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Der Schrift­stel­ler redet zu Allen, die an sei­ner Wis­sen­schaft theil neh­men, Gegen­wär­ti­gen und Künf­ti­gen, ohne Unter­schied ihrer Bil­dungs­stu­fe. Die All­ge­mein­heit und Unbe­stimmt­heit, in wel­cher die­ses Publi­cum vor der See­le des Schrift­stel­lers steht, wird unver­meid­lich auch sei­nem Vor­trag einen all­ge­mei­nen Cha­rak­ter geben. Sein Werk hat in dem Maa­ße Werth, als dadurch für die Begrün­dung oder Ent­wick­lung der Wis­sen­schaft ein neu­er Gewinn ent­steht. Es kommt also nur in Betracht als ein­zel­ne Tat­sa­che in der Geschich­te die­ser Wis­sen­schaft, und der Schrift­stel­ler selbst ist gleich­sam nur ein Organ des idea­len Geis­tes, durch wel­chen die­se Wis­sen­schaft fort­ge­hend gebil­det wird. So wirkt Alles zusam­men, um die Per­sön­lich­keit des Schrift­stel­ler, und den beson­de­ren Weg sei­ner indi­vi­du­el­len Ent­wick­lung, dem Auge des Lesers zu ent­rü­cken.
Ganz anders der Uni­ver­si­täts­leh­rer. Ihm gegen­über steht eine Anzahl bestimm­ter, per­sön­lich bekann­ter Indi­vi­du­en, Alle auf ziem­lich glei­cher Bil­dungs­stu­fe, die­ser Wis­sen­schaft in der Regel noch unkun­dig, aber mit fri­scher, unge­nutz­ter, unab­ge­nut­zer Jugend­kraft. Die­sen Schü­lern soll die Wis­sen­schaft, soweit sie gegen­wär­tig ent­wi­ckelt ist, in dem Leh­rer gleich­sam per­so­ni­fi­ziert erschei­nen. Er soll das, was in lan­ger Zeit und sehr all­mäh­lich ent­stan­den ist, so leben­dig in sich auf­ge­nom­men haben, daß ein ähn­li­cher Ein­druck ent­steht, als wäre die Wis­sen­schaft jetzt und mit einem Male in sei­nem Geist erzeugt wor­den. Indem nun so der Leh­rer die Gene­sis des wis­sen­schaft­li­chen Den­ken unmit­tel­bar zur Anschau­ung bringt, wird in dem Schü­ler die ver­wand­te geis­ti­ge Kraft geweckt und zur Repro­duk­ti­on gereizt; er wird nicht bloß ler­nen und auf­neh­men, son­dern leben­dig nach­bil­den was ihm in leben­di­gem Wer­den zur Anschau­ung gebracht wird. Auch schon im Bücher­stu­di­um machen wir die Erfah­rung, daß uns oft Ansich­ten oder Tat­sa­chen vor Auge tre­ten, wohl auch deut­lich und über­zeu­gend wer­den, ohne sich uns blei­bend ein­zu­prä­gen, wäh­rend die­sel­ben Gedan­ken, bei güns­ti­ger Stim­mung unse­res Geis­tes, von des­sen pro­duc­ti­ver Kraft erfaßt, und so uns assi­mi­liert und ange­eig­net wer­den. Was nun hier­in meist die Wir­kung ganz sub­jec­ti­ver und zufäl­li­ger Umstän­de, zuwei­len das Ver­dienst geist­rei­cher Dar­stel­lung des Schrift­stel­ler ist, da kann und soll bei recht ange­wen­de­tem per­sön­li­chen Unter­richt die regel­mä­ßi­ge Frucht die­ser Form der Mit­tei­lung sein.
Nun kann sich zwar die­se höhe­re Wirk­sam­keit per­sön­li­cher Mit­tei­lung unter allen Umstän­den bewäh­ren; aber daß sie gleich mit dem ers­ten Ein­tritt in die Wis­sen­schaft ver­bun­den wird, daß die Fri­sche des Jüng­lings­al­ters hin­zu­tritt, und die Wech­sel­wir­kung Vie­ler, die gleich­zei­tig den­sel­ben Ein­druck an sich erfah­ren, das ist es, was den Uni­ver­si­tä­ten ihren hohen, durch Nichts zu erset­zen­den Werth ver­leiht.
Fried­rich Carl von Savi­gny
Schrift­stel­ler und Uni­ver­si­täts­leh­rer 1
1 Fried­rich Carl von Savi­gny, Wesen und Werth der deut­schen Uni­ver­si­tä­ten, in