I. Das zugrundeliegende Problem und Evaluationen als dessen mögliche Lösung Evaluationen, Akkreditierungen und andere Steuerungsinstrumente der Wissenschaftspolitik haben in den letzten Jahren enorme Aufmerksamkeit gewonnen. Es gibt kaum noch einen Wissenschaftler2 an Universitäten und Forschungsinstituten, der nicht einen beträchtlichen Teil seiner Zeit auf sie verwendet. Seit der Einführung des New Public Management im Hochschulbereich werden an Evaluations- und Akkreditierungsverfahren wichtige strukturelle und finanzielle Entscheidungen geknüpft, die bis hin zur Schließung eines Studiengangs, einer Universität oder einer außeruniversitären Forschungseinrichtung reichen können. Die Wissenschaftsministerien ziehen sich dabei immer stärker aus den Genehmigungsverfahren zurück und knüpfen ihre Entscheidungen an die Voten von Akkreditierungsagenturen. Diese Tendenz ist nicht unproblematisch, da die demokratische Legitimation von Akkreditierungsagenturen zumindest dann bislang deutlich zu schwach gesetzlich im Sinne von Art. 20 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 GG konturiert war, wenn an deren Entscheidungen unmittelbar rechtliche Folgerungen für Studiengänge oder gar Universitäten geknüpft werden. Auf der anderen Seite aber wäre es auch nicht zutreffend, evaluativen Verfahren von vorneherein jeglichen Erkenntniswert abzusprechen. Denn Evaluationsverfahren stellen Steuerungsinstrumente eines wissensorientierten Gemeinwesens dar. Sie sind für die Gesetzgebung nützliche Hilfsmittel, da sie es erlauben, bei knappen Finanzmitteln und bei der hohen zeitlichen Belastung von Abgeordneten Anhaltspunkte für ihre Entscheidungen zu bieten. Auch die Verwaltung kann von Informationen profitieren, die sie aus (selbst-) evaluativen Verfahren, wie etwa dem Benchmarking gewinnt, wenn die Voten von Akkreditierungs- und Evaluationsagenturen eben rechtsstaatlich und demokratisch eingefangen werden. Was bei aller Euphorie über derartige neue Steuerungsinstrumente jedoch zumeist unterbelichtet blieb, war der Machtaspekt.3 Aufgrund evaluativer Verfahren werden, namentlich im Wissenschaftsbereich, enorme Summen verschoben, man denke nur an die deutsche Exzellenzinitiative bzw. ‑strategie oder die Forschungsrahmenprogramme der Europäischen Union. Der Einsatz evaluativer Verfahren, insbesondere im grundrechtsakzessorischen Bereich (wie bei der Evaluation einzelner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler) wirft daher enorme legitimatorische Fragen auf. Diese rufen nach einer Verrechtlichung – und aktivieren bei Staatshandeln mit Grundrechtsberührung sogar den institutionellen Gesetzesvorbehalt der betroffenen subjektiven Rechte von Verfassungsrang (wie hier der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG). Die vorzustellende Habilitationsschrift, die an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften entstand, beschäftigt sich mit diesen Fragen. Die Autorin hat die Habilitationsschrift berufsbegleitend zu ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung in Speyer angefertigt und verfügt über vielfältige praktische Erfahrungen mit evaluativen Verfahren. II. Forschungsfragen und Gang der Untersuchung 1. Erkenntnisleitendes Interesse Evaluation heißt letztlich nichts anderes als Einschätzung oder Bewertung. Und auch Wissenschaft und wissenschaftlichen Sozialisationsprozessen ist Bewertung immanent, man denke nur an das Verfahren zur Besetzung