GLIEDERUNG
I. Forschung und Entwicklung als Gegenstand des Vergaberechts
II. Wissenschaftsfreiheit und Vergaberecht 1. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit 2. Vergaberecht als Schranke
III. Aufträge oberhalb der Schwellenwerte 1. Rechtsgrundlagen
2. Anwendungsbereich
3. Schwellenwerte
4. Relevante Vergabegrundsätze und Zuschlagskriterien 5. Wahrung der Wissenschaftsfreiheit
IV. Aufträge unterhalb der Schwellenwerte 1. Rechtsgrundlagen
2. Anwendungsbereich
3. Vergabegrundsätze
4. Wahrung der Wissenschaftsfreiheit V. Private Auftraggeber
VI. Forschungsrelevante Lieferungen und Dienstleistungen 1. Oberhalb der Schwellenwerte
2. Unterhalb der Schwellenwerte
3. Wahrung der Wissenschaftsfreiheit
I. Forschung und Entwicklung als Gegenstand des Vergaberechts
Vertragsforschung ist aus der arbeitsteiligen heutigen Forschungslandschaft nicht wegzudenken. Öffentliche Stellen wie private Unternehmen vergeben Aufträge an Forschungsinstitutionen, die ihrerseits wiederum öffent- liche Stellen oder private Unternehmen, aber auch frei- beruflich Tätige sein können. Gegenstand der Aufträge sind dabei zumeist nicht Fragen der Grundlagenfor- schung oder der angewandten Forschung, sondern sol- che der Entwicklung, also der zweckgerichteten Auswer- tung und Anwendung von Forschungsergebnissen und Erfahrungen vor allem technologischer oder ökonomi- scher Art, um zu neuen Systemen, Verfahren, Stoffen, Gegenständen und Geräten zu gelangen (Neuentwick- lung) oder um vorhandene zu verbessern (Weiterent- wicklung).1
- 1 So die Definition im Bundesbericht Forschung III der Bundesre- gierung vom 12. 6.1969 (BT-Drucksache V/4335 S. 5).
- 2 Statistisches Bundesamt, Fachserie 11 Reihe 4.3.2 (Monetäre hoch- schulstatistische Kennzahlen 2012), Tabelle 4.1.1; Datenportal des bmbf „Forschung und Innovation“, Tabelle 1.6.4. Ein – freilich weit
Eine Vorstellung vom Umfang der Vertragsforschung durch öffentliche Stellen lässt sich dem Qualitätsbericht „Ausgaben, Einnahmen und Personal der öffentlichen und öffentlich geförderten Einrichtungen für Wissen- schaft, Forschung und Entwicklung 2013“ des Statisti- schen Bundesamts und dem Datenportal Forschung und Innovation des Bundesministeriums für Bildung und Forschung entnehmen. Nach dem Qualitätsbericht be- liefen sich im Jahr 2012 die Ausgaben der Hochschulen für Baumaßnahmen auf 564 Mio. Euro und die Ausga- ben für die übrigen Sachinvestitionen auf 481 Mio. Euro. Nach dem Datenportal erreichten diese Ausgaben bei den wissenschaftlichen Einrichtungen außerhalb der Hochschulen 2012 734 Mio. Euro für Bauten und 1.214 Mrd. Euro für die übrigen Investitionen.2
Die Vergabe von Vertragsforschung durch öffentliche Stellen unterliegt dem Vergaberecht. Dessen Verhältnis zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit ist Gegenstand des zweiten Abschnitts (II).
Die Rechtsvorschriften des Vergaberechts unter- scheiden nach dem Wert des Auftrags: Oberhalb be- stimmter Schwellenwerte sind die vergaberechtlichen Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe- schränkungen (GWB) und der Vergabeverordnung so- wie die Vergaberichtlinien der EU anwendbar. Unter- halb der Schwellenwerte sind gesetzliche Grundlage § 55 der Bundeshaushaltsordnung und die entsprechenden Bestimmungen der Landeshaushaltsordnungen. Diese münden, jeweils in Verbindung mit Ausführungsbe- stimmungen unterschiedlichen Rechtscharakters, letzt- lich alle in der Anwendung der Vergabe- und Vertrags- ordnung für Leistungen Teil A Allgemeine Bestimmun- gen für die Vergabe von Leistungen (VOL/A).
Dementsprechend werden im Folgenden nacheinan- der die Vergabe von Forschungsleistungen oberhalb der Schwellenwerte (III) und danach die Vergabe von For- schungsleistungen unterhalb der Schwellenwerte (IV) untersucht. Ein Blick auf Rechtsfragen der Vergabe von Forschungsleistungen durch private Unternehmen schließt sich an (V).
Forschungsinstitutionen treten auch als Auftragneh- mer von Dienstleistungen auf, die ihrerseits weder For-
zurückliegenden – Überblick über Umfang und Bedeutung der Vertragsforschung findet sich bei Röthlingshöfer, Die Vergabe von Forschungs- und Entwicklungsaufträgen in der Bundesrepublik Deutschland, Schriftenreihe des IFO-Instituts für Wirtschaftsfor- schung Nr. 77 (1972), S. 27ff.
