I. Einführung: 1. Anwendbare Verfahrensnormen Der vor ca. 20 Jahren einsetzende neoliberale Kurswechsel in der Hochschulpolitik hat auch auf die Gestaltung der Berufungsverfahren deutliche Auswirkungen gezeitigt. Zum einen wird der Wettbewerb und die Auswahl der besten Köpfe als zentrale Voraussetzung für den wissenschaftlichen Rang von Universitäten angesehen: das versammelte und sich untereinander vernetzende „brain“ ist gewissermaßen das Humankapital, das umso größere Anziehungskraft gewinnt, je größer es ist. Der früher gelegentlich kolportierte Verdacht, dass die Alphatiere in den Berufungskommissionen eher an der Berufung mediokrer Bewerber interessiert waren, um das eigene Platzhirschtum nicht zu gefährden, dürfte angesichts der Mitwirkung von Senats- oder Präsidialberichtserstattern mittlerweile eher Geschichte sein. Im Gegenzug hat das Bedürfnis, die gesuchte Qualität zu finden auch hier zu einem starken Anwachsen quantifizierbarer Leistungsmessung geführt (Ratings von Publikationsorganen, Zitationsindizes, der ominöse „HirschFaktor/H‑Faktor“ udgl.1). Die Einführung des Prinzips Wettbewerb2 führt zwangsläufig dazu, dass dieser in der Jagd um die freien Stellen immer rauer wird. Dies zeigt sich vor allem in einer stark gestiegenen Bereitschaft, eine ungünstige Auswahlentscheidung mit einer Konkurrentenklage anzufechten.3 Dabei spielt angesichts der schwierigen inhaltlichen Überprüfbarkeit von Gremienbewertungen der Blick auf die Korrektheit des Auswahlverfahrens eine zentrale Rolle, ist doch das Berufungsverfahren – ähnlich wie Prüfungsentscheidungen – ein Paradefall der „Legitimation durch Verfahren“.4 Konkurrentenklagen zielen daher fast immer darauf ab, Fehler im Verfahren zu sichten, um der inhaltlichen Entscheidung die Rechtmäßigkeit zu nehmen. Dies führt zu einer immer größeren Verrechtlichung durch ineinandergreifende Normen unterschiedlicher Stufen, deren Kehrseite eine steigende Unübersichtlichkeit ist. So ist das Berufungsrecht zunächst einmal zentral in den jeweiligen Landeshochschulgesetzen geregelt, die freilich seit der Föderalismusreform 2006 deutlich divergieren und zwar auch im Berufungsrecht, was die Herausbildung einheitlicher Standards verhindert. Allerdings sind die Regelungen meist nur rudimentär und der Konkretisierung im Detail bedürftig. Subsidiär und ergänzend gilt aber auch das jeweilige Landesverwaltungsverfahrensgesetz,5 namentlich die §§ 20, 21 VwVfG sowie die Vorschriften über Ausschüsse nach §§ 88–93 VwVfG. Dies ergibt sich daraus, dass jedenfalls staatliche Hochschulen juristische Personen und zugleich Behörde i.S. § 1 VwVfG sind, und das Berufungsverfahren im Regelfall auf Erlass eines Verwaltungsakts ausgerichtet ist (§ 9 VwVfG), nämlich auf die beamtenrechtliche Ernennung.6 Der Begriff des Verwaltungsverfahren ist dabei weit auszulegen: Es reicht aus, wenn die Kommission vorbereitend tätig wird, während die Ernennung vom zuständigen Wissenschaftsminister oder – zunehmend – vom Hochschulpräsidenten/Rektor vorgenommen wird, sei es aus eigenem Recht7, sei es kraft ministerieller Delegation.8 Weitere normative Konkretisierungen finden sich in Hochschulsatzungen, wenn nicht gleich in der Grundordnung, so doch in Berufungsordnungen. Die neuen Max-Emanuel Geis Probleme bei Zusammensetzung und Verfahren von Berufungsausschüssen und Tenure-Track-Gremien 1 Hierzu statt vieler Hornbostel, (Forschungs-) evaluation, in: Simon/Knie/Hornbostel (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftspolitik, 2010, S. 293 ff.; Küpper, Evaluation von Forschung und Lehre, in: Geis (Hrsg.), Hochschulrecht im Freistaat Bayern, 2. Aufl. 2017, Kap. 2 IV, Rdn. 265 (286 ff.). 2 Geis/Bumke, Universitäten im Wettbewerb, VVDStRL 69 (2009), S. 364 ff., 407 ff. 3 Zur beamtenrechtlichen Konkurrentenklage im Hochschulbereich statt vieler Detmer, in Hartmer/Detmer (Hrsg.), HochschulrechtEin Handbuch für die Praxis, 3. Aufl. 2017, Kap. 4 Rdn. 103. 4 Dazu allg. Luhmann, Legitimation durch Verfahren (1969); P.M. Huber, Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren als Kompetenzproblem in der Gewaltenteilung und im Bundessstaat, 1988; Schmidt-Aßmann, Grundrechte als Organisations- und Verfahrensgarantien, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 45. 5 Nur bei den Hochschulen des Bundes gilt das BVwVfG, also z.B. für die Universitäten der Bundeswehr in Hamburg und München-Neubiberg, sowie die Fachhochschule des Bundes in Brühl. Inhaltlich ergibt sich aber kein Unterschied. Zu den anwendbaren Normen ausf. auch Wernsmann/Gatzka, Befangenheit in Berufungsverfahren bei der Neubesetzung einer Professorenstelle, in: DÖV 2017, 609 (610 f.) 6 Zur beamtenrechtlichen Ernennung als gestaltender Verwaltungsakt vgl. statt vieler Mauer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 9 Rdn. 46; Stelkens/Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl.2018, § 35 Rdn. 126; a.A. hierWernsmann/Gatzka (Fn. 5), die §§ 20, 21 VwVfG nur analog anwenden wollen. 7 wie in § 33 Abs. 2 Satz 1 NRW. 8 wie nach LHG BW oder Art. 8 Abs.1 Satz 1 BayHschPG. Ordnung der Wissenschaft 2020, ISSN 2197–9197 2 4 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2020), 23–32 9 Vgl. Henneke, in: Knack/Henneke (Hrsg.), VwVfG, § 89 Rdn. 2; Ziekow, VwVfG, § 89 Rdn. 2 aE. 10 vgl. Art. 18 IV 2 BayHSchPG. 