Mit der Diskussion um Missbrauchsrisiken in den Bio- wissenschaften sind Forderungen nach der Beschrän- kung der biowissenschaftlichen Forschung verbunden. Zunächst fragt sich jedoch, inwieweit die Forschung bereits jetzt wegen dieser Risiken rechtlich eingeschränkt ist.
Forscherin F ist in einem Hochsicherheitslabor tätig. Regeln zur Vorbeugung von Unfällen sind in ihrem La- bor,wiefürdieseSicherheitsstufevorgesehen,Normali- tät.1 Verschiedene Vorgaben sichern den Laborbetrieb dagegen ab, dass Erreger unbeabsichtigt nach außen dringen. Doch wenn F an dem arbeitet, was andere als „Killerviren“ bezeichnen, stellt sich noch ein anderes Problem: Die hochansteckenden Erreger, an denen sie forscht, lassen sich womöglich absichtlich als biologi- scher Kampfstoff einsetzen und ihre Forschungsergeb- nisse können vielleicht zur Entwicklung solcher Kampf- stoffe missbraucht werden.
Nun ist relevant, welchen Beschränkungen ihre For- schung wegen dieses Missbrauchsrisikos unterliegt. Vier Bereiche werden in diesem Beitrag auf solche Beschrän- kungen untersucht, die das Problem des dual use bewäl- tigen und damit anders als die Regeln der Unfallvorbeu- gung in Laboren, welche sogenannte biosafety bezwe- cken, sogenannter biosecurity dienen sollen:2 Erstens die Durchführung von Forschungsvorhaben, zweitens Pub- likationen, drittens nicht öffentliche Kommunikation und viertens internationale Forschungskooperationen.
Beschränkungen könnten sich für diese Bereiche ei- nerseits aus dem Biowaffenverbot der Biowaffenkonven- tion und andererseits aus Genehmigungspflichten des Exportkontrollrechts ergeben. Es wird sich jedoch zei- gen, dass das Biowaffenverbot nicht auf friedliche For-
- 1 Siehe für diesen Bereich: Teetzmann, Rechtsfragen der Sicherheit in der biologischen Forschung, 2014, FIP 4/2014, S. 19 ff.
- 2 Zu den Begriffen biosafety, biosecurity, dual use siehe ebd., S. 2 f. und in diesem Heft die Ausführungen in den Aufsätzen von Jeremias, Reydon, Trute und Vöneky.
- 3 Art. I Biowaffenkonvention: Übereinkommen vom 10. April 1972 über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen, 10.4.1972, in Kraft seit 26.3.1975, BGBl. 1983 II 132; 1015 UNTS 163: „Jeder Vertragsstaat dieses Übereinkommens verpflichtet sich,1. mikrobiologische oder andere biologische Agenzien oder
- ungeachtet ihres Ursprungs oder ihrer Herstellungsmethode — Toxine, von Arten und in Mengen, die nicht durch Vorbeugungs‑,
schung übergreift; und die Genehmigungspflichten wer- den sich in ihrer derzeitigen Ausformung als rechtlich nur teilweise tragbar erweisen.
I. Durchführung von Forschungsvorhaben
Die Durchführung von Forschungsvorhaben unterliegt keinen Beschränkungen wegen Missbrauchsrisiken. Selbst dem Biowaffenverbot des Art. I Biowaffenkonven- tion3 ist dies nicht zu entnehmen.
Nach Art. I Nr. 1 Biowaffenkonvention sind Herstel- lung und Entwicklung von Agenzien und Toxinen, die nicht zu friedlichen Zwecken gerechtfertigt sind, verbo- ten. Dieses zwischenstaatliche Verbot gilt für Forscherin F nicht unmittelbar, für sie gilt der wortgleiche Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes zum Biowaffenübereinkommen von 1983.4
Der Artikel hat eine zweistufige Struktur von Verbot und Rechtfertigung: Das Herstellen oder Entwickeln von Agenzien und Toxinen wird auf der ersten Stufe verbo- ten. Das Verbot gilt nicht, wenn die Herstellung und Entwicklung zu friedlichen Zwecken gerechtfertigt ist. Das ist die zweite Stufe.
Dieser zweistufigen Struktur entspricht ein zweifa- cher Forschungsbezug. Erstens stellt sich die Frage, wann Forschung überhaupt als Entwicklung von Agen- zien und Toxinen zu verstehen ist. Zweitens ist zu prü- fen, wann dies zu friedlichen Zwecken geschieht.
Die Konvention enthält kein ausdrückliches For- schungsverbot. Als Grund für den Verzicht gelten dro- hende Abgrenzungsprobleme zwischen defensiver und offensiver militärischer Forschung.5 Defensiv bezeichnet
Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke gerechtfertigt sind…nie- mals und unter keinen Umständen zu entwickeln, herzustellen, zu lagern oder in anderer Weise zu erwerben oder zu behalten.“
4 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 10.4.1972 über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Ver- nichtung solcher Waffen, 25.2.1983, BGBl. 1983 II 132.
5 Kischlat, Das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen, 1976, S. 153 f.; Goldblat, The Biological Weapons Convention,
Int‘l Rev. Red Cross 1997, S. 251; Roffey, Biological weapons and potential indicators of offensive biological weapon activities, SIPRI Yearbook 2004, S. 557 (559).
Constantin Teetzmann
Mit Missbrauchsrisiken begründete rechtliche Beschränkungen der Forschung in den Biowissenschaften
Ordnung der Wissenschaft 2015, ISSN 2197–9197
90 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2015), 89–98
den militärischen Schutz vor Biowaffeneinsätzen durch technische Einrichtungen, Impfstoffe oder ähnliches. Offensiv ist, was zur Schädigung von Menschen, Tieren oder der Umwelt genutzt wird oder genutzt werden kann.6 Defensive Forschung war gewollt, offensive nicht.7
Da offensive Forschung verhindert werden soll, ist Art. I Biowaffenkonvention so zu verstehen, dass offensi- ve Forschung verboten ist. Dem steht auch die Wortwahl „Entwicklung“ nicht entgegen.8 Zwischen Entwicklung und Forschung besteht keine strenge Trennung, viel- mehr wird in anderen Rechtsinstrumenten Forschung sogar explizit als Teil der Entwicklung genannt.9 Inhalt der Forschung muss jedoch dem Wortlaut nach sein, dass Agenzien oder Toxine entwickelt werden. Als Ent- wicklung sollte daher alle Forschung zu verstehen sein, die offensives Potential von Agenzien oder Toxinen er- möglicht, indem über die Agenzien oder Toxine Er- kenntnisse gewonnen werden, die einem Waffeneinsatz dienlich wären, weil zum Beispiel der Schädigungsgrad des Erregers oder die Stabilität gegen Umwelteinflüsse erhöht werden.10
Auf der ersten Stufe gilt also: Jede Forschung mit Agenzien, die offensives Potential hat, unterliegt zu- nächst Art. I Biowaffenkonvention. Auf der zweiten Stu- fe fragt sich, ob diese Forschung zu friedlichen Zwecken gerechtfertigt ist.