eines Lehrstuhls. Die Leitfragen der Arbeit lautet Margrit Seckelmann Evaluation und Recht. Ansätze zu einem wissenschaftsadäquaten Modell der staatlichen Indienstnahme evaluativer Verfahren1 1 Vorstellung des Buches von Margrit Seckelmann, Evaluation und Recht. Strukturen, Prozesse und Legitimationsfragen staatlicher Wissensbeschaffung durch (Wissenschafts-)Evaluationen, Tübingen 2018. Der Autorin wurde für diese Arbeit der vom Verein zur Förderung des deutschen & internationalen Wissenschaftsrechts ausgelobte Preis für Wissenschaftsrecht verliehen. 2 Oder eine Wissenschaftlerin. 3 Dazu jedoch eingehend Christine Schwarz, Evaluation als modernes Ritual. Zur Ambivalenz gesellschaftlicher Rationalisierung am Beispiel virtueller Universitätsprojekte, Hamburg 2006, S. 12; Peter Weingart, Das Ritual der Evaluierung und die Verführung der Zahlen, in: ders. (Hrsg.), Die Wissenschaft der Öffentlichkeit, Weilerswist 2005, S. 102–122. Ordnung der Wissenschaft 2019, ISSN 2197–9197 120 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2019), 119–124 4 Dazu u. a. auch Martin Burgi, Die Funktion des Verfahrensrechts in privatisierten Bereichen – Verfahren als Gegenstand der Regulierung nach Verantwortungsteilung, in: Wolfgang HoffmannRiem/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, Baden-Baden 2002, S. 155- 191, 179 f.; Oliver Lepsius, Verfassungsrechtlicher Rahmen der Regulierung (§ 4), in: M. Fehling/M. Ruffert (Hrsg.), Handbuch Regulierungsrecht, Tübingen 2010, S. 143–211, Rn. 6; Achim Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung im Verwaltungsrecht, München 2000, S. 167 ff. 5 Begriff selbst entwickelt in Anspielung auf Fritz Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., Tübingen 1928, S. 326 („Flucht in das Privatrecht“). 6 Begriff nach Nina Baur/Cristina Besio/Maria Norkus, Organisationale Innovation am Beispiel der Projektifizierung der Wissenschaft. Eine figurationssoziologische Perspektive auf Entstehung, Verbreitung und Wirkungen, in: Werner Rammert/Michael Hutter/Hubert Knoblauch/Arnold Windeler (Hrsg.), Innovationsgesellschaft heute. Perspektiven, Felder und Fälle, Wiesbaden 2016, S. 373–402, 373. 7 Das gilt erst recht für Claus Dieter Classen, Wissenschaftsfreiheit außerhalb der Hochschule. Zur Bedeutung von Artikel 5 Absatz 3 Grundgesetz für außeruniversitäre Forschung und Forschungsförderung, Tübingen 1994. 8 Klaus Ferdinand Gärditz, Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche Systembildung, Tübingen 2009. 9 Hans-Heinrich Trute, Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung. Das Wissenschaftsrecht als Recht kooperativer Verwaltungsvorgänge, Tübingen 1994. daher, inwieweit ein ursprünglich durchaus wissenschaftsadäquates Instrument der Selbstbewertung von Professionen von Gesetzgebung und Verwaltung als Instrument der Fremdbewertung in Dienst genommen wurde und welche rechtlichen Rahmenbedingungen (und Grenzen) zu beachten sind, um diese Entwicklung demokratie- wie wissenschaftskonform zu begleiten. Denn die Indienstnahme eines wissenschaftlichen Selbstbewertungsinstruments durch den Staat führt, erstens, zu einer Hybridisierung zwischen Selbst- und Fremdkontrolle sowie zwischen Instrumenten des privaten wie des öffentlichen Rechts. Daraus folgt, dass die Zuordnung des Evaluationsvorgangs zu einem der beiden Rechtskreise nicht immer leicht fällt, wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Studiengangsakkreditierung