11 BVerfGE 35, 79 ff. 12 Vgl. Epping/Nölle, in: Epping (Hrsg., NdsHG. Kommentar, 2016, § 26 Rdn. 108. 13 Anderheiden, Verfahrens- und Zurechnungsprobleme bei Umlaufverfahren, in: VerwArch 97 (2006), S. 165. 14 OVG Münster, B.v. 9.2.2009 – 6 B 1744/08 – openjur. 15 So etwa die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. 16 Vgl. schon Amtl. Begr. (BT-Drs. 7/910, S. 96); VG Minden, MedR 1996, 469; Bonk/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 93 Rdn. 1; Ziekow, VwVfG, 4. Aufl. 201X, § 93 Rdn. 1. Tenure-Track-Professuren bedürfen gesonderter Ordnungen bzw. Satzungen (dazu unten V). Quasi quer zu den Befangenheitsregelungen der §§ 20, 21 VwVfG liegen die DFG-Hinweise 10.210–4/10, die keinen staatlichen normativen Charakter haben, aber „eigengesetzliche“ Standards der Scientific Community definieren, deren Einhaltung der wissenschaftlichen Ethik zuzurechnen ist. Sie sind den gesetzlichen Normen klar nachgeordnet, können aber wissenschaftsspezifische Fallbeispiele für die Auslegung der Befangenheit darstellen. Grundsätzlich anwendbar auf Berufungsausschüsse sind, sofern keine Sondervorschriften existieren, die – freilich ihrerseits recht rudimentären – §§ 88 ff. VwVfG. Allerdings existieren gerade im Hochschulbereich hierzu wichtige leges speciales: Während das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht die Wahl des Vorsitzenden aus der Mitte der Kommission zulässt,9 wird der Vorsitzende einer Berufungskommission entweder von dem zuständigen Fakultätsrat bestimmt oder kraft Amtes vom jeweiligen Dekan ausgeübt. Eine weitere Sondervorschrift stellt das Erfordernis der sog „doppelten Mehrheit“ dar,10 die letztlich eine Konsequenz des ersten Hochschulurteils des Bundesverfassungsgerichts von 1972 ist:11 Danach muss eine Berufungsliste sowohl von der Mehrheit der in der Kommission agierenden Hochschullehrer (im materiellen Sinn) als auch von der Mehrheit der Kommissionsmitglieder insgesamt angenommen sein.12 Eine ebenfalls sehr wichtige Abweichung von den Regelungen des VwVfG betrifft das Verbot des Umlaufverfahrens: Während nach §§ 88 VwVfG Ausschussentscheidungen mit Zustimmung aller Ausschussmitglieder im Umlaufverfahren getroffen werden können, ist dies im Berufungsverfahren abzulehnen. Zwar existieren hierzu keine ausdrückliche Spezialnormen in den Landeshochschulgesetzen. Doch beruht das Berufungsverfahren auf dem Prinzip diskursiver Entscheidungsfindung unter Anwesenden:13 Vorschläge und Argumente müssen von allen gegenüber allen geäußert werden, um eine multilaterale Auseinandersetzung mit jenen zu erzeugen. Ein Umlaufverfahren ist dagegen kein echter Diskurs, da die Argumente sukzessiv eingebracht werden und diejenigen, die sich zuerst geäußert haben, die späteren Meinungen noch nicht kennen können; Überdies besteht bei Umlaufverfahren (z.B. wegen Zeitdrucks) die Gefahr, dass sich spätere Meinungen den „Vorrednern“ inhaltlich einfach anschließen. Auch das OVG Münster hält ein auch nur teilweises Umlaufverfahren (bei abwesenden Kommissionsmitgliedern) für unzulässig. Ein hinreichender Informationsaustausch sei nicht gegeben, wenn die Mehrheit (hier: der Professoren) nicht an den Beratungen teilnimmt, in denen der für die sachgerechte Erstellung der Berufungsliste erforderliche und mitentscheidende Austausch nach fachwissenschaftlicher Gesichtspunkte stattfindet.14 Eine Ausnahme ist nur bei verfahrensbegleitenden Akten zulässig, etwa bei Terminfindungen oder bei der Zustimmung zum Abschlussprotokoll. Die Möglichkeit von Stimmrechtsübertragungen richten sich nach den örtlichen Verfahrenssatzungen (das kann die Grundordnung, aber auch eine gesonderte Berufungsordnung sein). Allerdings dürfen die Stimmen nur innerhalb der Mitgliedergruppe vergeben werden. Darüber hinaus ist die Berufungskommission nicht beschlussfähig, wenn nicht die Mehrheit ihrer Mitglieder und die Mehrheit der Professorinnen und Professoren anwesend ist, unabhängig von der Anzahl der übertragenen Stimmen. Dabei sind allerdings – entsprechend den technischen Möglichkeiten – Videokonferenzen zulässig, da sie den diskursiven Zweck erfüllen; sie können sogar von Vorteil sein, um auswärtigen Mitgliedern die Teilnahme zu ermöglichen. Etwa nicht rechtswidrig, aber aus Gründen einer „Diskurshygiene“ dringend zu vermeiden, ist die Übertragung mehrerer Stimmen auf ein anderes Kommissionsmitglied. Im Gegenzug steht es den Hochschulen frei, strengere Regelungen einzuführen, z.B. Stimmrechtsübertragungen ganz auszuschließen, um so die zentrale Bedeutung von Berufungen deutlich zu machen und ein „Nudging“ zur Teilnahme zu erzeugen.15 § 93 VwVfG regelt den Mindestinhalt einer – verbindlichen – Niederschrift; grundsätzlich können sich weitere Anforderungen aus dem Hochschulrecht, aber auch aus dem Erfordernissen effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ergeben; die Dokumentation nicht nur der wesentlichen Ergebnisse, sondern auch die Erwägungen zur Vorauswahl der Kandidatinnen/Kandidaten, zur Bewertung ihrer Probevorträge und der auswärtigen Gutachten sind zu Beweiszwecken16 schriftlich Geis · Probleme bei Zusammensetzung und Verfahren von Berufungssausschüssen 2 5 17 OVG Berlin-Brandenburg, B.v.28.1.2012 – 6 S 50.11; VG Gera, B. v. 20.5.2016 — 1 E 1183/15. 