I. Einleitung
Das deutsche Wissenschaftssystem befindet sich im Wandel. Vor dem Hintergrund einer immer enger zusammenrückenden Welt und dem internationalen Wettbewerb um die besten Wissenschaftsstandorte wer- den die traditionellen Institutionen der nationalen Wis- senschaftssysteme auf den Prüfstand gestellt. Die Rele- vanz von Bildung und Forschung für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einzelner Länder steht heute außer Frage.1 Insofern sieht sich auch das deutsche Wissen- schaftssystem einem permanenten Veränderungsdruck ausgesetzt.
Eine Reaktion darauf ist die in den letzten Jahren in- tensiv geführte Diskussion um die richtige Governance von Wissenschaftseinrichtungen. Ihr liegt im Kern die Feststellung zugrunde, dass in einer modernen wissens- basierten Gesellschaft die öffentlichen Güter Bildung und wissenschaftliche Erkenntnis auf eine andere Art und Weise produziert werden müssen, als dies bisher in den staatskonzentrierten nationalen Konzepten der Wis- senschaftspolitik angenommen wurde.2 Weder die Fo- kussierung auf ein staatlich gesteuertes Wissenschafts- system noch die Eingrenzung auf die nationale Perspek- tive sind geeignet, angemessene Antworten im globalen Wettbewerb um Wissen und seine Nutzbarmachung zur Bewältigung der Zukunftsfragen zu finden.
Für die nachhaltige Leistungsfähigkeit ist die Frage nach der geeigneten Governance der Wissenschaftsein- richtungen essentiell. Der Begriff der Governance geht dabei weit über den rein organisationsrechtlichen As- pekt der handelnden Organe und Gremien hinaus.3 So- wohl die wissenschaftspolitischen Lenkungsmaßnah-
- 1 Siehe z.B. Koalitionsvertrag vom Dez. 2013 zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode, Ziff. 1.2, 26; Europäische Kommission: „Einleitung zum neuen Forschungsprogramm Horizon 2020“.
- 2 Grande et al.: „Die neue Governance der Wissenschaft“ in: Neue Governance der Wissenschaft – Reorganisation – externe Anfor- derungen – Medialisierung, hrsg. von Grande/Jansen/Jarren/Rip/ Schimank/Weingart, Bielefeld 2013, 21, 22.
- 3 Eine gute Beschreibung von Governance findet sich in: OECD, Principles of Corporate Governance, Paris 2004, Preamble 11: „Corporate governance involves a set of relationships between a company’s management, its boards, its shareholders and other stakeholders. Corporate governance also provides the structure through which the objectives of the company are set, and the means of attaining those objectives and monitoring performance
men als auch die Beeinflussung der Entscheidungs- prozesse durch verschiedenartige externe und interne Faktoren sind Teil der Governance einer Wissen- schaftsorganisation. In diesem Sinne ist die Gover- nance als die Gesamtheit der Steuerungs- und Ent- scheidungsfindungsmechanismen von und in Wissen- schaftseinrichtungen zu verstehen.4
In den deutschen Wissenschaftseinrichtungen sind in den vergangen Jahren vielfach neue Governance-For- men und ‑instrumente ausprobiert und evaluiert wor- den. Insbesondere wurden Ansätze des New Public Ma- nagement (NPM) in den Wissenschaftsbereich übertra- gen. Eine Bestandsaufnahme der Ergebnisse legt die Er- gänzung und Ausweitung der Diskussion in zweierlei Hinsicht nahe:
- Es fällt auf, dass die vorliegenden Untersuchun- gen sehr hochschulzentriert sind. Bei der Diskussion wird vom klassischen Bild der Erkenntnisproduktion in dezentralen (hochschulüblichen) Strukturen aus- gegangen.5 Viele Formen der Wissensgenerierung in außeruniversitären Forschungseinrichtungen wer- den nicht einbezogen.6 Insbesondere werden die staatliche Vorsorgeforschung für gesellschaftlich re- levante Gebiete, wie z.B. Energieversorgung oder Ge- sundheit und Umwelt, die angewandte Forschung und der Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis, sowie die internationale Zusammenarbeit in Großprojekten und der Betrieb von Großgeräten zu wenig beachtet.
- Inhaltlich sind die Untersuchungen häufig von der Sorge um die Sicherung der Autonomie des ein-
are determined.”
4 Zum Governance-Begriff in Wissenschaftseinrichtungen siehe
auch Jansen: „Von der Steuerung zur Governance: Wandel der Staatlichkeit?“, in: Handbuch Wissenschaftspolitik, hrsg. von Simon/Knie/Hornbostel, Wiesbaden 2010, 40.
5 Grande et al., aaO. (Fn. 2), 23; Heinze/ Krücken (Hrsg), Institutionelle Erneuerungsfähigkeit der Forschung , Wiesbaden 2012, 12.
6 So auch Puchta, Auf der Suche nach der richtigen Corporate Governance für ein Forschungszentrum: Das Beispiel Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), ZfB Sonderausgabe 1/2013, 104 f.; eine der wenigen Publikationen zur Steuerung der Helmholtz- Gemeinschaft: Helling-Moegen, Forschen nach Programm. Die programmorientierte Förderung in der Helmholtz-Gemeinschaft: Anatomie einer Reform, Marburg 2009, 112 ff. Der Beitrag von Hohn, Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, in: Handbuch
Nikolaus Blum
Zur Governance privatrechtlich organisierter Forschungseinrichtungen
Ordnung der Wissenschaft 2015, ISBN/ISSN 3–45678-222–7
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zelnen Wissenschaftlers geprägt. Dies ist ohne Zwei- fel ein essentieller Aspekt der Wissenschaftsfreiheit. In einer systemischen Betrachtung geeigneter For- men von Governance für Wissenschaftseinrichtun- gen sollten aber auch andere Gesichtspunkte zum Tragen kommen. Kaum behandelt wird die im inter- nationalen Wettbewerb zentrale Frage, unter welchen Governance-Formen Wissenschaftsfreiheit, Erkennt- nisgewinn, Nachwuchsförderung und Wissenstrans- fer in der Gesellschaft effizient zur Wirksamkeit ge- bracht werden können.
