Vera Angela Karoline Rödel (geb. Glatzel)
Rechtsfolgen beihilfegewährender gegen das Durchführungsverbot verstoßender privatrechtlicher Verträge
Anwendbarkeit der Rechtsprechung des BGH auf mittel- bare Beihilfen unter Berücksichtigung der Rechtspre- chung des EuGH am Beispiel von F & E‑Verträgen Konkretisierung des Ergebnisses anhand von Klauseln für die Praxis
Die Dissertation betrachtet am Beispiel von F & E‑Ver- trägen zwischen Universitäten und Industrieunterneh- men die Rechtsfolgen beihilfegewährender, gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV ver- stoßender Verträge und untersucht die Anwendbarkeit der Rechtsprechung des BGH auf mittelbare Beihilfen am Beispiel von F & E‑Verträgen. Darauf aufbauend werden Klauseln für die vertragliche Gestaltung von F & E‑Verträgen in der Praxis vorgestellt. Diese Vertrags- klauseln ermöglichen keine Umgehung des beihilfe- rechtlichen Durchführungsverbots, vielmehr schaffen sie bereits bei Vertragsschluss Rechts- und Planungssi- cherheit unter Wahrung beihilferechtlicher Vorschriften und beseitigen das regelmäßig über F & E‑Verträgen las- tende Damoklesschwert der (Gesamt-) Nichtigkeit.
A. Themeneinführung
Obwohl das Problem der Rechtsfolgen unionsrechtswid- riger Beihilfen in Rechtsprechung und Literatur seit Jah- ren diskutiert wird, sind viele Details aber noch unge- wiss. Nach dem BGH ist ein Vertrag, durch den eine Bei- hilfe entgegen dem Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV gewährt wird, nichtig, weil Sinn und Zweck des Durchführungsverbots, Wettbewerbsvorteile zu verhindern, nicht anders als durch die Nichtigkeit des privatrechtlichen Vertrags zu erreichen sind.1
Mit Urteil vom 5.12.20122 wendete sich der BGH nun- mehr, wie auch von der Verfasserin in ihrer Arbeit gefor- dert, von der bisher postulierten Gesamtnichtigkeit als Folge eines Verstoßes gegen das Durchführungsverbot
1 BGH, EuZW 2003, 444–448; BGH, EuZW 2004, 254–256; BGH, EuZW 2004, 252–254; BGH, BGHZ 173, 129–145; BGH, BGHZ 173, 103–116; BGH, BGHZ 188, 326–351; BGH, WuW 2012, 1065–1073.
3 Dazu ausführlich: Huber/Prikoszovits, EuzW 2008, 171 (172, 173). Ordnung der Wissenschaft 2015, ISBN/ISSN 3–45678-222–7
2 BGH, EuZW 2013, 753–759, in seinen Urteilsgründen erst am
ab und stellte klar, dass weder aus unionsrechtlichen Gründen noch auf Grundlage des deutschen Rechts die Gesamtnichtigkeit erforderlich ist. Nach dem BGH kann ein Vertrag, welcher Beihilfeelemente enthält, durch die Vereinbarung einer Ersetzungs- und Erhaltungsklausel mit beihilferechtskonformem Inhalt aufrechterhalten werden, falls konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, worauf sich die Parteien des Vertrags bei Nichtigkeit der Preisvereinbarung geeinigt hätten.
B. Beihilfegewährende F & E‑Verträge
Wenn Universitäten wirtschaftlich tätig werden, kom- men sie unter verschiedenen Aspekten mit dem Beihilfe- recht in Berührung: Auf der einen Seite empfangen die Universitäten staatliche Mittel für Forschung und Lehre und sind auf diese Weise Beihilfeempfänger. Sie handeln aber auf der anderen Seite auch selbst als Erbringer der Leistung, indem sie F & E‑Verträge mit Unternehmen schließen und mit ihren unter Marktpreis erbrachten Leistungen die empfangenen staatlichen Zahlungen an die Unternehmen weiterreichen. So haben die Universi- täten eine Position inne, in der sie sowohl Unternehmen im Sinne des Beihilferechts als auch staatlich finanzierte Einrichtungen sein können.3 Zu dieser „Zwitterstellung“ der Universitäten wird in der Arbeit ausführlich Bezug genommen.
