I. Einleitung
II. Die Novelle des Landeshochschulgebührengesetzes
III. Prüfungsmaßstab für die Ungleichbehandlung
1. Grundsätzliche Bindung an Grund- und Menschenrechte
2. Gleichheitsgerechte Teilhabe am Hochschulstudium nach dem Grundgesetz
a) Ausgangspunkt – Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip
d) Sicherung der Studienplätze
e) Art. 2 Abs. 1 GG als Abwehrrecht
2. Ungleichbehandlung bei der Abgabenerhebung – Reichen fis- kalische Zwecke?
V. Abschließende Bemerkungen zur Abgabenhöhe VI. Fazit
I. Einleitung
Nur kurz währte die relative Ruhe um Studiengebühren, nachdem die allgemeine Abgabenpflicht für das Erststu- dium zuletzt in Niedersachsen im Jahre 20141 aufgeho- ben wurde. Nach mehrmonatiger gesellschaftlicher und politischer Debatte ist in Baden-Württemberg am 17. Mai 2017 das Gesetz zur Änderung des Landeshochschulge- bührengesetzes und anderer Gesetze2 in Kraft getreten. Kern der Novelle ist die Einführung von Studienabgaben für Nicht-EU- und Nicht-EWR-Staatsangehörige – im Gesetz daher zu weitgehend und missverständlich3 als Studiengebühren für Internationale Studierende bezeichnet – sowie von Zweitstudiengebühren, die im Folgenden nicht näher betrachtet werden sollen. Die Idee ist nicht neu. Die Hochschule für Musik und Thea- ter „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig erhebt basie- rend auf § 12 Abs. 3 Sächsisches Hochschulfreiheitsgesetz (SächsHSFG) seit dem Wintersemester 2013/14 Abgaben in Höhe von 1.800 EUR pro Semester von Nicht-EU- Ausländern.4 2013 ließ auch die damalige grün-rote baden-württembergische Landesregierung im Anschluss an einen Bericht des Landesrechnungshofes zu Musik- hochschulen5 die rechtliche Zulässigkeit von selektiven Abgaben prüfen. Obwohl das Gutachten zu einem
3 Vgl. auch die Kritik der Universität Konstanz und Antwort der Landesregierung, LT-Drs. 16/1617, S. 43.
4 Siehe § 7 Abs. 2 der aktuellen Gebühren- und Entgeltord-
nung, http://www.hmt-leipzig.de/hmt/downloads/fileac- cess_item_59786/view/ordnungen/o_ao_gebuehrenord- nung_161108_000000.pdf (zuletzt abgerufen am 29. Mai 2017); kritisch hierzu Armin von Weschpfennig, Rechtliche Grenzen von allgemeinen Studienabgaben. Studienbeiträge oder Akademiker- steuer?, 2015, S. 368 ff.
5 Beratende Äußerung. Die Musikhochschulen in Baden-Württem- berg, Juli 2013, http://www.rechnungshof.baden-wuerttemberg.de/ media/978/B%C4_Musikhochschulen.pdf, S. 23 ff., 47 f., 52, 57 ff. (zuletzt abgerufen am 29. Mai 2017).
b) Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht
c) Art. 3 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht
d) Zwischenfazit
3. Art. 11 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg
4. Europarecht, Völkerrecht und Bedeutung im nationalen Recht a) Sozialpakt
aa) Äußerungen des UN-Sozialausschusses bb) Rezeption in Deutschland
cc) Exkurs – Bedeutung des Sozialpakts bei der Anwendung na- tionalen Rechts
b) EMRK
c) Assoziierungsabkommen
IV. Verfassungs- und Völkerrechtmäßigkeit der selektiven Abgabenerhebung
1. Teilhabe an der hochschulischen Ausbildung, insbesondere Art. 11 LV
a) Der Vorbehalt des Möglichen
b) Differenzierung nach der Teilhabe an der Staatsfinanzierung?
c) Gegenseitigkeit, Verbindung zum Lebens- und Kulturkreis, Sozialstaat
aa) Völkerrechtliche Gegenseitigkeit
bb) Verankerung im Lebens- und Kulturkreis auch im Lichte des Sozialstaates
cc) Weitere Gleichstellungen nach Maßgabe der Verfassungs- rechtsprechung?
- 1 Volker Epping, in: ders., Niedersächsisches Hochschulgesetz mit Hochschulzulassungsgesetz. Handkommentar, 2016, Einleitung Rn. 19.
- 2 GBl BW 2017, S. 245 sowie LT-Drs. 16/2010. Siehe auch LT-Drs. 16/1617 (Gesetzentwurf) und LT-Drs. 16/1942 (Beschlussemp- fehlung und Bericht des Ausschusses für Wissenschaft, Forschung und Kunst). Der Anhörungsentwurf des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg vom 17. November 2016 ist abrufbar unter https://mwk.baden-wu- erttemberg.de/fileadmin/redaktion/m‑mwk/intern/dateien/pdf/ Landeshochschulgesetz/Anh%C3%B6rungsentwurf_%C3%84nd erung_des_LHGebG_und_des_Akademiengesetzes_17_11_2016. pdf (zuletzt abgerufen am 29. Mai 2017).
Armin von Weschpfennig
Verfassungs- und völkerrechtliche Zulässigkeit von Studiengebühren für Internationale Studierende – Novelle des baden-württembergischen Landeshoch- schulgebührengesetzes (LHGebG)
Ordnung der Wissenschaft 2017, ISSN 2197–9197
176 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2017), 175–194
grundsätzlich positiven Ergebnis kam,6 war ein entspre- chendes Gesetz politisch zunächst nicht durchsetzbar.
Die Frage nach der Zulässigkeit solcher selektiven Abgaben wirft eine Vielzahl von bislang nicht abschlie- ßend geklärten und eng miteinander verwobenen ver- fassungs- und völkerrechtlichen Problemen auf. An eine kurze Vorstellung der Novelle (II.) schließt eine umfas- sende Darstellung des rechtlichen Prüfungsmaßstabs für selektive Studienabgaben an (III.), an dem die Benach- teiligung von Ausländern zu messen ist (IV.). Abschlie- ßend folgen einige Bemerkungen zur Abgabenbemes- sung (V.).
II. Die Novelle des Landeshochschulgebühren- gesetzes
Die Novellierung tritt gesetzessystematisch in die Lücke, die die Abschaffung der allgemeinen Abgabenpflicht im Landeshochschulgebührengesetz (LHGebG) hinterlas- sen hat.7 Die Ergebnisse der seit Ende 2016 erfolgten umfassenden Anhörung zu einem Anhörungsentwurf wurden teils in den endgültigen Gesetzentwurf eingear- beitet,8 den der Landtag wiederum nahezu unverändert beschlossen hat. Nach § 3 Abs. 1 LHGebG n.F. erheben die Hochschulen für das Land ohne Begrenzung auf die Musikhochschulen von den sogenannten Internationa- len Studierenden – per definitionem sind dies Studieren- de, die nicht die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertrags- staates des Abkommens über den europäischen Wirt- schaftsraum (EWR) besitzen – ab dem Wintersemester 2017/18 bzw. dem Herbst-/Wintersemester 2017 für ihr Lehrangebot einschließlich der damit verbundenen spe- zifischen Betreuung der Internationalen Studierenden in Bachelorstudiengängen, konsekutiven Masterstudien- gängen sowie in grundständigen Studiengängen nach
§ 34 Abs. 1 des Landeshochschulgesetzes (LHG) wie etwa Staatsexamensstudiengängen Studiengebühren. Ausge- nommen sind die Hochschulen für den öffentlichen Dienst. § 4 Abs. 1 Satz 1 LHGebG n.F. setzt die Höhe auf 1.500 Euro pro Semester fest. 20 Prozent hiervon erhal-
- 6 Eibe Riedel, Zur rechtlichen Zulässigkeit der gesetzlichen Einfüh- rung selektiver Studiengebühren in Baden-Württemberg, 2013, https://mwk.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m- mwk/intern/dateien/pdf/Studium_und_Lehre/14_11_20_Gut- achten_Prof_Riedel_Nicht-EU-Auslaender.pdf (zuletzt abgerufen am 29. Mai 2017).
- 7 Art. 2 des Änderungsgesetzes normiert die Gebührenpflicht im Akademiengesetz und sieht einen Verweis auf die entsprechenden Regelungen im Landeshochschulgebührengesetz vor.
- 8 Vgl. die ausführliche Zusammenfassung in der Entwurfsbegrün- dung, LT-Drs. 16/1617, S. 34 ff.
ten die Hochschulen, wobei die Mittel für die Betreuung und Förderung sonstiger Belange der Internationalen Studierenden verwendet werden sollen, § 4 Abs. 3 LHGebG n.F., während der Rest in den Landeshaus- halt fließt, um Kürzungen im Hochschulbereich zu vermeiden.9
Dieses Grundkonzept ergänzt der Gesetzgeber durch zahlreiche und nicht einfach zu überblickende Ausnah- men und Befreiungen etwa für Studierende mit einem gefestigten Inlandsbezug, aus Gründen der besonderen Schutzbedürftigkeit, nach Maßgabe von Kooperations- vereinbarungen oder zur Begabtenförderung. Zunächst klammert § 3 Abs. 2 LHGebG n.F. Internationale Studie- rende mit diversen näher konkretisierten inländischen Hochschulzugangsberechtigungen aus. § 5 Abs. 1 LH- GebG n.F., der im Wesentlichen10 den Regelungen über eine Förderungsberechtigung nach § 8 Abs. 1 bis 3 BAföG nachgebildet ist, sieht Ausnahmen etwa für Ausländer mit qualifiziertem EU-/EWR-Bezug (Familienangehöri- ge),11 mit qualifiziertem Inlandsbezug (Niederlassungs- erlaubnis, Daueraufenthaltserlaubnis – EU, Mindestauf- enthaltsdauer in Deutschland mit Erwerbstätigkeit) so- wie aus Gründen besonderer Schutzbedürftigkeit (z.B. anerkannte Flüchtlinge, anerkannte Asylberechtigte, heimatlose Ausländer) vor. Zur letzten Gruppe zählt auch § 6 Abs. 6 LHGebG n.F., nach dem unter bestimm- ten Voraussetzungen Studierende mit einer Aufenthalts- gestattung nach § 55 Abs. 1 AsylG von der Gebühren- pflicht befreit werden. Darüber hinaus sieht § 6 LHGebG n.F. Gebührenbefreiungen und teils auch ‑ermäßigun- gen im Rahmen von Vereinbarungen auf landes‑, bun- des- und internationaler Ebene sowie unter bestimmten Voraussetzungen auch im Rahmen von Hochschulver- einbarungen (Abs. 1), aus Gründen geringer Inanspruch- nahme der universitären Einrichtungen etwa während einer Beurlaubung (Abs. 2), durch Rechtsverordnung (Abs. 3), bei besonderer Begabung (Abs. 4, 5) sowie bei Behinderungen (Abs. 7) vor und eröffnet damit teils er- heblichen Gestaltungsspielraum. Bei Befreiungen wegen besonderer Begabung, die auf 5 Prozent der Internatio- nalen Studienanfängerinnen und ‑anfänger begrenzt
9 LT-Drs. 16/1617, S. 22.
10 Die Regelungsgefüge unterscheiden sich insbesondere in der Be-
handlung der EU-Ausländer. Diese sind bereits per definitionem von der Abgabenpflicht nach dem LHGebG‑E ausgenommen, während das BAföG eine Förderberechtigung hier differenziert regelt.
11 Zur Anwendbarkeit des FreizügG/EU auf EWR-Staatsangehörige siehe § 12 FreizügG/EU.
von Weschpfennig · Zulässigkeit von Studiengebühren 1 7 7
werden, sollen die Hochschulen in besonderem Maße Studierende mit der Staatsangehörigkeit eines Unter- zeichnerstaates des Partnerschaftsabkommens der Euro- päischen Union 2000/483/EG (Cotonou-Abkommen) oder eines Staates, der nach der Feststellung der Verein- ten Nationen zu den am geringsten entwickelten Län- dern gehört, berücksichtigen. Schließlich kann die Hochschule in Fällen unverschuldeter Notlagen Gebüh- ren ganz oder teilweise stunden oder erlassen, § 7 LH- GebG n.F.
Verfahrensvorschriften enthalten die §§ 9 f. LHGebG n.F. § 20 LHGebG n.F. regelt u.a. den Vertrauensschutz. Insbesondere wird die Gebührenfreiheit des Studiums für zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes be- reits immatrikulierte Studierende festgeschrieben, Abs. 1 Satz 1. Dagegen verzichtet die Novelle auf ausdifferen- zierte Darlehensregelungen, wie sie noch § 7 LHGebG a.F. im Rahmen der allgemeinen Abgabenpflicht vorsah.
III. Prüfungsmaßstab für die Ungleichbehandlung
Selektive Abgabenmodelle müssen nicht nur deutschen Grundrechten und finanzverfassungsrechtlichen Anfor- derungen genügen, sondern auch völkerrechtlichen Ver- pflichtungen Rechnung tragen. Letztere entfalten ihrer- seits Rückwirkungen auf das nationale Recht. Die fol-
- 12 Zu grenzüberschreitenden Sachverhalten und zur Ausübung der Hoheitsgewalt über das eigene Territorium hinweg siehe BVerfGE 100, 313 (362 ff.) – Telekommunikationsüberwachung; EGMR, Urteil vom 23. Februar 2012 – 27765/09, NVwZ 2012, S. 809 Rn. 70 ff. – Hirsi Jamaa u.a./Italien; Peter Badura, Der räumliche Geltungs- bereich der Grundrechte, in: Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, BandII, Grundrechte in Deutschland: Allgemeine Lehren I, 2006, § 47 Rn. 13 ff., 33; Wolfgang Durner, in: Theodor Maunz/Günter Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 10 Rn. 64 f. (Stand: Januar 2010); Matthias Herdegen, in: Maunz/Dürig, wie vor, Art. 1 Abs. 3 Rn. 71 ff. (Stand: Februar 2005); Helmut Quaritsch, Der grundrechtliche Status der Ausländer, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, Allgemeine Grundrechtslehren, 1. Auflage 1992, § 120 Rn. 74 ff.; Frank Schor- kopf, Grundgesetz und Überstaatlichkeit. Konflikt und Harmonie in den auswärtigen Beziehungen Deutschlands, 2007, S. 118 ff.
- 13 So vertritt Riedel (Fn. 6), S. 6 f., 53, dass ein Zulassungsantrag (aus dem Ausland) lediglich einen Verwaltungsvorgang im Inland auslöse, der die Eröffnung des Schutzbereiches eines Grundrechts aber noch nicht präjudiziere. Mangels Territorialitätsbezug und personaler Anbindung über die Staatsangehörigkeit könntensich Ausländer, die außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes leben, normalerweise nicht gegenüber deutschen Behörden auf Grund- und Menschenrechte berufen, Riedel (Fn. 6), S. 12. Auch sei eine uneingeschränkte Gewährleistung sämtlicher Rechte des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kultu- relle Rechte gegenüber der gesamten Weltbevölkerung nicht Ziel des Pakts, Riedel (Fn. 6), S. 25. Hieraus schlussfolgern Jakob
genden Ausführungen veranschaulichen zunächst die abstrakten Prüfungsmaßstäbe sowie deren Beziehung zueinander, um im Anschluss (IV.) die Verfassungs- und Völkerrechtmäßigkeit der Benachteiligung von Auslän- dern im LHGebG zu untersuchen.