Die nähere Auseinandersetzung mit den Gover- nance-Strukturen außeruniversitärer Forschungsein- richtungen7 kann hier eine Erweiterung des Blickfeldes schaffen und neue Formen und Instrumente für die wis- senschaftsadäquate Gestaltung von Wissenschaftsein- richtungen in privater Rechtsform erschließen. Mit den nachfolgenden Ausführungen soll dazu ein Beitrag ge- leistet werden. Dabei ist einleitend klarzustellen, dass mit der Wahl der Rechtsform zwar wichtige Rahmenbe- dingungen gesetzt werden, die Governance einer Ein- richtung aber noch lange nicht ausreichend festgelegt ist.
II. Vielfalt der Rechtsformen außeruniversitärer For- schungseinrichtungen
Die funktionale und institutionelle Vielfältigkeit des deutschen Wissenschaftssystems ist eine unbedingt zu erhaltende Stärke.8 Neben den Hochschulen und Uni- versitäten, die das „Organisationszentrum des Wissen- schaftssystems“ darstellen,9 gibt es eine Vielzahl weiterer Wissenschaftseinrichtungen, die in unterschiedlichen Rechtsformen organisiert sind. Einer breiteren Öffent- lichkeit sind als „big four“10 die Max-Planck-Gesell- schaft, die Fraunhofer Gesellschaft, die Zentren der Helmholtz-Gemeinschaft und der Leibniz-Gemein- schaft bekannt. Weitere Wissenschaftsinstitute befinden sich zum Beispiel unter dem Dach der Arbeitsgemein- schaft der industriellen Forschungseinrichtungen (AIF).
Während Universitäten und Hochschulen in der Re- gel Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, werden viele außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in Pri-
Wissenschaftspolitik, hrsg. von Simon/Knie/Hornbostel, Wiesba- den 2010, 457 ff. beschränkt sich auf forschungspolitische Aspekte und untersucht nicht näher die Governance Strukturen.
- 7 In diesem Aufsatz vorrangig der Helmholtz-Zentren.
- 8 So der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen vom 12.7.2013,Perspektiven des deutschen Wissenschaftssystems, unter B. II, 26.
- 9 Wissenschaftsrat, aaO. (Fn. 8), B. IV, 28.
- 10 So Horvath, Strategie, Steuerung und Governance außeruniversi-tärer Forschungseinrichtungen, ZfB Sonderausgabe 1/2013, 15.
vatrechtsformen betrieben. So sind die Max-Planck-Ge- sellschaft und die Fraunhofer Gesellschaft als eingetrage- ne Vereine konstituiert. Von 18 Forschungseinrichtun- gen der Helmholtz-Gemeinschaft sind elf in privater Rechtsform (GmbH, e.V., Stiftung) organisiert, weitere fünf sind als Stiftungen des öffentlichen Rechts errichtet.
Die Gründe für die Rechtsformenwahl sind meist historischer Natur. Die älteste privatrechtliche Form au- ßeruniversitärer Wissenschaftseinrichtungen ist der ein- getragene Verein. Der Verein als Zusammenschluss von einzelnen Personen zur mitgliedschaftlich-organisierten Einrichtung war die geeignete Rechtsform für die Grün- dungderAkademien.ErfanddannauchbeiderGrün- dung anderer großer außeruniversitärer Wissenschafts- einrichtungen, wie der Max-Planck-Gesellschaft, der Fraunhofer Gesellschaft oder des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) Anwendung. Hinter- grund waren in diesen Fällen die Bestrebungen, neben staatlichen Geldgebern Privatpersonen und Unterneh- men als Förderer zu gewinnen und in die Organisation zu integrieren.
In der Nachkriegszeit wurde vermehrt die Rechts- form der GmbH für die Neugründung von Forschungs- einrichtungen genutzt. Zwischen 1956 und 1965 sind acht Großforschungseinrichtungen als GmbHs gegründet worden. In einigen Fällen waren Unternehmen als Ge- sellschafter beteiligt. Alle Gesellschaften verfolgen einen genauer beschriebenen Forschungszweck, der in den je- weiligen Satzungen festgehalten wurde. In den 60er Jah- ren hat man sich mit den unterschiedlichen privatrecht- lichen Rechtsformen, die für Wissenschaftseinrichtun- gen in Betracht kommen, vertieft auseinandergesetzt. Das Gutachten von Cartellieri11 aus dem Jahre 1969 kann aus heutiger Sicht als herausragende Governance-Studie für die außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen eingeordnet werden, die schon damals mit großem Weit- blick die europäische und internationale Dimension auf- griff und rechtsvergleichende Strukturanalysen betrieb.
Neben der Rechtsform der GmbH wurden andere Rechtsformen wie die Stiftung des öffentlichen oder pri- vaten Rechts eingesetzt. Nicht in allen Fällen lässt sich eine stringente Begründung für die jeweilige Rechts-
11 Gutachten „Die Großforschung und der Staat, Gutachten über die zweckmäßige rechtliche und organisatorische Ausgestaltung der Institutionen für die Großforschung“, erstattet von Wolfgang Cartellieri, Teil I (1967) und Teil II (1968), Gersbach & Sohn Verlag, München.
12 Vgl. Meusel, Außeruniversitäre Forschung im Wissenschaftsrecht, 2. Aufl. 1999, Rn. 21.
Blum · Governance privatrechtlich organisierter Forschungseinrichtungen 3
formwahl finden.12 Gelegentlich waren es einfache Über- legungen der Praktikabilität, die jeweils den Ausschlag gegeben haben. So ist für die Zentren der Helmholtz-Ge- meinschaft nach heutigem Stand festzuhalten, dass sie- ben Zentren als GmbHs firmieren, drei Zentren als ein- getragene Vereine, ein Zentrum als Stiftung bürgerlichen Rechts, fünf Zentren werden als Stiftungen öffentlichen Rechts geführt und ein Zentrum ist organisatorisch un- ter dem Dach der Max-Planck-Gesellschaft ohne eigene Rechtspersönlichkeit angesiedelt. Das frühere For- schungszentrum Karlsruhe, das auch als GmbH firmier- te, wurde im Rahmen der Fusion mit der Universität Karlsruhe in eine Körperschaft öffentlichen Rechts überführt.
