I. Einleitung
Am 1. März 2018 ist das Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wis- sensgesellschaft in Kraft getreten.1 Es enthält eine Reihe neuer oder jedenfalls modifizierter Schranken- bestimmungen, mit denen geregelt wird, welche Nut- zungshandlungen im Bereich Bildung und Wissenschaft gesetzlich gestattet sind, ohne dass es einer Zustimmung des Urhebers bedarf. Hierzu gehört auch die Schranken- regelung zugunsten des sogenannten Text und Data Minings. Dieser Begriff umschreibt einen mehrstufigen Prozess, bei dem große Text- und Datenmengen in digi- taler Form gesammelt, aufbereitet und automatisiert nach bestimmten Merkmalen durchsucht und ausgewer- tet werden.2 Technisch erfordert dies (nicht zwingend aber in der Regel) einen Vervielfältigungsvorgang und damit die Vornahme einer im Grundsatz ausschließlich dem Urheber zugewiesenen Handlung (§ 16 UrhG). Die Monopolisierung der für Zwecke des Text und Data Minings erforderlichen Nutzungshandlungen in der Hand des Urhebers erscheint aber aufgrund der erhebli- chen Bedeutung für Wissenschaft und Forschung nicht angemessen. Denn das Urheberrecht dient nicht allein dem Schutz des Urhebers, sondern soll einen angemes- senen Ausgleich u.a. zwischen den Interessen von Urhe- bern und der Allgemeinheit herbeiführen. § 60d UrhG soll zu diesem angemessenen Ausgleich führen.
Der hier vorliegende Beitrag stellt die Neuregelung im Anschluss an eine kurze Einführung in die techni- schen Vorgänge des Text und Data Minings und die Rechtslage vor Einführung des § 60d UrhG vor (II.), er- läutert seinen Anwendungsbereich sowie sein Verhältnis zu vertraglichen Regelungen (III.), identifiziert ungelös- te Fragen (IV.) und gibt einen Ausblick auf mögliche unionsrechtliche Lösungen (V.). Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse (VI.).
- 1 Vgl. hierzu eingehend: Berger, GRUR 2017, 953.
- 2 BT-Drs. 18/12329, S. 40.
- 3 Spindler, GRUR 2016, 1112, 1114; Ernst in Hoeren/Sieber/Holzna-gel, Hdb. MultimediaR, 46. EL 2017, Teil 7.1. Rn. 51; Loewenheim
in Schricker/Loewenheim, § 23 Rn. 7; Backhaus in Gounalakis, RechtshdB. Electronic Business, 2003, § 23 Rn. 23; Spindler, GRUR 2016, 1112, 1113 f.
II. Technischer Ablauf des Text und Data Minings
Das Ursprungsmaterial des Text- und Data Minings kann aus verschiedenen Quellen stammen, z.B. von aus Texten verschiedener Verlage. Z.T. wurde die Auswer- tung dieses Materials mittels Text- und Data Minings in der Vergangenheit von den Rechteinhabern am Ursprungsmaterial explizit verboten. Urheberrechtlich relevant sind v.a. die technisch vor und nach dem eigent- lichen Auswertungsvorgang erforderlichen Handlungen. Denn technisch erfordert das Text und Data Mining neben der urheberrechtlich relevanten Vervielfältigung des Ursprungsmaterials (sogenanntes Extrahieren: Schritt 1), die Überführung in ein maschinenlesbares Format (Schritt 2), die Analyse des Datenmaterials und ihre Anreicherung des Datenmaterials mit Meta-Infor- mationen (Schritt 3) sowie ggf. die anschließende Veröf- fentlichung des durch die Schritte 1 – 3 erstellten Korpus sowie eines Analysereports (Schritt 4).
Bislang war es zwar umstritten, ob das Text- und Data Mining einer Erlaubnis des Urhebers bedarf, denn die Analyse selbst als Kern des Text und Data Minings ist urheberrechtlich nicht relevant und auch die Überfüh- rung in ein maschinenlesbares Format sowie die Anrei- cherung mit Metadaten ist keine Bearbeitung i.S.d. 23 UrhG.3 Dies stellt § 23 S. 3 UrhG nun explizit klar.
