Das Promotionsrecht für Fachhochschulen 2 9
nen ist es spekulativ, ob aus dem Szenario eine rechtlich
nicht hinnehmbare Systemstörung folgte. Zum anderen
träte eine Störung, wenn überhaupt, zunächst dann auf,
wenn die gegenwärtigen Systembedingungen grosso
modo unverändert blieben, wenn also insbesondere
Fachhochschulen und Universitäten unveränderte Ausstattungen
und Aufgaben hätten. Ein solches Ceteris-
Paribus ist aber verfassungsrechtlich kontingent. Mutmaßlich
könnte der einfache Gesetzgeber Architektur
und Organisation des Wissenschaftssystems so gestalten,
dass dessen Funktionalität auch dann erhalten bliebe,
wenn Fachhochschulen das Promotionsrecht hätten.
Jedenfalls wäre der Nachweis zu erbringen, dass eine
solche Gestaltung gar nicht oder jedenfalls nicht zu vertretbaren
Funktionalitätseinbußen möglich ist. Die Erfolgschance
eines solchen Nachweises dürfte gering
sein.
Im Ergebnis ist zu bezweifeln, dass der Eingriff in
das Recht auf Promotionsbetreuung erforderlich ist.
Dem Staat stehen Handlungsoptionen zur Verfügung,
den gegen ihn gerichteten Anspruch des Fachhochschullehrers
auf Zugang zu Promotionsverfahren zu erfüllen,
ohne dabei andere Verfassungsgüter gefährden.
Die Wahrscheinlichkeit, dass das geschilderte Szenario
realisiert wird, ist offenkundig nahe null. In den
Blick zu nehmen sind deshalb auch Arrangements, die
Fachhochschullehrern Zugang zu Promotionsverfahren
eröffnen, ohne Fachhochschulen das Promotionsrecht
zu verleihen. Solche kooperativen Promotionsverfahren
haben inzwischen alle Bundesländer in jeweils spezifischer
Weise eingerichtet. Die Modelle variieren im Detail
erheblich87 und sollen hier nicht im Einzelnen diskutiert
werden. Stattdessen werden für die Beurteilung
zentrale Merkmale herangezogen, die die überwiegende
Mehrzahl der Modelle gemeinsam haben:88
– Es wird die rechtliche Möglichkeit eröffnet, Fachhochschullehrer
an der Betreuung und Prüfung von
Doktoranden zu beteiligen.89 Der Promovend setzt
sein Promotionsvorhaben vorwiegend an einer
Fachhochschule um.
– Das Promotionsverfahren wird an einer Universität
durchgeführt, die den Doktorgrad verleiht und
deren Promotionsordnung maßgeblich ist.
– Eine Kooperationsverpflichtung der Universitäten,
ihrer Gremien und Mitglieder gibt es nicht. Das
Verfahren setzt deshalb eine entsprechende Kooperationsbereitschaft
voraus.
Möchte ein Fachhochschullehrer an einem solchen Verfahren
teilnehmen, kann er auf eine Reihe von Problemen
stoßen. Zu nennen ist die schwierige Suche nach
einem universitären Kooperationspartner, die mit der
oft starken Auslastung von Universitätsprofessoren und
der mitunter schlechten Passung von Fachhochschulund
universitären Fächern zusammenhängt.90 Bemängelt
wird überdies die fehlende Kooperationsbereitschaft
von Universitäten.91 Hinzu kommen die z.T. nur
mögliche Beteiligung von Fachhochschullehrern als
Zweitbetreuer92 und die Tatsache, dass das Prüfungsverfahren
rechtlich in der Hand der Universitären liegt93.
Auch die Probleme, denen Promotionsanwärter mit
Fachhochschulabschluss bei ihrer Zulassung begegnen
können94, wirken auf den Fachhochschullehrer zurück.