III. Die Governance der Helmholtz-Zentren
Die rechtliche Selbstständigkeit der Helmholtz-Zentren wird sowohl von staatlicher Seite als auch von Seite der Zentren immer wieder betont und unterstrichen. Der Zusammenschluss der Zentren in der Helmholtz Gemeinschaft als eingetragener Verein hat diesbezüglich keine Änderungen herbeigeführt. Im Gegenteil: starke und selbständige Zentren sind gerade gewünscht und zeichnen diese Gemeinschaft aus.
Die Finanzierung der Zentren aus überwiegend öf- fentlichen Mitteln bedingt allerdings eine erhebliche staatliche Einflussnahme. Sie manifestiert sich einerseits durch die dominierende Stellung des Bundes und der je- weiligen Sitzländer in den Gremien (Gesellschafterver- sammlung, Aufsichtsrat), andererseits durch die An- wendbarkeit vieler öffentlicher Normen, die durch inter- ne Regelungen und finanzielle Bewilligungsbescheide auferlegt werden.
Für die Steuerung der Zentren hat sich über viele Jah- re eine Grundstruktur entwickelt, die sich in den Satzun- gen und Gesellschaftsverträgen unabhängig von der konkreten Rechtsform übergreifend wiederfindet.13 Es entspricht dem erklärten Willen der öffentlichen Gesell- schafter, dass die Satzungen der verschiedenen Helm- holtz-Zentren zumindest vergleichbar gestaltet sind. Je- doch kommt es wegen der unterschiedlichen Rechtsfor- men und der zum Teil sehr unterschiedlichen Zweckset- zung der Zentren ungewollt immer wieder zu Widersprüchen und Friktionen auf satzungsrechtlicher Ebene.
Die durch die Satzungen festgelegten Strukturen und Abläufe werden im Folgenden als satzungsrechtliche Governance bezeichnet. Daneben gibt es weitere Steue-
- 13 Siehe dazu auch Meusel, aaO. (Fn. 12), Rn. 111 ff.
- 14 Auf diesen wichtigen Aspekt für die Konformität mit den Anfor-
rungsprozesse. Da die Zentren wie erwähnt überwie- gend aus öffentlichen Mitteln finanziert sind, hat sich in der Praxis eine zweite Governance-Ebene in Form des Haushalts- und Zuwendungsrechts etabliert. Schließlich ist in den vergangenen Jahren eine dritte Steuerungsebe- ne durch die programmorientiere Förderung der Helm- holtz-Gemeinschaft aufgebaut worden, die eher die in- haltliche und wissenschaftspolitische Ausrichtung der Zentren betrifft.
Diese drei Governance-Ebenen können wie folgt nä- her beschrieben werden:
1. Satzungsrechtliche Steuerung
Die legale Governance ist in dem jeweiligen, meist pri- vatrechtlichen Gründungsdokument festgelegt (Gesell- schaftsvertrag, Gründungssatzung, Stiftungsurkunde etc.). Die Organe sind in aller Regel ein Exekutivorgan, ein Aufsichtsorgan und ein wissenschaftliches Bera- tungsorgan. In den Aufsichtsorganen sind neben den Vertretern der Gesellschafter oder der staatlichen Mittel- geber in der Regel auch Wissenschaftler der Zentren14 und externe Personen aus Wissenschaft und Wirtschaft vertreten. Letztere sollen nicht nur als fachkundige Auf- sichtspersonen fungieren, sondern als „Stakeholder“, die Interessen anderer Bereiche in die Wissenschaftseinrich- tungen einbringen. Das wissenschaftliche Beratungsor- gan übernimmt in aller Regel die Funktion einer exter- nen wissenschaftlichen Qualitätssicherung.
In diesen legalen Strukturen ist dem Grunde nach ein vollständiges und funktionierendes Governance-System angelegt, das den Anforderungen an eine privatrechtlich organisierte juristische Person völlig Genüge tut. Durch die externen Besetzungen der Aufsichts- und Beratungs- gremien wird den besonderen Umständen einer öffent- lich geförderten Wissenschaftseinrichtung Rechnung getragen.
2. Haushalts- und zuwendungsrechtliche Steuerung
Die zweite Governance-Ebene ergibt sich aus den Finan- zierungsbestimmungen. Alle Zentren haben ein von Bund und Ländern verabschiedetes Finanzstatut zu beachten, das sie verpflichtet, bestimmte Vorgaben für die Verwendung öffentlicher Mittel einzuhalten. Soweit ist das noch keine Besonderheit, sondern aus der politi- schen Verantwortung und Rechenschaftspflicht beim Einsatz öffentlicher Mittel begründet. Daneben hat sich aber im Laufe der Zeit eine Vielzahl von Detailvorschrif- ten angesammelt, die weitere Randbedingungen für die Mittelverwendung aufstellen, den Entscheidungsspiel-
derungen aus Art. 5 III Satz 1 GG wird weiter unten eingegangen: siehe unten V. 4.
4 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2015), 1–10
raum einengen und umfangreiche Berichtspflichten auf- erlegen. Solche Vorschriften werden den Zentren über Bewilligungsbescheide und Einzelermächtigungen bzw. ‑verbote auferlegt und geben den öffentlichen Geldge- bern weitgehende Steuerungs- und Einwirkungsmög- lichkeiten. Begründet durch die Finanzierung gelten auch die Bundeshaushaltsordnung und das Haus- haltsgrundsätzegesetz.AufdieserBasisübenauchdie Rechnungshöfe immer wieder ihren Einfluss auf die tatsächlichen Entscheidungen und das geschäftsmäßi- ge Handeln der Forschungszentren aus, die neben den internen Revisionsabteilungen und den externen Wirt- schaftsprüfern als weiteres Kontroll- und Prüfungsorgan fungieren.
