Die baden-württembergische Hochschulreformgesetz- gebung hat in den vergangenen 20 Jahren ein neues Steu- erungsmodell für das Verhältnis des Landes zu seinen Hochschulen entwickelt. Dieses überträgt in einem ers- ten Schritt bislang vom Land wahrgenommene hoch- schulrechtliche Aufgaben auf die Hochschulen. Wesent- liche Bereiche sind die „Delegation von Entscheidungs- zuständigkeiten auf die Hochschulen, Aufhebung von Zustimmungsvorbehalten und Tatbeständen der Fach- aufsicht sowie der Einstieg in eine Haushaltsglobalisie- rung und leistungsbezogene Mittelverteilung“.1 Rektorat und Dekanat werden hierbei ganz wesentlich gestärkt, das Rektorat ist zudem professionalisiert worden. Ihnen obliegt nun als Leitungsorganen in diesen Bereichen die Wahrnehmung von Aufgaben, die das Land bisher in seiner Verantwortung für die Hochschulen vollzogen hat.
Verfassungsrechtlich ebenso wie politisch ist es nicht angängig, dass sich das Land zu weitgehend aus seiner Verantwortung für die Hochschulentwicklung zurück- zieht. Die Hochschulreform in Baden-Württemberg hat daher in einem zweiten Schritt das alte hierarchische durch ein neues kooperatives Steuerungsmodell abgelöst. In diesem kooperativen Steuerungsmodell erhalten zwar das Rektorat und das Dekanat neue, bisher vom Land wahrgenommene Kompetenzen. In wichtigen Berei- chen, wie etwa der Struktur- und Entwicklungsplanung oder bei der Bestellung und Abberufung der hauptamtli- chen Leitungsorgane, erfolgt nunmehr eine kooperative,
Dieser Beitrag beruht auf Überlegungen des Verfassers, die in einem Rechtsgutachten für die Landesrektorenkonferenz Baden- Württemberg entwickelt wurden.
- 1 Vgl. den eindrucksvollen Überblick über Einzeländerungen bei Haug, Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg, 2. Aufl. 2009, Einführung, Rn. 4 ff.; Sandberger, Landeshochschulgesetz Baden- Württemberg, 2. Aufl. 2015, Einl. Rn. 5; König, Länderstudie Baden-Württemberg, in: Institut für Hochschulforschung an der Universität Halle-Wittenberg (Hg.), Steuerungsinstrumente auf der Ebene Land-Hochschule, 2007, S. 40 ff.; In der Smitten/Jaeger, Ziel- und Leistungsvereinbarungen als Instrument der Hochschul- finanzierung, in: HIS. Forum Hochschule 16/2012.
- 2 Vom 1. April 2014, GBl. S. 99.
- 3 StGH BW Az. 1VB 16/15.
auf Verständigung angelegte Kompetenzausübung ge- meinsam mit dem Land.
Dieses neue Steuerungsmodell ist, wie auch die Steu- erungsmodelle anderer Bundesländer, auf den Prüfstand verfassungsgerichtlicher Kontrolle gestellt worden. Mit einer Gesetzesverfassungsbeschwerde zum Staatsge- richtshof Baden-Württemberg ist die Verfassungswid- rigkeit der im Landeshochschulgesetz (LHG) in der Fas- sung des Dritten Gesetzes zur Änderung hochschul- rechtlicher Vorschriften (Drittes Hochschuländerungs- gesetz)2 geregelten Hochschulorganisation gerügt worden.3 Die angegriffenen Vorschriften betreffen die enumerative Aufzählung der Zuständigkeiten des Rekto- rats, die Wahl und die Abberufung der hauptamtlichen Rektoratsmitglieder, die Zuständigkeiten des Senats so- wie die Regelung dessen Amtsmitglieder, einzelne Zu- ständigkeiten des Dekanats, die Wahl sowie die Abwahl des Dekans sowie die Beratungskompetenz des Fakul- tätsrates. Alle diese Vorschriften werden für unvereinbar mit Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gehalten, der über Art. 2 Abs. 1 Landesverfassung Baden-Württemberg (LVerf) zur An- wendung gelangt.4
Dies ist Anlass, sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Maßstäben einer grundgesetzkonformen Hochschulorganisation zu be- fassen (I.) und anhand dieser Maßstabsbildung nach der Verfassungskonformität des Hochschulorganisations- rechts in Baden-Württemberg (II.) zu fragen.
4 Auf die Frage, in welchem Verhältnis die Grundrecht des
Art. 5 Abs. 3 GG zum landesverfassungsrechtlichen, über
Art. 2 Abs. 1 LVerf rezipierten Grundrecht der Wissenschafts‑, Forschungs- und Lehrfreiheit steht, wird nicht eingegangen.
Vgl. hierzu StGH BW, Urteil vom 17.6.2014, 1 VB 15/13, S. 79 f. des Umdrucks; Voßkuhle, Die Landesverfassungsgerichtsbarkeit im föderalen und europäischen Verfassungsverbund, in: Jahrbuch des Öffentlichen Rechts, Bd. 59 (2011), S. 215, 229 ff.; Dietlein, Die Rezeption von Bundesgrundrechten durch Landesverfassungs- recht, AöR 120 (1995), S. 1 ff.; Nordmann, „Rezipierte“ Grund- rechte für Schleswig-Holstein, NordÖR 2009, 97, 99 ff.; Löwer, Das Selbstverwaltungsrecht der Hochschulen nach Landesverfassungs- recht als Erscheinungsform funktionaler Selbstverwaltung, in: Festschrift für Wendt, 2015, S. 285 ff.
Thomas Würtenberger
Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Hochschulleitung im Landeshochschulgesetz von Baden-Württemberg
Ordnung der Wissenschaft 2016, ISSN 2197–9197
2 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2016), 1–18
I. Zur Ausdifferenzierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Hochschulorganisationsrecht
am Maßstab des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG durch
das Bundesverfassungsgericht
In seinem Urteil zum niedersächsischen Vorschaltgesetz hat das Bundesverfassungsgericht vor über 40 Jahren eine Organisation der Hochschulen gefordert, die das individuelle Grundrecht der freien wissenschaftlichen Betätigung so weit als möglich verwirklicht.5 In der Fol- gezeit blieben Verfassungsbeschwerden gegen die Hoch- schulorganisation meist erfolglos. Das neue Modell der Hochschulorganisation mit starken, oftmals monokrati- schen Leitungsorganen an der Spitze der Hochschule und auf Ebene der Fachbereiche6 hat allerdings zu Geset- zesverfassungsbeschwerden geführt, denen das Bundes- verfassungsgericht durch eine differenzierte Fortent- wicklung der Partizipationsrechte von Vertretungsorga- nen an Leitungsentscheidungen der Hochschule in einem begrenztem Umfang abgeholfen hat.
Will man den Stand der Rechtsprechung des Bundes- verfassungsgerichts zu den verfassungsrechtlichen Vor- gaben für gesetzliche Regelungen der Kompetenzen der Hochschulleitung bestimmen, so darf nicht an einer ein- zelnen oder einigen wenigen Entscheidungen angesetzt werden. Aufgabe ist vielmehr, induktiv aus der Recht- sprechung des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Problembereich jene verfassungsrechtlichen Maßstäbe herzuleiten, die die verfassungsgerichtliche Rechtspre- chung leiten.7 Die Verfassungsmäßigkeit von Regelun- gen der hochschulrechtlichen Leitungsebene bestimmt sich nach folgenden verfassungsrechtlichen Rahmenset- zungen, die das Bundesverfassungsgericht8 in seiner jün- geren Rechtsprechung vorgegeben hat:
1. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG als objektive Grundsatznorm
Wissenschaft als ein von Fremdbestimmung freier Raum autonomer Verantwortung bedarf eines umfänglichen rechtlichen Schutzes. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gewährleistet
- 5 BVerfGE 35, 79 ff.