Wohl mit diesen Problemen zusammenhängend, ist
es bisher nicht gelungen, kooperative Promotionsverfahren
in der Fläche zu etablieren.95 Trotz einer starken relativen
Zunahme und politischer Forcierung dieses Promotionsmodells
(etwa durch den Bund, Bayern, Baden-
Württemberg und Nordrhein-Westfalen) ist die kooperative
Promotion absolut betrachtet nach wie vor ein
87 Vgl. die Übersichten in Meurer (Fn. 9), S. 8 ff. / 39 ff.; Hochschulrektorenkonferenz,
Promotionen von Absolventinnen und
Absolventen von Fachhochschulen und HAW und Promotionen
in kooperativen Promotionsverfahren (1. 5 2019), abrufbar unter
https://www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02-Dokumente/02-
05-Forschung/HRK_1_2019_Kooperative_Promotion.pdf
[24.7.2020], S. 7 ff. Zu Baden-Württemberg: Fröhlich/Kortmann
(Fn. 12), S. 23 ff. Zu Hessen und Bayern: Weidner, Kein einfaches
Unterfangen, in: DUZ Wissenschaft & Management, Heft 6
2019, S. 12 ff. Zu Nordrhein-Westfalen: Schuchert, Kooperative
Promotion in NRW – am Wendepunkt, in: DUZ Wissenschaft &
Management, Heft 6 2019, S. 16 ff.; von Coelln (Fn. 17).
88 Vgl. Hartmer (Fn. 15), Rn. 11; Fröhlich/Kortmann (Fn. 12), S.
22; Schuchert (Fn. 87), S. 16. Nicht differenziert wird hier u.a.
zwischen kooperativen Individualpromotionen, die auf individuellen
Absprachen beruhen, und kooperativen Verfahren, die auf
Vereinbarungen oder Verträgen zwischen Institutionen beruhen
(vgl. Wissenschaftsrat (Fn. 8), S. 42 ff.). Zur letztgenannten
Kategorie gehören Kooptationen, Assoziierungen, Gastprofessuren,
Doppelberufungen, kooperative Promotionskollegs und
kooperative Promotionsprogramme.
89 Die Landeshochschulgesetze enthalten entweder selbst die
Möglichkeit der Beteiligung von Fachhochschullehrern (z.B.
BerlHG § 35 (4); vgl. die Übersicht in Meurer (Fn. 9), S. 39 ff.)
oder verpflichten die Universitäten, eine solche Möglichkeit in
ihren Promotionsordnungen vorzusehen (z.B. Art. 64 Abs. 1 Satz
4 BayHschG). Alternativ ist in den Gesetzen die i.d.R. nicht näher
ausgeführte Verpflichtung verankert, ein kooperatives Promotionsverfahren
vorzusehen (z.B. § 31 Abs. 5 BbgHG).
90 Wissenschaftsrat (Fn. 8), S. 42.
91 Wissenschaftsrat 2010 (Fn. 1), S. 87; Niederdrenk (Fn. 13), S. 24.
92 Hochschulrektorenkonferenz (Fn. 87), S. 20.
93 Schuchert (Fn. 87), S. 20 f.
94 Vgl. Meurer (Fn. 9), S. 6 ff.; Hochschulrektorenkonferenz (Fn. 87),
S. 9 ff.; vgl. Fn. 86.
95 Wissenschaftsrat 2010 (Fn. 1), S. 86 ff.; Fröhlich/Kortmann (Fn.
12), S. 28.
3 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 1 9 — 3 2
randständiges Phänomen. Von den zwischen 2015 und
2017 abgeschlossenen Promotionen wurden etwa
0,9 Prozent in kooperativen Verfahren absolviert.96
Hier von Interesse ist die Frage, ob die kooperative
Promotion im skizzierten Grundmodell dem Fachhochschullehrer
einen hinreichenden Zugang zu Promotionsverfahren
eröffnet. Kann der Staat damit seiner
Pflicht nachkommen, die Voraussetzungen für die Ausübung
des individuellen Rechts auf Promotionsbetreuung
zu schaffen?
