I. Verschuldensvoraussetzung in den einschlägigen Regelwerken
- Kodex der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Am 1. 8. 2019 ist der neue Kodex „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Kraft getreten.1 Die Leitlinie 19 betrifft das Verfahren in Verdachtsfällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Danach erwartet die DFG von Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen, dass sie Verfahren zum Umgang mit wissenschaftlichen Fehlverhalten etablieren und auf Basis einer hinreichenden Rechtsgrundlage entsprechende Regelwerke erlassen. Die zu etablierenden Regelwerke sollen insbesondere Definitionen von Tatbeständen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, Verfahrensvorschriften und Maßnahmen bei Feststellung eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens umfassen.
In den Erläuterungen zur Leitlinie 19 stellt die DFG fest, dass nicht jeder Verstoß gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis ein wissenschaftliches Fehlverhalten darstellt. Als wissenschaftliches Fehlverhalten kommen danach „nur solche vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verstöße in Betracht, die in einem Regelwerk niedergelegt sind“. Als Tatbestände wissenschaftlichen Fehlverhaltens gälten insbesondere die Erfindung und Verfälschung von Daten und das Plagiat. Nach den Erläuterungen haben die Regelwerke verschiedene Maßnahmen aufzuzeigen, die in Abhängigkeit vom Schweregrad des nachgewiesenen wissenschaftlichen Fehlverhaltens anzuwenden sind.
Für sich selbst hat die DFG den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten in einer eigenen Verfahrensordnung geregelt.2 Die Ordnung beschreibt in einem ausführlichen Katalog3 die möglichen Fälle vorsätzlichen
und grob fahrlässigen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, regelt das Verfahren zur Feststellung von Verstößen und legt die Maßnahmen fest, welche der Hauptausschuss bei festgestelltem Fehlverhalten beschließt. Diese Maßnahmen reichen je nach Art und Schwere des Verstoßes von einer schriftlichen Rüge über den zeitweisen Ausschluss von der Antragsberechtigung und die Rücknahme von Förderentscheidungen bis hin zur Aufforderung, die inkriminierte Veröffentlichung zurückzuziehen oder falsche Daten zu berichtigen. Auch kann die Nichtinanspruchnahme als Gutachter, der Ausschluss aus Gremien der DFG und die Aberkennung des Wahlrechts für die Gremien der DFG beschlossen werden. - Ordnungen der Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen
a. Hochschulen
Auch die Hochschulen grenzen das wissenschaftliche Fehlverhalten auf vorsätzliches und grob fahrlässiges Verhalten ein. So bestimmt etwa § 9 der Grundsätze der Medizinischen Hochschule Hannover zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, dass wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt, wenn in einem wissenschaftlichen Zusammenhang die erforderliche Sorgfalt vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt wird, indem z.B. Falschangaben gemacht werden, geistiges Eigentum anderer verletzt oder die Forschungstätigkeit anderer beeinträchtigt wird.4 Dieselbe Formulierung verwenden auch § 4 der Richtlinien der Ludwig-Maximilians-Universität München zur Selbstkontrolle in der Wissenschaft5 und § 1 der Satzung der Universität Heidelberg zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und zum Umgang mit Fehlverhalten in der Wissenschaft.6
Manfred Löwisch/Jonathan Tim Jocher
Die subjektive Seite wissenschaftlichen Fehlverhaltens
1 Zu ihm Riescher/Haas, Verbindlich und kompakt. Der neue DFG-Kodex „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“, OdW 2020, 33ff.
2 Verfahrensordnung zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten vom 26. 10. 2001, geändert durch Beschlüsse des Hauptausschusses vom 5. 7. 2011, 30. 6. 2015, 3. 7. 2018 und 2. 7. 2019.
3 Zu diesem unten unter III 1.
4 Grundsätze der Medizinischen Hochschule Hannover zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und Verfahrensregeln für den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten vom 10. 2. 1999 mit Aktualisierungen vom 10. 9. 2008, 12. 10. 2011 und vom 18. 10. 2017, herausgegeben vom Präsidenten der Medizinischen Hochschule Hannover.
5 https://www.uni-muenchen.de/einrichtungen/orga_lmu/beauftragte/selbstkontrolle/Wiss-Fehlverhalten-r00.pdf.
6 https://backend-484.uni-heidelberg.de/sites/default/files/2019–01/sicherung_guter_wissenschaftlicher_praxis.pdf.
