Die Dissertation wurde von Prof. Dr. Matthias Jestaedt und Prof. Dr. Heinrich de Wall betreut und 2014 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angenommen. Sie wurde mit dem Promotionspreis der FAU, mit dem Staedtler-Preis und dem Preis der Gesell- schaft für Programmforschung ausgezeichnet und ist 2015 in der Schriftenreihe „Schriften zum Bildungs- und Wissenschaftsrecht“ im Nomos-Verlag erschienen.
I. Überblick über das Thema
Als Reaktion auf den „PISA-Schock“ wurden in den letz- ten Jahren in den Schulgesetzen der Länder unter dem Schlagwort „Eigenverantwortung der Schulen“ Instru- mente eingeführt, die sich an steuerungstheoretisch und ökonomisch geprägten Erkenntnissen der Sozial- und Erziehungswissenschaften orientieren. Beispiele sind „Schulprogramme“, „Schulkonferenzen1, „Bildungsver- träge“2, Evaluationen3 und eine mit Hilfe von Zielverein- barungen stärker kooperativ ausgerichtete Schulauf- sicht4. Außerrechtlich entwickelte Modelle zu schuli-
- 1 Als Schulkonferenz werden in der Dissertation, in Anlehnung
an die Terminologie in den meisten Schulgesetzen, die Gremien bezeichnet, mit denen durch Stimmrechte von Eltern- und Schü- lervertretern eine echte Beteiligung an den schulischen Organent- scheidungen herbeigeführt werden soll. In Niedersachsen heißt das Gremium »Schulvorstand« (§ 38a SchulG Nds), in Bayern »Schulforum« (Art. 69 BayEUG), in Rheinland-Pfalz »Schulaus- schuss« (§ 48 SchulG RhPf). Vorschriften finden sich u.a. in §§ 75, 76 SchulG B; § 33 I 2 SchulVerwG Brem; § 52 I 1 SchulG Hbg; § 128 SchulG Hess; §§ 39a,78 SchulG MV; § 65 I 2 SchulG NRW; §§ 62 I 1, 91 SchulG SchlH. - 2 Als konkret-individuelle Vereinbarungen vorgesehen nach § 56 V 2 SchulG B; § 59 II 2 SchulG B; § 17a VI 4 SchulG B; § 44 VI SchulG Bbg; § 47 II SchulG Brem; § 45 II SchulG Hbg; §§ 100 II, 82 IX SchulG Hess; unklar § 42 V SchulG NRW; § 35a SchulG Sachs.
- 3 Interne Evaluation i.S.v. Selbststeuerung und –reflektion: § 114 I SchulG BW; Art. 113c I BayEUG; § 9 II SchulG B; § 7 II SchulG Bbg; § 9 I 1 Nr. 2 SchulG Brem; § 100 II SchulG Hbg; § 127b SchulG Hess; § 39a SchulG MV; § 32 II 3 SchulG Nds; § 3 II SchulG NRW; § 23 II SchulG RhPf; § 59a SchulG Sachs; § 11a Nr. 4 SchulG LSA; § 3 I SchulG SchlH; § 40b II SchulG Thür. Externe Evaluation als Form der Schulaufsicht und Qualitätssicherung in verschiedenen Formen nach allen Schulgesetzen.
- 4 § 114 I 5 SchulG BW i.V.m § 12 EvalVO BW (Fn. 991); § 12 II SchulVerwG Brem; § 85 I SchulG Hbg; §§ 92 II, 127b III SchulG Hess; § 39a SchulG MV; § 23 II 1, 3 i.V.m. § 96 II 3, 97 IV SchulG
schem Lernen5 sollen dadurch nach gesetzgeberischem Willen ins Recht übersetzt werden. Strukturen und Handlungsformen des bis dahin als klassisches, hierar- chisch strukturiertes Verwaltungsrecht konstruierten Schulrechts wurden hierfür modifiziert. Die Landesge- setzgeber verändern rechtliche Strukturen im Bereich der Fachaufsicht, der Rechtsstellung der öffentlichen Schule im staatlichen Gefüge und der Entscheidungsträger innerhalb der Schule und führen regulierungsrechtliche Instrumente insbesondere bei der Schulwahl durch Eltern ein. Dies erfordert eine Einordnung der neu geschaffenen Instrumente, um verwaltungs- und verfassungsrechtliche Probleme bei ihrer Umsetzung aufzuzeigen.
Die Dissertation ordnet die Reformen in den dogma- tischen Kontext des Allgemeinen Verwaltungsrechts ein und hinterfragt deren rechtliche Steuerungsmöglichkei- ten vor dem Hintergrund von Steuerungstheorien im Recht, den Erklärungsmustern der Neuen Verwaltungs- wissenschaften sowie regulierungsrechtlichen Ansätzen für ideelle Märkte. Problematisch ist, dass sich die Kernannahmen der Steuerungswissenschaften, nämlich
RhPf; § 40b III SchulG Thür.
5 Vorbereitet durch verschiedene Kommissionen, insbesondere:
Heinrich-Böll-Stiftung, Selbstständig lernen, 2004; das Forum Bildung 2002 (Landesminister, Wissenschaftler, Vertreter der Sozialpartner, Kirchen, Studierenden und Auszubildenden) mit seiner Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung; die Bildungskommission »Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft« beim Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen (Bildungskommission NRW, 1995) und bereits die Bildungskommission des deutschen Bildungsrats (Bildungsrat, Selbstständigkeit der Schule, 1973) sowie DJT, Schu- le im Rechtsstaat, 1981. Aus der erziehungswissenschaftlichen Literatur zur Schulentwicklung: Klafki, Schultheorie, Schulfor- schung und Schulentwicklung, 2002, S. 161 ff.; Füller, vorgänge 2009, 116 (118 f. und 120); Buchmann, Schulentwicklung verste- hen, 2009, S. 75 ff., insbes. S. 90 zur Gesamtsystemsteuerung und S. 94–96 zur »Educational Governance Fend«; Schule gestalten, 2008, insbes. S. 39 ff. zur »Educational Governance«; Schirp, in: Rolff/Rhinow/Röhrich (Hrsg.), Unterrichtsentwicklung, 2009,
S. 3 (4); Horster/Rolff, Unterrichtsentwicklung, 2001, S. 28 f.; Herrmann, Schule zukunftsfähig machen, 2010, S. 82 ff.; Focali, in: Griese/Marburger (Hrsg.), Bildungsmanagement, 2011, S. 21 (31); zum geänderten Bild der Schulleitung Bonsen, in: Rolff/Rhi- now/Röhrich (Hrsg.), Unterrichtsentwicklung, 2009, S. 44 (53 ff.).
