I. Einführung II. Rahmenbedingungen für eine Neuregelung 1. Länderstaatsvertrag 2. Umsetzungsfrist a) Technische Ausgestaltung des Zulassungsverfahrens b) Übergangsverfahren 3. Reichweite einer Neuregelung III. Minimallösung oder Neugestaltung des zentralisierten Vergabeverfahrens (SfH) 1. Abiturbestenquote 2. Ortspräferenzen innerhalb der Abiturbestenquote 3. Wartezeitquote 4. Talentquote 5. Wartezeit: Problem der Altwarter IV. Das Auswahlverfahren der Hochschulen („AdH“) 1. Ausgestaltung durch Landesrecht a) Eignungskriterien für das Auswahlverfahren aa) Regelungsauftrag des BVerfG bb) Perspektiven b) Wesentlichkeitstheorie / Parlamentsvorbehalt c) Sicherstellung der länderübergreifenden Vergleichbarkeit von Abiturnoten 2. Ausgestaltung durch Satzungsrecht der Hochschulen a) Unmittelbare Verbindlichkeit des Urteils für die bisherigen Regelungen in den Auswahlsatzungen der Hochschulen b) Testwiederholung c) Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Vorauswahl zum Ham-Nat und zum Auswahlgespräch d) Keine Vorauswahl durch Ortspräferenzen bei nicht-individualisierten Auswahlverfahren I. Einführung Der dem Aufsatz zugrundeliegende Vortrag im Rahmen des Hochschulrechtstages am 15.5.2018 in Erlangen knüpft an eine vorhergehende Publikation1 des Verfassers an, welche das Urteil des BVerfG vom 19.12.20172 zur künftigen Ausgestaltung des Studienzulassungsrechts, insbesondere zum künftigen Recht der Vergabe von Studienplätzen in den medizinischen Studiengängen ausführlich bewertet. Aufgrund der mehr als 40-jährigen Erfahrung des Referenten auf dem Gebiet des Studienzulassungsrechts und der Kenntnis der Praxis der Vergabeverfahren seit 1975 werden konkrete Vorschläge zur künftigen Gestaltung des Vergabeverfahrens unterbreitet. Berücksichtigt werden die Interessen „besonders schutzwürdiger Altwarter“ – um einen Begriff aus früheren Verfassungsgerichtsentscheidungen aufzugreifen – in einem zukünftigen Vergabeverfahren. Die Frage nach deren Schutzbedürftigkeit unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ist Gegenstand eines von der Amtschefkonferenz der Kultusminister in Auftrag gegebenen Gutachtens. Für den Vortrag haben wir die Folgerungen für (innerkapazitäre) Vergaberechtsstreitigkeiten entsprechend ergänzt, zwischenzeitlich bekannt gewordene Eckpunkte der KMK-Amtschefkonferenz eingearbeitet und abschließend unsere Vorschläge für ein künftiges Vergabeverfahren aus anwaltlicher Sicht zusammengefasst. Für (sog. außerkapazitäre) Verfahren, in denen es um die Ausschöpfung der Ausbildungskapazität geht, spielt die Entscheidung aus anwaltlicher Sicht jedenfalls gegenwärtig keine Rolle. II. Rahmenbedingungen für eine Neuregelung These: Die Übergangsfrist für die Schaffung einer den Anforderungen des BVerfG genügenden Regelung bis zum 31.12.2019 fordert eine Neuregelung spätestens zum Sommersemester 2020. Da sich der Bund „geweigert“ hat, selbst tätig zu werden, wird es eine Länderregelung – voraussichtlich in einem Staatsvertrag 2019 – geben. Ohne ein Übergangsverfahren wird es angesichts der rechtlichen und tatsächlichen Probleme nicht gehen. 1. Länderstaatsvertrag Der Bund hat von der Möglichkeit, durch Änderung und/oder Ergänzung des HRG von seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch zu machen oder gar ein eigenes (Bundes-)HochschulzulassungsgeRobert Brehm Konsequenzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Dritten Numerus-Clausus-Urteil vom 19.12.2017 aus anwaltlicher Sicht 1 Brehm/Brehm-Kaiser, Das Dritte Numerus-Clausus-Urteil des BVerfG, NVwZ Extra, 08/2018, 1 ff., abrufbar unter: http://rsw. beck.de/rsw/upload/NVwZ/Extra_8-2018.pdf (27.07.2018). 2 BVerfG, Urteil v. 19.12.2017 — 1 BvL 3/14, 1 BvL 4/14; NJW 2018, 361 ff. Ordnung der Wissenschaft 2019, ISSN 2197–9197 3 6 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2019), 35–44 3 Zu dem äußerst komplizierten Ineinandergreifen der Kompetenzen: BVerfG a.a.O., Fn. 2, Rn. 230 ff.; vgl. dazu auch Lindner, Aktuelle Entwicklungen im Hochschulzugangsrecht, NVwZ-Extra 06/2010, Rn. 18 m.w.N. 4 z.B. https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_vbl_detail_text?anw_ nr=6&vd_id=16143&vd_back=N239&sg=1&menu=1 (13.12.18). 5 Wiarda, Wer darf Arzt werden? , DIE ZEIT Nr.20/2018 vom 9.5.2018, abrufbar unter: https://www.zeit.de/2018/20/medizinstudium-arzt-numerus-clausus-bundesverfassungsgericht (27.7.2018); ders.,https://www.jmwiarda.de/2018/02/16/studienzulassung‑f%C3%BCr-medizin-bis-mai-sollen-die-eckpunkte-eines-neuen-staatsvertrages-stehen/ (27.7.2018); Schmoll, Im Streit um Studienplätze, F.A.Z. vom 12.5.2018, abrufbar unter: http:// www.faz.net/aktuell/feuilleton/hoch-schule/talent-statt-wartezeitneuordnung-bei-den-medizinern-15585362.html (27.7.2018). 6 Wiarda und Schmoll a.a.O., Fn. 5. 7 Ausführlich zum Übergangsverfahren: Bahro, 1. Aufl., Art. 16 StV 1972, S. 106 ff.; kritisch: Becker, Die Entwicklung des Hochschulzulassungsrechts bis 1982, NVwZ 1983, 204 ff. (208). 