Ordnung der Wissenschaft 2020, ISSN 2197–9197
1 7 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 0 ) , 1 6 9 — 1 7 6
7 Ordnung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zur Sicherung
der Redlichkeit in der Wissenschaft vom 10. 6. 2011 (Amtl.
Bekanntmachungen Jg 42, S. 395) in der Fassung der zweiten
Änderungssatzung vom 20. 11. 2014 (Amtl. Bekanntmachungen
Jg 45, S. 653).
8 Die Ordnung der Universität Freiburg nimmt auf den Katalog von
Fehlverhaltensweisen der Verfahrensordnung der Max-Planck-Gesellschaft
Bezug, der diese Eingrenzung ausdrücklich vornimmt.
Dazu sogleich unter b.
9 Anlage 1 der Verfahrensordnung bei Verdacht auf wissenschaftliches
Fehlverhalten der Max-Planck-Gesellschaft vom 14. 11. 1997,
geändert am 24. 11. 2000.
10 Satzung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis am Karlsruher
Institut für Technologie (KIT) vom 23. 5. 2018, Amtliche
Bekanntmachung Nr. 32/2018 S. 160.
11 Nr. 5 der Fraunhofer Policy zur Umsetzung wissenschaftlicher
Integrität, Version 1.0, November 2016.
12 https://www.helmholtz-muenchen.de/fileadmin/HZM-Corporate-
Website/Bilder/HZM/Forschung/pdf/Regeln_zur_Sicherung_
guter_wissenschaftlicher_Praxis_06-10–2015.pdf.
13 RGBl I S. 985. Das Gesetz wurde aufgeboben am 23.11.2007,
Bundesgesetzblatt Jahrgang 2007 Teil 1 Nr. 59, Artikel 9, der § 6
des genannten Gesetzes ändert, wonach das Gesetz nach § 6 Abs.
2 als Bundesrecht aufgehoben wird. Den Ländern obliegt es nach
§ 6 Abs. 1 abweichende Regelungen zu treffen.
14 VG Düsseldorf, Urt. v. 20. 3. 2014, 15 K 2271/13, juris, unter c zu
§ 20 Satz 2 der Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät
der Universität Düsseldorf, der sinngemäß in gleicher Weise auf
das Vorliegen einer Täuschung abstellt.
Auch soweit die Regelwerke der Hochschulen, wie
etwa das der Universität Freiburg7, keine ausdrückliche
Eingrenzung auf vorsätzliches oder grob fahrlässiges
Verhalten enthalten, müssen sie doch im Sinne einer solchen
Eingrenzung verstanden werden. Dass diese Hochschulen
einen von den Grundsätzen der DFG abweichenden
Sonderweg beschreiten wollen, liegt fern. Dies
gilt jedenfalls dann, wenn sie sich, wie das auf die Regelung
der Universität Freiburg zutrifft, für die Definition
des wissenschaftlichen Fehlverhaltens auf Regelungen
beziehen, welche diese Eingrenzung enthalten.8
b. Forschungseinrichtungen
Die Max-Planck-Gesellschaft hat in einer Anlage zu
ihrer Verfahrensordnung bei Verdacht auf wissenschaftliches
Fehlverhalten einen Katalog von Verhaltensweisen
aufgestellt, die als wissenschaftliches Fehlverhalten anzusehen
sind. Diesem Katalog vorgeschaltet ist eine Definition:
Wissenschaftliches Fehlverhalten liegt danach
vor, „wenn in einem wissenschaftserheblichen Zusammenhang
bewusst oder grob fahrlässig Falschangaben
gemacht werden, geistiges Eigentum anderer verletzt
oder sonst wie deren Forschungstätigkeit beeinträchtigt
wird.“9
Auch nach § 7 der Satzung zur Sicherung guter wissenschaftlicher
Praxis des Karlsruher Instituts für Technologie
(KIT)10 liegt wissenschaftliches Fehlverhalten
vor, wenn in einem wissenschaftserheblichen Zusammenhang
bewusst oder grob fahrlässig Falschangaben
gemacht werden, geistiges Eigentum anderer verletzt
oder die Forschungstätigkeit anderer auf andere Weise
beeinträchtigt wird.