Friedliche Zwecke sind nicht definiert. Forschung wird in der Staatenpraxis pauschal den friedlichen Zwe- cken zugeordnet.11 Das gilt auch, wenn trotz des Verfol- gens friedlicher Zwecke Forschung offensives Potential hat. Das Missbrauchsrisiko ist hier irrelevant. Wenn auf eine Forschungsregelung verzichtet wurde, weil zwi- schen offensiver und defensiver militärischer Forschung Abgrenzungen schwer fallen, und damit im verborgenen Bereich militärischer Forschung Missbrauchsrisiken
- 6 Miller/Selgelid, Ethical and Philosophical Consideration of the Dual-Use Dilemma in the Biological Sciences, 2008, S. 11.
- 7 Kischlat (Fn. 5), S. 153 f.; United Kingdom, Working paper onmicrobiological warfare, UN Doc. ENDC/231, in: United NationsDisarmament Commission, Official Records, 1969, S. 43 (Rn. 7).
- 8 So aber Kischlat (Fn. 5), S. 152–155.
- 9 Begriffsbestimmungen in Anhang I EG-Dual-Use-Verordnung:Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5.5.2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, Abl. L 134/1.
- 10 Vgl. die Indikatoren offensiver Forschung in Leitenberg, Assessing the biological weapons and bioterrorism threat, 2005, S. 72 f; BTWC Meeting of the States Parties, Report, 19.12.2012, UN Doc. BWC/MSP/2012/5, Annex I Rn. 9.
- 11 Teil A Kriegswaffenliste (Anhang zu § 1 Abs. 1 KrWaffKontrG):
hingenommen wurden, müssen erst recht im normaler- weise nicht von Geheimhaltung geprägten Bereich zivi- ler Forschung Missbrauchsrisiken akzeptiert werden.
Auch wenn sich ein friedlicher Zweck benennen lässt,wäredenkbar,füreineRechtfertigungzufordern, dass die Forschung für den genannten Zweck geeignet und erforderlich ist. Vor dem Ziel der Konvention, der Verhinderung offensiven Biowaffenpotentials, kann man Forschung in Frage stellen, die offensives Potential schafft, obwohl die Forschung für den vorgegebenen Zweck keinen Nutzen erwarten lässt oder obwohl für die Forschungsziele alternative und gleichermaßen geeigne- te Wege vorhanden sind.
Diese Bedenken lassen sich zwar mit den Zielen der Biowaffenkonvention begründen, eine rechtliche Beschrän- kung ergibt sich aber nicht. Art. I Biowaffenkonvention fragt nicht, ob die Forschung sinnvoll ist. Art. X Abs. 2 Bio- waffenkonvention12 verbietet sogar eine Durchführung der Konvention, die friedliche Forschung – ohne Differenzie- rung danach, ob sinnvoll oder nicht – behindern würde. Diese Vorgabe des Art. X Abs. 2 ist auch bei der Auslegung des Verbots des Art. I zu beachten.
Forschung zu friedlichen Zwecken, die Erkenntnisse über das offensive Potential von Agenzien erzeugt, ge- schieht mithin in vollem Einklang mit Art. I Abs. 1 Bio- waffenkonvention.13 Das Biowaffenverbot des Art. I Bio- waffenkonvention ist für Missbrauchsrisiken blind.
Wenn Forscherin F also Forschung durchführt, wel- che trotz gleichwertiger Alternativen Erkenntnisse schafft, die zur Schädigung von Mensch, Tier oder Um- welt missbraucht werden können, kann man dies vor dem Hintergrund der Ziele der Biowaffenkonvention kritisieren. An der Durchführung friedlicher Forschung hindert sie die Konvention jedoch trotz Missbrauchsrisi- ken nicht.
„Vorrichtungen, Teile, Geräte, Einrichtungen, Substanzen und Organismen, die zivilen Zwecken oder der wissenschaftlichen, medizinischen oder industriellen Forschung auf den Gebieten der reinen und angewandten Wissenschaft dienen“; „bona fide research“, § 175.3 US Code Title 18: Biological Weapons Anti- Terrorism Act of 1989 (US Congress); „research“, Art. 6 Abs. 1 lit. a Tschechisches Biowaffengesetz: Act 281/2002 Coll. of 30 May 2002 on Some Measures Related to a Ban on Bacteriological (Bio- logical) and Toxin Weapons and on Amendments to the Trades Licensing Act (Tschechische Republik), 30.5.2002.
12 Zu Art. X Biowaffenkonvention siehe Fn. 35.
13 Dies wird auch durch Staatenpraxis (vgl. Leitenberg, Assessing
the biological weapons and bioterrorism threat, 2005, S. 69 f.; van Aken, Aufrüstung im Reagenzglas, W & F 19 (2001) Nr. 4, S. 59) und travaux preparatoires (vgl. Kischlat (Fn. 5), S. 142) unter- stützt, a.A. Leitenberg (Fn. 10), S. 80.
Teetzmann · Beschränkungen der Forschung in den Biowissenschaften 9 1
II. Publikationen
Während Publikationen im Inland keinen Beschränkun- gen unterliegen, sieht es anders aus, wenn von der Euro- päischen Union aus jenseits der Grenzen des Unionsge- biets veröffentlicht wird. Das hat sich auch schon in der Praxis gezeigt: Von den Behörden der Niederlande wur- de 2012 eine Publikation zur Übertragbarkeit des A/H5N1-Virus in der amerikanischen Zeitschrift Science einer Genehmigungspflicht unterworfen.14 Grundlage war die Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kon- trolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwen- dungszweck (EG-Dual-Use-Verordnung). Die Verord- nung beschränkt die Ausfuhr ziviler Güter, die militä- risch verwendet werden können. Sie enthält die Publika- tionsbeschränkung für missbrauchsgefährdete Forschung auf EU-Ebene. Es besteht aber auch eine Genehmigungspflicht nach deutschem Recht. Im Ergeb- nis wird sich die europäische Regelung angesichts der Wissenschaftsfreiheit nicht, die deutsche nur bei enger Auslegung aufrechterhalten lassen.