Manfred Löwisch
Forschung und Vergaberecht
Ordnung der Wissenschaft 2016, ISSN 2197–9197
154 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2016), 153–160
schung noch Entwicklung sind, aber für die Forschung Bedeutung haben. So nehmen etwa Institute der Rechts- medizin forensisch – toxikologische und molekularge- netische Untersuchungsaufträge vor allem öffentlicher Auftraggeber wie etwa der Landeskriminalämter wahr, um Material für ihre rechtsmedizinische Forschung und Entwicklung zu gewinnen. Sie unterliegen dann als Auf- tragnehmer dem Vergaberecht und müssen sich dem mit diesem verbundenen Wettbewerb stellen. Die daraus re- sultierenden Fragen werden in einem eigenen Abschnitt behandelt (VI).
II. Wissenschaftsfreiheit und Vergaberecht
1. Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit
Die Wissenschaftsfreiheit schützt die „auf wissenschaft- licher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhal- tensweisen und Entscheidungen bei der Suche nach Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe“.3 Träger dieses Schutzrechts sind einerseits die einzelnen Wissen- schaftler und andererseits die wissenschaftlichen Ein- richtungen, insbesondere die Hochschulen, aber auch private Wissenschaftseinrichtungen.4
Der Schutz der Wissenschaftsfreiheit gilt dabei nicht nur der freien Wahl von Fragestellung und Methodik, sondern auch der praktischen Durchführung von For- schung und Lehre einschließlich der vorbereitenden und begleitenden Tätigkeiten, die in einem engen Zusam- menhang mit Forschung und Lehre stehen. Geschützt ist auch die Organisation von Forschung und Lehre.5
Erfasst wird so auch die Vergabe von Forschungs- und Entwicklungsaufträgen. Wer einzelne Wissenschaft- ler, eine Gruppe von Wissenschaftlern oder eine For- schungseinrichtung einschaltet, um bestimmte Teile ei- nes Projekts durch deren Forschungs- oder Entwick- lungsbeiträge voranzubringen, trifft eine genuin wissen- schaftliche Entscheidung, die nicht reglementiert wer- den darf. Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistet insoweit ein Recht auf Abwehr staatlicher Einwirkungen auf den Pro- zess der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse.6
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- richts verkörpert sich in Art. 5 Abs. 3 GG auch eine ob- jektive Wertentscheidung. Sie beruht auf der Schlüssel- funktion, die einer freien Wissenschaft sowohl für die Selbstverwirklichung des Einzelnen als auch für die ge- samtgesellschaftliche Entwicklung zukommt. Diese Wertentscheidung bedeutet nicht nur die Absage an staatliche Eingriffe in den Eigenbereich der Wissen- schaft. Sie schließt vielmehr das Einstehen des Staates, der sich als Kulturstaat versteht, für die Idee einer freien Wissenschaft und seine Mitwirkung an ihrer Verwirkli- chung ein und verpflichtet ihn, sein Handeln positiv da- nach einzurichten, d.h. schützend und fördernd einer Aushöhlung dieser Freiheitsgarantie vorzubeugen.7
Der Staat muss deshalb die Pflege der freien Wissen- schaft und ihre Vermittlung an die nachfolgende Gene- ration durch Bereitstellung von personellen, finanziellen und organisatorischen Mitteln ermöglichen und för- dern.8 Diese Förderpflicht des Staates wäre zu eng ver- standen, wollte man sie in sachlicher Hinsicht auf die ausdrücklich genannte Bereitstellung finanzieller Mittel beschränken. Zwar ermöglicht deren Bereitstellung es den Hochschulen in der Regel, sich die sachlichen Mittel für den Forschungs- und Lehrbetrieb am Markt zu be- schaffen. Wo aber die Verfügung über diese sachlichen Mittel beim Staat liegt, muss er den Hochschulen ange- messenen Zugang zu ihnen gewähren.
Für Akten und andere Unterlagen ist das im Grund- satz anerkannt.9 Es muss aber auch für im Wesentlichen nur von staatlichen Stellen zu vergebende Aufträge gel- ten, die Gegenstand wissenschaftlicher Forschung und Lehre sind, wie das etwa auf Untersuchungsaufträge im Bereich der Rechtsmedizin zutrifft.10
2. Vergaberecht als Schranke
Die Wissenschaftsfreiheit ist nicht schrankenlos garan- tiert. Schranken können sich aus anderen verfassungs- rechtlich geschützten Rechtsgütern ergeben. Der Staat ist bei der Regelung des wissenschaftlichen Lebens in sei- nen Hochschulen nicht auf die absolute Freiheit für die
8 BVerfG vom 29.5.1973 aaO. Rn. 96.
9 BVerfG vom 9.10.1985, 7 B 188/85, NJW 1986, 1177; näher
Kempen in Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar GG (Stand 1. 9. 2015) Art. 5 Rn. 182; vgl. auch § 5 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 Bundesarchivgesetz, wo wissenschaftliche Forschungsvorhaben im Bezug auf die Dauer der Schutzfristen privilegiert werden.