- 6 Sandberger, Die Neuordnung der Leitungsorganisation der Hoch-schulen durch die Hochschulrechtsnovellen der Länder, WissR 44 (2011), S. 118 ff., 131 (zur Begrenzung der Zuständigkeiten der Hochschulsenate); kritisch zu dieser Entwicklung Löwer, „Starke Männer“ oder „starke Frauen“ an der Spitze der Universität?, in: Ruffert (Hrsg.), Recht und Organisation, 2003, S. 25, 30 ff.
- 7 Grundlegend zu dieser induktiven Methode: Tanneberger, Die Sicherheitsverfassung, 2014, S. 56 ff.
- 8 BVerfG Beschluss vom 26.10.2004, 1 BvR 911/00, 927/00,
928/00; BVerfG Beschluss vom 20.7.2010, 1 BvR 748/06; BVerfG Beschluss vom 24.6.2014, 1 BvR 3217/07; BVerfG Beschluss vom 12.5.2015, 1 BvR 1501/13, 1682/13; zusammenfassende Darstel- lung und Würdigung bei Miechielsen, Hochschulorganisation und Wissenschaftsfreiheit, 2013, S. 68 ff., 82 ff.; ausführlich zur Verfas-
nicht allein ein Abwehrrecht gegen Eingriffe in die Frei- heit von Forschung und Wissenschaft. Er ist zugleich eine objektive wertentscheidende Grundsatznorm9 , die rechtlicher Ausgestaltung bedarf. Diese zielt darauf, dass der Staat durch geeignete organisatorische Maßnahmen für die Funktionsfähigkeit der Institutionen eines freien Wissenschaftsbetriebes sorgt und dabei den Wissen- schaftlern die „Teilhabe am Wissenschaftsbetrieb“10 ermöglicht. Dabei hat der Gesetzgeber dafür Sorge zu tragen, dass das Grundrecht auf freie wissenschaftliche Betätigung nur durch konkurrierende Grundrechte der verschiedenen Beteiligten sowie durch die von den Uni- versitäten zu verfolgenden legitimen Aufgaben, vor allem der Berufsausbildung, begrenzt wird.11
2. Der grundsätzlich weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Regelung
des Hochschulorganisationsrechts
Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber verfügt bei der Regelung des Hochschulorganisationsrechts grund- sätzlich über einen weiten Gestaltungsspielraum. An überkommene Modelle des Hochschulorganisations- rechts ist er nicht gebunden.12 Gemäß seiner jeweiligen hochschulpolitischen Auffassung regelt er die Binnenor- ganisation von Hochschulen, die Legitimation und Ver- antwortung der einzelnen Hochschulorgane, die Bewirt- schaftung der Hochschulhaushalte und anderes mehr.
3. Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit in
einem rechtlichen Gesamtgefüge strukturell freier wissenschaftlicher Betätigung und Aufgabenerfüllung
Wissenschaftsfreiheit muss sich in einem organisations- rechtlichen Gesamtgefüge entfalten, „in dem Entschei- dungsbefugnisse und Mitwirkungsrechte, Einflussnah- me, Information und Kontrolle durch die wissenschaft- lich Tätigen so beschaffen sind, dass Gefahren für die Freiheit von Forschung und Lehre vermieden werden“.13 Diese grundrechtlich gebotene Sicherung der Wissen- schaftsfreiheit verlangt organisationsrechtliche Regelun-
sungskonformität von neuen Kompetenzen für die Hochschullei- tung: Fehling, Neue Herausforderungen an die Selbstverwaltung in Hochschule und Wissenschaft, Die Verwaltung 35 (2002),
399 ff.; Görisch, Wissenschaftsfreiheit und Hochschulmanage- ment, DÖV 2003, 583 ff.; Smedding, Die deregulierte Hochschule, DÖV 2007, 269 ff.
9 BVerfGE 35, 79, 112; BVerfG 1 BvR 748/06 Rn. 88, — st. Rspr.; Mager, Freiheit von Forschung und Lehre, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, 3. Aufl. 2009, § 166 Rn. 21 ff.
10 Zu dieser Teilhabeseite der Wissenschaftsfreiheit: BVerfG 1 BvR 1501/13, 1682/13, Rn. 68.
11 BVerfG 1 BvR 748/06 Rn. 88.
12 BVerfGE 35, 79, 116, 120; BVerfG 1 BvR 748/06 Rn. 93. 13 BVerfG 1 BvR 1501/13, 1682/13 Rn. 68.
Würtenberger · Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Hochschulleitung 3
gen, kraft derer die in der Hochschule tätigen Wissen- schaftler über ihre Vertretungen in den Gremien Gefähr- dungen der Wissenschaftsfreiheit abwehren und ihre Vorstellungen einer gelebten Wissenschaftsfreiheit in die Hochschulorganisation einbringen können. Demgemäß müssen die Regelungen der hochschulinternen Willens- bildung die Voraussetzungen dafür schaffen, dass in der Hochschule freie Wissenschaft ungestört betrieben wer- den und wissenschaftsinadäquate Entscheidungen ver- mieden werden.14
In dieser Perspektive geht es nicht allein um Einzelre- gelungen, die möglicherweise die Wissenschaftsfreiheit beeinträchtigen könnten. Es geht vielmehr um eine Ge- samtsicht auf das hochschulrechtliche Gesamtgefüge mit seinen unterschiedlichen Entscheidungskompetenzen, mit seinem verfahrensrechtlich geordneten Zusammen- spiel von Leitungs- und Vertretungsorganen sowie dem Land und nicht zuletzt mit all seinen unterschiedlichen Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten.15 Dieses äußerst komplexe Gesamtgefüge ist von checks and balances ge- genseitiger Kontrolle ebenso wie von vertrauensvoller wissenschaftsadäquater Zusammenarbeit bestimmt. Die Finalität des baden-württembergischen Hochschulorga- nisationsrechts zielt, wie in Folgendem entwickelt, auf ein wissenschaftsadäquates Hochschulorganisations- recht, das den Leitungsorganen jene Kompetenzen gibt, derer die Hochschulführung zur Bewältigung der vielfäl- tigen Aufgaben bedarf, und das den Vertretungsorganen jene Mitwirkungs- und Einflussmöglichkeiten gibt, de- rer gelebte Wissenschaftsfreiheit in der Hochschule bedarf.
Um dies weiter zu präzisieren: Organisationsnormen sind dann nicht mehr mit Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vereinbar, wenn die freie wissenschaftliche Betätigung und Aufga- benerfüllung strukturell gefährdet erscheint, weil wis- senschaftsinadäquate Entscheidungen zu befürchten sind.16 Eine solche strukturelle Gefährdung wird ausge- schlossen, wenn im „wissenschaftsorganisatorischen Ge- samtgefüge“ ein hinreichendes Maß an Mitwirkung von Wissenschaftlern an der Planung der Hochschulent- wicklung und einzelner Hochschuleinrichtungen, an al- len den Wissenschaftsbetrieb prägenden Entscheidun- gen über die Organisation und den Haushalt sowie am hochschulinternen Satzungsrecht besteht. Die Gewich- tigkeit der zu treffenden Entscheidung für die Verwirkli- chung von Wissenschaftsfreiheit spielt bei den erforder- lichen Abwägungen naturgemäß eine zentrale Rolle.
- 14 BVerfG 1 BvR 911/00, 927/00, 928/00 Rn. 156.
- 15 BVerfG 1 BvR 748/06 Rn. 92; BVerfG 1 BvR 911/00, 927/00,928/00 Rn. 158.
- 16 BVerfG 1 BvR 748/06 Rn. 92.
Leitgedanke ist dabei, die Wissenschaftler nicht allein vor wissenschaftsinadäquaten Entscheidungen zu schüt- zen. Sie sollen darüber hinaus ihre fachliche Kompetenz zur Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit in die Hochschule einbringen können.