Auch existieren durchaus Formen des Text und Data Minings, die ohne eine Vervielfältigungshandlung des Ursprungsmaterials auskommen. Die Regel ist dies aller- dings nicht. Werden urheberrechtlich oder leistungs- schutzrechtlich geschützte Texte (z.B. wissenschaftliche Publikationen) oder Datenbanken bzw. Datenbankwer- ke4 zu Zwecken des Text- und Data Minings vervielfäl- tigt, bedurfte es hierzu bislang der Erlaubnis des Urhe- bers. Zwar existierte bereits vor Einführung des § 60d UrhG eine Schrankenregelung für kurzzeitige Zwischen- speicherungen (§ 44a UrhG) ohne eigene wirtschaftliche
4 Das europäische Urheberrecht kennt sowohl einen Schutz schöp- ferischer Datenbanken gem. § 4 UrhG, als auch einen Leistungs- schutz nicht schöpferischer Datenbanken gem. § 87a UrhG.
Louisa Specht
Die neue Schrankenregelung für Text und Data Mi- ning und ihre Bedeutung für die Wissenschaft
Ordnung der Wissenschaft 2018, ISSN 2197–9197
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Bedeutung. Die Speicherung der Daten zu Zwecken des Text- und Data Minings erfolgt jedoch dauerhaft und dürfte darüber hinaus auch nicht unerhebliche eigene wirtschaftliche Bedeutung haben, was eine Anwendbar- keit des § 44a UrhG ausschließt.5 Die Schrankenrege- lung der Privatkopie, § 53 UrhG, ist ebenfalls im Kontext des Text und Data Minings untauglich, da sie allein na- türliche, nicht aber juristische Personen privilegiert. Das Zitatrecht, § 51 UrhG, kommt nicht in Betracht, da im Falle des Text- und Data Minings keine Auseinanderset- zung mit dem Werk stattfindet. Auch die Entnahme von wesentlichen Teilen geschützter Datenbanken bedurfte vor Einführung des § 60d UrhG der Erlaubnis des Urhe- bers des Analysematerials, ebenso wie eine wiederholte und systematische Entnahme unwesentlicher Teile einer Datenbank.
III. Die Neuregelung des § 60d UrhG
§ 60d UrhG erlaubt es nunmehr, zu Zwecken der auto- matisierten Auswertung einer Vielzahl von Werken die- se auch automatisiert und systematisch zu vervielfälti- gen, um daraus insbesondere durch Normalisierung, Strukturierung und Kategorisierung ein auszuwertendes Korpus zu erstellen, und das Korpus einem bestimmt abgegrenzten Kreis von Personen für die gemeinsame wissenschaftliche Forschung sowie einzelnen Dritten zur Überprüfung der Qualität wissenschaftlicher Forschung öffentlich zugänglich zu machen. Die Nutzung ist aller- dings auf nicht-kommerzielle Zwecke begrenzt. Für schöpferische Datenbankwerke gilt, dass eine Nutzung nach dieser Maßgabe zulässig nach Maßgabe des § 55a UrhG (übliche Benutzung) ist und für nicht-schöpferi- sche Datenbanken enthält § 60d Abs. 2 S. 2 UrhG die Vorgabe, dass jedenfalls die Nutzung unwesentlicher Teile im dargestellten Umfang nach Maßgabe von §§ 87b Abs. 1 S. 2, 87e UrhG zulässig ist.
Das Korpus und die Vervielfältigungen des Ur- sprungsmaterials sind nach Abschluss der Forschungs- arbeiten allerdings zu löschen, die öffentliche Zugäng- lichmachung ist zu beenden. Zulässig ist es allein, das Korpus und die Vervielfältigungen des Ursprungsmate- rials den im § 60e (Bibliotheken) und §60f (Archive, Museen und Bildungseinrichtungen) genannten Institu- tionen zur dauerhaften Aufbewahrung zu übermitteln. Unabhängig vom konkreten Forschungszweck ist eine
- 5 Spindler, GRUR 2016, 1113, 1115.