18 Vgl. GmS-OGB, B.v.27.4.1993 – openJur 2011, 118008, Rdn. 15, 21. 19 VG Gera, B.v.20.5.2016 – 1 E 1183/15 – juris, Rdn. 69 f. 20 VG Düsseldorf, U.v.3.12.2015, 15 K 7734/13 – juris, Rdn. 86. 21 Vgl. zu den verschiedenen beamtenrechtlichen Modellen Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), Gemeinsame Berufungen von leitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch Hochschulen und außerhochschulische Forschungseinrichtungen, Materialien Heft 37 (2014); zitiert: GWK-Empfehlung. 22 Originellerweise ist die legendäre„Vetternwirtschaft“ kein Ausschlussgrund, da es sich dabei um Verwandtschaft im 4. Grad handelt. festzuhalten, um den Bewerbungsverfahrensanspruch der ersteren gegebenenfalls durch eine Konkurrentenklage durchsetzen zu können.17 Außerdem muss diese Dokumentation für einzelne Auswahlschritte zeitnah erfolgen, um die Beurkundungsfunktion zu sichern18; die erstmalige Begründung der Auswahl externer Gutachter im Abschlussbericht (Laudatio) nach 9 Monaten (!) ist zu spät, denn „Erinnerung verblasst, aus Erinnerung wird Rekonstruktion“.19 Weitere Sondervorschriften für die Zusammensetzung von Kommissionen können sich aus dem einschlägigen Gleichstellungsrecht ergeben; so verlangt z.B. das Landesgleichstellungsgesetz NRW die zwingende Teilnahme der Gleichstellungsbeauftragten oder ihrer Vertreter/in.20 2. Besonderheiten bei „Gemeinsamen Berufungen“ Verfahrenstechnische Besonderheiten können sich bei sog. gemeinsamen Berufungen ergeben, die mittlerweile — hochschulpolitisch forciert — immer häufiger auftreten. Darunter versteht man die Besetzung von Leitungsfunktionen außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, die zugleich – insbesonders wegen der Titelführungsbefugnis – eine Professur an einer kooperierenden Universität bekleiden.21 Hier können sowohl eine gemeinsame Berufungskommission (die Mitglieder der außeruniversitären Forschungseinrichtung integriert) oder zwei parallel tagende Kommissionen gebildet werden (vgl. § 5 2 GWK-Empfehlung), wobei auf die Professorenmehrheit zu achten ist. Im ersteren Fall erstreckt sich das Befangenheitsverdikt auf die Tätigkeit in oder eine Kooperation mit der entsprechenden Forschungsorganisation (Max-Planck-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft, Helmholtz Gemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft). In der zweiten Alternative hat das Gremium der Hochschule stets das letzte Wort (§ 5 Abs. 4 GWK-Empfehlung). Handelt es sich universitär um eine Berufung auf Lebenszeit, hinsichtlich der Leitung des außeruniversitären Forschungsinstitutes aber um eine temporäre Aufgabe, müssen je nach zugrunde gelegtem Kooperationsmodell mögliche Rückfallrechte geregelt werden. II. Gründe für Ausschluss und Befangenheit 1. Kommissionsmitglieder Ein zentraler Punkt bei Berufungsverfahren sind die Regeln über Ausschluss und Besorgnis der Befangenheit. Da es sich – wie oben ausgeführt – um ein Verwaltungsverfahren i. S.d. § 9 VwVfG handelt, gelten hierfür die §§ 20, 21 VwVfG. Dabei begründen die Fälle des § 20 VwVfG einen Ausschluss kraft Gesetzes im Sinne einer unwiderleglichen Vermutung; ob im Einzelfall tatsächlich mangelnde Objektivität vorliegt, ist unerheblich. Der Katalog der Ausschlussgründe ist abschließend; weitere Fälle können nur nach § 21 VwVfG behandelt werden. In Berufungsverfahren dürften vor allem das Vorliegen einer Angehörigeneigenschaft nach § 20 Abs. 1 Zf. 2 i.V.m. Abs. 5 VwVfG zu prüfen sein: Darunter fallen (förmlich nach § 1297 BGB) Verlobte, Ehegatten (seit 2017 auch gleichgeschlechtliche), (zwischen 2001 und 2017 gemäß LPartG eingetragene) Lebenspartner, Verwandte und Verschwägerte gerader Linie (§ 1589 S. 1 BGB), Geschwister und Geschwisterkinder sowie deren Ehegatten/Lebenspartner sowie Geschwister der Eltern (also Verwandte und Verschwägerte dritten Grades (§ 1589 S. 3 BGB)22, Pflegeeltern und ‑kinder (§ 1688 BGB). Über das BGB hinaus sieht Satz 2 einen Ausschluss auch bei einigen beendigten Angehörigenbeziehungen vor, z.B. bei Geschiedenen. Die zwingende Folge des Ausschlusses steht freilich im Widerspruch zu den Befangenheitsnormen der DFG, die in den DFG-Hinweisen 10.201 – 4/10 niedergelegt sind. Die dortigen Fälle des Auschlusses geben über § 20 VwVfG hinaus. Daneben kennt die DFG „nur“ die Kategorie der im Einzelfall zu prüfenden Befangenheit (§ 21 VwVfG vergleichbar); zählt sie nur die Verwandtschaft 1. Grades (Kinder oder Eltern) zu den kritischen Fällen, im Gegenzug jedoch auch die eheähnliche Gemeinschaft, die von § 20 VwVfG nicht umfasst wird. Bei Kollisionen geht hier das VwVfG als Norm eindeutig vor. Dies gilt auch für § 21 VwVfG; allerdings können die DFG-Hinweise 10.201 – 4/10 insoweit als Auslegungshil- 2 6 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2020), 23–32 23 OVG Greifswald, B.v.21.4.2010 – 2 M 14/10 – openJur 2012, 55244, Rdn. 30. 