Eva Julia Lohse
Verwaltungsrechtliche Steuerung von schulischem Bildungserwerb
– Neue Handlungsformen an öffentlichen Schulen
Ordnung der Wissenschaft 2015, ISSN 2197–9197
238 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2015), 237–244
„Wandel von Staatsaufgaben“6 und ein „Steuerungsdefi- zit klassischer Rechtsnormen“,7 im Schulrecht nicht nachweisen lassen, so dass durchaus Zweifel daran ge- hegt werden können, ob die Übernahme dieser Steue- rungsinstrumente zielführend ist. Dennoch erlangen steuerungswissenschaftliche Ansätze für die Verhaltens- steuerung durch Verfahrens- und Organisationsrecht und die Einbindung von Expertise in den Entschei- dungsvorgang Bedeutung.
Die reformierten Schulgesetze könnten Modell oder Referenzgebiet für andere Rechtsgebiete mit vergleich- barer Verknüpfung zwischen außerrechtlichen Erkennt- nissen und rechtlicher Steuerung von Handlungsspielräu- men sein.8 Allerdings stehen sie erst am Anfang einer ver- fassungs- wie verwaltungsrechtlich zufriedenstellenden Lö- sung. Die Einführung emanzipatorischer, partizipativer, konsensualer und kooperativer Steuerungsinstrumente stößt insbesondere im Demokratieprinzip auf verfassungs- rechtliche Grenzen. Durch die Reformen wird die fachauf- sichtliche Steuerungsverantwortung gelockert und werden den Schulen für die inneradministrielle Hierarchie untypi- sche Innenrechtspositionen zugewiesen. Ihnen wird in Teilbereichen die eigenverantwortliche verbindliche Ge- staltung des Bildungsprozesses sowie dessen Kontrolle er- möglicht. Das klassische Modell der Ministerialverwal- tung und des Vollzugs konditionaler Verhaltensregeln gegenüber der Schule wird nur dort beibehalten, wo es wegen Art. 20 II und Art. 7 I GG unabdinglich ist. Trotz gesetzgeberischer Intention und bildungsökonomischen Forderungen ist auch die Verwirklichung wettbewerbs- fördernder regulierungsrechtlicher Ansätze wegen der Gewährleistungen der Art. 2 I, 6 II, 3 I und 7 I GG nur beschränkt möglich. Aus der Beibehaltung der Organi- sationsform „nicht-rechtsfähige Anstalt“ ergeben sich auch verwaltungsrechtliche Anwendungsschwierigkei- ten der Normen zu Schulprogrammen und Evaluatio- nen, die an der Effizienz der Reformen zweifeln lassen.
- 6 Vgl. statt vieler Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000,
S. 104–109. Kritisch dazu bereits Wahl, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 177 (183). - 7 Allgemein kritisch hinsichtlich des konstatierten Steuerungsde-
fizits Di Fabio, in: NZS 1998, S. 449 (450). Kritisch bezüglich der »zwingend(en) und klar(en)« Annahme des Steuerungsverlustes und Rechtsversagens ohne empirische Messung Lepsius, Steuerungsdis- kussion, 1999, S. 5 und Voßkuhle, in: Bauer/Czybulka/Kahl/Voßkuh- le (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 171 (185 f.). - 8 Allgemein zur Entwicklung von Allgemeinem Verwaltungsrecht anhand von Referenzgebieten aus dem Besonderen Verwaltungs- recht vgl. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als
II. Ausgangspunkt: Verhältnis zwischen Recht, Steue- rung und Bildung
Durch die Reformen stellt sich die Frage nach dem Ver- hältnis von Recht und Bildung und der Möglichkeit einer Steuerung des schulischen Bildungserwerbs durch Recht erneut. Die Themen der in der Vergangenheit geführte Verrechtlichungsdebatte9 und die sich für Gesetzgeber und Administrative ergebenden Grenzen bleiben jedoch aktuell: sie sind insbesondere die Vermei- dung übermäßiger Einengung des Bildungsprozesses durch rechtliche Vorgaben und die Unmöglichkeit, dia- logische und eigenmotivierte Abläufe des Bildungspro- zesses mit den Instrumenten des Verwaltungsrechts zu regeln. Das Bildungsverwaltungsrecht soll – nicht nur im Bereich der Schule – jedenfalls bewirken, dass der Ein- zelne sich um seine Bildung bemüht, dass die Verwal- tung zweckmäßige Entscheidungen für ein bildungs- freundliches Umfeld trifft und – rechtlich kaum beein- flussbar – Bildungsanreize schafft. Einflussnahme des Rechts erfolgt deshalb weniger durch Aufstellung von Rechtmäßigkeitskriterien, als durch Schaffung von Gestaltungsfreiräumen.
Von den drei Zielen staatlicher Schulbildung, näm- lich „Wissenserwerb“, „Heranbildung von Trägern der Gesellschaft“ und „Integration aller Grundrechtsträger“, lässt sich am ehesten das erste durch abstrakte rechtliche Festlegungen zu Inhalten und Kontrollmechanismen regeln.