Für das Hochschulorganisationsrecht ist seit jeher die Abschichtung von Leitungsorganen und Vertretungsorga- nen unter Beteiligung von Wissenschaftlern strukturprä- gend. Ein Vorrang von Vertretungsorganen gegenüber Leitungsorgan besteht nicht. Der Gesetzgeber ist nicht daran gehindert, den Leitungsorganen umfangreiche Kompetenzen im Wissenschaftsbereich einzuräumen.17 „Die Zuweisung von Entscheidungsbefugnissen an Lei- tungsorgane darf jedoch nur in dem Maße erfolgen, wie sie inhaltlich begrenzt und organisatorisch so abgesi- chert ist, dass eine strukturelle Gefährdung der Wissen- schaft ausscheidet.“18 Im hochschulrechtlichen Gesamt- gefüge müssen „Entscheidungsbefugnisse und Mitwir- kungsrechte, Einflussnahme, Information und Kontrolle so beschaffen“ sein, dass Gefahren für die Freiheit von Forschung und Lehre vermieden werden“.19
Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen folgen nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gewichtige Selbstverwaltungskompetenzen und Partizipationsmög- lichkeiten von Vertretungsorganen im Hochschulbe- reich, die vom Gesetzgeber zu berücksichtigen sind:
(1) Die Beteiligung der Wissenschaftler kann in un- terschiedlichen Formen geschehen, nämlich durch „un- mittelbare oder mittelbare Einflussnahme, Entschei- dungs‑, Veto‑, Mitwirkungs- oder Anhörungsrechte, Aufsichts‑, Informations- oder Kontrollrechte“.20 Die Einräumung derartiger Beteiligungsrechte, in Einzelbe- reichen differenziert nach der jeweiligen Wissenschafts- relevanz, ist in der Lage, strukturellen Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit entgegenzuwirken.
(2) Es kann erforderlich sein, die Wissenschaftler nicht bloß auf Stellungnahmen zu wissenschaftsrelevan- ten Entscheidungen zu verweisen, sondern ihnen auch das Recht einzuräumen, ihre Auffassungen bei derarti- gen Entscheidungen durchzusetzen.
(3) Die Bestellung und auch die Abberufung von Lei- tungsorganen sind als effektive Einfluss- und Kontrollin- strumente einem plural zusammengesetzten Vertre- tungsorganen zuzuweisen. Wenn in verfassungsrechtlich noch zulässiger Weise wissenschaftsrelevante Entschei- dungsbefugnisse den Selbstverwaltungsorganen entzo- gen werden sollen, gilt folgende je desto-Formel: „Je
17 BVerfG 1 BvR 748/06 Rn. 95.
18 BVerfG 1 BvR 3217/07 Rn. 60; BVerfG 1 BvR 748/06 Rn. 97. 19 BVerfG 1 BvR 3217/07 Rn. 57.
20 BVerfG 1 BvR 911/00, 927/00, 928/00 Rn. 160.
4 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2016), 1–18
mehr, je grundlegender und je substantieller wissen- schaftsrelevante personelle und sachliche Entschei- dungsbefugnisse dem kollegialen Selbstverwaltungsor- gan entzogen und einem Leitungsorgan zugewiesen wer- den, desto stärker muss im Gegenzug die Mitwirkung des Selbstverwaltungsorgans an der Bestellung und Ab- berufung dieses Leitungsorgan und an dessen Entschei- dungen ausgestaltet sein“.21 Oder anders formuliert: „Je höher Ausmaß und Gewicht der den Leitungspersonen zustehenden Befugnisse sind, desto eher muss die Mög- lichkeit gegeben sein, sich selbstbestimmt von diesen zu trennen“.22
(4) Die Orientierung des Gesetzgebers an einer zweckmäßigen und effizienten Hochschulorganisation ist damit begrenzt: In wissenschaftsrelevanten Angele- genheiten muss von ihm ein hinreichendes Maß23 an Mitwirkung der Wissenschaftler an wissenschaftsrele- vanten Entscheidungen der Leitungsorgane garantiert sein. Unter dieser Voraussetzung ist er frei, „den Wissen- schaftsbetrieb nach seinem Ermessen zu regeln, um die unterschiedlichen Aufgaben der Wissenschaftseinrich- tungen und die Interessen der daran Beteiligten in Wahr- nehmung seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwor- tung in angemessenen Ausgleich zu bringen“.
4. Konkretisierung dieser wissenschaftsrelevanten ver- fassungsrechtlichen Rahmensetzungen in der Recht- sprechung des Bundesverfassungsgerichts
Die vorstehend zusammengefassten wissenschaftsrele- vanten verfassungsrechtlichen Rahmensetzungen an die Leitungsstrukturen von Hochschulen sind sehr allge- mein formuliert. Was „ein hinreichendes Maß an Mit- wirkung der wissenschaftlich Tätigen an wissenschafts- relevanten Entscheidungen von Leitungsorganen“ sein kann, welchen Spielraum die je desto-Formel bei der Austarierung von wissenschaftsrelevanten Entscheidun- gen, die Leitungs- oder Vertretungsorgan zugewiesen werden, belässt, was unter einem organisatorischen Gesamtgefüge, das die Wissenschaftsfreiheit strukturell gefährdet, zu verstehen ist, ist einer weiteren Konkreti- sierung bedürftig. Nur dadurch lässt sich jene Rechtssi- cherheit stiften, an der sich der Hochschulgesetzgeber orientieren kann. Eine derartige Konkretisierung der weitgehend formelhaften Vorgaben kann mit Blick auf die vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Ein- zelfälle und damit auf das Fallrecht erfolgen:
- 21 BVerfG 1 BvR 3217/07 Rn. 60.
- 22 BVerfG 1 BvR 3217/07 Rn. 60.
- 23 So ausdrücklich BVerfG 1 BvR 911/00, 927/00, 928/00 Rn. 159,hier auch das folgende Zitat.
- 24 BVerfG 1 BvR 3217/07 Rn. 67.
- 25 BVerfG 1 BvR 3217/07 Rn. 69.
(1) Verfassungsrechtlich statthaft ist, den Beschluss über den Entwicklungsplan einer Hochschule dem Lei- tungsorgan zu übertragen, soweit dem Senat die Befug- nis zur Entscheidung über die Grundzüge der Entwick- lungsplanung zugewiesen ist.24
(2) Die Entscheidung über die Errichtung, Änderung und Aufhebung von Organisationseinheiten samt der Festlegung ihrer Aufgaben und Organisationsstrukturen kann nur unter ausschlaggebender Beteiligung des Se- nats mit seinem gefächerten Sachverstand, also mit des- sen Einvernehmen, getroffen werden.25
(3) Die Entscheidung über den Wirtschaftsplan sowie über die Aufteilung der Sach‑, Investitions- und Perso- nalbudgets auf die Organisationseinheiten sind wegen der Angewiesenheit von Forschung und Lehre auf Res- sourcen wissenschaftsrelevant.26 Hier kann der Gesetz- geber die Mittelverwendung rechtlich regeln, wobei dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit Rechnung zu tragen ist. Soweit bei der Budgetaufteilung tiefgreifende wissen- schaftsrelevante Entscheidungen zu treffen sind, bedarf es der Mitwirkung des Senats.27
(4) Das Dekanat kann zur Verteilung von Stellen und Mitteln ermächtigt sein. Dies daher, da derartige Alloka- tionsentscheidungen, sollten sie von den Betroffenen Hochschullehrern selbst getroffen werden, wegen man- gelnder persönlicher Distanz fehlerbehaftet sein können. Allerdings muss eine umfassende Kompetenz zur Vertei- lung von Stellen und Mitteln hinreichend kontrolliert und umgrenzt sein.28
(5) Die Organisation und Weiterentwicklung von Forschung und Lehre, etwa durch die Bildung von Schwerpunkten, hat unter wesentlicher Beteiligung des Senats zu erfolgen.29
(6) Für die Bestellung einer mit weit reichenden Be- fugnissen ausgestatteten Hochschulleitung bedarf es ei- nes Findungsverfahrens, in dem Mitwirkungsrechte der Wissenschaftler gesichert sind. Denn in der Findungs- kommission wird bereits darüber entschieden, wer über- haupt für die Hochschulleitung infrage kommt. Im hochschulrechtlichen Gesamtgefüge muss die Mitwir- kung der Wissenschaftler an der Findung von Leitungs- organen gewichtig sein, damit Gefährdungen der Wis- senschaftsfreiheit ausgeschlossen werden.30 Am zu for- dernden Stimmgewicht würde es fehlen, wenn lediglich zwei von elf stimmberechtigten Mitgliedern in der Fin- dungskommission vom Senat bestimmt werden und
