Die Wissenschaft, einer der beweglichsten, am stärksten auf Erneuerung und Veränderung angelegten Sektoren der Gesellschaft, vertraute sich der korporativ verfassten Universität an — und damit einer besonders stabilen Organisationsform, die noch heute an ihren mittelalterlichen Grundzügen festhält. Aber dieses Paradox ist eben in Wirklichkeit gar keines. Nicht obwohl sie so fluide ist, bedarf die Wissenschaft einer derartigen Stabilisierung, sondern weil sie so beweglich ist. Die Leistung der Universität für die Wissenschaft ist es, ihr diesen Anker der Beständigkeit zu bieten, ohne in ihrem Inneren die Initiativen zur Weiterentwicklung, Umorientierung, ja sogar gänzlichen Neuausrichtung zu verhindern. Ein ganz wesentliches Element für diese Kombination von organisatorischer Stabilität und wissenschaftlicher Beweglichkeit war und ist die Lehre. Vorlesungen und Übungen in kleinen Gruppen sorgen durch ihre Verpflichtung auf Studienordnungen für jene Stabilität und zugleich für die Rückbindung der forschungsmäßigen Spezialproblematik den Horizont der jeweiligen Disziplin. Nur weil sich die Namen von Studiengängen, die Examensformen und die akademischen Grade nicht ständig ändern, stößt, wer an ihr ausgebildet wird, außerhalb der Hochschule auf Vertrauen. Es ist ein Irrglaube, die Universitäten dadurch zeitgemäßer erscheinen lassen zu wollen, dass man ihre Organisationsformen jeder aktuellen Forschungstendenz oder gar dem Ad-hoc-Informationsbedürfnis der sozialen Umwelt anpasst. Akademische Grade regeln die Kommunikation zwischen den Absolventen und ihrer Außenwelt, und es ist doch sehr wahrscheinlich, dass ein Masterabschluss in „Geschichte“ seine Träger besser verortet als der Abschluss in „Geschichte der West Midlands“, auf den hin derzeit an der Universität Birmingham studiert werden kann. Die Befürworter dieser in großer Zahl ins Kraut schießenden Studiengänge irren, indem sie der Universität zumuten, in ihren Gliederungen die forschende Wissenschaft zu jedem gegebenen Zeitpunkt abzubilden. Denn dies wäre genauso abwegig wie die Verwechslung der Religion mit der Kirche, der Politik mit dem Staat oder des Rechtes mit dem Justizapparat. Frank Rexroth ist seit 2000 Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Göttingen. Frank Rexroth Korporative Identität1 1 Aus der Rostock-Lecture „Für immer Korporation“ vom 25.11.2018, Teilabdruck in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.9.2019 (Nr. 223). Ordnung der Wissenschaft 2020, ISSN 2197–9197