III. Schwerpunkt auf mittelbarer Steuerung des Bil- dungserwerbs und Steuerungsmodi
Zusammengefasst ergibt sich folgendes: Beeinflusst durch steuerungstheoretische Ansätze in den Erziehungswissen- schaften wurde von den Landesgesetzgebern versucht dem klassischen Modell der hierarchischen Ministerialverwal-
Ordnungsidee, 2006, S. 122 zum Umweltrecht.
9 Frankenberg, Verrechtlichung schulischer Bildung, 1978,
S. 54 ff.; Avenarius, in: RdJB 1981, 443 (450); Blankenburg, in: Voigt (Hrsg.), Gegentendenzen zur Verrechtlichung, 1983, S. 42; Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 1981, S. 540; Gericke, Abbau der Verrechtlichung, 2003, S. 5–8; zum Schulrecht: Bothe, in: VVDStRL 54 (1994), S. 7, Anm. 88; ebenso Püttner/ Rux, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), VerwR BT, 2000, 1125 (1128), Rn. 9; Avenarius/Füssel, Schulrecht, 2010,
S. 15, Tz. 33; Roellecke, in: Faller/Kirchhof/Träger (Hrsg.),
FS Geiger, 1989, S. 342 (347); nüchtern aus verwaltungsrechtli- cher Sicht Oppermann, in: von Münch (Hrsg.), VerwR BT, 1985, S. 687 (697 ff.).
Lohse · Verwaltungsrechtliche Steuerung von schulischem Bildungserwerb 2 3 9
tung des Schulwesens weitere Steuerungsmodi hinzuzufü- gen. Die Gesetzgeber orientieren sich einerseits weiterhin am hierarchischen Vollzug konditionaler Verhaltensregeln gegenüber der Schule, führen aber andererseits am „Neuen Steuerungsmodell“ orientierte Modelle der Selbststeuerung im Rahmen finaler Normen und regulierungsrechtliche Elemente ein. Lehrpläne, Ministerialerlasse und umfassen- de Rechts- und Fachaufsicht wurden zum Teil als Steue- rungsinstrumente ersetzt. Schule, Schulleiter und Schulver- waltungsbehörden stellen weiterhin die Hauptadressaten der gesetzlichen Verhaltensregeln dar, auch wenn einige Individualisierungstendenzen feststellbar sind. Das Modell der mittelbaren Steuerung des Bildungserwerbs durch Regu- lierung des Unterrichts wurde nur an wenigen Stellen durch- brochen, z.B. bei Mitbestimmungsmöglichkeiten der Schüler zu unterrichtlichen Themen. Steuerungssubjekte sind der Gesetzgeber und die Administrative, unmittelbare Steue- rungsobjekte sind die einzelnen Schulen, die gleichzeitig zur Eigensteuerung ermächtigt werden.
Zusammengefasst lassen sich folgende – alte und neue – Steuerungsmodi im Recht erkennen:
(1) Steuerung durch Wahl der Organisationsform und deren Eigenrecht, also »gesteuerte Selbststeuerung«: Durch die Beibehaltung der Form »nicht-rechtsfähige Anstalt« für die Schule wählen die Gesetzgeber gleichzeitig eine umfassende Fachaufsicht, beschränkte Einflussmöglich- keiten der Nutzer und einen Ausschluss der Wahrneh- mung eigener Rechte der Anstalt gegenüber der staatli- chen Aufsicht. Sie beugen Tendenzen zur rechtlichen Anerkennung einer teilweisen Selbstverwaltung der Schulen vor.
Verfassungsrechtlicher Hintergrund ist die Vermei- dung einer zu starken Individualisierung des Bildungs- prozesses und damit einer Beeinträchtigung der Einheit- lichkeit der Schulbildung, die gerade durch Art. 7 I GG gesichert werden soll. Dies führt jedoch dazu, dass die in der Bildungsforschung anerkannten Möglichkeiten der positiven Einflussnahme von Individualisierung auf den Bildungsprozess entweder rechtlich nicht umgesetzt wer- den können, oder, so sie durch die Einschränkung von Auf- sichtsmaßnahmen, durch die Einräumung von Selbststeue- rungsmöglichkeiten(v.a.Schulprogramme)unddurchdie Stärkung der Stellung des Schulleiters verwirklicht werden, zu Reibungen mit der ursprünglich gewählten Organisati- onsform und der damit einhergehenden Dogmatik führen.
(2) Steuerung durch Ausgestaltung der Schulverfas- sung und des Organisationsrechts, also »Organisations- steuerung«: Durch die Einrichtung unterschiedlicher Gremien und die Verteilung der innerschulischen Ent- scheidungen auf verschiedene Organe werden die Grundla- gen für die Kooperation und Partizipation nicht-staatlicher Akteure gelegt und in Teilen eine Selbststeuerung der Ein-
zelschule ermöglicht. Da von staatlicher Seite die Ergebnis- se nur auf Einhaltung der rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen überprüft werden können, soll hier- durch prozedural das »richtige« Ergebnis erzeugt wer- den. Dies geht einher mit dem Verlust staatlicher Ein- flussmöglichkeiten auf den Bildungsprozess und ist ver- fassungsrechtlich je nach Ausgestaltung wegen Art. 20 II GG problematisch, so dass eine klarere Entscheidung des Gesetzgebers für autonome Legitimierung in Anleh- nung an Modelle der funktionalen Selbstverwaltung er- strebenswert wäre.
(3) Steuerung durch Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen, also »hierarchische, abstrakt-gene- relle Steuerung«: Hierbei handelt es sich um klassische unmittelbare Steuerung des Bildungserwerbs, durch die die tatsächlichen Unwägbarkeiten, die durch die Person des Lehrers sowie der Schulleitung hinsichtlich der Qua- lität des täglichen Bildungsprozess entstehen, so weit wie möglich ausgeschaltet und ein einheitliches Bildungsni- veau sichergestellt werden sollen. Sie bezieht sich vor al- lem auf Vorgaben zum (messbaren) Wissens- und Kompe- tenzerwerb. Der Handlungsspielraum der Bildungseinrich- tungen wird deutlich eingeschränkt. Lehrpläne und Bil- dungsstandards wirken sowohl präventiv durch Vorgaben für die Unterrichtsgestaltung als auch repressiv als Prü- fungsmaßstab und Grenze für die Unterrichts- und Prü- fungsarbeit der Schule.