8 BVerfG, Beschl. v. 3.11.1981 – 1 BvR 1249/80, NVwZ 1982, 97 ff; BeckRS 1981, 106189 unter Bezugnahme auf auf das zweite NC Urteil. setz zu erlassen,3 keinen Gebrauch machen wollen. Zu einer weiteren Ratifizierung des bisher nur in 10 Bundesländern ratifizierten Staatsvertrags über die gemeinsame Einrichtung für Hochschulzulassung vom 21.3.20164 wird es nicht mehr kommen. Bereits im Februar 2018 hat sich eine KMK-Gruppe etabliert,5 nach deren Arbeitsbeginn sich die Amtschefs zunächst dafür ausgesprochen haben, dass die Länder die Humanmedizin-Studienplatzvergabe in Eigenregie neu regeln, nachdem das Bundesbildungsministerium zu Zeiten der „geschäftsführenden Regierung“ der KMK informell signalisiert hatte, dass es den Ländern den Vortritt lassen möchte. 2. Umsetzungsfrist Die KMK-Arbeitsgruppe „Staatsvertrag Hochschulzulassung“ interpretiert – wie auch wir – das Urteil so, dass das neue Zulassungsverfahren bereits zum Sommersemester 2020 greifen muss. Dies bedeutet, dass der neue Staatsvertrag spätestens bis Anfang November 2019 in allen Ländern ratifiziert werden und in Kraft treten muss. a) Technische Ausgestaltung des Zulassungsverfahrens Dafür muss die Stiftung für Hochschulzulassung („SfH“) eine völlig neue Software für das neue Zulassungsverfahren entwickeln, was nach den Medienberichten von Wiarda und Schmoll wohl zeitlich nicht zu schaffen ist.6 Daher schlug die Arbeitsgruppe vor, von Anfang an eine Übergangsregelung in den neuen Staatsvertrag einzubauen, der zufolge das Zulassungsverfahren „mit den bestehenden oder nur rudimentär weiterentwickelten EDV-technischen Gegebenheiten durchgeführt werden kann.“ Was dies faktisch bedeuten würde, ist uns (noch) nicht klar. Wir können uns nicht vorstellen, dass der neue Staatsvertrag die bisherige Zulassungspraxis – unverändert – wenn auch nur auf eine bestimmte Zeit verlängern würde. b) Übergangsverfahren Da die vom BVerfG gesetzte Frist zur Neuregelung bis zum 31.12.2019 angesichts der Kompliziertheit der Materie, der Einigungspflicht der Länder auf einen neuen Staatsvertrag, dessen Ratifizierung in den Länderparlamenten und der neuen Hard- und Software zu knapp bemessen ist, erscheint es angebracht, zunächst einer Neuregelung ein „Vorschaltgesetz“ im Sinne eines Übergangsverfahrens voranzustellen. Ein solches Übergangsverfahren gab es bereits aufgrund des HRG 1976 und des SV 1978 bis einschließlich zum Sommersemester 1986, bevor dann zum Wintersemester 1986/1987 das Besondere Auswahlverfahren galt.7 Auch damals gab es nur eine kurze Zeitspanne zwischen dem Zweiten NC-Urteil vom 8.2.1977 und der Einführung des Übergangsverfahrens zum Besonderen Auswahlverfahren. Allerdings sehen wir einen wesentlichen Unterschied zwischen damals und heute: Das BVerfG hat im Zweiten NC-Urteil das damalige System zwar als beschleunigt abzulösen, aber noch nicht als „verfassungswidrig“ angesehen. Auch existierte damals bereits ein neues – künftiges – Auswahlverfahren, das vom BVerfG „als solches nicht von vornherein als verfassungsrechtlich bedenklich“ angesehen wurde. Derartiges gibt es derzeit nicht. Dennoch sollten verfassungsrechtliche Hindernisse für ein solches Übergangsverfahren nicht bestehen. Das BVerfG hat sowohl im Zweiten NC-Urteil als auch im Altwarterbeschluss darauf hingewiesen, dass die Neuregelung eines Auswahlsystems ein typischer Anwendungsfall dafür sei, dass dem Gesetzgeber bei komplexen, in der Entwicklung begriffenen Sachverhalten eine angemessene Frist zur Sammlung von Erfahrungen gebühre und dass Mängel einer Regelung erst dann Anlass zum verfassungsgerichtlichen Eingreifen geben könnten, wenn der Gesetzgeber eine Überprüfung und Verbesserung trotz ausreichender Erfahrungen für eine sachgerechtere Lösung unterlasse.8 Diese Grundsätze Brehm · Konsequenzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 3 7 9 Vgl. dazu im Kapazitätsrecht Zimmerling/Brehm, Hochschulkapazitätsrecht, Band 2, 2012, S. 96 ff, Rn.185 ff.; konkret zur Beobachtungspflicht des Verordnungsgebers beim Krankenversorgungsabzug Tiermedizin VerfGH Berlin, Beschl. v. 15.1.2014 — 109/13, DVBl 2014, 377 ff. m. Anm. Zimmerling/Brehm. 10 a.A. wohl v. Coelln, NJW 2018, 380. 11 Ausführlich: Brehm/Brehm-Kaiser, Das Dritte Numerus-ClaususUrteil des BVerfG, NVwZ-Extra 08/2018, 1 (10 f.). 12 Abrufbar unter: https://www.kmk.org/presse/pressearchiv/ mitteilung/richtungsentscheidung-der-kultusministerkonferenzzur-vergabe-von-studienplaetzen-im-fach-humanmedizi.html (27.7.2018). finden sich in der Rechtsprechung zur Beobachtungspflicht des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers wieder.9 Es spricht daher nach unserer Auffassung nichts dagegen, durch Übergangsregelungen Erfahrungen zu sammeln, um dem Gestaltungsauftrag, welcher dem Gesetzgeber obliegt, gerecht werden zu können. In diesem Übergangsverfahren könnten auch den „besonders schutzwürdigen Altwartern“ noch Zulassungschancen eingeräumt werden. 