Die Universität kann als staatlich finanzierte Einrich- tung ein Unternehmen gegenüber einem anderen be- günstigen. Diese Konstellation birgt die Gefahr einer mittelbaren Beihilfe an das begünstigte Unternehmen, mit dem die Universität den Vertrag schließt. Die eine Nichtigkeit des Vertrags zwischen Universität und Un- ternehmen und damit die infolge der Nichtigkeit ausge- löste Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses und hat den Verlust der durch den Vertrag generierten Schutz- rechte zur Folge.
25.6.2013 veröffentlicht; der BGH nahm hier erstmals zur Frage der Teilnichtigkeit beihilfegewährender gegen das Durchfüh- rungsverbot verstoßender Verträge Stellung.
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I. Rechtsfolgen beihilfegewährender F & E‑Verträge4
1. Nichtigkeit bipolarer beihilfegewährender Verträge
Nach dem BGH ist ein Vertrag nichtig, durch welchen eine Beihilfe entgegen dem Durchführungsverbot gewährt wird, weil Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV ein Ver- botsgesetz nach § 134 BGB darstellt, dessen Verletzung zur Nichtigkeit des beihilfegewährenden Vertrags führt.5 Grundsätzlich richtet sich das Durchführungsverbot sei- nem Wortlaut nach nur an die Mitgliedstaaten, nicht jedoch an die Empfänger staatlicher Beihilfen. Dies steht der Anwendung des § 134 BGB aber nicht entgegen, da die Vorschrift auch dann Anwendung findet, wenn es sich zwar um die Verletzung eines nur an eine Vertrags- partei gerichteten gesetzlichen Verbots handelt, der Zweck des Gesetzes aber nicht anders zu erreichen ist als durch Annullierung der durch das Rechtsgeschäft getrof- fenen Regelung.
Um die verhältnismäßige Rechtsfolge des gegen das Durchführungsverbot verstoßenden beihilfegewähren- den Vertrags zu bestimmen, ist zu beachten, dass sich die Rechtsfolgen einer rechtswidrigen Beihilfegewährung zwar nach nationalem Recht richten, dessen Anwen- dung jedoch Tragweite und Wirksamkeit des Unions- rechts nicht beeinträchtigen darf und ohne Diskriminie- rung erfolgen muss.6
Da der Zweck des Durchführungsverbots nicht an- ders als durch die Nichtigkeit des privatrechtlichen Ver- trags zu erreichen ist, führt dieser Verstoß zur Nichtig- keit der Verträge. Das Durchführungsverbot will gerade Wettbewerbsvorteile verhindern, die der Beihilfeemp- fänger aus einer nicht auf dem vorgesehenen Weg ge- währten Beihilfe ziehen kann. Dieses Ziel kann nur er- reicht werden, wenn der privatrechtliche Vertrag, durch den die Beihilfe gewährt wird, als nichtig angesehen wird, damit der Beihilfegeber oder ein Wettbewerber des Beihilfeempfängers in die Lage versetzt wird, zur Ver- meidung einer weiteren Wettbewerbsverzerrung umge- hend die Erstattung der nicht genehmigten Beihilfe zu verlangen.7
- 4 Dazu: Rödel, PharmR 2014, 141 ff.; ausführlich: dies., Beihilfege- währende Forschungs- und Entwicklungsverträge (2014).
- 5 BGH, EuZW 2003, 444–448; BGH, EuZW 2004, 252–254; BGH, EuZW 2004, 254–256; BGH, BGHZ 173, 103–116; BGH, BGHZ 173, 129–145; BGH, BGHZ 188, 326–351; BGH, WuW 2012, 1065–1073.
- 6 So auch: Strievi/Werner, JuS 2006, 106, 108.
- 7 So auch in der Literatur: Münch-Komm-BGB/Armbrüster, 6.Aufl. (2012), § 134, Rn. 104; Bacon, 2. Aufl. (2013), European community law of state aid, 20.12; Koenig, EuZW 2003, 417, 417; Kühling, ZweR 2003, 498 (502 f.); Martin-Ehlers, WM 2003, 1598, 1603; Pechstein, EuZW 1998, 495, 497; ders., Anm. z. BGH, Urt. v. 4.4.2003 – V ZR 314/02, EuZW 2003, 447, 447, 448; Staudinger-
Insbesondere ist nach Meinung der Verfasserin die von Teilen der Literatur favorisierte schwebende Un- wirksamkeit8 als Rechtsfolge nicht ausreichend, weil so die Wettbewerbsvorteile der vorzeitigen Auszahlung ge- rade nicht verhindert und damit der Telos des Durch- führungsverbots nicht gewahrt würden.