(4) Steuerung durch staatliche Institutionen, also »Ex- pertensteuerung«: Durch die Einrichtung von Bildungs- instituten nimmt der Staat mittelbar Einfluss auf den Bil- dungserwerb, indem an diesen Instituten Expertenwis- sen gesammelt, gebündelt und mittels rechtlich oder au- ßerrechtlich wirkender Instrumente, insbesondere Evaluationen und Schulberatung, für die Steuerung des Bildungserwerbs eingesetzt wird.
(5) Steuerung durch kooperative Handlungsformen wie Verträge, also »kooperative Steuerung«: Diese am engsten am Neuen Steuerungsmodell orientierte Steuerungs- form hat, trotz der Betonung von Zusammenarbeit und Mitwirkung in den Schulgesetzen, einen relativ geringen Einfluss auf die Gestaltung des Bildungsprozesses. Da die Einordnung der »Vereinbarungen« als justiziable und durchsetzbare Verträge unklar bleibt und in den meisten Fällen von einer bloßen Absichtserklärung der Beteiligten für ein besseres Schulklima oder ein Bemü- hen um Qualitätsverbesserung ausgegangen werden muss, kann zwar eine Wirkung nicht ausgeschlossen werden, ein unmittelbarer verbindlicher Einfluss des Staates entfällt jedoch.
(6) Steuerung durch Mittel der Aufsicht, also »repressi- ve Steuerung«: Die Schulgesetze behalten die Möglich- keit der Fachaufsicht und damit der repressiven Kontrol-
240 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2015), 237–244
le und Nachsteuerung nicht nur in Rechts‑, sondern auch in Zweckmäßigkeitsfragen bei. Allerdings findet eine Verlagerung der Mittel der Schulaufsicht nach Maß- gabe des Instruments der »Schulinspektion« auf Bera- tung und Unterstützung und somit auf kooperative Auf- sichtsinstrumente statt, die im Gegensatz zu einseitigen Aufsichtsmitteln wie der Weisung einen besseren Einfluss auf den Bildungsprozess garantieren sollen. Durch die Ein- führung von Evaluationen und standardisierten Testver- fahren soll außerdem die empirische Basis für Steuerungs- wissen geschaffen werden, das der Schulaufsicht bes- sere Reaktionsmöglichkeiten eröffnen kann. Recht- lich wirft dies die Frage der Ermessensbindung bei der Wahl der Aufsichtsmittel und der Möglichkeit des Einschreitens ebenso auf wie die insgesamt ungeklärte Frage, inwieweit einer nicht-rechtsfähigen Verwaltungsein- heit trotz fehlender Selbstverwaltungsgarantie wehrfähige Rechtspositionen gegen die Aufsichtsbehörde zustehen können.
Die Regelungen zur Schulaufsicht sind damit die Vorschriften, die sich am meisten verändert haben. Sie dürften gleichzeitig die größten Auswirkungen auf die allgemeine Dogmatik des Verwaltungsrechts haben, in dem sich die Untersuchung von staatlicher Aufsicht und wehrfähigen Rechtspositionen seit langem auf Kommu- nen und Art. 28 GG sowie funktionale Selbstverwal- tungsträger konzentriert.
(7) Steuerung durch Verhaltensbeeinflussung des Ein- zelnen, also »individuelle Steuerung«: Obwohl Bildungs- erwerb letztlich allein von der Bereitschaft und Mo- tivation des Einzelnen abhängt, ist die Steuerung durch unmittelbare Verhaltensbeeinflussung nur schwach ausgeprägt. Hauptadressat der Normen des Schulrechts bleiben die Schulverwaltung, die Schule und die Organe der Schule sowie die Lehrkräfte, die solche positiven Umstände schaffen sollen, in denen die Bildung des Einzelnen stattfindet und stattfinden kann.
(8) Steuerung durch Marktmechanismen, also »Wett- bewerbssteuerung«: Eine Steuerung des Bildungserwerbs durch das Verhalten des Einzelnen streben die Regelun- gen zur Wettbewerbsförderung auf dem (ideellen) Bil- dungsmarkt an. Ziel ist die Qualitätsverbesserung der Schulen im Wettbewerb, die durch ein Wahlrecht der El- tern bei der Schulwahl erreicht werden soll. Obgleich von der Bildungsökonomie klare Strategien zur Erbrin- gung von Bildungsdienstleistungen auf einem »Ideen- markt« entwickelt werden, ist das Schulrecht kaum durch allgemeine Entwicklungen des Regulierungsrechts ge- prägt. Hauptgrund hierfür ist neben Art. 7 I GG die star- ke Grundrechtsprägung, die jedem den chancengleichen Zugang zu staatlicher Bildung ermöglichen muss, was mit einem echten Wettbewerb der Einzelschulen im Wider-
spruch steht. Entsprechend dürfte die unmittelbare Wir- kung der vorhandenen Marktmechanismen auf die Steu- erung des Bildungserwerbs an öffentlichen Schulen rela- tiv gering sein. Auch sind die Schulinspektionen kaum mit den klassischen Regulierungsbehörden vergleichbar, so dass trotz anderslautender bildungspolitischer Aussagen nur in sehr geringem Maße von einem markt- und regulie- rungsgeprägten Rechtsgebiet ausgegangen werden kann.