3. Reichweite einer Neuregelung These: Das neue Vergabeverfahren muss sämtliche Studiengänge des zentralen Vergabeverfahrens (SfH-Studiengänge) und – nach einer längeren Übergangsfrist – auch die Studiengänge der direkten Hochschulvergabe – Ortsbewerbung oder Dialogorientiertes Serviceverfahren (DoSV) – umfassen. Ausnahmen sind gesetzlich oder staatsvertraglich vorzugeben. Die Neuregelung muss, dies bestätigen auch die Überlegungen der KMK-Arbeitsgruppe, wenn es auch zeitliche Abstufungen geben kann, nicht nur die Studiengänge des zentralen Vergabeverfahrens (SfH-Studiengänge), sondern auch die der Studiengänge der direkten Vergabe durch die Hochschulen – sei es aufgrund einer reinen Ortsbewerbung oder über die Serviceleistung des dialogorientierten Serviceverfahrens (DoSV) – umfassen.10 Denn überall dort, wo die Nachfrage von Studienplätzen das Kontingent überschreitet und in der Folge Zulassungsbeschränkungen etabliert sind, besteht im Ausgangspunkt dieselbe Problemlage, wie sie nunmehr vom BVerfG für die Humanmedizin entschieden wurde.11 Dies gilt jedenfalls für die anderen medizinischen Studiengänge; aber auch im Übrigen, gegebenenfalls nur mit abgeschwächter Brisanz. Da aber für die Studiengänge außerhalb des zentralen Vergabeverfahrens die Fristsetzung des BVerfG nicht gilt, kann hier die Einführung besonderer Vergabeverfahren auf den Erfahrungen aufbauen, die im Übergangsverfahren bis zum Greifen der Neuregelung gemacht werden. III. Minimallösung oder Neugestaltung des zentralisierten Vergabeverfahrens (SfH) In der Mai-Sitzung der Amtschefs am 3.5.2018 wurden sodann Eckpunkte beschlossen, die der KMK-Hochschulausschuss auf Basis der Vorarbeiten der eigens eingerichteten KMK-Arbeitsgruppe „Staatsvertrag Hochschulzulassung“ formuliert hatte. Aus diesen Eckpunkten12 ist zu entnehmen, dass die Länder nicht lediglich die Mängelliste des Verfassungsgerichts im Sinne einer „Minimallösung“ abarbeiten, sondern die Gelegenheit zu einer „Weiterentwicklung mit Gestaltungsmöglichkeiten“ nutzen wollen. 1. Abiturbestenquote Allerdings soll die vom BVerfG an sich nicht beanstandete Abiturbestenquote nicht abgeschafft werden. Dies lässt sich mit den Schulministern und Senatoren nicht machen, welche wohl die Notenmotivation aufrechterhalten wollen. Es wird also offensichtlich an diesem Kriterium festgehalten, weil man andernfalls eine Entwertung des Abiturs als Abschluss insgesamt fürchtet. Die Abiturnote soll als bisher mit Abstand wichtigstes Zulassungskriterium nach den Eckpunkten auch weiterhin eine – allerdings deutlich geringere – Rolle spielen. Unstrittig ist, dass es neue Ausgleichsmechanismen zur länderübergreifenden Vergleichbarkeit der Schulzensuren geben muss. Dies soll – dem Vernehmen nach – in der Form umgesetzt werden, dass die Abitur-Noten-Verteilung in jedem Bundesland in Prozentränge übersetzt wird, so dass es beim bundesweiten Vergleich nicht mehr auf die konkrete Ziffer auf dem Zeugnis ankommt. 2. Ortspräferenzen innerhalb der Abiturbestenquote Die vorrangige Berücksichtigung der Ortspräferenzen in der Abiturbestenquote soll beseitigt werden. Die – dem Autor nicht bekannte – Vorlage der AG „Staatsvertrag Hochschulzulassung“ nennt eine Reihe von Möglichkeiten. So könnten z.B. die Länder für die Abiturbestenquote eine gleichzeitige bundesweite Bewerbung an allen (derzeit) 35 Medizinstandorten erlauben. 3. Wartezeitquote Die auf der KMK-Amtschefkonferenz diskutierte Frage, ob die Wartezeitquote beibehalten werden soll oder alternativ ganz wegfallen könnte, scheint derzeit im Sinne der zweiten Alternative beantwortet. Wie bereits anfangs erwähnt, sehen wir dies als eines der aus anwaltlicher Sicht zentralen Themen an: So bezweifeln wir, dass es wirklich fairer wäre, wenn Bewerber künftig vier Jahre warteten und dann endgültig und ohne Studienplatz 3 8 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2019), 35–44 13 Das BVerfG hat eine Wartezeit von längstens 4 Jahren für zulässig erachtet, BVerfG a.a.O., Fn. 2 Rn. 225. 14 Bode, Zwischen Realität und Utopie: Die „Numerus clausus III“- Entscheidung des BVerfG, OdW 2018, 173 (189). 15 http://www.uni-giessen.de/studium/bewerbung/erststudium/medizinen/gruppea/med-zahnmed (27.7.2018). aus dem Verfahren flögen.13 Umgekehrt macht aber auch die – insbesondere die sofortige – ersatzlose Streichung der Wartezeitquote die Zulassung nicht gerechter. Immerhin lässt die Erfüllung von Wartezeiten auf eine besonders große Motivation des Bewerbers schließen. Die Länder diskutieren deshalb unter anderem, ob aus dem Warteverfahren gekippte Bewerber sich künftig erneut über standardisierte Eignungstests bewerben dürfen. 4. Talentquote Die Kultusminister wollen die Wartezeitquote in Höhe von 20 % durch eine von den KMK-Amtschefs sog. Talentquote ersetzen und herausragenden Bewerbern unabhängig von ihrer Note die Chance geben, ihre Eignung nachzuweisen, z.B. über berufliche Vorerfahrungen oder Standardtests. Die genauen Kriterien müssen hier noch festgelegt werden. Da sich die Beschlüsse der KMK zur Zulassung auf die Studienplatzvergabe in weiteren NC-beschränkten Fächern – und nicht nur auf die drei medizinischen Fächer und die Pharmazie – auswirken werden, wird die Debatte über die künftige Bedeutung und Ausgestaltung standardisierter Tests wie auch der Auswahlgespräche in den nächsten Monaten besonders engagiert geführt werden. So werden strukturierte Eignungsprüfungen eine Möglichkeit sein, die Bedeutung der Abiturnote abzuschwächen. Bereits 2017 hatte der zwischen Bund und Ländern vereinbarte „Masterplan Medizinstudium 2020“ weitere Eignungskriterien für die Zulassung vorgeschlagen: Vor allem passende berufliche Vorerfahrungen etwa von Krankenpflegern oder Rettungssanitätern. Solche Überlegungen lassen sich auch auf andere Fächer übertragen. 