In der Praxis treten nicht selten Konflikte zwischen den bisher beschriebenen Governance-Ebenen auf. Während auf der satzungsrechtlichen Ebene immer wie- der „unternehmerisches Handeln“ der Zentren eingefor- dert wird, werden entsprechende Ansätze auf der zu- wendungsrechtlichen Ebene in enge Schranken gewie- sen und erheblich erschwert. Die notwendige Synchro- nisierung beider Ebenen erfolgt nur unzureichend.15
3. Inhaltliche Steuerung
Neben diesen zwei legalen und formalen Governance- Ebenen ist eine dritte zur inhaltlichen Steuerung inner- halb der Helmholtz Gemeinschaft etabliert worden. Unter der Bezeichnung „Programmorientierte Förde- rung“ werden die staatlichen Fördermittel zentrenüber- greifend für die Bearbeitung strategischer Programme bereitgestellt.16 Die Zentren leisten Beiträge zu den über- greifenden Programmen, die international evaluiert und entsprechend der Begutachtungsergebnisse finanziell ausgestattet werden. Dadurch sollen gezielt und unter Vorgabe staatlicher Rahmenbedingungen strategische Forschungsschwerpunkte geschaffen werden.17 Über diese Förderung werden daher weitere Steuerungsim- pulse auf die Zentren ausgeübt. Diese Steuerungsebene steht vom Grundansatz her in einem gewissen Span- nungsverhältnis zur wissenschaftlichen Selbstverant-
- 15 In der Regel erfolgt sie durch partielle Personenidentität. Ein- zelne Vertreter der Ministerien in den Aufsichtsgremien stehen gleichzeitig in der zuwendungsrechtlichen Verantwortung für den Mitteleinsatz. Das führt zwingend zu Interessens- und Funktions- konflikten.
- 16 Näher dazu: Helmholtz-Gemeinschaft, „Die programmorientierte Förderung der Helmholtz-Gemeinschaft – Eine Leistungsbilanz“, August 2010, 2.
- 17 Siehe auch Brade, Strategisches Management in der außeruniver- sitären Forschung – Entwicklung einer Konzeption am Beispiel der Helmholtz-Gemeinschaft, 2005, 15 ff.
- 18 Näher dazu Helling-Moegen, aaO. (Fn. 6), 75 ff.
- 19 Zu den Begrifflichkeiten und dem Modell der externen und
wortung der Zentren.18
Beschreiben diese drei Ebenen im Wesentlichen die
externe Governance der Helmholtz-Zentren, so ist die interne Governance, die die zentrumsinternen Prozesse der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung um- fasst, noch weitaus differenzierter.19 Leitlinie für die in- terne Governance waren in den 70iger Jahren sogenann- te Rahmenordnungen, die die Grundprinzipien der Gruppenuniversität einheitlich in den Statuten der For- schungszentren abbilden wollten.20 Diese Bestrebungen sind in den vergangenen 20 Jahren nicht weiter vertieft worden. Aus dieser Zeit finden sich allerdings bis heute in „alten“ Zentren entsprechende Elemente der Grup- penuniversität wieder.21 Kennzeichnend für diese Ele- mente sind große Gremien, deren Wirkungsweise durch eine vergleichsweise geringe Gestaltungskraft, dagegen durch eine große Verhinderungsmacht charakterisiert ist. Die Verantwortlichkeit für Entscheidungen oder Nichtentscheidungen und deren Folgen lässt sich in sol- chen Organisationsstrukturen der wissenschaftlichen Selbstverwaltung nur schwer festmachen. In moderne- ren und reformierten Zentren sind mittlerweile kleine und handlungsfähige Entscheidungsgremien etabliert worden, bei denen auch die Verantwortlichkeiten allo- kiert sind. Begleitet und beraten werden sie von wissen- schaftlichen Beiräten und internen, mit Wissenschaft- lern besetzen Meinungsbildungsgremien.22
Es gehört keine große Vorstellungskraft dazu, dass bei drei Ebenen der externen Governance und einer ggf. sehr komplexen internen Governance die Gefahr der Überbestimmung groß ist. Die privatrechtliche Organi- sationsform führt also nicht per se zu gestalterischer Handlungsfreiheit und Entscheidungsgeschwindigkeit. Weitere Herausforderungen bringen neue Organisati- onsmodelle mit sich, die in den vergangenen Jahren ent- standen sind oder mit bestehenden Strukturen kombi- niert wurden. Das ist z.B. bei der Verschmelzung univer- sitärer und außeruniversitärer Strukturen der Fall, wie im Karlsruhe Institut für Technologie (KIT)23 oder dem künftigen Berliner Institut für Gesundheit (BIG).24 Dar-
internen Governance siehe Jansen, aaO. (Fn. 4), 43 ff.
20 Siehe dazu auch Meusel, aaO. (Fn. 12), Rn. 112.
21 Z.B. der sog. Wissenschaftlich-Technische Rat (WTR), der aus
allen Institutsleitern und einer gleichen Zahl gewählter wissen- schaftlicher Mitarbeiter besteht. In den Zentren, in denen er heute noch als Gremium besteht, hat er in der Regel beratende Funktion und keine zwingenden Mitbestimmungsrechte mehr.
22 Zur Umgestaltung der internen Governance eines Helmholtz- Zentrums siehe Blum, Neue Governance für Wissenschaftsein- richtungen, Wissenschaftsmanagement 2010, Heft 4, 20 ff.