Die Fraunhofer-Gesellschaft erklärt in ihren Regeln
zum Umgang bei wissenschaftlichem Fehlverhalten, ein
solches liege z.B. vor, wenn während des wissenschaftlichen
Arbeitens bewusst oder grob fahrlässig Falschangaben
gemacht werden, sachlich nicht gerechtfertigte Einflussnahmen
von außen zu Änderungen von Ergebnissen
führen, geistiges Eigentum anderer verletzt oder die
Forschungstätigkeit anderweit beeinträchtigt wird.11
Die Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher
Praxis der Helmholtz-Zentren definieren in Punkt 9 wissenschaftliches
Fehlverhalten. Auch hier wird Bezug auf
Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit genommen.12 - Sonderbereich Promotionsordnungen
Die Standards guter wissenschaftlicher Praxis gelten für
die Arbeit an einer Dissertation in gleicher Wese wie für
jede wissenschaftliche Arbeit. Vorsätzliche oder grob
fahrlässige Verstöße bei einer solchen Arbeit stellen deshalb
ein wissenschaftliches Fehlverhalten dar, das denselben
Sanktionen unterliegt wie jedes andere wissenschaftliche
Fehlverhalten.
Hiervon zu unterscheiden ist als Folge wissenschaftlichen
Fehlverhaltens die Entziehung des Doktorgrades,
der mit Hilfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens erworben
worden ist. Dies betrifft die Frage nach Maßnahmen
und Folgen des wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Die
Bundesländer unterscheiden sich hier: Eine Reihe von
ihnen wendet in der Sache nach wie vor § 4 Abs. 1 Satz 1
lit.a Fall 1 des inzwischen aufgehobenen Gesetzes über
die Führung akademischer Grade vom 7. 6. 193913 an. Danach
ist der Doktorgrad dann zu entziehen, „wenn sich
nachträglich herausstellt, dass er durch Täuschung erworben“
worden ist. Zum Tatbestand der Täuschung gehört
hier wie sonst auch ein Täuschungsvorsatz: Dem
Täuschenden muss bewusst sein dass er bei dem Getäuschten
einen Irrtum hervorruft, oder er muss jedenfalls
billigend in Kauf nehmen, dass das geschieht.14
Löwisch/Jocher · Die subjektive Seite wissenschaftlichen Fehlverhaltens 1 7 1
15 VGH BW, Urt. v. 19. 4. 2000, 9 S 2435/99, juris.
16 Dem Folgenden ist der Katalog der Verfahrensordnung zum
Umgang mit wissenschaftlichen Fehlverhalten der DFG zugrunde
gelegt. Die Kataloge der Hochschulen und außerhochschulischen
Forschungseinrichtungen stimmen damit im Wesentlichen überein.
Fahrlässiges Verhalten, selbst wenn es grob ist, genügt
nach dieser Regelung nicht.
Andere Bundesländer, so etwa Baden-Württemberg
in § 36 Abs. 7 LHG verweisen für den Entzug des Doktorgrades
auf die allgemeinen Vorschriften über die
Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte und ergänzen
diesen Verweis durch das Erfordernis, dass der Inhaber
gravierend gegen die anerkannten Grundsätze guter
wissenschaftlicher Praxis und Redlichkeit verstoßen hat.
Täuschungsvorsatz ist damit an sich nicht vorausgesetzt.
Allerdings folgt aus der allgemeinen Vorschrift des § 48
Abs. 4 Satz 2 iVm Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG, dass nach
Ablauf eines Jahres seit Kenntnisnahme der zuständigen
Stelle der Universität von den die Rechtswidrigkeit begründenden
Umständen der Entzug nur mehr möglich
ist, wenn der Doktorgrad durch arglistige Täuschung,
Drohung oder Bestechung erlangt worden ist.15
II. Wahrung der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5
Abs. 3 GG als Grund der Verschuldensvoraussetzung
Der Wissenschaftsbetrieb ist über alle Disziplinen hinweg
äußerst komplex. Er erfordert die Verarbeitung großer,
oft schwer überschaubarer Datenmengen. Im Innovationsprozess
bedingt er die Beurteilung und Beherrschung
vielfältiger Risiken. Seine fortschreitende
Differenzierung führt zur Zusammenarbeit vieler Wissenschaftler,
die aufeinander Rücksicht nehmen müssen.
Die Systeme der Forschungsförderung verlangen die
Präsentation von Forschungsergebnissen, die oft nur
Zwischenergebnisse sein können.
Diese Komplexität überträgt sich auf die Maßstäbe
der Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. Was richtig
und was falsch ist, was noch verantwortet werden
kann und was nicht, ist oft nicht einfach zu überschauen.