- 6 Raue, CR 2017, 656, 658.
- 7 BT-Drs. 18/12329, S. 41.
- 8 Raue, CR 2017, 656, 658.
- 9 BT-Drs. 18/12329, S. 41.
- 10 So zutreffend: Raue, CR 2017, 656, 659.
Speicherung nur nach Maßgabe des § 60c UrhG zuläs- sig.6 Nutzungshandlungen nach § 60d UrhG sind nach § 60h UrhG zu vergüten.
1. Erfasste Werkarten und Nutzungshandlungen
Die Neuregelung des § 60d UrhG gilt für alle Werkarten7 und umfasst im Wege des Erst-Recht-Schlusses auch die automatisierte Auswertung eines einzelnen Werkes, z.B. eines Werkes der Literatur.8 Das Merkmal „automati- siert“ bestimmt, dass die Inhalte nicht nur manuell ver- arbeitet werden dürfen.9 Die erlaubnisfreien Handlun- gen sind abschließend aufgezählt (Vervielfältigung des Ursprungsmaterials und öffentliche Zugänglichma- chung des Korpus). Auf die grundsätzlich nach § 63 Abs. 1 S. 1 UrhG erforderliche Quellenangebe wird man in richtlinienkonformer Auslegung verzichten können, weil sie unmöglich i.S.d. Art. 5 Abs. 3 lit. a InfoSoc-Richt- linie ist.10 Ein entgegenstehender Gesetzeswortlaut ist mit der Argumentation des EuGH in der Rechtssache Quelle11 (entgegenstehender Gesetzeswortlaut nicht maßgeblich, wenn der Gesetzgeber die europäische Richtlinie insgesamt richtlinienkonform umsetzen woll- te, denn hieraus ergibt sich eine planwidrige Unvollstän- digkeit des nationalen Gesetzes, die im Wege der teleolo- gischen Reduktion zu schließen ist) nicht maßgeblich.12 Auch die Digitalisierung dem Nutzer analog zugängli- cher Materialien ist von § 60d UrhG erfasst.13 Der Zugang zum betreffenden Werk wird allerdings voraus- gesetzt und kann über § 60d UrhG nicht etwa begehrt werden.14 Dieser Zugang des Nutzers muss rechtmäßig erfolgen, nicht aber ist es erheblich, ob das Werk mit oder ohne Zustimmung des Rechteinhabers zugänglich gemacht wurde. Es kommt also auf die Rechtmäßigkeit des Zugangs, nicht auf die Rechtmäßigkeit der Zugäng- lichmachung an.15 Technische Schutzmechanismen dür- fen vom Nutzer nicht umgangen werden, um seine Befugnisse nach § 60d UrhG auszuüben, der Nutzer kann allenfalls und im Rahmen online zugänglicher Inhalte durch § 95b Abs. 3 UrhG wesentlich begrenzt, vom Rechtsinhaber verlangen, dass dieser ihm Mittel zur Verfügung stellt, um seine Befugnisse nach § 60d UrhG auszuüben. Dieses Missverhältnis zwischen technischen Befugnissen des Rechteinhabers und den Schrankenbe- fugnissen des Nutzers (Vorrang technischer Schranken- bestimmungen) kann aufgrund der Vorgabe des Art. 6 InfoSoc-Richtlinie allein der europäische Gesetzgeber
11 EuGH NJW 2008, 1433, ECLI:EU:C:2008:231.
12 EuZW 2008, 310; vgl. auch: BGH NJW 2006, 3200 – Quelle AG;
BGH NJW 2009, 427 – Quelle II.
13 Raue, CR 2017, 656, 657.
14 BT-Drs. 18/12329, S. 41.
15 So zutreffend: Raue, CR 2017, 656, 658.
Specht · Neue Schrankenregelung für Text und Data Mining 2 8 7
korrigieren.