Die Rechtsfolge der Gesamtnichtigkeit ist folglich grundsätzlich die verhältnismäßige Rechtsfolge eines ge- gen das Durchführungsverbot verstoßenden Vertrags, wenngleich der Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV weder nach Unionsrecht noch nach deutschem Recht in jedem Fall zur Gesamtnichtigkeit des Vertrags führt. Nur so wird die Wettbewerbslage vor Beihilfegewährung geschaffen und der Mitbewerber in die Lage versetzt, zu denselben Konditionen wie der Beihilfeempfänger agie- ren zu können. Die Rechtsfolge der Teilnichtigkeit des Beihilfeelements aber ließe diese fehlerhafte Auswahl- entscheidung gerade bestehen und die Wettbewerbsver- zerrung verfestigte sich damit.
Dennoch kommt die Teilnichtigkeit bei Vorliegen ei- ner Ersetzungs- und Erhaltungsklausel in Betracht, so bei einem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegen- leistung; wenn Beihilfeelement ein zu geringer Preis ist. Dann reicht es zur Beseitigung der beihilferechtlich be- deutsamen Begünstigung aus, wenn vom Beihilfeemp- fänger die Zahlung des Differenzbetrags zwischen dem vereinbarten und dem höheren beihilfefreien Preis zu- züglich des bis zur Rückforderung entstandenen Zins- vorteils verlangt wird. In einem solchen Fall müssen sich aber stets in der Vereinbarung und damit im rechtsge- schäftlichen Willen der Parteien konkrete Anhaltspunk- te finden lassen, worauf sich die Parteien des Vertrages bei etwaiger Nichtigkeit der Preisvereinbarung geeinigt hätten.9
2. Nichtigkeit multipolarer beihilfegewährender Verträge
a) Grundlegendes
Die Teilnichtigkeit des Vertrages mit der Möglichkeit der Aufrechterhaltung mit beihilferechtskonformem Inhalt
BGB/Sack/Seibl, 15. Aufl. (2011), § 134, Rn. 313; zum Meinungs- streit „Schwebende Unwirksamkeit oder Nichtigkeit“: Pütz, NJW 2004, 2199, 2199; Schmidt-Räntsch, NJW 2005, 106, 108; Steindorff, ZHR 152 (1988), 474, 488; ders., EuZW 1997, 7, 9 ff.
8 Bungenberg/Motzkus, WiVerw 2013, 73, 110 ff.; Nomos Kommen- tar-Europäisches Beihilfenrecht/Bungenberg/Motzkus, (2013) Kapitel 5, S. 1302 f.; Fiebelkorn/Petzold, EuZW 2009, 323, 326; Heidenhain, EuZW 2005, 135, 135; Hopt/Mestmäcker, WM 1996, 801, 806; Pütz, NJW 2004, 2199, 2200.
9 BGH, EuZW 2013, 753, 753 (Leitsatz).
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durch Vereinbarung einer Erhaltens- und Ersetzungs- klausel ist die verhältnismäßige Rechtsfolge für komple- xe multipolare Vertragsverhältnisse und mittelbare Beihil- fen wie F & E‑Verträge, da sie ausreichend ist, um Sinn und Zweck des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV zu wahren.
