Die Dissertation „Die Weisungsfunktion des Stiftungs- zwecks wurde an der Ruprecht-Karls-Universität Heidel- berg erstellt. Betreut wurde die Arbeit von Prof. Dr. Stefan J. Geibel, Maître en droit. Die Drucklegung wurde durch einen Zuschuss des Deutschen Stiftungszentrums gefördert. Die Arbeit ist im Jahr 2015 als 46. Band der Schriftenreihe zum Stiftungswesen beim Nomos Verlag erschienen.
I. Das Kernproblem: Wer oder was beherrscht die Stiftung?
Die Augen von Deutschlands Stiftungsrechtlern werden sich in den kommenden Monaten und Jahren wohl ver- stärkt auf die Stadt Friedrichshafen richten. Dies liegt – was die Leser einer juristischen Publikation nicht über- raschen wird – weniger an den reizvollen Bodenseepro- menaden, als an einem sich anbahnenden spektakulären Rechtsstreit. Dieser betrifft die Zeppelin-Stiftung, die im Jahr 1908 vom Luftfahrtpionier Ferdinand Graf von Zep- pelin gegründet wurde. Im Wesentlichen sollte die Stif- tung der Luftschifffahrt sowie der Förderung weiterer Unternehmungen im Bereich der Luftfahrt dienen.1 In der Stiftungssatzung wurde festgelegt, dass das Stiftungs- vermögen der Stadt Friedrichshafen zufallen und zu wohltätigen Zwecken verwendet werden sollte, falls der Zweck nicht mehr erfüllbar sei.2 Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Stiftung – nicht zuletzt auch auf das Betreiben der französischen Besatzungsmacht – auf die Stadt Friedrichshafen übertragen. Die Stiftung wurde als selbstständige privatrechtliche Stiftung aufgelöst und
- 1 Der Stiftungszweck ist z.B. abgedruckt bei Oellers, in: Zeppelin 1908 bis 2008, Stiftung und Unternehmen, 2008, S. 31, 49.
- 2 Fuchsloch, Das Erbe des Grafen, in: Schwäbische Zeitung vom1.10.2015, S. 3; siehe auch: www.badische-zeitung.de/sued- west‑1/der-urenkel-will-beim-verteilen-der-millionen-mitre- den–113144640.html [abgerufen am 1.11.2015].
- 3 Fuchsloch, Das Erbe des Grafen, in: Schwäbische Zeitung vom 1.10.2015, S. 3; Grupe/Hennings/Range, Machtkampf um die Stiftung, in: Schwäbische Zeitung vom 25.9.2015, S. 3; siehe auch: www.die-stiftung.de/news/nachfahren-wollen-rechtsform-der- zeppelin-stiftung-aendern-49026 [abgerufen am 1.11.2015]; aus- führlich zur Geschichte der Zeppelin-Stiftung: Oellers/Semmler, Der Graf und die Stiftung, Der Friedrichshafener Zeppelin-Pfad, 2008, S. 12 ff., 20 ff., 57 ff.; Oellers (S. 46 ff.) / Waibel (S. 131 ff.) / Tholander (S. 204, 219 ff.) / Semmler (S. 249 ff.), in: Zeppelin 1908 bis 2008, Stiftung und Unternehmen, 2008.
besteht seitdem als eine rechtlich unselbstständige Gemeindestiftung der Stadt Friedrichshafen.3 Als solche hält die Stiftung unter anderem mehr als 90 Prozent der Anteile an der ZF Friedrichshafen AG, sie finanziert soziale und kulturelle Projekte der Stadt Friedrichshafen und unterstützt unter anderem auch die Zeppelin-Uni- versität und das Zeppelin-Museum.4 Der sich anbah- nende Rechtsstreit rührt daher, dass der Urenkel des Stiftungsgründers, Albrecht Graf von Brandenstein- Zeppelin, die Forderung erhebt, die Stiftung müsse als rechtsfähige Stiftung wieder eingesetzt werden. Zudem müsse dem historischen im Stiftergeschäft niedergeleg- ten Stifterwillen – und damit dem Zweck „Förderung der Luftfahrt“ – Geltung verschafft werden.5 Mit der Rückumwandlung der Stiftung könnte nach den Plänen des Zeppelin-Nachfahren eine Hochschule der Luft- und Raumfahrtforschung errichtet werden.6
Die Frage, wer in der Zeppelin-Stiftung künftig das Sagen haben wird, beziehungsweise welcher Wille, wel- ches Interesse als Leitgedanke für das Stiftungshandeln anzusehen ist, sorgt bereits für ein erhebliches Aufsehen. Die Rede ist von einem Fall, der Rechtsgeschichte schrei- ben werde,7 von einem Streit, der Friedrichshafen bedro- he8 sowie davon, dass der Zeppelin-Urenkel der Stadt den Krieg erklärt habe.9 Der Friedrichshafener Fall ver- deutlicht die Grundproblematik von Stiftungen. Sie sind mitgliederlose Organisationen, die auf eine grundsätz- lich ewig anhaltende Verfolgung eines ihnen vom Stifter verliehenen Zwecks angelegt sind. Vor allem nach dem Ableben des Stifters, nach politischen, gesellschaftlichen und technischen Veränderungen sind Konflikte über das
bische Zeitung vom 25.9.2015, S. 3; siehe auch: www.badische- zeitung.de/suedwest‑1/der-urenkel-will-beim-verteilen-der- millionen-mitreden–113144640.html, [abgerufen am 1.11.2015].
5 Grupe/Hennings/Range, Geschäftsgrundlage in Gefahr, in: Schwäbische Zeitung vom 25.9.2015, S. 3; Range, Die Zeppelin- Stiftung schreibt Rechtsgeschichte, in: Schwäbische Zeitung vom 30.9.2015, S. 7.
6 Grupe/Hennings/Range, Geschäftsgrundlage in Gefahr, in: Schwä- bische Zeitung vom 25.9.2015, S. 3; siehe auch: www.badische- zeitung.de/suedwest‑1/der-urenkel-will-beim-verteilen-der- millionen-mitreden–113144640.html, abgerufen am [1.11.2015].