Die öffentliche Zugänglichmachung der Ergebnisse
für einen unbestimmten Personenkreis ist von § 60d UrhG explizit nicht erfasst. Ob es sich bei einer solchen öffentlichen Zugänglichmachung um eine urheberrecht- lich relevante Handlung handelt, hängt davon ab, ob das öffentlich zugänglich gemachte Material schutzfähige Bestandteile des analysierten Materials beinhalten. Wird der Korpus selbst veröffentlicht, wird dies der Fall sein, wird lediglich ein Analysereport veröffentlicht, sind die Einzelfallumstände entscheidend. Insbesondere bei Schriftwerken ist zu beachten, dass bereits die öffentliche Zugänglichmachung von elf Worten ausreichen kann, um eine Rechtsverletzung zu begründen.16
2. Reichweite der Zweckbestimmung
§ 60d UrhG wirft vor allem zwei Fragen auf: Erstens, wann wird das Text- und Data Mining zu einem kommer- ziellen Zweck vorgenommen, sodass § 60d UrhG nicht ein- greift und die für das Text und Data Mining erforderlichen Vervielfältigungshandlungen daher grundsätzlich der Zus- timmung des Urhebers bedürfen? Und zweitens, kann § 60d UrhG durch vertragliche Vereinbarung abbedungen werden?
§ 60d UrhG unterliegt den Vorgaben der InfoSoc- Richtlinie.17 Nach Art. 5 Abs. 1 lit. a InfoSoc-Richtlinie darf der nationale Gesetzgeber Schrankenbestimmun- gen allein für nicht-kommerzielle Zwecke der wissen- schaftlichen Forschung vorsehen. Das der InfoSoc- Richtlinie zugrundeliegende Verständnis wissenschaftli- cher Forschung einerseits sowie des nicht-kommerziel- len Zwecks andererseits ist bei unionsrechtskonformer Auslegung auch der nationalen Regelung immanent. Art. 13 GrCh definiert Forschung als jede methodische und systematische Tätigkeit mit dem Ziel, in nachprüf- barer Weise Erkenntnisse zu gewinnen. Die private For- schung ist dabei ebenso umfasst, wie die Forschung für Qualifikationstätigkeiten, z.B. Promotions- oder Semi- nararbeiten.18
Kommerziell ist eine Forschung nicht bereits dann, wenn die Forschungsinstitution von Privaten finanziert wird, auch privat finanzierte Drittmittelforschung kann daher einen nicht-kommerziellen Zweck verfolgen.19 Auch der Umstand, dass der Autor eine Vergütung für seine Tätigkeit erhält, begründet allein noch keinen
- 16 Urt. v. 16. 7. 2009 — C‑5/08, EuZW 2009, 655.
- 17 RL 2001/29/EG.
- 18 BeckOK Urheberrecht, Ahlberg/Götting-Hagemeier, 20. Edi-tion, Stand: 20.04.2018, § 60d Rn. 9; Raue, CR 2017, 656, 657m.w.Nachw.
- 19 ErwGr 42 InfoSoc-Richtlinie, BT-Drs. 18/12329, S. 39; Raue, CR2017, 656, 657.
- 20 Raue, CR 2017, 656, 657; BT-Drs. 18/12329, S. 39.
kommerziellen Zweck.20 Forschung, die ein Unterneh- men betreibt, um Waren oder Dienstleistungen zu ent- wickeln und diese dann zu vermarkten, dient allerdings kommerziellen Zwecken.21 Die Forschung selbst muss insofern nicht-gewinnorientiert erfolgen.22
3. Verhältnis zu vertraglichen Regelungen
Das Verhältnis von gesetzlichen Schrankenregelungen und Vertrag ist seit jeher umstritten. Erfasst das jeweili- ge Ausschließlichkeitsrecht in seinem Schutzbereich zunächst grundsätzlich auch den von der Schrankenbe- stimmung abgedeckten Bereich, so kann der Rechtsin- haber vorbehaltlich anderslautender gesetzlicher Rege- lungen im Grundsatz auch mit dinglicher Wirkung über diesen Bereich disponieren, die Schrankenregelungen also abbedingen und einschränken. Wird die Schran- kenregelung indes so verstanden, dass sie das Ausschließ- lichkeitsrecht beschränkt, ist dem Rechtsinhaber eine Dis- position über den Bereich der Schrankenregelung jeden- falls mit dinglicher Wirkung entzogen.23 Daran an schließt sich die Frage der Dispositionsbefugnis über den Vergü- tungsanspruch für erlaubnisfreie Nutzungen nach § 60h UrhG. Auch über ihn kann der Rechtsinhaber nur dispo- nieren, wenn der Bereich der Schrankenregelung vom Aus- schließlichkeitsrecht mitumfasst ist.