24 Etwas enger VG Düsseldorf, U.v.3.12.2015, 15 K 7734/13 – juris, Rdn. 78: Nicht schon wg. Funktion als solcher, jedoch bei fünfjähriger Zusammenarbeit mit anschließender summa-cumlaude-Promotion. Besser ist aber, eine grundsätzliche Befangenheit anzunehmen. 25 VG Hannover, B.v.19.6.2003 – 6 B 2398/03 – openJur 2012, 39868, Rdn. 80 f. 26 HambOVG, B.v.9.10.1998 – 1 Bs 214/98 – juris, Rdn. 5 f. fe für den Hochschulbereich herangezogen werden. In diesem Fall müssen allerdings Gründe, die geeignet sind, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsführung zu vermuten, stets durch eine Prüfung im Einzelfall belegt werden. Ein heikles Thema sind sexuelle Beziehungen, die jenseits von familienrechtlichen Verhältnissen und eheähnlichen (d.h. immerhin auf Dauer angelegten) Gemeinschaften vorliegen. Hier ist ein strenger Maßstab anzulegen und grundsätzlich Befangenheit i.S. § 21 VwVfG anzunehmen, umso mehr, als vor dem Hintergrund der Me-too-Debatte die Möglichkeit eines Quid-pro-quo nicht ausgeschlossen werden kann. Dies gilt auch (und erst recht) bei beendeten Beziehungen. Typische Fälle aus dem akademischen Bereich, die sowohl unter § 21 VwVfG fallen als auch von den DFGHinweisen erfasst werden (allerdings verwenden die letzteren ‑wie erwähnt- den Begriff „Ausschluss“ abweichend vom Gesetz ), sind etwa: – eine bestehende oder geplante enge wissenschaftliche Kooperation, die ein „besonderes Näheverhältnis“ begründet; darunter fallen gemeinsame Forschungsvorhaben, insb. Drittmittelprojekte (die gemeinsame Mitgliedschaft in Forschergruppen, Sonderforschungsbereichen, Exzellenzclustern); – gemeinsame Publikationen; dabei sind freilich disziplinspezifische Unterschiede in den Blick zu nehmen: Während in den Geistes‑, teilweise auch in den Sozialwissenschaften die Einzelveröffentlichung dominiert und bei Mehrfachautorenschaft davon auszugehen ist, dass alle Genannten einen maßgeblichen Anteil geliefert haben (was eine enge wissenschaftliche Kooperation begründet), sind die Technischen und die Naturwissenschaften, auch die Medizin eher von Teamarbeit gekennzeichnet. Hier sind üblicherweise die an erster und vor allem an letzter Stelle genannten Autoren die eigentlichen Urheber der Publikation, während die dazwischen genannten Autoren oft nur wenig bedeutende, ja marginale Peripherarbeiten beigesteuert haben. Ein besonderes Näheverhältnis muss hier durch weitere Indizien unterlegt werden, etwa durch eine LehrerSchüler- oder zumindest eine Chef-AssistentenBeziehung; – gemeinsame Herausgabe wissenschaftlicher Werke; – eine gemeinsame Assistentenzeit mit gemeinsamen Publikationen, gemeinsamen Gutachten, verbunden mit einer langjährigen, den Bereich des Beruflichen deutlich übersteigenden Freundschaft;23 – Ein dienstliches und/oder akademisches Abhängigkeits- oder Betreuungsverhältnis; darunter fallen insbesondere Lehrer-Schüler-Verhältnisse (einschl. Postdocs), und hier namentlich Promotions- und Habilitationsverhältnisse.24 Bei Juniorprofessoren/ innen stellt auch die Tätigkeit als Mentor ein Betreuungsverhältnis dar. Die DFG nimmt bei solchen Verhältnissen als Mindestabstandsfrist einen Zeitraum bis sechs Jahre nach Ablauf an; Hochschulen sind allerdings nicht gehindert, in ihren Berufungsordnungen auch längere Fristen vorzusehen. Zum Vergleich: Im außeruniversitären Evaluationsgeschäft sind nach den Regularien der LeibnizGemeinschaft Gutachter ausgeschlossen, deren „Näheverhältnis“ weniger als 10 Jahre zurückliegt. Dagegen begründet noch kein „Näheverhältnis“, da zu den üblichen Austauschbeziehungen im wissenschaftlichen Diskurs gehörend: – eine parallele Autorenschaft in einem wissenschaftlichen Sammelband; – eine gewöhnliche Herausgeber-Autoren-Beziehung; – gelegentliches berufliches Zusammenwirken, etwa in Kommissionen oder Arbeitsgruppen, bei parlamentarischen Anhörungen oder bei Begegnungen auf Tagungen; – auch die Mitwirkung des Ehegatten des vorherigen Stelleninhabers in der Berufungskommission begründet ohne Hinzutreten weiterer Umstände keine Befangenheit,25 desgleichen nicht die gemeinsame Mitwirkung von Ehegatten in der Berufungskommission, auch nicht von geschiedenen, weil insofern keine gesteigerte Beziehung zum Bewerber/zur Bewerberin vorliegt; – auch die frühere Mitwirkung an einem wegen Verfahrensfehlers abgebrochenen und wiederholten Verfahrens begründet für sich keine Befangenheit, da insoweit zum einen von einem professionellen Umgang der Kommissionsmitglieder mit Verfahrensrügen auszugehen ist und ansonsten ein Ersatzverfahren nahezu unmöglich wäre.26 Geis · Probleme bei Zusammensetzung und Verfahren von Berufungssausschüssen 2 7 27 So noch OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 28.9.2007 – 2 B 10825/07 – juris, Rdn. 13, unter Berufung auf Krüger/Leuze in: Geis (Hg.), Hochschulrecht in Bund und Ländern, Bd. 1, 2000, § 45 HRG, Rdn. 22. 28 Wernsmann/Gatzka, Befangenheit im Berufungsverfahren bei der Neubesetzung einer Professorenstelle, DÖV 2017, 609. 29 OVG Greifswald, B.v.21.4.2010 – 2 M 14/10 – openJur 2012, 55244, Rdn. 35 f./OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 28.9.2007 – 2 B 10825/07 – juris, Rdn. 11. 