7 Range, Die Zeppelin-Stiftung schreibt Rechtsgeschichte, in: Schwäbische Zeitung vom 30.9.2015, S. 7.
8 Gruppe/Hennings/Range, Streit um Stiftung bedroht Friedrichsha- fen, in: Schwäbische Zeitung vom 25.9.2015, S. 1.
9 Fuchsloch, Das Erbe des Grafen, in: Schwäbische Zeitung vom 1.10.2015, S. 3.
4 Grupe/Hennings/Range, Geschäftsgrundlage in Gefahr, in: Schwä-
Ordnung der Wissenschaft 2016, ISSN 2197–9197
Philip Dylla
Wer oder was beherrscht die Stiftung? – Buchvorstellung der Dissertation
„Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks“
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richtige Stiftungshandeln alles andere als unüblich. Eventuell sind derartige Konflikte gelegentlich sogar nö- tig, damit sich die Entscheidungsträger von Neuem der relevanten Stiftungsaufgaben bewusst werden.
II. Der Stiftungszweck als entscheidendes rechtliches Kriterium
Von entscheidender Bedeutung für die Entscheidungen der Stiftungsorgane und die Kontrolltätigkeit der Stif- tungsaufsicht ist die Funktion des Stiftungszwecks. Der Stif- tungszweck ist als rechtliches Strukturmerkmal der selbst- ständigen privatrechtlichen Stiftung in §§ 80, 81 BGB nor- miert. Der Stifter bestimmt den Stiftungszweck im Stiftungsgeschäft, dem Gründungsakt einer Stiftung. Das Gründen der Stiftung ist ein privatautonomer, ver- fassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützter Akt. Trotz der weitreichenden Konsequenzen dieses Gründungsaktes ist das Stiften – und damit gerade auch die Bestimmung eines Stiftungszwecks – als verfassungs- rechtlich geschützter Rechtsakt anzuerkennen. Denn die Privatautonomie schützt jedes aus freiem Willen geschlossene Rechtsgeschäft und kennt keine Ausnahme bezüglich der Gründung juristischer Personen – auch nicht hinsichtlich der mitgliederlosen Stiftung.10 Der Stiftungszweck ist als Strukturmerkmal einer privaten juristischen Person nicht mit den subjektiven Ideen und Interessen des Stifters gleichzusetzen.11 Der Stiftungs- zweck ist objektiv auszulegen. Denn der Stifter hat sich bei einer privatrechtlichen Stiftung gerade für die Grün- dung einer mitgliederlosen, unabhängig vom Stifter fort- wirkenden juristischen Person entschieden.12
III. Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks
Die hier vorgestellte Dissertation ist der Zielsetzung ent- sprungen, genauere dogmatische Feststellungen über die Funktion des Stiftungszwecks bei einer selbstständigen
- 10 Siehe hierzu Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 40 ff.
- 11 Siehe Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 46 ff.
- 12 Siehe Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015,
S. 78 ff. Ebenfalls für einen objektiven Auslegungsmaßstab: Hüttemann/Rawert, in: Staudinger, 2010, § 85, Rn. 7; Weitemeyer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl., 2015, Rn. 7. Wei- temeyer geht davon aus, dass die Stiftungssatzung Normcharakter hat. Diese Ansicht teilt der Autor nicht, sondern leitet den ob- jektiven Auslegungsmaßstab aus der freiwilligen rechtsgeschäft- lichen Stiftungsgründung her. Für eine subjektive Auslegung unter Beachtung eines objektiven Empfängerhorizonts empfangsbereiter und – bestimmter Personen hingegen: Burgard, Gestaltungsfreiheit im Stiftungsrecht, 2006, S. 193 ff.; Hof, in: v. Campenhausen/Richter, Stiftungsrechtshandbuch, 2014, § 7, Rn. 18 ff.
privatrechtlichen Stiftung gemäß §§ 80 ff. BGB zu tref- fen. Zwar war es vor der Veröffentlichung der Arbeit im Stiftungsrecht kein Geheimnis, dass der Stiftungszweck – insbesondere in Anbetracht der Mitgliederlosigkeit der Stiftung – eine herausgehobene Rolle haben muss. Charakterisiert wird er als die „Seele“ 13 oder das „Herz- stück“14 der Stiftung. Etwas weniger metaphorisch ist die Beschreibung des Stiftungszwecks durch Rawert als das identitätsbildende Merkmal der Stiftung, welches die Leitlinien ihrer Tätigkeit bestimmt.15 Der Autor ist jedoch beim Verfassen der Dissertation zu der Überzeu- gung gelangt, dass die Funktion des Stiftungszwecks genauer erfasst werden muss. Denn nur hierdurch kön- nen präzise Schlüsse gezogen werden, welche Implikati- onen für das Stiftungshandeln aus dem Zweck folgen und welche nicht.16
Grundthese der Dissertation ist, dass der Stiftungs- zweck eine Weisungsfunktion hat; dass der Stiftungs- zweck innerhalb der Handlungsorganisation der Stif- tung eine Rolle hat, wie sie bei einer GmbH den Weisun- gen der Gesellschafter an die Geschäftsführung zufällt. Hieraus ergeben sich Folgepflichten der Stiftungsorgane, die zu einer optimalen dauerhaften Zweckverfolgung verpflichtet sind. Eine Verfolgung zweckfremder Interes- sen ist somit ausgeschlossen.17 Dadurch lässt sich die These Schwinteks bestätigen, dass der Stiftungszweck als das „Vollzugsorgan der Stiftung“ angesehen werden kann.18
Zur dogmatischen Herleitung der Weisungsfunktion des Stiftungszwecks stützt sich der Autor zunächst dar- auf, dass die bürgerlich-rechtliche Stiftung eine juristi- sche Person ist.19 Anzuknüpfen ist an das heute herr- schende rechtstechnische Verständnis der juristischen Person, welches von John begründet wurde. Danach ist die juristische Person ein eigenständiger Rechtsträger, der eine eigene Handlungsorganisation, einen eigenen Haftungsverband und eine eigene Identitätsausstattung mit eigenem Namen und Sitz hat.20 Der Stiftungszweck
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Nissel, in: Werner/Saenger, Stiftungsrecht, 2008, Kap. VI, Rn. 207; Hüttemann/Rawert, in: Staudinger, 2010, vor § 80, Rn. 5; Happ, Stifterwille und Zweckänderung, 2007, S. 9; Nietzer/Stadie, NJW 2000, S. 3457.