Dem möglicherweise beihilfeempfangenden Unter- nehmen ist daher zu empfehlen, sich vor Vertragsschluss durch Verhandeln salvatorischer Klauseln abzusichern und zu untersuchen, ob die unionsrechtlichen Regeln befolgt werden, da nur auf diese Weise eine nachträglich festgestellte Gesamtnichtigkeit des geschlossenen Ver- trags verhindert und die Aufrechterhaltung des Vertra- ges mit beihilfekonformem Inhalt erreicht werden kann.
b) Mittelbare Beihilfen
Die mittelbare Beihilfe als indirekte Vorteilsgewährung zugunsten bestimmter Unternehmen oder Produktions- zweige fällt auch unter den Beihilfetatbestand des Art. 107 AEUV10 und damit grundsätzlich unter die Recht- sprechung des BGH zur Nichtigkeit beihilfegewähren- der Verträge. Durch die Einbeziehung mittelbarer Begünstigungen in den Beihilfetatbestand werden Sinn und Zweck der sachgerechten Registrierung wettbe- werbsverfälschender Fördermaßnahmen erfüllt.
c) F & E‑Verträge als mittelbar beihilfegewährendeVer- träge
Der F & E‑Vertrag birgt eine mittelbare Beihilfe, wenn die Universität ihre Leistung dem Unternehmen gegen- über unterhalb des Markpreises oder zu einem nicht angemessenen Preis erbringt und dieses damit gegen- über anderen Mitbewerbern begünstigt wird.
Der Unionsrahmen für staatliche F & E & I‑Beihilfen der Kommission beinhaltet die für die beihilferechtliche Frage der Vereinbarkeit von F & E & I‑Beihilfen mit dem Binnenmarkt relevanten Aspekte und Voraussetzungen unter 2.2. (Indirect state aid to undertakings through pu- blic funded research and knowledge dissemination orga- nisations and research infrastructures).11 Der letzte Ge- meinschaftsrahmen trat am 01.01.2007 in Kraft und war ursprünglich bis zum 31.12.2013 anwendbar, erfuhr aber
10 Dies wird in der Arbeit anhand einer Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale der Beihilfe dargestellt. Zur mittelbaren Beihilfe: EuGH, Urt. v. 19.9.2000 – C‑156/98; EuGH, Urt. v. 13. 6. 2002 – C‑382/99; EuG, Urt. v. 4.3.2009 – T‑424/05; zu der Sache T‑424/05: López, ESTAL 2010, 219–228; EuG, Urt. v. 15.6.2010 – T‑177/07; Kommission, Entscheidung v. 24.1.2007 –2007/374/EG über die staatliche Beihilfe C 52/2005, die die Italienische Repu- blik mit ihrem Zuschuss zur Anschaffung von Digitaldecodern gewährt hat; MünchKomm-Beihilfen- und Vergaberecht/Arhold (2011), Art. 107 AEUV, Rn. 135; Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihil- fenrecht, 2. Aufl. (2005), 63; Koenig/Sander, EuR 2000, 743, 747; López, ESTAL 2010, 219, 223 f.; Nomos Kommentar-Europäisches
eine technische Verlängerung bis zum 30.06.2014.12 Am 01.07.2014 trat der neue Unionsrahmen in Kraft, mit dem die Gewährung von Beihilfemaßnahmen zur Förderung von Maßnahmen im Bereich Forschung, Entwicklung und Innovation erleichtert werden soll.
Der Unionsrahmen führt aus, unter welchen Voraus- setzungen Unternehmen im Falle einer Auftragsfor- schung durch Forschungseinrichtungen oder einer Zu- sammenarbeit mit diesen eine Begünstigung im Sinne des Beihilferechts erhalten. Dargestellt wird sowohl die Konstellation, in der die Forschungseinrichtung ein Vor- haben im Auftrag eines Unternehmens ausführt (Auf- tragsforschung oder Forschungsdienstleistungen) als auch, wenn mindestens zwei Partner an der Konzeption des Vorhabens mitwirken, zu seiner Durchführung bei- tragen und seine Risiken und Ergebnisse teilen (Zusam- menarbeit von Unternehmen und Forschungseinrich- tungen).
Bei einer Forschung im Auftrag von Unternehmen erhält das Unternehmen von der Forschungseinrichtung in der Regel keine staatliche Beihilfe und ist nicht be- günstigt im Sinne des Beihilferechts, wenn die For- schungseinrichtungihreDienstleistungzumMarktpreis oder, sofern es keinen Marktpreis gibt, zu einem Preis er- bringt, der sowohl sämtliche Kosten als auch eine ange- messene Gewinnspanne enthält. Bei gemeinsamen Ko- operationsprojekten von Unternehmen und Forschungs- einrichtungen erhält das Unternehmen von der For- schungseinrichtung in der Regel keine mittelbare staatliche Beihilfe, wenn das Unternehmen sämtliche Kosten des Vorhabens trägt oder die Ergebnisse, für die keine Rechte des geistigen Eigentums begründet werden, weit verbreitet werden können oder die Forschungsein- richtungen von den beteiligten Unternehmen für die Rechte des geistigen Eigentums, die sich aus den von der Forschungseinrichtung im Rahmen des Vorhabens aus- geführten Forschungsarbeiten ergeben und auf die betei- ligten Unternehmen übertragen werden, ein marktübli- ches Entgelt erhalten.