30 Vgl. statt vieler Würdinger, Die Analogiefähigkeit von Normen, AcP 206 (2006), S. 946 (956 ff.); Möllers, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2019, § 4 Rdn. 123 sowie 140 ff. (für das Europarecht). Sowohl nach § 21 VwVfG als auch nach den DFGHinweisen 10.201 – 4/10, Zf.5 ist es unzulässig, den Doktor-/Habilitationsvater bzw. die ‑mutter als externen Gutachter zu benennen, sowohl bei Einzelgutachten, als auch – was unmittelbar einleuchtend ist, als vergleichenden Gutachter. Rechtsprechung und Literatur hatten diese früher weit verbreitete Praxis gebilligt, weil die „Lehrer“ eine vertiefte Einsicht über den Kanditaten/die Kandidatin hätten27; diese Ansicht ist jedoch heute zu Gunsten der akademischen „Hygiene“ eindeutig abzulehnen. 2. Externe Gutachter Die vorgenannten Grundsätze gelten auch hinsichtlich der möglichen Befangenheit auswärtiger Gutachter. So muss die Auswahl der auswärtigen Fachgutachter wegen des Zeitfaktors idealerweise bereits in den Sitzungsprotokollen begründet werden, nicht erst im abschließenden Bericht (s.o.). Fragen einer möglichen Befangenheit von Gutachtern müssen vor ihrer Bestellung vom Kommissionsvorsitzenden geklärt werden. Dieser muss zwar keine anlasslosen Nachforschungen anstellen, muss jedoch im Auge haben, ob sich Befangenheitsgründe wie insbesondere gemeinsame Projekte oder Publikationen aus den Bewerbungsunterlagen ergeben. Diese Prüfungspflicht des Vorsitzenden ergibt sich auch ohne eigene Regelung in der Grundordnung bzw. Berufungsordnung, da sie letztlich unmittelbar aus den Anforderungen an ein rechtstaatliches Verfahren folgt.28 III. Verfahren bei Ausschluss und Befangenheit Verfahrensmäßig kann eine Befangenheitsprüfung einmal durch die Selbstanzeige eines Betroffenen an den Vorsitzenden der Berufungskommission erfolgen (so der in § 20 Abs. 4, § 21 Abs. 2 VwVfG geregelte Normalfall). Dagegen haben andere Ausschussmitglieder, die die Objektivität von Co-Mitgliedern bezweifeln, kein subjektives Recht, das Verfahren nach § 20 Abs. 4 VwfG anzustoßen, da sie ausschließlich im öffentlichen Interesse tätig sind; auch die externen Gutachter haben dieses Recht nicht. Es gibt also kein subjektives Recht, „von befangenen Kollegen verschont zu bleiben“. Unabhängig davon obliegt dem Vorsitzenden die Pflicht, bei erhobenen Vorwürfen nach pflichtgemäßem Ermessen über die Einleitung des Verfahrens nach § 20 Abs. 4 VwVfG zu entscheiden; letztlich folgt dies aus der Verantwortlichkeit für die Sitzungsleitung (§ 89 VwVfG). Etwas anders stellt es sich aus der Sicht der Bewerber/ innen dar. Deren subjektiver Bewerbungsverfahrensanspruch umfasst auch das Recht auf nicht gesetzlich ausgeschlossene bzw. unbefangene Kommissionsmitglieder. Dem korrespondiert grundsätzlich ein Rügerecht während des Verfahrens. Fraglich sind die Folgen, wenn keine Rüge erhoben wird (sog. „rügelose Einlassung“); die Rechtsprechung nimmt dann teilweise eine Verwirkung des Rügerechts in analoger Anwendung des § 71 Abs. 3 VwVfG an, in dem sich ein allgemeiner Verfahrensgrundsatz manifestiere.29 Das ist jedoch abzulehnen: § 71 Abs. 3 VwVfG stellt gerade eine Sondervorschrift in einem Verfahren dar, das nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung durchzuführen ist (§ 63 Abs. 1 VwVfG). Dies ist bei Berufungsverfahren nicht der Fall, auch wenn diese formalisierter ablaufen als einfache Verfahren i. S. d. § 9 VwVfG. Für eine Analogie ist daher schon das Vorliegen einer Lücke fraglich; in jedem Fall fehlt jedoch die Vergleichbarkeit, da es sich beim förmlichen Verfahren um ein gerichtsähnliches Verfahren handelt (vgl. insbesondere §§ 65, 67 VwVfG), das völlig anders strukturiert ist als ein Berufungsverfahren. „Formalisiert“ heißt also nicht „förmlich“. Als Ausnahmevorschrift in einem Spezialverfahren muss § 71 Abs. 3 VwVfG daher eng ausgelegt werden (“singularia non sunt extendenda“)30 und taugt somit nicht als allgemeiner Rechtsgrundsatz. Überdies wäre die Annahme einer rügelosen Einlassung eine erhebliche Schwächung der Rechtsposition eines Bewerbers, der die Umstände einer Befangenheit oft gar nicht erkennen oder bewerten kann oder eine solche nicht moniert, um seine Chancen nicht zu schmälern. Löst eine Anzeige das Verfahren nach § 20 Abs. 4 Satz 2 und 3 VwVfG aus, so entscheidet die Berufungskommission selbst, nicht etwa der einsetzende Fakultätsrat oder der Dekan. Die Kommission entscheidet gemäß § 91 mit Stimmenmehrheit (die „doppelte Mehrheit“ ist hier nicht notwendig); eine geheime Abstimmung ist hier nicht nötig. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden, wenn er in der Berufungskommission – wie regelmäßig – stimmbe- 2 8 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2020), 23–32 31 Die Grundordnung bzw. Berufungsordnung kann hiervon allerdings abweichen und auch weitere Abstimmungsmodi vorsehen, etwa die Reihenfolge der Abstimmung. 32 OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 28.9.2007 – 2 B 10825/07 – juris, Rdn. 10. 33 BVerwG, U.v. 30.5.1984 – 4 C 58.81 – juris, Rdn. 43; VG Düsseldorf, U.v.3.12.2015, 15 K 7734/13 – juris, Rdn. 74. 