Die mannichfachen Formen der gegenwärtigen bestehenden Hochschulen lassen sich auf drei Grundtypen zurückführen: den englischen, den französichen und den deutschen Typus. Der englische Typus, wie ihn die beiden altehrwürdigen Universitäten Oxford und Cambridge darstellen, ist der älteste; in ihm ist die ursprüngliche Form der mittelalterlichen Universität am meisten erhalten, wie denn England überhaupt das konservativste, altes Herkommen am treuesten bewahrende Land in Europa ist. Von hier ist er nach Nordamerika übergegangen. Die Universität ist in diesen Ländern eine autonome Körperschaft; sie regiert sich selbst und unterhält sich aus eigenem, auf Stiftung beruhenden Vermögen; die Staatsregierung hat mit der regelmäßigen Verwaltung nichts zu thun. Die Lebensordnungen sind in den Grundzügen die der mittelalterlichen Universität, Lehrer und Scholaren wohnen in den colleges und halls in einer Art klösterlichen Gemeinschaft beisammen. Auch der Unterricht gleicht nach Inhalt und Form dem Unterricht der alten Universität und ihrer Hauptfakultät, der facultas artium. Sein Ziel ist wesentlich eine erweiterte und vertiefte allgemeine Bildung, wie sie für einen Gentleman sich schickt; die eigentlich wissenschaftliche Forschung liegt ebenso wie die fachwissenschaftliche Vorbildung für den praktischen Beruf ausserhalb der regelmäßigen Aufgabe. Unterrichtsgegenstände sind vor allem die allgemein bildenden Wissenschaften: Sprachen, Geschichte, Mathematik, Naturwissenschaften, Philosophie. Der französische Typus der Hochschule hat sich am weitesten von der alten Form entfernt. Die Revolution zog, wie über so viele andere historische Bildungen, so auch über die freilich längst altersschwachen Universitäten einen Strich, um für einen großen Neubau nach geometrischem Schema Raum zu gewinnen. Erst unter dem Kaisertum kam es zur Ausführung des Neubaus. An die Stelle der alten Universitäten traten isolierte staatliche Fachschulen für die einzelnen Berufe, die einer wissenschaftlichen Vorbildung bedürfen, vor allem Rechtsfakultäten und medizinische Schulen, neben denen die in zwei Hälften, faculté des lettres und des sciences, gespaltene philosophische Fakutät ein mehr als bescheidenes Dasein fristete. Die alte Zusammenfassung der Fakultäten zur Einheit der Universität wurde aufgegeben; selbst der Name der Universität wäre verschwunden, wenn er nicht mit veränderter Bedeutung in der université de France erhalten geblieben wäre: er bedeutet hier die grosse, das ganze Land umfassende einheitliche Verwaltungskörperschaft für das Unterrichtswesen, von der Elemtarschule bis zur fachwissenschaftlichen Hochschule. Die wissenschaftliche Forschung und die allgemeinwissenschaftliche Ausbildung gehören nicht eigentlich zu ihrer Aufgabe, jene ist Sache der Akademie, diese der Vorbereitungsschule. Erst die dritte Republik hat sich die Wiedervereinigung der Fakultäten zu Universitäten, die mit gewissen korporativen Rechten und Funktionen ausgestattet sind, sowie die Belebung der theoretischwissenschaftlichen Studien an ihnen nicht ohne Erfolg angelegen sein lassen. Der deutsche Typus steht, was die äussere Verfassung anlangt, in der Mitte zwischen dem englischen und dem französischen Typus. Er hat von der ursprünglichen Form mehr behalten als der französische, andererseits hat er den Forderungen der Neuzeit mehr nachgegeben als der englische. Die deutsche Universität ist, wie die französiche, Staatsanstalt, sie wird vom Staat errichtet und unterhalten und steht unter der Staatsverwaltung. Doch hat sie nicht unwichtige Stücke der alten korporativen Verfassung sich erhalten: sie besitzt ein gewisses Mass von Selbstverwaltung; sie wählt ihre Behörden, Rektor, Senat und Dekane selbst; sie übt endlich einen bedeutenden Einfluss auf die Besetzung der Lehrstühle aus. Fassst man das innere Wesen der Universität ins Auge, so tritt als ihr besonderer Charakter hervor, dass sie zugleich Werkstättte der wissenschaftlichen Forschung und Anstalt für den höchsten wissenschaftlichen Unterricht, und zwar sowohl für den allgemein-wissenschaftlichen als auch fach-wissenschaftlichen und beruflichen Unterricht ist. Wie die englischen Universitäten, bieten sie einen erweiterten und vertieften allgemeinwissenschaftlichen Unterricht. Wie die französichen faFriedrich Paulsen Die drei Grundtypen der Universitäten in historischer Perspektive1 1 Aus Friedrich Paulsen, Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium, 1902, S. 1ff. Ordnung der Wissenschaft 2018, ISSN 2197–9197 308 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2018), 307–308 cultés, bietet sie den fachwissenschaftlichen Unterricht für die gelehrten Berufe, nämlich des Geistlichen, des Richters und des höheren Verwaltungsbeamten, des Arztes und des Gymnasiallehrers. Sodann aber ist sie, was die englischen und französischen Hochschulen beide nicht sind, der vornehme Sitz der wissenschaftlichen Arbeit in Deutschland und zugleich die Pflanzschule der wissenschaftlichen Forschung. Nach deutscher Auffassung ist der Universitätsprofessor zugleich Lehrer und wissenschaftlicher Forscher, und zwar steht letzteres in erster Linie, so dass man eigentlich sagen muss: in Deutschland sind die wissenschafltichen Forscher zugleich die Lehrer der akademischen Jugend.