Hof, in: v. Campenhausen/Richter, Stiftungsrechtshandbuch,
2014, § 7, Rn. 1.
Rawert, in: Hopt/Reuter, Stiftungsrecht in Europa, 2001, S. 109,
S. 115.
Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 23 f.,
S. 38.
Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 56 ff. Schwintek, Vorstandskontrolle in rechtsfähigen Stiftungen bürgerli-
chen Rechts, 2001, S. 123.
Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 49 ff. John, Die organisierte Rechtsperson, 1977, S. 72 ff., S. 115 ff.
muss folglich ein eigenständiger – von außerhalb der Stiftung liegenden Umständen unabhängiger – Bestand- teil der Handlungsorganisation der Stiftung sein.21 Er muss zudem aber auch als Ergebnis eines privatautono- men Organisationsaktes des Stifters verstanden werden, welcher gemäß Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich ge- schützt ist.22 Da der privatautonome Akt des Stiftens auf die Gründung einer mitgliederlosen Rechtsperson ge- richtet ist, kann auf eine Weisungsfunktion des Stif- tungszwecks geschlossen werden.23 Eine Weisungsfunk- tion des Stiftungszwecks kompensiert es, dass der Stifter nicht wie ein Gesellschafter über Weisungsrechte oder sonstige Einwirkungsrechte das Geschehen der Stiftung beeinflussen und seine Grundrechtsposition als Grün- der der Stiftung bewahren kann. Der Stiftungszweck kanndamitalsdieeinzigeWeisungdesStiftersverstan- den werden. Durch die Weisungsfunktion des Zwecks ist letzterer ein Scharnier zwischen dem einmalig im Stif- tungsgeschäft erklärten Willen des Stifters und der nach der Anerkennung grundsätzlich nicht mehr veränderba- ren Handlungsorganisation der Stiftung.24 Der wei- sungsgebende Stiftungszweck muss stets im Zusammen- hang mit dem dauerhaften – im Grundsatz auf ewige Existenz angelegten – Charakter der Stiftung gesehen werden. Die Weisungsfunktion muss so verstanden wer- den, dass sie auf die bestmögliche dauerhafte Zwecker- füllung gerichtet ist; umgekehrt muss die Stiftung dauer- haft so ausgestattet und ausgerichtet sein, dass tatsäch- lich auch eine fortwährende Zweckverfolgung erfolgen kann.
IV. Die Konsequenzen der Weisungsfunktion
Wenn die Frage, welche genaue Funktion des Stiftungs- zwecks auszumachen ist, Ausgangspunkt der Dissertati- on war, drängt sich, nachdem der Autor eine Weisungs- funktion des Stiftungszwecks hergeleitet hat, die Frage nach der Bedeutung dieser Funktion für einzelne Rechts- fragen im Stiftungsrecht auf. Ist die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks ein Erkenntnisgewinn mit prakti- schen Konsequenzen oder ein bloßes theoretisches Glas- perlenspiel?
1. Folgepflichten der Stiftungsorgane
Praxisrelevant sind zunächst die auf eine bestmögliche Umsetzung gerichteten Folgepflichten der Stiftungsorga-
21 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 51 f.
22 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 52 f.
23 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 53 ff. 24 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 56.
25 Siehe Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 87 ff.
ne. Hier zeigt sich eine klare Handlungsanweisung, die keinen Spielraum für die Einbringung zweckfremder Belange in die Stiftung lässt. Für die Stiftungsorgane zeigt die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks – möge es noch so viele Interessen außenstehender Person geben – eines auf: Die Stiftung wird nicht von einer Person beherrscht, sondern von dem ihr vom Stifter verliehenen Zweck.
2. Bedeutung für Voraussetzungen zur Zulässigkeit des Zwecks
Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks trägt zudem zum Verständnis und zur genaueren Definition derjeni- gen gesetzlichen Voraussetzungen bei, welche hinsicht- lich der Zulässigkeit von Stiftungszwecken bestehen.25 So lässt sich die Anforderung eines hinreichend bestimmten Stiftungszwecks dahingehend definieren, dass der Stiftungszweck so präzise sein muss, dass von ihm eine Richtungsweisung ausgehen kann; die bloße Nennung allgemeiner Oberbegriffe wie „Sport“ oder „Kunst“ genügt dem Bestimmtheitsgebot nicht.26 Außer- dem ist die Weisungsfunktion aber auch beim zivilrechtli- chen Benachteiligungsverbot gemäß § 19 AGG relevant. Denn § 3 Abs. 5 AGG untersagt die Anweisung zu einer Benachteiligung. Hat ein Stiftungszweck einen diskrimi- nierenden Charakter, so weist er gemäß § 3 Abs. 5 AGG zu einer Diskriminierung an und ist daher gemäß § 134 BGB iVm § 21 Abs. 4 AGG nichtig.27
3. Verhältnis von Zweck und sonstigen Regelungen der Stiftungssatzung
Eine Frage, die sich in Folge der Weisungsfunktion des Stiftungszwecks aufdrängt, betrifft die Funktion der sonstigen Regelungen der Stiftungssatzung und deren Rangverhältnis gegenüber dem Zweck. Die weiteren Bestimmungen der Satzung haben keine Weisungsfunk- tion. Wie auch bei den Satzungen von Gesellschaften geben sie den Rahmen vor, in welchem der Zweck zu erreichen ist.28 Auch bei der Bestimmung dieses Hand- lungsrahmens gilt die Privatautonomie des Stifters. Daher müssen die sonstigen Bestimmungen der Stif- tungssatzung auch nicht zwingendermaßen auf eine optimale Zweckerfüllung zugeschnitten sein.29 Auf- grund des in § 80 Abs. 2 BGB erfassten Grundsatzes der dauernden und nachhaltigen Zweckerfüllung – welches auf die dauerhafte Erhaltung der Wirksamkeit des wei-
26 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 87 ff. 27 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 118 ff. 28 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 61 ff. 29 A.A.: Reuter, NZG 2005, S. 649 ff.