1. EG-Dual-Use-Verordnung
Die Ausfuhr von Technologien zur Entwicklung und Herstellung einer Vielzahl von Agenzien nach Ländern außerhalb der Europäischen Union ist nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Anhang I Nr. 1E001, 1C351-1C354 EG-Dual-Use- Verordnung genehmigungspflichtig. Ausgenommen sind jedoch nach den Allgemeinen Technologie-Anmer- kungen der Verordnung Technologien, die allgemein zugänglich sind, und die Grundlagenforschung. Zudem gibt es eine allgemeine Ausfuhrgenehmigung in Anhang IIa EG-Dual-Use-Verordnung, nach der Technologien grundsätzlich in bestimmte Länder frei ausgeführt wer- den dürfen.15
Technologie kann nach den Begriffsbestimmungen im Anhang I der EG-Dual-Use-Verordnung in techni- schen Unterlagen verkörpert sein. Als Unterlagen wer- den Blaupausen, Pläne und ähnliches erfasst, aber auch Beschreibungen und Anweisungen in Schriftform.16 Ih- nen ist gemein, dass sie dem Nachbau des von ihnen Be- schriebenen dienen. Wissenschaftliche Publikationen,
- 14 Rechtbank Noord-Holland, Goederen voor tweeërlei gebruik, Urteil, 20.9.2013 – Az. AWB 13/792.
- 15 Australien, Japan, Kanada, Neuseeland, Norwegen, Schweiz (einschließlich Liechtenstein), Vereinigte Staaten von Amerika.
- 16 Begriffsbestimmungen in Anhang I EG-Dual-Use-Verordnung.
- 17 Das gilt vor allem für die englische Formulierung der Ausnahme „has been made available“. BAFA, Merkblatt über Verantwortung
die bloße Beobachtungen wiedergeben – man denke an die Sequenzen natürlicher Viren – sind daher keine tech- nischen Unterlagen. Publikationen jedoch, die Informa- tionen zur Entwicklung und Herstellung gelisteter Agen- zien enthalten, sind technische Unterlagen. Diese Infor- mationen müssen nicht unbedingt das Forschungser- gebnis sein, sie können auch in der Beschreibung der Methode enthalten sein.
a) Ausnahme allgemein zugänglicher Informationen
Nicht genehmigungspflichtig sind Publikationen, wenn die relevanten Informationen allgemein zugänglich sind. Nach ihrem Wortlaut greift die Ausnahme für allgemein zugängliche Informationen erst, wenn der Inhalt der Publikation schon allgemein zugänglich ist.17 F unterlä- ge weiter der Genehmigungspflicht, wenn sie einen Auf- satz bei einer Zeitschrift im Ausland einreichen will oder auf einem ausländischen Server veröffentlicht. Gegen die Genehmigungspflicht sprechen jedoch drei Punkte: Ein Vergleich mit der freien Ausfuhr von Informationen für Patentanmeldungen, ein Blick in den Herkunftsstaat der Kontrolle technischer Unterlagen, die USA, und vor allem die Wissenschaftsfreiheit nach Art. 13 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGRCh).
aa) Ungleichbehandlung gegenüber Patentanmeldungen
Die Ausfuhr technischer Unterlagen, soweit sie für die Patentanmeldung erforderliche Informationen enthal- ten, ist nach der Dual-Use-Verordnung nicht genehmi- gungspflichtig. Damit stellt sich das Problem, ob die unterschiedliche Behandlung von Patentanmeldungen und Publikationen mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 20 EUGRCh vereinbar ist. Diese Informationen werden nach Ausfuhr erst im Ausland geprüft und bei Erteilung des Patents veröffentlicht. Auch bei Publikatio- nen in ausländischen Medien wird in der Regel erst geprüft und dann veröffentlicht. Der Umgang mit Infor- mationen für die Patentanmeldung ist also der Publika- tion im Ausland im Wesentlichen vergleichbar. Es ist nicht ersichtlich, dass der Unterschied von Publikatio- nen in ausländischen Zeitschriften und von Patentan- meldungen für die Vorbeugung der Verbreitung der genehmigungspflichtigen Technologien von solcher Bedeutung wäre, dass die unterschiedliche Behandlung
und Risiken beim Wissenstransfer — Teil II. Unterrichtungs- und Genehmigungspflichten, 2004, S. 8; Berndt, Die Ausfuhrkontrolle von Know-how, 2008, S. 87; Wolffgang/Simonsen, Know-how- Transfer in Wirtschaft und Wissenschaft, in: Ehlers/Hahn/Lech- leitner/Wolffgang, Risikomanagement im Exportkontrollrecht, 2004, S. 107 (111).
92 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2015), 89–98
sich rechtfertigen ließe. Der Gleichheitsgrundsatz gebie- tet daher, dass entweder auf die Ausnahme für Patentan- meldungen verzichtet oder auch die Publikation im Aus- land von der Genehmigungspflicht ausgenommen wird.
bb) Rechtslage in den USA
Herkunftsland der Exportkontrolle für Technologien sind die Vereinigten Staaten. Dort wurden Konflikte zwischen Sicherheitsbehörden und Forschungsgemein- schaft mit dem Ergebnis ausgetragen, dass die Ausnah- me für allgemein zugängliche Informationen entwickelt wurde.18 Die Technologiekontrolle wurde dann in das Wassenaar Arrangement, bzw. dessen Vorläufer, die Lis- te des Coordinating Committee for Multilateral Export Controls, aufgenommen. Den Inhalt dieser nicht rechts- verbindlichen Vereinbarung hat die EU in der EG-Dual- Use-Verordnung übernommen. Auf dem Weg in die EG- Dual-Use-Verordnung hat die Ausnahme für allgemein zugängliche Informationen im Vergleich zu den US- Regelungen einen wesentlichen Teil verloren: In den USA gilt die Ausnahme auch für „[Technologien,] die allgemein zugänglich gemacht werden sollen“.19 Von den Export Administration Regulations ist zu jeder Zeit alle Forschung nicht erfasst, bei der Forscher die Freiheit haben, wissenschaftliche Informationen ohne andere Beschränkungen oder Zeitverzögerungen zu publizie- ren.20 Eine eigenständige Exportkontrolle von Publikati- onen findet praktisch nicht statt.
cc) Prior Restraint und Wissenschaftsfreiheit
Der Blick in die USA hat auch Bedeutung für den dritten Punkt, die Bewertung der Genehmigungspflicht anhand der Wissenschaftsfreiheit. In den USA haben Gerichte schon Exportkontrollen für Technologien wegen nicht hinreichend geregelter prior restraints (Vorabbeschrän- kungen) des first amendments (der Meinungsfreiheit) der US-Verfassung, als verfassungswidrig eingestuft.21 In der EU besteht dieses Problem ebenfalls.