10 Allgemein zum Schutz der Einwerbung von Mitteln für die Forschung Britz in Dreier, Kommentar zum Grundgesetz Band I, Art. 5 Abs. 3 Rn. 24.
3 4
5
6 7
BVerfG vom 26.10.2004, 1 BvR 911, 927, 928/00, BVerfGE 111, 333, 354.
BVerfG vom 14.4.1987, 1 BvR 775/84, BVerfGE 75, 192; BVerfG vom 10.3.1992, 1 BvR 454 u.a./91, BVerfGE 85, 360; Kempen in Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar GG (Stand 1.9.2015) Art. 5 Rn. 185.
BVerfG vom 29.5.1973, 1 BvR 424/71 und 325/72, BVerfGE 35, 79.
BVerfG vom 1.3.1978, 1 BvR 333/75, BVerfGE 47, 327, 367. BVerfG vom 29.5.1973, 1 BvR 424/71 und 1 BvR 325/72, BVerfGE 35,79, 95.
Forschungs- und Lehrtätigkeit des einzelnen Wissen- schaftlers und die damit einhergehende Vernachlässi- gung anderer im Grundgesetz geschützter Rechtsgüter festgelegt.11 Vielmehr liegt es in seinem Gestaltungser- messen, inwieweit er die Träger der Wissenschaftsfrei- heit an allgemeine rechtliche Regelungen bindet.12
Ihre Grenze findet diese Bindung an das allgemeine Recht aber am Mindestmaß dessen, was notwendig ist, um wissenschaftliche Forschung und Lehre zu betrei- ben. Rechtliche Vorschriften dürfen Wissenschaftler und Hochschulen nicht daran hindern, in ihren wissen- schaftlichen Auffassungen gründende Entscheidungen in Forschungs- und Lehrangelegenheiten zu realisieren. Auch dürfen sie nicht dazu führen, dass ihnen die not- wendige Mindestausstattung versagt bleibt.13
Hieraus folgt einerseits, dass Art. 5 Abs. 3 GG weder deutschen noch europäischen Vorschriften entgegen- steht, welche die Vergabe von Forschungs- und Entwick- lungsaufträgen und die Beschaffung der für Forschung und Lehre notwendigen sachlichen Mittel dem Vergabe- recht unterstellen.
Andererseits darf auch die Anwendung des Vergabe- rechts nicht dazu führen, dass wissenschaftsbedingte Entscheidungen der Träger von Forschung und Lehre verhindert und die Mindestbedürfnisse für die Durch- führung von Forschung und Lehre nicht mehr erfüllt werden.
III. Aufträge oberhalb der Schwellenwerte
1. Rechtsgrundlagen
Die Vergabe von Leistungen oberhalb der Schwellenwer- te ist einerseits Gegenstand des europäischen Rechts. Maßgebend ist nunmehr die Richtlinie 2014/24/EU vom 26. Februar 2014, welche die vorangehende Richtlinie 2004/18/EG mit Wirkung zum 18. April 2016 aufgehoben hat. Andererseits sind die Bestimmungen des 4. Teils des GWB über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen ein- schlägig. Diese sind durch das Vergaberechtsmoderni- sierungsgesetz vom 17. 2. 2016 an die Vorgaben der Richt- linie angepasst worden. Die Neufassung ist nach Art. 3 Satz 2 des Gesetzes am 18. 4. 2016 in Kraft getreten.14 Der Beitrag legt diese neuen Regelungen zugrunde.
- 11 BVerfG vom 1.3.1978, 1 BvR 174, 178, NJW 1978, 1621; vom 15.9.1997, 1 BvR 406/96, NVwZ-RR 1998, 175.
- 12 BVerwG vom 9.10.1985,7 B 188/85, NJW 1986, 1277.
- 13 BVerfG vom 29.5.1973 aaO; BVerfG vom 8. 2. 1977, 1 BvR79/70, Rn. 114; vom 8. 7. 1980, 1 BvR 1472/78, Rn. 92 und vom 15.9.1997 aaO; Scholz in Maunz/Dürig, 75. EL September 2015, Art. 5 Abs. 3, Rn. 116 und 194.
- 14 Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17. 2. 2016 (BGBl I
Im Gefolge des Vergaberechtsmodernisierungsgeset- zes ist auch die Vergabeverordnung neu gefasst und dort das Vergabeverfahren für Liefer- und Dienstleistungen sowie für freiberufliche Leistungen zusammengeführt worden.15 Diese Neufassung wird im Folgenden eben- falls zugrunde gelegt.
2. Anwendungsbereich
Richtlinie wie 4. Teil des GWB beziehen sich auf öffent- liche Auftraggeber. Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie bezeichnet als solche den Staat, die Gebietskörperschaf- ten, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder die Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körper- schaften oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts bestehen. Etwas weiter ist die Definition in § 99 GWB. Danach sind neben den Gebietskörperschaften und deren Sondervermögen andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die im Allgemein- interesse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art erfül- len, dann öffentliche Auftraggeber, wenn sie überwie- gend öffentlich finanziert werden, der Aufsicht öffentli- cher Stellen unterliegen oder mehr als die Hälfte ihrer Organmitglieder durch öffentliche Stellen bestimmt worden sind.