23 KIT-Gesetz (KITG) vom 14. Juli 2009, GBl BaWü 2009, 317 ff. 24 Pressemitteilung 064/2013, BMBF 18. Juni 2013.
Blum · Governance privatrechtlich organisierter Forschungseinrichtungen 5
über hinaus sind neue Organisationsformen wie der Na- tionale Kohorte e. V., die Deutschen Zentren der Ge- sundheitsforschung oder internationale ESFRI-Einrich- tungen (X‑FEL oder FAIR) entstanden, die an bestehen- de Zentren angegliedert wurden. Auch im Hinblick auf die Governance dieser neuen Formen in ihrer Wechsel- wirkung mit den bestehenden „Altstrukturen“ stellen sich Fragen, die heute wohl nur unzureichend beantwor- tet werden können. Festzustellen ist eine Tendenz, die Lösung dieser Fragen unter dem Dach öffentlich-rechtli- cher Organisationsformen zu suchen. Sowohl das KIT als auch das künftige BIG werden als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert. Ob auf diesem Weg die Governance-Fragen zufriedenstellend beantwortet wer- den können, wird die Zukunft dieser Institutionen zeigen.
IV. Privatrechtsform von Wissenschaftseinrichtungen und wissenschaftsadäquate Governance
In einer Art Zwischenfazit kann festgestellt werden, dass es de facto viele privatrechtlich organisierte Wissen- schaftseinrichtungen im deutschen Wissenschaftssystem gibt und dass bei Neugründungen oder der Überfüh- rung von Kooperationen in eigene Rechtspersönlichkei- ten gerne auf die bewährten Rechtsformen des Privat- rechts zurückgegriffen wird. Es bestehen jedoch im Hin- blick auf die Ausgestaltung dieser Rechtsformen erhebliche Unsicherheiten. Das betrifft sowohl die recht- lichen Grenzen der Gestaltungsfreiheit als auch die Eta- blierung einer geeigneten Governance zur bestmögli- chen Verfolgung der wissenschaftlichen Aufgabenstel- lung der jeweiligen Organisation. Auch im Sinne der Entwicklung neuer Kooperationsformate und Verbund- strukturen auf nationaler und internationaler Ebene25 wäre die vertiefte Bearbeitung dieser Fragestellungen eine lohnenswerte Aufgabe und von hoher praktischer Relevanz.
Die Vorteile der privatrechtlichen Organisationsfor- men von Wissenschaftseinrichtungen sind darin zu se- hen, dass für aktuelle wissenschaftliche Fragestellungen schnell neue Einheiten ins Leben gerufen werden kön- nen, die auf die besondere Fragestellung zugeschnitten sind. Solche Einheiten haben eine dem Grunde nach
- 25 Diesen Bedarf unterstreicht auch der Wissenschaftsrat, aaO. (Fn. 8) unter C.V., 88 ff.
- 26 Zuletzt wieder Mittelstrass: Die Verhältnisse zum Tanzen bringen, FAZ vom 22.9.2014, 6.
- 27 Darauf weist auch schon Meusel hin, aaO. (Fn. 12), Rn. 21.
- 28 Beispiele: Eingliederung der GMD in die FhG 2001, Fusion Bessy– HMI 2007, Gründung von JARA 2007, Fusion der Universität Karlsruhe mit dem FZK zum KIT 2009, DESY – XFEL als inter- nationale Erweiterung 2009, Vorhaben der Gründung des BIG
zeitlich begrenzte Existenzberechtigung und können in die Lage versetzt werden, mit den zur Verfügung gestell- ten Ressourcen ihre Ziele schnell und effizient zu verfol- gen. Die mit dem Privatrecht verbundenen Prinzipien der „unternehmerischen“ Handlungsfreiheit auf der ei- nen und der zivilrechtlich Verantwortlichkeit (Haftung) auf der anderen Seite wirken sich auch im Wissenschafts- bereich aus. Auf diese Weise wird die öffentliche Hand von eigenen Handlungszwängen entlastet und zugleich eine Risikobeschränkung erreicht. Von daher eignet sich die privatrechtliche Organisationsform besonders für missions- und aufgabengetriebene Forschungsaktivitä- ten sowie für den Betrieb großer Forschungsinfrastrukturen.
Es wird immer wieder kritisiert, dass sich die ge- nannten Vorteile in der Praxis nicht realisieren lassen.26 Eine „spektakuläre“ Schließung einer größeren Einrich- tung hat in der Tat noch nicht stattgefunden. Das liegt u.a. wohl auch daran, dass auf der haushaltsrechtlichen Governance-Ebene viele Elemente des öffentlichen Be- reichs eingeführt wurden, die eine Schließung extrem teuer und zum Teil unmöglich machen.27 Exemplarisch sei nur auf die gemeinsamen Berufungen der leitenden Wissenschaftler mit den Universitäten hingewiesen. Ihre Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit haben jedoch vie- le Einrichtungen eindrucksvoll unter Beweis gestellt.28 Die Governance der außeruniversitären Forschungsein- richtungen hat sich also bei allem Verbesserungsbedarf als funktionsfähig und effizient erwiesen.
In den vergangenen Jahren gab es zwei wichtige Im- pulse, die die eigenverantwortliche Handlungsweise und privatrechtlich ausgestaltete Governance der außeruni- versitären Forschungseinrichtungen gestärkt haben: das Wissenschaftsfreiheitsgesetz, das im Rahmen der Um- setzung des Koalitionsvertrages für die 17. Legislaturpe- riode („Wissenschaftsfreiheitsinitiative“) am 12.12.2012 in Kraft getreten ist, und der Public Corporate Gover- nance Kodex (PCGK), der in der aktuellen Fassung am 1.Juli 2009 von der Bundesregierung verabschiedet wurde.29
Das Wissenschaftsfreiheitsgesetz hat den außeruni- versitären Forschungseinrichtungen auf der Gover- nance-Ebene der haushalts- und zuwendungsrechtli- chen Steuerung mehr Freiräume in Personal‑, Finanz-
zwischen MDC und Charité 2013. Weitere Beispiele, wenngleich mit kritischem Unterton, bei Hohn, Handbuch für Wissenschafts- politik (Fn.6), 469 ff.
29 Vgl. Bundesministerium der Finanzen, Information zum Thema Bundesvermögen, URL: http://www.bundesfinanzministerium. de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Bundesvermoegen/ Privatisierungs_und_Beteiligungspolitik/Grundsaetze_guter_Un- ternehmensfuehrung/unternehmensfuehrung-in-oeffentlichen- unternehmen.html (22.10.2014).