Wollte man in dieser Situation jeden Verstoß gegen diese
Maßstäbe als wissenschaftliches Fehlverhalten brandmarken
und mit Sanktionen belegen, könnte das vielen
Wissenschaftlern die Unbefangenheit nehmen und leicht
zu Ängstlichkeit und Risikoscheu führen. Zurückhaltung
im gerade in der Wissenschaft notwendigen ständigen
Innovationsprozess wäre die Folge.
Dass DFG und ihr folgend Hochschulen und Forschungseinrichtungen
das Verdikt „Wissenschaftliches
Fehlverhalten“ nur solchen Verstößen gegen die Regeln
guter wissenschaftlicher Praxis zumessen, die auch persönlich
verschuldet sind, dient deshalb der Wissenschaftsfreiheit.
Nur so lassen sich auch die gravierenden,
von der Brandmarkung durch eine Rüge über die Versagung
der Forschungsförderung bis hin zum temporären
Ausschluss aus Gremien reichenden, Nachteile für den
betroffenen Wissenschaftler rechtfertigen.
Die Wahrung der Wissenschaftsfreiheit rechtfertigt
dabei auch die Eingrenzung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit.
Die Lebenserfahrung zeigt, dass auch im Alltag
des Wissenschaftsbetriebs nicht anders als sonst im
betrieblichen Alltag immer wieder Verhaltensweisen
vorkommen, die zwar gegen die rechtlich gebotene Sorgfalt
verstoßen, aber doch weniger schwer wiegen. Das
gilt gerade auch für den Umgang mit den Regeln der guten
wissenschaftlichen Praxis. Dort schon leichtere Sorgfaltspflichtverletzungen
als wissenschaftliches Fehlverhalten
zu qualifizieren, engte die wissenschaftliche Entfaltungsfreiheit
über Gebühr ein.
III. Die Verschuldensvoraussetzung im Einzelnen - Tatbestände regelwidrigen Verhaltens
Im Rechtssinne schuldhaft handelt nur, wer gegen
das für ihn maßgebende Recht verstößt. Maßgebendes
Recht für den wissenschaftlich Tätigen sind im vorliegenden
Zusammenhang die in der Verfahrensordnung
zum Umgang mit wissenschaftlichen Fehlverhalten der
DFG und in den Ordnungen der Hochschulen und außerhochschulischen
Forschungseinrichtungen festgelegten
Tatbestände wissenschaftlichen Fehlverhaltens.
Zu diesen Tatbeständen gehören16:
Falschangaben durch
– das Erfinden oder Verfälschen von Daten oder Forschungsergebnissen,
insbesondere durch Unterdrücken
oder Beseitigen von im Forschungsprozess
gewonnenen Daten oder Ergebnissen, ohne dies
offen zu legen, oder durch Manipulation einer Darstellung
oder Abbildung,
– die inkongruente Darstellung von Bild und dazugehöriger
Aussage,
– wissenschaftsbezogene unrichtige Angaben in
einem Förderantrag oder im Rahmen einer Berichtspflicht,
– die Inanspruchnahme der (Mit-)Autorschaft ohne
Einverständnis;
1 7 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 0 ) , 1 6 9 — 1 7 6
17 Ausdrücklich in Bezug auf solche Ordnungen Staudinger/Caspers
[2019], § 276 BGB Rn. 11.
18 BGH Urt. v. 2. 3. 2017, III ZR 271/15, juris, Rn. 25ff; Stelkens/
Bonk/Sachs/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 48 Rn 161.
– unberechtigtes Zu-eigen-machen fremder wissenschaftlicher
Leistungen durch
– die ungekennzeichnete Übernahme von Inhalten
Dritter ohne die gebotene Quellenangabe („Plagiat“),
– die Ausbeutung von Forschungsansätzen und Ideen
(„Ideendiebstahl“),
– die unbefugte Weitergabe von Daten, Theorien und
Erkenntnissen an Dritte,
– die Anmaßung oder unbegründete Annahme einer
Autor- oder Mitautorschaft, insbesondere, wenn
kein genuiner, nachvollziehbarer Beitrag zum wissenschaftlichen
Inhalt der Publikation geleistet wurde
– die Verfälschung des Inhalts,
– die unbefugte Veröffentlichung und das unbefugte
Zugänglichmachen gegenüber Dritten, solange das
Werk, die Erkenntnis, die Hypothese, die Lehre oder
der Forschungsansatz noch nicht veröffentlicht ist;
– die Beeinträchtigung der Forschungstätigkeit anderer,
insbesondere durch
– Sabotage von Forschungstätigkeit (einschließlich des
Beschädigens, Zerstörens oder Manipulierens von
Versuchsanordnungen, Geräten, Unterlagen, Hardware,
Software, Chemikalien oder sonstigen Sachen,
die andere zu Forschungszwecken benötigen),
– Verfälschung oder unbefugte Beseitigung von Forschungsdaten
oder Forschungsdokumenten,
– Verfälschung oder unbefugte Beseitigung der Dokumentation
von Forschungsdaten.