vom 17. Februar 2016 (BVerfGE 141, 143) gezeigt hat. Eine zentrale These der Arbeit ist daher, dass sich der Staat seiner Verantwortung zur demokratischen und grundrechtskonformen Verfahrensgestaltung4 nicht durch eine Flucht in die Selbstregulierung5 entziehen darf. Neben der Hybridisierung von Verfahren ist, zweitens, im Zuge der zunehmenden Umstellung der Forschungsfinanzierung auf Drittmitteleinnahmen eine Projektifizierung von Wissenschaft zu beobachten, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Wissenschaft mit einem „Lebenszyklus“, also einem „Angang“ und einem „Ende“ versehen wird.6 Zunehmend müssen sich nicht nur Drittmittelanträge, sondern sogar Einzelforscher selbst als Projekt begreifen, wie anhand der Juniorprofessuren mit ihrer Zwischenevaluation deutlich wird. Und zwischen Projekten und Evaluationen besteht ein enger Zusammenhang. Projektifizierung erzwingt Evaluationen – und Evaluationen setzen ihrerseits eine projektförmige Dimensionierung des zu Untersuchenden voraus. Daher wird in der Arbeit davor gewarnt, nunmehr alles, also auch die Wissenschaft, nur noch als „Projekt“ zu begreifen, auch wenn das die Funktionslogik evaluativer Verfahren nahelegt. 2. Forschungsstand Evaluationen wurden bislang von der Rechtswissenschaft eher stiefmütterlich behandelt. Erst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Akkreditierungsagenturen vom 17. Februar 2016 (also zu einem Zeitpunkt, in dem das der Arbeit zugrundeliegende Habilitationsverfahren bereits abgeschlossen war) hat die Thematik intensiver unter rechtlichen Aspekten analysiert. Die Entscheidung lag auf der Linie der in der Habilitationsschrift bereits angestellten Überlegungen; sie wurde in die Druckfassung integriert. Die Untersuchung ist durch zwei große Stränge gekennzeichnet: Zum einen will sie aufklärerisch die Möglichkeiten der ideologischen Vereinnahmbarkeit von Evaluationsverfahren aufzeigen. Zum anderen konturiert sie – und das ist das eigentlich Neue – rechtliche Rahmenbedingungen, wie derartige Vereinnahmungsversuche künftig mit Mitteln des Rechts abgewehrt werden können. § 11 der Arbeit, der in gewisser Weise ihr praxeologisches Herzstück darstellt, enthält daher grundlegende Überlegungen zu einem „Evaluationsrecht“ und skizziert dessen Umrisse, um die Autonomie von Wissenschaft besser als in den letzten Jahrzehnten mit Mitteln des Rechts gewährleisten zu können. Die Arbeit geht bezogen auf das spezielle Thema „Evaluationen“ insoweit auch über die große wissenschaftsrechtliche Untersuchung von Klaus Ferdinand Gärditz hinaus, die zwar eingehend die Einführung des New Public Management in das Hochschulsystem (und die damit verbundenen Rechtsprobleme) behandelt, jedoch das Thema „Evaluationsverfahren“ in diesem Zusammenhang nur streift (denn seinerzeit stand die Ein- Seckelmann · Evaluation und Recht 121 10 Skeptischer hingegen aus jüngerer Zeit Hans-Heinrich Trute, In der Grauzone: Akkreditierung zwischen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Rechtsdurchsetzung, RW 2014, S. 341–377, 341. 11 Cristina Fraenkel-Haeberle, Die Universität im Mehrebenensystem. Modernisierungsansätze in Deutschland, Italien und Österreich, Tübingen 2014. 12 Daniel Krausnick, Staat und Hochschule im Gewährleistungsstaat, Tübingen 2012. 