Mit Blick auf diese Frage sind die geschilderten
Schwierigkeiten insoweit rechtserheblich als sich in ihnen
eine strukturelle Abhängigkeit des Fachhochschullehrers
von Gremien und Mitgliedern der Universitäten
manifestiert. Zwar führt die kontextuelle Einbindung
des Rechts auf Promotionsbetreuung in gewissem Rahmen
immer zu Abhängigkeiten des Grundrechtsträgers
(s. III. 2. b)). Diese bergen auch für den Universitätsprofessor
das Risiko, sein Recht im konkreten Fall nicht ausüben
zu können, etwa weil ein Promotionsprojekt im
Promotionsausschuss abgelehnt wird. Solche Fälle sind
in der Praxis allerdings selten. Vor allem aber kann der
Universitätsprofessor ein Promotionsverfahren initiieren,
ohne dafür substanziell auf die Mitwirkung Dritter
angewiesen zu sein. Sein in diesem Sinne autonomer Zugang
zu Promotionsverfahren ist in der Promotionsordnung
satzungsrechtlich gesichert.97 Faktisch liegt es wesentlich
bei ihm selbst, ob und in welchem Umfang er
sein Recht auf Promotionsbetreuung ausüben möchte.
Dieses Initiativrecht ist im Fall des Fachhochschullehrers
kupiert. Er ist von vornherein auf die freiwillige Kooperationsbereitschaft
eines Universitätsprofessors und/
oder universitärer Gremien angewiesen. Nur wenn diese
gegeben ist, kann das Verfahren beginnen, das die notwendige
Grundlage für die Ausübung seines Rechts darstellt
(und das die genannten „Standardrisiken“ birgt).
Der Fachhochschullehrer kann deshalb bei der Rechteausübung
aus Gründen scheitern, die nicht auf seiner
Qualifikation, der Qualität des Promotionsprojekts oder
Zulassungserfordernissen des Promovenden beruhen.
Vielmehr können Gründe vorliegen, die ihm nicht zugerechnet
werden können. Dazu zählt die nicht gegebene
Kooperationsbereitschaft fachlich geeigneter universitärer
Partner, die etwa von deren Zeit- und Ressourcenmangel
herrühren mag. Auch während der Durchführung
des Promotionsvorhabens und bei der Bewertung
der Prüfungsleistungen bleibt der Fachhochschullehrer
weit stärker von Dritten abhängig als der Universitätsprofessor,
etwa mit Blick auf die rechtliche Verortung des
Promotionsverfahrens an der kooperierenden
Universität.
Kann diese stärkere Abhängigkeit als jene zusätzliche
Schutzbereichsbeschränkung aufgefasst werden, die
dem Fachhochschullehrer mit Blick auf seinen i.d.R. begrenzten
Forschungsauftrag angemessen ist (s. III. 2. a))?
Die Anforderung an den Fachhochschullehrer, universitäre
Partner zu finden und für eine Kooperation zu gewinnen,
könnte als legitimer Abstrich an seinem Recht
auf Promotionsbetreuung interpretiert werden. Der
Fachhochschullehrer hätte diese Einschränkung zu akzeptieren,
weil er dienstlich nicht in gleichem Maße zur
Forschung beauftragt ist wie der Universitätsprofessor
und seine Forschungsfreiheit deshalb eingeschränkt ist.
Dieser Ansatz kann prinzipiell überzeugen, an der
konkreten Umsetzung bestehen jedoch Zweifel. Erinnert
sei daran, dass nach der BVerfG-Rechtsprechung an
der Grundrechtsträgerschaft des Fachhochschullehrers
nach Art. 5 Abs. 3 GG an sich keine Abstriche zu machen
sind (s. II.). Er kann sich uneingeschränkt auf die Wissenschaftsfreiheit
berufen, wenn und insoweit er sein
Fach eigenständig in Forschung und Lehre vertritt. Aus
den dargelegten Gründen ist seine Forschungsfreiheit
aber begrenzt, darunter das Recht auf Promotionsbetreuung.
Diese Konstellation – grundsätzlich vollumfängliche
Grundrechtsträgerschaft, partiell begrenzter
Schutzbereich – signalisiert, wie die erforderliche Be-
96 Hochschulrektorenkonferenz (Fn. 87), S. 17.
97 Vgl. etwa Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften
Speyer (Fn. 73).