Zu untersuchen ist damit, ob die Leistung der For- schungseinrichtung zu einem angemessenen Preis oder
Beihilfenrecht/Penner (2013), Kapitel 1, 386 f.; Quigley/Collins, EC State Aid Law and Policy (2003), 22 ff.; Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union/von Wallenberg/Schütte, 50. Ergänzungslieferung (2013), Art. 107 AEUV, Rn. 48; kritisch: Bartosch, EU-Beihilfenrecht – Kommentar (2009), Art. 87 Abs. 1 EGV, Rn. 82; gegen eine Einbeziehung mittelbarer Beihilfen: Ehle/ Meier, EWG-Warenverkehr (1971), 244.
11 http://ec.europa.eu/competition/state_aid/modernisation/ rdi_framework_en.pdf.
12 Der neue Unionsrahmen ist zu finden unter: http://eur-lex.euro- pa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=OJ:C:2014:198:TOC (Stand: Juli 2013).
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zum Marktpreis entrichtet wurde, die Rechte des geisti- gen Eigentums zu einem marktüblichen Entgelt übertra- gen wurden und so eine beihilferelevante Begünstigung des Unternehmens ausgeschlossen werden kann.
Trotz dieser Voraussetzungen des Unionsrahmens stehen die Vertragsparteien bei der Ermittlung des vom Unionsrahmen postulierten Marktpreises Problemen gegenüber. Die Bestimmung desselben ist oft nur unter gewichtigen Anstrengungen möglich. Kritisch ist dabei, dass für wissenschaftliche Dienstleistungen einer Uni- versität regelmäßig kein Marktpreis ermittelt werden kann, weil durch die kleine Anbieterzahl für die im Ver- trag vereinbarte Leistung kein Markt besteht. Daher gibt es weder Berechnungsmöglichkeiten noch Orientie- rungsmaßstäbe für eine angemessene Vergütung. An dieser Stelle untersucht die Verfasserin Optionen, wel- che eine Begünstigung im Sinne des Beihilferechts mess- bar und damit erkennbar für die Parteien machen kann. Der Vorschlag der Kommission, nach dem der Preis nach im Vergabeverfahren bestehenden Auswahlkriteri- en zu bestimmen und so die Gegenleistung marktge- recht zu gestalten ist, um auf diese Weise die Vorausset- zung für den Ausschluss einer beihilferechtlichen Be- günstigung zu erfüllen, stellt keine akzeptable Lösung dar.13 Das Bietverfahren ist nämlich im Rahmen von F & E‑Verträgen zur Bestimmung des Marktpreises ungeeig- net und wird sowohl vom Industrieunternehmen als auch von der Universität abgelehnt werden. Bei Wah- rung der Voraussetzungen eines offenen, transparenten und bedingungslosen Ausschreibungswettbewerbs mit Vergabe an den Meistbietenden kann nicht ausgeschlos- sen werden, dass das Motiv der Forschungskooperation oder der Auftragsforschung an die Öffentlichkeit kommt. Der Ausschreibungswettbewerb konterkariert das Inter- esse des Unternehmens, weil auf diesem Weg geheimes Knowhow offengelegt werden könnte. Zudem möchte das Industrieunternehmen verhindern, dass Mitbewer- ber von der strategischen Forschungsausrichtung oder den zukünftig anvisierten Betätigungsfeldern Kenntnis erlangen. Dies würde aber gerade durch das Interesse an bestimmten Projekten erkennbar. Die Durchführung ei- nes Bietverfahrens widerspricht auch dem Interesse der Forschungseinrichtung. Bei der Suche nach einem neu- en Wirkstoff und der Entwicklung einer Substanz, an der mit Hilfe eines Unternehmens weiter geforscht werden
- 13 XXIX. Bericht der Kommission über die Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsbericht 1999, Rn. 233, 235.