26 So bereits BVerfGE 35, 79, 123; 61, 260, 279. 27 BVerfG 1 BvR 3217/07 Rn. 70 ff.
28 BVerfG 1 BvR 748/06 Rn. 113.
29 BVerfG 1 BvR 3217/07 Rn. 76 f.
30 BVerfG 1 BvR 3217/07 Rn. 84.
Würtenberger · Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Hochschulleitung 5
dem Leitungsorgan gewichtige wissenschaftsrelevante Befugnisse zugewiesen sind.
(7) „Im Gesamtgefüge der Hochschulorganisation kommt der Möglichkeit des Vertretungsorgans, sich von einem Leitungsorgan zu trennen, umso größere Bedeu- tung zu, je mehr wissenschaftsrelevante Befugnisse die- sem zugewiesen und dem Vertretungsorgan entzogen sind.“31 Dabei ist entscheidend, mit welchem Quorum der Senat die Entlassung eines Leitungsorgans veranlas- sen kann. Wie auch in vergleichbaren Fällen ist ein be- sonderes Quorum statthaft, damit nur bei erheblichem Vertrauensverlust eine Abberufung auf den Weg ge- bracht werden kann. Nach Ansicht des Bundesverfas- sungsgerichts stößt es auf erhebliche verfassungsrechtli- che Bedenken, wenn die Wissenschaftler in dem Vertre- tungsorgan das Quorum nicht erreichen können und die Entlassung im Übrigen an eng gefasste sachliche Voraus- setzungen geknüpft wird.32
II. Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Kompe- tenzen der Leitungsorgane
Bei den folgenden Überlegungen steht nicht allein im Mittelpunkt, dass das LHG die Kompetenzen der Lei- tungsorgane in verfassungskonformer Weise regelt. Von zentraler Bedeutung ist zudem die Praxis, dass und wie nämlich die hochschulrechtlichen Vorschriften in Baden-Württemberg in verfassungskonformer Weise praktiziert und vollzogen werden.33
1. Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit à la carte
Zu den Besonderheiten der Hochschulreform in Baden- Württemberg gehört, dass die Hochschulen in einzelnen Bereichen autonom über die Gestaltung der Wissen- schaftsfreiheit entscheiden können. Diese Organisations- autonomie gilt etwa, um nur zwei Bereiche zu nennen, für die Gestaltung der Zusammensetzung des Universi- tätsrates und für die Zusammensetzung des Dekanats bzw. des Rektorats jeweils durch Regelungen in der Grund- ordnung (§23Abs.1S.2 bzw. §16Abs.1 S. 2LHG). Hin- sichtlich der Zusammensetzung des Universitätsrates können die Hochschulen kraft ihrer Grundordnungsau- tonomie bestimmen, dass auch hochschulinterne Mit- glieder Sitz und Stimme haben (§ 20 Abs. 5 S. 3 LHG). Sie haben also die Autonomie, durch Regelung in der Grundordnung den Universitätsrat für eine Mitentschei-
- 31 BVerfG 1 BvR 3217/07 Rn. 92.
- 32 BVerfG 1 BvR 3217/07 Rn. 95.
- 33 Welche akademischen Gepflogenheiten vertrauensvollen und anKonsens orientierten Zusammenarbeitens insoweit Usus sind, kennt Verfasser aus seiner über 15jährigen Tätigkeit als Rechtsbe-
dung durch Wissenschaftler und damit Mitglieder der Universität zu öffnen. Es sind Fälle bekannt, in denen sich der Senat erfolgreich gegen Pläne des Rektorats durchgesetzt hat, für den Hochschulrat nur externe Mit- glieder vorzusehen.
Soweit die Grundordnung dies vorsieht können ne- ben dem Dekan vier weitere Prodekane, neben dem Rek- tor fünf weitere Prorektoren gewählt werden. Bei einem Dekanat mit fünf und bei einem Rektorat mit sechs Mit- gliedern lässt sich bereits davon sprechen, dass ein inter- ner (Wissenschafts-)Pluralismus von Auffassungen über die Verwirklichung von Wissenschaftsfreiheit und die Gestaltung der Hochschule besteht. Gerade ein solcher Pluralismus sichert wissenschaftsadäquate Entscheidun- gen besser, als wenn sich das Leitungsgremium lediglich aus zwei oder drei Personen zusammensetzt. Derartige Leitungsgremien jedoch, zum Teil auch monokratische Leitungsgremien, waren bislang Gegenstand von Ent- scheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen einer wissenschaftsfreiheitskonformen Gestaltung des Hochschulorganisationsrechts.34
Nach dem baden-württembergischen Hochschulor- ganisationsrecht haben die Hochschulen also die Mög- lichkeit, bei ihrer rechtlichen Regelung der Zusammen- setzung von Leitungsorganen den Bereich der Wissen- schaftsfreiheit sozusagen à la carte zu verwirklichen. Zu ihrer Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit gehört, über so zentrale Fragen wie der personellen bzw. zahlenmäßigen Zusammensetzung ihrer Leitungsgremi- en zu entscheiden. Wenn eine Hochschule diese Mög- lichkeiten der Ausdehnung von Repräsentation durch Wissenschaftler nicht wahrnimmt, kann diese autonome Gestaltung kein Verstoß gegen die verfassungsrechtlich geschützte Wissenschaftsfreiheit sein. Zur Ausübung seiner Autonomie kann eben niemand, auch keine Insti- tution, gezwungen werden. Bei der verfassungsrechtli- chen Würdigung der organisationsrechtlichen Regelun- gen des LHG lässt sich daher mit guten Gründen davon ausgehen, welche Möglichkeiten die Hochschulen bei der Repräsentation durch Wissenschaftler generell aus- schöpfen können.
2. Verfassungsmäßigkeit der Kompetenzen des Deka- nats nach § 24 Abs. 3 S. 6 Nrn. 2, 3, 4, 5 LHG
Nach § 23 Abs. 1 S. 1 LHG leitet das Dekanat die Fakultät. Soweit das Landeshochschulgesetz nichts anderes regelt, ist das Dekanat für alle Angelegenheiten der Fakultät
rater von vier Rektoren der Freiburger Universität.
34 Vgl. etwa BVerfG 1 BvR 3217/07 zu den Kompetenzen lediglich
eines von drei Vorstandsmitgliedern für den Bereich von For- schung und Lehre.