5. Wartezeit: Problem der Altwarter These: Für die „besonders schutzwürdigen Altwarter“ ist bei Herabsetzung der Wartezeitquote, bei Beschränkung der Wartezeit auf eine bestimmte Zahl von Semestern und erst recht bei deren Abschaffung ein Übergangsverfahren vorzusehen. Wir halten eine Übergangsfrist für Altwarter von insgesamt drei Jahren seit dem Urteil aus Gründen des Vertrauensschutzes für erforderlich, denn: Das BVerfG hat die Wartezeitquote nicht als verfassungswidrig verworfen, sondern lediglich eine höhere Quote als 20% untersagt und die Dauer auf 8 Semester „begrenzt“. Mit einem vollständigen Wegfall der Wartezeitzulassung mussten die Bewerber nach rund 40 Jahren, in denen sie einen Platz „erwarten“ konnten, nicht rechnen. Immerhin sah auch noch der in 10 Bundesländern ratifizierte Staatsvertrag 2016 eine feste Quote von 20% vor. Bode14 hat es zu Recht als „geradezu paradox“ bezeichnet, dass von Altwartern angestoßene Vorlagebeschlüsse zur Abschaffung der Wartezeitzulassung führen. Die wesentlichen Grundlagen, wie eine verfassungsgemäße Ausgestaltung der Wartezeitregelung unter Berücksichtigung von Vertrauensschutzgesichtspunkten aussehen könnte, ergeben sich bereits aus dem Beschluss des BVerfG zu den „Altwartern“ vom 3.11.1981. Zur besonders schutzwürdigen Gruppe der Altwarter gehören nur diejenigen, die sich spätestens zum Wintersemester 2017/2018 – also vor dem Dritten NC-Urteil – erstmals und sodann kontinuierlich im Wunschstudienfach beworben haben. „Gelegenheitsbewerber“ gehören – anders als das BVerfG meint – nicht dazu: Es ist zwar verfassungsrechtlich nicht unzulässig, jedoch nicht geboten, Gelegenheitsbewerber zu berücksichtigen. Es spricht nichts gegen die dazu im StV 2016 getroffenen Regelungen. Es empfiehlt sich zur Vermeidung verfassungswidriger Regelungen, insbesondere zu Lasten der Altwarter, in einem neuen Vergabeverfahren Erfahrungen durch ein (erneutes) Übergangsverfahren zu machen. Der Beginn fachnaher Berufsausbildungen führt neben der Erstbewerbung spätestens zum dem Wintersemester 2017/2018 und – kumulativ – der kontinuierlichen Bewerbung zur Einstufung in die Gruppe der besonders schutzwürdigen Bewerber. Der Gesetzgeber/der Staatsvertrag kann für diese Bewerber im Auswahlverfahren der Hochschulen („AdH“) eine „Sondergruppe“, entsprechend der derzeitigen Regelung z.B. an der Universität Gießen vorsehen.15 Der Gesetzgeber/der Staatsvertrag können für diese Bewerber auch Aufbesserungen der Hochschulzugangsberechtigungs(„HZB)-Note für das AdH und der Wartezeit vorsehen. IV. Das Auswahlverfahren der Hochschulen („AdH“) 1. Ausgestaltung durch Landesrecht a) Eignungskriterien für das Auswahlverfahren These: Die Landesgesetzgeber müssen vorsehen, dass die Hochschulen im AdH jedenfalls zwei weitere Auswahlkri- Brehm · Konsequenzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 3 9 16 BVerfG a.a.O., Fn. 2, Rn. 204 ff. 17 BVerfG a.a.O., Fn. 2, Rn. 204 am Ende; Masterplan Medizinstudium 2020, S. 2: abrufbar unter: https://www.bmbf.de/ files/2017–03-31_Masterplan%20Beschlusstext.pdf (27.7.2018). 18 Zu dem Vorschlag eines zweistufigen Vergabeverfahrens: https:// medizinische-fakultaeten.de/studium/themen/aktuelle-themen/ zulassung/ (27.7.2018); dabei wird wohl davon ausgegangen, dass ein weiteres Kriterium neben der HZB-Note ausreichend sei. 19 Hampe/Kadmon u.a., Medizinstudierendenauswahl in Deutschland, Bundesgesundheitsblatt 2018, 61: 178 ff., abrufbar unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-017‑2670‑2 (27.7.2018). 20 Situational judgement test. terien neben der HZB-Note heranziehen. Dies folgt aus der Bezugnahme des BVerfG auf den „Masterplan Medizinstudium 2020“. aa) Regelungsauftrag des BVerfG Bereits im Leitsatz 5, 5. Spiegelstrich, verwirft das BVerfG die Regelungen zum AdH deshalb als verfassungswidrig, weil für einen hinreichenden Teil der Studienplätze neben der HZB-Note keine weiteren Auswahlkriterien mit erheblichem Gewicht Berücksichtigung finden. Damit macht das BVerfG deutlich, dass es Sache des Gesetzgebers ist, verschiedene weitere Auswahlkriterien, deren Zahl und deren Kombination zu normieren. bb) Perspektiven Wir sind der Auffassung, dass sich aus den vom BVerfG zustimmend zitierten Ausführungen zum „Masterplan Medizinstudium 2020“ ergibt, dass der Gesetzgeber /der Staatsvertrag den Universitäten aufgeben muss, jedenfalls zwei weitere Auswahlkriterien neben der HZB-Note heranzuziehen.16 So wurde – um das Medizinstudium stärker auf Fähigkeiten auszurichten, die im Arztberuf wichtig sind – im Masterplan vereinbart, im AdH künftig die Anwendung von mindestens zwei weiteren Kriterien neben der HZB-Note vorzuschreiben.17 Auch die Lösungsvorschläge des Medizinischen Fakultätentages („MFT“) beziehen sich ausdrücklich auf den Masterplan.18 Wir weisen auch noch auf die Untersuchung „Medizinstudierendenauswahl in Deutschland – Messung kognitiver Fähigkeiten und psychosozialer Kompetenzen – Vorschlag einer Neuregelung der Auswahl“ von Mitgliedern der Arbeitsgruppe – Auswahlverfahren an der Universität Hamburg – hin.19 Die Leiter der Studie wurden beide auch vom BVerfG in der mündlichen Verhandlung als Gutachter angehört. Zusammenfassend kommen die Autoren zu folgendem Ergebnis: „Untersuchungen zeigen, dass die Abiturnote der beste Prädiktor von Studienleistungen ist. Die Auswahl der Bewerberinnen nach Abiturnote gerät jedoch verstärkt in die Diskussion, da die Vergleichbarkeit der Abiturnoten infrage steht und die Bewerberzahl mit Bestnote