- 14 Dazu ausführlich: Rödel, Beihilfegewährende Forschungs- und Entwicklungsverträge (2014).
- 15 Bezugsmöglichkeiten der BMWi Mustervereinbarungen für For- schungs- und Entwicklungskooperationen unter: http://www.pa- tentserver.de/Patentserver/Navigation/Patentpolitik/kooperation-
soll, kann und will die Forschungseinrichtung nicht alle Tatsachen offenlegen, weil manche Informationen nicht öffentlich sind und damit noch dem Patentschutz zu- gänglich sein könnten. Im Fall der Offenlegung solcher Details ist die geleistete Forschung wertlos und nicht mehr schutzfähig, weil die Erfindungen nicht mehr neu wären, sondern zum Stand der Technik gehörten.
Nicht nur die Bestimmung des Marktpreises, son- dern auch die des Preises, der sowohl sämtliche Kosten als auch eine angemessene Gewinnspanne enthält, ge- staltet sich als äußerst schwierig. Dieser Preis ist nach dem Unionsrahmen maßgebend, wenn kein Marktpreis ermittelt werden kann. Das zu wählende System der Kostenberechnung, um diesen Preis zu bestimmen, muss alle direkten und indirekten Kosten für die im Ver- trag vereinbarte Forschungsleistung erfassen.
II. Rechts- und Planungssicherheit durch den Entwurf von Vertragsklauseln
Um Rechts- und Planungssicherheit bereits bei Vertrags- schluss für beide Vertragsparteien zu erreichen, ist nach Meinung der Verfasserin der Entwurf von Vertragsklau- seln unabdingbar. F & E‑Verträge sind durch die Bestim- mung und das dokumentierte Aushandeln einer Vergü- tung im Sinne des Unionsrahmens und der Ergänzung des F & E‑Vertrages um die folgenden Klauseln so zu gestalten, dass keine Beihilfe an das Industrieunterneh- men besteht und auch bei Unklarheit hinsichtlich der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung zumindest keine Rückabwicklung des geschlossenen Vertrags wegen Nichtigkeit gemäß Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV i.V.m. § 134 BGB droht.14
Die in der Dissertation entwickelten Klauseln wur- den anhand der Beispiele aus den Mustervereinbarun- gen für F & E‑Kooperationen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie15 entworfen. Diese um- gehen nicht das Durchführungsverbot, sondern schaffen vielmehr Rechts- und Planungssicherheit unter Wah- rung der beihilferechtlichen Vorschriften.
Schon die Präambel sollte den Vertragszweck darstel- len, um die Angemessenheit von Leistung und Gegen- leistung nachzuweisen sowie die verschiedenen Arbeits- pakete im Hinblick auf Beiträge, Aufwand und Interesse umreißen. Weiterhin soll das Interesse des Unterneh-
wissenschaft-wirtschaft (Juli 2014). Es werden die Klauseln des Vertrags über Auftragsforschung in der Variante der Übertragung der Schutzrechte des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi, Mustervereinbarungen für Forschungs- und Entwicklungskooperationen, 12 ff.) herangezogen.
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mens am Zugang zu den Ergebnissen und deren Nut- zung, das der Forschungseinrichtung am Entgelt und der Möglichkeit der späteren Publikation der Ergebnisse, dokumentiert werden.
Auch muss die Klausel im Hinblick auf die Altrechte sorgsam verfasst werden. Um den erörterten Ansprü- chen im Vertragstext zu genügen, ist die Klausel aus dem Mustervertrag des Bundesministeriums über die Alt- rechte zu ergänzen:
„Die Parteien stimmen überein, dass der Wert der Alt- rechte, die dem Industriepartner zugeordnet werden, bereits von der Vollkostenrechnung erfasst und Teil der Gesamtvergütung ist.“
Eine solche Ergänzung der Klausel ist notwendig, um die Nichtigkeit nach Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV i.V.m. § 134 BGB auszuschließen, weil die Altrechte mit der Ver- gütungsregelung abgegolten sein müssen. Durch die Be- stimmung der angemessenen Gegenleistung für Nut- zung und Verwertung der Altrechte wird ein Marktpreis oder ein angemessener Preis für die Altrechte bestimmt, welcher das Vorliegen einer Begünstigung seitens des In- dustrieunternehmens ausschließt.