6 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2016), 1–18
zuständig (§ 23 Abs. 3 S. 1 LHG). Es stellt sich die Frage, ob die Zuständigkeiten des Dekanats für die Aufstellung des Entwurfs des Haushaltsvoranschlags (Nr. 2), für die Entscheidung über die Verwendung der vom Rektorat der Fakultät zugewiesenen Stellen und Mittel nach den Grundsätzen des § 13 Abs. 2 LHG (Nr. 3), für den Vor- schlag zur Funktionsbeschreibung von Stellen für Hoch- schullehrer (Nr. 4) sowie für Evaluationsangelegenheiten nach § 5 Abs. 2 LHG (Nr. 5) verfassungskonform sind.
a) Das Dekanat als Kollegialorgan mit gefächertem wis- senschaftlichem Sachverstand
Die verfassungsrechtliche Würdigung der Kompetenzen des Dekanats kann an dessen Zusammensetzung anset- zen. Das Dekanat ist nach § 23 Abs. 2 S. 2 LHG ein kolle- giales Leitungsorgan, das aus dem Dekan und mindes- tens zwei Prodekanen gebildet wird. Es ist ein Vertretungs- organ der Fakultät, in dem in der Regel Hochschullehrer der Fakultät aufgrund von Wahlen das Amt des Dekans und weiterer Prodekane ausüben.
Im Kollegialorgan Dekanat wird die Fakultät mit ge- fächertem wissenschaftlichem Sachverstand verwaltet. Der Dekan, der Prodekan, weitere Prodekane, soweit nach der Grundordnung vorgesehen, sowie der Prodekan für Studienangelegenheiten treffen mehrheitlich die dem Dekanat zugewiesenen Entscheidungen (§ 23 Abs. 2 LHG). Durch derartige Kollegialentscheidungen, vor allem wenn die höchstzulässige Zahl von Prodekanen ausgeschöpft wird, ist garantiert, dass in der Fakultät bestehende unter- schiedliche Ansichten über die Gestaltung der Fakultät zur Geltung und zum Ausgleich gebracht werden können.35
b) Legitimation durch Wahl und Abwahlmöglichkeit
Auf die Wahl des Dekans und der Prodekane hat der Fakultätsrat als Vertretungsorgan der Mitglieder der Fakultät einen bestimmenden Einfluss. Der Dekan wird auf Vorschlag des Rektors vom Fakultätsrat gewählt. Dabei ist es in Baden-Württemberg eine gute Übung, dass sich der Rektor, bevor er den Wahlvorschlag unter- breitet, mit der Fakultät ins Benehmen setzt, wer aus Sicht der Fakultät das Amt des Dekans übernehmen sol- le. Ähnlich wie im politischen Bereich wird der Rektor aus nachvollziehbaren Gründen nur jenen Hochschul- lehrer als Dekan vorschlagen, der auch die Mehrheit im Fakultätsrat finden wird. Jedenfalls kann der Rektor der Fakultät keinen Dekan aufzwingen. Diese Verfahrens-
- 35 Zur Möglichkeit innerhalb der Wissenschaft bestehende Unter- schiede in die Hochschulorganisation einbringen zu können: BVerfG 1 BvR 3217/07 Rn. 59.
- 36 BVerfG 1 BvR 911/00, 927/00, 928/00 Rn. 190.
- 37 Zur verfassungsrechtlichen Absicherung der Wissenschaftsfrei-
weise ist vom Bundesverfassungsgericht als verfassungs- konform anerkannt worden.36 Es ergibt sich eben aus der Wissenschaftsfreiheit kein Recht der Fakultät, die Fakul- tätsleitung ausschließlich autonom zu bestimmen.
Entscheidend ist weiter, dass die Prodekane vom Fa- kultätsrat gewählt werden (§ 24 Abs. 4, 5 LHG). Stellt man auf diese Wahlakte ab, hat der Fakultätsrat einen wesentlichen personellen Einfluss auf all jene Entschei- dungen, die kollegial vom Dekanat zu treffen sind. Diese Einflussmöglichkeiten des Fakultätsrates werden da- durch gestärkt, dass der Dekan auf Vorschlag des Rek- tors mit der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Fakultätsrates abgewählt werden kann (§ 24 Abs. 3 S. 8 LHG). Bei einer Abwahl des Dekans en- det zudem automatisch die Amtszeit der Prodekane und der Studiendekane (§ 24 Abs. 4 S. 3, Abs. 5 S. 3 LHG).
Das Dekanat genießt als Kollegialorgan über die Wahl seiner Mitglieder das Vertrauen des Fakultätsrates und darüber hinaus der Fakultät insgesamt. Schon deshalb sind wissenschaftsinadäquate Entscheidungen nicht zu befürchten, wenn es über den Haushaltsvoranschlag und den Wirtschaftsplan entscheidet, über die Verwendung der vom Rektorat der Fakultät zugewiesenen Stellen und Mittel verfügt, die Funktionsbeschreibung von Stellen für Hochschullehrer vorschlägt sowie die Evaluationsan- gelegenheiten regelt.
c) Unterrichtungspflicht des Fakultätsrates
In all diese Entscheidungen ist der Fakultätsrat verfah- rensmäßig eingebunden. Denn die entsprechenden Ent- scheidungen trifft das Dekanat nicht in Distanz zum Fakultätsrat. Es ist vielmehr verpflichtet, den Fakultäts- rat regelmäßig über diese wichtigen Entscheidungen zu unterrichten (§ 23 Abs. 3 S. 5 LHG). Dieser Unterrich- tungspflicht des Dekanats entspricht zweifelsohne ein entsprechender gerichtlich durchsetzbarer Informations- anspruch des Fakultätsrates.37 Nach gutem akademi- schem Brauch verbindet sich mit der Unterrichtung des Fakultätsrates eine Meinungsbildung im Fakultätsrat, die für das Dekanat bei seinen Kollegialentscheidungen von erheblichem Gewicht ist. Gemäß diesem akademischen Brauch, dem fast schon die Qualität einer Observanz zukommt, ist das Dekanat bei seinen Entscheidungen und seiner Amtsführung darauf festgelegt, was mehr- heitlich in den Diskussionen des Fakultätsrates geäußert wurde.38
heit durch Informationsrechte des Fakultätsrates: BVerfG 1 BvR
748/06 Rn. 121.
38 Sandberger, Landeshochschulgesetz, § 25 Rn. 2 spricht plastisch von
Rückbindung des Dekanats an die Willensbildung im Fakultätsrat.
Würtenberger · Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Hochschulleitung 7
d) Zustimmung des Fakultätsrates zum Struktur- und Entwicklungsplan
Hinzu kommt, dass der Fakultätsrat dem Struktur- und Ent- wicklungsplan der Fakultät zustimmen muss (§ 25 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 LHG).39 In diesem Struktur- und Entwicklungsplan wird für den Planungszeitraum festgelegt, welche Mittel mittelfristig benötigt werden. An dieser mittelfristigen Finanzplanung orientiert sich wiederum der Entwurf des Haushaltsvoranschlags für ein Haushaltsjahr. Der Fakultätsrat hat also mit seiner Zustimmung zum Struk- tur- und Entwicklungsplan zugleich auch seine Zustim- mung zu den entsprechenden Haushaltsvoranschlägen gegeben.
Vergleichbares gilt für den Vorschlag des Dekanats an das Rektorat, mit welcher Funktionsbeschreibung frei werdende Stellen von Hochschullehrern ausgeschrieben werden sollen. In aller Regel legt bereits der Struktur- und Entwicklungsplan der Fakultät sowie der Universität fest, mit welcher Funktionsbeschreibung frei werdende Stellen ausgeschrieben werden (vgl. § 46 Abs. 3 S. 6 LHG: keine Beteiligung des Wissenschaftsministeriums an der Festlegung der Funktionsbeschreibung, wenn diese mit dem Struktur- und Entwicklungsplan übereinstimmt; unter dieser Voraussetzung auch keine Beteiligung des Senats: § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 LHG). Aus der Fortschrei- bung des Struktur- und Entwicklungsplans ergibt sich im Großen und Ganzen, welche zusätzlichen Stellen und Mittel von der Fakultät benötigt werden oder künftig wegfallen bzw. umgeschichtet werden sollen.
e) Geringer rechtlicher und finanzieller Spielraum bei der Entscheidung über Stellen und Mittel
Bei der Entscheidung des Dekanats über die Verwendung der vom Rektorat der Fakultät zugewiesenen Stellen und Mitteln ist zu berücksichtigen, dass den Fakultätsgremien die nötige persönliche Distanz für eine sachgerechte Ent- scheidung fehlt.40 Soweit sein Entscheidungsspielraum begrenzt ist, kann die Mittelverteilung dem Dekanat zuge- wiesen werden. Wegen des Verweises auf die Grundsätze des§13Abs.2LHG(§23Abs.3S.6LHG)hatdasDeka- nat nur einen rechtlich begrenzten Entscheidungsspiel- raum. Denn aus § 13 Abs. 2 LHG folgen die maßgebli- chen Vorgaben für die Mittelverteilung. Davon abgese- hen besteht bei der Verteilung von zugewiesenen Stellen und Mitteln nur ein im Vergleich zum Universitäts- oder Fakultätshaushalt eher geringer Spielraum sowohl des
- 39 Zu diesem für die Verwirklichung von Wissenschaftsfreiheit zent- ralem Mitwirkungsrecht des Fakultätsrates: BVerfG 1 BvR 748/06 Rn. 120.