1. Grundsätzliche Bindung an Grund- und Menschen- rechte
Selbstverständlich können sich Ausländer innerhalb der Territorialgewalt der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich auf Grund- und Menschenrechte berufen. Gleiches gilt – u.U. mit Abstufungen je nach Einzelfall – bei grenzüberschreitenden Sachverhalten.12 Insoweit ist es problematisch, Ausländern, die sich außerhalb der Territorialgewalt befinden, bereits im Ausgangspunkt den grundrechtlichen Schutz zu versagen, wenn sie einen Antrag auf Immatrikulation stellen.13 Tatsächlich spielt die im Einzelfall schwierige Frage nach der Reich- weite der Grund- und Menschenrechte gegenüber Aus- ländern außerhalb der territorialen Hoheitsgewalt im hier relevanten Kontext nahezu keine Rolle, weil der Ter- ritorialbezug spätestens mit der Einreise hergestellt wird.14 Auch wenn man kein (Grund-)Recht auf Einrei- se anerkennt,15 berechtigt dies nicht zur (grund-)recht- lich ungebundenen Ausgestaltung der Rechtsverhältnis- se während des Aufenthalts.16
Lohmann/David Werdermann, Studiengebühren für Schwache: Baden-Württemberg und das Verfassungs- und Völkerrecht, Blogbeitrag vom 13. Dezember 2016, http://verfassungsblog.de/ studiengebuehren-fuer-schwache-baden-wuerttemberg-und-das- verfassungs-und-voelkerrecht/ (zuletzt abgerufen am 29. Mai 2017), Riedel wende Rechte des Sozialpakts nicht auf Ausländer an, die erst zum Studium nach Deutschland kommen.
14 Nach Lohmann/Werdermann (Fn. 13) wäre allenfalls eine vor Studienbeginn und vor Einreise zu entrichtende Studiengebühr nicht an Grund- und Menschenrechten zu messen. Ein gegen- teiliges Ergebnis vertritt auch Riedel (Fn. 6) nicht, der allerdings teils nur den Gegensatz gefestigter Inlandsbezug vs. Aufenthalt im Ausland sieht, vgl. S. 4 ff., 9 f., ferner 24 f., und damit die dazwischenliegende Fallgruppe (nicht gefestigter Inlandsbezug bei inländischem Aufenthalt) augenscheinlich nicht beleuchtet. So würden die gutachterlichen Untersuchungen „Personen mit hin- reichendem Territorialbezug nicht betreffen, das heißt Personen, die sich im Bundesgebiet aufhalten sowie im Ausland befindliche Personen mit sonstigem hinreichenden Inlandsbezug“ (S. 10). Gerade um diese Personengruppe geht es aber im Kern, wie die Zusammenfassung auch verdeutlicht, S. 52 ff. (Nr. 5, 10, 17).
15 BVerfGE 76, 1 (71) — Familiennachzug; Josef Isensee, Die staatsrechtliche Stellung der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, VVDStRL 32 (1974), S. 49 (60 ff.); a.A. Michael Sachs, Das Recht zum Aufenthalt im Staatsgebiet, in: Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, Die einzelnen Grundrechte, § 102, S. 714 (748 ff.) mit zahlreichen Nachweisen.
16 Lohmann/Werdermann (Fn. 13).
178 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2017), 175–194
2. Gleichheitsgerechte Teilhabe am Hochschulstudium nach dem Grundgesetz
a) Ausgangspunkt – Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip
Im Zentrum der Grundrechtsprüfung einer Abgaben- pflicht für das Studium steht das seit der ersten nume- rus-clausus-Entscheidung des Bundesverfassungsge- richts17 aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip abgeleitete derivative Teilhabe- recht auf freien und gleichen Zugang zum Hochschul- studium.18 Hiergegen kann eine Abgabenpflicht in nicht unerheblicher Höhe mit einem nur rudimentären Sys- tem zur sozialen Absicherung verstoßen, weil die Hoch- schulzulassung in Abhängigkeit von den finanziellen Voraussetzungen in unterschiedlichem Maße erschwert wird. Freiheits- und gleichheitsrechtliche Schutzgehalte greifen ineinander über. Gestaltet, wie bei einer selekti- ven Studienabgabe, der Gesetzgeber die Anforderungen für verschiedene Gruppen unterschiedlich aus, findet zudem eine primär am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG zu messende unmittelbare Ungleichbehandlung im Rah- men eines Gebrauchs des Rechts auf Ausbildungsfreiheit statt. Der Gewährleistungsgehalt der als einheitliches Grundrecht19 zu verstehenden Berufsfreiheit wird per- sonell jedoch nur Deutschen gewährleistet,20 sodass auch die teilhaberechtlichen Elemente Studierenden mit anderer Staatsangehörigkeit nicht zustehen.21
- 17 BVerfGE 33, 303 (331 f.) – numerus clausus I.
- 18 BVerfGE 134, 1 Rn. 36 ff. – Landeskinderregelung; BVerwGE 134,1 Rn. 18 ff.
- 19 BVerfGE 33, 303 (329 f.) – numerus clausus I; Gerrit Manssen,in: Hermann von Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, 6. Auflage 2010, Art. 12 Rn. 2.
- 20 Ausdrücklich auch BVerfGE 78, 179 (196) – Heilpraktikergesetz.
- 21 Anders muss dies möglicherweise wegen des Diskriminierungs- verbotes aus Art. 18 AEUV gegenüber sonstigen EU-Staats-angehörigen beurteilt werden, vgl. BVerfGE 129, 78 (91) – Le Corbusier – zu Art. 19 Abs. 3 GG. Jedenfalls ist über Art. 2 Abs. 1 GG ein äquivalentes Schutzniveau zu gewähren, Manssen (Fn. 19) Rn. 267. Anknüpfend an die baden-württembergischen Neure- gelungen, die EU-Ausländer nicht belasten, kann auf eine nähere Auseinandersetzung verzichtet werden.
- 22 Näher zu möglichen Auffanggrundrechten siehe von Weschpfen- nig (Fn. 4), S. 344 ff.
- 23 BVerfGE 35, 382 (399 ff.) – Ausländerausweisung; 78, 179 (196)
– Heilpraktikergesetz; 104, 337 (346) – Schächten; ebenso Udo Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Fn. 12), Art. 2 Abs. 1 Rn. 32 ff. (Stand: Juli 2001); Jörg Gundel, Der grundrechtliche Status der Ausländer, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IX, Allgemeine Grundrechts- lehren, 3. Auflage 2011, § 198 Rn. 6.
b) Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungs- gerichts greift im Bereich der Deutschengrundrechte aber Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht22 – aller- dings nur im Rahmen der dort geregelten Schranken unter Wahrung rechtsstaatlicher Anforderungen,23 sodass das Schutzniveau reduziert ist.24 Die Auffang- funktion des Art. 2 Abs. 1 GG zielt jedoch primär auf den abwehrrechtlichen Gehalt und nicht auf Leistungs- und Teilhaberechte, die unter dem Vorbehalt endlicher Res- sourcen stehen. Hier ist der Staat zunächst freier, inwie- weit er den Kreis der Berechtigten auf Ausländer erstreckt, da es um die Verteilung eines knappen Guts geht.25 Allerdings ist speziell bei der Ausgestaltung des Hochschulzugangs zu berücksichtigen, dass das Bundes- verfassungsgericht das Recht auf Hochschulzulassung dem abwehrrechtlichen Schutzgehalt angenähert hat.26 So ist es konsequent, auch einem etwaigen derivativen Teilhaberecht aus Art. 2 Abs. 1 GG (i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip) eine Auffangfunktion für Ausländer beizumessen.
Um nicht die speziellen Garantien des Art. 12 GG zu unterlaufen, setzt ein entsprechendes Teilhaberecht aus Art. 2 Abs. 1 GG aber voraus, dass es nicht erst als Subs- titut für die fehlenden Garantien im Rahmen der Berufs- freiheit konstruiert werden muss, sondern ungeachtet der Ergänzungsfunktion zum Deutschengrundrecht in die dogmatische Struktur eingepasst werden kann. Gera-
24 In der Literatur werden weitergehende Begrenzungen vertreten, um der Wertung des Grundgesetzes mit seinen ausdrücklich
nur Deutschen vorbehaltenen Rechten Rechnung zu tragen, siehe etwa Christian Hillgruber, Grundrechtlicher Schutzbe- reich, Grundrechtsausgestaltung und Grundrechtseingriff, in: Isensee/Kirchhof (Fn. 23), § 200 Rn. 42 ff.: keine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und Differenzierung nach Sinn und Zweck der Beschränkung des personellen Geltungsbereichs auf Deutsche; Christian Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 19), Art. 1 Rn. 207, Art. 2 Rn. 46: Beschränkung auf den Menschenrechts‑, bzw. Menschenwürdegehalt. Teilweise wird die Anwendbarkeit des Art. 2 Abs. 1 GG im sachlichen Geltungs- bereich eines Deutschengrundrechts sogar gänzlich abgelehnt, Wolfgang Kahl, Die Schutzergänzungsfunktion von Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz, 2000, S. 22 ff., der einzig Art. 1 Abs. 1 GG für einschlägig hält; Rupert Scholz, in: Maunz/Dürig (Fn. 12), Art. 12 Rn. 104 (Stand: Juni 2006).
25 Vgl. Isensee (Fn. 15), S. 86 f.; Angelika Siehr, Die Deutschen- grundrechte des Grundgesetzes. Bürgerrechte im Spannungsfeld von Menschenrechtsidee und Staatsmitgliedschaft, 2001, S. 432 f.
26 Vgl. BVerfGE 33, 303 (336 ff.) – numerus clausus I; 134, 1 Rn. 45 ff. – Landeskinderregelung; näher hierzu von Weschpfennig
(Fn. 4), S. 98 ff.
von Weschpfennig · Zulässigkeit von Studiengebühren 1 7 9
de hier zeigt sich die Literatur und Rechtsprechung bei der Begründung von Teilhaberechten aber sehr zurück- haltend.27 Etwa im Bereich der Bildung werden solche Rechte bislang allenfalls bei der schulischen Bildung an- genommen,28 sodass ohne deutliche dogmatische Erwei- terung des Garantieumfangs kein entsprechendes Auf- fangrecht für Ausländer besteht.29 Denkbar ist hingegen, die Abgabenpflicht nicht mehr als Voraussetzung für deri- vative Teilhabe, sondern als ausbildungsbezogene Belas- tung und damit als originären Eingriff in eine (auffang)frei- heitsrechtlich geschützte Betätigung zu verstehen.30 Dann könnte in der Tat Art. 2 Abs. 1 GG im Rahmen seines Schutzumfangs aktiviert werden, wobei letzterer hinter demjenigen eines – hier abgelehnten – Teilhaberechts zu- rückbleiben dürfte.31
c) Art. 3 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht
Eine Auffangfunktion kann zudem Art. 3 Abs. 1 GG zukom- men. Zwar spricht hiergegen die bereits im Verfassungstext angelegte Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit,32 sodass jede weitere Prüfung von Ungleichbehandlungen im Rahmen von Deutschengrundrechten in potenziellen Widerspruch hierzu tritt.33 Berücksichtigt man jedoch den (objektiv zu ermittelnden34) Sinn und Zweck des jeweiligen Deutschenvorbehalts, kann diese Friktion aufgelöst wer- den.35 Nur wenn die Ungleichbehandlung mit plausiblen Gründen hierfür korrespondiert, ist sie gerechtfertigt.36 Wegen der Nähe zu den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 GG ist eine vertiefte Prüfung erforderlich.37
Hingegen ist die Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der abgabepflichtigen Ausländer aufgrund unter-
- 27 Siehe etwa Di Fabio (Fn. 23), Rn. 57 ff.; Horst Dreier, in: ders., Grundgesetz. Kommentar, Band I, 3. Auflage 2013, Art. 2 I Rn.66.
- 28 BVerwGE 47, 201 (206); 56, 155 (158); vgl. BVerfGE 96, 288 (304 ff.) – Integrative Beschulung; kritisch Di Fabio (Fn. 23), Rn. 58, der ein „Grundrecht auf Bildung“ jenseits einer Unterschreitung des Mindeststandards ablehnt; vgl. VGH München, Beschluss vom 14. August 2008 – 7 CE 08.10592, NVwZ-RR 2009, S. 110 (111), dazu kritisch Gundel (Fn. 23) Rn. 75.
- 29 Offener dagegen Riedel (Fn. 6), S. 39 f.
- 30 So BVerfGE 7, 465 (471); 7, 477 (481); BVerwGE 134, 1 Rn. 19,freilich jeweils zu Art. 12 GG; vgl. Hillgruber (Fn. 24), Rn. 46.
- 31 BVerwGE 134, 1 Rn. 20 spricht etwas nebulös vom „potenziellweiter ausgreifende[n] Teilhaberecht“.
- 32 Schon daher überzeugt es nicht, eine Differenzierung nach derStaatsangehörigkeit abzulehnen, weil die Länder keine vergleichbare Verantwortung wie der Bund für die Staatsangehörigen trügen, da diese schließlich in ein anderes Bundesland umziehen könnten und damit nicht dem „Rechtsschicksal der Unentrinnbarkeit“ unterlägen, so aber Tobias Langeloh, Die Zulässigkeit von finanziellen Einheimischenpri- vilegierungen, 2016, S. 187 f. Neben der Existenz des Deutschenvorbehalts findet zudem das vom Bundesverfassungsgericht reklamierte bundesweit zusammenhängende System des Hochschulwesens, BVerfGE 33, 303 (352) – numerus clausus I; 134, 1 Rn. 62 – Landeskinderregelung, keine ausreichende Berücksichtigung. Gleiches gilt – trotz der Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Regelungsgehalts – hinsichtlich Art. 33 Abs. 1 GG, siehe hierzu von Weschpfennig (Fn. 4), S. 385 ff.
schiedlicher Teilhabemöglichkeiten nicht an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen, weil sie in der Tat nur Folge einer durch das Grundgesetz selbst legitimierten Differenzierung ist. Insbe- sondere ersetzt Art. 3 Abs. 1 GG nicht den Schutz durch ein (hier verneintes) derivatives Teilhaberecht auf Hochschul- zulassung. Vielmehr sind entsprechende Belastungen nur reflexhaft bei der Frage zu berücksichtigen, ob eine bestimmte Gruppe von Ausländern selektiv mit Abgaben belastet werden darf. Auch das Sozialstaatsprinzip oder die Menschenwürde können das Fehlen einer freiheitsrechtlichen Anknüpfung nicht ersetzen,38 sondern gewährleisten nur die prinzipielle Be- rücksichtigung einer Zugangserschwerung.
d) Zwischenfazit
Entgegen einer ersten Annahme ist die Benachteiligung von Nicht-EU- und Nicht-EWR-Staatsangehörigen recht- fertigungsbedürftig, während die Erschwernis beim Hoch- schulzugang mangels eines derivativen Teilhabe(freiheits) rechts nur reflexhaft bei der Gleichheitsprüfung und im Rahmen eines etwaigen Eingriffsabwehrrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG berücksichtigt wird.
3. Art. 11 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg
Nach Art. 11 Abs. 1 LV39 hat jeder junge Mensch – und damit nicht nur Deutsche – ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung ent- sprechende Erziehung und Ausbildung. Abs. 3 verpflichtet Staat, Gemeinden und Gemeindeverbände, die erforderlichen Mittel, insbesondere auch Erziehungsbeihilfen, bereitzustellen. Nach Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Baden- Württemberg40 handelt es sich bei Art. 11 Abs. 1 LV nicht um
33 Ablehnend daher Di Fabio (Fn. 23), Rn. 29 unter Verweis auf BVerwGE 22, 66 (70 f.).
34 Die Materialien des Parlamentarischen Rates sind hierzu unergie- big, vgl. Quaritsch (Fn. 12), Rn. 108 mit Fn. 249.
35 Die Nichtanwendbarkeit des Gleichheitssatzes im Anwendungs bereich von Deutschengrundrechten wäre vergleichbar mit einer Beschränkung von Freiheitsrechten ohne Ansehung der konkre- ten Umstände nur aufgrund der Existenz eines Schrankenvorbe- halts, so Siehr (Fn. 25), S. 408.
36 Vgl. Isensee (Fn. 15), S. 81 ff.; Quaritsch (Fn. 12), Rn. 114 ff.; Siehr (Fn. 25), S. 426 ff.
37 BVerfGE 130, 240 (255 f.) – Bayerisches Landeserziehungsgeldge- setz; Riedel (Fn. 6), S. 43 f. Art. 3 Abs. 3 GG ist nicht anwendbar, weil die Staatsangehörigkeit dort nicht genannt ist, BVerfGE 51, 1 (30); a.A. Manfred Zuleeg, Zur staatsrechtlichen Stellung der Aus- länder in der Bundesrepublik Deutschland. I. Menschen zweiter Klasse?, DÖV 1973, S. 361 (363 f.).