Für wissenschaftliche Äußerungen gilt in der Euro- päischen Union Art. 13 EUGRCh, die Freiheit der Wis- senschaft. Ohne eine ausführliche grundrechtliche Be- wertung sei hier auf den Aspekt der prior restraints, der
- 18 Siehe dazu Fogleman/Viator, The Critical Technologies Approach, BYU J. Pub. L. 4 (1990), S. 293; Gerjuoy, Controls on Scientific Information Exports, Yale L. & Pol‘y Rev. 3 (1984–1985), S. 447.
- 19 § 734.3 (b) (3) (i) EAR: Code of Federal Regulations Title 15, Part 134 — Export Administration Regulations (United States), Stand 8.4.2014: “Publicly available technology and software…that:
(i) Are already published or will be published as described in §734.7 of this part”. - 20 § 734.8 EAR.
- 21 United States Court of Appeals, Ninth Circuit, Bernstein v. Uni-ted States Department of Justice, Decision (withdrawn), 6.5.1999 – Az. 97–16686, F.3d 176 (1999), 1132.
Vorabbeschränkungen, eingegangen. Für die Grund- rechtecharta ist nach Art. 52 Abs. 3, 53 EUGRCh die Eu- ropäische Menschenrechtskonvention Mindeststandard. In der für die Interpretation der Konvention wesentli- chen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)22 finden sich besondere An- forderungen, damit Vorabbeschränkungen rechtmäßig sind. Vorabbeschränkungen sind alle Beschränkungen von Meinungsäußerungen vor deren Veröffentlichung und Verbreitung. Dazu gehören auch Genehmigungs- pflichten für Publikationen.
Nach der Rechtsprechung des EGMR zu Vorabbe- schränkungen ist insbesondere eine gesetzliche Rege- lung erforderlich, die eine strikteKontrolle über den Umfang der Beschränkungen erlaubt und eine effektive richterliche Überprüfung zur Verhinderung eines Miss- brauchs der Genehmigungsbefugnis gewährleistet.23 Mit anderen Worten: Der Richter braucht ein Gesetzespro- gramm, anhand dessen er entscheiden kann, ob die Ge- nehmigungsentscheidung richtig oder falsch war. Für die Genehmigung der Ausfuhr von Publikationen ist Art. 12 Abs. 1 Dual-Use-Verordnung Gesetzesprogramm. Er gibt vor, dass bei der Entscheidung über eine Geneh- migung „alle sachdienlichen Erwägungen“ zu beachten seien. Darauf folgt eine Liste besonders beachtenswerter Punkte, die aber auch nicht viel bestimmter ist. Damit räumt die Vorschrift den Behörden praktisch unbe- grenztes Ermessen ein. Das entspricht nicht dem Kriteri- um der strikten Kontrolle des Gerichtshofs für Men- schenrechte. Damit verstößt die Genehmigungspflicht für Publikationen in ihrer derzeitigen Ausgestaltung ge- gen die Wissenschaftsfreiheit der Grundrechtecharta.
b) Ausnahme der Grundlagenforschung
Neben allgemein zugänglichen Informationen sind auch Publikationen der Grundlagenforschung von der Aus- fuhrkontrolle befreit. Das soeben gefundene Ergebnis, die Genehmigungspflicht für Publikationen verstoße gegen Art. 13 EUGRCh, müsste revidiert werden, wenn schon mit dieser Ausnahme der Wissenschaftsfreiheit genügt würde.24
22 Der EGMR ist nach Art. 19, 55 EMRK für zwischenstaatliche Streitbeilegungen über die EMRK ausschließlich zuständig. Auch in der Grundrechtecharta wird die Bedeutung der Rechtspre- chung des EGMR deutlich: Im fünften Absatz der Präambel wird die Rechtsprechung als eine Quelle der in der Charta kodifizier- ten Rechte benannt.
23 EGMR, Ekin/Frankreich, Urteil, 17.7.2001 – Az. 39288/98
(Rn. 58); EGMR, Observer und Guardian/Vereinigtes Königreich, Urteil, 26.11.1991 – Az. 13585/88 (Rn. 60).
24 So die Behauptung in BAFA, Technologietransfer und Non-Proli- feration, 2011, S. 9.
Teetzmann · Beschränkungen der Forschung in den Biowissenschaften 9 3
Grundlagenforschung ist nach der Dual-Use-Verord- nung nur gegeben bei „experimentellen oder theoreti- schen Arbeiten hauptsächlich zur Erlangung von neuen Erkenntnissen über grundlegende Prinzipien von Phä- nomenen oder Tatsachen, die nicht in erster Linie auf ein spezifisches praktisches Ziel oder einen spezifischen praktischen Zweck gerichtet sind“. Es muss das Erkennt- nisinteresse auf grundlegende Prinzipien, also auf hinter einzelnen Phänomenen stehende Gesetzmäßig- keiten, gerichtet sein und die Forschung darf nicht in erster Linie für eine Verwendung außerhalb der Wis- senschaft geschehen.
Die Ausnahme für Grundlagenforschung allein ist je- doch für die Wissenschaftsfreiheit nicht ausreichend. Die Wissenschaftsfreiheit schützt auch angewandte For- schung. Ihr kann man ohne Änderung der Genehmi- gungsvorschriften nur genügen, wenn man die Ausnah- me für allgemein zugängliche Informationen auch auf noch zu publizierende Informationen ausweitet. Es spricht also auch die Wissenschaftsfreiheit für eine sol- che Ausweitung.
2. Außenwirtschaftsverordnung
Neben der Exportbeschränkung aus der EG-Dual-Use- Verordnung besteht auch eine Beschränkung der Aus- fuhr von technischen Unterlagen, die unverzichtbar für die Entwicklung und Herstellung oder Verwendung von Agenzien für den Kriegsgebrauch sind, in Länder außer- halb der Europäischen Union. Sie ergibt sich aus § 8 Abs. 1 Nr. 1 AWV i.V.m. Nr. 0022b3, 0007a-0007g Ausfuhrlis- te. Auch hier sind allgemein zugängliche Informationen, wissenschaftliche Grundlagenforschung und Patentan- meldungen ausgenommen. Es gilt das zu der EU-Rege- lung Gesagte.