Art. 5 Abs. 2 und 3 InfoSoc-Richtlinie nennt für die Ausgestaltung des Verhältnisses von Schrankenbestim- mungen und Vertrag die Möglichkeit, die Schrankenbe- stimmungen als Ausnahme zum Ausschließlichkeits- recht auszugestalten, oder aber als Beschränkung.24 Der nationale Gesetzgeber kann also entscheiden, im materi- ellen Geltungsbereich einer Schrankenbestimmung jede Befugnis der Rechtsinhaber zur Genehmigung der Ver- vielfältigung ihrer Werke oder sonstigen Schutzgegen- stände auszuschließen. In diesem Fall bestimmt die Schrankenbestimmung die Reichweite des Ausschließ- lichkeitsrechts („Ausnahme“). Zweitens kann er regeln, dass die Befugnis der Rechtsinhaber, die jeweilige Nut- zungshandlung zu genehmigen, nicht völlig ausgeschlos- sen, sondern lediglich beschränkt ist. In diesem Fall muss der Gesetzgeber entscheiden, ob das Ausschließ- lichkeitsrecht dabei aufrecht erhalten bleibt oder durch die Schrankenregelung in seiner Reichweite begrenzt wird.25 Der deutsche Gesetzgeber wollte zunächst von letztbenanntemModellGebrauchmachen,hatsichdann
21 BT-Drs. 18/12329, S. 39.
22 BeckOK Urheberrecht, Ahlberg/Götting-Hagemeier, 20. Edition,
Stand: 20.04.2018, § 60d Rn. 8.
23 Dazu ausführlich: Specht, Diktat der Technik, im Erscheinen.
24 EuGH ECLI:EU:C:2003:294, GRUR 2013, 812 Tz. 37 ff. – Drucker
und Plotter II.
25 EuGH ECLI:EU:C:2003:294, GRUR 2013, 812 Tz. 37 ff. – Drucker
und Plotter II.
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aber unter teils massiver Kritik der Verlage dafür ent- schieden, das Ausschließlichkeitsrecht aufrecht zu erhal- ten und die Befugnisse des Rechtsinhabers lediglich zu beschränken.26 § 60g UrhG bestimmt dann zwar, dass sich der Rechtsinhaber auf Vereinbarungen, die erlaubte Nutzungen nach den §§ 60a bis 60f UrhG zum Nachteil der Nutzungsberechtigten beschränken oder untersa- gen, nicht berufen kann (dies allerdings allein für Ver- träge, die ab dem 01.03.2018 geschlossen wurden, § 137o UrhG). Der Unterschied zwischen dem zunächst vorge- sehenen und dem dann gewählten Modell liegt aber da- rin, dass die Vergütungsansprüche auch für solche Nut- zungen, die gesetzlich gestattet sind, der Höhe nach von den Vertragsparteien festgelegt und an den Vertrags- partner (und nicht an die Verwertungsgesellschaft) aus- geschüttet werden, sofern der Vertrag dies vorsieht.27
Ökonomisch betrachtet, ist die Grundausrichtung des gewählten Modells falsch. Bedenkt man, dass das Urheberrecht einen Interessenausgleich v.a. zwischen den Rechteinhabern und der Allgemeinheit vornimmt und insofern – auf ökonomischen Modellannahmen be- ruhend – exakt so zugeschnitten ist, dass es weder zu ei- ner Unter- noch einer Übernutzung des geschützten Werkes führt, geht jede Verschiebung im Sinne einer vertraglichen Erweiterung der Monopolstellung des Rechtsinhabers zulasten der Nachahmungsfreiheit und bedeutet daher einen ungerechtfertigten Wohlfahrtsver- lust.28 Vor diesem Hintergrund kann es allein überzei- gen, das Urheberrecht als Insel von Exklusivität in einem Meer von Freiheit zu erachten,29 die Schrankenregelun- gen als Rechtstechnik zur Bestimmung seines Inhalts und seiner Grenzen.30 Der Regelungsbereich der Schran- kenbestimmungen und damit auch der Vergütungsan- spruch für erlaubnisfreie Nutzungen muss insofern (bei Ermangelung einer explizit gegenteiligen gesetzlichen
- 26 Vgl. hierzu auch: De la Durantaye, GRUR 2017, 558, 563; Hoeren, IWRZ 2018, 120, 124.