(9) Steuerung durch individuelle Rechtspositionen, also »Individualkontrolle«: Schließlich soll Bildungser- werb durch individuelle Kontrolle des staatlich organi- sierten Bildungsvorgangs erreicht werden. In den Fokus rücken durchsetzbare Rechtspositionen des Einzelnen, der durch die staatlichen, abstrakt-generellen Entschei- dungen sowie deren Ausführung durch die benannten Organe unmittelbar betroffen ist, ebenso wie wehrfähige Innenrechtspositionen der Einzelschulen v.a. gegenüber der Schulaufsicht.
IV. Steuerungstheoretische Modelle der „selbstständigen Schule im Recht
Steuerungswissenschaftliche Ansätze werden in den Schulgesetzen nicht als Deutungsschema für eine ent- scheidungs- und akteursbezogene Betrachtung des Rechts eingesetzt. Vielmehr sind sie ein Versuch, die außerrechtlich entwickelten, steuerungstheoretischen Modelle mit dem Fokus der „selbstständigen Schule“ ins Recht zu übersetzen. Dass dies aus rechtlicher Sicht ziel- führend ist, kann bezweifelt werden:
(1) Die eingeführten Instrumente wurden ohne dog- matischen Rückhalt aus der dem Schulrecht korrespon- dierenden Sozialwissenschaft entlehnt. Eine Einordnung in die Handlungs- und Rechtsformen des Verwaltungs- rechts zeigt jedoch, dass sie entweder – wie die Schulpro- gramme als Verwaltungsvorschriften – hergebrachten Formen zugeordnet werden können, was ihre intendier- te Bedeutung als neues Steuerungsinstrument schmälert, oder dass umgekehrt – wie bei den Bildungs- und Ziel- vereinbarungen – ohne Existenz eines rechtlichen Kon- texts für die neue Form von Verwaltungsvereinbarungen ihre rechtliche Steuerungswirkung leerläuft. Jedoch wir- ken die neuen Instrumente, selbst wenn sie einer herge- brachten Handlungsform zugeordnet werden können, auf Strukturen des Schulrechts verändernd und bewir- ken neue dogmatische Fragestellungen.
(2) Die größte Herausforderung ist die rechtliche Umsetzung der emanzipatorischen, kooperativen, parti- zipativen und ökonomischen Steuerungsmodi in den Grenzen des Verfassungsrechts. Eine Lösung, die gleichzei- tig den verfassungsrechtlichen Anforderungen und den er- ziehungswissenschaftlichen Steuerungsvorgaben Genüge
Lohse · Verwaltungsrechtliche Steuerung von schulischem Bildungserwerb 2 4 1
tut, lässt sich nur schwer finden. Wenig problematisch sind hierbei die Anforderungen des Art. 7 I GG zur Schulauf- sicht des Staates und die eines Rechts auf Bildung als Teilha- berecht und Gestaltungsauftrag. Dagegen begrenzt das De- mokratieprinzip eine Neuorientierung nach dem bildungs- wissenschaftlichen Leitbild der „selbstständigen Schule“. Danach sollen die Schulen als eigenverantwortliche Steu- erungssubjekte mit Rechtserzeugungs- und Letztentschei- dungsmacht in unterrichtlichen, personellen und finanziel- len Fragen eingesetzt werden. Fachaufsichtliche Befugnisse werden zurückgenommen. Im Bereich der Ausgestaltung des Bildungsvorgangs kommt der ministeriellen Schulauf- sicht zunehmend eine bloße Gewährleistungsverantwor- tung für die Einhaltung einheitlicher Mindeststandards zu; die zentrale Steuerung wird zugunsten von die Einzelschule betreffendenSchulprogrammenundGremienentscheidun- gen zurückgenommen.
Dies tritt in Konflikt mit den in Art. 20 II GG veran- kerten Modellen demokratischer Legitimation: diese fordern eine Rückführbarkeit aller Ausübung von Staats- gewalt auf das Gesamtvolk, so dass eine Kombination aus einer Beteiligung von Amtswaltern, aus inhaltlicher Steuerung durch hinreichend bestimmte Gesetze und aus Kontrolle der Einhaltung rechtlicher Vorgaben ge- funden werden muss, die den anerkannten Legitimati- onsmodi genügt.
V. Beispiele
Diese Kernerkenntnisse sollen abschließend an zwei Beispielen aus der Dissertation konkretisiert werden, zum einen an der rechtlichen Einordnung von Schulpro- grammen als zentraler Handlungsform der selbstständi- gen Schule und zum anderen an Modellen der demokra- tischen Legitimation, um das Wechselspiel von Eigen- verantwortung der Schule, beschränkter Fachaufsicht und Delegation von Entscheidungen an schulische Gre- mien zu fassen.
10 Regeln zur Bindungswirkung von Beschlüssen des beschließen- den Gremiums gegenüber den Lehrkräften finden sich in § 67 II 1, 4 i.V.m. § 69 IV 2 Nr. 3, § 76 I Nr. 2 SchulG B; § 9 I Nr. 1 i.V.m. § 59 I 1 SchulG Brem; §§ 51, 53 I i.V.m. § 88 I SchulG Hbg; § 86 II 1 i.Vm. § 87 II 2 Nr. 1, IV, §§ 133 I Nr. 2, 129 Nr. 1 SchulG Hess; §§ 39a II, 76 VI Nr. 10 i.V.m. § 110 II SchulG MV; §§ 32 II, 34 II Nr. 1 i.V.m. § 50 I SchulG Nds; § 57 I i.V.m. § 59 II 2, X 1, § 65
II SchulG NRW; §§ 24 IV, 27 I Nr. 2 i.V.m. § 30 I 2 SchulG LSA; nicht eindeutig auf das Schulprogramm oder Konferenzbeschlüs- se bezogen ist zwar § 40 II 1 SchulG Sachs, hier ergibt sich jedoch eine Bindung an Konferenzbeschlüsse und ein Eingriffsrecht des Schulleiters zugunsten der Vereinheitlichung von pädagogischen
1. Verwaltungsrechtliche Handlungsform „Schulpro- gramm“
Schulprogramme haben das Potential, die Dogmatik zur Wirkung und Bindungskraft verwaltungsinterner Rechts- sätze zu verändern. Sie haben als verbindliche Festlegun- gen der Schule zu zweckmäßigem Vorgehen in unter- richtlichen, pädagogischen und das Schulleben betref- fenden Fragen die Befugnisse der Schulaufsichtsbehörden verändert und teilweise zu einer Verlagerung von Gestal- tungsbefugnissen vom Ministerium auf die einzelne Schule geführt.
