I. Einleitung
Die potentiellen Auswirkungen des Brexit auf Forschung, Wissenschaft und die akademische Ausbildung in der EU wurden bereits in OdW beleuchtet.1 Da die britische Regie- rung am 12. Juli 2018 – mehr als zwei Jahre nach dem Brexit- Referendum – ein Weißbuch mit dem Titel „The Future Relationship between the United Kingdom and the Euro- pean Union“ (im Folgenden: das Weißbuch) vorgestellt hat, tut allerdings eine Neubewertung der Situation Not. Hier- für sind zunächst allgemeine Erwägungen zu dem Weiß- buch anzustellen (II). Sodann werden die von der briti- schen Regierung unterbreiteten Vorschläge mit Relevanz für die Themenbereiche Forschung, Wissenschaft sowie akademische Ausbildung präsentiert und analysiert (III.). Ein Fazit rundet den Bericht ab (IV.).
II. Allgemeines zum Weißbuch der britischen Regie- rung
Das Weißbuch der britischen Regierung gehört zu der Kategorie der sogenannten Buntbücher. Hierbei handelt es sich um amtliche Veröffentlichungen einer Regierung zur auswärtigen Politik, die unregelmäßig, meist aus besonde- rem politischen Anlass, herausgegeben werden.2 Das Weiß- buch ist rechtlich unverbindlich und beinhaltet ein Bündel von Vorschlägen der britischen Regierung, das die bislang vagen Planungen für die Zeit nach Vollzug des Brexit kon- kretisiert und eine Diskussionsgrundlage für die Verhand- lungen mit den verbliebenen 27 Mitgliedstaaten der EU bil- det.3
Das Weißbuch besteht aus vier Kapiteln, die von ei- ner einleitenden „Executive Summary“ und einem ab- schließenden Fazit flankiert werden.4 Während sich die ersten beiden Kapitel dem zukünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zwischen UK und EU („Economic partner- ship“) sowie der Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen
- 1 Vgl. dazu Will, Der Brexit und die Forschung in der EU, OdW 2017, 211 (213 f.).
- 2 Vgl. Creifelds/Weber/Cassardt, Rechtswörterbuch, 22. Aufl. 2017, 274 f.
- 3 Vgl. in diesem Zusammenhang das Vorwort des Brexit-Ministers Dominic Raab in Weißbuch, S. 3, in dem es heißt: „The White Pa- per details our proposals (…), setting out a comprehensive vision for the future relationship.”
- 4 Eine Gesamtwürdigung findet sich bei Ferry/Röttgen/Sapir/ Tucker/Wolff, Europa sollte einen harten Brexit vermeiden,
(„Security partnership“) widmen, behandelt das dritte Kapitel („Cross-cutting and other cooperation“) sonstige Themenfelder, in denen Kooperationen – aus Sicht des UK – fruchtbar erscheinen. Das vierte Kapitel („Institu- tional arrangements“) thematisiert schließlich institutio- nelle Vereinbarungen, durch die die einzelnen Koopera- tionen zwischen UK und EU rechtssicher verwirklicht werden sollen.
III. Forschung, Wissenschaft und akademische Ausbildung
Für Forschung, Wissenschaft und akademische Ausbildung ist insbesondere das dritte Kapitel relevant. Schon die Zusammenfassung des Kapitels im Rahmen der einleiten- den „Executive Summary“ lässt erahnen, dass das UK auch nach dem Brexit ein signifikantes Interesse an Kooperatio- nen auf diesen Themenfeldern hat. So erklärt die britische Regierung, dass sie es für sinnvoll erachtet, „cooperative accords [kooperative Vereinbarungen] for science and in- novation, culture and education, development and interna- tional action, defence research and development, and space” zu etablieren.5
1. Forschung und Wissenschaft
Das bislang umfangreichste Forschungs- und Innovations- programm der EU ist das Rahmenprogramm Horizont 2020, in das Forschung und Wissenschaft im UK stark involviert sind.6 Die Regierung des UK zielt vor allem auf eine Partizipation an diesem Programm, wenn sie eine Kooperation auf den Gebieten „science and innovation“ vorschlägt.7 Darüber hinaus strebt sie eine Zusammenar- beit im Rahmen des Euratom Research and Training Pro- gramme sowie der Projekte Joint European Torus und Inter- national Thermonuclear Experimental Reactor an.8 Schließ- lich ist das UK daran interessiert, an Projekten der EU-Verteidigungsforschung teilzuhaben.9
FAZ v. 24.7.2018.
5 Weißbuch, S. 10.
6 Will, Der Brexit und die Forschung in der EU, OdW 2017, 211
(211 f.); ausführlich zu diesem Programm Bekker, Horizont 2020 – Das Rahmenprogramm der Europäischen Union für Forschung und Innovation, OdW 2014, 97 (97 ff.).