Grundsätzlich erfasst das Vergaberecht also die Hochschulen, aber auch überwiegend öffentlich finan- zierte Forschungseinrichtungen wie die Institute der Max-Planck-Gesellschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszen- tren und der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wil- helm Leibniz, sowie die Ressortforschung der Bundesre- gierung und Landesregierungen.
Nicht erfasst wird hingegen die Deutsche For- schungsgemeinschaft, die sich satzungsgemäß auf die fi- nanzielle Förderung von Forschungsarbeiten be- schränkt.16
Art. 14 der Richtlinie 2014/24/EU und damit überein- stimmend § 116 Abs. 1 Nr. 2 GWB enthalten indes eine Ausnahme für Forschungs- und Entwicklungsdienstleis- tungen. Nach diesen Vorschriften gelten Richtlinie und GWB nur für bestimmte, im Common Procurement Vo- cabulary (CPV) der EG-Verordnung 213/2008 genannte Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen, näm-
2016, 203.
15 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Art. 1 der
Vergaberechtsmodernisierungsverordnung volm 12. 4. 2016,
BGBl I 2016, 624).
16 Siehe § 1 Satz 1 in Verbindung mit § 12 der Satzung der Deut-
schen Forschungsgemeinschaft, zuletzt geändert und neugefasst am 2.7.2014, abrufbar im Internet unter http://dfg.de/dfg_profil/ satzung/index.html (zuletzt abgerufen am 1.10.2015).
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lich Forschungs- und Entwicklungsdienste und zugehö- rige Beratung, Dienstleistungen im Bereich Forschung und experimentelle Entwicklung, Forschungsdienste, Forschungslabordienste, Meeresforschungsdienste, Ex- perimentelle Entwicklung, Planung und Ausführung von Forschung in Entwicklung, Vorstudie zur Durch- führbarkeit und technologische Demonstration sowie Test und Bewertung. Alle übrigen Forschungs- und Ent- wicklungsdienstleistungen werden von der Richtlinie 213/2008 und damit von der Vergaberichtlinie und dem GWB nicht erfasst. Das betrifft insbesondere solche in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit bis hin zur Entwicklung von elektronischen Systemen für militäri- sche Zwecke.
Auch soweit Forschungs- und Entwicklungsdienst- leistungen von Richtlinie und GWB erfasst werden, gilt das nach den genannten Vorschriften nur, wenn ihre Er- gebnisse ausschließlich Eigentum des öffentlichen Auf- traggebers für seinen Gebrauch bei Ausübung seiner ei- genen Tätigkeit werden und außerdem die erbrachte Dienstleistung vollständig durch den öffentlichen Auf- traggeber vergütet wird.
Mit diesem Vorbehalt will die Richtlinie ausweislich ihres Erwägungsgrundes 35 die Finanzierung von For- schungs- und Entwicklungsprogrammen durch die In- dustrie fördern. Um dieses Ziel zu erreichen, soll sie nur anwendbar sein, wenn es keine solche Ko-Finanzierung gibt und wenn das Ergebnis der Forschungs- oder Ent- wicklungsdienstleistung dem betreffenden öffentlichen Auftraggeber zu Gute kommt.
Die Vorgängervorschrift von § 116 Abs. 1 Nr. 2 GWB, § 100 Abs. 4 Nr. 2 GWB a.F. ist verschieden interpretiert worden. Teilweise stand die Literatur auf dem Stand- punkt, dass auch bei einem nicht ausschließlichen Nut- zungsrecht des öffentlichen Auftraggebers der Vorbehalt entfalle, so dass das Vergaberecht anzuwenden sei.17 Teilweise wurde dem Wortlaut folgend nur bei aus- schließlicher Nutzung der Tatbestand als erfüllt angese- hen.18
Jedenfalls nach neuem Recht ist davon auszugehen, dass die wörtliche Auslegung das Richtige trifft. Wenn der Erwägungsgrund 35 der Richtlinie 2014/24/EG er- klärt, dass es unschädlich sein soll, wenn der Dienstleis- tungserbringer einen Bericht über seine Tätigkeiten ver- öffentlicht, solange nur der Auftraggeber die „alleinigen“ Rechte zum Gebrauch der Forschungs- und Entwick-
- 17 Pünder/Schellenberg, Vergaberecht 2. Aufl. 2015, § 100 Rn. 30.
- 18 Müller-Wrede/Sterner, GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. 2014, §100Rn. 15; Kularz/Kus/Portz/Röwekamp, GWB-Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, §100, Rn. 45; Heuvels/Höß/Kuß/Wagner, Vergaberecht,
lungsergebnisse bei der Ausübung seiner Tätigkeit be- hält, stellt er unmissverständlich auf die ausschließliche Nutzung ab. Zudem steht hinter dem Vorbehalt auch der Zweck, die Zugänglichkeit der Ergebnisse von Forschung und Entwicklungstätigkeiten für die Science Communi- ty zu begünstigen. Das legt es nahe, dem Vorbehalt einen weiten Anwendungsbereich zu geben.