34 Ebenso Ziekow, VwVfG, § 20 Rdn. 21. rechtigt ist31, ansonsten gilt Stimmengleichheit als Ablehnung. Scheidet ein Mitglied der Kommission nach § 20 Abs. 4 Satz 2 VwVfG aus, so ist eine Nachnominierung durch den Fakultätsrat/Fachbereichsrat zulässig, sogar noch nach den Probevorträgen.32 Die Nachnominierung ist als solche nicht zwingend, kann aber geboten sein, um ausreichende Fachkompetenz sicherzustellen. Hat die Berufungskommission nach § 20 Abs. 4, § 21 Abs. 2 VwVfG eine Entscheidung über einen Ausschluss getroffen, darf das Mitglied nicht mehr an der Entscheidung mitwirken und bei der weiteren Beratung und Beschlussfassung nicht mehr zugegen sein (§ 20 Abs. 4 Satz 4 VwVfG). Der Verzicht auf das Stimmoder Rederecht reicht nicht aus33, auch eine Präsenz als stiller Zuhörer etwa bei den Probevorträgen ist nicht zulässig – selbst wenn diese fakultätsöffentlich sind. Allein die Präsenz des Ausgeschlossenen könnte Einfluss auf Fragenstellung und Diskussion der verbliebenen Kommissionsmitglieder haben,34 namentlich wenn es sich um ein „Alpha-Tier“ der Fakultät handelt. Unklar sind die Rechtsfolgen, wenn die Befangenheit im Laufe des Verfahrens nachträglich „wegfällt“. Ein Beispiel: Auf eine ausgeschriebene Stelle bewirbt sich einSchüler eines Kommissionsmitglieds, das damit nach § 20 Abs. 4 VwVfG ausgeschlossen wird. In der ersten Auswahlsitzung wird der Schüler jedoch „aussortiert“. Entfällt damit der Ausschlussgrund und „lebt“ die Kommissionsmitgliedschaft dann wieder auf, bzw. kann die Kommission dies zumindest durch einen „actuscontrarius“-Beschluss bewirken? Diese Konstellation ist vor allem in „kleinen Fächern“ von erheblicher Bedeutung, die in Deutschland nur an wenigen Standorten vertreten sind und die deshalb naturgemäß eine besonders hohe Dichte an persönlichen Beziehungen und Vernetzungen aufweisen (z. B. Theaterwissenschaften, Assyrologie, Sinologie). Oft scheidet mit dem „Lehrer“ dann gerade die Person aus, die die größte einschlägige Fachkunde besitzt. Der Wegfall der Befangenheit ist in der Kommentarliteratur – soweit ersichtlich – nicht thematisiert. Jedoch sprechen die besseren Argumente gegen ein Wiederaufleben. So verweisen §§ 88, 21 Abs. 4 vollinhaltlich auf § 20 Abs. 4 VwVfG, der nach seinem eindeutigen Wortlaut eine nichtrevidierbare Entscheidung anordnet. Auch inhaltlich endet die Befangenheit nicht notwendig mit dem Ausscheiden des „Nähekandidaten“ ; im Gegenteil ist es denkbar, dass der „zurückgekehrte“ Lehrer eines ausgeschiedenen Schülers diesen Umstand als Affront gegenüber sich selbst verstehen könnte und dann Retourkutschen im weiteren Verfahren fahren könnte. Schließlich gilt auch in anderen Verfahrens- und Prozessordnungen der Grundsatz „Exit means Exit“, d.h. eine Rückkehr der einmal ausgeschiedenen Person im gleichen Verfahren ist nicht möglich. Dies mag teilweise zu schwierigen Konstellationen führen, ist aber als rechtsstaatlichen Tribut hinzunehmen. IV. Rechtsfolgen 1. Rechtsfolgen eines nicht erfolgten Ausschlusses Eine Heilung von Beschlüssen, die unter Verletzung der §§ 20, 21 VwVfG zustande gekommen sind, ist nur nach § 45 Abs. 1 Zf. 4 VwVfG möglich: Danach muss eine neue Kommissionssitzung anberaumt werden (gegebenenfalls nach Nachnominierung durch einen Fakultätsratsbeschluss) und ein Beschluss nach § 20 Abs. 4 VwVfG nachgeholt werden. Sodann ist erneut in die Beratung einzutreten und ein neuer Listenvorschlag zu beschließen (§ 45 Abs. 1 Zf. 4 VwVfG). Das Gleiche gilt bei Tätigkeit eines ausgeschlossenen oder befangenen Gutachters. Als ultima ratio ist das Verfahren, wenn die Situation völlig verfahren oder die der Kreis möglicher Nachrücker erschöpft ist, abzubrechen. In jedem Fall wird deutlich, dass Fragen der Befangenheit ex ante mit größtmöglicher Akkuratesse zu behandeln sind, da – wenn eine Heilung möglich ist – diese meist mit einem erheblichen Zeitverlust einhergeht. 2. Rechtsfolgen eines unbegründeten Ausschlusses Erfolgt im Gegenzug ein unbegründeter Ausschluss eines Kommissionsmitglieds, weil fälschlicherweise die Besorgnis der Befangenheit nach § 21 VwVfG bejaht worden ist, folgt daraus nicht per se die Rechtswidrigkeit der Entscheidung, da die Objektivität der restlichen Kommission dadurch ja nicht beeinträchtigt wird, solange die Fachkompetenz (noch) ausreichend vertreten ist. 3. Rechtsschutzfragen Betroffene Bewerber können sich immer unter Berufung auf die Verletzung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs durch die genannten Verfahrensfehler gerichtlich wehren; allerdings können diese nicht isoliert, sondern gemäß § 44a VwGO nur im Zusammenhang mit der Anfechtung der inhaltlichen Auswahlentscheidung geltend gemacht werden. Eine Heilung von Befangen- Geis · Probleme bei Zusammensetzung und Verfahren von Berufungssausschüssen 2 9 heitsfehlern kommt – wie erwähnt – nur nach § 45 Abs. 4 VwVfG in Betracht. Ob sich Mitglieder einer Berufungskommission gegen ihren Ausschluss nach § 20 Abs. 4, § 21 Abs. 2, § 88 VwVfG wehren können, ist umstritten. Fraglich ist hier schon die statthafte Klageart: Mangels Außenwirkung scheidet hier jedenfalls die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO aus. Statthaft wäre wohl allein ein Hochschulverfassungsstreit,35 der auf eine allgemeine Leistungsklage oder eine Feststellungsklage nach § 43 VwGO