a) Rechtsnatur: Verwaltungsvorschrift oder Geschäftsordnung
Soweit Schulprogramme von der Schulkonferenz beschlossen werden und soweit eine Bindung aller Lehr- kräfte hieran besteht,10 handelt es sich um eine Verwal- tungsvorschrift zwischen dem schulischen Gremium und der Lehrkraft als untergeordneter Verwaltungseinheit. Das innerschulische Gremium ist mit Vertretern von Eltern, Lehrern und Schülern besetzt, so dass nicht alle Lehrkräfte an der Entscheidung mitwirken, man also von einer Fremdbindung ausgehen muss. Die Bindungswirkung ergibt sich unmittelbar aus der gesetzlichen Einschrän- kung der pädagogischen Freiheit der Lehrkraft oder – wo eine solche nicht angeordnet ist – mittelbar daraus, dass der Schulleiter an die Konferenzbeschlüsse gebun- den ist und diese, u.a. mittels seines Weisungsrechts, gegenüber den Lehrkräften durchsetzen kann.11 Wird das Schulprogramm dagegen ausschließlich von der Lehrerkonferenz beschlossen, entfällt die Fremdbin- dungswirkung und es handelt sich um eine geschäftsord- nungsähnliche Selbstverpflichtung der Lehrkräfte.12
Eine Außenwirkung gegenüber Schülern und Eltern kommt dem Schulprogramm dagegen nicht zu: wie auch aus sonstigen Innenrechtssätzen der Verwaltung werden Dritte weder unmittelbar berechtigt noch verpflichtet. Als
Entscheidungen und der Verhinderung einer Gefährdung von Ausbildungsinteressen, vgl. Runck/Geißler/Ihlenfeld, Sächsisches Schulgesetz, 2004, § 40, Rn. 5.3.
11 So nach § 69 IV 2 Nr. 3 SchulG B; § 71 II 2 SchulG Bbg; § 88 IV SchulG Hess; § 101 IV Nr. 3 SchulG MV (Hinwirkung auf Aus- führung des Schulprogramms); § 59 II 2, X 1 SchulG NRW; § 42 I 3 SchulG Sachs; § 30 I 2 SchulG LSA; § 34 I i.V.m. § 33 III SchulG SchlH. Zur Bindungswirkung vgl. bereits oben Fn. 1194.
12 Z.B. nach § 43 II Nr. 1 SchulG Sachs. So auch Runck/Geißler/ Ihlenfeld, Sächsisches Schulgesetz, 2004, § 35, S. 121. Allgemein Axer, Normsetzung der Exekutive, 2000, S. 219 f.; Maurer, Allge- meines Verwaltungsrecht, 2011, § 24, Rn. 12.
242 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2015), 237–244
nicht-rechtsfähiger Anstalt fehlt es der einzelnen Schule so- wohl an Satzungsautonomie als auch an einer gesetzlichen Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung.
b) Veränderungspotential
Obwohl sich das Schulprogramm also in die hergebrach- ten Formen des Verwaltungshandelns einordnen lässt, führt seine Einbettung in den Regelungskontext „selbst- ständige Schule“ zu einigen Veränderungen hinsichtlich der Wirkung von Innenrechtssätzen gegenüber höher- rangigen Verwaltungsstellen, Bürgern und Gerichten, die hier nur angedeutet werden können: Die Schulen bleiben nicht-rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts und damit Teil der unmittelbaren Verwaltung. Dennoch wird ihnen durch die Schulprogramme ein nicht mehr umfassend kontrollier- und v.a. steuerbarer Rechtserzeugungsraum eröffnet.
Zusammengefasst bewirkt dies erstens eine norm- ähnliche Ermessensbindung für die Schulaufsicht, die gestaltende Eingriffe für den Geltungszeitraum eines Schulprogramms ausschließt und eine Beschränkung auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle bedeuten kann. Diese kann sich zum einen aus der gesetzlichen Anordnung er- geben, die Selbstständigkeit der Schule zu achten.13 Die- se kommt nach gesetzgeberischer Intention gerade im Schulprogrammm zum Ausdruck. Zum anderen kann die Genehmigung des Schulprogramms im Sinne eines venire contra factum proprium nachträglichen abweichenden Entscheidungen der Schulaufsicht entgegenstehen.14
ZweitensentfaltendieSchulprogrammedortnormähn- liche Bindungswirkung, wo sie eigene Evaluationskriterien beinhalten, so dass das pädagogische Handeln der Schule und der Lehrkräfte von der Aufsicht am selbstgesetzten Maßstab der Schule gemessen wird.15 Wegen der zentralen Stellung, die die Ergebnisse der Evaluation und daran an- knüpfende konsensuale Aufsichtsmittel wie Zielvereinba- rungen haben, wird der Schule ermöglicht, verbindliche Qualitätskriterien für den Bildungsprozess festzulegen.
Drittens kann gegenüber Gerichten eine normähnliche Bindungswirkung eines Innenrechtssatzes dort entstehen, wo die Schulprogramme die Ausübung pädagogischer Frei- heit binden. Sie konkretisieren die Erfüllung des Bildungs-
- 13 §§ 8, 106 II 2 SchulG B; §§ 129 IV, 130 II i.V.m. § 7 II SchulG Bbg; §§ 22 I, 12 III, IV SchulVerwG Brem; §§ 51, 85 SchulG Hbg; §§ 127b, 93 II SchulG Hess; §§ 4 VII, 97 II, IV SchulG MV; §§ 32 II, 121 I 1 SchulG Nds; §§ 3, 86 III 3 SchulG NRW; eingeschränkt §§ 23, 96 III SchulG RhPf.