Von vornherein nicht von der Vorschrift erfasst wer- den Dienstleistungen, denen das konstitutive Merkmal von Forschung und Entwicklung, nämlich das Streben nach neuen Erkenntnissen (Forschung) oder neuen Sys- temen (Entwicklung) fehlt. Schon daran musste in dem von der Vergabekammer Südbayern und dem Bayeri- schen Obersten Landesgericht entschiedenen Fall der Untersuchung von Rüstungsaltlastverdachtsstandor- ten19 die Anwendung des damaligen § 100 Abs. 2 lit. n GWB scheitern. Vor allem Bauleistungen unterfallen aus diesem Grund nicht der Ausnahme.
3. Schwellenwerte
Nach Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU, auf den § 106 GWB verweist, betragen die Schwellenwerte derzeit 5.186.000 Euro bei öffentlichen Bauaufträgen, 134.000 Euro bei öffentlichen Liefer- und Dienstleistungsaufträ- gen, die von zentralen Regulierungsbehörden vergeben werden, und 207.000 Euro bei öffentlichen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen die von subzentralen öffentli- chen Auftraggebern vergeben werden.
Diese Schwellenwerte werden bei Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Bereich von Bauleistungen häufig, im Bereich von Liefer- und Dienstleistungsauf- trägen, um die es bei Forschung und Entwicklung in ers- ter Linie geht, nur ausnahmsweise erreicht.
4. Relevante Vergabegrundsätze und Zuschlagskriterien
Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU verpflichtet die öffentlichen Auftraggeber, alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nichtdiskriminierender Weise zu behan- deln und dabei transparent und verhältnismäßig zu han- deln. Nach Art. 67 Abs. 2 lit. a gehören zu den Zuschlags- kriterien Qualität, einschließlich technischer Wert, Ästhetik, Zweckmäßigkeit, Zugänglichkeit, Design für Alle, soziale, umweltbezogene und innovative Eigen- schaften und Handel und die damit verbundenen Bedin- gungen, nach Art. 67 Abs. 2 lit. b auch Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung
2012, § 100 Rn. 1.
19 Vergabekammer SüdbayeRn. vom 27.9.2002, 120.3–3194‑1–36-
08–02, juris; BayObLG vom 27.2.2003, Verg. 25/02, juris.
betrauten Personals, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auf- tragsausführung haben kann.
Mit diesen Vorgaben stimmen die Regelungen des deutschen Vergaberechts überein: Zunächst verpflichtet § 97 Abs. 1 und 2 GWB die öffentlichen Auftraggeber auf die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit, Verhältnismäßig- keit und Gleichbehandlung. Nach § 97 Abs. 3 GWB wer- den bei der Vergabe Aspekte der Qualität und der Inno- vation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte be- rücksichtigt.
Nach § 127 Abs. 3 GWB müssen weiter auch die Zu- schlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand in Verbin- dung stehen. Diese Verbindung ist auch dann anzuneh- men, wenn sich ein Zuschlagskriterium auf Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung, Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung, auf den Handel mit der Leis- tung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus der Leistung bezieht, auch wenn sich diese Faktoren nicht auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegen- standes auswirken.
Die Vergabeverordnung gibt in ihren §§ 42ff für Auf- träge oberhalb der Schwellenwerte im Einzelnen Eig- nungskriterien vor. Gestellt werden können dabei unter anderem Anforderungen an die technische und berufli- che Leistungsfähigkeit des Unternehmens, welche eine angemessene Qualität der Ausführung gewährleisten (§ 46 Abs. 1), sowie Studien- und Ausbildungsnachweise (§ 46 Abs. 3 Nr. 6).
5. Wahrung der Wissenschaftsfreiheit
Soweit Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen aus dem Anwendungsbereich des Vergaberechts ausge- nommen sind, steht ein Eingriff in die Wissenschafts- freiheit der vergebenden wissenschaftlichen Einrichtun- gen von vornherein nicht in Rede.
Aber auch dort, wo der Anwendungsbereich des Ver- gaberechts eröffnet ist, lassen Vergabegrundsätze und Zuschlagskriterien ausreichend Raum, um den besonde- ren Bedürfnissen der Vertragsforschung Rechnung zu tragen. Insbesondere kann der Grad der erwarteten In- novation ein ausschlaggebender Aspekt sein. Auch die wissenschaftliche Qualifikation des für die Durchfüh-
- 20 Bundesanzeiger 2009 Nr. 196a.
- 21 §§ 6 f. TtVG Bremen; § 2a VergG Hamburg; § 2 Abs. 1 VergGMecklenburg-Vorpommern; § 3 Abs. 2 TVergG Niedersachsen; § 3 Abs. 3 TVergG Nordrhein-Westfalen; § 1 Abs. 2 VergG Sachsen; § 1 Abs. 2 LVG Sachsen-Anhalt; § 3 Abs. 1 TvergG Schleswig- Holstein.
- 22 LTMG Baden-Württemberg; MfG Bayern; AVG Berlin; VergG
rung vorgesehenen Personals kann so genügend gesi- chert werden.