Zu den Tatbeständen wissenschaftlichen Fehlverhaltens
gehört die vorsätzliche oder grob fahrlässige Vernachlässigung
der Aufsichtspflicht. Aus der Verschuldensvoraussetzung
folgt zwar, dass der leitende Wissenschaftler
nicht als eine Art Geschäftsherr Garant der wissenschaftlichen
Redlichkeit seiner Mitarbeiter ist. Wohl
aber haftet er für deren wissenschaftliches Fehlverhalten,
wenn er die erforderliche und zumutbare Aufsicht vorsätzlich
oder grob fahrlässig vernachlässigt.
Wissenschaftliches Fehlverhalten kann auch aus der
Übernahme von Mitverantwortung resultieren. Wer die
Mitautorschaft an einer Veröffentlichung übernimmt,
muss auch seinerseits dafür sorgen, dass Falschangaben
oder die Aufnahme unberechtigt zu eigen gemachter
fremder wissenschaftlicher Leistungen in die Veröffentlichung
unterbleiben. Allgemein kann aus enger wissenschaftlicher
Zusammenarbeit, etwa im Rahmen eines
Projekts, die Pflicht jedes beteiligten Wissenschaftlers
folgen, Regelverstößen entgegenzutreten und dies nötigenfalls
aufzudecken.
Die Verfahrensordnung der DFG wie auch die Ordnungen
der Hochschulen und außerhochschulischen
Forschungseinrichtungen erwecken durch die Formulierung
„als wissenschaftlichen Fehlverhalten gelten insbesondere“
den Eindruck, den in ihnen aufgezählten Tatbeständen
komme kein abschließender Charakter zu.
Soweit damit den über das Vorliegen eines wissenschaftlichen
Fehlverhaltens urteilenden Stellen die Möglichkeit
gegeben werden soll, weitere Verhaltensweisen von
Wissenschaftlern als vorsätzliches oder grob fahrlässiges
Fehlverhalten zu qualifizieren, führt das nicht zum Ziel.
Der Vorwurf schuldhaften Fehlverhaltens lässt sich nur
auf den Verstoß gegen vorab eindeutig festgelegte Regeln
gründen, wenn nicht das allgemeine rechtsstaatliche
Prinzip „nulla poena sine lege“ (Art. 103 Abs. 2 GG) verletzt
werden soll. - Geltung der Maßstäbe des Zivilrechts
Mit „Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit“ nehmen DFG
und Ordnungen auf Begriffe des Zivilrechts Bezug, das
in § 276 Abs. 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit zu Kriterien
der Verantwortlichkeit erklärt, in § 276 Abs. 2 BGB
die Fahrlässigkeit als Außerachtlassung der verkehrserforderlichen
Sorgfalt definiert und in einzelnen Vorschriften
innerhalb und außerhalb des BGB die Verantwortlichkeit
auf die „grobe“ Fahrlässigkeit beschränkt.17
Die Anknüpfung an die Begriffsbildung des Zivilrechts
(und nicht des Strafrechts, das keine grobe Fahrlässigkeit
kennt) steht im Einklang mit dem allgemeinen
Verständnis der Verschuldensvoraussetzungen im öffentlichen
Recht, nach dem dort die zivilrechtlichen
Maßstäbe gelten, sofern nicht etwas anderes ausdrücklich
bestimmt ist.18 - Vorsatz und Täuschung
Vorsatz setzt auch im Zivilrecht wissentliches und willentliches
Handeln voraus. Der Handelnde muss die
Umstände des inkriminierten Verhaltens kennen und
gleichwohl seine Handlung wollen, sei es, dass er den
Löwisch/Jocher · Die subjektive Seite wissenschaftlichen Fehlverhaltens 1 7 3
19 Staudinger/Caspers aaO Rn 22; MüKoBGB/Grundmann BGB
§ 276 Rn. 154.