- 14 So ausdrücklich § 8 IV SchulG B; § 9 I Nr. 1 SchulG Brem; § 39a III SchulG MV.
- 15 Wie in § 39a IV SchulG MV. So auch Avenarius, in: SchVw NRW 2008, 130 (132).
- 16 In Anlehnung an BVerwGE 47, 201 (204) auch Jarass, in: DÖV
auftrags auch als Gewährleistung von Grundrechten des Einzelnen, so dass eine Überprüfung der pädagogischen Tätigkeit am Maßstab der Schulprogramme möglich sein muss. Diese Entwicklungen geben Anlass, die Dogmatik zur Wirkung von Innenrechtssätzen und zu Handlungsformen unselbstständiger Verwaltungseinheiten ebenso wie zur Be- deutung des Kriteriums „Rechtsfähigkeit“ zu überdenken.
2. Eigenverantwortliche Schule, staatliche Schulaufsicht und Demokratieprinzip
Als zweites seien die verfassungsrechtlichen Schwierig- keiten angerissen, die sich bei der Umsetzung der Eigen- verantwortung von Schulen mit den Mitteln des Verwal- tungsrechts ergeben und den damit verbundenen Steue- rungsinstrumenten Grenzen setzen.
Nach Art. 7 I GG muss die Letztverantwortung des Staates für die Erbringung schulischer Bildungsleistun- gen gewahrt bleiben. Historisch, sowie nach den Landes- verfassungen und Schulgesetzen geht es primär um die Gewährleistung eine Schulwesens, in dem chancenglei- cher Zugang zum Bildungserwerb unter Einhaltung staatlich festgelegter Qualitätsstandards und die Errei- chung der gemeinschafts- und persönlichkeitsorientier- ten Bildungsziele möglich sind.16 Ein Abgleiten von schulischer Erziehung in die Hände kaum kontrollierba- rer gesellschaftlicher Gruppierungen soll verhindert werden. Die Einräumung von eigenverantwortlich aus- zufüllenden Spielräumen und die Delegation von Ent- scheidungsbefugnissen an staatliche Schulen schmälert allerdings nicht diese staatliche Letztverantwortung, eine umfassende legislative oder ministerielle Gestaltung des Bildungsprozesses im Sinne einer Erfüllungspflicht ist nicht erforderlich.
Deutlich problematischer sind die Anforderungen des Demokratieprinzips aus Art. 20 II GG. Schon bei Selbstverwaltungsträgern ist umstritten, auf welche Wei- se die schwache personell-organisatorische Legitimation echter Betroffenenverwaltung bei gleichzeitiger schwa- cher sachlich-inhaltlicher Legitimation aufgrund auto- nomer Entscheidungsmacht und bloßer Rechtsaufsicht gerechtfertigt werden kann.
1995, 674 (677); ebenso bereits v. Campenhausen, Erziehungsauf- trag und staatliche Schulträgerschaft, 1967, S. 20 ff.; vgl. zu dieser allgemeinen Ansicht heute nur Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG, 2004, Art. 7, Rn. 23. Anders wohl Rux/Niehues, Schulrecht, 2013, S. 41, Rn. 143: Art. 7 I GG setze den Bildungs- und Erziehungs- anspruch des Staates voraus, begründe ihn aber nicht. Ähnlich, auf die Integrationsaufgabe des Staates rekurrierend, Pieroth,
in: DVBl. 1994, 949 (951); Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbStR VII, 2009, § 156, Rn. 40–44.
Lohse · Verwaltungsrechtliche Steuerung von schulischem Bildungserwerb 2 4 3
Diese Frage stellt sich bei der „selbstständigen Schule“ in verschärfter Form:
Die Schulen sind keine Selbstverwaltungsträger und können dies – vorbehaltlich einer Änderung des Art. 7 I GG oder der Landesverfassungen – nicht werden. So fin- det sich zwar an der Schule ein Teilvolk aus Schülern, Lehrern und Eltern, das nur dieses „Teilvolk“ betreffende Entscheidungen trifft. Soweit die Schulgesetze partizipa- tive Entscheidungsrechte in gemischt besetzten Gremien vorsehen, lassen sich eventuell sogar über die Mitwir- kung von Anstaltsnutzern hinausgehende Verwaltungs- entscheidungen aller vom Bildungsprozess an dieser Schule Betroffenen begründen. Jedoch gehen einzel- schulische Entscheidungen weit über diese partizipati- ven Elemente hinaus, so dass keine funktionale Selbst- verwaltung vorliegt. Die Grundrechtsverwirklichung von Eltern und Schülern soll nicht durch Staatsferne und Selbstbestimmung der Betroffenen, sondern gerade durch staatliche Leistung erfolgen. An der Aufgabe Bil- dung sind Amtswalter mit teils alleiniger Entscheidungs- gewalt beteiligt. Lösungsansätze autonomer Legitimati- on schlagen also fehl, es muss eine Ausgestaltung im Rahmen personell-organisatorischer und sachlich-in- haltlicher Legitimationsmodi erfolgen.
Nur wenige Schulgesetze wagen es deshalb echte Ei- genverantwortung durch schulische Gestaltungsspiel- räume und die gleichzeitige Beschränkung repressiver fachaufsichtlicher Befugnisse zu schaffen.17 Dann müs- sen neben einer genaueren Vorzeichnung der schuli- schen Entscheidungen in den Gesetzen gezielt alternati- ve Formen der Schulaufsicht wie eine beratende Schul- inspektion, Evaluationen und Zielvereinbarungen einge- setzt werden.