38 Anders wohl Zuleeg (Fn. 37), S. 369, der ein Teilhaberecht aus dem Sozialstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG konstruiert.
39 Darüber hinaus sind nach Art. 2 Abs. 1 LV die im Grundgesetz festgelegten Grundrechte Bestandteil der Landesverfassung und unmittelbar geltendes Recht.
40 Urteil vom 30. Mai 2016 – 1 VB 15/15, juris, Rn. 48 ff.; dem folgend Lohmann/Werdermann (Fn. 13); ähnlich Riedel (Fn. 6), S. 48ff.
180 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2017), 175–194
einen bloßen Programmsatz,41 sondern um ein klares Verfas- sungsgebot. Darüber hinaus könne aus der Vorschrift ein sub- jektives Teilhaberecht auf Bildung abgeleitet werden, welches auch den Bereich der Hochschulen einbeziehe. Dieses Teil- haberecht auf Zugang zu geschaffenen öffentlichen berufs- bezogenen Ausbildungseinrichtungen sei entsprechend den zu Art. 12 Abs. 1 GG entwickelten Grundsätzen auszu- legen.42 Damit besteht auf Landesebene ein derivatives Teil- haberecht, welches grundsätzlich ein dem Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip äquiva- lentes Schutzniveau ohne Beschränkung auf Studierwillige mit deutscher Staatsangehörigkeit gewährleistet.43
4. Europarecht, Völkerrecht und Bedeutung im nationa- len Recht
a) Sozialpakt
Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Sozialpakt erkennen die Ver- tragsstaaten das Recht eines jeden auf Bildung an. Sie erkennen ausweislich des Art. 13 Abs. 2 lit. c Sozialpakt an, dass im Hinblick auf die volle Verwirklichung dieses Rechts der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch die allmähliche Einführung der Unent- geltlichkeit jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss.49 Nach Art.
48 BGBl II 1973, S. 1569; für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 3. Januar 1976, BGBl II 1976, S. 428.
49 Auch die Europäische Sozialcharta vom 18. Oktober 1961, BGBl II 1964, S. 1261, für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 26. Februar 1965, BGBl II 1965, S. 1122, fordert die Vertragsparteien im Rahmen des Rechts auf berufliche Ausbildung auf, Möglichkeiten des Hochschulzugangs nach alleiniger Maßgabe der persönlichen Eignung zu schaffen, Art. 10 Nr. 1. Gemäß Art. 10 Nr. 4 lit. a Sozialcharta verpflichten sich die Vertragsparteien, durch geeignete Maßnahmen
zur vollen Ausnutzung der geschaffenen Möglichkeiten anzuregen,
zum Beispiel dadurch, dass alle Gebühren und Kosten herabgesetzt oder abgeschafft werden. Während die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. c Sozialcharta den allein eignungsabhängigen Hochschulzugang als für sich bindend ansieht, wurde die Geltung u.a. des Art. 10 Nr. 4 Sozialcharta durch einen Vorbehalt ausgeschlossen, BGBl II 1965, S. 1122, ausdrücklich auch BVerwGE 115, 32 (49 f.), missverständlich BVerfGE 134, 1 Rn. 43 – Landeskinderregelung, sodass hieraus keine weiteren Rechte oder Vorgaben abgeleitet werden können. Aus Art. 10 Nr. 1 Sozialcharta können keine weitergehenden Verpflich- tungen abgeleitet werden als aus dem Sozialpakt. Im Übrigen beschränkt Abs. 1 des Anhangs zur Sozialcharta den erfassten Personenkreis auf Staatsangehörige anderer Vertragsparteien. Allgemein zur Bindungswir- kung der Sozialcharta siehe Juliane Kokott, Die Staatsangehörigkeit als Unterscheidungsmerkmal für soziale Rechte von Ausländern, in: Kay Hailbronner, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremden- rechts. Bilanz und Ausblick an der Jahrtausendwende, 2000, S. 25 (32
f.). Soweit allerdings Riedel (Fn. 6), S. 37 aus der ebenfalls in Abs. 1 des Anhangs genannten Voraussetzung, dass erfasste Ausländer zudem ih- ren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet der betref- fenden Vertragspartei haben oder dort ordnungsgemäß beschäftigt sein müssen, schließt, dass bei Ausländern ohne gefestigten Inlandsbezug kein Anspruch auf Befreiung von Studiengebühren bestehen könne, ist dem zu entgegnen, dass rechtmäßig in Deutschland Studierende gerade hier ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Bereits seit Jahrzehnten ist geklärt und soll daher nicht näher vertieft werden, dass EU-Staatsangehörige wegen des Diskriminierungsverbots nach nunmehr Art. 18 AEUV nicht einer Abgabenpflicht für das Studium unterworfen werden dürfen, wenn diese nicht gleicher- maßen Inländer trifft.44 Ebenso bestehen sekundärrecht- liche Verpflichtungen zur Gleichbehandlung mit Inlän- dern,45 die mit § 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 LHGebG n.F. umgesetzt werden.46 Weniger eindeutig sind etwaige Verpflichtun-
- 41 Offengelassen von BayVGH, Entscheidung vom 28. Mai 2009 – Vf. 4‑VII-07, BayVBl 2009, S. 593 (595), der die Frage nach dem Bestehen eines Grundrechts auf Bildung offenlässt, jedenfalls aber den Charakter als unmittelbar geltendes objektives Recht bejaht. Zum Meinungsstand siehe Foroud Shirvani, Soziale Grundrechte, in: Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier, Handbuch der Grundrech- te in Deutschland und Europa, Band VIII, Landesgrundrechte in Deutschland, 2017, § 242 Rn. 52 ff.
- 42 A.A. Meinhard Schröder, Landesgrundrechte in Baden-Württem- berg, in: Merten/Papier (Fn. 41), § 245 Rn. 34, der eine Ableitung des Inhalts aus Art. 12 GG verneint.
- 43 Soweit die Ausweitung des personellen Schutzes für unvereinbar mit Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG und damit nach Art. 31 GG unwirk- sam angesehen wird, VGH Kassel, Beschluss vom 22. November 2001 – 8 TZ 2949/01 und 8 TG 3044/01, NVwZ-RR 2002, S. 501 (502), überzeugt dies jedenfalls dann nicht, wenn nicht die gleiche Teilhabe an zulassungsbeschränkten Studiengängen im Raum steht, näher von Weschpfennig (Fn. 4), S. 353 f. m.w.N.
- 44 EuGH, Urteil vom 13. Februar 1985 – C‑293/83, ECLI:EU:C1985:69 – Gravier. Das gilt nicht gleichermaßen für Unterhaltsbeihilfen, siehe EuGH, Urteil vom 15. März 2005 – C‑209/03, ECLI:EU:C:2005:169, Rn. 43 ff. – Bidar; Urteil vom 18. November 2008 – C‑158/07, ECLI:EU:C:2008:630, Rn. 55 – Förster.
- 45 Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG vom 29. April 2004 (Freizügig- keitsrichtlinie), ABl. L 158 vom 30. April 2004, S. 77 (vgl. auch Fn. 113); Art. 11 Abs. 1 lit. b RL 2003/109/EG vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsbe- rechtigten Drittstaatsangehörigen, ABl. L 16 vom 23. Januar 2004, S. 44.
- 46 LT-Drs. 16/1617, S. 23.
- 47 Nicht näher behandelt wird im Folgenden das UNESCO-Über-einkommen gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen, siehe hierzu Riedel (Fn. 6), S. 28.
gen nach diversen Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union, den Mitgliedstaaten und Drittstaaten.
Im Bereich der menschenrechtlichen Verträge kann der EMRK Bedeutung zukommen.47 Im Zentrum der Dis- kussion um die Erhebung von Studienabgaben stehen je- doch Bestimmungen des Internationalen Pakts über wirt- schaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 (Sozialpakt).48 Klar ist, dass die Bundesrepublik Deutschland im Außenverhältnis Völkerrecht wahren muss, um nicht vertragsbrüchig zu werden. Ungeachtet dessen strahlt Völkerrecht auch auf die Verfassungsausle- gung selbst aus, sodass ein Völkerrechtsverstoß gleichzeitig einen Verfassungsverstoß begründen kann.
von Weschpfennig · Zulässigkeit von Studiengebühren 1 8 1
2 Abs. 2 Sozialpakt verpflichten sich die Vertragsstaaten u.a. zu gewährleisten, dass die in diesem Pakt verkünde- ten Rechte ohne Diskriminierung hinsichtlich der natio- nalen Herkunft ausgeübt werden. Das Diskriminie- rungsverbot ist damit kein selbstständiges Recht, son- dern steht immer im Zusammenhang mit sonstigen Paktrechten.50 Abs. 3 ermöglicht den Entwicklungslän- dern eine abgestufte Gewährleistung der wirtschaftli- chen Rechte aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Die Auslegung dieser Bestimmungen richtet sich nach den Grundsätzen in Art. 31 ff. des für die Bundesrepublik Deutschland am 20. August 1987 in Kraft getretenen51 Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (WVK)52 als Ausdruck allgemeinen Völkergewohnheitsrechts.53
aa) Äußerungen des UN-Sozialausschusses
Über die Einhaltung des Sozialpakts wacht im Wesentli- chen54 der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialausschuss) als Unteror- gan des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nati- onen im Rahmen eines Staatenberichtsverfahrens und verfasst hierzu Abschließende Bemerkungen (concluding observations). Darüber hinaus konkretisiert er die Pakt- rechte durch Allgemeine Kommentare (general com- ments). Beide sind völkerrechtlich nicht verbindlich, jedoch können die Abschließenden Bemerkungen Hin- weise auf die allgemeine konsentierte Staatenpraxis geben und die Allgemeinen Kommentare als Interpreta- tionshilfe herangezogen werden.55 Gerichtliche Ent- scheidungen sieht der Sozialpakt hingegen nicht vor.
- 50 Siehe den Allgemeinen Kommentar Nr. 20 vom 2. Juli 2009, UN- Doc. E/C.12/GC/20, Abs. 7. Ein allgemeines Diskriminierungs- verbot ohne Beschränkung auf die konkreten Paktrechte normiert Art. 26 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBl II 1973, S. 1533, für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 23. März 1976, BGBl II 1976, S. 1068, der aber gerade wegen seiner Allgemein- heit nicht über die Garantien des Sozialpakts hinausgehen dürfte. Im Übrigen sind Ungleichbehandlungen rechtfertigungsfähig,vgl. den Allgemeinen Kommentar Nr. 18 des UN-Menschen- rechtsausschusses vom 10. November 1989, insb. Ziff. 3, 12, 13. Ausweislich des Vorbehalts, BGBl II 1994, S. 311, zum ersten Fakultativprotokoll, BGBl II 1992, S. 1246, darf schließlich der UN-Menschenrechtsausschuss Diskriminierungen in Bezug auf andere als im Pakt garantierte Rechte im Individualbeschwerde- verfahren nicht überprüfen.
- 51 BGBl II 1987, S. 757.
- 52 BGBl II 1985, S. 926.
- 53 BVerwGE 134, 1 Rn. 47. Relevant sind u.a. die gewöhnlicheBedeutung der Bestimmungen in ihrem Zusammenhang, Ziel und Zweck des Vertrags (Art. 31 Abs. 1 WVK), jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen und jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung
Auch das mittlerweile in Kraft getretene Fakultativpro- tokoll, welches u.a. ein Individualbeschwerdeverfahren vor dem UN-Sozialausschuss vorsieht,56 hat die Bundes- republik Deutschland bislang weder unterzeichnet noch ratifiziert.57
Eine Analyse der Äußerungen des UN-Sozialaus- schusses hinterlässt im Ergebnis58 ein ambivalentes Bild. Die Allgemeinen Kommentare stellen zunächst klar, dass Beeinträchtigungen grundsätzlich rechtfertigungs- fähig sind. So erklärt der UN-Sozialausschuss in seinem Allgemeinen Kommentar Nr. 13 (1999), dass die Staaten zwar die Bereitstellung eines unentgeltlichen Grund- schulunterrichts in den Vordergrund stellen müssten, darüber hinaus aber auch verpflichtet seien, konkrete Maßnahmen zur Verwirklichung u.a. einer unentgeltli- chen Hochschulbildung zu ergreifen.59 Zwar bestehe eine starke Vermutung für die Unzulässigkeit aller Maß- nahmen, die das Recht auf Bildung beschneiden würden, jedoch sei eine Rechtfertigung solcher Maßnahmen, die bewusst auf eine Beschneidung abzielen, nach sorgfäl- tigster Abwägung aller Alternativen möglich. Zu berück- sichtigen seien hierbei die Gesamtheit der in dem Pakt gewährten Rechte sowie die volle Nutzung aller dem Vertragsstaat zur Verfügung stehenden Ressourcen.60 Unterschiedliche Behandlungen etwa aus Gründen der Nationalität sind ausweislich des Allgemeinen Kom- mentars Nr. 20 (2009) rechtfertigungsfähig. Ziele und Wirkungen der Maßnahmen oder Unterlassungen müss- ten rechtmäßig und mit der Natur der im Pakt niederge- legten Rechte vereinbar sein sowie ausschließlich dem Zweck der Förderung des allgemeinen Wohls in einer
hervorgeht (Art. 31 Abs. 3 lit. a und b WVK). Der Entstehungsge- schichte des Vertrags kommt hingegen nur subsidiäre Bedeutung zu (vgl. Art. 32 WVK).
54 Näher Jakob Schneider, Die Justiziabilität wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte, 2004, S. 11 ff. Darüber hinaus werden teils Sonderberichterstatter eingesetzt, die dem UN-Menschenrechts- rat berichten, Sven Söllner, Studiengebühren und das Menschen- recht auf Bildung, 2007, S. 63; Mirja A. Trilsch, Die Justiziabilität wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte im innerstaatli- chen Recht, 2012, S. 23.
55 BVerwGE 134, 1 Rn. 48; vgl. Andreas von Arnauld, Völkerrecht, 3. Auflage 2016, Rn. 278; David Kretzmer, Human Rights, State Re- ports, in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Oktober 2008, Rn. 28; Nisuke Ando, General Comments/Recom- mendations, in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law, November 2008, Rn. 41.
56 Ausführlich hierzu Trilsch (Fn. 54), S. 55 ff.
57 Siehe http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/TreatyBodyExternal/
Treaty.aspx?Treaty=CESCR&Lang=en (zuletzt abgerufen am 29.
Mai 2017).
58 Ausführlich Söllner (Fn. 54), S. 172 ff.; zusammenfassend BVerw-
GE 134, 1 Rn. 53 ff.; von Weschpfennig (Fn. 4), S. 285 ff.
59 UN-Doc. E/C.12/1999/10 vom 8. Dezember 1999, Abs. 14, 20. 60 UN-Doc. E/C.12/1999/10 vom 8. Dezember 1999, Abs. 45.
182 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2017), 175–194
demokratischen Gesellschaft dienen.61 Speziell zur Staatsangehörigkeit stellt der UN-Sozialausschuss klar, dass diese der Inanspruchnahme der Paktrechte nicht ent- gegenstehen sollte. Alle Kinder innerhalb eines Staates, ein- schließlich solcher mit undokumentiertem Status, hätten beispielsweise das Recht auf Bildung.62
Diesen recht strikten Anforderungen steht der Duktus der Abschließenden Bemerkungen entgegen. Hier verzich- tet der UN-Sozialausschuss in seinen Äußerungen zur Ab- gabenerhebung regelmäßig darauf, eine Paktverletzung aus- drücklich festzustellen,63 zeigt sich aber häufig besorgt über die Kostenentwicklung im Hochschulwesen und empfiehlt in unterschiedlichen Kombinationen und Akzentuierun- gen, Hochschulausgaben zu erhöhen, höhere Studienabga- ben zu vermeiden, sie zu senken, sozialgerecht auszugestal- ten oder für einen teilhabegerechten Hochschulzugang zu sorgen.64 Gegenüber Deutschland zeigte sich der UN-Sozi- alausschuss zuletzt 2011 ebenfalls besorgt darüber, dass ei- ner früheren Empfehlung zur Senkung und Abschaffung von Studiengebühren65 nicht nachgekommen worden sei, wiederholte seine Empfehlung und forderte, mehr Zustän- digkeiten für bildungspolitische Maßnahmen auf die Bun- desebene zu verlagern (national framework legislation, fede- ral government).66 Australien67 und Neuseeland68 wurden hingegen nicht für die Erhebung von Studienabgaben gerügt.