hinausläuft. Allerdings stellt sich hier die Frage, ob das Mitglied gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog in eigenen organschaftlichen Rechten verletzt ist. Nach überwiegender Meinung dient die Tätigkeit in einer Berufungskommission ausschließlich objektiven Zwecken und vermittelt keine subjektiven Rechtspositionen.36 Es gibt damit kein Recht eines Mitglieds einer Berufungskommission auf Freiheit der Kommission von befangenen Mitgliedern oder auf Fortbestand einer „unbefangenen“ Kommission; der Ausschluss eines anderen Mitglieds kann damit nicht erzwungen werden. Desgleichen können sich wegen Befangenheit ausgeschlossene externe Gutachter nicht auf eine verletzte Rechtsposition berufen,37 es sei denn, der Ausschluss wegen Befangenheit hätte zugleich kompromittierenden Charakter und führte zu einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Ansonsten besteht die einzige Möglichkeit der Reaktion dann wohl in einem Rücktritt. Nach wie vor ist es häufig üblich, bei Anfragen unterlegener Bewerber unter Hinweise auf einen diffus verstandenen Datenschutz weder Einsicht in die Laudatio bzw. die externen Gutachten zu gewähren noch die Identität der Gutachter preiszugeben. Beides ist indes klar rechtswidrig. § 29 VwVfG gestattet eine Akteneinsicht noch während des laufenden Verfahrens, das nicht mit dem Ruf, sondern erst mit der Ernennung abgeschlossen wird. Ausnahmegründe nach § 29 Abs. 2 VwVfG sind nicht erkennbar, da nicht ersichtlich ist, wieso die Akteneinsicht die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung beeinträchtigen sollte. Auch besteht kein öffentliches Interesse an der Geheimhaltung von Gutachternamen. Das Bundesverwaltungsgericht hat 2017 in einem vergleichbaren Fall ein Geheimhaltungsinteresse nach § 29 Abs 2 VwfG bzw. § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO verneint, weil ein Nachteil für das Wohl des Bundes und des Landes schlicht nicht ersichtlich seien. 38 Insbesondere wird das häufige geäußerte Argument, dass eine Offenlegung von Gutachternamen deren Rekrutierung erschwere, für nicht tragfähig erklärt. Das ist auch in der Sache richtig: Wer sich als Gutachter öffentlichkeitswirksam (und reputationsfördernd!) zur Verfügung stellt, sollte dafür auch mit seinem Namen geradestehen und sich nicht verstecken. Die Anonymität von Gutachtern ist kein allgemein anerkanntes akademisches Prinzip. V. Besonderheiten bei Tenure-Track (TT)-Berufungen Besonderheiten ergeben sich bei den mittlerweile weitgehend anerkannten Tenure-Track-Berufungen. Sie stellen im Prinzip Hausberufungen dar, die früher teilweise zur Vermeidung akademischer „Inzucht“ kategorisch ausgeschlossen wurden. Allerdings haben die prekären Beschäftigungsverhältnisse des wissenschaftlichen Nachwuchs, insbesonders die mangelnde Aussicht auf Professuren trotz hoher Qualität schon seit langem ein Umdenken gefordert, und zu einer Übernahme des aus dem anglo-amerikanischen Hochschulbereich stammenden Tenure-Track-Modells geführt. Maßgeblichen Einfluss hatten dabei die „Empfehlungen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“ des Wissenschaftsrats von 2001 sowie die „Empfehlungen zu Karrierezielen und – wegen an Universitäten“ vom 11.7.2014,39 in denen die Einrichtung verlässlicher Karriereperspektiven durch die verbindliche (nicht nur optionale) Inaussichtstellung einer unbefristeten C 3- (jetzt W2)- Stelle auf der Grundlage eines internen Evaluationsverfahrens gefordert wurde. Zunächst als Alternative zur Habilitation gedacht, und daher beschränkt auf Juniorprofessoren/innen nach dem 2002 geänderten Hochschullehrerdienstrecht,40 wurde das Modell nach einigen Modellversuchen auch auf habilitierte, auf 6 Jahre befristete W2-Professoren mit der TT-Option auf Übertragung einer unbefristeten W3-Stelle ausgedehnt.41 Dass die Zielstelle als solche nicht mehr ausgeschrieben wird, ist kein Verstoß gegen das Prinzip der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG;42 die Ausschreibung der Eingangsstelle mit der verbindlichen TT-Option ist als vorverlagerte Bestenauslese mit Prognoseelement zulässig.43 Konkret heißt das, dass bei positiver Evaluation ein Anspruch auf 35 Ausf. hierzu Wendelin, Der Hochschulverfassungsstreit, 2010 S. 133 ff. 36 OVG Berlin B.v.29.11.2004 – 8 S 146.04 – juris, Rdn. 4; die Auffassung des VG Hannover, B.v.19.6.2003 – 6 B 2398/03 – juris, Rdn. 55, dürfte hingegen als veraltet anzusehen sein. 37 OVG Berlin B.v.29.11.2004 – 8 S 146.04 – juris, Rdn. 3. 38 BVerwG, B. d. Fachsenats v. 10.1.2017 – 20 F 3.16 — juris; dazu auch Danz, OdW 2018, 291 ff.. 39 WR/Drs. 4009/14, S. 42 ff. 40 5. HRGÄndG v. 16. Februar 2002 (BGBl. I S. 693). 41 Vgl. etwa § 26 Abs. 1 a) NHG; § 38 HG NRW. Auch ein TT von einer Juniorprofessur direkt auf eine W 3‑Professur ist hochschulrechtlich möglich. 42 So auch BVerwGE 49, 232 (242 f.); 56, 324 (327 f.). 43 Hartmer, in ders./Detmer (Hg.), Hochschulrecht, 3. Aufl. 2017, 5. Kap, Rdn. 125. 