stark anwächst. Fähigkeits- und Kenntnistests können inkrementell zur Abiturnote die Vorhersage der Studienleistungen verbessern, wobei insbesondere die naturwissenschaftlichen Anteile bedeutsam sind. Die Messung psychosozialer Kompetenzen in klassischen Interviews ist wenig reliabel und valide. Die reliableren Multiple Mini-Interviews können vor allem praktische Studienergebnisse besser vorhersagen. Im Ausland eingesetzte Situational Judgement Tests (SJTs) werden als reliabel und valide eingeschätzt, die Korrelation eines in Hamburg pilotierten deutschen SJT mit dem Multiple MiniInterview stimmt vorsichtig positiv“. Der Artikel endet mit einem Vorschlag, wie der zukünftige Zulassungsweg eines potenziellen Medizinstudierenden unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aussehen könnte und der deutliche Sympathien mit dem bereits erwähnten Vorschlag des MFT und der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland erkennen lässt, nach dem die Wartezeit- und die Abiturbestenquote abgeschafft werden sollen. Nach diesem Entwurf können die Bewerberinnen in unterschiedlichen Kategorien Punkte sammeln: – maximal 40 Punkte für die Abiturnote, – bis zu 40 Punkte für einen Test kognitiver Fähigkeiten (vorgeschlagen wird eine Kombination des TMS und des HAM-Nat), – 10 Punkte für eine einjährige berufspraktische Erfahrung und – 10 Punkte für einen bundeseinheitlichen SJT20 zur Erfassung sozialer Kompetenzen. Da für Abiturnote und Eignungstests der Forschungsstand zur prädiktiven Validität deutlich besser ist, sollen diese mit der stärksten Gewichtung eingehen. Berufserfahrung und SJT sollen die im Masterplan Medizinstudium 2020 geforderten psychosozialen Kompetenzen abbilden, wobei der Nutzen eines SJTs nur vorsichtig positiv einzuschätzen ist. Die Hälfte der Studienplätze soll direkt entsprechend der Punktesumme vergeben werden. Für die andere Hälfte der Studienplätze sollen die Fakultäten die verbleibenden Bewerberinnen wiederum aufgrund der Punktesumme zu einem ihrem Profil entsprechenden universitären Auswahlverfahren einladen können, das 4 0 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2019), 35–44 21 Kadmon/Kadmon, Studienleistung von Studierenden mit den besten versus mittelmäßigen Abiturnoten: Gleicht der Test für medizinische Studiengänge (TMS) ihre Prognosen aus?, GMS 2016, 33 ff. 22 BVerfG a.a.O., Fn. 2, Leitsatz 5, 5. Spiegelstrich, Rn. 173 – 192. 23 BVerfG, Beschl. v. 03.04.1974 – 1 BvR 282, 305/73; NJW 1974, 1127; BeckRS 1973, 104818. dann auch weitere Tests zur Ermittlung der psychosozialen und kommunikativen Kompetenzen, wie z. B. Multiple Mini-Interviews, umfassen kann. b) Wesentlichkeitstheorie / Parlamentsvorbehalt These: Die Gewichtung von Methoden zur Eignungsmessung – Studienfähigkeitstest, Auswahlgespräch – gegenüber den anderen Auswahlkriterien, insbesondere der Note der HZB, bedarf einer gesetzlichen/staatsvertraglichen Regelung. Die Gewichtung des TMS-Tests im AdH ist bisher weder durch den Staatsvertrag noch durch Landeshochschulzulassungsgesetze vorgeschrieben. Sie erfolgt durch die bzw. in den jeweiligen Auswahlsatzungen der Hochschulen. So sehen z.B. die Auswahlsatzungen der Universitäten Frankfurt, Halle, Köln und Mainz für HM und ZM jeweils eine Gewichtung von Note der HZB und Test im Verhältnis von 51% zu 49% vor, ebenso die Uni Bochum für HM. Die Uni Leipzig gewichtet 60% HZB zu 40% Testergebnis. Andere Universitäten normieren – je nach Testergebnis – eine Verbesserung der HZB-Note um bis zu 0,8 für 10% der Testbesten, so die Uni Erlangen und die LMU. Als maximale Verbesserung sehen die Unis Göttingen, Freiburg und Kiel jeweils eine halbe Notenstufe – 0,5 – bei den 10%-Testbesten vor. Bei der Medizinischen Universität Lübeck führt ein Prozentwertrang von 50 oder höher – nicht weiter binnendifferenziert – zur Verbesserung der HZB-Note um 0,4. Damit ist es angesichts der Bedeutung des Tests und des Vorbehalts des Gesetzes vorbei: Es bedarf einer einheitlichen bundesweiten Regelung – eine dezentrale Normierung kommt nicht in Betracht. Unter Berücksichtigung der Ausführungen des BVerfG zum Gesetzesvorbehalt/zur Wesentlichkeitslehre erweist es sich als unumgänglich, dass angesichts der Bedeutung des Tests für eine chancengerechte Auswahl die Gewichtung im Verhältnis zur HZB-Note gesetzlich oder staatsvertraglich normiert wird. Dies gilt in gleicher Weise für die Gewichtung des Auswahlgesprächs für die Zulassung über die AdH-Quote. Die besondere Bedeutung des Tests, gerade auch für Medizinbewerber mit mittleren Durchschnittsnoten, zeigt das Ergebnis einer Arbeitsgruppe, die untersucht hat, ob die Gewichtung des TMS, die darauf abzielt, die Zulassung potentiell leistungsschwacher Abiturbesten zu reduzieren und stattdessen die Zulassung potentiell leistungsstarker Bewerber zu fördern, die mittelmäßige Schulabgangsnoten mitbringen, gerechtfertigt ist.21 Hierbei wurde der prognostische Beitrag der Abiturpunktzahl und des TMS zur Studienleistung und zur Studienkontinuität im vorklinischen Abschnitt des Medizinstudiums an zwei Studierendengruppen untersucht: Abiturbeste (HZB-Note 1,0, Abiturpunkte 823- 900) und mittelmäßige Abiturienten (HZB-Noten 2,0- 2,3, Abiturpunkte 689–660). Sodann wurden beide Gruppen im Verhältnis zu ihren TMS-Ergebnissen