Ähnlich ambivalent verhält sich der UN-Sozialaus- schuss zu Ungleichbehandlungen gegenüber Ausländern bei der Abgabenerhebung. 2009 empfahl er dem Vereinig- ten Königreich Großbritannien und Nordirland, Ungleich- behandlungen zwischen Staatsangehörigen von Mitglied-
- 61 UN-Doc. E/C.12/GC/20 vom 2. Juli 2009, Abs. 13.
- 62 UN-Doc. E/C.12/GC/20 vom 2. Juli 2009, Abs. 30.
- 63 Söllner (Fn. 54), S. 184.
- 64 Vgl. etwa jüngst UN-Doc. E/C.12/GBR/CO/6 vom 14. Juli 2016,Abs. 65 f. zu Studienabgaben im Vereinigten Königreich Großbri- tannien und Nordirland; UN-Doc. E/C.12/CAN/CO/6 vom 23. März 2016, Abs. 57 f. zu Studienabgaben in Kanada.
- 65 UN-Doc. E/C.12/1Add.68 vom 24. September 2001, Abs. 29, 47.
- 66 UN-Doc. E/C.12/DEU/CO/5, Abs. 30 vom 12. Juli 2011. Imanschließenden Staatenbericht vom 16. März 2017, UN-Doc. E/C.12/DEU/6, Abs. 239 f., erläutert die Bundesrepublik Deutschland die Kompetenzverteilung im Föderalismus sowie die einschlägige Verfassungsrechtsprechung und merkt die Abschaf- fung der allgemeinen Studienabgaben an.
- 67 Staatenbericht vom 7. Januar 2008, UN Doc. E/C.12/AUS/4 i.V.m. HRI/CORE/AUS/2007 vom 22. Juli 2008, Abs. 569 f.; Abschlie- ßende Bemerkungen vom 12. Juni 2009, UN Doc. E/C.12/AUS/ CO/4, Abs. 31.
- 68 Staatenbericht vom 17. Januar 2011, UN Doc. E/C.12/NZL/3, Abs. 587 f.; Abschließende Bemerkungen vom 31. Mai 2012, UN Doc. E/C.12/NZL/CO/3.
- 69 UN-Doc. E/C.12/GBR/CO/5 vom 12. Juni 2009, Abs. 44.
- 70 UN-Doc. E/C.12/GBR/CO/6 vom 14. Juli 2016.
- 71 UN-Doc. E/C.12/GBR/6 vom 25. September 2014, Abs. 100 ff.
- 72 Staatenbericht vom 16. März 2015, UN Doc. E/C.12/SWE/6, Abs.
staatenderEuropäischenUnionundanderenStaatsange- hörigen hinsichtlich Ermäßigungen bei Universitätsgebüh- ren und finanziellen Unterstützungen zu beseitigen.69 2016 finden sich derartige Empfehlungen nicht mehr,70 obwohl das Vereinigte Königreich im Staatenbericht auf Unter- schiede beim Kreditzugang und der Abgabenhöhe hinge- wiesen hatte.71 Ähnliches gilt für Schweden72 und Öster- reich,73 die freilich nur hervorgehoben hatten, welche Gruppen unentgeltliche Hochschulbildung genießen, so- wie Neuseeland.74
bb) Rezeption in Deutschland
Entgegen mancher Stimmen in der Literatur75 betrachtet die Rechtsprechung Studienabgaben in Höhe von 500 Euro pro Semester im Ergebnis zu Recht durchgehend als völkerrechtskonform. Das Bundesverwaltungsgericht stellt in seiner Leitentscheidung vom 29. April 200976 ein aus Art. 13 Abs. 2 lit. c Sozialpakt abgeleitetes Recht auf chancengleichen Zugang zur Hochschulbildung unab- hängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Stu- dierenden in den Vordergrund, während die Unentgelt- lichkeit der Hochschulbildung kein verbindlicher Selbst- zweck sei, sondern nur dienende Funktion habe. Dabei stützt sich der Senat im Kern auf systematische Erwä- gungen, die Staatenpraxis, welche Studienabgaben auf- geschlossen gegenübersteht, sowie die mitunter wohl- wollende Äußerungspraxis des UN-Sozialausschusses. Folglich gingen die Paktrechte materiell nicht über die grundgesetzlich garantierten Teilhabegarantien aus Art. 12 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprin- zip hinaus und der Gesetzgeber habe einen beträchtli-
531; Abschließende Bemerkungen vom 14. Juli 2016, UN Doc.
E/C.12/SWE/CO/6.
73 Staatenbericht vom 29. Oktober 2012, UN Doc. E/C.12/AUT/4,
Abs. 294; Abschließende Bemerkungen vom 13. Dezember 2013,
UN Doc. E/C.12/AUT/CO/4.
74 Staatenbericht vom 17. Januar 2011, UN Doc. E/C.12/NZL/3,
Abs. 589, 595 ff.; Abschließende Bemerkungen vom 31. Mai 2012,
UN Doc. E/C.12/NZL/CO/3.
75 Thorsten Deppner/Daniel Heck, Studiengebühren vor dem Hinter-
grund der Umsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen im Bun- desstaat und der Vorgaben materiellen Verfassungsrechts, NVwZ 2008, S. 45 (47); Stefan Lorenzmeier, Völkerrechtswidrigkeit der Einführung von Studiengebühren und deren Auswirkung auf die deutsche Rechtsordnung, NVwZ 2006, S. 759 f.; differenzierend hingegen Bodo Pieroth/Bernd J. Hartmann, Studienbeitragsdar- lehen am Maßstab höherrangigen Rechts, NWVBl 2007, S. 81 (82); Eibe Riedel/Sven Söllner, Studiengebühren im Lichte des UN-Sozialpakts, JZ 2006, S. 270 ff.; Söllner (Fn. 54), S. 217 ff.
76 BVerwGE 134, 1 Rn. 46, 49 ff.; siehe hierzu Stefan Lorenzmei-
er, Entscheidungsanmerkung, ZJS 2009, S. 438 ff.; Armin von Weschpfennig, BVerwGE 134, 1 (Urt. v. 29.04.2009; Az. 6 C 16.08). Verfassungs- und Völkerrechtmäßigkeit allgemeiner Studienab- gaben, in: Armin Steinbach, Verwaltungsrechtsprechung, 2017,
S. 218 ff.
von Weschpfennig · Zulässigkeit von Studiengebühren 1 8 3
chen Regelungsspielraum. Die nordrhein-westfälische Regelung genüge diesen Anforderungen, sodass die Fra- ge nach der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 13 Abs. 2 lit. c Sozialpakt dahinstehen könne.
Ob die Bewertung hinsichtlich der gegenständlichen Abgaben in Höhe von 1.500 EUR je Semester ebenso ausfällt, kann hier noch dahinstehen. Denn Art. 13 Abs. 2 lit. c Sozialpakt gewährt im Grunde keinen weitergehen- den Schutz als Art. 11 LV, wie bereits die nach Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK für die Auslegung relevante Ver- tragspraxis und die weichen Äußerungen des Sozialaus- schusses zeigen. Auch gleichheitsrechtlich kann die Be- urteilung nicht anders ausfallen, zumal der UN-Sozial- ausschuss eine höhere Belastung von Ausländern impli- zit akzeptiert.77 Jedoch ist der Sozialpakt nach Maßgabe der folgenden Ausführungen im Blick zu behalten.
cc) Exkurs – Bedeutung des Sozialpakts bei der Anwen- dung nationalen Rechts
Fasst man den Schutzgehalt des Sozialpakts entgegen der hier vertretenen Auffassung bereits im Ansatz weiter als denjenigen nationaler Grundrechte und hält demnach
- 77 A.A. wohl Söllner (Fn. 54), S. 219 ff. Die dort näher behandelten Fälle sind aber auch unter Art. 3 Abs. 1 GG zu berücksichtigen, siehe unten in und bei Fn. 137.
- 78 Einen Verstoß annehmend Lohmann/Werdermann (Fn. 13), allerdings ohne Berücksichtigung der Vertragspraxis und der Spruchpraxis des UN-Sozialausschusses.
- 79 Trilsch (Fn. 54), S. 64.
- 80 Eibe Riedel/Sven Söllner, Studiengebühren im Lichte des UN-Sozialpakts, JZ 2006, S. 270 (275).
- 81 Ausführlich und kritisch zum Stand der Diskussion von Wesch-pfennig (Fn. 4), S. 287 ff.
- 82 BVerwGE 134, Rn. 46; Söllner (Fn. 54), S. 126 ff. Zur Bedeutungdes Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG siehe BVerfGE 74, 358 (370); 111, 307 (316 f.); 128, 326 (367); Werner Heun, in: Horst Dreier, Grundgesetz. Kommentar, Band II, 3. Auflage 2015, Art. 59
Rn. 47; Christian Tomuschat, Staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band XI, Internationale Bezüge, 3. Auflage 2013, § 226 Rn. 26; vgl. Matthias Herdegen, in: Maunz/Dürig (Fn. 12), Art. 1 Abs. 2 Rn. 41 (Stand: März 2006). Grundlegend kritisch zur Konzeption Mehrdad Payandeh, Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit.Der Treaty-Override-Beschluss des BVerfG, NJW 2016, S. 1279 (1280 f.) unter Verweis auf Heiko Sauer, vgl. etwa den Hinweis bei Heiko Sauer, Staatsrecht III, 4. Auflage 2016, § 6 Rn. 38d; Dietrich Rauschning, Verfassungspflicht zur Befolgung völkerrechtlicher Verträge, in: Marten Breuer/Astrid Epiney/Andreas Haratsch/ Stefanie Schmahl/Norman Weiß, Der Staat im Recht. Festschrift für Eckart Klein zum 70. Geburtstag, 2013, S. 287 (296 ff.). - 83 Siehe VG Minden, Urteil vom 26. März 2007 – 9 K 3614/06, NWVBl 2007, S. 314 (315); OVG Münster, Urteil vom 9. Oktober 2007 – 15 A 1596/07, NWVBl 2008, S. 22; Riedel/Söllner (Fn. 75), S. 277, ohne dass jeweils eine kompetenzielle Sperrwirkung vorab thematisiert würde.
- 84 Zumindest eine partielle unmittelbare Anwendbarkeit anneh- mend etwa VG Minden, Urteil vom 26. März 2007 – 9 K 3614/06,
die Einführung von Studienabgaben pauschal für unzu- lässig,78 kommt der Rezeption im nationalen Rechtsge- füge entscheidende Bedeutung zu,79 da keinerlei völker- rechtliche Sanktionen drohen.80 Auch ansonsten stellt sich die Frage, welchen Einfluss die soeben gewonnenen Erkenntnisse zum Sozialpakt auf das nationale Recht haben.
Ausgangspunkt hierbei war in der Vergangenheit81 die Vorstellung, dass der Sozialpakt als Teil des einfachen Bundesrechts82 landesrechtliche Studienabgaben nach Art. 31 GG83 sperre, wenn Art. 13 Abs. 2 lit. c Sozialpakt unmittelbar anwendbar ist84 und zudem der (Wieder-) Einführung von Studienabgaben entgegensteht.85 Mit der Föderalismusreform 2006 hat der Verfassungsgeber allerdings seine Rahmenkompetenz für das Hochschul- wesen, worauf auch Art. 13 Abs. 2 lit. c Sozialpakt ge- stützt war,86 aufgegeben. In diesem Bereich ist nunmehr im Grunde abweichendes Landesrecht zulässig.87
Allerdings bliebe dabei außer Acht, dass die Bundes- republik Deutschland mit der Ratifizierung des Sozial- pakts völkerrechtliche Verpflichtungen übernommen hat und derartige Bindungen nicht durch eine inner-
NWVBl 2007, S. 314 (315 f.); Deppner/Heck (Fn. 75), S. 46 f.; Söllner (Fn. 54), S. 134 ff.; a.A. OVG Münster, Urteil vom 9. Ok- tober 2007 – 15 A 1596/07, NWVBl 2008, S. 22 ff. mit einer teils völkerrechtsverweigernden Argumentation. Für die Geltung als Bundesrecht kommt es hingegen nicht darauf an, dass der Vertrag auch unmittelbar anwendbar ist, Rudolf Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht mit Europarecht, 6. Auflage 2013, S. 165 f.; Martin Nettesheim, in: Maunz/Dürig (Fn. 12), Art. 59 Rn. 179 f. (Stand: Januar 2009); Ondolf Rojahn, in: Ingo von Münch/Philip Kunig, Grundgesetz. Kommentar, 6. Auflage 2012, Art. 59 Rn. 37 ff.; Mi- chael Schweitzer/Hans-Georg Dederer, Staatsrecht III, 11. Auflage 2016, Rn. 825; Söllner (Fn. 54), S. 134 f.; Rudolf Streinz, in: Micha- el Sachs, Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage 2014, Art. 59 Rn. 66 f.; Trilsch (Fn. 54), S. 103 mit Fn. 357; missverständlich OVG Münster, Urteil vom 9. Oktober 2007 – 15 A 1596/07, NWVBl 2008, S. 22 f.; BVerfGE 29, 348 (360) – Finanzvertrag.
85 Siehe oben Fn. 75. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf Art. 28 Sozialpakt, der ausdrücklich die Geltung der Paktrechte für alle Teile eines Bundesstaates normiert. Trotz des Rangs als Bundesgesetz ist der materielle Gehalt nach den oben umrissenen völkerrechtlichen Auslegungsregeln zu bestimmen, BVerfGE 4, 157 (168); Rojahn (Fn. 84), Rn. 46 ff. Auf Basis der Transformati- onslehre ist dies eigentlich wenig konsequent, Sauer (Fn. 82), Rn. 11; Geiger (Fn. 84), S. 165; das Bundesverfassungsgericht hat sich zur Frage der Vollzugs‑, oder Transformationslehre bislang nicht eindeutig positioniert, vgl. hierzu Streinz (Fn. 84), Rn. 46, wendet aber dennoch die völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze an.
86 Der Bundesgesetzgeber hatte nach der Rahmenkompetenz des Art. 75 Nr. 1a GG a.F. und der Bedürfnisprüfung nach Art. 72 Abs. 2 GG a.F. die Gesetzgebungskompetenz für die hier relevan- te Vorschrift des Sozialpakts, BVerwGE 134, 1 Rn. 46; Söllner (Fn. 54), S. 121 ff.; a.A., jedoch ohne Thematisierung der Rahmen- kompetenz Deppner/Heck (Fn. 75), S. 46, 48; Riedel (Fn. 6), S. 48.
87 Näher – auch zu abweichenden Auffassungen – siehe von Wesch- pfennig (Fn. 4), S. 306 ff.
184 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2017), 175–194
staatliche Anpassung des Kompetenzgefüges aufgeho- ben werden (können). Der Landesgesetzgeber muss den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundge- setzes88 beachten, nach dem innerstaatliches Recht ein- schließlich der Verfassung nach Möglichkeit so auszule- gen ist, dass es mit Völkerrecht nicht in Widerspruch steht.89 Eine andere Beurteilung erfordert auch nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum steu- errechtlichen treaty override, in der die besondere Be- deutung menschenrechtlicher Verträge – also auch des Sozialpakts – im Anschluss an Art. 1 Abs. 2 GG betont wird.90 Damit sind bei der Auslegung von Grundrechten die völkerrechtlichen Garantien aus Art. 13 Abs. 2 lit. c Sozialpakt zu berücksichtigen, ohne dass dessen unmit- telbare Anwendbarkeit hierfür zwingende Vorausset- zung wäre. Denn auch nicht unmittelbar vollziehbares Völkerrecht kann als Auslegungshilfe herangezogen wer- den, wird aber im Ergebnis oftmals weniger gewichtig sein.91 Die Äußerungen des UN-Sozialausschusses sind
- 88 BVerfGE 111, 307 (315 ff.) – Görgülü; 128, 326 (367 ff.) – Siche- rungsverwahrung.