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sungsgebenden Stiftungszwecks gerichtet ist – muss jedoch stets ein förderndes Verhältnis zum Stiftungs- zweck gegeben sein.30 Dieser Maßstab kann in der Praxis insbesondere bei den Regelungen des Stiftungsgeschäfts zur Vermögensverwaltung relevant werden, welche hin- sichtlich einer dauerhaften Zweckverfolgung wirtschaft- lich sinnvoll gestaltet sein müssen.31
4. Durchsetzung der Weisungsfunktion und Haftung der Organwalter
Handelt ein Stiftungsorgan der Weisungsfunktion des Stiftungszwecks zuwider, so kommt einerseits ein Ein- greifen der behördlichen Stiftungsaufsicht und anderer- seits eine Haftung der Organwalter gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Betracht. Hier ist beispielsweise an Fälle risiko- reicher Vermögensanlageentscheidungen zu denken, die eine dauerhafte Zweckverfolgung gefährden können.32 Ein Dilemma liegt für die Stiftungsorgane darin, dass der Weg der bestmöglichen Zweckverfolgung nicht stets ein- deutig vor Augen liegt. In der Vorstandspraxis ist es erforderlich, verschiedene Handlungsvarianten zu dis- kutieren und Prognoseentscheidungen zu treffen. Bei der Überprüfung des Organhandelns ist daher die ex ante Perspektive zu wahren. Liegt danach kein evidentes Fehlverhalten vor, muss sich die Überprüfung darauf beschränken, ob das Entscheidungsverfahren des Stif- tungsorgans ordnungsgemäß war.33 Aufgrund der erfor- derlichen ex ante Perspektive ist es bezüglich der Haf- tung von Stiftungsorganen auch sinnvoll, den Rechtsge- danken der in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG kodifizierten business judgement rule auf das Stiftungsrecht zu übertragen.34 Gemäß dieser Vorschrift liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unter- nehmerischen Entscheidung vernünftigerweise anneh- men durfte, auf der Grundlage angemessener Informati- on zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.
- 30 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 155 ff.; hingegen für ein völlig gleichstufiges Verhältnis von Stiftungs- zweck und sonstigen Bestimmungen der Stiftungssatzung: Scholz/ Langer, Stiftung und Verfassung, 1990, S. 15 ff.
- 31 Siehe Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 173 ff.
- 32 Siehe BGH, Urteil vom 20.11.2014 – III ZR 509/13, NZG 2015, S. 38 ff. Eine Haftung kann bei einer falschen Anlageentscheidung auch die Berater der Stiftung treffen; siehe OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 28.1.2015 – 1 U 32/13, NZG 2015, S. 600 ff.
- 33 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 186 ff.; zur sorgfältigen Entscheidung bei der Zweckbefolgung: Schwintek, Vorstandskontrolle in rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts, 2001, S. 131 ff.
- 34 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 195 f. (dort weitere Nachweise); ausführlich zur Anwendung der busi- ness judgement rule im Stiftungsrecht: Gollan, Vorstandshaftung in der Stiftung, 2009, S. 267 ff.
5. Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Stifters
Ein wesentlicher Bezugspunkt der hier vorgestellten Dis- sertation sind die Aussagen, welche sich aus der Wei- sungsfunktion des Stiftungszwecks für die Gestaltungs- freiheit des Stifters und deren Grenzen ableiten lassen.35 Hinsichtlich der Gestaltungsfreiheit bei Stiftungen hat in der wissenschaftlichen Diskussion vor allem die Habili- tationsschrift von Burgard für Aufsehen gesorgt.36 Bur- gard ist der Ansicht, dass auch der bürgerlich-rechtli- chen Stiftung gemäß §§ 80 ff. BGB eine korporative Struktur insofern verliehen werden könne, dass sich die Willensbildung der Stiftung „als eine von dem Willen der Beteiligten getragene Interessengemeinschaft und nicht stiftungstypisch als Instrument zur Verewigung des Stifterwillens“ darstellen könne.37 Damit stellt sich Burgard gegen die herrschende Auffassung, die in derar- tigen Gestaltungen einen Widerspruch zur erforderli- chen Grundstruktur und den Typus von Stiftungen sieht.38 Burgard trifft durchaus einen Schwachpunkt der herrschenden Meinung, wenn er darauf verweist, dass typologischen Argumentationen nicht zwingend zu fol- gen ist; aus dem Gesellschaftsrecht sind „untypische“ – aber zulässige – Konstellationen bekannt (z.B. die GmbH & Co. KG).39 Dennoch ist die Einrichtung von Stiftungs- organen, deren Organwalter nach ihrem freien Willen die Richtlinien der Stiftung bestimmen, unzulässig.
Die herrschende Meinung gelangt zu dem rechtsdog- matisch richtigen Ergebnis. Der Grund dafür liegt nach der Überzeugung des Autors in der Weisungsfunktion des Stiftungszwecks. Denn die Weisungsfunktion würde durch autonom entscheidende Stiftungsorgane durch- brochen werden. Da die Weisungsfunktion des Stif- tungszwecks ein aus dem Charakter als juristische Per- son, aus der Mitgliederlosigkeit und der Stifterfreiheit bei der Stiftungsgründung herzuleitendes Strukturmerk-
35 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 206 ff. 36 Burgard, Gestaltungsfreiheit im Stiftungsrecht, 2006, S. 1 ff.
37 Burgard, Gestaltungsfreiheit im Stiftungsrecht, 2006, S. 668 f. In
eine ähnliche Richtung weisen die von einer rechtsvergleichenden Betrachtung ausgehenden Arbeiten von Hippels und Schlüters: Siehe von Hippel, Grundprobleme von Nonprofit-Organisationen, 2007, S. 421 ff.; Schlüter, Stiftungsrecht zwischen Privatautonomie und Gemeinwohlbindung, 2004, S. 256 f.
38 Siehe Wiesner, Korporative Strukturen bei der Stiftung bürger- lichen Rechts, 2012, S. 37 ff.; Hüttemann/Rawert, in: Staudinger, § 85, Rn. 9 ff.; Rawert, in: Festschrift für Hans-Joachim Priester zum 70. Geburtstag, 2007, S. 649 ff.; Reuter, AcP 207 (2007), 1,
S. 6 ff.; Happ, Stifterwille und Zweckänderung, 2007, S. 42 ff.; Jacob, Schutz der Stiftung, 2006, S. 209 f.; Flume, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts, I/2 Die juristische Person, S. 131; Muscheler, ZSt 2003, S. 67, 77.