6 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2015), 1–10
und Bauangelegenheiten zugestanden: nach Maßgabe der jährlichen Haushaltsgesetze sind Betriebs- und In- vestitionsausgaben nun vollständig gegenseitig de- ckungsfähig und zugewiesene Mittel können über das laufende Wirtschafts-/Haushaltsjahr in Anspruch ge- nommen werden (Globalhaushalt). Weiterhin wurde das Besserstellungsverbot gelockert, so dass aus nicht-öf- fentlich finanzierten Drittmittelgehälter gezahlt werden können, die marktgerecht sind. Die im Geltungsbereich des Gesetzes genannten Forschungseinrichtungen profi- tieren außerdem von einer Lockerung der Vorschriften für Beteiligungsvorhaben und können Baumaßnahmen mit einer Größe von 1 bis 5 Mio. € ohne Begleitung der staatlichen Bauverwaltung umsetzen, vorausgesetzt ein adäquates Controlling ist gewährleistet.30
Weniger Beachtung hat der PCGK gefunden. Er stellt eine Leitlinie für die Unternehmen dar, an denen der Bund mehrheitlich beteiligt ist. Nach dem Wortlaut des PCGK und nach dem erklärten Willen der Bundesregie- rung ist dieses Normenwerk auch auf die außeruniversi- tären Wissenschaftseinrichtungen anzuwenden, soweit sie als Kapitalgesellschaften organisiert sind.
Der PCGK stellt Leitlinien für die gute Unterneh- mensführung auf. Er orientiert sich an anderen Leitlini- en zur „best practice“, die im privatwirtschaftlichen Sek- tor für Kapitalgesellschaften entwickelt wurden. Der Ge- staltungsspielraum, den die jeweiligen gesetzlichen Grundlagen (Aktiengesetz, GmbH-Gesetz etc.) einräu- men, wird konkretisiert, die Rollenbilder der handeln- den Organe definiert und ihr Zusammenwirken im Rah- men der Unternehmung näher bestimmt. Im PCGK werden daher die Anforderungen an das privatrechtliche Auftreten der öffentlichen Hand ausformuliert, zumin- dest in Bezug auf die organisationsrechtliche Ausgestal- tung der Organe von Kapitalgesellschaften. Die betroffe- nen Unternehmen sind zur regelmäßigen Berichterstat- tung über die Einhaltung des PCGK verpflichtet.
Die Aufforderung der Bundesregierung, den PCGK auch in den als Kapitalgesellschaften organisierten Wis- senschaftseinrichtungen umzusetzen, war Chance und Herausforderung zugleich, die Governance dieser Ein- richtungen zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Bis- lang ist diese Herausforderung allerdings nur unzurei- chend bewältigt worden. Wurde der PCGK zunächst im Wissenschaftsbereich gar nicht zur Kenntnis genom- men, versuchte man später, als die Verankerung des PCGK in den Satzungen und die Erfüllung entsprechen-
- 30 Überblick auch bei Horváth, Strategie, Steuerung und Gover- nance außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, ZfB Sonder- ausgabe 1/2013, 17.
- 31 Z.B. Satzung des Helmholtz Zentrum Potsdam – Deutsches Geo-
der Berichtspflichten eingefordert wurden, schnell die formalen Anforderungen zu erfüllen ohne jedoch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Leitbild des PCGK und seine Anwendung im Wissenschaftsbereich zu wagen. Hier hat sich die bereits oben konstatierte Ver- unsicherung im Umgang mit der Privatrechtsform be- sonders deutlich gezeigt. Die Folge war, dass relativ un- differenziert die Berichtspflichten des PCGK in die Sat- zungen einiger Helmholtz Einrichtungen aufgenommen wurden, die keine Kapitalgesellschaften, ggf. nicht ein- mal privatrechtlich organisiert sind.31 Bei anderen pri- vatrechtlich organisierten Wissenschaftsorganisationen, wie der Max-Planck-Gesellschaft oder der Fraunhofer Gesellschaft, wurde das Thema dem Vernehmen nach überhaupt nicht diskutiert.
Die gründliche Auseinandersetzung mit dem PCGK, in dem das Rollenbild öffentlich-rechtlicher Gesellschaf- ter in privatrechtlichen Gesellschaften idealtypisch dar- gestellt wird, wäre für den Wissenschaftsbereich eine Be- reicherung. Dabei könnten einerseits die möglichen Ge- staltungsfreiheiten bei der Gründung und Steuerung von privatrechtlichen Einrichtungen ausgelotet werden, die von der öffentlichen Hand ins Leben gerufen werden. Andererseits müssten spezifisch für Wissenschaftsein- richtungen die Gestaltungsanforderungen konkretisiert werden, die aus der Wissenschaftsfreiheit resultieren. Sie setzen den privatrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten Grenzen. In diesem Dialog ist zu konkretisieren, wie eine privatrechtliche Governance-Struktur mit den An- forderungen an einen freiheitlichen Wissenschaftsbe- trieb, wie er von Art. 5 III Satz 1 GG gefordert wird, in Einklang gebracht werden kann.
V. Zentrale Elemente der privatrechtlichen Gover- nance von Wissenschaftseinrichtungen
Aus der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfas- sungsgerichts lassen sich für diese Fragestellung einige Grundelemente ableiten. In dem Beschluss vom 20. Juli 2010 zum Hamburgischen Universitätsgesetz32 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die organisations- rechtlichen Anforderungen aus Art. 5 III Satz 1 GG wei- terentwickelt. Sie beziehen sich im konkreten Fall auf die direkte gesetzgeberische Gestaltung des öffentlich-recht- lichen Hochschulbereichs. Das Gericht gesteht der öffentlichen Hand eine große Gestaltungsfreiheit zu, die auch die privatrechtliche Ausgestaltung von Wissen-
ForschungsZentrum GFZ, Stiftung des öffentlichen Rechts.