- 40 Fehling, Die Verwaltung 35 (2002), 399, 405; BVerfG 1 BvR 748/06 Rn. 113.
Rektorats als auch des Dekanats. Denn die Haushalts- mittel sind trotz aller Flexibilisierung des Haushalts in weitem Umfang durch Berufungszusagen oder ander- weitige längerfristige Stellen- und Mittelbindungen fest- gelegt.41
f) Zwischenergebnis
Im Gesamtgefüge der Kompetenzen von Fakultätsrat und Dekanat können die Wissenschaftler durch ihre Vertre- ter in ausreichender Weise an wissenschaftsrelevanten Entscheidungen mitwirken und diese kontrollieren. Der Fakultätsrat bestimmt über die Wahl und über seine Abwahlkompetenz die Zusammensetzung des Dekanats. Dass eine Abwahl nur unter Mitwirkung des Rektors rechtlich möglich ist, ist im Gesamtgefüge der organisa- tionsrechtlichen Regelungen verfassungskonform.42 Denn zentrale wissenschaftsrelevante Entscheidungen, wie das Votum über Berufungsvorschläge, über die Stu- dien- und Prüfungsordnungen der Fakultät, über die interne Struktur der Fakultät und nicht zuletzt über den Struktur- und Entwicklungsplan (§ 25 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1–4 LHG), bedürfen der Zustimmung des Fakultäts- rates. Nicht zuletzt: Die Unterrichtungspflicht des Deka- nats und damit auch der Informationsanspruch des Fakultätsrates ermöglichen und garantieren eine wissen- schaftsadäquate Amtsführung.
3. Verfassungsmäßigkeit der wissenschaftsrelevanten Befugnisse des Rektorates nach § 16 Abs. 3 S. 2
Nrn. 1–14 LHG
§ 16 Abs. 3 LHG regelt die Kompetenzen des Rektorats als Leitungsorgan. Auf den Prüfstand verfassungsrechtli- cher Kontrolle lässt sich die enumerative Aufzählung der Rektoratskompetenzen in § 16 Abs. 3 S. 2 Nrn. 1–14 LHG stellen. Klärungsbedürftig ist, ob im organisatorischen Gesamtgefüge weichenstellende Entscheidungen über die Entwicklung und die Organisation der Hochschule sowie über die Ressourcen für Forschung und Lehre im Wesentlichen dem Rektorat als zentralem Leitungsorgan in verfassungswidriger Weise zugewiesen und damit dem Senat entzogen worden sind.
Ebenso wie der Fakultätsrat ist auch das Rektorat ein Kollegialorgan. Der Rektor und die Prorektoren leiten die Universität mit, wird die hochschulrechtliche Zahl an Prorektoren ausgeschöpft, breit gefächertem wissen- schaftlichem Sachverstand. In ihren Kollegialentschei- dungen werden unterschiedliche Ansichten über die Ge-
41 Zu dieser im Ergebnis verfassungskonformen Begrenzung der Dekanatskompetenz zur Mittelvergabe: BVerfG 1 BvR 748/06 Rn. 114.
42 Zu dieser Bilanzierung: BVerfG 1 BvR 748/06 Rn. 130 f.
8 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2016), 1–18
staltung der Universität zum Ausgleich gebracht. Anläss- lich der Wahlverfahren der haupt- und nebenamtlichen Prorektoren wird traditionell von den Vertretungsorga- nen auf das wissenschaftliche Profil des Rektorats einge- wirkt. Zu diesem Zweck werden der zu wählende Rektor und die zu wählenden Prorektoren vor dem Wahlgang in aller Regel von den Senatsmitgliedern eindringlich auf ihr Wissenschaftsverständnis und ihre Zielvorstellungen für die Entwicklung der Universität befragt. Die im Rek- torat gebündelte und von den akademischen Wahlorga- nen gesteuerte „Wissenschaftspluralität“ ist ein wesentli- ches Element dafür, dass das Rektorat wissenschaftsad- äquate Entscheidungen trifft.
a) Verfassungsmäßigkeit der Beschlussfassung über den Struktur- und Entwicklungsplan nach § 16 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 LHG
Nach § 7 Abs. 1 S. 1 LHG stellen die Hochschulen für einen Zeitraum von fünf Jahren Struktur- und Entwick- lungspläne auf, die regelmäßig fortgeschrieben werden. In diesen Struktur-und Entwicklungsplänen konkreti- sieren die Hochschulen „ihre Aufgaben und die vorgese- hene fachliche, strukturelle, personelle, bauliche und finanzielle Entwicklung“; es werden zudem „Festlegun- gen für die künftige Verwendung freiwerdender Stellen von Professuren getroffen“ (S. 2). In diesen Plänen wer- den „insbesondere die Schwerpunkte der Ausbildung und der Forschung sowie die in den einzelnen Studien- gängen angestrebten Studienanfängerplätze“ bezeichnet (S. 4). Der Struktur- und Entwicklungsplan ist geradezu das Herzstück des Forschungs- und Lehrprofils und der Zukunftsgestaltung der Universität.
Die Struktur- und Entwicklungsplanung ist verzahnt mit anderen Bereichen staatlicher Gemeinwohlverwirk- lichung. Denn sie bindet die Entwicklung der Hochschu- le in die Landesentwicklung ein. Im Sinne einer integ- rierten Landesentwicklungsplanung sollen die Struktur- und Entwicklungspläne ein fachlich ausreichendes und regional ausgewogenes Angebot in Forschung und Lehre sicherstellen. Sie sollen darüber hinaus das gemein- schaftliche oder hochschulübergreifende Angebot von Einrichtungen und deren wirtschaftliche Nutzung ge- währleisten (§ 7 Abs. 2 LHG). Mit diesem breit gefächer- ten Aufgabenspektrum wird die Struktur- und Entwick- lungsplanung der Hochschulen in die politisch und de- mokratisch zu verantwortende Aufgaben‑, Ressourcen- und Landesentwicklungsplanung integriert. Dass bei einer derart integrativen Planung eine Gemengelage zwischen den der Hochschulautonomie zuzuordnenden
43 Vgl. LT-Drs. 12/4404, S. 244; Sandberger, Landeshochschulgesetz, § 7 LHG Rn. 2.
und den im öffentlichen Interesse zu verfolgenden Plan- zielen entsteht, ist zwangsläufig.