39 Burgard, Gestaltungsfreiheit im Stiftungsrecht, 2006, S. 675 ff.
mal ist, darf sie auch durch Gestaltungen des Stifters nicht ausgehebelt werden. Die Stiftungsgründung ist nämlich eine bewusste Entscheidung des Stifters für die in den §§ 80 ff. BGB mitgliederlose juristische Person. Ein Stifter muss sich vor der Stiftungserrichtung der Konsequenzen seiner Entscheidung bewusst sein.40 Ist – anders als bei Burgard – aber mit der Schaffung korpora- tiver Strukturen lediglich gemeint, dass Beratungs- oder Mitwirkungsorgane geschaffen werden (z.B. bei Bürger- stiftungen), so steht dem die Weisungsfunktion des Stif- tungszwecks nicht entgegen, so lange das jeweilige Or- gan zweckgebunden und nicht autonom handelt.41
6. Änderungen von Stiftungszweck und anderen Regelungen der Stiftungsatzung
Von erheblicher Bedeutung war bei der hier vorgestell- ten Arbeit zudem die Frage, welche Möglichkeiten beste- hen, den Zweck oder sonstige Bestimmungen der Stif- tungssatzung zu ändern. Neben dem sehr restriktiven § 87 BGB (Fälle der Unmöglichkeit und der Gefährdung des Gemeinwohls) bestehen zu Änderungen des Stif- tungszwecks Regelungen in verschiedenen Landesstif- tungsgesetzen (z.B. § 6 StiftG BW). Der herrschenden Ansicht ist jedoch darin zu folgen, dass § 87 BGB hin- sichtlich einer Zweckänderung durch die Stiftungsauf- sicht von Amts wegen als abschließendes Bundesrecht anzusehen ist, welches die landesrechtlichen Normen verdrängt.42 Unter Heranziehung der Weisungsfunktion des Stiftungszwecks sieht der Autor neben den Fällen des § 87 BGB eine Zweckänderung auch dann als möglich an, wenn im Stiftungsgeschäft der Fall und der Weg einer solchen Zweckänderung vorgezeichnet sind.43 Als geset- zesnormativer Anknüpfungspunkt für eine solche Zweckänderung kann mit Nissel44 § 81 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 BGB angesehen werden. Die Änderungsbestimmung ist selbst als ein Teilbestandteil des weisungsgebenden Stif- tungszwecks anzusehen, der unter den gegebenen Umständen zu einer Änderung der Stiftungstätigkeit anweist.45 Eine Änderung sonstiger Bestimmungen der Stiftungssatzung kann einerseits beim Eintreffen von in der Satzung selbst geregelten Voraussetzungen erfolgen, solange die Zweckbindung des Stiftungshandelns gewahrt bleibt. Andererseits muss eine solche Änderung
- 40 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 212 ff.
- 41 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 215 ff.
- 42 Happ, Stifterwille und Zweckänderung, 2007, S. 138 ff.; Nissel, in:Werner/Saenger, Stiftungsrecht, 2008, Kap. VI, Rn. 237; Hütte-mann/Rawert, in: Staudinger, 2010, § 87, Rn. 4.
- 43 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 222 ff.Zu einer erforderlichen Vorzeichnung einer Zweckänderung im Stiftungsgeschäft siehe auch Muscheler, ZErb 2005, S. 4, 7 ff., der die erbrechtlichen Grundsätze des § 2065 Abs. 2 BGB überträgt.
auch stets dann möglich sein, wenn die zu ändernde Regelung der Stiftungssatzung in keinem fördernden Verhältnis mehr zum Stiftungszweck steht.46
7. Relevanz der Weisungsfunktion für Außenrechtsverhältnisse der Stiftung
Ein Kapitel der hier vorgestellten Dissertation behandelt die Bedeutung der Weisungsfunktion des Stiftungs- zwecks für die Rechtsverhältnisse der Stiftung zu ande- ren natürlichen oder juristischen Personen.47 Hierzu muss beachtet werden, dass die Weisung des Stiftungs- zwecks, wie auch beispielsweise eine Weisung eines GmbH-Gesellschafters an die Geschäftsführung, im Innenverhältnis wirkt. Eine unmittelbare Außenwirkung kann ihr nicht entnommen werden; eine Bedeutung des Stiftungszwecks kann aber in einem Schuldverhältnis (z.B. einem Arbeitsverhältnis oder einer Zustiftungsver- einbarung) erfasst werden. Vor dem Hintergrund der primären Wirkung des weisungsgebenden Stiftungs- zwecks im Innenverhältnis ist die Auffassung des BGH durchaus kritikwürdig, wonach der Stiftungszweck und nicht ein Schenkungsvertrag der Rechtsgrund sei, wenn eine Stiftung zur Erfüllung ihres Stiftungszwecks einen Finanzierungsvertrag mit einem Destinatär schließt.48 Hier hat der BGH aus der Sicht des Autors die Reichwei- te des Stiftungszwecks überspannt. Denn auch im Bei- spiel einer von den Gesellschaftern einer GmbH ange- regten Werbegeschenkaktion ist nicht die Gesellschaf- terweisung sondern ein Schenkungsvertrag Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Werbegeschenks.49
8. Bedeutung für das Gemeinnützigkeitsrecht
Im abschließenden Teil der Dissertation befasst sich der Autor mit der Bedeutung der Weisungsfunktion des Stif- tungszwecks für das Gemeinnützigkeitsrecht.50 Aus Sicht des Autors kann die Annahme einer Weisungs- funktion des Zwecks mit den gemeinnützigkeitsrechtli- chen Bestimmungen der Abgabenordnung gut in Ein- klang gebracht werden. Die Weisungsfunktion verein- facht sogar die Einhaltung gemeinnützigkeitsrechtlicher Grundsätze wie der Selbstlosigkeit und Ausschließlich- keit gemäß §§ 55 f. AO.51 Für den Autor noch offene Fra- gen bestehen bezüglich der dogmatischen Einordnung
44 Nissel, in: Werner/Saenger, Stiftungsrecht, 2008, Kap. VI, Rn. 235. 45 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 225 f. 46 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 230 ff. 47 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 233 ff.