13 Hinsichtlich der Dissertationsschriften ist insbesondere zu verweisen auf Stefan Kracht, Das neue Steuerungsmodell im Hochschulbereich. Zielvereinbarungen im Spannungsverhältnis zwischen Konsens und hierarchischem Verwaltungsaufbau, Baden-Baden 2006 sowie Simon Sieweke, Managementstrukturen und outputorientierte Finanzierung im Hochschulbereich: Zum Instrumentarium des Neuen Steuerungsmodells im Hinblick auf Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie, Baden-Baden 2010 (aus Platzgründen wird an dieser Stelle die inzwischen zahlreiche Literatur zur Akkreditierung von Studiengängen nicht aufgeführt). 14 Epoche machend insoweit die Ausführungen von Klaus Schlaich, Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gefüge der Staatsfunktionen, VVDStRL 39 (1981), S. 99–146, 109; vgl. aus neuerer Zeit etwa Christian Waldhoff, „Der Gesetzgeber schuldet nichts als das Gesetz“. Zu alten und neuen Begründungspflichten des parlamentarischen Gesetzgebers, in: Otto Depenheuer/Markus Heintzen/ Matthias Jestaedt/Peter Axer (Hrsg.), Staat im Wort, Festschrift für Josef Isensee, Heidelberg 2007, S. 325–343. 15 Vgl. nur Nils Petersen, Verhältnismäßigkeit als Rationalitätskontrolle. Eine rechtsempirische Studie verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zu den Freiheitsgrundrechten, Tübingen 2015, S. 271. 16 Armin Steinbach, Rationale Gesetzgebung, Tübingen 2017. 17 Der Gedanke des Lernens von Organisationen und wohl auch Institutionen findet sich angelegt u. a. bei Chris Argyris/Donald A. Schön, Die Lernende Organisation: Grundlagen, Methoden, Praxis, Stuttgart 1999. führung evaluativer Verfahren wie der Akkreditierung in das deutsche Hochschulsystem noch ganz am Anfang7 ).8 In mancher Hinsicht bezieht sich die Arbeit auch zurück auf die Fragen der bedeutenden Habilitationsschrift von Hans-Heinrich Trute,9 welche jedoch Evaluationen primär in der Sphäre der wissenschaftlichen Selbstbewertung verortet.10 Interessant waren natürlich auch die von Cristina Fraenkel-Haeberle beschriebenen Erfahrungen mit dem italienischen und österreichischen (und deutschen) Modell der Akkreditierung von Studiengängen11 und die von Daniel Krausnick analysierte Verbindung des Neuen Steuerungsmodells im Hochschulbereich mit dem Modell des Gewährleistungsstaats,12 um nur die einschlägigen juristischen Habilitationsschriften zu nennen.13 3. Gang der Untersuchung Die Arbeit ist in zwei Teile gegliedert, die von einem Eingangs- und einem Schlusskapitel umrahmt werden (§§ 1 und 14). Die §§ 2–6 widmen sich als eine Art „Allgemeiner Teil“: der Herkunft evaluativer Verfahren und ihren theoretischen Grundannahmen. Dabei wird in § 2 das Modell eines Evaluationsrechts als Teil eines Informationsrechts entwickelt. Daher werden in diesem Abschnitt die erkenntnisleitenden Fragen der Arbeit in den aktuellen Forschungsstand zum Informationsrecht eingebettet. a) „Allgemeiner Teil“ eines Evaluationsrechts: Grundlagen und methodisch-theoretische Annahmen In § 3 der Arbeit wird die Frage aufgerufen, ob Gesetzgebung und Verwaltung nicht sogar eine Evaluationspflicht in Form einer Beobachtungspflicht trifft. So hat es das Bundesverfassungsgericht wiederholt postuliert. In diesem Teil wird herausgearbeitet, dass aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz folgt, dass den Gesetzgeber nur eine Obliegenheit zur Schaffung eines „guten“ Gesetzes trifft;14 anders ist es aber dann, wenn dem Gesetzgeber zuvor ein weiter Prognosespielraum zuerkannt wurde, der zugleich mit einer Grundrechtsberührung verbunden war. In den §§ 3–6 wird zudem der