Speiser · Das Promotionsrecht für Fachhochschulen 3 1
grenzung zu verstehen und auszulegen ist. Die zu begrenzenden
Rechte sollten nur in eingeschränktem Rahmen
zur Verfügung stehen, in diesem Rahmen jedoch
ohne Abstriche. Weniger einleuchtend ist ein Verständnis,
nach dem die betroffenen Teilrechte nur in jeweils
abgeschwächter Ausprägung zugemessen werden, gewissermaßen
als Rechte zweiter Klasse. Eine Umfangsminderung
der zu begrenzenden Rechte ist plausibler
als eine Intensitätsminderung.
Kooperative Promotionsverfahren geraten in Spannung
zu dieser Konzeption der adäquaten Schutzbereichsbegrenzung.
Sie messen dem Fachhochschullehrer
gerade keinen begrenzten, aber vollgültigen Autonomieraum
zu, sondern etablieren eine strukturelle Abhängigkeit
vor und während des Promotionsverfahrens.
Nach diesem Verständnis sind sie als Eingriff in das
Recht auf Promotionsbetreuung zu werten. Mit der Einrichtung
solcher Verfahren kommt der Landesgesetzgeber
nicht ausreichend seiner Pflicht nach, die Voraussetzungen
für die individuelle Rechteausübung zu
schaffen.
Die Rechtfertigung dieses Eingriffs fällt aus Gründen
schwer, die sich aus dem bisher Gesagten ergeben. Wenn
sich der Verleihung des Promotionsrechts an alle Fachhochschulen
keine zwingenden verfassungsrechtlichen
Gründe entgegenstellen, wird dies a fortiori für ein anders
gestaltetes kooperatives Promotionsverfahren gelten.
Es lassen sich institutionelle und organisatorische
Bedingungen schaffen, in denen der Fachhochschullehrer
in solchen Verfahren sein Recht auf Promotionsbetreuung
ausüben kann, ohne dass andere Verfassungsgüter
beeinträchtigt werden oder ein unvertretbares Risiko
einer solchen Beeinträchtigung in Kauf zu nehmen
wäre.
Grundsätzlich sind verschiedene Alternativmodelle
kooperativer Promotionsverfahren denkbar, die die genannten
Bedingungen erfüllen. Möglich wäre beispielsweise
ein landesgesetzlich oder satzungsrechtlich verankertes
Anrecht des Fachhochschullehrers auf Beteiligung
an universitären Promotionsverfahren, das einen
höheren Grad an Verbindlichkeit aufweist als heutige
Regelungen.98 Ein solches Kooperationsanrecht eröffnete
dem Fachhochschullehrer den erforderlichen strukturellen
Zugang zu Promotionsverfahren, zu dem das
skizzierte Initiativrecht gehört, sowie die nötige Unabhängigkeit
bei der Betreuung und der Bewertung seiner
Promovenden. Die einzufordernde Schutzbereichsbegrenzung
ließe sich ggf. realisieren, indem der Fachhochschullehrer
nicht im gleichen quantitativen Umfang
Zugang zu Promotionsverfahren hätte (z.B. hinsichtlich
der Zahl der betreuten Promovenden). Weitere
Überlegungen müssten zeigen, in welcher Form solche
Ansätze landesgesetzlich und satzungsrechtlich umzusetzen
wären.
Guido Speiser ist im Berliner Büro der Max-Planck-
Gesellschaft tätig. Der vorliegende Beitrag spiegelt seine
Meinung wider, nicht die der Max-Planck-Gesellschaft
98 Vgl. die vom Wissenschaftsrat geforderte „Kooperationspflicht“
der Universitäten (Wissenschaftsrat 2010 (Fn. 1), S. 88), die
allerdings nicht verfassungsrechtlich begründet wird, sowie die
Idee der „Kooperationsplattformen“ (Wissenschaftsrat 2010 (Fn.
1), S. 40); vgl. Wissenschaftsrat (Fn. 8), S. 16). Vgl. ebenso die
Forderung nach „diskriminierungsfreie[n] Regelungen […] für
die Betreuungsberechtigung für Fachhochschulprofessorinnen und
-professoren“ (Hochschulrektorenkonferenz (Fn. 9), Ziff. III 2.).
3 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 1 ) , 1 9 — 3 2