- 27 De la Durantaye, GRUR 2017, 558, 563 ff.
- 28 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts,2005, S. 618.
- 29 Voorhoof, Freedom of Expression, Parody, Copyright andTrademarks, in: Ginsburg/Besek, Adjuncts and Alternatives to Copyright, Proceedings of the ALAI Congress 2001, 2002, S. 636, 639: „Copyright and trademark protections are the monopoly islands in the ocean of freedom.“; Geiger, GRUR Int. 2004, 815; 818 ff.; ders., GRUR Int. 2008, 459, 461; Geiger, Die Schranken des Urheberrechts im Lichte der Grundrechte Zur Rechtsnatur der Beschränkungen des Urheberrechts, in: Hilty/Peukert, Interessen- ausgleich im Urheberrecht, 2004, S. 143, 150; Dreier, GRUR Int. 2015, 648, 656; hierzu ausführlich: Specht, Diktat der Technik, im Erscheinen.
- 30 So auch: Dreier, GRUR Int. 2015, 648, 656; Geiger, GRUR Int. 2004, 815; 818 ff.; ders. GRUR Int. 2008, 459, 461; Geiger, Die Schranken des Urheberrechts im Lichte der Grundrechte , Zur Rechtsnatur der Beschränkungen des Urheberrechts, in: Hilty/
Regelung, die die Schrankenregelung abdingbar ausge- staltet) von vornherein vom Schutzbereich des Aus- schließlichkeitsrechts exkludiert sein.31 Dogmatisch wäre es freilich dennoch möglich, eine Schrankenrege- lung vergütungspflichtig auszugestalten und die Vergü- tung für diese eigentlich freigestellte Nutzung durch ent- sprechende gesetzliche Regelung zur Disposition der Vertragsparteien zu stellen. Der Effekt wäre derselbe, rechtstechnisch aber würde dies eine sehr viel sauberere Lösung bedeuten.
IV. Ungelöste Fragen und Ausblick auf unionsrechtli- che Lösungen
Wird die kommerzielle Forschung vom Anwendungsbe- reich des § 60d UrhG nicht erfasst, droht das Potential des Text- und Data Minings in diesem Bereich nicht abgerufen werden zu können.32 Die vorerst auf europäi- scher Ebene gescheiterte Richtlinie für den digitalen Binnenmarkt wollte daher zumindest auch solche Nut- zungen im Rahmen des Text- und Data Minings gestat- ten, die Forschungseinrichtungen in Partnerschaft mit der Privatwirtschaft vornehmen.33
Nicht unionsrechtlich erforderlich ist die Vergü- tungspflicht nach § 60h UrhG. Der vorerst gescheiterte Richtlinienvorschlag sah daher auch keine solche Vergü- tung vor.34 Die Handlungen des Text- und Data Minings sind einerseits zwar schwer aufzudecken, sie verursa- chen andererseits aber auch keine erhebliche Beein- trächtigung des Rechtsinhabers, weil sie den Zugang zum Werk bereits voraussetzen und diesen nicht erst konstituieren.35 Auf europäischer Ebene sollte daher ins- besondere auch weiterhin auf eine Vergütungsfreiheit hingewirkt werden.36
Peukert, Interessenausgleich im Urheberrecht, 2004, S. 143, 150; Hugenholtz, Fierce Creatures, Copyright Exemptions: Towards Extinction?, in: IFLA/Imprimatur, Rights, Limitations and Exceptions: Striking a Proper Balance, 1997, S. 4.; ders., Adapting Copyright to the Information Superhighway, in: Hugenholtz, The Future of Copyright in a Digital Environment, 1996, S. 81, 93.: „Copyright exemptions are not, necessarily, exemptions.“; vgl. hierzu ausführlich: Specht, Diktat der Technik, im Erscheinen.