Frage nachgegangen, inwieweit Evaluationen zu einer „rationalen“ Gesetzgebung beitragen können, wie es in jüngerer Zeit gelegentlich proklamiert wird.15 Dazu werden zunächst verschiedene Rationalitätsbegriffe (etwa von Max Weber und von Karl Raimund Popper) analysiert, die zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Insofern ist davor zu warnen, den Rationalitätsbegriff rein „ökonomisch“-affirmativ zu verstehen (und beispielsweise für Kürzungsmaßnahmen heranzuziehen). Die Unterschiede zwischen dem Rationalitätsbegriff, wie er derzeit in den Wirtschaftswissenschaften (und teilweise in der ökonomischen Analyse des Rechts) benutzt wird und der politischen Rationalität, deren Handlungsform gerade der parlamentarische Kompromiss ist, werden aufgezeigt. Im Unterschied zu der kürzlich (jedoch nach Annahme der vorliegenden Schrift) erschienenen Habilitationsschrift von Armin Steinbach16 wird in der vorliegenden Untersuchung indes nicht das prozedurale Recht als ein „dritter Weg“ zur Lösung der Probleme angesehen, die sich aus den Unterschieden zwischen politischer und ökonomischer „Rationalität“ ergeben. Denn auch die prozedurale Gesetzgebung kennt Grenzen, soll sie nicht Warteschleifen hervorbringen, in der die Bürgerinnen und Bürger zunehmend unwilliger festhängen. Prozeduralen Ansätzen „lernender“17 Organisationen und „lernenden“ Rechts, egal, ob sie sich auf Wissenschaftspolitik oder auf andere Felder beziehen, liegt die Annahme zugrunde, dass man den politischen Prozess (in Gesetzgebung wie Verwaltung) in einzelne Schritte aufteilen und entsprechend „abarbeiten“ könne (policy cycle18). 122 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2019), 119–124 18 Dazu Werner Jann/Kai Wegrich, Phasenmodelle und Politikprozesse: Der Policy Cycle, in: Klaus Schubert/Nils C. Bandelow (Hrsg.), Lehrbuch der Politikfeldanalyse 2.0, 2. Aufl., München 2009, S. 75–113. 19 Siehe die Fußnote zuvor sowie Marion Albers, Evaluation sicherheitsbehördlicher Kompetenzen: Schritte von der symbolischen Politik zum lernenden Recht, VerwArch 99 (2008), S. 481–508; Karl-Heinz Ladeur, Postmoderne Rechtstheorie, 2. Aufl., Berlin 1995; S. 103 ff.; Gralf-Peter Calliess, Prozedurales Recht, BadenBaden 1999, S. 121 f. 20 Dazu Näheres bei Nils C. Bandelow, Politisches Lernen: Begriffe und Ansätze im Vergleich, in: Klaus Schubert/ders. (Hrsg.), Lehrbuch der Politikfeldanalyse 2.0, München 2009, S. 313–347. 21 Oder der einzelnen Wissenschaftlerin. 22 Bzw. die Grundrechtsträgerin. 23 Dazu auch Arne Pilniok, Governance im europäischen Forschungsförderverbund. Eine rechtswissenschaftliche Analyse der Forschungspolitik und Forschungsförderung im Mehrebenensystem, Tübingen 2011. 24 Vannevar Bush, Science the Endless Frontier. A Report to the President by Vannevar Bush, Director of the Office of Scientific Research and Development, July 1945. Diese Vorstellung geht letztlich auf den US-amerikanischen Pragmatismus zurück, eine Philosophierichtung, die in § 4 der Untersuchung näher behandelt wird. In diesem Kapitel werden die theoretischen Voraussetzungen von Evaluationsverfahren und ihre Vorläufer in der Implementationsforschung analysiert. Dabei werden auch die Vorteile von Evaluationen als Selbstbewertungsverfahren dargestellt, die sich aus einer kybernetischen, iterativen Dimensionierung von Politik ergeben. In § 5 werden notwendige Begriffsabgrenzungen vorgenommen und unterschiedliche evaluative Ansätze (ex ante‑, ongoing- /in intinere- und ex post-Evaluationen, verschiedene Arten der Gesetzesfolgenabschätzung etc.) vorgestellt. § 6 ist sodann der Auseinandersetzung mit der gängigen Annahme gewidmet, durch Evaluationsverfahren könne Politik sich bzw. die Verwaltung zum „Lernen“ anhalten.19 Dabei wurde analysiert, wie voraussetzungsvoll der Lernbegriff ist und dass nach modernen sozialwissenschaftlichen Ansätzen Aushandlungs- und Interpretationsprozesse (framing und bargaining) im Vordergrund stehen.20 Bedenklich wird es immer dann, wenn nämlich die zugrundeliegenden Machtfragen dadurch verschleiert werden, dass Evaluationen – wie in den §§ 3 und 4 der Arbeit dargestellt – vorgeblich zur einer „Rationalisierung“ (wissenschafts-)politischer Entscheidungen herangezogen werden und dass Wissenschaft selbst als „Projekt“ aufgefasst wird. Denn Projektifizierung erzwingt Evaluationen – und Evaluationen setzen (wie eingangs gezeigt) ihrerseits eine projektförmige Dimensionierung des zu Untersuchenden voraus – nur sollten wir nicht vergessen, dass unserer Annahme, Wissenschaft lasse sich „als Projekt“ auffassen, eine Setzung vorausgeht. b) „Besonderer Teil“ eines Evaluationsrechts am Beispiel der Wissenschaftspolitik aa) „Neubegründung“ der Wissenschaftsfreiheit Im „Besonderen Teil“ der Arbeit, den §§ 7–13, werden diese allgemeinen Vorüberlegungen dann auf den Bereich der Wissenschaft und der Wissenschaftspolitik bezogen. Zunächst werden die Grundlagen der Wissenschaftsfreiheit als rechtlichem Hauptbezugspunkt von Evaluationen (neben dem Demokratieprinzip) neu vermessen (§7). In § 7 wird auch eine eigene, dynamische Begründung der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG entwickelt: Das Grundrecht hat demnach, wie im Einzelnen näher konturiert wird, zwei, sich durchaus in einem Spannungsverhältnis befindende, Pole: Kreativität und Innovativität. Die Verortung der konkreten Tätigkeit des einzelnen Wissenschaftlers21 innerhalb dieses Spannungsfeldes gibt Aufschluss darüber, auf welche Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit sich der Grundrechtsträger22 beziehen kann: das „bloße“ Abwehrrecht oder mehr. In § 8 wird die Entwicklung evaluativer Verfahren aus einem Selbstbewertungsinstrument („peer review“) dargestellt, das seit der Royal Society bekannt ist. Darüber hinaus werden die Gründe für die Einführung „moderner“ Verfahren der Qualitätsbewertung in der deutschen Wissenschaftspolitik, auch unter europäischem Einfluss,23 analysiert (§ 8) und untersucht, welche Folgen die Anforderung der Evaluierbarkeit für die Wissenschaftsorganisation und die Wissenschaft selbst hat (§ 9). Es wird in den §§ 7–9 herausgearbeitet, wie – etwa durch den Ingenieur und Wissenschaftspolitiker Vannevar Bush – Wissenschaft „als Projekt“ dimensioniert wurde24 und wie die Einführung des Neuen Steuerungsmodells Seckelmann · Evaluation und Recht 123 25 Dazu die Nachweise in den Fn. 8 und 11–13 sowie die Beiträge in Jörg Bogumil/Rolf G. Heinze (Hrsg.), Neue Steuerung von Hochschulen. Eine Zwischenbilanz, Berlin 2009, S. 67–92. 26 Jostein Askim, Benchmarking in Local Government Service Delivery: Window-Dressing or a Potent Driver for Improvement? Evidence from Norway, in: Sabine Kuhlmann/Jörg Bogumil/ Helmut Wollmann (Hrsg.), Leistungsmessung und ‑vergleich in Politik und Verwaltung. Konzepte und Praxis, Wiesbaden 2004, S. 277–301. 