- 89 Näher von Weschpfennig (Fn. 4), S. 309 ff.
- 90 BVerfGE 141, 1 Rn. 76, vgl. auch die einleitende Bemerkung desSondervotums, S. 44 Rn. 1. Zwar erscheint es problematisch, jedem Menschenrecht (auch) unter Bezugnahme auf Art. 1 Abs.
2 GG eine quasi-verfassungskräftige Stellung einzuräumen, vgl. Wolfram Höfling, in: Sachs (Fn. 84), Art. 1 Rn. 77, der eine „Re- zeptionsautomatik in dem Sinne, dass jedes neue internationale Abkommen integrativer Bestandteil des Art. 1 II wird“, ablehnt und hier ausdrücklich auch auf den Sozialpakt verweist. Proble- matisch ist zunächst, dass der Sozialpakt, anders als die EMRK, mit deutlichem Abstand zur Entstehungsgeschichte des Grund- gesetzes ausgearbeitet wurde. Jedoch findet das Recht auf Bildung im Sozialpakt eine materielle Anknüpfung an Art. 26 Nr. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 (UN Doc. A/RES/217 A (III)). Hiernach hat jeder das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zum mindesten der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung. Der Hoch- schulunterricht muss allen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkeiten offenstehen. Diese Erklärung, die der Parlamenta- rische Rat bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes vor Augen hatte (Herdegen (Fn. 82), Rn. 2 (Stand: Februar 2004); Karl-Peter Sommermann, Völkerrechtlich garantierte Menschenrechte als Maßstab der Verfassungskonkretisierung – Die Menschenrechts- freundlichkeit des Grundgesetzes –, AöR 114 (1989), S. 391 (417); vgl. Werner Matz, in: JöR n.F. 1 (1951), S. 50), wird durch die korrespondierende Garantie im Sozialpakt auf vertraglicher Ebene gesichert, sodass sie Auslegungsmaßstab auch für die Verfassung ist, Herdegen (Fn. 82), Rn. 50 (Stand: März 2006); vgl. auch Sommermann, wie vor, S. 419. Kritisch zur Einschränkung der Vertragsbindung etwa Ulrich Fastenrath, Anmerkung zu BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2015 – 2 BvL 1/12, JZ 2016, S. 636 (637 ff.); Christina Henrich, Das Bundesverfassungsgericht und die Verteidigung der Demokratie. Was kümmert mich meine Zustimmung von gestern?, NVwZ 2016, S. 668 ff. - 91 Sommermann (Fn. 90), S. 420 f. Zu berücksichtigen ist zudem, dass sich zwar die materielle Auslegung des Vertrages nach Völkerrecht richtet, die unmittelbare Anwendbarkeit aber nach nationalen Maßstäben zu beurteilen ist, so BVerfGE 29, 348 (360); OVG Münster, Urteil vom 9. Oktober 2007 – 15 A 1596/07,
nach Maßgabe der obigen Ausführungen im Blick zu be- halten, obwohl diese völkerrechtlich nicht bindend sind.92 Eine den Entscheidungen des EGMR vergleich- bare Wirkung93 kommt ihnen aber nicht zu, zumal die Bundesrepublik Deutschland das Fakultativprotokoll weder unterzeichnet noch ratifiziert hat und somit eine quasi-judizielle Funktion94 des Ausschusses gerade nicht anerkennt. Im Ergebnis kann daher der Schutzgehalt des Sozialpakts bedeutsam für die Auslegung von Grund- rechten werden.
b) EMRK
Nach Art. 2 Satz 1 des Zusatzprotokolls vom 20. März 1952 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten95 (EMRK-ZP) darf niemandem das Recht auf Bildung verwehrt werden. Art. 14 der Kon- vention zum Schutze der Menschenrechte und Grund- freiheiten vom 04. November 195096 (EMRK), der nach Art. 5 EMRK-ZP auf das Recht auf Bildung anzuwenden
NWVBl 2008, S. 22 f.; Trilsch (Fn. 54), S. 104, sodass im Einzelfall ein völkerrechtlicher Verstoß festgestellt werden kann, obwohl es an der unmittelbaren Anwendbarkeit fehlt. Enger dagegen Frank Hoffmeister, Die Europäische Menschenrechtskonvention als Grundrechtsverfassung und ihre Bedeutung in Deutschland, Der Staat 40 (2001), S. 349 (369 f.).
92 Vgl. auch Kristina Schönfeldt, Soft Law makes hard cases: Trans- formation von Soft Law in Hard Law durch nationale Behörden und Gerichte? – am Beispiel des Flüchtlingsrechts, in: Rechts- kultur und Globalisierung, Tagungsband der 57. Assistententa- gung, Hagen 2017 (im Erscheinen, Nomos), unter VI. und VII. Zurückhaltend BVerfG (K), Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, NVwZ 2015, S. 361, Rn. 45 f. im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention.
93 So hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Geltungs- kraft der EMRK klargestellt, dass selbst Entscheidungen des Euro- päischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Verfahren gegen andere Vertragsstaaten, in denen die Bindungswirkung des Art. 46 Abs. 1 EMRK nicht greift, Anlass geben, „die nationale Rechtsordnung zu überprüfen und sich bei einer möglicherweise erforderlichen Änderung an der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu orientieren“, BVerfGE 111, 307 (320)., ähnlich BVerfGE 128, 326 (368): faktische Orientierungs- und Leitfunk- tion. Dogmatisch wird diese Pflicht in der Literatur durch die Überlegung untermauert, dass die Rechtsprechung des EGMR den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention und ihrer Pro- tokolle widerspiegele. Vom Gerichtshof geschaffenes Richterrecht entwickle die EMRK fort und habe an der völkerrechtlichen Verbindlichkeit der Konvention teil, Jens Meyer-Ladewig/Kathrin Brunozzi, in: Jens Meyer-Ladewig/Martin Nettesheim/Stefan
von Raumer, EMRK. Europäische Menschenrechtskonvention.
Handkommentar, 4. Auflage 2017, Art. 46 Rn. 16 f.
94 Trilsch (Fn. 54), S. 58.
95 BGBl II 1956, S. 1879, für die Bundesrepublik Deutschland
in Kraft getreten am 13. Februar 1957, BGBl II 1957, S. 226, Bekanntmachung der Neufassung vom 22. Oktober 2010, BGBl II 2010, S. 1196.
96 BGBl II 1952, S. 685, 953, für die Bundesrepublik Deutschland
in Kraft getreten am 3. September 1953, BGBl II 1954, S. 14, Bekanntmachung der Neufassung vom 22. Oktober 2010, BGBl II 2010, S. 1196.
von Weschpfennig · Zulässigkeit von Studiengebühren 1 8 5
ist, garantiert den Genuss der in dieser Konvention aner- kannten Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung u.a. wegen der nationalen Herkunft. Nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte schließt das Recht auf Bildung auch das höhere Unterrichtswesen, also die Hochschulausbil- dung, ein.97 Einschränkungen müssen für die Betroffe- nen vorhersehbar sein und ein berechtigtes Ziel verfol- gen; die verwendeten Mittel müssen zudem verhältnis- mäßig zu dem verfolgten Ziel sein.98 Speziell zur Erhebung von Schulgeld ausschließlich von Ausländern hebt das Gericht hervor, dass der Beurteilungsspielraum mit der Bildungsebene wachse, sodass – ohne dass dies entscheidungserheblich gewesen wäre – auf Hochschu- lebene höhere Gebühren oder Gebühren überhaupt für Ausländer üblich zu sein schienen und derzeit als gerechtfertigt gelten könnten.99 Damit ergeben sich aus der EMRK freiheitsrechtlich keine weitergehenden Ver- pflichtungen, die über die grundrechtlichen Anforde- rungen hinausgehen. Gleichheitsrechtlich werden Diffe- renzierungen zwischen Staatsangehörigen und Auslän- dern sogar ausdrücklich gebilligt.
c) Assoziierungsabkommen
Weitere Vorgaben können etwa Assoziierungsabkom- men enthalten, die in der Regel als gemischte Abkom- men100 geschlossen werden.
So bestimmt im Verhältnis der Europäischen Union zur Türkei Art. 9 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziie- rungsrates vom 19. September 1980 über die Entwick-
- 97 EGMR, Urteil vom 10. November 2005 – 44774/98, NVwZ 2006, S. 1389 Rn. 134 ff. – Leyla Sahin/Türkei.
- 98 EGMR, Urteil vom 10. November 2005 – 44774/98, NVwZ 2006, S. 1389 Rn. 154 – Leyla Sahin/Türkei.
- 99 EGMR, Urteil vom 21. Juni 2011 – 5335/05, Rn. 56 – Ponomary- ov/Bulgarien.
- 100 Marc Bungenberg, in: Hans von der Groeben/Jürgen Schwarze/ Armin Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, AEUV Art. 217 Rn. 40; Silja Vöneky/Britta Beylage-Haarmann, in: Eber- hard Grabitz/Meinhard Hilf/Martin Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV Art. 217 Rn. 21 (Stand: April 2015).
- 101 Abrufbar u.a. bei beck-online. Gestützt auf das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirt- schaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963, BGBl II 1964, S. 509, für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 1. Dezember 1964, BGBl II 1964, S. 1959.
- 102 Es findet keine Gleichbehandlung mit deutschen Staatsangehöri- gen sondern nur mit Unionsbürgern statt, Art. 59 des Zusatz- protokolls für die Übergangsphase der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei, BGBl II 1972, S. 385; hierzu Thomas Oberhäuser, in: Rainer M. Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, EWG-Türkei Artikel 9 Rn. 6 f. Wegen des Diskriminierungsverbots nach Art. 18 AEUV wird sich hier regelmäßig kein Unterschied ergeben.
- 103 EuGH, Urteil vom 30. September 1987 – C‑12/86, ECLI:EU:C:1987:400, Rn. 7 – Demirel.
lung der Assoziation,101 dass türkische Kinder, die in ei- nem Mitgliedstaat der Gemeinschaft ordnungsgemäß bei ihren Eltern wohnen, welche dort ordnungsgemäß beschäftigtsindoderwaren,unterZugrundelegungder- selben Qualifikationen wie die Kinder von Staatsangehö- rigen dieses Mitgliedstaates102 u.a. zur beruflichen Bil- dung zugelassen werden. Sie können in diesem Mitglied- staat Anspruch auf die Vorteile haben, die nach den ein- zelstaatlichen Rechtsvorschriften in diesem Bereich vorgesehen sind. Der EuGH sieht sowohl Assoziierungs- abkommen103 als auch hierzu ergangene Beschlüsse des Assoziierungsrates104 als „integrierende Bestandteile“ der Unionsrechtsordnung an und begründet so die eige- ne Entscheidungszuständigkeit.105 Einzelne Bestim- mungen könnten ohne Durchführungsvorschriften in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar sein,106 was das Gericht für den hier relevanten Art. 9 Beschluss Nr. 1/80 angenommen hat.107 Inhaltlich garantiert die Be- stimmung trotz der einschränkenden Formulierung („können“) im Grunde einen diskriminierungsfreien Zugang zum Bildungssystem108 einschließlich des Hoch- schulzugangs.109 Türkischen Kindern, die unter die Norm fallen, darf daher der Vorteil des kostenlosen Stu- diums, den Deutsche genießen, nicht vorenthalten werden.110
Auch das Abkommen über den Europäischen Wirt- schaftsraum vom 2. Mai 1992 (EWR-Abkommen)111 ver- bietet in Art. 4 unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Abkommens in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.
104 EuGH, Urteil vom 14. November 1989 – C‑30/88, ECLI:EU:C:1989:422; Rn. 13 – Griechenland/Kommission; Urteil vom 20. September 1990 – C‑192/89, ECLI:EU:C:1990:322,
Rn. 9f. – Sevince.
105 Zur Problematik bei gemischten Abkommen siehe Vöneky/Beyla- ge-Haarmann (Fn. 100), Rn. 69.
106 Zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Annahme einer unmittelba- ren Wirkung siehe Kirsten Schmalenbach, in: Christian Calliess/ Matthias Ruffert, EUV/AEUV. Kommentar, 5. Auflage 2016, AEUV Art. 217 Rn. 26 ff.; Vöneky/Beylage-Haarmann (Fn. 100), Rn. 68; differenzierend hinsichtlich gemischter Abkommen Bun- genberg (Fn. 100), Rn. 44.
107 EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 – C‑374/03, ECLI:EU:C:2005:435, Rn. 19 ff., 34 ff. – Gürol. LT-Drs. 16/1617, S. 23, 44 stellt insoweit klar, dass das Wissenschaftsministerium den Hochschulen ent- sprechende Durchführungshinweise gibt, während eine ausdrück- liche gesetzliche Normierung nicht erfolgt.
108 Vgl. Clemens Kurzidem, in: Winfried Kluth/Andreas Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 13. Edition, Stand: 1. Februar 2017, EWG-Türkei Artikel 9 Rn. 1 f.; Oberhäuser (Fn. 102).
109 EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 – C‑374/03, ECLI:EU:C:2005:435 – Gürol – betraf die Gewährung von Ausbildungsförderung für ein Auslandsstudium nach dem BAföG.
110 I.E. ebenso Riedel (Fn. 6), S. 8.
111 BGBl II 1993, S. 266, für die Bundesrepublik Deutschland in
Kraft getreten am 1. Januar 1994, BGBl II 1994, S. 515.
186 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2017), 175–194
Nach Art. 78 EWR-Abkommen im Anschluss an Art. 1 Abs. 2 lit. f EWR-Abkommen verstärken und erweitern die Vertragsparteien ihre Zusammenarbeit im Rahmen der Gemeinschaftsaktionen u.a. im Bereich der allge- meinen und beruflichen Bildung. Etwa das Protokoll Nr. 29 über die berufliche Bildung greift dies auf und erklärt die Übereinkunft der Vertragsparteien, sich um eine Verbesserung der Bedingungen für Studenten aus ande- ren EWR-Staaten zu bemühen. Ausdrücklich unberührt bleiben bereits vor Inkrafttreten des Abkommens beste- hende Möglichkeiten einzelner Mitgliedstaaten in Bezug auf von Ausländern erhobene Studiengebühren. Da die Vorschriften parallel zum Unionsrecht auszulegen sind,112 ist auch hier ebenso wie bei Art. 18 AEUV der Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots eröff- net, sodass Studienabgaben von EWR-Staatsangehöri- gen nur dann erhoben werden dürfen, wenn Inländer ebenso abgabenpflichtig sind. Diese Verpflichtung grei- fen die Neuregelungen im LHGebG n.F. auf.113
Relevant ist schließlich das entwicklungspolitisch ausgerichtete Cotonou-Abkommen zwischen den Staa- ten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean (sog. AKP-Staaten), der Europäischen Gemein- schaft und deren Mitgliedstaaten vom 23. Juni 2000.114 Nach Art. 1 Satz 1 Cotonou-Abkommen soll das Abkom- men – im Sinne eines Beitrags zu Frieden und Sicherheit und zur Förderung eines stabilen und demokratischen politischen Umfelds – die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklung der AKP-Staaten fördern und be- schleunigen. Nach dem ausweislich der Überschrift die Einwanderung regelnden Art. 13 Abs. 1 Cotonou-Ab- kommen bestätigen die Vertragsparteien ihre völker- rechtlichen Verpflichtungen zur Gewährleistung der Achtung der Menschenwürde und zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung. Abs. 2 erklärt – sehr ver- schachtelt – Einigkeit in der Auffassung, dass Partner- schaft im Zusammenhang mit Einwanderung bedeutet, dass sich legal im Hoheitsgebiet aufhaltende Staatsange- hörige von Drittländern im Rahmen einer Integrations- politik Rechte und Pflichten erhalten, die denjenigen der eigenen Staatsangehörigen „vergleichbar“ sind, die Dis-
- 112 Vgl. Ulrich Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 100), AEUV Art. 45 Rn. 42 (Stand: September 2010).