verglichen. Aus den Ergebnissen gewann die Arbeitsgruppe die Erkenntnis, dass der TMS geeignet ist, zwischen potenziell erfolgreichen und weniger erfolgreichen Studierenden beider HZB-Notenbereiche zu differenzieren. Mittelmäßige Abiturienten mit besonders hohen TMS-Ergebnissen erreichten bessere Studienergebnisse im vorklinischen Studienabschnitt als die Abiturbesten, die im TMS nur mittelmäßigen Erfolg hatten. Diese Beobachtungen rechtfertigen die Anwendung des TMS, um die Chancen von Studienbewerbern mit mittelmäßigen HZB-Noten im Wettbewerb um die Studienplätze zu erhöhen. c) Sicherstellung der länderübergreifenden Vergleichbarkeit von Abiturnoten These: Mangels Vergleichbarkeit der Abitur- bzw. HZBNoten in den einzelnen Bundesländern wird es – jedenfalls vorübergehend – wieder zu einer Art Bonus-Malus-System kommen (BVerfG: „Relationierung auf Zentralebene“): Es ist nicht das erste Mal, dass das BVerfG das Fehlen von Mechanismen für die nur eingeschränkte landesübergreifende Vergleichbarkeit von HZB-Noten rügt – dieses Mal für das AdH.22 Bereits in der „Bonus-Malus“ Entscheidung des BVerfG von 197423 war das Problem virulent. Art. 11 Abs. 8 des damaligen StV sah sogar eine Verpflichtung vor, für die Bewertung der Reifezeugnisse und der Zeugnisse der Fachhochschulreife einheitliche Maßstäbe zu entwickeln, um im gesamten Geltungsbereich des StV eine gerechte Zulassung nach dem Grad der Qualifikation zu gewährleisten: „(8) Für die Bewertung der Reifezeugnisse und der Zeugnisse der Fachhochschulreife sind einheitliche Maßstäbe zu entwickeln, um im gesamten Geltungsbereich des Staatsvertrages eine gerechte Zulassung nach dem Grad der Qua- Brehm · Konsequenzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 4 1 24 BayVerfGH, Urt. v. 01.08.1975 – Vf. 11 – VII – 73; NJW 1975, 1733 ff.; BeckRS 1975, 01426. 25 BVerfG, Beschl. v. 07.04.1976 — 2 BvH 1/75; NJW 1976, 1084 m. Anm. Pestalozza; BeckRS 9998, 106153 26 BVerfG a.a.O., Fn. 2, Rn. 3, Abiturbestenquote ohne Erwähnung der Landesquoten gebilligt in Rn. 127 ff. 27 BVerfG a.a.O., Fn. 2, Leitsatz 5, 4. Spiegelstrich, Rn. 173 ff. 28 BVerfG a.a.O., Fn. 2, Rn 186 f. 29 VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 18.03.2014 – Az. 6z K 4229/13, Rn. 402 ff. (429). 30 BVerfG a.a.O., Fn. 2, Rn.188; krit. Bode a.a.O., S.180. lifikation zu gewährleisten. Solange solche Maßstäbe noch nicht entwickelt sind, ist nach folgenden Grundsätzen zu verfahren: Für jedes Land werden jährlich die Durchschnittsnoten aller Reifezeugnisse festgestellt. Aus dem Ergebnis der einzelnen Länder wird eine Gesamtdurchschnittsnote für alle Länder ermittelt. Unterschreitet die Durchschnittsnote eines Landes die Gesamtdurchschnittsnote, so werden für das Vergabeverfahren die Noten der Reifezeugnisse dieses Landes um die Differenz heraufgesetzt, im umgekehrten Fall entsprechend herabgesetzt. Entsprechendes gilt für Zeugnisse der Fachhochschulreife. Einzelheiten werden vom Verwaltungsausschuss beschlossen“. Auf eine Landesverfassungsbeschwerde hin erklärte der Bayerische Verfassungsgerichtshof mit Urteil vom 01.08.197524 den Zustimmungsbeschluss des Bayerischen Landtags zum StV vom 21.02.1973 für verfassungswidrig. Einige Bundesländer wollten dies nicht hinnehmen und klagten beim BVerfG auf Feststellung der Verletzung des Verfassungsrechtssatzes über die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten. Das BVerfG erklärte sich allerdings mit Beschl. vom 07.04.197625 für nicht zuständig, weil es sich nicht um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handele: Der StV sei kein verfassungsrechtlicher, sondern ein verwaltungsrechtlicher Vertrag. Der Gesetzgeber ersetzte durch das HRG vom 26.01.1976 – konkret § 32 Abs. 3 Nr. 1 Satz 5 HRG 1976 — das Bonus-Malus-System durch das – in der Abiturbestenquote bis heute geltende und auch vom BVerfG aktuell nicht angetastete – Landesquotensystem: Die Quote eines Landes bemisst sich – unverändert – zu einem Drittel nach seinem Anteil an der Gesamtzahl der Bewerberinnen und Bewerber für den betreffenden Studiengang (Bewerberanteil) und zu zwei Dritteln nach seinem Anteil an der Gesamtzahl der Achtzehn- bis unter Einundzwanzigjährigen (Bevölkerungsanteil); für die Länder Berlin, Bremen und Hamburg werden die sich danach ergebenden Quoten um drei Zehntel erhöht. Bei der Berechnung des Bewerberanteils werden nur Personen berücksichtigt, die eine HZB besitzen, die von allen Ländern gegenseitig anerkannt ist.26 Im Urteil vom 19.12.2017 erklärte das BVerfG die gesetzlichen Vorschriften zum Auswahlverfahren der Hochschulen für verfassungswidrig, soweit im Verfahren HZB-Noten berücksichtigt werden können, ohne einen Ausgleichsmechanismus für deren nur eingeschränkte länderübergreifende Vergleichbarkeit vorzusehen.27 Die Unterschiede der Aussagekraft der HZBNoten in den Ländern seien zu gewichtig, als dass sie unter Rückgriff auf eine generalisierende Betrachtung übergangen werden könnten. Daher vermögen auch die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers und die praktischen Schwierigkeiten der Hochschulen den Verzicht auf einen Ausgleichsmechanismus für die Defizite in der länderübergreifenden Vergleichbarkeit der HZB-Noten nicht zu rechtfertigen.28 Das VG Gelsenkirchen hatte im Vorlagebeschluss herausgearbeitet, dass