Notwendig ist freilich, dass die Leistungsbeschrei- bung die forschungsrelevanten Anforderungen präzise formuliert. Auch ändert sich nichts daran, dass zwischen qualitativ gleichwertigen Angeboten der Zuschlag an das wirtschaftlichste zu gehen hat.
IV. Aufträge unterhalb der Schwellenwerte
1. Rechtsgrundlagen
Die gesetzlichen Vorgaben für die Vergabe von Aufträ- gen unterhalb der Schwellenwerte enthalten § 55 Bun- deshaushaltsordnung und die im Wesentlichen gleich lautenden entsprechenden Bestimmungen der Landes- haushaltsordnungen. Danach muss dem Abschluss von Verträgen über Lieferungen und Leistungen eine öffent- liche Ausschreibung vorausgehen, sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen (Abs. 1) und ist beim Abschluss von Verträ- gen nach einheitlichen Richtlinien zu verfahren (Abs. 2).
Was den Bund angeht, wird diese Vorgabe durch Ab- schnitt 1 der VOL (VOL/A) umgesetzt. Diese ist vom Bundesministerium für Wirtschaft am 20.12.2009 erlas- sen worden und am 11.6.2010 in Kraft getreten.20 In der Sache ebenso verfahren die Bundesländer. Teilweise ord- nen sie die Geltung der VOL/A gesetzlich an,21 teilweise begnügen auch sie sich mit entsprechenden Verwal- tungsvorschriften.22
Soweit die betreffenden Landesgesetze die Vergabe zusätzlich an die Gewährleistung von Tariftreue bei der Durchführung des Auftrags binden, gilt das grundsätz- lich auch für die Vergabe von Forschungs- und Entwick- lungsaufträgen. Allerdings müssen die einschlägigen ta- riflichen Bestimmungen ihrerseits mit der durch Art. 5 Abs. 3 GG gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit verein- bar sein. So wären tarifliche Bestimmungen, welche die Nutzung der in § 14 Abs. 2 Nr. 2 Arbeitszeitgesetz für die Forschung vorgesehenen Ausnahme vom allgemeinen Nacht- und Sonntagsarbeitsverbot ausschlössen, unbe- achtlich.23
Ob im Zuge der Modernisierung des Vergaberechts auch die Vorschriften für die Vergabe unterhalb der
Brandenburg; VergG Hessen; LTTG Rheinland-Pfalz; TTG Saar-
land.
23 Dazu Löwisch, Tarifverträge für das Hochschulpersonal, FS
Würtenberger, 2013, 1165, 1172ff; allgemein zur Problematik der Tariftreueregelungen demnächst Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2016, § 5 Rn. 441ff.
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158 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2016), 153–160
Schwellenwerte geändert werden, ist offen. Das Eck- punktepapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie sieht insoweit nur eine zeitnahe Prüfung des Anpassungsbedarfs vor.24
2. Anwendungsbereich
Abgesehen von Bauleistungen, für welche die VOB maß- gebend ist, gilt die VOL/A nach ihrem § 1 Satz 1 für alle Vergaben von öffentlichen Aufträgen über Leistungen (Lieferungs- und Dienstleistungen). Mehrere Länder sehen allerdings Schwellenwerte für Kleinaufträge vor, sei es dass solche Aufträge überhaupt vom Vergaberecht ausgenommen werden, sei es dass bei ihnen die freihän- dige Vergabe zugelassen wird.25
Von der Geltung der VOL/A von vornherein ausge- nommen sind nach § 1 Satz 2 Leistungen, die im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit erbracht oder im Wettbe- werb mit freiberuflich Tätigen angeboten werden. Für den Begriff der freiberuflichen Tätigkeit wird dabei in ei- ner Fußnote auf § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG verwiesen, nach dem zur freiberuflichen Tätigkeit u. a. die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstelle- rische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit ge- hört. Selbständig in diesem Sinne ist eine Tätigkeit, die ein Steuerpflichtiger auf eigene Rechnung und Gefahr entfaltet.26
Damit ist die Vertragsforschung im geistes- und sozi- alwissenschaftlichen Bereich aus dem Anwendungsbe- reich im Wesentlichen ausgenommen. Insbesondere wird die Gutachtertätigkeit in diesen Bereichen nicht er- fasst.
WasdieVertragsforschungimÜbrigenangeht,macht die VOL/A insofern eine Ausnahme, als sie in § 3 Abs. 5 lit. c eine freihändige Vergabe für zulässig erklärt, wenn es sich um die Erbringung von Dienstleistungen zur Er- füllung wissenschaftlich-technischer Fachaufgaben auf dem Gebiet von Forschung, Entwicklung und Untersu- chung handelt, die nicht der Aufrechterhaltung des all- gemeinen Dienstbetriebs und der Infrastruktur einer Dienststelle des Auftraggebers dient.