Die Struktur- und Entwicklungsplanung als multi- funktionales und integratives Steuerungsinstrument der Hochschulentwicklung verfolgt weitere Zielsetzungen, die nicht lehr- und wissenschaftsrelevant sind. Jenseits des engeren Bereiches von Forschung und Lehre geht es um die Aufgabe des Landes, die Hochschulfinanzierung sicher zu stellen, eine hinreichende Kapazität von Studi- enanfängerplätzen zu gewährleisten, um die Integration eines ausgewogenen Angebotes in Forschung und Lehre in die Regionalentwicklung, um die wirtschaftliche Nut- zung von hochschulübergreifenden Angeboten von Ein- richtungen und letztlich auch um eine landesweite Steu- erung der Schwerpunkte in Ausbildung und Forschung. In dieser Perspektive ist die hochschulrechtliche Struk- tur- und Entwicklungsplanung janusköpfig: Zum einen ist sie in die demokratisch legitimierte Landes- und dabei Haushaltspolitik eingebunden und muss gesamtgesell- schaftlich wichtige Aufgaben, wie etwa die Ausbildung für im Wandel begriffen Berufszweige, sicherstellen. Zum anderen geht es um die Schwerpunktsetzung im Be- reich von Forschung und Lehre an den einzelnen Hoch- schulen, ihren Fakultäten und ihren Einrichtungen. Die alte Unterscheidung zwischen Hochschule als Körper- schaft des öffentlichen Rechts und als staatliche Einrich- tung wird bei der Struktur- und Entwicklungsplanung ein Stück weit eingeebnet, bleibt aber für die Mitgestal- tungsrechte der Wissenschaftler nach wie vor von Bedeutung.
Mit der Regelung der Struktur- und Entwicklungs- planung hat sich der Gesetzgeber für das eingangs ange- sprochene neue Steuerungsmodell entschieden. Zuvor wurde seitens der Ministerialverwaltung durch Detail- steuerung über die Rechts- und Fachaufsicht sowie vom Landtag über haushaltsrechtliche Mittel- und Stellenzu- weisungen auf die Entwicklung der Hochschulen ein ganz direkter und die Hochschulautonomie verkürzender Einfluss genommen. Nunmehr ist ein strategisches Steue- rungsmodell gewählt, in dem ein kontinuierlicher Ab- stimmungsprozess zwischen dem Land und seinen ein- zelnen Hochschulen sowie innerhalb der Hochschulen stattfindet.43
Das Steuerungsmodell der hochschulrechtlichen Struktur- und Entwicklungsplanung bedarf einer beson- deren verfahrensmäßigen Gestaltung. Das Verfahren, in dem die Struktur- und Entwicklungspläne der Hoch- schule zustande kommen, muss zum einen die Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten des Landes gewährleisten,
Würtenberger · Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Hochschulleitung 9
zum anderen aber auch eine ausreichende Partizipation der Wissenschaftler in ihren Vertretungsorganen ermöglichen.
Wegen ihrer Janusköpfigkeit bedürfen die Struktur- und Entwicklungspläne der Zustimmung des Wissen- schaftsministeriums (§7Abs.2S.2LHG). Diese darf nur verweigert werden, wenn sie nicht mit den Zielen und Vorgaben des Landes in struktureller, finanzieller und ausstattungsbezogener Hinsicht übereinstimmen. Dies bedeutet: Das Land kann den Struktur- und Ent- wicklungsplänen einzelner Universitäten im Landesinte- resse strukturelle, finanzielle und ausstattungsbezogene Vorgaben machen. Dies ist nichts Neues. Derartige Steu- erungsleistungen sind zuvor unter anderem über die Stellen- und Mittelzuweisungen in den Haushaltsplänen, die vom Landtag verabschiedet wurden, geleistet wor- den. Da man insoweit mittlerweile weitgehend zu Glo- balhaushalten übergegangen ist, werden die Hochschu- len nunmehr in einer flexiblen Weise durch allgemeine strukturelle und Ressourcen-Vorgaben des Landes sowie durch dessen Beteiligung an der Struktur- und Entwick- lungsplanung der Hochschulen gesteuert.
Ergebnis ist also, dass die Struktur- und Entwick- lungsplanung der jeweiligen Hochschule sozusagen zur gesamten Hand44 mit dem Land geschieht. Die Hoch- schule und das Land müssen einvernehmlich handeln, wobei das Land auf die Verwirklichung hochschulpoliti- scher und gesamtgesellschaftlicher Zielsetzungen hinwirkt und die Hochschulen diese Zielsetzungen in den wissen- schafts- und forschungsrelevanten Bereich integrieren.
Diese Funktion und Rationalität der hochschulrecht- lichen Struktur- und Entwicklungsplanung erfordern ein Planungsverfahren, das im Sinne einer planerischen Gesamtverantwortung die übergeordneten Landesinter- essen und den grundrechtlich geschützten Freiraum für Forschung und Lehre mitsamt der gebotenen Partizipa- tion von Vertretungsorganen in Einklang bringt. Diesen Anforderungen genügen die Regelungen der Kompe- tenzverteilung und verfahrensrechtlichen Mitwirkung. In ihrem Gesamtgefüge regeln sie die planerische Ver- antwortung für den Bereich der Verwirklichung überge- ordneter Interessen sowie für den wissenschaftsrelevan- ten Bereich in sachgerechter und wissenschaftsadäqua- ter Weise:
(1) § 16 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 LHG regelt lediglich, dass das Rektorat für die Struktur- und Entwicklungsplanung einschließlich der Personalentwicklung zuständig ist. Wer auch sonst könnte den Struktur- und Entwicklungs- plan der Hochschule aufstellen? Der Senat ist ein Be-
44 Zu den Fragen einer gesamthänderischen Planung im politischen Bereich: Würtenberger, Staatsrechtliche Probleme politischer Planung, 1979, S. 252 ff.
schlussorgan; mit der Aufstellung eines Struktur- und Entwicklungsplanes wären ihm operative Aufgaben zu- gewiesen, für deren Erledigung er nicht in der Lage wäre. Hochschulrechtlich beschließt das Rektorat als Kollegi- um und damit bei entsprechender Größe mit breit gefä- chertem wissenschaftlichem Sachverstand über den Struktur- und Entwicklungsplan. Im rechtlichen Ge- samtgefüge ist dieser Beschluss allerdings nur vorläufig und sozusagen nur Entscheidungsgrundlage, da drei weitere Instanzen (Senat, Hochschulrat und Ministeri- um) zur Zustimmung bzw. zur Beschlussfassung berufen sind.
(2) Nach § 19 Abs. 2 Nr. 3 LHG muss der Senat den Struktur- und Entwicklungsplänen zustimmen. Er hat damit eine Vetoposition. Er kann zwar nicht selbst Abän- derungen beschließen. Wenn er jedoch seine Zustim- mung verweigert, ist das Rektorat gehalten, Änderungen vorzuschlagen, die im Senat auf Zustimmung stoßen. Könnte der Senat den Struktur- und Entwicklungsplan gegenüber einer Rektoratsvorlage abändern, so hätte er auch Entscheidungskompetenzen über nicht unmittel- bar wissenschaftsrelevante Festlegungen im Struktur- und Entwicklungsplan. Derartiges wollte der Gesetzge- ber offensichtlich aus guten Gründen vermeiden.
(3) Die Struktur- und Entwicklungsplanung wird un- ter Beteiligung aller Ebenen der Hochschulorganisation erarbeitet. In einem bottom up-Verfahren haben die Fa- kultäten den ersten Zugriff.45 Nach § 23 Abs. 3 S. 6 Nr. 1 LHG stellt das Dekanat im Rahmen der vom Land so- wie von Hochschulrat und Rektorat getroffenen Festle- gungen den Struktur-und Entwicklungsplan der Fakul- tätauf.ÜberdieAufstellungdesStruktur-undEntwick- lungsplans unterrichtet das Dekanat den Fakultätsrat (§23Abs.3S.5LHG).