die durchschnittliche HZB-Note in den Jahren 2005 bis 2012 stets je nach Bundesland zwischen etwa 2,25 (Thüringen) und etwa 2,65 (Niedersachsen) lag.29 Vorschläge, wie die Länder damit im Rahmen des neuen Verfahrens umgehen könnten, hat das BVerfG nicht gemacht: Zwar könne es sein, dass die Übertragung des für die Abiturbestenquote vorgesehenen Landesquoten-Prinzips auf das Auswahlverfahren der Hochschulen an Grenzen stoße; ein bestimmter Mechanismus sei aber von Verfassungs wegen nicht vorgegeben. Es sei vielmehr Aufgabe des Gesetzgebers, eine Regelung zu finden, die eine annähernde Vergleichbarkeit der Noten praktikabel ermögliche, etwa durch eine Relationierung der Noten auf Zentralebene, auf die die Hochschulen dann zurückgreifen könnten. Der Gesetzgeber habe dabei einen weiten Gestaltungsspielraum. Es reiche, zumindest eine annähernde Vergleichbarkeit der HZB-Noten über die Ländergrenzen hinweg herzustellen.30 2. Ausgestaltung durch Satzungsrecht der Hochschulen a) Unmittelbare Verbindlichkeit des Urteils für die bisherigen Regelungen in den Auswahlsatzungen der Hochschulen These: Die Übergangsfrist zum 31.12.2019 gilt nicht für das der Entscheidung widersprechende Satzungsrecht der Hochschulen. Dieses ist bereits gegenwärtig verfassungswidrig. Wir sind der Auffassung, dass sich die Übergangsfrist zur Neuregelung nur an den Gesetz- und Verordnungsgeber, nicht jedoch an die Hochschulen richtet. Diese 4 2 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2019), 35–44 31 Abrufbar unter: http://www.tms-info.org/fileadmin/pdf/ auszugsatzungtmsbereich.pdf (27.7.2018). 32 Vgl. etwa die „Satzung über das Auswahlverfahren der Charité – Universitätsmedizin Berlin für die Studiengänge Medizin und Zahnmedizin (Auswahlsatzung)“ vom 20.4.2015. 33 OVG Münster, NJW, 1987, 1505 (1507). 34 Brehm/Brehm-Kaiser a.a.O., S. 12 f. 35 Anders als 1986 sind heute für die Entscheidung über die Wiederholbarkeit des Tests als AdH-spezifisches Mit-Auswahlkriterium die Gerichte des in erster Präferenz gewählten Studienorts zuständig (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 29.9.2014 — 6a L 1244/14, Rn.7 ff.; Beschl. vom 2.10.2015 — 6z L 1804/15 und Gerichtsbescheid v. 5.3.2015 — 6z K 3908/15, n.v.; Brehm/Maier, DVBl. 2016, 1166 ff. (1173). Dies gilt auch für die Anfechtung der Durchführung oder des Ergebnisses des Auswahlgesprächs. 36 Vgl. § 8 der Satzung über das Auswahlverfahren der Charité – Universitätsmedizin Berlin für die Studiengänge Medizin und Zahnmedizin (Auswahlsatzung) vom 20.04.2015; Die Teilnahme ist auf 850 Bewerber beschränkt. müssen nach unserer Meinung die verfassungswidrigen Regelungen durch unmittelbare und unverzügliche Neuregelung in den Auswahlsatzungen ersetzen. Es gilt folgende verfassungswidrige Regelungen zu vermeiden bzw. zu ändern: – soweit die Hochschulen bisher neben eignungsbezogenen gesetzlichen Kriterien uneingeschränkt auch auf das Kriterium eines frei zu bestimmenden Ranges der Ortspräferenz zurückgegriffen haben, ohne dass dies durch Besonderheiten des konkreten Auswahlverfahrens (z.B. strukturierte Auswahlgespräche) geboten ist, – soweit die Hochschulen allein die HZB-Noten berücksichtigt und auf diese Weise 80% der Plätze an die Abiturbesten vergeben haben, – soweit die Hochschulen im Rahmen der Vorauswahl für Auswahlgespräche und den HAM-Nat die Auswahl wiederum entweder nach der Abiturdurchschnittsnote oder einer Verfahrensnote treffen und so andere Bewerber mit guten bis mittleren Noten keine Chance haben, ausgewählt und über das AdH zugelassen zu werden – als die Satzung der Universität Heidelberg, die von allen Auswahlsatzungen, die den TMS als Auswahlbestandteil vorsehen, in Bezug genommen wird, für den TMS nicht dessen Wiederholbarkeit vorsieht. Wir sind sehr erstaunt darüber, dass – soweit ersichtlich – bisher keine einzige Universität durch Änderung ihrer Auswahlsatzung für das WS 2018/2019 auf das Urteil des BVerfG reagiert hat. Wir hätten erwartet, dass wenigstens einzelne Universitäten auch vor Änderung des Staatsvertrags und der Hochschulzulassungsgesetze Konsequenzen ziehen. Hier herrscht offensichtlich „Schockstarre“. b) Testwiederholung These: Jedenfalls eine einmalige Wiederholbarkeit des Tests ist zwingend vorzusehen. Das bisherige Vergaberecht, konkret die TMS-Satzung, „Satzung der Universität Heidelberg für die Zulassungen zu den Studiengängen Medizin (Fakultät Heidelberg), Medizin (Fakultät Mannheim) sowie Zahnmedizin jeweils mit Abschluss Staatsexamen nach dem hochschuleigenen Auswahlverfahren vom 17. Dezember 2012 und 11. Februar 2015,31 sieht in § 6 Abs. 1 a.E. eine Wiederholung des TMS nicht vor. Vergleichbare Regelungen finden sich in den Auswahlsatzungen der anderen Hochschulen, die den TMS heranziehen. Anders ist es beim HAM-Nat, dort schließen die Charité und die Universität Hamburg dessen Wiederholbarkeit nicht aus.32 Entsprechende Regelungen zur Frage der Wiederholbarkeit des TMS gibt es weder im HRG noch im Staatsvertrag 2008 noch in den Landes-Hochschulzulassungsgesetzen Für den Ausschluss der Wiederholbarkeit des TMS ist jedoch nicht der Satzungsgeber, sondern der Gesetzgeber zuständig. Dieser muss eine Regelung treffen, denn so weitreichend ist die Satzungsautonomie der Hochschulen nach dem Urteil des BVerfG nicht. Mangels