(5. Kapitel).
48 BGH, Urteil vom 7. 10. 2009 – Xa ZR 8/08, NZG 2009, S. 1433 ff. 49 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 253 f. 50 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 267 ff. 51 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 271 f.
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68 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2016), 63–70
von § 56 Nr. 6 AO. Hier spricht er sich für die Annahme eines ausnahmsweise von der Abgabenordnung zugelas- senen Nebenstiftungszwecks aus.52
V. Der weisungsgebende Stiftungszweck in der Rechtspraxis – der Fall Zeppelin
Ziel der hier vorgestellten Dissertation ist es, einen Bei- trag zur Erforschung und Diskussion der rechtsstruktu- rellen Grundlagen des Stiftungsrechts zu leisten. Das Gründen der rechtsfähigen Stiftung gemäß §§ 80 ff. BGB ist aus sozialer und rechtlicher Sicht eine außergewöhn- liche Entscheidung. Durch das Gründen einer auf Dauer angelegten juristischen Person ohne jegliche Mitglieder ist das Stiften meist eine Entscheidung mit weit über den Tod des Stifters hinausragenden Wirkungen. Diese Wir- kungen werden wegen der Weisungsfunktion des Stif- tungszwecks erzielt. Dies ist nicht für jeden potentiellen und aktuellen Stifter attraktiv, da auch der lebende Stifter nach der Stiftungsgründung den objektiv auszulegenden Stiftungszweck nicht mehr verändern und in seine Wei- sungswirkung eingreifen kann. Die Entscheidung für eine Gründung einer selbstständigen privaten Stiftung sollte daher nicht leichtfertig – etwa nur wegen des gesellschaftlichen Prestiges des Stifters – erfolgen. Derje- nige aber, der an der konsequenten Verwendung von Stiftungsmitteln für einen bestimmten Zweck interes- siert ist, findet gerade in der bürgerlich-rechtlichen Stif- tung mit ihrem weisungsgebenden Stiftungszweck eine reizvolle Gründungsmöglichkeit. Denn die Weisungs- funktion des Stiftungszwecks führt zu einer – in anderen Rechtsformen nicht zu erreichenden – Beständigkeit des Stiftungshandelns. Die Wahlmöglichkeit für oder gegen die vom weisungsgebenden Zweck angetriebene Stiftung gemäß §§ 80 ff. BGB ist insbesondere in Zeiten rasch wechselnder politischer und sozialer Trends reizvoll. Weniger reizvoll für die betroffenen Entscheidungsträ- ger sind die Konfliktsituationen, die hinsichtlich des kor- rekten Umgangs mit dem Stiftungszweck auftreten kön- nen. Der eingangs berichtete Fall der Friedrichshafener Zeppelin-Stiftung ist hierfür ein gutes Beispiel. Einer- seits ist der Fall für die Stadt Friedrichshafen besorgnis- erregend; neben dem städtischen Haushalt in Höhe von 307 Millionen Euro stellten für das Jahr 2015 Stiftungs- gelder der Zeppelin-Stiftung einen ausgegliederten Pos- ten von 94 Millionen Euro dar.53 Andererseits ist der
- 52 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 278 ff.
- 53 Gruppe/Hennings/Range, Geschäftsgrundlage in Gefahr, in:Schwäbische Zeitung vom 25.9.2015, S. 3.
- 54 Vgl. die verschiedenen Fassungen des BGB in der online pub-lizierten Quellensammlung des Innsbrucker Rechtshistorikers Gerhard Köbler, www.koeblergerhard.de.
Vorwurf des Urenkels des Stiftungsgründers, dass der wahre Stiftungszweck nicht befolgt werde, in Anbetracht der Weisungsfunktion des Stiftungszwecks schwerwie- gend.
1. Missachtung der Weisungsfunktion des Stiftungszwecks?
Der aktuelle Streit über die Friedrichshafener Zeppelin- Stiftung – genauer gesagt die darüber aus der Presse bekannten Tatsachen – legen nahe, dass es auf eine genaue Betrachtung des konkreten Stiftungszwecks und dessen Funktion innerhalb der Stiftung ankommen wird. Die Auffassung Albrecht Graf von Brandenstein- Zeppelins, dass der Stiftungszweck – Förderung der Luftschifffahrt und der weiteren Luftfahrt – nicht hätte aufgegeben werden dürfen, ist jedenfalls zunächst durch- aus nachvollziehbar. Denn ein Stiftungszweck muss wegen seiner Weisungsfunktion konsequent verfolgt werden. Einen Automatismus, dass der Zweck in Krisen- zeiten nicht mehr befolgt werden muss und abgeändert werden kann, gibt es nicht.
2. Möglichkeit der Zweckänderung / Umwandlung?
Demgegenüber bestehen allerdings Möglichkeiten der Zweckänderung. § 87 Abs. 1 BGB regelt die Zweckände- rung von Amts wegen, für den Fall, dass der Stiftungs- zweck unmöglich wird oder das Gemeinwohl gefährdet. Die Regelung bestand bereits in der Fassung des BGB zum Ende des 2. Weltkriegs.54 Es liegt nahe, jedenfalls den Rechtsgedanken dieser Regelung auch auf die bei Zep- pelin vorgenommene Zweckänderung anzuwenden, die mit einer Umwandlung der bürgerlich-rechtlichen Stiftung in eine unselbstständige Stiftung der Stadt Friedrichshafen verbunden war. Dafür spricht, dass § 87 BGB sogar als schärfste Maßnahme die Auflösung der Stiftung vor- sieht; eine Umwandlung in eine andere Stiftungsart ist diesbezüglich ein milderes Mittel. Zudem spricht der Wortlaut von § 87 Abs. 2 und Abs. 3 von einer „Umwand- lung“ des Zwecks. Für den Fall der fehlenden Erfüllbar- keit des Stiftungszwecks sah hier zudem die Satzung den Stiftungsübergang auf die Stadt Friedrichshafen vor.55
3. Unmöglichkeit der Zweckverfolgung?
Zunächst könnte man bei der Zeppelin-Stiftung anzu- nehmen, dass eine weitere Verfolgung des bisherigen Stiftungszwecks nach der Kriegsniederlage Deutschlands
55 Bei dieser Bestimmung kann man darüber diskutieren, ob sie als Zweckänderungsbestimmung zu verstehen war oder wegen der Auflösung einer selbstständigen Stiftung zu Gunsten einer unselbstständigen Stiftung der Stadt eine Regelung des Vermö- gensanfalls gemäß § 88 BGB darstellte.