7 Weißbuch, S. 78. 8 Weißbuch, S. 78. 9 Weißbuch, S. 80 f.
Evelina Will
Der Brexit und die Forschung in der EU –
Ein Update anlässlich des Weißbuchs der britischen Regierung vom 12. Juli 2018
Ordnung der Wissenschaft 2018, ISSN 2197–9197
306 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2018), 305–306
Das Programm Horizont 2020 ist grundsätzlich für Staaten außerhalb der EU zugänglich, wobei zwischen zwei Kategorien – assoziierten Staaten und Drittstaaten – unterschieden wird.10 Das UK favorisiert den Status ei- nes assoziierten Staates, was den Zugang zu den Förder- töpfen von Horizont 2020 erleichtern würde, und weist in diesem Zusammenhang auf die Assoziierung von im- merhin 16 Staaten, die nicht der EU angehören, hin.11 Mit Blick auf die Forschungsprogramme zur Nuklear- energie verweist die britische Regierung auf ein Abkom- men mit der Schweiz, das eine wissenschaftliche und technische Kooperation mit Euratom ermöglicht.12
Die skizzierten Vorschläge im Weißbuch lassen insge- samt einen starken Willen des UK erkennen, die europäi- sche Forschung und Wissenschaft auch nach dem Brexit voranzutreiben. Die britische Regierung bringt ihre grund- sätzliche Wertschätzung für die bisherigen Arbeiten auf diesem Gebiet zum Ausdruck, wenn sie konstatiert: „Wor- king in partnership has increased the impact of our scienti- fic activity, leading to major breakthroughs, such as the de- velopment of an Ebola vaccine and the discovery of graphe- ne, the toughest material ever tested.“13
Die britischen Vorschläge werfen jedoch auch Fragen auf. Zwar erklärt sich UK bereit, „appropriate financial con- tributions“ für den Fall einer Kooperation in Angelegenhei- ten der Forschung und Wissenschaft zu leisten;14 Details ei- nes solchen Finanzierungsmodells werden indes nicht an- gekündigt. Schwerer wiegt jedoch die Frage nach der Mobi- lität der an grenzüberschreitenden Forschungsprojekten beteiligten Wissenschaftler. Der in Art. 179 AEUV veran- kerte europäische Raum der Forschung sieht die Freizügig- keit für Forscher vor. Nach Vollzug des Austritts besitzt die- se Vorschrift für UK keine Gültigkeit mehr. Da die Begren- zung der Freizügigkeit eines der zentralen Anliegen des Re- ferendumsentscheids war, verwundert die klare diesbezügliche Positionierung der britischen Regierung im Weißbuch nicht: „Free movement of people will end as the UK leaves the EU.“15 Wenngleich das UK Bereitschaft sig- nalisiert, diese strikte Linie für einzelne Personengruppen aufzuweichen, und die Freizügigkeit als „key element of (…) scientific cooperation“ identifiziert,16 ist damit zu rech- nen, dass es zukünftig schwerer wird, zu Forschungszwe- cken in das UK zu reisen.
- 10 Will, Der Brexit und die Forschung in der EU, OdW 2017, 211 (213 f.).
- 11 Weißbuch, S. 78.
- 12 Weißbuch, S. 78.
- 13 Weißbuch, S. 77 f.
- 14 Weißbuch, S. 77.
- 15 Weißbuch, S. 32.
- 16 Weißbuch, S. 33.
- 17 Beschluss des Rates vom 15. Juni 1987 über ein gemeinschaftli-ches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hoch-
2. Akademische Ausbildung
Im Bereich der grenzüberschreitenden akademischen Aus- bildung spielt das am 15. Juni 1987 durch Beschluss des Rates ins Leben gerufene Erasmus-Programm,17 das 2014 in Erasmus+ umbenannt und inhaltlich modifiziert wurde, eine tragende Rolle. Aus dem Weißbuch geht hervor, dass sich die britische Regierung der Bedeutung des Programms für die universitäre Ausbildung innerhalb Europas bewusst ist.18 So hebt sie hervor, dass „[t]he UK and the EU should continue to give young people and students the chance to benefit from each other’s world leading universities (…)“. Das Programm Erasmus+ kennt Programm- und Partner- länder, wobei die beiden Qualifizierungen grundsätzlich unabhängig von der EU-Mitgliedschaft sind.19 Das UK hät- te daher die Möglichkeit, weiterhin an diesem Programm zu partizipieren. Das Weißbuch spricht jedoch nur vage von einer Teilnahme an einem nicht näher beschriebenen Nachfolgeprogramm („successor scheme“).20
Es favorisiert offenbar ein „youth mobility scheme“, wie es bereits heute zwischen dem UK und Australien oder Kanada existiert und das die Freizügigkeit von Stu- dierenden gewährleistet.21
IV. Fazit
Die Bereitschaft des UK, bestehende Kooperationen in Wissenschaft, Forschung und akademischer Ausbildung fortzuführen, ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Das Weißbuch stellt insofern eine gelungene Grundlage für die Verhandlungen zwischen EU und UK dar. Allerdings bedarf es bis März 2019 zwingend einer Konkretisierung der noch offenen Fragen, insbesondere der Freizügigkeits- problematik.
Evelina Will ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle für Hochschulrecht und Hochschul- arbeitsrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sie dankt Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Löwisch herz- lich für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Be- richts.
schulstudenten (ERASMUS), 87/327/EWG; ausführlich zur Rolle des UK in dem Programm Will, Der Brexit und die Forschung in der EU, OdW 2017, 211 (212).
18 Weißbuch, S. 34, 79.
19 So gehören beispielsweise auch Norwegen und die Türkei zu den
Programmländern, vgl. Will, Der Brexit und die Forschung in der
EU, OdW 2017, 211 (212). 20 Weißbuch, S. 79.
21 Weißbuch, S. 34.