Die Genehmigungspflicht kollidiert mit dem auch für wissenschaftliche Publikationen geltenden25 Zensur- verbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG. Die Genehmigungs- pflicht kann vor dem Zensurverbot nur bestehen, wenn sie nicht als systematische Inhaltskontrolle freier Kom- munikation durchgeführt wird.26 Sie darf nur den Akt der Ausfuhr, nicht jedoch die Inhalte der Publikation be- treffen. Es könnte daher die Genehmigungspflicht da- durch verfassungskonform ausgelegt werden, dass sie le- diglich die Prüfung gebietet, ob jenseits der Kommuni- kation rechtswidrige Zwecke verfolgt werden.27 Auch ei- ner solchen Auslegung könnte jedoch die im Grundgesetz vorbehaltlose Wissenschaftsfreiheit entgegenstehen: Die
25 Zum Verhältnis von Art. 5 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG: Fehling, in: Bonner Kommentar, Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaftsfrei- heit), Rn. 268 mwN; Trute, „…that nature is the ultimate bioterro- rist“ in diesem Heft, Abschnitt V. 2. S. 113;
a.A. Deutscher Ethikrat, Biosicherheit, 2014, S. 91.
Belastung für die wissenschaftliche Kommunikation ist hoch und die zu erwartenden Zahl missbräuchlicher Ausfuhren, die durch eine Genehmigungspflicht sich ef- fektiv aufhalten lassen, dürfte gering sein, wenn das Ge- nehmigungsverfahren nur inhaltsneutral durchgeführt wird. Damit entstehen Zweifel an der Verhältnismäßig- keit der Genehmigungspflichten.
Lediglich dem Kriterium strikter Kontrollierbarkeit des EGMR genügt die deutsche Regelung ohne weiteres: Nach § 8 Abs. 1 AWG ist eine Genehmigung „zu erteilen, wenn zu erwarten ist, dass die Ausfuhr den Zweck der Genehmigungspflicht nicht oder nur unwesentlich ge- fährdet.“ Die erheblichen Rechtsbegriffe sind voll justizi- abel, Ermessensspielraum wird keiner eingeräumt.
Problem dieser Genehmigungskriterien dürfte je- doch erneut die Wissenschaftsfreiheit des Grundgeset- zes sein: Die Gefährlichkeit der Ausfuhr der Publikation wird vermutet. Damit wird die Publikationsfreiheit in ihr Gegenteil verkehrt. Einen für gerechtfertigte Eingrif- fe in die Wissenschaftsfreiheit erforderlichen Ausgleich der betroffenen Verfassungsgüter würde dies nur bein- halten, wenn die Vermutung auch der typischen Gefähr- lichkeit der Informationen entspricht. Angesichts des weiten Umfangs der betroffenen Agenzien (die Kontrol- le ist nicht auf bestimmte Arten von Erregern be- schränkt) ist eine typische Gefährlichkeit dieser Infor- mationen fragwürdig.
Den Zweifeln an der Verhältnismäßigkeit der Aus- fuhrkontrolle nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 AWV kann nur begeg- net werden, wenn der Umfang der Genehmigungspflich- ten hinreichend eng ist. Die Genehmigungspflichten be- treffen Technologien, die für die Herstellung von Agen- zien „für den Kriegsgebrauch“ „unverzichtbar“ sind. Das bedeutet, dass die Technologie „besonders dafür verant- wortlich“ sein muss, dass die „Leistungsmerkmale und Charakteristiken“ zur Steigerung der Wirksamkeit bei der „Schädigung von Mensch, Tier, Umwelt oder Mate- rial“ „erreicht oder überschritten“ werden.28 Es kommt also nicht darauf an, dass die Technologie für den Kriegs- gebrauch bestimmt oder zumindest alternativlos ist. In einem weiten Verständnis der Definition würde jede zi- vile Technologie erfasst, die dazu genutzt werden kann, den Schädigungsgrad von Agenzien zu erhöhen. Ver- kleinern lässt sich die Menge erfasster Technologien, wenn das Definitionsmerkmal „besonders dafür verant- wortlich“ so verstanden wird, dass nur Technologie zur Erhöhung des Schädigungsgrades erfasst wird, für die
26 Vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck GG, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 174.
27 Teetzmann (Fn. 1), S. 15.
28 Siehe „unverzichtbar“ und „für den Kriegsgebrauch“ in den Be-
griffsbestimmungen zu Teil I Ausfuhrliste (Anlage 1 zur AWV).
94 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 2 (2015), 89–98
auch die technischen Bedingungen vorhanden sind, um sie unmittelbar für den Kriegsgebrauch zu benutzen. Dann besteht auch zwischen Technologie und zu schüt- zendem Gut ein derart enges Verhältnis, dass von einer typischen Gefährlichkeit der Informationen ausgegan- gen werden kann, und dann dürfte die Zahl der Kontrol- len so gering sein, dass die Genehmigungspflicht sich noch als verhältnismäßig einstufen lässt.
Forscherin F muss sich ihre Ausfuhr also auch nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 AWV genehmigen lassen. Diese Geneh- migungspflicht ist nur bei restriktiver Auslegung mit der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG zu vereinba- ren. Sie kollidiert mit dem Zensurverbot und muss auf Technologien beschränkt werden, die unmittelbar für den Kriegsgebrauch eingesetzt werden können.
3. Zwischenergebnis: Vorhandene, aber teilweise rechts- widrige Ausfuhrbeschränkungen
Führt also Forscherin F Informationen zur Herstellung von Agenzien aus, indem sie im Ausland publiziert, muss sie sich dies grundsätzlich genehmigen lassen. Das gilt nicht, wenn sie oder andere die Informationen schon veröffentlicht haben oder sie Grundlagenforschung betreibt. Aber auch sonst, wenn F im Ausland publiziert, sprechen einige Argumente gegen eine Genehmigungs- pflicht. Solche Argumente ergeben sich aus dem Ver- gleich mit der Patentausnahme sowie aus dem Blick auf die Regelungssituation in den USA. Vor allem führen die grundrechtlichen Vorgabe einer strikten Kontrollierbar- keit von Vorabbeschränkungen bzw. das Zensurverbot zu Zweifeln an den Genehmigungspflichten. Die deut- schen Regeln müssen daher eng ausgelegt werden und die Genehmigungspflicht aus der EG-Dual-Use-Verord- nung ist deswegen rechtswidrig.
III. Nicht öffentliche Kommunikation
Die Ausfuhrbeschränkungen, die für Publikationen gel- ten, erfassen jeweils auch die nicht öffentliche Kommu- nikation durch Ausfuhr technischer Unterlagen oder andere technische Unterstützung. Für technische Unter- stützung sehen zudem §§ 49 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AWV Genehmigungspflichten vor.