Auch die Klausel über die Vergütung der Forschungs- arbeiten ist wie folgt abzuändern:
„Die Parteien sind sich darüber einig, dass die vorge- nannte Vergütung der Arbeiten Gegenstand einer de- taillierten Kalkulation ist, die alle Kosten erfasst, die bei Erbringung der Leistung anfallen und i.S.d. Vollkosten- rechnung einen angemessenen Preis für die Leistung, das Projekt und die Übertragung von Neu- und Altrech- ten nach Anlage [X] darstellt und die einen gegenwärti- gen und nachvollziehbaren Betrag für die Durchführung des Vertrags und die Übertragung der Rechte nach Zif- fer [X] und [Y] dieses Vertrags zur Grundlage hat.“
Die Erfassung von Alt- und Neurechten ist im Rah- men der Vollkostenrechnung erforderlich, um einen Marktpreis oder einen angemessenen Preis für die Über- tragung der Neurechte und die Nutzung der Altrechte zu bestimmen. Dieser kann so das Vorliegen einer Beihilfe zu Gunsten des Industrieunternehmens nach dem Uni- onsrahmen ausschließen und die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung dokumentieren.
Die Klausel dokumentiert, dass die Parteien bei Ver- tragsschluss einen angemessenen und damit beihilfe- rechtmäßigen Preis aushandeln und vereinbaren woll- ten. So wird das Interesse der Parteien deutlich artiku- liert, auch bei etwaiger Nichtigkeit der Preisklausel am Vertrag festzuhalten zu wollen. Dieser Fortführungswil-
le ist wie oben dargestellt Voraussetzung für die Auf- rechterhaltung des Vertrages bei Nichtigkeit der Vergü- tungsklausel durch Ersetzung dieser Klausel oder ergän- zende Vertragsauslegung.
Zuletzt sollte auch die salvatorische Klausel des Mus- tervertrags des Bundesministeriums ergänzt werden, da die Gesamtnichtigkeit des Vertrags nur auf diese Weise verhindert und der Vertrag durch eine beihilferechtmä- ßige Klausel auch bei Unwirksamkeit der Preisklausel aufrechterhalten werden kann:
„Sollte eine der Bestimmungen oder ein wesentlicher Teil dieser Vereinbarung unwirksam oder nichtig sein oder werden, wird nach dem Willen der Parteien die Ver- einbarung im Übrigen hiervon nicht berührt.“
„Derartige Bestimmungen werden die Vertragspartner durch eine neue, gültige und zumutbare Bestimmung ersetzen, die ihren ursprünglichen Absichten im wirt- schaftlichen Ergebnis soweit wie möglich und dem Ver- tragszweck entspricht, sofern dadurch keine wesentli- che Änderung des Vertragsinhalts herbeigeführt wird. Insbesondere im Fall der Unangemessenheit der Vergütung betreffend die Regelung zu Neu- und Alt- rechten werden die Vertragspartner diese Klausel durch eine neue gültige Bestimmung ersetzen, die der Billig- keit entspricht.“
„Wird ein entsprechender Vorschlag eines Vertragspart- ners abgelehnt oder von diesem innerhalb eines Mo- nats nach Zugang nicht angenommen, kann jeder Part- ner beantragen, dass ein fachkundiger Schiedsgutach- ter die Ersetzung der Klausel nach dessen Ermessen ver- bindlich festlegt.“
Die salvatorische Erhaltungsklausel sollte nicht stan- dardmäßig und allgemeingültig eingearbeitet werden, sondern hat unter Abwägung der möglichen Folgen aus- gearbeitet zu werden.