- 113 Gleiches gilt im Ergebnis für die Behandlung von Familienange- hörigen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 LHGebG n.F., siehe oben in und bei Fn. 45, weil nach dem Beschluss des Gemeinsamen EWR-Aus- schusses Nr. 158/2007 vom 7. Dezember 2007, ABl. L 124 vom 08. Mai 2008, S. 20 die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG in das EWR-Abkommen aufgenommen wurde. Die Privilegierung von Angehörigen nicht erwerbstätiger EWR-Staatsangehöriger (vgl.§ 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU), dürfte dagegen nicht notwendig gewesen sein, weil derartige Aufenthaltsrechte nicht allgemein Gegenstand des EWR-Abkommens sind. Nicht überzeugend ist es, die Gleichbehandlungspflicht für EWR-Staats-
kriminierung im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben verringert wird und dass Maß- nahmen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entwickelt werden. Ein spezielles Diskriminierungsver- bot für Arbeitnehmer hinsichtlich der Arbeits‑, Entloh- nungs- und Kündigungsbedingungen enthält Abs. 3. Die bloße Erklärung der Einigkeit zielt nicht auf zwingende Verpflichtungen ab,115 jedenfalls erfordert die „ver- gleichbare“ Rechtegewährung im Rahmen einer Integra- tionspolitik nicht die sofortige Gleichstellung eines jeden AKP-Staatsangehörigen nach Einreise, sodass weder im Hinblick auf die Unentgeltlichkeit noch Gleichbehand- lung konkrete Pflichten bestehen. Art. 13 Abs. 2 Cotonou- Abkommen ist mehr als politische Leitlinie zu verstehen. Weiterhin unterstützt nach Abs. 4 die Gemeinschaft durch nationale und regionale Kooperationsprogramme die Ausbildung von AKP-Staatsangehörigen u.a. auch in Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Auch dies be- gründet noch keine unmittelbare Verpflichtung zur Un- entgeltlichkeit, gleichwohl erscheint es sinnvoll, die be- sondere Stellung der AKP-Staatsangehörigen besonders zu berücksichtigen, um die Vertragsziele nicht zu konterkarieren.116
IV. Verfassungs- und Völkerrechtmäßigkeit der selek- tiven Abgabenerhebung
Bereits nach der Darstellung des Prüfungsmaßstabs ist klar, dass EU-Ausländer, EWR-Staatsangehörige und auch unter bestimmten Voraussetzungen Kinder von in Deutschland lebenden türkischen Staatsangehörigen bezüglich der Erhebung von Studienabgaben nicht gegenüber Inländern benachteiligt werden dürfen. Dem trägt § 3 Abs. 1 LHGebG n.F. mit der Definition des erfassten Personenkreises weitgehend Rechnung. Die Verpflichtung zur Gleichstellung bestimmter türkischer Staatsangehöriger ist unmittelbar anwendbar; eine aus- drückliche gesetzgeberische Klarstellung wäre aber wün- schenswert gewesen.
Weiterhin sind bei der Vereinbarkeit der Abgaben mit höherrangigem Recht gedanklich zwei Problemkrei-
angehörige pauschal auf Art. 28 EWR-Abkommen zu stützen, weil dort nur die Arbeitnehmerfreizügigkeit normiert ist, so aber LT-Drs. 16/1617, S. 20.
114 BGBl II 2002, S. 325, für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 1. April 2003, BGBl. II 2007, S. 533.
115 Vgl. Andreas Zimmermann, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Fn. 100), AEUV Artikel 209 Rn. 44 f., der nur zu Art. 13 Abs. 3 des Abkommens die unmittelbare Anwendbarkeit feststellt; vgl. auch Cordula Kreis/Eefje Schmid, Bosman und kein Ende? Zur Vereinbarkeit von Ausländerklauseln mit dem AKP-EG-Partner- schaftsabkommen, NZA 2003, S. 1013 (1015 f.).
116 Ähnlich Riedel (Fn. 6), S. 8 f.
von Weschpfennig · Zulässigkeit von Studiengebühren 1 8 7
se zu unterscheiden. Erstens: Ist eine selektive Studienab- gabe in Höhe von 1.500 Euro pro Semester ohne Darle- henssystem mit derivativen Teilhaberechten vereinbar? Prüfungsmaßstab ist im Ausgangspunkt Art. 11 LV, der seine Gewährleistung nicht auf Deutsche beschränkt, und auf Bundesebene ggf. Art. 2 Abs. 1 GG. Zweitens: Darf der Gesetzgeber Ausländer gegenüber deutschen Staatsangehörigen benachteiligen? Welche Ausländer sind Deutschen gleichzustellen? Prüfungsmaßstab ist Art. 3 Abs. 1 GG, wobei bei dem Ausmaß der Ungleich- behandlung die Erschwerung des Hochschulzugangs als Reflex zu berücksichtigen ist. Beide Problemkreise ha- ben große Schnittmengen und können – wie sogleich zu zeigen ist – nicht getrennt behandelt werden.
1. Teilhabe an der hochschulischen Ausbildung, insbe- sondere Art. 11 LV
Bedenkt man den argumentativen Aufwand, mit dem die Gerichte die Sozialverträglichkeit von Studienabga- ben in Höhe von 500 EUR je Semester bei ausdifferen- zierten Darlehenssystemen begründen, spricht einiges dafür, dass sie – jedenfalls am Maßstab des berufsbezo- genen Teilhaberechts und damit auch des Art. 11 LV – allgemeine Abgaben in dreifacher Höhe ohne nennens- werte soziale Abfederungen nicht akzeptieren würden, weil sie abschreckende Wirkungen in nicht mehr nur unerheblichem Ausmaß haben dürften. Fraglich ist, ob die Rechtslage anders zu beurteilen ist, wenn nur eine kleine Gruppe von ausländischen Staatsangehörigen betroffen ist.
a) Der Vorbehalt des Möglichen
Nach ständiger Rechtsprechung stehen Teilhaberechte unter dem Vorbehalt des Möglichen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen
117 BVerfGE 33, 303 (333) – numerus clausus I; BVerwGE 134, 1 Rn. 20.
118 Trilsch (Fn. 54), S. 364 ff., 448.
- 119 Dies akzeptieren im Grunde wohl auch Lohmann/Werdermann(Fn. 13) zur fehlenden extraterritorialen Anwendbarkeit desSozialpakts.
- 120 Diese Schlussfolgerung ziehen Lohmann/Werdermann (Fn. 13)unter Berufung auf die nunmehr bestehende territoriale An- wendbarkeit dann nicht mehr. Anders verhält es sich bei einem Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, welches nach BVerfGE 132, 134 Rn. 94 f. – Asylbewerberleistungsgesetz – auch migrationspolitisch nicht zu relativieren ist.
- 121 A.A. wohl Langeloh (Fn. 32), S. 200 f.; Wie hier wohl Riedel (Fn. 6), S. 44 f., 49, der zwar einerseits die sozialgerechte Ausgestal- tung für auf dem Territorium befindliche Ausländer fordert, andererseits aber Ausländer ohne gefestigten Inlandsbezug hieran wohl nicht teilhaben lässt (anders wiederum S. 54 selbst für „ille- gale“ Ausländer).
- 122 BVerfGE 130, 240 (253, 255) – Bayerisches Landeserziehungs- geldgesetz; Klaus Ferdinand Gärditz, Der Bürgerstatus im Lichte
kann.117 Welcher materielle Gehalt hinter dieser Formel steht, bleibt aber auch nach Jahrzehnten einigermaßen im Dunklen.118 Klar dürfte hingegen sein, dass nicht alle, die aus dem Ausland durch ein Immatrikulationsbegeh- ren selbst den Kontakt zur deutschen Hoheitsgewalt suchen, die gleichen Teilhabegarantien wie Einheimi- sche genießen.119 An diesem Befund wird prima facie auch ein nur kurzzeitiger (legaler) Aufenthalt im Inland nichts grundsätzlich ändern,120 selbst wenn innerhalb dieser Gruppe eine sozialgerechte Teilhabe nach obigem Verständnis nicht mehr gesichert ist.121 Hingegen ist eine pauschale Differenzierung nach der Staatsangehö- rigkeit ohne Ansehung der näheren Umstände ebenfalls nicht tragfähig,122 zumal damit völlig außer Acht gelas- sen würde, dass Art. 11 LV gerade nicht zwischen Deut- schen und Ausländern differenziert.123 Mit der notwen- digen Grenzziehung ist eine Ungleichbehandlung ver- bunden, sodass der gleichheitsrechtliche Aspekt124 an Bedeutung gewinnt.
b) Differenzierung nach der Teilhabe an der Staatsfi- nanzierung?
In der politischen Diskussion wird zuweilen das Steuer- argument bemüht, wonach diejenigen, die in Deutsch- land keine Steuern zahlen, einen anderweitigen Beitrag zur ansonsten steuerfinanzierten Hochschulbildung leis- ten müssten.125 Diese plakative Aussage greift bei nähe- rer Betrachtung zu kurz. Es ist gerade eine Errungen- schaft des Steuerstaates, keine Dienst- und Sachleistun- gen der Bürger in Anspruch nehmen zu müssen, sondern staatliche Aufgaben selbst mittels Steuerfinanzierung zu erfüllen. Dabei werden Steuern unabhängig von einer bestimmten Gegenleistung erhoben und ermöglichen es dem Staat, seine Ziele und die Mittelverwendung selbst zu bestimmen.126 Folglich verfängt es nicht, tatsächlich
von Migration und europäischer Integration, VVDStRL 72 (2012), S. 44 (82); Gundel (Fn. 23) Rn. 86; Lohmann/Werdermann (Fn. 13); Jörg Menzel, Internationales Öffentliches Recht. Verfas- sungs- und Verwaltungsgrenzrecht in Zeiten offener Staatlichkeit, 2011, S. 585, ferner S. 431 f.
123 Eine pauschale Differenzierung trägt gleichheitsrechtlich aber auch nicht im Bereich der Deutschengrundrechte, siehe oben III. 2. c).
124 Vgl. auch Riedel (Fn. 6), S. 41 ff.
125 Vgl. Studiengebühren für EU-Ausländer in Baden-Württemberg,
Forschung & Lehre 2017, S. 7 zu einer Erklärung des Minister- präsidenten Winfried Kretschmann; BT-Drs. VI/1975, S. 25 zu § 8 BAföG.
126 Näher Josef Isensee, Steuerstaat als Staatsform, in: Rolf Stödter/ Werner Thieme, Hamburg, Deutschland, Europa. Beiträge zum deutschen und europäischen Verfassungs‑, Verwaltungs- und Wirtschaftsrecht. Festschrift für Hans Peter Ipsen zum 70. Geburtstag, 1977, S. 409, (414 ff.); vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2003 – 2 BvR 1775/02, NJW 2003, S. 2600 zur Steuerermäßi- gung aus Gewissensgründen.
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nicht bestehende Gegenleistungsverhältnisse zwischen Steuerschuldnern und staatlicher Leistung in Form der Hochschulausbildung zu konstruieren und als Abgren- zungsmerkmal zu stilisieren. Im Übrigen tragen auslän- dische Studierende während ihrer Ausbildung zumindest über indirekte Steuern zur Staatsfinanzierung bei. Diffe- renzierungen nach einer Steuerschuldnerschaft mögen als politisch legitim betrachtet werden, verfassungsrecht- lich belastbar sind sie nicht.127
c) Gegenseitigkeit, Verbindung zum Lebens- und Kulturkreis, Sozialstaat
So folgt das Gesetz einem anderen Ansatz, nämlich der Frage nach (völkerrechtlichen) Verpflichtungen gegen- über anderen Staaten oder Hochschulen sowie – was allerdings eine gewisse Definitionsunschärfe einschließt – der Verbindung des einzelnen Studierwilligen zur „Gesellschaft“ bzw. zum Lebens- und Kulturkreis128 (Stichwort: Solidargemeinschaft), die wiederum von sozialstaatlichen Aspekten flankiert wird. Wer hierin bereits im Ausgangspunkt ein Indiz für ein „vormoder- nes Zugehörigkeitsverständnis“ erblickt,129 läuft Gefahr, entgegen der weltweit durchaus üblichen und etwa vom EGMR und in neuerer Zeit implizit auch vom UN-Sozi- alausschuss akzeptierten Staatspraxis die verfassungs- rechtliche Reichweite von Teilhaberechten an endlichen Ressourcen überzustrapazieren und den Gestaltungs- spielraum des demokratisch legitimierten Gesetzgebers deutlich einzuengen. Auch im offenen Staat sind Unter- scheidungen nach der Staatsangehörigkeit grundsätzlich legitim130 zumal sie das Grundgesetz vielfach vorsieht.131 Soweit Leistungs- und Teilhaberechte – wie bei Art. 11 LV – nicht nur Deutschen garantiert werden, können entsprechende Differenzierungen dennoch zulässig sein,132 müssen aber ihrerseits völker- und europarecht-
- 127 Vgl. auch BVerfG (K), Beschluss vom 13. Januar 1993 – 1 BvR 1690/92, NVwZ 1993, S. 881 (882).
- 128 BVerfG (K), Beschluss vom 13. Januar 1993 – 1 BvR 1690/92, NVwZ 1993, S. 881 (882).
- 129 Lohmann/Werdermann (Fn. 13) zur Berufung auf den Lebens- und Kulturkreis.
- 130 Dies stellen auch Lohmann/Werdermann (Fn. 13) nicht gänzlich in Abrede. Vgl. Gärditz (Fn. 122), S. 68 f.; Christian Walter, Der Bürgerstatus im Lichte von Migration und europäischer Integra- tion, VVDStRL 72 (2012), S. 7 (25 f.), der auch nach Auswertung der neuesten Verfassungsrechtsprechung die Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit lediglich als „tendenziell ‚verdäch- tig‘“ sieht; vgl. Menzel (Fn. 122), S. 111 f., 431 f.; ferner Schorkopf (Fn. 12), S. 13 ff.
- 131 Gundel (Fn. 23) Rn. 84.
- 132 Siehe etwa BVerfGE 123, 267 Rn. 350 – Lissabon – zu Sozialleis-tungen gegenüber Unionsbürgern.
lichen Verpflichtungen genügen. Die Öffnung des Staa- tes nach außen entfaltet darüber hinaus Rückwirkungen auf die grundrechtlichen Garantien selbst und kann deren Verständnis im Laufe der Zeit ändern.133 Dem muss (und kann) eine Differenzierung nach der Verbin- dung zum hiesigen Lebens- und Kulturkreis Rechnung tragen.134
aa) Völkerrechtliche Gegenseitigkeit
In Umsetzung des Grundsatzes der völkerrechtlichen Gegenseitigkeit135 sind zunächst wechselseitige Ver- pflichtungen zur Unentgeltlichkeit oder zumindest zur Gleichbehandlung mit Inländern zu beachten. Hieran knüpfen neben den bereits thematisierten europarechtli- chen Verpflichtungen – wenngleich sehr zurückhaltend – die Öffnungsklauseln des § 6 Abs. 1 LHGebG n.F. für völkerrechtliche Verträge, die Abgabenfreiheit garantie- ren, sowie entsprechende Hochschulkooperationen an.
Darüber hinaus ist es rechtspolitisch zu begrüßen, wenn Staatsangehörige der AKP-Staaten bei individuel- len Befreiungsentscheidungen durch die Hochschulen nach § 6 Abs. 4 Satz 2 LHGebG n.F. besonders zu be- rücksichtigen sind. Systematisch verfehlt ist jedoch die Implementierung im Befreiungstatbestand für besonde- re Begabungen. Befreiungen aus entwicklungspoliti- schen Gründen und solche zur Begabtenförderung ha- ben im Ausgangspunkt nicht gemein und können sich lediglich bei der jeweiligen Einzelperson treffen. Da die Befreiungen nach § 6 Abs. 5 LHGebG n.F. prozentual ge- deckelt sind, konterkariert die Ergänzung des ursprüng- lichen Anhörungsentwurfs, der die Berücksichtigung der AKP-Staatsangehörigen noch nicht enthielt, die Be- gabtenförderung. Hier wäre ein gesonderter Befreiungs- tatbestand systematisch vorzugswürdig gewesen.