3 0 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2020), 23–32 Übernahme auf die unbefristete Stelle besteht (arg. e. § 4 VV); die Konstruktion ist somit einem Beamtenverhältnis auf Probe (§ 4 Abs. 3 BeamtStG) vergleichbar44, obwohl die Juniorprofessur eine Verbeamtung auf Zeit ist. Prozessual ist der Anspruch auf Übernahme mit der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO) durchsetzbar. Negative Evaluationsentscheidungen sind hingegen durch die Anfechtungs- oder die allgemeine Feststellungsklage überprüfbar.45 Um so wichtiger ist, dass das Evaluationsverfahren mit größtmöglicher Objektivität verläuft.46 Für das 2016 von Bund und Ländern aufgelegte „1000-Tenure-TrackProfessoren-Programm“47 wird in § 4 Abs. 1 der Verwaltungsvereinbarung (VV) vom 16.6.2016 bestimmt (Auszug): – Die Strukturen, Verfahren und Qualitätsstandards für Tenure-Track-Professuren sind satzungsförmig zu regeln. – Der Übergang auf eine dauerhafte Professur setzt eine erfolgreiche, qualitätsgesicherte Evaluierung nach bei Berufung klar definierten und transparenten Kriterien voraus. Die Evaluierung dient der Überprüfung, ob die bei der Berufung definierten Leistungen erbracht wurden und ob die für die jeweilige dauerhafte Professur notwendige fachliche und pädagogische Eignung vorliegt. Zur Orientierung über den weiteren Karriereweg kann eine Zwischenevaluierung vorgesehen werden. Die für Berufungsverfahren geltenden Qualitätsstandards sind auf die Evaluierung zu übertragen. Danach müssen Größe und Zusammensetzung der Evaluierungskommissionen satzungsmäßig geregelt sein (wobei landesgesetzliche Vorschriften über die Gruppenrepräsentanz zu beachten sind48). Hier ergibt sich freilich ein gewisser gesetzlicher Wertungswiderspruch: Während der „Bewährungsphase“ soll der Juniorprofessor/die Juniorprofessorin ja bewusst seine Integrationsfähigkeit in die Fakultät /den Fachbereich nachweisen, was zwangsläufig die Zusammenarbeit mit den Kollegen und Kolleginnen, die Durchführung gemeinsamer Projekte (gerade auch im Drittmittelbereich) und sonstige Kontakte umfasst. Das wird aber ebenso unausweichlich dann zum Problem, wenn es um die Besetzung der internen Evaluierungskommission (egal ob für die Zwischenoder Schlussevaluation) geht. Die regelmäßig in den Tenure-Track-Satzungen vorgesehenen Mentoren*innen) oder die Mitglieder eines kollektiven vorgesehenen Mentorats stehen ohne Zweifel in einem Näheverhältnis i.S. d. § 21 VwVfG und scheiden daher für die Evaluierungskommission aus (s.0.). Die oben bei Berufungsverfahren aufgezählten Befangenheitskriterien können darüber hinaus bei einer erheblichen Anzahl der einschlägigen Fachvertreter gegeben sein (Das ist der Unterschied zu „normalen“ Bewerbungsverfahren, in denen der Bewerber/die Bewerberin eben noch nicht Fakultätskollege/in ist!). Eine strenge Auslegung der §§ 20, 21 VwVfG oder der DFG-Hinweise kann hier zur Blockade des Verfahrens führen. Daher sind die Fakultäten bzw. Fachbereiche (und im Besonderen wieder die „kleinen“) gut beraten, wenn sie sich bereits zu Beginn der Juniorprofessur darüber Gedanken machen, wer in einer späteren Evaluierungskommission sitzen könnte; diese Personen müssten sich dann mit Kooperationen zurückhalten, was eigentlich der Intention widerspricht, dass die Juniorprofessoren/-professorinnen ihre Aufgabe selbstständig wahrnehmen49 und auch korporationsrechtlich im Kreis des Kollegiums gleichrangig sein sollen. Das ist ein Webfehler der ganzen Konstitution „Tenure-Track“, der durch die Beteiligung externer Gutachter nur abgemildert werden kann. Eventuell kann man, da sich mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz und dem jeweiligen Landeshochschulgesetz gleichrangige Normen „gegenüberstehen“, die Befangenheitsvorschriften im Lichte des Zwecks des TT im Sinne praktischer Gesetzeskonkordanz auslegen;50 da erstere jedoch weithin unmittelbarer Ausfluss des Rechtsstaatsprinzip sind, bleibt der Spielraum hier beschränkt. Zu empfehlen ist, die Kriterien der Befangenheit in der Tenure-Track-Satzung über § 21 VwVfG und die DFG-Hinweise hinaus zu spezifizieren. 44 Vgl. dazu BVerwGE 85, 177 (184). 45 BVerwG, B.v.10.1.2017 – BVerwG 20 F 3.16, Urteilsumdruck, Rdn. 11. 46 Leitbild des Wissenschaftsrates ist ein transparentes, objektives, qualitätssicherndes, wettbewerbsorientiertes und straffes Berufungsverfahren (Hervorhebung d.Verf.). 47 Ermöglicht durch die Änderung des Art. 91b GG durch 60. GGÄndG v. 23.12.2014 (BGBl. I, 2438). 48 Vgl. z.B. § 46 IV BerlHG. 49 VV vom 16.6.2016, § 4 Abs. 1 tiret 6. 50 Ähnlich Wernsmann/Gatzka, DÖV 2017 609 (617). Geis · Probleme bei Zusammensetzung und Verfahren von Berufungssausschüssen 3 1 VI. Fazit Das Berufungsverfahren ist das Kernstück der akademischen Selbstergänzung. Vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Profilbildung und –entwicklung im Wettbewerb der Hochschulen um die besten Köpfe ist eine akkurate, gründliche und gewissenhafte Durchführung durch alle Beteiligten unverzichtbare Bedingung und Ausdruck des akademischen Respekts gegenüber allen Bewerbern und Bewerberinnen. Professor Dr. Max Emanuel Geis ist Direktor der Forschungsstelle für Wissenschafts- und Hochschulrecht der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sowie Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs. 3 2 O RDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2020), 23–32