Man wird davon ausgehen müssen, dass damit nicht nur wissenschaftlich-technische Dienstleistungen im en- geren Sinne gemeint sind, sondern allgemein For- schungs- und Entwicklungsaufträge auf wissenschaft- lich-technischem Gebiet.27 Denn gerade für diese ist die freihändige Vergabe sinnvoll, weil sie auf die angesichts der Dynamik von Forschung und Entwicklung nur schwer mögliche detaillierte Ausschreibung verzichtet.
- 24 Siehe Eckpunkte zur Reform des Vergaberechts, Beschluss des Bundeskabinetts, 7. Januar 2015, abrufbar unter www.bmwi.de.
- 25 § 5 TtVG Bremen; § 1 Abs. 2 VergG Hessen; § 4 VergG Sachsen; § 1 Abs. 1 LVG Sachsen-Anhalt.
3. Vergabegrundsätze
Auch soweit Forschungs- und Entwicklungsaufträge freihändig vergeben werden, sind doch die in § 2 VOL/A festgelegten Vergabegrundsätze zu beachten. Danach muss die Vergabe an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige (geeignete) Unternehmen zu angemessenen Preisen erfolgen (Abs. 1 Satz 1). Kein Unternehmen darf dabei diskriminiert werden (Abs. 1 Satz 2).
§ 3 Ab. 5 lit. c VOL/A schreibt die freihändige Verga- be nicht vor, sondern erklärt sie nur für zulässig. Es steht deshalb nichts entgegen, Forschungs- und Entwick- lungsaufträge auf wissenschaftlich-technischem Gebiet auszuschreiben. Dann sind die in § 16 VOL/A festgelegten Zuschlagskriterien zu beachten. Auch hier gilt dann, dass die Auftraggeber durch den Auftragsge- genstand gerechtfertigte Kriterien, wie Qualität, Preis, technischen Wert, Ästhetik, Zweckmäßigkeit, Umweltei- genschaften usw. berücksichtigen können (Abs. 8), soweit diese in den Vergabeunterlagen genannt sind (Abs. 7).
In der Sache nichts anderes gilt aber auch für Leis- tungen im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit. Denn auch für diese gelten, wie § 1 Satz 3 VOL/A ausdrücklich festhält, die Bestimmungen der Haushaltsordnungen und damit die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 7 Satz 1 BHO).
4. Wahrung der Wissenschaftsfreiheit
Gleichgültig, ob Forschungs- und Entwicklungsaufträge unterhalb der Schwellenwerte freihändig vergeben oder ausgeschrieben werden: Vergabegrundsätze und Zuschlagskriterien lassen auch hier ausreichend Raum, um den wissenschaftsrelevanten Bedürfnissen von For- schungseinrichtungen gerecht zu werden. Insbesondere können die notwendigen Anforderungen an Fachkunde und Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers gestellt wer- den.
V. Private Auftraggeber
Auf Auftragsforschung, welche von privaten Unterneh- men vergeben wird, ist das Vergaberecht von Haus aus nicht anwendbar. Auch die Vorschriften über das verbo- tene Verhalten marktbeherrschender Unternehmen greifen in der Regel nicht, weil es sich bei Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen zumeist nicht um gewerbliche Leistungen handelt.
26 Blümich/Hutter, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 130. Aufl. 2015, § 18 Rn. 19.
27 So wohl auch Willenbruch/Wieddekind/Haak/Preißinger, Vergabe- recht, § 3 VOL/A, Rn. 45ff.
Eine Bindung an vergaberechtliche Bestimmungen kann sich aber aus dem Gesellschaftsrecht ergeben. So können Satzungen vorsehen, dass bestimmte Aufträge nur nach Ausschreibung vergeben werden dürfen. Auch kann es der von Vorstandsmitgliedern und Geschäfts- führern anzuwendenden Sorgfalt entsprechen, Aus- schreibungen vorzunehmen und bestimmte Vergabekri- terien zu beachten. Das gilt aber nicht in jedem Fall. For- schungs- und Entwicklungsaufträge können so spezifi- sche Anforderungen an die Fähigkeiten des Auftragnehmers stellen, dass von vornherein nur ein oder wenige Unternehmen in Betracht kommen. Dann kann es sinnvoll sein, auf eine Ausschreibung zu verzich- ten.
Denkbar, wohl aber weithin nicht praktiziert, ist auch eine Bindung von Zuschüssen öffentlicher Stellen an die Anwendung des Vergaberechts bei der Vergabe von Auf- trägen.
VI. Forschungsrelevante Lieferungen und Dienstleis- tungen
1. Oberhalb der Schwellenwerte
Vorschriften, die Forschungseinrichtungen als Auftrag- nehmer ganz vom Vergaberecht ausnehmen würden, enthalten weder die Richtlinie 2014/24/EU noch das GWB. Art. 32 Abs. 3 lit. a der Richtlinie bestimmt aber, dass das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröf- fentlichung anwendbar ist, wenn es sich um Produkte handelt, die ausschließlich zu Forschungs‑, Versuchs‑, Untersuchungs- oder Entwicklungszwecken hergestellt werden, sofern die Aufträge nicht die Serienfertigung zum Nachweis der Marktfähigkeit oder zur Deckung der Forschungs- und Entwicklungskosten umfassen. Das Vergaberecht des GWB enthält diese Ausnahme nicht. Es begnügt sich mit der allgemeinen Ausnahmevor- schrift des § 116 Abs. 1 Nr. 2, die aber an die oben II 1 dar- gelegten Voraussetzungen geknüpft ist.