133 Vgl. Walter (Fn. 130), S. 26 zur rasanten Entwicklung in der Sozi- alrechtsprechung: „Was gestern noch unionsrechtliche Zumutung war, ist heute verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit“ für alle Ausländer.
134 Vgl. auch die einfachrechtliche Bestandsaufnahme bei Gärditz (Fn. 122), S. 60 ff.
135 Siehe hierzu BVerfGE 30, 409 ff., sehr zweifelhaft allerdings in abwehrrechtlichen Konstellationen; allgemein Matthias Knauff, Reziprozität, in: Burkhard Schöbener, Völkerrecht. Lexikon zentraler Begriffe und Themen, 2014. Soweit BVerfGE 130, 240 (259 f.) – Bayerisches Landeserziehungsgeldgesetz – wegen der Bundeskompetenz nach Art. 32 Abs. 1 GG Zweifel daran hat, ob sich ein Landesgesetzgeber im Verhältnis zu anderen Staaten auf Gegenseitigkeit berufen kann, trägt dies jedenfalls dann nicht, wenn durch Landesrecht nur Gegenseitigkeitsverpflichtungen des Bundes Rechnung getragen wird. Näher zum Problem siehe Langeloh (Fn. 32), S. 194 f.
von Weschpfennig · Zulässigkeit von Studiengebühren 1 8 9
bb) Verankerung im Lebens- und Kulturkreis auch im Lichte des Sozialstaates
Eine Gleichstellung kann auch dann vernünftigerweise von der Gesellschaft beansprucht werden, wenn die betroffene Gruppe ausreichend im Lebens- und Kultur- kreis verankert ist, was insbesondere bei sogenannten Bildungsinländern und solchen, die bereits längere Zeit in Deutschland rechtmäßig leben und aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit in der Gesellschaft integriert sind,136 anzunehmen ist. Hinzu kommen bei besonderer Gewichtung des Sozialstaatsprinzips Befreiungen bei Behinderungen sowie insbesondere Fälle besonderer Schutzbedürftigkeit, bei denen ein längerfristiger Auf- enthalt regelmäßig zu erwarten ist.137 Soweit zusätzlich Familienangehörige begünstigt werden, ist dies durch Art. 6 GG angezeigt. Insgesamt ist daher die Übernahme der Regelungsinhalte des § 8 BAföG zu begrüßen, ohne dass hier jeder Tatbestand zur uneingeschränkten Gleichstellung separat auf seine verfassungsrechtliche Notwendigkeit überprüft werden soll.138
cc) Weitere Gleichstellungen nach Maßgabe der Verfas- sungsrechtsprechung?
Ausgehend von der jüngeren Verfassungsrechtspre- chung vertreten Lohmann/Werdermann, dass eine Belas- tung der Gruppe der abgabenpflichtigen Ausländer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße, weil tatsächlich „ein großer Teil der ausländischen Studierenden nach dem Studium in Deutschland“ verbleibe.139 Damit könnte – übertragen auf das Teilhaberecht an der Hochschulbil- dung – die Kostenfreiheit vernünftigerweise von der Gesellschaft verlangt werden, da jedenfalls künftig ein relevanter Anteil im Lebens- und Kulturkreis verankert sein wird. Tatsächlich besteht hieran auch ein staatliches Interesse140; § 16 Abs. 4 AufenthG stellt entsprechende Rechtsgrundlagen bereit.141 Dies liefe im Ergebnis man-
136 Langeloh (Fn. 32), S. 193 f.; von Weschpfennig (Fn. 4), S. 351 f.
- 137 Ähnlich Söllner (Fn. 54), S. 221 f. zum Sozialpakt unter Auswer-tung der Äußerungen des UN-Sozialausschusses; vgl. BVerfGE111, 160 (174 f.) – Kindergeld für Ausländer.
- 138 Eine bundesrechtliche Verpflichtung zur Gleichstellung bestehtgegenüber heimatlosen Ausländern nach § 14 Abs. 1 HAuslG. Zu den Anforderungen an eine verfassungsmäßige Differenzierung vgl. zunächst BVerfGE 111, 160 (171 ff.) – Kindergeld für Auslän- der.
139 Lohmann/Werdermann (Fn. 13) unter Verweis auf Studien und Analysen des DAAD, https://www.daad.de/der-daad/analysen- und-studien/de/39273-verbleib-auslaendischer-studierender- und-absolventen-in-deutschland/ (zuletzt abgerufen am 29. Mai. 2017), die allerdings keine gesicherten Erkenntnisse ermöglichen, ausdrücklich https://www.daad.de/medien/der-daad/analysen- studien/final_blickpunkt-verbleib.pdf (zuletzt abgerufen am 29. Mai 2017), S. 2 f.
140 Zur Situation an Musikhochschulen siehe unten d).
gels Prognostizierbarkeit, wer genau in Deutschland ver- bleiben wird, auf einen teilhaberechtlichen Anspruch aller studierwilligen Ausländer an einer sozialgerecht ausgestalteten Hochschulzulassung ungeachtet einer Bindung zum Lebens- und Kulturkreis hinaus und wür- de gleichheitsrechtlich weitergehend eine Gleichstellung mit deutschen Studierenden – derzeit also die Kosten- freiheit – bedeuten.
In der Tat genügt die Staatsangehörigkeit nicht als al- leiniges Differenzierungskriterium, sondern bedarf aus- weislich der neueren Verfassungsrechtsprechung eines hinreichenden Sachgrundes,142 sodass eine Differenzie- rung nach einem prognostizierten längerfristigen Auf- enthalt nur dann tragfähig ist, wenn hierzu eine gesi- cherte Prognose möglich erscheint. Ist dies nicht der Fall oder werden sogar zahlreiche Ausländer, die später in Deutschland verbleiben, entgegen der Prognose benach- teiligt, entfällt der Sachgrund.143 Ganz in diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht – was seinerzeit eine deutliche Erweiterung des verfassungsrechtlichen Schut- zes bedeutete144 – zu familienbezogenen staatlichen Geldleistungen entschieden, dass zwar im Grunde Diffe- renzierungen nach dem voraussichtlichen dauerhaften Aufenthalt zulässig seien, allerdings die jeweilige gesetz- liche Gruppenbildung diesen Anforderungen nicht genüge.145
Im Unterschied hierzu geht es bei der Abgabenerhe- bung gegenüber ausländischen Staatsangehörigen aller- dings nicht um eine Benachteiligung in einem durch Art. 6 GG besonders geschützten Bereich, sondern um die Ausgestaltung einer grundsätzlich gewährten Teilha- be an der hochschulischen Ausbildung, sodass schon die Frage nach der Vergleichbarkeit der Sachverhalte aufge- worfen werden kann. Abgesehen davon handelte es sich in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts um benachteiligte Ausländer, die bereits seit Jahren in Deutschland lebten und entsprechende Aufenthaltsbe-
141 In diesem Zusammenhang könnte noch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue in Betracht zu ziehen sein, der im Er- gebnis aber jedenfalls daran scheitert, dass der Landesgesetzgeber weder eine bundesgesetzlich nur vage formulierte Zielrichtung konterkarieren will, noch dies mit der bloßen Einführung von Ausländerstudienabgaben bei gleichbleibenden Vorabquoten für Ausländer im Zulassungsrecht tatsächlich könnte.
142 BVerfGE 130, 240 (255) – Bayerisches Landeserziehungsgeldge- setz.
143 Vgl. auch Langeloh (Fn. 32), S. 189 ff.
144 Walter (Fn. 130), S. 26. Siehe etwa die deutlich liberalere Grund-
tendenz bei Kokott (Fn. 49), S. 36 ff.
145 BVerfGE 111, 160 (174 f.) – Kindergeld für Ausländer; 111, 176
(185) – Erziehungsgeld für Ausländer; 130, 240 (257 f.) – Bayeri- sches Landeserziehungsgeldgesetz; 132, 72 Rn. 26 ff. – Elterngeld für Ausländer; vgl. ferner BVerfGE 116, 229 – Asylbewerberleis- tungsgesetz – zur (verfassungswidrigen) Pflicht zum Einsatz von Schmerzensgeld für den Lebensunterhalt.
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fugnisse bzw. ‑erlaubnisse hatten. Derartige Fallgestal- tungen werden durch das LHGebG n.F. ausreichend auf- gefangen.146 Wird die Bindung zur Bundesrepublik Deutschland jedoch erst durch das Studium und typi- scherweise ausschließlich zum Zwecke des Studiums be- gründet, trägt der Staat keine vergleichbare Verantwor- tung, jene Leistungen ebenso kostenlos zur Verfügung zu stellen wie Deutschen und im Inland verankerten Personen.147 Dies akzeptiert auch das Bundesverfas- sungsgericht, wenn die Leistung von Landeserziehungs- geld von einem gewissen Mindestaufenthalt abhängig gemacht werden darf, um „Mitnahmeeffekte“ zu vermei- den.148 Dies korrespondiert mit der Rechtsprechung des EGMR, der Differenzierungen nach der Staatsangehö- rigkeit bei der Erhebung von Studienabgaben billigt,149 und im Grunde auch mit der Äußerungspraxis des UN- Sozialausschusses. Gleiches gilt im Bereich der Ausbil- dungsförderung trotz Art. 18 AEUV sogar gegenüber EU-Ausländern.150
Dass Ausländer u.U. gleichheitsrechtlich benachteiligt werden dürfen, bedeutet aber noch nicht zwangsläufig, dass der Gesetzgeber ihnen auch teilhaberechtlich eine sozialgerechte Ausgestaltung vorenthalten darf. Aber selbst wenn man aus dem Sozialstaatsprinzip eine teilha- begerechte Ausgestaltung auch gegenüber ausländischen Studierenden ohne festen Bezug zur Bundesrepublik ab- leitet,151 gilt dies nicht im selben Maße wie gegenüber der Allgemeinheit. Nimmt der Gesetzgeber besonders Schutzbedürftige wie etwa Flüchtlinge oder Staatenlose von der Abgabenpflicht aus, stellt besondere Befreiungs- tatbestände für Angehörige aus Entwicklungsländern bereit und schafft eine Verordnungsermächtigung für weitere Ermäßigungen oder Befreiungen, genügt er et- waigen Verpflichtungen aus dem Sozialstaatsprinzip.152
- 146 Darüber hinaus enthält § 6 Abs. 3 LHGebG n.F. eine Verord- nungsermächtigung für Gebührenermäßigungen oder ‑befreiun- gen aus Gründen der Billigkeit oder aus öffentlichem Interesse.
- 147 Anders verhält es sich allenfalls, sobald gesicherte Erkenntnisse über einen dauerhaften Verbleib des (weit) überwiegenden Teils der ausländischen Studierenden in der Bundesrepublik nach Studienabschluss vorliegen. Dann könnte eine Differenzierung jedenfalls aus diesem Grunde ausscheiden. Zu überlegen wäre zudem, dass auch deutsche Staatsangehörige, die dauerhaft nicht in Deutschland leben, der Abgabenpflicht unterworfen werden müssten. Hier besteht aber zumindest eine Bindung und damit auch Verantwortlichkeit über das Band der Staatsangehörigkeit.
- 148 BVerfGE 130, 240 (258) – Bayerisches Landeserziehungsgeldge- setz.
- 149 Siehe oben in und bei Fn. 99.
- 150 Siehe Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG.
- 151 Siehe die Nachweise in Fn. 121.
- 152 Bei der Gewährung von Darlehensansprüchen unter den vergan-genen Studienabgabenmodellen, die gerade die sozialgerechte Ausgestaltung der Abgabenerhebung sichern sollten, wurden
Auch Völkerrecht gewährt nach den obigen Feststellun- gen keine weitergehenden Rechte.
Ein uneingeschränktes Recht auf sozialgerechte Teil- habe an der Hochschulbildung für alle, die einen Kon- takt zur Bundesrepublik nur durch die Studienaufnahme begründen, besteht folglich nicht und ginge über das hi- naus, was der Einzelne vernünftigerweise von der Ge- sellschaft beanspruchen kann. Entsprechend dürfte von- seiten der ausländischen Studierenden häufig die Erwar- tungshaltung, im Ausland unentgeltlich zu studieren, fehlen. Entscheidungsspielräume sollen auch künftig beim demokratisch legitimierten Gesetzgeber verblei- ben und nicht durch immer weiter gerichtlich präzisier- te verfassungsrechtliche Direktiven überformt werden.153
d) Sicherung der Studienplätze
Einschränkungsmöglichkeiten ergeben sich darüber hinaus u.U. zum Zwecke der Sicherung der Studienplät- ze für Studieninteressierte mit inländischer Hochschul- zugangsberechtigung sowie EU-/EWR-Staatsangehöri- ge.154 Gerade dies war Motivation des Landesrechnungs- hofes bei der Forderung der Studienabgabe für Ausländer, weil an den Musikhochschulen ein sehr hoher Ausländeranteil und abgesehen davon ohnehin über den Bedarf des inländischen Arbeitsmarkts ausge- bildet werde.155 Dieser Einwand verfängt allerdings nicht für die gesamte Hochschulausbildung, zumal dem bereits durch Vorabquoten für Ausländer im Rahmen der Hochschulzulassung Rechnung getragen wird. Spe- ziell für die Musikhochschulen würde sich die Frage stel- len, ob nicht ebenso eine Quotenregelung und damit eine Anpassung des § 10 HZG BW als milderes Mittel in Betracht käme.156 Darüber hinaus wäre zu diskutieren,
Differenzierungen nach der Intensität der Zugehörigkeit meist stillschweigend und selten – freilich aus gleichheitsrechtlicher Perspektive – ausdrücklich, so BayVerfGH, Entscheidung vom 28. Mai 2009 – Vf. 4‑VII-07, BayVBl 2009, S. 593 (600) akzeptiert.
153 Folgt man der hier favorisierten Bewertung nicht, ist nicht zwangsläufig jede Differenzierung verfassungswidrig. In Betracht zu ziehen ist etwa, eine Rückzahlungspflicht des Staates bei einer bestimmten Aufenthaltsdauer nach Studienabschluss vorzusehen, um so dem verfassungsgerichtlich akzeptierten Differenzie- rungskriterium des dauerhaften Aufenthalts zu genügen. Ebenso möglich ist eine umfassend sozialgerechte Ausgestaltung der Abgabenerhebung von Ausländern, sodass teilhaberechtlich keine Einwände bestehen. Eine gleichheitsrechtliche Rechtfertigung erschiene vor diesem Hintergrund ebenfalls denkbar.
154 Vgl. EuGH, Urteil vom 13. April 2010 – C‑73/08, ECLI:EU:C:2010:181, Rn. 82 – Bressol u.a., Chaverot u.a., der sogar eine Benachteiligung von EU-Ausländern unter bestimm- ten Umständen akzeptiert.
155 Siehe oben Fn. 5, insb. S. 47 f.
156 So, allgemein, Langeloh (Fn. 32), S. 189; a.A. der Bericht des
Landesrechnungshofes (Fn. 5), S. 57 f.
von Weschpfennig · Zulässigkeit von Studiengebühren 1 9 1
ob einzig ausländische Studierende an Musikhochschu- len belastet werden dürfen. Da sich der Landesgesetzge- ber für ein anderes Regelungssystem entschieden hat, soll den hiermit verbundenen Rechtsproblemen nicht weiter nachgegangen werden.
e) Art. 2 Abs. 1 GG als Abwehrrecht
Ist, etwa in einem Verfahren vor dem Bundesverfas- sungsgericht, Art. 2 Abs. 1 GG Prüfungsmaßstab, genügt das Gesetz im Ergebnis ebenfalls den verfassungsrechtli- chen Anforderungen, schon weil der Schutz deutlich weniger ausgeprägt ist.157
2. Ungleichbehandlung bei der Abgabenerhebung – Reichen fiskalische Zwecke?
Da die teilhaberechtliche Prüfung bereits im Wesentli- chen gleichheitsorientiert ausgerichtet ist, spricht a limi- ne alles für die Verfassungsmäßigkeit der Benachteili- gung von Ausländern ohne ausreichenden Inlandsbe- zug, zumal hierbei die Intensität der Beschränkung des Hochschulzugangs nur als Reflex zu berücksichtigen ist.158 Allerdings wurde bislang nur die zulässige Diffe- renzierung im Rahmen des Vorbehalts des Möglichen diskutiert. Ausgeblendet wurde die Frage, inwieweit der Gesetzgeber überhaupt aus fiskalischen Gründen (Stich- wort: Einnahmeerzielung) differenzieren darf.