ausreichender gesetzlicher Grundlage ist der Ausschluss der Wiederholbarkeit des TMS nach unserer Auffassung ab sofort verfassungswidrig. Die Gesichtspunkte, die 1986 nach Auffassung des OVG Münster33 die Gründe für eine Wiederholbarkeit des TMS aufgewogen haben, waren zeit- und situationsabhängig: Insoweit verweisen wir auf unseren NVwZOnline-Aufsatz.34 Heute spielt das Ergebnis des Tests mit bis zu 49%iger Gewichtung und der Mitentscheidung an jedenfalls 22 Unis in der Humanmedizin eine bedeutende Rolle für die Auswahl.35 c) Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Vorauswahl zum Ham-Nat und zum Auswahlgespräch These: Das Urteil des BVerfG verbietet es, die Note der HZB oder deren Bestandteile, wie Einzelnoten in bestimmten Fächern, zum Gegenstand der Vorauswahl zu machen. Während für den TMS – mit Ausnahme des derzeitigen Ausschlusses bei vorheriger Teilnahme – eine Vorauswahl nicht vorgesehen ist, begrenzen sowohl die Charité als auch die Universität Hamburg die Auswahl der Teilnehmer für den Ham-Nat strikt nach Note.36 Glei- Brehm · Konsequenzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 4 3 37 § 4 Abs. 1 der Satzung der Universität zu Lübeck zur Durchführung des Auswahlverfahrens im Studiengang Humanmedizin vom 14.02.2014. 38 VG Mainz, Urt. vom 04.09.2006 — 6 K 875/04.MZ, n.v. Auf die Berufung der Universität hin wurde das Urteil aus formalen Gründen abgeändert und die Klage abgewiesen: OVG Koblenz, Urt. vom 14.03.2007 — 6 A 11619/06.OVG,n.v. 39 BVerfG a.a.O., Fn. 2, Leitsatz 5, dritter Spiegelstrich, Rn. 167 ff. 40 BVerfG a.a.O., Fn. 2, Rn. 169. 41 BVerfG a.a.O., Fn. 1, Rn. 170 f. 22 BVerfG a.a.O., Fn.2, Leitsatz 5, 5. Spiegelstrich, Rn. 173 – 192. 23 BVerfG, Beschl. v. 03.04.1974 – 1 BvR 282, 305/73; NJW 1974, 1127; BeckRS 1973, 104818. 24 BayVerfGH, Urt. v. 01.08.1975 – Vf. 11 – VII – 73; NJW 1975, ches gilt für die Vorauswahl hinsichtlich der Teilnahme am Auswahlgespräch an der Medizinischen Universität Lübeck.37 Danach erfolgt an diesen Universitäten regelhaft eine Auswahl im AdH nach HZB-Note und damit eine fast 80%ige Abiturbestenquote. Diese Auswahl ist verfassungswidrig. Dies hatte im Übrigen auch das VG Mainz bereits 200638 entschieden: Sinn und Zweck des Kriteriums „Auswahlgespräch“ verbiete es, bei der Frage, wer einzuladen sei, wiederum auf die Qualifikation abzustellen, denn über das Kriterium „Auswahlgespräch“ solle auch gerade den Bewerbern eine Chance eingeräumt werden, die über weniger gute Durchschnittsnoten verfügten. Indem die Uni Mainz die zahlenmäßig begrenzten Teilnehmer für das Auswahlgespräch über die Qualifikationsliste geladen habe, habe sie in das Auswahlkriterium „Auswahlgespräch“ sinn- und satzungswidrig erneut das Qualifikationsmerkmal einfließen lassen. d) Keine Vorauswahl durch Ortspräferenzen bei nichtindividualisierten Auswahlverfahren These: Sieht eine Hochschule die Vorauswahl für ein AdH vor, bei dem die Auswahl „rechnergesteuert“ erfolgt, wie z.B. nach der Abitur/Testkombination, darf es keine Einschränkung dieser Vorauswahl durch ein „Verlangen nach Angabe einer Ortspräferenz“ geben. Der Geschäftsführer der Stiftung für Hochschulzulassung, Bade, hat angesichts des tatsächlichen Befunds, dass im WS 2017/2018 insgesamt 25 Universitäten im Rahmen der Vorauswahl für das AdH die erste Ortspräferenz forderten, bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG am 04.10.2017 die Auffassung vertreten, dass diese Forderung nur für Universitäten gerechtfertigt sei, die eingehende Bewerberüberprüfungen z.B. durch hochschuleigene Tests und Auswahlgespräche durchführten. Vergebe eine Hochschule die Plätze im AdH nur in einem „maschinengeeigneten Verfahren“, wie Abitur oder Abitur/TMS-Quote, sei das Verlangen nach der Angabe in erster Präferenz weder erforderlich noch sachgerecht. Dies hat das BVerfG veranlasst, das Vorauswahlverfahren zum AdH insoweit für verfassungswidrig zu erklären, als die Hochschulen neben eignungsbezogenen gesetzlichen Kriterien auch uneingeschränkt auf das Kriterium eines frei zu bestimmenden Ranges der Ortspräferenz zugreifen dürften.39 Das Verlangen nach der ersten Ortspräferenz kann nur als Vorfilter zur Durchführung individuell aufwendiger Auswahlprozesse der Hochschulen in begrenztem Umfang gerechtfertigt sein, um zu gewährleisten, dass der Aufwand auf solche Personen beschränkt bleibt, bei denen es hinreichend wahrscheinlich erscheint, dass sie den Studienplatz auch annehmen.40 Vergeben aber – wie bisher häufig – die Hochschulen ihre Studienplätze im AdH nach Kriterien, die in automatisierter Form angewendet werden könnten, kann auf den Grad der Ortspräferenz nicht zurückgegriffen werden. Die Hochschulen dürfen also das Kriterium des Grades der Ortspräferenz nur bei anspruchsvollen individualisierten – eignungsbezogenen – Auswahlverfahren zugrunde legen und auch dort nur beschränkt, – wenn es um Studienplätze geht, die tatsächlich im Rahmen eines aufwendigen individualisierten Auswahlverfahrens vergeben werden, und kumulativ – hiervon auch nur ein hinreichend beschränkter Anteil der insgesamt je Hochschule im AdH zu vergebenden Plätze betroffen ist.41 Dr. Robert Brehm, Sozietät Rechtsanwälte Dres. Brehm & Zimmerling, Frankfurt/Saarbrücken 4 4 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2019), 35–44