Art. 5 Abs. 10 der Richtlinie und § 3 Abs. 9 der Verga- beverordnung ermöglichen es allerdings, aus einem Ge- samtauftrag ein oder mehrere Lose mit einem geschätz- ten Wert von unter 80.000 Euro zu vergeben, solange diese 20 % des kumulierten Wertes aller Lose nicht über- steigen. Das bedeutet praktisch, dass 20% regelmäßig wiederkehrender Aufträge außerhalb des Anwendungs- bereichs von Richtlinie und GWB vergeben werden kön- nen, so dass sie nur den Bestimmungen für Aufträge un- terhalb der Schwellenwerte unterliegen.
28 vom 21. 11. 1953 (BAnz. Nr. 244), zuletzt geändert durch VO PR 1/89 vom 13. 6. 1989 (BGBl. I 1094).
Eine unzulässige Umgehung im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie und § 3 Abs. 2 Vergabeverordnung liegt in einer solchen Vorgehensweise nicht. Bei Art. 5 Abs. 10 der Richtlinie und § 3 Abs. 9 Vergabeverordnung handelt es sich um Sondervorschriften, denen gegenüber den allgemeinen Umgehungsvorschriften Spezialcharak- ter zukommt. Sie sollen gerade auch die schwierige mit Unsicherheiten verbundene Beurteilung der Frage erüb- rigen, ob für eine Vermeidung der Anwendung von Richtlinie und GWB ein besonderer rechtfertigender Grund vorliegt.
2. Unterhalb der Schwellenwerte
Für Aufträge unterhalb der Schwellenwerte ist wiederum § 3 Abs. 3 lit. c VOL/A einschlägig, nach dem die freihän- dige Vergabe stets zulässig ist, wenn es sich um die Erbringung von Dienstleistungen zur Erfüllung wissen- schaftlich-technischer Fachaufgaben auf dem Gebiet von Forschung, Entwicklung und Untersuchung handelt, die nicht der Aufrechterhaltung des allgemeinen Dienstbe- triebs und der Infrastruktur einer Dienststelle des Auf- traggebers dienen. Indem die Vorschrift auch auf Unter- suchungen abstellt, ermöglicht sie die Berücksichtigung von Forschungseinrichtungen, die für ihre eigene For- schung und Entwicklung auf das durch Untersuchungen gewonnene Material angewiesen sind.
Die freihändige Vergabe lässt zu, auf eine Ausschrei- bung zu verzichten, nur wenige Unternehmen zur Ange- botsabgabe aufzufordern und dann auch nur mit einem Unternehmen über die Auftragsbedingungen zu verhan- deln. Das lässt Spielraum, jedenfalls einen Teil solcher Untersuchungsaufträge an Hochschuleinrichtungen, etwa der Rechtsmedizin, zu vergeben, um die wissen- schaftlichen Bedürfnisse solcher Forschungseinrichtun- gen zu befriedigen.
Ein Verstoß gegen die nach § 2 Abs. 4 VOL/A bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu beachtenden Preisvor- schriften liegt darin nicht. Zwar bindet § 4 Abs. 2 der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen28 öffentliche Auftraggeber an die im Verkehr üblichen Preise. Doch können diese nach § 4 Abs. 4 der Verordnung überschritten werden, wenn es die bei dem Auftrag vorliegenden besonderen Verhältnisse kosten- mäßig rechtfertigen. Dass solche besonderen Verhältnis- se vorliegen, muss man angesichts der Bedeutung dieser Aufträge für die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte wissenschaftliche Forschung annehmen. Solange die von den Hochschuleinrichtungen verlangten Preise die ver-
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kehrsüblichen nicht unverhältnismäßig überschreiten, ist deshalb auch das Preisrecht eingehalten.
3. Wahrung der Wissenschaftsfreiheit
Aus der nach Art. 5 Abs. 3 GG bestehenden Pflicht des Staates, dafür zu sorgen, dass sich Hochschulen und For- schungseinrichtungen die für Forschung und Lehre not- wendigen sachlichen Mittel, über die der Staat verfügt, verschaffen können, folgt seine Verpflichtung, auch bei Aufträgen oberhalb der Schwellenwerte sicherzustellen, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen den für
ihre Forschung und Lehre unabdingbaren Mindestanteil an einschlägigen Aufträgen erhalten.
Um diese Verpflichtung zu erfüllen, muss der Staat vor allem von der Möglichkeit Gebrauch machen, bis zur Grenze von 20% des Gesamtwertes Einzelaufträge im Umfang bis zu 80.000,00 € zu vergeben, um so zur An- wendung von § 3 Abs. 5 lit. c VOL/A zu gelangen.
Der Autor ist Professor an der Albert-Ludwigs-Univer- sität Freiburg und Leiter der Forschungsstelle für Hochschulrecht und Hochschularbeitsrecht.