- 29 Z.B. EGMR, Thorgeier Thorgeierson/Island, Urteil, 25.6.1992
– Az. 13778/88 (Rn. 63); EGMR, Castells/Spanien, Urteil, 23.04.1992 – Az. 11798/85 (Rn. 43); EGMR, Riolo/Italien, Urteil, 17.07.2008 – Az. 42211/07 (Rn. 63). - 30 EGMR, Ekin/Frankreich, Urteil, 17.7.2001 – Az. 39288/98
(Rn. 56); EGMR, Observer und Guardian/Vereinigtes Königreich, Urteil, 26.11.1991 – Az. 13585/88 (Rn. 60).
1. Ausfuhrkontrollen
Damit ist auch Kommunikation, die nicht auf Veröffent- lichung ausgerichtet ist, nach Art. 3 Abs. 1 EG-Dual-Use- Verordnung und § 8 Abs. 1 Nr. 1 AWV genehmigungs- pflichtig. Diese Beschränkungen kann man wegen der schon zuvor zu den Publikationen diskutierten Punkten anzweifeln. In Bezug auf Zensurverbot und EGMR- Rechtsprechung zu Vorabbeschränkungen macht es jedoch einen wesentlichen Unterschied, dass es sich nicht um öffentliche Kommunikation handelt.
Soweit nach Art. 3 Abs. 1 EG-Dual-Use-Verordnung nicht öffentliche Kommunikation genehmigungspflich- tig ist, ist die Rechtsprechung des EGMR für Vorabbe- schränkungen nicht übertragbar. Öffentliche Kommuni- kation spielt in der Judikatur des EGMR eine Sonderrol- le29 und die Argumentation des Gerichtshofs, der die Sonderbehandlung von Vorabbeschränkungen mit dem öffentlichen Wettbewerb der Ideen begründet,30 lässt sich kaum auf nicht öffentliche Kommunikation über- tragen.
Das gleiche Problem wirft die Genehmigungspflicht für nicht öffentliche Kommunikation nach § 8 Abs. 1 AWV in Bezug auf das Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG auf. Hier ist jedoch die Genese der Vorschrift ein- deutig: Bis zur redaktionellen Bearbeitung am Ende der Beratungen des parlamentarischen Rates bezog sich das Zensurverbot allein auf Presse, Theater, Rundfunk und Vorträge.31 Individualkommunikation sollte vom Zen- surverbot nicht erfasst werden.32 Daher steht die nicht öffentliche Kommunikation auch nicht unter dem Schutz des Zensurverbots aus Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG.
Auch hier bestehen allerdings Zweifel an der Verhält- nismäßigkeit der Genehmigungspflichten. Zwar wird die Kontrolle, die nicht durch Inhaltsneutralität begrenzt ist, wesentlich effektiver sein als die Ausfuhrkontrolle von Publikationen, aber die Zahl der erfassten unbedenkli- chen Kommunikationsvorgänge dürfte noch mal we- sentlich höher sein.
Bei der Bewertung der Genehmigungspflicht des Art. 3 Abs. 1 EG-Dual-Use-Verordnung für nicht öffentliche Kommunikation gilt zunächst, dass die Wissenschafts- freiheit des Art. 13 EUGRCh nach Art. 52 Abs. 1 EU-
31 Doemming (Hrsg.), Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, 1951, S. 85.
32 Jestaedt, Meinungsfreiheit, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2011, S. 875 (Rn. 94).
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GRCh unter einfachem Gesetzesvorbehalt steht und die Verhältnismäßigkeit im Unionsrecht weniger streng als im deutschen Recht zu prüfen ist.33 Dennoch dürfen die Belastungen für die Wissenschaftsfreiheit nicht zu dem von dem Genehmigungspflichten zu erwartenden Ge- winn an Sicherheit außer Verhältnis stehen. Die Menge der erfassten Kommunikationsvorgänge muss daher kompensiert werden, indem in der Genehmigungspraxis Belastungen für die Wissenschaft vermieden werden. Genehmigungsverfahren müssen schnell und unkom- pliziert durchgeführt werden und Wissenschaftlern müssen, soweit möglich, Globalgenehmigungen, das heißt Genehmigungen die eine Gruppe mehrerer Kom- munikationsvorgänge, z.B. einen Forschungsverbund, zusammenfassen, erteilt werden.
Auch bei der deutschen Regelung lässt sich die Verhältnismäßigkeit der Genehmigungspflichten be- zweifeln. Ein hinreichender Ausgleich lässt sich er- neut nur gewährleisten, wenn „unerlässlich für den Kriegsgebrauch“ wie schon bei Publikationen eng aus- gelegt wird, Genehmigungsverfahren schnell und un- kompliziert sind und die Masse einzelner Kommuni- kationsvorgänge mit Sammelgenehmigungen nach § 4 WV (das deutsche Pendant zur Globalgenehmi- gung) aufgefangen wird.
2. Genehmigung sonstiger technischer Unterstützung nach Unterrichtung
Die Genehmigungspflichten nicht öffentlicher Kommu- nikation gehen noch weiter. § 49 Abs. 1 Nr. 1 AWV unter- wirft die Erbringung technologischer Unterstützung durch Deutsche oder Inländer in Nicht-EU-Ländern einer Genehmigungspflicht, wenn der Inländer durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) darüber unterrichtet wurde, dass die Unterstüt- zung zur Verwendung im Zusammenhang mit biologi- schen Waffen bestimmt ist. Die technische Unterstüt- zung im Inland gegenüber einem Ausländer ist nach § 51 Abs. 1, 2 AWV genehmigungspflichtig, wenn der Inlän- der durch das BAFA über die Bestimmung zur Verwen- dung im Zusammenhang mit biologischen Waffen oder über den Zusammenhang mit einer militärischen End- verwendung in Ländern, gegen die ein Embargo ver- hängt wurde,34 unterrichtet worden ist.
Das Außenwirtschaftsrecht kennt als Beispiele tech- nischer Unterstützung Unterweisungen, die Vermittlung von Fertigkeiten, Schulung, Beratungsdienste und die Weitergabe technischer Unterlagen. Wesentlich ist nur, dass Wissen so kommuniziert wird, dass der Kommuni-
33 Teetzmann (Fn. 1), S. 125 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, 2011, Art. 52 EU-GRCharta, Rn. 65 ff.
kationsempfänger es für die Verwendungszusammen- hänge nutzen kann. Jede Kommunikation von Wissen- schaftlern, die nutzbare Informationen zur Entwicklung oder Herstellung von Agenzien enthält, ist also techni- sche Unterstützung.