20 VG Düsseldorf Urt. v. 20. 3. 2014, 15 K 2271/13, juris, unter 2;
ZUM 2014, 602; vgl. auch VGH BW Beschl. v. 13. 10. 2008, 9 S
494/08, Leitsatz 1 sowie Rn. 9, juris; VBIBW 2009, 191, der die
nicht gekennzeichnete Übernahme kompletter Passagen aus dem
Werk eines anderen Autors in eine Dissertation als Täuschung
über die Eigenständigkeit der erbrachten Leistung ansieht.
21 BVerwG Urt. v. 22.03.2017, 5 C 4/16, juris unter Rn. 25.
22 Das VG Düsseldorf aaO ist der Frage, ob in dem vom ihm zu
beurteilenden Fall eine solche explizite Billigung vorlag, nicht
nachgegangen, was daran gelegen haben mag, dass es sich für den
Begriff der Täuschung an § 263 StGB und damit am strafrechtlichen
Vorsatzbegriff orientiert hat, der sich nicht auf die Rechtswidrigkeit
des Verhaltens erstreckt.
23 Im Einzelnen Staudinger/Caspers aaO § 276‚ Rn 29ff, MüKoBGB/
Grundmann BGB § 276 Rn. 54.
24 Staudinger/Caspers aaO § 276 Rn. 44.
missbilligten Erfolg beabsichtigt (Absicht), diesen als
notwendige Folge seiner Handlung ansieht (direkter
Vorsatz) oder aber auch nur als möglicherweise eintretend
in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz).19 Auf das wissenschaftliche
Fehlverhalten bezogen muss der Wissschaftler,
wenn ihm Vorsatz vorgeworfen werden soll,
also mindestens in Kauf genommen haben, dass er einschlägige
Regeln verletzt.
Anders als im Strafrecht muss sich der Vorsatz dabei
überwiegender Meinung nach auf die Rechtswidrigkeit
des Handelns erstrecken. Der Handelnde muss also mindestens
in Kauf nehmen, dass er sich rechtswidrig verhält.
Verkennt der Wissenschaftler, dass sein Verhalten
gegen einschlägige Regeln guter wissenschaftlicher Praxis
verstößt, handelt er auch nicht vorsätzlich.
Letztlich nichts anderes gilt in Bezug auf das Merkmal
der Täuschung als Voraussetzung für den Entzug
des Doktorgrades. Täuschung im Sinne der den Entzug
des Doktorgrades betreffenden Bestimmungen ist das
vorsätzliche Vorspiegeln oder Unterdrücken von für die
Beurteilung einer Dissertation als selbständige wissenschaftliche
Leistung relevanten Tatsachen, das zu einem
Irrtum der zur Beurteilung berufenen Stellen führt.20 So
wird auch der Begriff der arglistigen Täuschung in § 48
Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG verstanden: Von einer solchen
ist auszugehen, wenn der Täuschende weiß und
will, dass die Behörde durch die Vorspiegelung falscher
Tatsachen zum Erlass eines Verwaltungsaktes veranlasst
wird, den sie andernfalls nicht oder nicht mit diesem Inhalt
erlassen hätte, wobei „Erwirken“ im Sinne dieser
Vorschrift voraussetzt, dass die arglistige Täuschung für
den Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsaktes zumindest
objektiv mitursächlich war.21
Die Wiedergabe fremder Textstellen ohne Beleg stellt
eine solche vorsätzliche Täuschungshandlung dar. Dabei
wird sich der Vorsatz regelmäßig auch auf die Rechtswidrigkeit
der Täuschung erstrecken. Aber es kann auch
einmal anders liegen: Billigt der Betreuer einer Dissertation
eine Zitierpraxis, die von dem im Fach üblichen
Standard abweicht, wird deren Verfasser regelmäßig davon
ausgehen, dass er sich rechtmäßig verhält.22 - Grobe Fahrlässigkeit
a. Fahrlässigkeit
§ 276 Abs. 2 BGB beschreibt die Fahrlässigkeit als Außerachtlassung
der verkehrserforderlichen Sorgfalt und
wählt damit einen objektiven Maßstab, der sich am
jeweils in Rede stehenden Verkehrskreis orientiert.23
Maßgebend für die Beurteilung des Verhaltens von Wissenschaftlern
sind damit die von der Wissenschaftsgemeinschaft
entwickelten Regeln guter wissenschaftlicher
Praxis. Sind sie eingehalten, liegt von vornherein keine
Fahrlässigkeit vor. Ist gegen sie verstoßen, ist vorbehaltlich
der jeweils gegebenen Situation an sich von Fahrlässigkeit
auszugehen.