und den Bedenken der französischen Besatzungsmacht gegenüber dem in der Rüstungsindustrie tätigen Zeppelin- Konzern unmöglich war. Bezüglich der Unmöglichkeit der Zweckverfolgung gelten die von § 275 Abs. 1 BGB bekann- ten Maßstäbe der tatsächlichen und rechtlichen Unmög- lichkeit. Unmöglichkeit liegt vor, wenn aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen der Stiftungszweck nicht (mehr) dauerhaft verfolgt werden kann.56 Ob bei der Zeppelin-Stif- tung nach dem 2. Weltkrieg eine Unmöglichkeit der weite- ren Verfolgung des bisherigen Stiftungszwecks bestand, ist schwer zu beurteilen. Einerseits ist es einleuchtend, dass Handlungszwänge gegenüber der Besatzungsmacht bestanden. Andererseits wird von einem Machtkampf um die Stiftungsinteressen berichtet, der in den Jahren 1945 bis 1947 geherrscht haben soll, unter Beteiligung der Stadt Friedrichshafen, der provisorischen Landesregie- rung in Tübingen, der französischen Besatzungsmacht und lokaler Interessengruppen (darunter der langjährige Stiftungsvorstand Hugo Eckener).57 Inwiefern es tat- sächlich zum damaligen Zeitpunkt noch möglich war, einen von der Besatzungsmacht nicht mehr erwünsch- ten Stiftungszweck zu verfolgen, ist fraglich. Zur Klä- rung dieser Frage könnte im Friedrichshafener Fall aber ein historisches Sachverständigengutachten einzuholen sein. Jedenfalls muss man – nimmt man eine Unmög- lichkeit des Stiftungszwecks an – konstatieren, dass in der Folge eine zweckkonforme Umwandlung der Stif- tung vorgenommen worden wäre. Denn die dem Zweck beigefügte Weisung, wie mit dem Wegfall der Erfüllbar- keit des Zwecks umzugehen sein würde, wäre mit dem Übergang der Stiftung auf die Stadt Friedrichshafen zu mildtätigen Zwecken befolgt worden.
4. Gefährdung des Gemeinwohls?
Auf die zweite Alternative des § 87 Abs. 1 BGB, wonach eine Zweckänderung bei einer Gefährdung des Gemein- wohles zulässig ist, wird man die Umwandlung der Zep- pelin-Stiftung aus heutiger Sicht nicht stützen können. Zwar lässt der Wortlaut „Gemeinwohl“ verschiedene Auslegungen zu, wie auch diejenige, dass eine Zweckän- derung bereits bei einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung möglich sein könnte. Demnach könnte der
- 56 Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 92 ff. Wegen der Prüfung, ob der Zweck dauerhaft weisungsgebend wirken kann, bedarf es eines eigenen Maßstabs des § 275 Abs. 2 BGB hier nicht. Siehe Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 93; vgl. Backert, in: Beck’OK BGB, 36. Ed., 2015, § 87, Rn. 3; a.A.: Weitemayer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl., 2015, § 87, Rn. 6; eben- falls für eine Geltung des Maßstabs von § 275 Abs. 2 BGB im Ergebnis aber mit gleicher Wertung wie der Autor, dass die dauerhafte und nachhaltige Zweckerfüllung möglich sein muss: Hüttemann/Rawert, in: Staudinger, 2010, § 87, Rn. 5.
- 57 Gruppe/Hennings/Range, Machtkampf um die Stiftung, in:
Zweck bereits schon dann geändert werden, wenn er den herrschenden sittlichen Ansichten in einem betroffenen Gebiet zuwiderliefe.58 Die Bedenken der französischen Besatzungsmacht gegen den ursprünglichen Zweck der Stiftung und der daraus resultierende Konflikt um die Stiftungsausrichtung könnten durchaus die öffentliche Ordnung in diesem Sinne gefährdet haben. Aus heutiger Sicht verlangt die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Stif- terfreiheit einen restriktiveren Maßstab für die Annah- me einer Gemeinwohlgefährdung. Eine solche wäre nur bei der konkreten Gefährdung anderer – nach einer Abwägung im Einzelfall vorrangiger – Verfassungsgüter durch den Stiftungszweck anzunehmen.59 Eine so zu definierende Gemeinwohlgefährdung lässt sich bei einem Zweck „Förderung der Luftschifffahrt/Luftfahrt“ nicht begründen.
5. Besonderheiten des Zeitpunkts der Umwandlung
Allerdings wird es im Fall der Zeppelin-Stiftung eine nicht nur geringe Rolle spielen, dass die Umwandlung nach dem 2. Weltkrieg und vor der Gründung der Bun- desrepublik vorgenommen wurde. Gerade die Definiti- on unbestimmter Rechtsbegriffe wie des Gemeinwohls wird von verfassungsrechtlichen Wertungen geprägt. Das Grundgesetz war jedoch zur Zeit der Umwandlung der Zeppelin-Stiftung noch nicht in Kraft. Gerade die stiftungsrechtliche Dogmatik wird wesentlich von einem modernen Verständnis der Privatautonomie gemäß Art. 2 Abs. 1 GG geprägt. Die rechtswissenschaftliche Diskus- sion über die Stifterfreiheit wurde maßgeblich durch das Referat Ernst-Joachim Mestmäckers auf dem Deutschen Juristentag im Jahr 1962 vorangetrieben.60 Auch die in der vorgestellten Dissertation dargelegte Weisungsfunk- tion des Stiftungszwecks beruht auf einem durch die Pri- vatautonomie geprägten Verständnis des Stiftens – der Stiftungszweck als Scharnier zwischen der Stifterfreiheit bei der Stiftungsgründung und der mitgliederlosen Rechtsperson Stiftung. Es ist durchaus fraglich, in wel- chem Umfang Albrecht Graf von Brandenstein-Zeppelin heutige Maßstäbe des Stiftungszweck-Schutzes auf die Umwandlung der Zeppelin-Stiftung vor Gründung der Bundesrepublik übertragen können wird. Außerdem
Schwäbische Zeitung vom 25.9.2015, S. 3, siehe hierzu auch: Oellers/Semmler, Der Graf und die Stiftung, Der Friedrichshafe- ner Zeppelin-Pfad, 2008, S. 57 ff.; Semmler, in: Zeppelin 1908 bis 2008, Stiftung und Unternehmen, 2008, S. 249 ff.