32 BVerfG, 1 BvR 748/06, Beschluss 20.7.2010; siehe dazu auch die zustimmenden Besprechungen von Gärditz, JZ 2011, 314 ff. und
von Hufen, JuS 2011, 1052, kritisch Sieweke, DÖV 2011, 472 ff.
Blum · Governance privatrechtlich organisierter Forschungseinrichtungen 7
schaftseinrichtungen umfasst. Die Bindung an den orga- nisationsrechtlichen Gehalt von Art. 5 III Satz 1 GG als wertentscheidender Grundsatznorm der Verfassung besteht für die öffentliche Hand aber auch im privat- rechtlichen Bereich. Die wissenschaftsadäquate Ausge- staltung der Governance muss in jedem Fall gewährleis- tet sein. Es kann an dieser Stelle nicht im Einzelnen untersucht werden, in welcher Weise die für den Hoch- schulbereich geltenden Grundsätze auf privatrechtliche Wissenschaftseinrichtungen übertragbar sind und in wie weit sie den veränderten Rahmenbedingungen ange- passt werden müssen. Hier sollen abschließend nur eini- ge Elemente der privatrechtlichen Organisationsform angesprochen werden, die bei der wissenschaftsadäqua- ten Ausgestaltung zentrale Bedeutung haben. Ihre Aus- balancierung ist entscheidend, um einerseits die unter- nehmerische Handlungsmöglichkeit der Organisation zur Geltung kommen zu lassen und andererseits die sich aus der Wissenschaftsfreiheit ergebenden Beteiligungs- rechte der Wissenschaftler zu gewährleisten.
1. Das Exekutivorgan
Aufgaben- und missionsgetriebene Wissenschaftsorga- nisationen benötigen ein entscheidungs- und hand- lungsfähiges Exekutivorgan. Dieses Organ, in der Regel ein Kollegialorgan mit mehreren Mitgliedern, hat die Funktion, die Strategie der Organisation auszuarbeiten und umzusetzen. Daran werden die Mitglieder des Exe- kutivorgans gemessen und tragen für Erfolge und Miss- erfolge die Verantwortung. In den privatrechtlichen Organisationsformen können die Ausgestaltung der Handlungsfreiheit, das persönliche Risiko und die haf- tungsrechtliche Situation der handelnden Personen maßgeschneidert für die jeweilige Organisation ausgear- beitet werden.
Allerdings sollten auch innerhalb des Privatrechts die Charakteristiken der unterschiedlichen Rechtsformen beachtet werden. Nicht immer bietet z. B. die einfach zu realisierende Rechtsform des eingetragenen Vereins die geeignete Struktur für eine neue Wissenschaftsorganisa- tion. Beim Verein ist der Vorstand von der Meinungsbil- dung der Vereinsmitglieder abhängig. Sind die Interes- sen der Mitglieder nicht homogen oder sogar gegenläu- fig, kann es zu lähmenden Konfliktlagen kommen. Es sollte daher gut überlegt werden, ob diese Rechtsform
33 Über eine aktive Ausübung der Aufsichtsfunktion könnte z.B. die oben erwähnte zweite Governance-Ebene des Haushaltsrechts hinfällig werden und die immer wieder auftretenden Unstimmig- keiten vermieden werden.
für eher projektartige Forschungsvorhaben, bei denen Investitions- und Zeitpläne eingehalten werden müssen, wirklich geeignet sind.
2. Das Aufsichtsorgan
Einem handlungsfähigen Exekutivorgan sollte immer ein qualifiziertes Aufsichtsorgan zur Seite gestellt wer- den. Dabei ist zu beachten, dass sich das Verständnis von Aufsicht in öffentlich-rechtlich und privatrechtlich geprägten Organisationen grundlegend unterscheidet. Die klar definierten Rollen der Fach- und Rechtsaufsicht im öffentlich-rechtlichen Bereich sind mit dem moder- nen Rollenverständnis von Aufsichtsräten in privat- rechtlichen Organisationen nicht kompatibel. Letzteres ist im PCGK anschaulich beschrieben. Die Rolle des Aufsichtsgremiums erschöpft sich eben nicht in einer Kontrollfunktion wie bei der Rechtsaufsicht, sondern sieht das Gremium in einer aktiven Verantwortung für die Entwicklung der Organisation, als moderierendes und ausgleichendes Element gegenüber dem im Tages- geschäft gefangenen Exekutivorgan. Die Chancen, die sich mit diesem Rollenverständnis verbinden, sind den Vertretern der öffentlichen Gesellschafter in den privat- rechtlichen Wissenschaftseinrichtungen nicht immer präsent.33
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, über eine entsprechende Besetzung des Aufsichtsgremiums auch ein Element der Mitbestimmung in die Governance- Struktur einzuführen, indem z.B. unabhängige oder aus der Organisation benannte Wissenschaftler als Auf- sichtsratsmitglieder die Entscheidungen des Exekuti- vorgans überwachen.34
3. Beteiligung weiterer „Stakeholder“
Die Einbeziehung weiterer Interessensgruppen in die Beratungs- und Entscheidungsprozesse einer Wissen- schaftseinrichtung, die in den Hochschulgesetzen z.B. durch die Etablierung von Hochschulräten Einzug gefunden hat, lässt sich in privatrechtlicher Form sehr einfach durch die Konstituierung von Beiräten oder Kuratorien erreichen. Ob das sinnvoll ist und solche Gremien einen Beitrag zur effektiven und effiziente Ver- folgung der Mission leisten, muss im jeweiligen Einzel- fall entschieden werden. Die Qualitätssicherung kann ggf. auch durch externe Evaluierungen erfolgen.