27 Dazu aus jüngerer Zeit statt vieler Göttrik Wewer, Politikberatung und Politikgestaltung (unter Mitarbeit von Olaf Bull), in: Klaus Schubert/Nils C. Bandelow (Hrsg.), Politikfeldanalyse: Dimensionen und Fragestellungen, Lehrbuch der Politikfeldanalyse 2.0, München 2009, S. 401–428. 28 Dazu die Beiträge in Hildegard Matthies/Dagmar Simon (Hrsg.), Wissenschaft unter Beobachtung. Effekte und Defekte von Evaluationen, Wiesbaden 2008. 29 Dazu Ivo Appel, Privatverfahren, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/ Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 2, § 32, 1. Aufl., München 2008, S. 801–881 sowie Bernward Wollenschläger, Effektive staatliche Rückholoptionen bei gesellschaftlicher Schlechterfüllung, BadenBaden 2006. 30 Ansätze hierzu finden sich aber bei Ino Augsberg, Informationsverwaltungsrecht. Zur kognitiven Dimension der rechtlichen Steuerung von Verwaltungsentscheidungen, Tübingen 2014. im Hochschulbereich mit der Etablierung von Zielvereinbarungen und anderen evaluativen Instrumenten einherging.25 In § 10 werden die sozialwissenschaftlichen Standards für Wissenschaftsevaluationen (etwa bezogen auf den [Social] Science Citation Index und den h‑Index) analysiert und die mit derartigen Verfahren einhergehenden Effekte und möglichen Fehlsteuerungen (wie das „window dressing“26) dargestellt. In § 11 finden sich sodann rechtsnormative Leitplanken für ein mögliches Evaluationsgesetz. In den §§ 12 und 13 dieser Arbeit werden abschließend einzelne evaluative Verfahren wie Lehrevaluationen, Juniorprofessuren und Akkreditierungsverfahren analysiert und auf die in § 11 aufgestellten Kriterien bezogen. Beiden Teilen gemeinsam ist die Frage nach Strukturen, Verfahren und Legitimationsfragen. Letztere stehen besonders im Fokus, da die Frage nach der Legitimationsbegründung (der Indienstnahme) von Politikberatung27 sowohl allgemein in § 6 als auch am Beispiel der staatlichen Wissensbeschaffung durch Akkreditierungsverfahren in § 13 analysiert wird. Für Praktikerinnen und Praktiker dürfte besonders § 11 interessant sein, in dem unter Reflexion der in § 10 geschilderten sozialwissenschaftlichen Standards ein rechtlicher Rahmen für ein (sowohl allgemeines wie dann auch bereichsspezifisch auf die Frage der Wissenschaftsfreiheit bezogenes) „Evaluationsrecht“ skizziert wird. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass Evaluationsrecht ein reflexives Recht ist, da es auf sich selbst angewendet werden kann. So setzte beispielsweise das sogenannte Brandenburger Hochschulurteil (BVerfGE 111, 333) darauf, dass die von (Lehr-)Evaluationen möglicherweise ausgehenden Fehlsteuerungen selbst wieder analysiert werden könnten. In einem Schlusskapitel (§ 14) wird eine Bilanz der Habilitationsschrift gezogen, und es werden mögliche Perspektiven der Forschung entfaltet. So wäre beispielsweise noch intensiver, als es im Rahmen der Arbeit vorgenommen werden konnte, zu untersuchen, inwieweit sich Instrument und Rechtsfiguren aus anderen Rechtsbereichen, die sich mit wissenschaftsbasierten Fragen beschäftigen (etwa das Scoping und das Monitoring nach § 2 Abs. 4 S. 2 BauGB) für ein „Besonderes Evaluationsrecht“ nutzbar machen ließen. III. Folgerungen Insgesamt ergeben sich folgende Erkenntnisse: Evaluationen können nützliche Hilfsmittel für die Vorbereitung von Entscheidungen öffentlicher Akteure oder die Bewertung des Vollzugs dieser Entscheidungen sein. Sie helfen Gesetzgebung und Verwaltung bei der Gewinnung des zur