58 Siehe Depenheuer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 74. EL, 2015, Art. 8, Rn. 155; Rühl, NVwZ 2003, S. 531, 532.
59 Siehe Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S. 110 ff.
60 Mestmäcker, in: Verhandlungen des vierundvierzigsten Deut- schen Juristentags, 1964, S. G 3 ff.
Dylla · Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks 6 9
70 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2016), 63–70
könnten besondere rechtliche Wertungen aufgrund der damaligen Besatzung Deutschlands zu berücksichtigen sein. Es ist daher nicht überraschend, dass bereits über die erforderliche Einholung eines rechtshistorischen Sachverständigengutachtens nachgedacht wird.61
6. Bestandsschutz
Gelangt man trotz dieser Besonderheiten zu dem Ergeb- nis, dass die Umwandlung der Stiftung zweck- und damit rechtswidrig war, so stellt sich die Frage, inwiefern ein Bestandsschutz der Stiftung zu beachten ist. Stolte hat bereits die Frage aufgeworfen, ob hier die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft auf die Stiftung übertragen werden müssen.62 Fraglich ist aber bereits, ob der Über- gang der Zeppelin-Stiftung nicht evtl. durch einen bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakt erfolgte. Die Umwandlung der Stiftung von Amts wegen ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt.63 Eine offensichtli- che Fehlerhaftigkeit der Umwandlung — Nichtigkeitsvor- aussetzung des heutigen § 44 Abs. 1 VwVfG — kann ange- sichts der erörterten Probleme bei der stiftungsrechtli- chen Bewertung des Falles kaum angenommen werden. Es würde sich sodann die Frage stellen, ob die Stiftungs- aufsicht dazu verpflichtet ist, den Verwaltungsakt gemäß § 48 VwVfG zurückzunehmen. Diesbezüglich besteht jedoch ein Ermessen. Fraglich ist, ob im Falle einer rechtswidrigen aber bestandskräftigen Zweckänderung die Stifterfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG zu einer gebunde- nen Entscheidung der Verwaltung zu Gunsten des ursprünglichen Stiftungszwecks führt.
7. Antrags- und Klagebefugnis
Die hier zuletzt zu behandelnde – im Verwaltungsver- fahren und ‑rechtsstreit aber primäre – Frage ist, ob dem Urenkel des Stiftungsgründers überhaupt eine Antrags-/ Klagebefugnis zusteht. Der Stifter selbst ist zwar der Begründer des weisungsgebenden Stiftungszwecks; er ist aber nicht selbst Mitglied der Stiftung und damit Wei- sungsgeber. Dennoch verlangt aber die Stifterfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG nach effektiven prozessualen
- 61 Siehe Stolte, zitiert in: Schwäbische Zeitung vom 30.9.2015, S. 7.
- 62 Stolte, zitiert in: Schwäbische Zeitung vom 30.9.2015, S. 7.
- 63 Weitemeyer, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 87, Rn. 27;Schlüter/Stolte, Stiftungsrecht, 2. Aufl., 2013, Kap. 3, Rn. 44 ff.
- 64 Siehe Dylla, Die Weisungsfunktion des Stiftungszwecks, 2015, S.
Möglichkeiten des Rechtsschutzes und der Rechtsvertei- digung.64 Vor diesem Hintergrund ist die Ansicht Weite- meyers, dem Stifter sei gegenüber einer Zweckänderung von Amts wegen eine Befugnis zu einer Anfechtungskla- ge einzuräumen, zustimmungswürdig.65 Aufgrund des engen sachlichen Zusammenhangs ist auch die Antrags- und Klagebefugnis des Stifters bezüglich einer Rücknah- me im Sinne von § 48 VwVfG zu bejahen. Äußerst prob- lematisch ist hingegen, ob ein Urenkel des Stifters – als Erbe, aus einem berechtigten familiären Interesse an der Stiftung oder als eine Art Prozessstandschafter für den Stifterwillen – Befugnisse gegenüber der Stiftungsauf- sicht geltend machen kann. Die aufgrund der Mitglie- derlosigkeit der Stiftung naheliegende Antwort lautet nein. Und dennoch: Wissenschaft und Rechtsprechung müssen sich Gedanken machen, wie auch nach dem Tod des Stifters dessen Stifterfreiheit, die in einen weisungs- gebenden Stiftungszweck mündet, effektiv geschützt werden kann. Dies könnte in der Tat für eine Ererbbar- keit der Antrags- und Klagebefugnis sprechen.
8. Ausblick
Gerade auch bei dem Fall der Friedrichshafener Zeppe- lin Stiftung scheinen wesentliche Grundcharakteristika einer Stiftung auf. Der dauerhafte Bestand der mitglie- derlosen Stiftung unabhängig vom Stifter; aber auch das Beruhen der Stiftung auf ihrer privatautonomen Grün- dung durch den Stifter. Aus beiden Charakteristika resultiert bei bürgerlich-rechtlichen Stiftungen gemäß §§ 80 ff. BGB eine Weisungsfunktion des Stiftungs- zwecks. Um diesen beiden Charakteristika gerecht zu werden, könnte – soweit verwaltungsrechtlich möglich – für die Beteiligten des Zeppelin-Falls durchaus auch eine gütliche Lösung reizvoll sein: Etwa der Erhalt der aktuel- len Stiftungsstruktur bei einer Gewährleistung, dass die Stiftung in Zukunft gewisse Forschungsprojekte hin- sichtlich der Luftfahrt unterstützt.
Philip Dylla ist beim Amtsgericht Schweinfurt als Rich- ter für Zivil- und Nachlasssachen zuständig.
236 ff. Siehe insbesondere auch die ausführliche Auseinanderset- zung mit dieser Problematik bei Jakob, Schutz der Stiftung, 2006, S. 140 ff.
65 Weitemeyer, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 87, Rn. 27.