Um den Willen der Parteien, den Vertrag auch dann zur Wirksamkeit gelangen zu lassen, wenn ein wesentli- cher Teil desselben nichtig ist, hinreichend deutlich wer- den zu lassen, ist der Zusatz „oder ein wesentlicher Teil“ der Vereinbarung vonnöten. Daher muss der Wille der Parteien, bei Nichtigkeit einer Klausel, insbesondere der Preisklausel, am Vertrag festhalten zu wollen und zu ei- nem angemessenen und folglich beihilferechtmäßigen Preis abzuändern, bereits in die Klausel einfließen. Diese Formulierung der Erhaltungsklausel hat in Verbindung mit der Ersetzungsklausel zu erfolgen. Denn erst durch das Einfügen der Ersetzungsklausel kann der durch die Nichtigkeit entstandene „wesentliche Teil“ als Lücke ge-
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füllt werden. Der Zusatz einer Klausel, die Sinn und Zweck des Vertragsinhalts aufzeigt, ist dementsprechend anzuraten, da damit eine Präzisierung der Klausel und Dokumentation des Parteiwillens erzielt wird.
Insbesondere im Rahmen der Suche eines angemes- sen Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung oder konkreter Vergütungsmodalitäten gibt es verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten. Ausschließlich mithilfe der Ersetzungsklausel ist es möglich, ein interessengerechtes Ergebnis zu erzielen, sodass die Vereinbarung erforder- lich ist, weil eine „Lückenfüllung“ durch den Richter ver- sagen würde. Vor allem bei Nichtigkeit der Preisklausel kann der Vertrag wegen Nichtigkeit von essentialia ne- gotii gesamtnichtig sein. Daher kann allein durch eine solche, vom Parteiwillen ausdrücklich gewünschte, Er- setzungsklausel die Gesamtnichtigkeit verhindert wer- den, während eine Ersetzung der Preisklausel durch den Richter gerade nicht zulässig wäre.
Die zu entwerfende Ersetzungsklausel hat die Vor- aussetzungen von Bestimmbarkeit und Durchführbar- keit zu erfüllen und den Grad der Ersetzungswirkung sowie die Ersetzungsmaßstäbe festzulegen, wobei sie ausdrücklich vom Parteiwillen gedeckt sein muss und festzuschreiben hat, von wem und in welcher Weise sie zu ersetzen ist. Ansonsten drohen Auslegungsschwierig- keiten. Die entworfene Ersetzungsklausel kann die dis- positive Regelung des § 139 BGB wirksam abbedingen. Damit tritt die Gesamtnichtigkeit lediglich ein, wenn die Erhaltung des Vertrags trotz salvatorischer Klausel im Einzelfall durch den durch Vertragsauslegung zu ermit- telnden Parteiwillen nicht mehr umfasst wird, was aber bei ausreichender Dokumentation und Festschreiben des Parteiwillens nicht der Fall sein sollte.
Folglich ist die Preisersetzungsklausel so auszugestal- ten, dass die Interessen beider Vertragsparteien hinrei- chend gewahrt werden. Ein Bestimmungsrecht beider Parteien sollte implementiert werden, da die Parteien wegen ihrer Sachnähe fachkundiger sind betreffend die Bestimmung von Angemessenheit von Leistung und Ge- genleistung für die dem Vertrag zugrunde liegenden Ar- beitspakete und Leistungen als ein externer Dritter. Um Interessengerechtigkeit zu gewährleisten, ist der Zusatz der Zumutbarkeit anzuraten, um unzumutbare Härten der Klausel zu vermeiden.
Es beschleunigt den Vorgang der Ersetzung und treibt ihn an, wenn ein Schiedsgutachter die Ersetzung nach seinem Ermessen verbindlich festlegt für den Fall, dass die Parteien sich nicht einigen können, Diese Klau- sel steigert des Weiteren den Einigungsdruck auf die Parteien, sodass deren Verhandlungen nicht endlos fort- dauern können. Durch die Drittbestimmungsbefugnis des Schiedsgutachters, dessen Unparteilichkeit, Unab- hängigkeit und Objektivität kommt dem Ersetzungsver- fahren ein Mehr an Rechtssicherheit zu; es werden so- wohl die Interessen beider Parteien hinreichend berück- sichtigt als auch das Verfahren beschleunigt.
Die vorgeschlagenen Vertragsmodifikationen in Ge- stalt der Klauseln schaffen bereits bei Vertragsschluss Rechtssicherheit unter Wahrung beihilferechtlicher Vor- schriften und beseitigen auf diese Weise das über dem F & E‑Vertrag lastende Damoklesschwert der Nichtigkeit.
Die Autorin ist Syndikusanwältin bei der Merck KGaA als Head of Consumer Health Germany.