Entscheidungsvorbereitung nötigen Wissens (§§ 2 und 3) und der gedanklichen Strukturierung des Gesetzgebungsvorgangs, der Abschätzung möglicher Gesetzesfolgen und der Beobachtung der Folgewirkungen eines Gesetzes. Außerdem können sie beim Gesetzesvollzug über Fehlsteuerungen informieren (§§ 4 und 5). Hierfür erheben Evaluatoren Informationen, wählen das nach ihrer Auffassung (im Rahmen der rechtsnormativen Vorgaben) entscheidungserhebliche Wissen aus, bündeln es und nehmen eine (erste) Bewertung in Form eines Votums vor. Dabei können und sollen evaluative Verfahren durchaus eine Reflexivität entfalten und als Evaluationen zweiter Ordnung selbst wieder Informationen über „Effekte und Defekte“28 von Evaluationsverfahren liefern. Sie tun es nur nicht automatisch: Wie in den §§ 6 und 10 beschrieben, gehen Evaluationen Wertungen voraus und das „Lernen“ aus ihnen kann auch ein pathologisches sein – es bedarf also einer nachvollziehenden Auswertung der durch Evaluations- und Akkreditierungsagenturen generierten Informationen.29 Denn der Vorgang der Auswahl und Verdichtung der Informationen für das (aus Sicht der Evaluatoren) Wesentliche ist bereits selbst ein Akt der Bewertung, der die Komplexität der Realität notwendigerweise simplifiziert. Zudem sollten die mit Evaluationen verbundenen Aushandlungs- und Interpretationsprozesse (framing und bargaining) stärker in den Blick genommen werden, als es die rechtswissenschaftliche Literatur bislang zumeist getan hat.30 Insofern 124 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2019), 119–124 können Evaluationsverfahren auch immer nur zur Entscheidungsvorbereitung dienen, Entscheidungen aber nicht ersetzen. Die mit Evaluationsverfahren einhergehende Selektivität der Wahrnehmung ist zudem keinesfalls unbedenklich. Denn evaluative Verfahren „finden“ keine Realität, sondern sie erfinden sie: Sie schreiben Qualität zu und versuchen, diese anhand von Indikatoren zu „messen“. So genau man später Parameter erfassen können mag: Es sollte nie vergessen werden, dass der Festlegung von Indikatoren zuvor Wertungen vorausgegangen sind (dazu die §§ 4, 6 und 10 der Untersuchung). Daher bilanziert die Schrift mit dem Petitum, eine rechtliche Absicherung der mit der bei Evaluationsverfahren zunehmend schwieriger werdenden nachvollziehenden Amtsermittlung durch eine Verdichtung des ex ante-Prozesses vorzunehmen (und wie das in etwa aussehen könnte, wird in § 11 umrissen). Inwieweit die in der Arbeit formulierte Warnung vor einer Flucht in die Selbstregulierung dann auch von den Wissenschaftsministerien rezipiert wird und inwieweit der Staat seiner Garantiefunktion für die Wissenschaftsfreiheit wieder verstärkt nachkommen wird, bleibt abzuwarten. Mit dem vorliegenden Buch verbindet sich aber die Hoffnung, dazu beigetragen zu haben, das Instrument der staatlichen Wissensbeschaffung durch Evaluationen vorzustellen, handhabbar zu machen, aufklärerisch vor dem mit seiner Nutzung möglicherweise einhergehenden ideologischen Einflüssen zu warnen und die gerade genannten Probleme durch eine Gestaltung des Rechtsrahmens bestmöglich einzuhegen. PD Dr. iur. Margrit Seckelmann, ist Geschäftsführerin des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung und im Wintersemester 2018/2019 Vertreterin des Lehrstuhls für Verwaltungswissenschaft, Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Europarecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.