Hier findet über den Zusammenhang mit bestimm- ten Verwendungen eine punktuelle Anknüpfung an eine konkrete Gefahrensituation statt. Das bedeutet im Ver- gleich zu allgemeinen Technologiekontrollen eine erheb- lich geringere Belastung für die Forschenden. Zudem wird die Genehmigungspflicht nur bei Unterrichtung durch das BAFA ausgelöst. Beachtet man, dass Umfang und Zahl der Unterrichtungen durch das BAFA gesteu- ert und damit auf einem angemessenen Maß gehalten werden können, ist eine Verhältnismäßigkeit der Geneh- migungspflicht gewährleistet.
Damit ist die nicht öffentliche Kommunikation in Form technischer Unterstützung nach Unterrichtung durch das BAFA in den Fällen der §§ 49 Abs. 1, 51 Abs. 1, 2 AWV genehmigungspflichtig.
3. Zwischenergebnis: Restriktiv zu handhabende Beschränkungen der Kommunikation mit dem Ausland
F muss bei jeder nicht öffentlichen Kommunikation mit dem Ausland betreffend der Herstellung und Entwick- lung gelisteter Agenzien sich diese genehmigen lassen. Die Verhältnismäßigkeit der Genehmigungspflichten ist zwar fragwürdig, kann aber durch enge Auslegung und durch eine angemessene Durchführung der Genehmi- gungsverfahren noch gewährleistet werden. F muss sich auch Kommunikation in Drittländern oder mit Auslän- dern genehmigen lassen, bei der sie durch das BAFA unterrichtet wurde, dass diese im Zusammenhang mit der Verwendung für biologische Waffen oder mit einer militärischen Endverwendung in Embargoländern steht. Zumindest dabei ist von einer Verhältnismäßigkeit der Vorschriften auszugehen.
IV. Internationale Kooperation
Kommunikationsbeschränkungen belasten internatio- nale Forschungskooperationen. Die Biowaffenkonventi- on kann mangels unmittelbarer Wirkung für Forscherin F in der Frage, wie internationale Forschungskooperati- onen im Angesicht des Missbrauchsrisikos zu bewerten sind, eigentlich außen vor bleiben. Dennoch ist Deutsch- land an die Konvention gebunden und auch die EG- Dual-Use-Verordnung verweist in Erwägungsgrund 3 auf die internationalen Verpflichtungen der Mitglied-
34 § 51 Abs. 2 AWV verweist hier auf Art. 4 Abs. 2 EG-Dual-Use- Verordnung.
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staaten. Daher sollte hier noch darauf verwiesen werden, dass die Kommunikationsbeschränkungen mit dem besonderen Schutz internationaler Forschungskoopera- tionen in der Biowaffenkonvention kollidieren. Art. X Abs. 1 Biowaffenkonvention verpflichtet zur Erleichte- rung internationaler Kooperation und Abs. 2 schützt diese vor einer sie behindernden Durchführung des Bio- waffenverbots.35
Absatz 1 begründet eine Rechtspflicht36 zur Erleichte- rung des Austauschs von wissenschaftlichen und tech- nologischen Informationen zur Verwendung bakteriolo- gischer Agenzien für friedliche Zwecke. Die Idee hinter dieser Pflicht ist für die Missbrauchsdiskussion höchst relevant:
Internationale Kooperation in der friedlichen For- schung soll verhindern, dass im Geheimen nicht friedli- che Forschung betrieben werden kann.37
Art. X kann man im Spannungsverhältnis zu Art. III, dem Verbot der Verbreitung von Biowaffen, sehen. Die Vertragsstaaten der Konvention betonen jedoch, dass dieser Artikel nicht Art. X, also der internationalen For- schungskooperation, entgegengestellt werden kann.38
Letztlich formuliert der Art. X Abs. 2 einen Vorrang friedlicher Forschungskooperation vor einer Prävention durch Isolation. Dort heißt es, die Konvention sei so durchzuführen, dass die wirtschaftliche und technologi- sche Entwicklung und die internationale Kooperation im Bereich friedlicher bakteriologischer Tätigkeiten nicht behindert werde. Es muss nur nachgewiesen wer- den, dass friedliche Zwecke verfolgt werden. Gelingt ein- mal dieser Nachweis, kann ein abstraktes Missbrauchsri- siko nicht zur Beschränkung der Kooperation genügen. Eine Grenze dürfte jedoch gegeben sein, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Kooperation miss-
35 Art. X Biowaffenkonvention
„1. Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens verpflichten sich, den weitestmöglichen Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur Verwendung bakteriologischer (biologischer) Agenzien und von Toxinen für friedliche Zwecke zu erleichtern, und sind berechtigt, daran teilzunehmen. Vertragsparteien, die hierzu in der Lage sind, arbeiten ferner zusammen, um allein oder gemeinsam mit anderen Staaten oder internationalen Organisationen zur Weiter- entwicklung und Anwendung wissenschaftlicher Entdeckungen auf dem Gebiet der Bakteriologie (Biologie) zur Krankheitsver- hütung oder zu anderen friedlichen Zwecken beizutragen.
2. Dieses Übereinkommen ist so durchzuführen, dass es keine Behinderung für die wirtschaftliche und technologische Ent- wicklung der Vertragsstaaten des Übereinkommens oder für die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet friedlicher bakte- riologischer (biologischer) Tätigkeiten darstellt, einschließlich des internationalen Austausches von bakteriologischen (biologi- schen) Agenzien und Toxinen sowie von Ausrüstungen für die Verarbeitung, Verwendung oder Herstellung bakteriologischer
braucht wird. Dann können begründete Zweifel an der Friedlichkeit der Zwecke erhoben werden.
Genehmigungspflichten, die auf solchen begründe- ten Zweifeln aufbauen, sind die §§ 49 Abs. 1, 51 Abs. 1, 2 AWV. Sie knüpfen an konkrete Verwendungszusam- menhänge an und kollidieren daher nicht mit Art. X Abs. 2 Biowaffenkonvention.
Die Genehmigungspflichten der Art. 3 Abs. 1 EG-Dual- Use-Verordnung und des § 8 Abs. 1 AWV berücksichtigen hingegen nicht, ob friedliche Zwecke verfolgt werden und ob konkrete Anhaltspunkte für Missbrauchsabsichten be- stehen. Der bloße Umgang mit Agenzien kann noch keinen solchen konkreten Anhaltspunkt bilden, da sonst immer Zweifel an der Friedlichkeit begründet wären.