Mangelnde Kenntnis des Regelwerks entlastet dabei
vom Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit regelmäßig nicht.
Auch kann sich der Wissenschaftler nicht darauf berufen,
dass er erst am Anfang seiner Karriere steht oder
noch unerfahren ist. Die Eigenschaft als Berufsanfänger
vermindert die Sorgfaltsanforderungen als solche nicht.
Es ist an sich dessen Sache, gegebenenfalls die notwendige
Unterstützung durch einen Berufserfahrenen
sicherzustellen.24
b. Grobe Fahrlässigkeit
Den Begriff der groben Fahrlässigkeit, wie er hier in
Rede steht, verwenden das Zivilrecht (z.B. §§ 277, 300
Abs. 2, 309 Nr. 7 lit b) BGB) und auch das öffentliche
1 7 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 0 ) , 1 6 9 — 1 7 6
25 Sie die Nachweise aus der Rechtsprechung bei Staudinger/Caspers
aaO § 276 Rn. 93.
26 BSG Urt. v. 20. 9. 1977 – 8/12 RKg 8/76, juris, NJW 1978, 1175,
1176; BGH Urt. v. 26. 1. 2016, XI ZR 91/14, juris, Rn. 71;
weitere Nachweise bei Staudinger/Caspers aaO § 276 Rn. 94.
27 Staudinger/Caspers aaO § 276 Rn. 95; Jauernig/Stadler BGB § 276
Rn. 33; BGH NJW 1989, 1612; BGH NJW 1980, 887, 888.
28 Darauf weisen auch Riescher/Haas aaO, OdW 2020 S. 39 Fn. 29
zutreffend hin.
Recht (z.B. Art. 34 Satz 2 GG, § 75 Abs. 1 Satz 1 BBG; § 48
BeamtStG), ohne ihn zu definieren. Lediglich das Sozialrecht
enthält in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X
eine Bestimmung. Über das Verständnis besteht aber im
Wesentlichen Einigkeit: Grob fahrlässig ist nur ein Verhalten,
welches die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in
besonders schwerem, ungewöhnlichen Maße verletzt. Es
muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen
Fall jedem einleuchten muss.25 Die grobe Fahrlässigkeit
hat dabei nicht nur eine objektive Seite. Vielmehr
beinhaltet sie auch einen schweren subjektiven Vorwurf.
Grobe Fahrlässigkeit erfordert nach einer Formulierung
des Bundessozialgerichts, der der Bundesgerichtshof in
der Sache gefolgt ist, „eine besonders grobe und auch
subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung,
die das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich
übersteigt“.26 Dementsprechend können Unerfahrenheit
und mangelnde Kenntnisse grobe Fahrlässigkeit
ausschließen.27
Bezogen auf die in der Wissenschaft Tätigen heißt
das, dass nicht vorsätzlich begangene Verstöße gegen die
Regeln guter wissenschaftlicher Praxis nur ganz ausnahmsweise
den Vorwurf des wissenschaftlichen Fehlverhaltens
im Sinne des Kodex der DFG und der genannten
Ordnungen begründen können. Der Wissenschaftler
muss eklatant gegen diese Regeln verstoßen
und dabei schlechthin unentschuldbar gehandelt haben.
Unerfahrenheit und mangelnde Kenntnisse werden dem
Vorwurf grob fahrlässigen wissenschaftlichen Fehlverhaltens
oft entgegenstehen. - Berücksichtigung des Verschuldens bei der Sanktionierung
des Fehlverhaltens
Die Verfahrensordnung der DFG und ebenso die Ordnungen
der Hochschulen und außerhochschulischen
Forschungseinrichtungen sehen vor, dass die bei wissenschaftlichem
Fehlverhalten zu beschließenden Maßnahmen
nach Art und Schwere des festgestellten Fehlverhaltens
zu differenzieren sind. Allgemein gesprochen müssen
die Maßnahmen verhältnismäßig sein. Der Grad des
Verschuldens ist hierfür ein wesentlicher Gesichtspunkt:
Auch grobe Fahrlässigkeit fällt weniger ins Gewicht als
Vorsatz. Im Vorsatzbereich ist bedingter Vorsatz weniger
schlimm als direkter Vorsatz und dieser weniger schlimm
als Absicht.