31 Hierzu ausführlich: Specht, Diktat der Technik, im Erscheinen; Ausführlich hierzu ebenfalls: Stieper, Schranken des Urheber- rechts.
32 Schack, ZUM 2017, 802, 806; Spindler, GRUR 2016, 1112, 1118; Raue, GRUR 2017, 11, 15.
33 De la Durantaye, GRUR 2017, 558, 562.
34 De la Durantaye, GRUR 2017, 558, 562.
35 Raue, CR 2017, 656, 656; De la Durantaye, GRUR 2017, 558, 562;
De la Durantaye, Allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschran-
ke, 2014, 8; Schack, ZUM 2016, 266; ErwGr 13 EU DS-GVO.
36 ErwGr 13 EU DS-GVO; De la Durantaye, GRUR 2017, 558, 562;
Schack, ZUM 2016, 266; Spindler, GRUR 2016, 1112, 1119.
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Im Gegensatz zum Urheberrecht hält das Daten- schutzrecht für das Text- und Data Mining keine explizi- te Regelung vor. Kommt es zur Analyse personenbezoge- ner Daten mit den dargestellten Nutzungshandlungen (Vervielfältigung, öffentliche Zugänglichmachung etc.) richtet sich die Rechtmäßigkeit dieser Datenverarbei- tungsvorgänge vielmehr nach einer Interessenabwägung im Einzelfall, Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO. Die hierdurch entstehende Rechtsunsicherheit dürfte erheblich wie- gen.37 Die langfristige Aufbewahrung von Korpus und Vervielfältigungen des Ursprungsmaterials dürfte daten- schutzrechtlich nur schwerlich mit dem Grundsatz der Speicherbegrenzung vereinbar sein.
VI. Fazit
Die Schrankenbestimmung des Text- und Data Minings ist insgesamt eine begrüßenswerte Neuregelung für die wissenschaftliche Forschung, auf die sich zwar nur beru- fen kann, wer nicht-kommerzielle Zwecke verfolgt. In Anbetracht der Vorgaben der InfoSoc-Richtlinie38 kann
der nationale Gesetzgeber die kommerziellen Zwecke aber keiner erweiterten Schrankenregelung für das Text- und Data Mining zuführen.
Auch die Vergütungspflicht für das Text und Data Mining ist kritisch zu betrachten und die Ausgestaltung des § 60d UrhG als Beschränkung des und nicht als Aus- nahme vom Ausschließlichkeitsrecht ist ökonomisch und rechtstechnisch fraglich. Dies darf aber den Blick darauf nicht verstellen, dass § 60d UrhG in einem tech- nisch nicht leicht zu fassenden Umfeld in vielerlei Hin- sicht Rechtsklarheit mit sich bringt und inhaltlich einen durchaus angemessenen Interessenausgleich zwischen den beteiligten Akteuren herbeiführt. Das Datenschutz- recht sollte hier gleichziehen.
Die Verfasserin ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürger- liches Recht, Informations- und Datenrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Direktorin des Instituts für Handels- und Wirtschafts- recht.
37 Specht, GRUR Int. 2017, 1040, 1046.
38 RL 2001/29/EG.
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