34 Von dieser Möglichkeit wird in vielen Wissenschaftseinrichtun- gen bereits Gebrauch gemacht.
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4. Beteiligung der betroffenen Wissenschaftler und Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit
Die zentrale Frage bei der privatrechtlichen Organisati- on ist, wie weit betroffene Wissenschaftler in die Ent- scheidungsprozesse einbezogen werden müssen und was wissenschaftlicher Selbstverwaltung in diesem Kontext sowohl in materieller als auch prozessualer Hinsicht bedeutet. Nach den Ausführungen des BVerfG im Beschluss zum Hamburgischen Universitätsgesetz ist entscheidend, dass ein „hinreichendes Niveau der Parti- zipation der Grundrechtsträger“35 gewährleistet ist. Ein starkes und entscheidungsbefugtes Leitungsorgan ist nicht von vorneherein durch die Wissenschaftsfreiheit ausgeschlossen. „Je stärker jedoch der Gesetzgeber das Leitungsorgan mit Kompetenzen ausstattet, desto stär- ker muss er im Gegenzug die direkten oder indirekten Mitwirkungs‑, Einfluss‑, Informations- und Kontroll- rechte der Kollegialorgane ausgestalten, damit Gefahren für die Freiheit von Lehre und Forschung vermieden werden“.36 Es darf nach den Worten des BVerfG nicht zu einer strukturellen Gefährdung der Wissenschaftsfrei- heit37 kommen.
Eine im Sinne der Wissenschaftsfreiheit ausbalan- cierte Governance verlangt also nicht eine Beteiligung von Wissenschaftlern an allen Entscheidungen, schon gar nicht eine mehrheitliche Besetzung aller Entschei- dungsorgane durch Wissenschaftler. Vielmehr muss ein ausgewogenes Gesamtgefüge38 bestehen, das strukturell die Wissenschaftsfreiheit schützt. Um dies im Einzelfall zu beurteilen, müssen zutreffender Weise die Entschei- dungsbefugnisse und ‑prozesse genau analysiert werden. Zwischen der Entscheidung selbst, der Mitbestimmung oder Mitwirkung bei dem Entscheidungsfindungspro- zess und der Begleitung der Entscheidungsumsetzung sollte differenziert werden.39 So dürfte es beispielsweise unter dem Gesichtspunkt der Wissenschaftsfreiheit nicht zu beanstanden sein, dass in der Helmholtz-Ge- meinschaft die letzte Entscheidung über die Forschungs- programme einem eher politisch besetzten Gremium zusteht, solange gewährleistet ist, dass der Prozess der Aufstellung und Evaluierung der Programme in der Hand der Wissenschaft liegt. Bei der Gestaltung der in- ternen Governance gibt es durchaus verschiedene Opti- onen, eine angemessene strukturelle Beteiligung der
- 35 BVerfG, aaO. (Fn. 32), amtlicher Leitsatz und Rz 92.
- 36 BVerfG, aaO. (Fn. 32), Rz 95.
- 37 Vgl. BVerfG, aaO. (Fn. 32), Rz 90; siehe auch BVerfG, 26.10.2004,1 BvR 911/00, BVerfGE 111, 333 (335).
- 38 Das Bundesverfassungsgericht stellt in seinem Beschluss zumHamburgischen Hochschulgesetz auf das „hochschulorganisatori-
Wissenschaft zu gewährleisten, ohne die Entscheidungs- befugnisse und Verantwortlichkeiten des Exekuti- vorgans zu stark einzuschränken.40 In formaler Hinsicht muss nicht jeder Entscheidungsprozess auf der Ebene der Satzung oder des Gesellschaftsvertrags festgeschrie- ben, sondern kann auch in Geschäftsordnungen veran- kert sein.
Auch inhaltlich müssen die Beteiligungserfordernis- se der Wissenschaft konkretisiert werden. Nicht jede Entscheidung, die ein Exekutivorgan treffen muss, tan- giert die Freiheit der wissenschaftlichen Arbeit. Für die Kernbereiche der Wissenschaftsfreiheit muss dagegen die Partizipation der Wissenschaft sichergestellt sein. Als solche können insbesondere bezeichnet werden:
• Die Festlegung der Forschungsinhalte, der wissen- schaftlichen Vorgehensweise und der angewandten Methoden
• Die Entscheidung über die Veröffentlichung und Weitergabe von Forschungsergebnissen
• Die Beurteilung (Evaluation) von wissenschaftli- chen Leistungen – auch und insbesondere, wenn die Beurteilung als Grundlage für Mittelzuweisungen dient.
• Die Auswahl der wissenschaftlichen Führungskräf- te (Berufungsverfahren, Fachbereichsleitungen etc.) • Die Auswahl und Ausgestaltung der Zusammenar- beit mit wissenschaftlichen Kooperationspartnern
• Die wissenschaftsadäquate Ausgestaltung von Anreiz– und Belohnungssystemen
• Die Verteilung und Zuweisung von Forschungsmit- teln (Partizipation in Form von Beteiligungs- und Kontrollrechten)
VI. Fazit
Die Privatrechtsform bietet eine Vielzahl von Gestal- tungsmöglichkeiten für Wissenschaftseinrichtungen. Es eröffnen sich neue Perspektiven für Kooperationen und Verbünde auf nationaler und internationaler Ebene. Insbesondere können dem jeweiligen Einrichtungs- zweck angepasste Governance-Strukturen entwickelt werden. Allerdings müssen die Grenzen konkretisiert werden, die sich in organisatorischer Hinsicht aus der Wissenschaftsfreiheit ergeben. Es bleibt zu wünschen,
sche Gesamtgefüge“ ab (vgl. BVerG, aaO. (Fn. 32), Rz 129).
39 So auch Zechlin, Was ist gute Hochschulgovernance?, Forschung
& Lehre, Ausgabe 7/14, 550.
40 Vgl. Puchta, aaO. (Fn. 6), 109 ff, zur Einrichtung eines „Strategy
Board“ 118; Blum, aaO. (Fn. 22), 22 ff.
Blum · Governance privatrechtlich organisierter Forschungseinrichtungen 9
dass sich Lehre und Praxis des Wissenschaftsrechts die– Der Autor ist Kaufmännischer Geschäftsführer des
ser Fragen annehmen. Die Ergebnisse würden dem deutschen Wissenschaftssystem insgesamt zugutekom- men und es in seiner Diversität stärken.
Helmholtz Zentrums München.
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