Diese vom Neuen Steuerungsmodell beeinflussten Modi kooperativ ausgerichteter Schulaufsicht ermögli- chen eine Rückführbarkeit schulischer Entscheidungen
- 17 Beispielsweise Bremen, trotz auf den ersten Blick erfolgter personell-organisatorischer Legitimation, ebenso Mecklenburg- Vorpommern. Beispiele für einen versuchten Ausgleich über eine stärkere inhaltlich-sachliche Legitimation sind Schleswig- Holstein, Brandenburg, Niedersachsen und Berlin.
- 18 So nach § 114 I 5 SchulG BW i.V.m § 12 EvalVO BW; § 12
II SchulVerwG Brem; § 85 I SchulG Hbg; §§ 92 II, 127b III SchulG Hess; § 23 II 1, 3 i.V.m. § 96 II 3, 97 IV SchulG RhPf; § 40b III SchulG Thür. - 19 Deutlich wird dies beispielsweise bei den in § 101 IV SchulG MV beschriebenen Aufgaben des Schulleiters sowie bei Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Schule, Eigenständigkeit der Schule in staatlicher Verantwortung, 2001, S. 41. Aus rechtlicher Sicht Bertram, SchulVerw MO 2004, 141 (142). Vgl. aus der erziehungswissenschaftlichen Literatur statt vieler Horster/Rolff,
auf das Volk. Sie können, indem sie eine standardisierte Überprüfung an externen Kontrollmaßstäben eröffnen, zu einer besseren Bestimmung des zweckmäßigen Han- delns der Schule beitragen. Der Abschluss einer Zielver- einbarung zwischen Schule und Schulaufsicht wahrt die eigenständige Entscheidung der Schule hinsichtlich der Mittel zur Zielerreichung.18 Eine geltende Zielvereinba- rung beschränkt zwar den Rückgriff der Schulaufsicht auf repressive Aufsichtsmittel, stärkt jedoch gleichzeitig de- ren sachlich-inhaltliche Einflussnahme. Dies wirkt schon im Vorfeld der Entscheidung legitimationserhöhend.
Daneben ist die – nicht nur erziehungswissenschaft- lich geforderte19 – gestärkte Stellung des Schulleiters zu nennen, dem als staatlich eingesetzten Schulbeamten zu- nehmend Gestaltungs‑, aber eben auch Aufsichtsbefug- nisse übertragen werden. Sein Beanstandungsrecht ge- genüber pädagogischen Entscheidungen nicht nur der Lehrkräfte, sondern auch der Gremien räumt ihm im Einzelfall Letztentscheidungsbefugnisse ein.20 Die Schulaufsicht kann oft nur nachrangig tätig werden, je- doch ist der Schulleiter gleichfalls auf die Wahrung des in den Gesetzen und Verwaltungsvorschriften zum Aus- druckkommendenWillensdesGesamtvolkesverwiesen.
Soweit organisationsrechtlich zur Verwirklichung von Partizipation Schulkonferenzen als höchstes Ent- scheidungsgremium eingeführt werden, die jedenfalls bei der Aufstellung von Schulprogrammen Staatsgewalt ausüben, müssen geeignete Legitimationsmodi gefun- den werden. Eine Möglichkeit ist die zwingende Mehr- heitsentscheidung organisatorisch-personell legitimier- ter Mitglieder des Gremiums (Lehrer, Schulleiter) und damit bloße Mitwirkung der Bürger (Eltern, Schüler). Eine weitere die Beibehaltung der vollen Fachaufsicht und Selbsteintritts- oder Beanstandungsrechte des Schulleiters zur Verantwortung der Entscheidung vor dem Parlament. Schließlich ist der umfassende Aus-
Unterrichtsentwicklung, 2001, S. 54–63 mit starker Betonung der Kooperation im Kollegium; Kreutzahler/Jänen, in: Busemann/ Oelkers/Rosenbusch (Hrsg.), Eigenverantwortliche Schule, 2007, 229 (230 f.); Wiater, Theorie der Schule, 2009, S. 147–151, S. 175 sowie Brüsemeister, in: Geiss/De Vincenti (Hrsg.), Verwaltete Schule, 2012, S. 181 (184–187) zur Umsetzung des Governance- Modells eines »Verwaltungsmanagements« im Bildungsbereich; Bonsen, in: Rolff/Rhinow/Röhrich (Hrsg.), Unterrichtsentwick- lung, 2009, S. 44.
20 Insbesondere §§ 69, 70 i.V.m. § 106 SchulG B, ähnlich §§ 43 V, 121 SchulG Nds, dazu Bräth/Eickmann/Galas, Niedersächsisches Schulgesetz, 2011, § 121, Rn. 1 und 4, und §§ 59 X, 86 III 2 SchulG NRW. Noch stärker §§ 71, 130 II SchulG Bbg und § 97 II 3 i.V.m. § 107 VII SchulG MV.
244 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2015), 237–244
schluss von Entscheidungen zur Ausübung des Bil- dungs- und Erziehungsauftrags und damit der Aus- übung von Staatsgewalt mit Art. 20 II GG vereinbar. Da die Schulaufsicht subsidiär tätig wird und nicht von je- der Entscheidung Kenntnis erlangt, erhält auch hier der Schulleiter eine Schlüsselstellung und die selbstständige Schule einen Machtzuwachs, die Vorteile von Partizipa- tion werden gewahrt. Die konkrete Umsetzung in den Schulgesetzen erreicht die genannten Anforderungen häufig nur bei restriktiver Auslegung der Vorschriften zur Schulaufsicht.
PD Dr. Eva Julia Lohse, LLM (Kent), zur Zeit wissen- schaftliche Mitarbeiterin am Hans-Liermann-Institut, Lehrstuhl für Kirchenrecht, Staats-und Verwaltungs- recht, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürn- berg und am Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie, Abt. 3 Rechtstheorie, Albert-Lud- wigs-Universität Freiburg