Freilich prägt der Grad des Verschuldens die Verhältnismäßigkeit
nicht allein. Die Schwere des Fehlverhaltens
hängt auch von den Auswirkungen auf den Wissenschaftsbetrieb
ab, in dem der sich fehl verhaltende Wissenschaftler
tätig ist. Zu berücksichtigen ist dabei nicht
nur der Vertrauensverlust, den der Wissenschaftsbetrieb
in der Wissenschaftsgemeinschaft selbst erfährt. Ins Gewicht
fällt auch das Ausmaß der Enttäuschung und Verunsicherung,
welche bei den der dort redlich arbeitenden
Wissenschaftlern hervorgerufen werden.
IV. Berücksichtigung der Verschuldensvoraussetzung
im Prüfungsverfahren
Die Verfahrensordnung zum Umgang mit wissenschaftlichem
Fehlverhalten der DFG und die Ordnungen der
Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen
regeln ausführlich das Verfahren, in dem
einem Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten
nachzugehen ist. Die Ausgestaltung im Einzelnen variiert.
Im Grundsatz sehen aber alle Ordnungen ein zweistufiges
Verfahren vor. Zunächst ist im Rahmen einer
Vorprüfung, meist durch eine besondere Instanz, zu klären,
ob sich der Verdacht hinreichend bestätigt. Nur
wenn das der Fall ist, ist in einem weiteren Verfahren
durch eine weitere Instanz, meist die Leitung der Einrichtung,
endgültig über das Vorliegen eines wissenschaftlichen
Fehlverhaltens und die zu treffenden Maßnahmen
zu entscheiden. Bestätigt sich der Verdacht
nicht hinreichend, ist schon das Vorverfahren zu beenden;
teilweise hat das auch im Falle der Geringfügigkeit
zu geschehen. Das Vorverfahren mit einem anderen Ziel,
etwa der Mediation mit einem Hinweisgeber, weiterzuführen,
hielte das Verfahren zu Lasten des Betroffenen in
der Schwebe und ist deshalb durch die Verfahrensordnungen
nicht gedeckt.
Auch in diesen Prüfungsverfahren ist zu beachten,
dass wissenschaftliches Fehlverhalten nur bei vorsätzlichem
oder grob fahrlässigem Regelverstoß vorliegt.28
Löwisch/Jocher · Die subjektive Seite wissenschaftlichen Fehlverhaltens 1 7 5
Kommt die mit der Vorprüfung betraute Instanz zu dem
Schluss, dass zwar die vorgegebenen Regeln verletzt
sind, dem Wissenschaftler aber lediglich einfache Fahrlässigkeit
vorgeworfen werden kann, muss schon sie das
Verfahren beenden. Stellt sich dies erst im weiteren Verfahren
heraus, muss die weitere Instanz das Verfahren
einstellen und dies dem von der Prüfung Betroffenen
und auch eventuellen Hinweisgebern unter Angabe der
wesentlichen Gründe mitteilen.
V. Fazit
Mit dieser Verschuldensvoraussetzung wahren die Ordnungen
die Wissenschaftsfreiheit des Einzelnen.
Der Vorwurf solchen schuldhaften Verhaltens kann
nur erhoben werden, wenn gegen explizit festgelegte Regeln
guter wissenschaftlicher Praxis verstoßen wird.
Vorsatz umfasst Absicht, direkten Vorsatz und bedingten
Vorsatz. Grob fahrlässig ist nur ein Verhalten,
welches die gebotene Sorgfalt in besonders schwerem,
ungewöhnlichem, auch subjektiv schlechthin unentschuldbarem
Maße verletzt.
Der Grad des Verschuldens ist bei der Sanktionierung
eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens als ein Gesichtspunkt
zu berücksichtigen.
Die Voraussetzung Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit ist
auch im Verfahren zu beachten. Auch Vorprüfungen
sind zu beenden, wenn lediglich einfache Fahrlässigkeit
in Betracht kommt.
Manfred Löwisch ist Professor an der Albert-Ludwigs-
Universität Freiburg und Leiter der Forschungsstelle
für Hochschulrecht und Hochschularbeitsrecht.
Jonathan Tim Jocher ist Mitarbeiter an der Forschungsstelle
für Hochschulrecht und Hochschularbeitsrecht.
1 7 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 0 ) , 1 6 9 — 1 7 6