Die Abgabenerhebung dient neben dem Zweck der Einnahmeerzielung der Kostendeckung und ist damit als solche vor dem Grundsatz der Belastungsgleichheit ge- rechtfertigt.159 Eine Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Studierenden ist hiervon aber nicht erfasst, insbesondere deckt die Abgabe nur zu einem geringen Teil (geplante) Zusatzangebote für Ausländer. Lenkungs- zwecke160 kommen nach der gegenständlichen Regelung
- 157 Jedoch ist zu überlegen, aus Gründen der Völkerrechtsfreundlich- keit den Schutzgehalt im Lichte des Art. 13 Abs. 2 lit. c Sozialpakt zu verstärken.
- 158 Auch hier ist über eine Schutzbereichsverstärkung nachzudenken, siehe Fn. 157.
- 159 Näher hierzu sowie zur zulässigen Höhe siehe unten V.
- 160 Siehe unten V.
- 161 Siehe im Übrigen oben III. 1. c).
- 162 BVerfGE 107, 218 (253) – Beamtenbesoldung Ost I; 111, 160(172) – Kindergeld für Ausländer; 121, 241 (258) – Teilzeitbeam- ter; 122, 210 (233) – Pendlerpauschale; 130, 240 (258 f.) – Bayeri- sches Landeserziehungsgeldgesetz, jeweils m.w.N.
- 163 BVerfGE 130, 240 (258 f.) – Bayerisches Landeserziehungsgeld- gesetz. Zu konstruktiven Schwierigkeiten einer Verhältnismäßig- keitsprüfung im strengen Sinne siehe von Weschpfennig (Fn. 4), S. 155 ff.
- 164 BVerfGE 93, 319 (342 f.) – Wasserpfennig; Hans-Wolfgang Arndt/ Holger Jenzen, Grundzüge des allgemeinen Steuer- und Abga- benrechts, 2005, S. 46 f.; Helmut Siekmann, in: Sachs (Fn. 84), Vor Art. 104a Rn. 69 ff. Näher zur Entwicklung der Rechtsprechung sowie zur Kritik siehe von Weschpfennig (Fn. 4), S. 166 ff., 190 ff.
- 165 Näher BVerfGE 93, 319 (342 f.) – Wasserpfennig; 108, 1 (15 ff.)
nicht in Betracht, weil eine Reduzierung der Anzahl aus- ländischer Studierender gar nicht beabsichtigt ist.161 Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtspre- chung zu (Geld-)Leistungen und zur Steuererhebung da- von aus, dass rein fiskalische Gründe keine Schlechter- stellung begründeten, weil dann Differenzierungen stets mit der Absicht von Teileinsparungen gerechtfertigt werden könnten.162 Finanzpolitische Belange dürfen aber auch dann berücksichtigt werden, wenn die Un- gleichbehandlung nicht auf einer sachfremden Differen- zierung beruht.163 Zulässiges Differenzierungskriterium ist auch hier das Maß an Verbindung zum Lebens- und Kulturkreis der Bundesrepublik Deutschland. Die (rein) gleichheitsrechtliche Bewertung korrespondiert auch in- soweit mit der teilhaberechtlichen.
V. Abschließende Bemerkungen zur Abgabenhöhe
Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Erhe- bung nichtsteuerlicher Abgaben finden ihren Ausgangs- punkt in der Überlegung, dass im Steuerstaat die Ein- nahmenerzielung grundsätzlich durch Steuern erfolgen muss und sonstige Einnahmequellen besonders recht- fertigungsbedürftig sind.164 Notwendig sind insbeson- dere eine deutliche Unterscheidbarkeit gegenüber der Steuer sowie die Wahrung des Grundsatzes der Belas- tungsgleichheit der Abgabepflichtigen, die regelmäßig auch Steuern leisten.165
Gebühren und Beiträge (sog. Vorzugslasten) unter- scheiden sich gegenüber der Steuer durch die Abhängig- keit von einer besonderen staatlichen Leistung (Gegen- leistung).166 Bei der Kategorisierung ist weder eine etwa- ige Abgabenüberhöhung167 noch die geplante Mittelver- wendung168 relevant. Eine selektive Studienabgabe für
– Rückmeldegebühr; 123, 132 (141) – Holzabsatzfonds; Hanno Kube, in: Volker Epping/Christian Hillgruber, BeckOK Grund- gesetz, 32. Edition, Stand: 1. März 2017, Art. 105 Rn. 10; Klaus Vogel/Christian Waldhoff, in: Wolfgang Kahl/Christian Waldhoff/ Christan Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Vorbem. z. Art. 104a-115 Rn. 404 ff. (Stand: November 1997).
166 Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig (Fn. 84), Art. 105 Rn. 20; Siekmann (Fn. 164), Rn. 95, 97.
167 BVerfGE 108, 1 (13 f.) – Rückmeldegebühr – m.w. N. auch zur Gegenposition.
168 BVerwGE 134, 1 Rn. 17 im Anschluss an Marcel Bosse, Zur Recht- mäßigkeit des nordrhein-westfälischen Studiengebührenmodells – Zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit dem Krontha- ler-Gutachten, NWVBl 2007, S. 87 (89 f.); a.A. Ludwig Kronthaler, Gestaltungsmöglichkeiten und Grenzen bei der Einführung von Studienbeiträgen. Verfassungsrechtlicher Rahmen und einfach- rechtliche Spielräume, WissR 39 (2006), S. 276, (295 ff.) und Ingo-Jens Tegebauer, Zur Verfassungsmäßigkeit der Finanzierung von Studienfonds durch Sonderabgaben, DÖV 2007, S. 600 (601), die eine Sonderabgabe annehmen, soweit mit der Studiengebühr ein Ausfallfonds finanziert wurde.
192 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2017), 175–194
das „Lehrangebot einschließlich der damit verbundenen spezifischen Betreuung der Internationalen Studieren- den“, § 3 Abs. 1 LHGebG n.F., ist aufgrund des Gegenleis- tungscharakters eine Vorzugslast.169
Die nichtsteuerliche Abgabe muss dem Grunde und der Höhe nach gerechtfertigt sein.170 Gebühren und Bei- träge sind dem Grunde nach bereits durch ihre Aus- gleichsfunktion (Kostendeckung und Vorteilsausgleich) gerechtfertigt.171 Die Höhe richtet sich nach legitimen Abgabenzwecken, zu denen jedenfalls die Kostende- ckung, der Vorteilsausgleich, die Verhaltenslenkung so- wie soziale Zwecke zählen. Diese Zwecke müssen nach der tatbestandlichen Ausgestaltung der konkreten Rege- lung „von einer erkennbaren gesetzgeberischen Ent- scheidung getragen werden“.172 Diese Prüfung ist letzt- lich eine grundrechtlich determinierte,173 wurde aber später zugunsten einer finanzverfassungsrechtlichen Kontrolle verschoben174 und schließlich komplett unter der Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers verortet.175 Neuere Entscheidungen des Bundesverfas- sungsgerichts lassen einen etwaigen Kompetenzverstoß wie- derum dahinstehen und prüfen die materielle Verfassungs- widrigkeit der nichtsteuerlichen Abgabe im Lichte der Begren- zungs- und Schutzfunktion der Finanzverfassung (Art. 104a ff. GG) gemeinsam mit der Wahrung der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen (Art. 3 Abs. 1 GG).176
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 LHGebG n.F. erheben die Hoch- schulen die Studiengebühren für ihr Lehrangebot ein- schließlich der damit verbundenen spezifischen Betreu- ung der Internationalen Studierenden. Klar ist, dass hiermit zunächst die (teilweise) Kostendeckung verbun- den ist. Ausweislich der Entwurfsbegründung soll bei der Bemessung aber auch der wirtschaftliche und ideelle
- 169 Richtigerweise wird man entgegen dem Duktus des Gesetzes den Charakter eines Beitrags im Rechtssinne annehmen müssen, weil die Abgabe bereits für die Möglichkeit der Nutzung, siehe die Nachweise in Fn. 166, zu leisten ist, näher von Weschpfennig (Fn. 4), S. 183 ff. Ir- ritierend ist zunächst, dass die Abgabe „für das Land“ erhoben wird, sodass das Geld dem Staatshaushalt zufließt und nicht unmittelbar den Hochschulen zugutekommt. Unproblematisch ist dies im Er- gebnis jedenfalls deshalb, weil die Hochschulen nach § 8 Abs. 1 Satz 1 LHG BW nicht nur rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts, sondern zugleich staatliche Einrichtungen sind.
- 170 BVerfGE 108, 1 (17) – Rückmeldegebühr; 135, 155 Rn. 121 – Filmabgabe.
- 171 BVerfGE 93, 319 (343 f.) – Wasserpfennig; 108, 1 (17) – Rückmel- degebühr.
- 172 BVerfGE 108, 1 (18 ff.) – Rückmeldegebühr.
- 173 Vgl. BVerfGE 50, 217 (226 ff.).
- 174 Vgl. BVerfGE 93, 319 (342 ff., 348 ff.) – Wasserpfennig; zur Son-derabgabe: BVerfGE 55, 274 (298 ff.) – Berufsausbildungsabgabe.
- 175 BVerfGE 108, 1 (15 ff.) – Rückmeldegebühr; dem folgend BVer- wGE 134, 1 Rn. 14 ff. Bereits BVerfGE 55 274 (298 ff.) – Berufs-ausbildungsabgabe – prüft die Sonderabgabe in kompetenzieller Hinsicht, erkennt aber einen Grundrechts-Kompetenz-Zusam- menhang (S. 302).
Wert des Hochschulstudiums berücksichtigt werden,177 womit ein Element des Vorteilsausgleichs gemeint sein dürfte. Da dieses allerdings keine ausreichende tatbe- standliche Anknüpfung erfährt, kann die Verfassungs- mäßigkeit gleichwohl nur unter Kostendeckungsge- sichtspunkten geprüft werden.
Während Abgaben in Höhe von 500 EUR je Semester als unproblematisch eingestuft wurden, weil jedenfalls auch das kostengünstigste Studium teurer sei,178 drängt sich diese Argumentation bei der dreifachen Höhe nicht mehr auf. Von den anrechenbaren Kosten sind zunächst reine Forschungskosten179 sowie Kosten für die grundle- genden Voraussetzungen für ein funktionierendes Hoch- schulsystem herauszurechnen, da der Staat zur Bereit- stellung bereits gemäß Art. 5 Abs. 3 GG verpflichtet ist.180 Bedenkt man, dass günstige Studiengänge weniger als 3.000 EUR im Jahr kosten können,181 scheint sich die hier veranschlagte Abgabenhöhe auch unter Berücksich- tigung eines Beurteilungsspielraums des Gesetzgebers an der Grenze zur verfassungswidrigen Kostenüberde- ckung zu bewegen. Dabei bliebe aber unberücksichtigt, dass der Gesetzgeber bei der Bemessung nicht an das günstigste Studium gebunden ist, sondern die mittleren Kosten – bezogen auf die gesamte Lehre – zugrunde le- gen darf.182 Würde der Gesetzgeber stattdessen einen prozentual fixen Anteil an den Kosten des jeweiligen konkreten Studiengangs erheben, könnte dies zu Ver- drängungseffekten in günstige Studiengänge führen.183
Verfassungsrechtlich unzulässig wäre dagegen eine kostenüberdeckende vorteilsabschöpfende Studienabga- be,184 die die Hochschulen nur von Ausländern erheben würden. Abgesehen von grundsätzlichen Schwierigkei- ten bei der Berechnung des Vorteils würde eine derarti-
176 BVerfGE 132, 334 Rn. 47 – Berliner Rückmeldegebühr; 135,
155 Rn. 120 f. – Filmabgabe; BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2017 – 2 BvL 2/14 u.a., juris, Rn. 61 f. zu den brandenburgischen Rückmeldegebühren.
177 LT-Drs. 16/1617, S. 16.
178 Siehe nur BVerwGE 134, 1 Rn. 16, 22.
179 Im Hinblick auf die Einheit von Forschung und Lehre wird eine
sinnvolle Trennung allerdings häufig nicht möglich sein.
180 Von Weschpfennig (Fn. 4), S. 203 ff. Diese Verpflichtung trifft den
Staat zwar nicht gegenüber ausländischen Studierenden. Jedoch müssen etwa Hörsäle ohnehin errichtet und unterhalten werden – unabhängig von der Zusammensetzung der Studierendenschaft.
181 Vgl. Riedel (Fn. 6), S. 66 f.; von Weschpfennig (Fn. 4), S. 139 ff. 182 Enger Riedel (Fn. 6), S. 61.
183 Näher von Weschpfennig (Fn. 4), S. 207 ff. Zwar ist der Gesetzge-
ber gegenüber ausländischen Studierenden nicht im selben Maße in der Pflicht unerwünschte Allokation zu verhindern; gleichwohl darf er derartige Aspekte berücksichtigen. Ebenso zulässig wäre aber auch eine anteilmäßige Abgabe bezogen auf das konkrete Studium, ebenso Riedel (Fn. 6), S. 60 ff.
184 Näher zum grundsätzlich zulässigen Vorteilsausgleich siehe von Weschpfennig (Fn. 4), S. 215 ff.
von Weschpfennig · Zulässigkeit von Studiengebühren 1 9 3
ge Abgabe über die eigene Kostenverursachung hinaus nur die Hochschulen quersubventionieren.185 Wird eine derartige Abgabe nicht gleichzeitig von Inländern erho- ben, fehlt es – anders als bei der bloßen Kostendeckung – an einem ausreichenden Differenzierungsgrund.
VI. Fazit
Die Frage nach der Zulässigkeit von selektiven Studien- abgaben für Nicht-EU-/EWR-Ausländer gestaltet sich wegen der zahlreichen (potenziell) einschlägigen völker- rechtlichen Verträge und einer sich wandelnden Rechts- auffassung zur Ungleichbehandlung von ausländischen Staatsangehörigen als komplex. Der baden-württember- gische Gesetzgeber sieht zahlreiche Ausnahmen für im Lebens- und Kulturkreis verankerte Ausländer sowie aus Gründen besonderer Schutzbedürftigkeit vor. Gegen- über der hiernach verbleibenden Gruppe besteht keine grund- oder völkerrechtliche Verpflichtung, ein kosten-
loses Studium zur Verfügung zu stellen. Die erhöhten Rechtfertigungsanforderungen des Bundesverfassungs- gerichts zu Benachteiligungen von Ausländern im sozi- alrechtlichen Kontext lassen keine anderen Rückschlüsse zu. Über Sinn und Unsinn selektiver Abgaben hat der politische Diskurs zu entscheiden sowie die Bewährung in der Praxis zu zeigen. Die Gerichte sollten in etwaigen Verfahren gegen die Abgabenerhebung die Anforderun- gen an eine zulässige Differenzierung nicht weiter aus- differenzieren und eine Gleichbehandlungspflicht als verfassungsrechtlich vorgegeben ansehen, sondern statt- dessen dem Gesetzgeber einen Handlungsspielraum belassen.
Armin von Weschpfennig ist Akademischer Rat a.Z. an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Institut für Öffentliches Recht (Lehrstuhl Prof. Dr. Dr. Wolfgang Durner LL.M.).
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185 Ein Zufluss in den allgemeinen Staatshaushalt wäre dagegen problematisch, vgl. von Weschpfennig (Fn. 4), S. 238 ff., 248 f., 487.
194 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2017), 175–194