Fraglich ist nur, ob Genehmigungspflichten schon als Behinderung internationaler Forschungskooperationen zu bewerten sind. Der Wortlaut spricht dafür: Im Fran- zösischen heißt es, dass jede Behinderung39 vermieden werden soll. Die Staatenpraxis ist in der Frage der Ex- portkontrollen jedoch gespalten. Einerseits sind die Staaten des Wassenaar Arrangements auch Vertragspar- teien der Biowaffenkonvention, andererseits kritisieren die blockfreien Staaten Exportkontrollen als ungerecht- fertigte Behinderung.40 In der Situation einer sich so wi- dersprechenden Staatenpraxis ist dem Wortlaut der Kon- vention grundsätzlich Vorzug zu geben.41
Führen Genehmigungspflichten ohne Anhaltspunkte für Missbrauchsabsichten zu tatsächlichen Behinderun- gen internationaler Forschungskooperation sind sie also mit Art. X Abs. 2 Biowaffenkonventionen nicht verein- bar. Jede Forschungskooperation im Rahmen von Art. I Biowaffenkonvention muss jedoch mit friedlichen Zwe- cken gerechtfertigt werden. Es kann nicht im Rahmen von Art. X Abs. 2 Biowaffenkonvention gewollt sein, den
(biologischer) Agenzien und von Toxinen für friedliche Zwecke
im Einklang mit den Bestimmungen dieses Übereinkommens.“ 36 Seventh BTWC Review Conference, Final Declaration, in: Final
Document of the Seventh Review Conference, 2012, UN Doc.
BWC/CONF.VII/7, S. 9, Rn. 50.
37 United States of America/Lederberg, Statement made at the
informal meeting held on 5.8.1970, in: United Nations Disarma- ment Commission, Official Records, 1973, UN Doc. DC/234,
S. 54 (56).
38 Seventh BTWC Review Conference (Fn. 36), Rn. 10.
39 „à éviter toute entrave“.
40 BTWC Meeting of the States Parties, Measures for full, effective
and non-discriminatory Implementation of the Article X, 13.8.2013, UN Doc. BWC/MSP/2013/MX/WP.17, Rn. 3, 5; Seventh BTWC Review Conference, Implementation of Article X of the Convention: Background information document submitted by the Implementation Support Unit, 23.11.2011, UN Doc. BWC/ CONF.VII/INF.8, Rn. 177.
41 A.A. Joyner, International law and the proliferation of weapons of mass destruction, 2009, S. 92, 118.
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Behörden die Gelegenheit zu verwehren, zu kontrollie- ren, ob friedliche Zwecke gewollt sind. Zudem kann eine Unterscheidung zwischen Behinderungen und bloßen Belästigungen getroffen werden. Es dürfte auch über das Ziel des Schutzes internationaler Forschungskooperati- on hinausgehen, wenn Kontrollen verboten wären, die Schutz vor Proliferation gewährleisten und nicht mit ei- nem Schaden für die Forschungskooperation verbunden sind. Um solche Schäden zu vermeiden, bedarf es, wie schon im Angesicht der Wissenschaftsfreiheit, schneller und unkomplizierter Genehmigungsverfahren.
Die Biowaffenkonvention schützt die internationale Kooperation friedlicher Forschung, solange keine kon- kreten Anhaltspunkte für einen Missbrauch gegeben sind. Daher ist erforderlich, dass, wenn F sich trotz Feh- lens solcher Anhaltspunkte Kommunikation mit dem Ausland genehmigen lassen muss, die Verfahren so durchgeführt werden, dass sie keine tatsächliche Behin- derung im internationalen Forschungsaustausch darstel- len. Allein: F kann sich auf diesen Schutz nicht berufen, da die Biowaffenkonvention nur zwischen den Vertrags- staaten, nicht deren Bürgern, gilt.
V. Schluss: Keine Beschränkungen im Inland, begrenzte Kommunikation mit dem Ausland
Es ergibt sich also, dass F, während sie im Inland recht- lich unbeschränkt forschen kann, bei der Kommunikati- on mit dem Ausland trotz des Schutzes internationaler Forschungskooperation in der Biowaffenkonvention einige Beschränkungen beachten muss.
Die Durchführung von Forschungsvorhaben in den Biowissenschaften wird nicht wegen Missbrauchsrisiken beschränkt. Bedenken bestehen höchstens bei nicht er- forderlichem offensivem Potential.
Die Publikation von Informationen über die Herstel- lung von Agenzien im Ausland ist hingegen genehmi- gungspflichtig. Davon sind allgemein zugängliche Infor- mationen und die Grundlagenforschung ausgenommen. Nicht ausgenommen ist die Veröffentlichung von Infor- mationen. Die Ausnahme für allgemein zugängliche In-
formationen sollte jedoch auf Ausfuhren zum Zweck der Veröffentlichung ausgeweitet werden. Die Genehmi- gungspflichten sind vor allem unter grundrechtlichen Gesichtspunkten fragwürdig. Die derzeitige Ausgestal- tung der Genehmigungspflicht aus der EG-Dual-Use- Verordnung verstößt gegen die Wissenschaftsfreiheit, die Genehmigungspflicht aus der Außenwirtschaftsord- nung bedarf einer restriktiven Auslegung.
Zwar wird die nicht öffentliche Kommunikation wie die Publikation im Ausland beschränkt, die Beschrän- kungen sind jedoch nicht im gleichen Maße Zweifeln ausgesetzt. Die punktuellen Genehmigungspflichten der §§ 49 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AWV nach Un- terrichtung über einen konkreten Verwendungszusam- menhang sind verhältnismäßig, die Ausfuhrkontrollen müssen hingegen so ausgelegt und angewandt werden, dass es nicht zu übermäßigen Belastungen der Forschen- den kommt.
Die Beschränkung grenzüberschreitender Kommu- nikation belastet auch die internationale Forschungs- kooperation. Internationale Kooperation friedlicher Forschung wird aber in der Biowaffenkonvention gegen die Argumentation mit der Prävention einer Biowaffen- aufrüstung geschützt. Behinderungen lassen sich nur bei konkreten Anhaltspunkten rechtfertigen und anlasslose Kontrollen müssen so durchgeführt werden, dass sie noch keine tatsächliche Behinderung für die Forschung darstellen. F jedoch kann sich wegen der rein zwischen- staatlichen Wirkung der Konvention nicht darauf berufen.
Biowissenschaftlerin F muss also im derzeitigen Recht nicht befürchten, dass die Durchführung ihrer Forschung wegen Missbrauchsrisiken eingeschränkt wird. Sie muss aber damit rechnen, dass ihre Kommuni- kation mit dem Ausland, auch in Form von Publikatio- nen, genehmigungspflichtig ist.
Der Autor ist akademischer Mitarbeiter am Institut für öffentliches Recht, Abteilung II (Völkerrecht und Rechtsvergleichung) und am Kompetenznetzwerk für das Recht der zivilen Sicherheit an der
Universität Freiburg.
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