In der baden-württembergischen Praxis erfolgt bei der Aufstellung der Struktur- und Entwicklungspläne durch die Fakultäten eine enge Rückkoppelung der je- weiligen Fakultätsinstitute und Professuren mit dem De- kanat. Erst nach diesem internen Abstimmungsprozess, auf den sogleich noch einzugehen ist, erfolgt die Zustim- mung des Fakultätsrates zum Struktur- und Entwick- lungsplan der Fakultät (§ 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 LHG). Auch hier gilt: Gegen den Willen des Fakultätsrates kommt kein Struktur- und Entwicklungsplan der Fakultät zu Stande. Wenn das Gesetz von Zustimmung spricht, so bleiben die vielfältigen Abstimmungsprozesse in der Pra- xis der Hochschulen in Baden-Württemberg, um eben diese Zustimmung zu erreichen, ausgeblendet.
45 Sandberger, WissR 44 (2011), S. 132.
10 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2016), 1–18
(4) Letzteres gibt Veranlassung, danach zu differen- zieren, in welchen Bereichen und mit welcher Wirkung es Zustimmungserfordernisse gibt. Zustimmung kann, um einen Begriff aus der französischen Dogmatik zu be- mühen, ein „vote bloqué“ bedeuten. In diesem Fall kann vom Parlament die Zustimmung zu einem Gesetz oder von einer Gemeinde zu einer Planung entweder erteilt oder abgelehnt werden. Tertium non datur. Der Hebel des Zustimmungserfordernisses kann beim „vote blo- qué“ nicht dazu benutzt werden, um mit einer Drohung der Verweigerung der Zustimmung Nachverhandlungen zu veranlassen.
Zustimmung in der akademischen Kultur der baden- württembergischen Hochschulen hat einen ganz anderen Charakter. Wenn der Senat oder der Fakultätsrat etwa zu Struktur- und Entwicklungsplänen zustimmen müssen, dann ist dies ein rechtlicher Hebel, der dazu genutzt wird, bereits im Vorfeld an der Ausarbeitung der Pla- nung beteiligt zu werden (sog. Vorwirkung eines Zustim- mungserfordernisses) oder zu beschließen, dass die Zu- stimmung erst nach Korrektur oder Modifizierung be- stimmter Festlegungen in der Planung zu erwarten steht.46 Ein hochschulrechtliches Zustimmungserforder- nis kommt in der Praxis der Hochschulen des Landes faktisch einer Beschlussfassungskompetenz gleich. So ist es wohl an den meisten Hochschulen üblich, dass der Struktur- und Entwicklungsplan mindestens zwei „Le- sungen“ im Senat erfährt. Diese Praxis und Kultur des Diskutierens und Verhandelns ist ein ganz wesentliches Element bei auf Konsens und Akzeptanz zielenden hochschulinternen Aushandlungsprozessen.47 Wenn solches in den Entscheidungen des Bundesverfassungs- gerichts zum Zustimmungserfordernis im Hochschulor- ganisationsrecht anderer Bundesländer bislang nicht hinreichend gewürdigt worden ist, so mag dies an einer anderen landesspezifischen Kultur hochschulinterner Willensbildung liegen.
(5) Wie diese akademische Kultur unterhalb der nor- mativen Vorgaben sich entfaltet, ist fast stellvertretend
- 46 Zu den verfassungskonformen Einwirkungsmöglichkeiten des Senats auf die Struktur- und Entwicklungsplanung: BVerfG 1 BvR 3217/07 Rn. 68 (Entscheidung über die Grundzüge der Entwick- lungsplanung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden).
- 47 Dass das Rektorat sich über ein vom Senat mit guten Argumenten geäußertes Meinungsbild in wissenschaftsrelevanten Bereichen hinweggesetzt hätte, hat es während der langen Zeit, in der der Verfasser Rechtsberater der Freiburger Rektoren war, praktisch nie gegeben.
- 48 Im Internet auf der Internetseite der Universität Freiburg abruf-
für die anderen Landesuniversitäten im Editorial des 246 Seiten umfassenden Struktur- und Entwicklungsplans der Universität Freiburg 2014–201848 ausgeführt. Dieser kam in einer „offenen Dialogkultur“ und in „vertrauensvolle® und konstruktive® Zusammenar- beit aller Akteure und Gremien“ zustande. Am Anfang standen „Strategiegespräche des Rektorats mit den Fa- kultätsvorständen“. Diese führten zu „Meilensteilen in den Bereichen Forschung, Lehre und institutionelle Inf- rastruktur vor dem Hintergrund der finanziellen Res- sourcen“. Die vom Rektorat zu entwickelnde Struktur- und Entwicklungsplanung wurde sodann „in den uni- versitären Gremien mehrfach diskutiert“, insbesondere auch in der Struktur- und Entwicklungskommission des Senats. In ähnlicher Weise wurde die Struktur- und Ent- wicklungsplanung auch an anderen Hochschulen des Landes erarbeitet.49 Der Struktur- und Entwicklungs- plan der Universität Tübingen kam in „einem umfassen- den Aushandlungsprozess mit allen Akteuren und Gre- mien“ zustande. Bei der Erarbeitung des Struktur- und Entwicklungsplans der Universität Heidelberg hat man „großen Wert auf eine Transparenz des Verfahrens und eine intensive Abstimmung innerhalb der universitären Gremien gelegt“.50 Ein Mehr an Beteiligung von Fakultä- ten, Fakultätsräten und Senat ist kaum vorstellbar.
(6) Wie alle Planung zielt auch die Struktur- und Ent- wicklungsplanung auf Realisierung51 :Der Struktur- und Entwicklungsplan einer Universität enthält die wesentli- chen Eckdaten für die Planung der baulichen Entwick- lung (§ 16 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 LHG), für die Aufstellung der Ausstattungspläne (Nr. 3), den Abschluss von Hochschul- verträgen und Zielvereinbarungen nach § 13 Abs. 2 LHG (Nr. 4), für die Aufstellung des Entwurfs des Haushalts- voranschlags (Nr. 6), für die Verteilung der für die Hoch- schule verfügbaren Stellen nach den Grundsätzen von § 13 Abs. 2 LHG ( Nr. 8) sowie für die Entscheidung über die Grundstücks- und Raumverteilung nach den Grund- sätzen des § 13 Abs. 2 LHG (Nr. 9). Über seine Zustim- mung zum Struktur- und Entwicklungsplan hat der Se-
bar; die folgenden Zitate auf S. 5; mit ganz ähnlichen Formulie- rungen schildert die Einleitung zum Struktur- und Entwicklungs- plan der Universität Konstanz dessen Ausarbeitung.
49 So etwa für den Zeitraum von 2012–2017 an der Hochschule der Medien, Stuttgart, S. 8 f.
50 So die Einführung zum Struktur- und Entwicklungsplan der Universität Mannheim, der Universität Heidelberg und der Uni- versität Tübingen.
51 Zur Realisierungsfunktion von Planungen: Würtenberger, Staats- rechtliche Probleme politischer Planung, S. 93 ff.
Würtenberger · Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Hochschulleitung 1 1
nat die Road Map für die vorgenannten Bereiche legiti- miert.52 Dass die Ausführung des Struktur- und Ent- wicklungsplan in all diesen Bereichen durch das Rektorat geschieht, gehört zu den genuinen Aufgaben eines Leitungsorgans.
Davon abgesehen hat der Senat nach 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 und 5 LHG das Recht zur Stellungnahme. Auch kann er sich über jeden Akt der hochschulinternen Um- setzung des Struktur- und Entwicklungsplans informie- ren lassen und dies auf die Tagesordnung von Senatssit- zungen setzen. Dies bedeutet: Der Senat verfügt mit sei- nem Zustimmungserfordernis über die große, teils auch schon detaillierte Linie der Hochschulentwicklung, das Rektorat muss gegebenenfalls dem Senat bei der Umset- zung der Planung Rede und Antwort stehen. All dies ga- rantiert effektive Beteiligungsmöglichkeiten des Vertre- tungsgremiums Senat.
(7) Nach § 20 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 LHG beschließt der Hochschulrat die Struktur- und Entwicklungspläne so- wie die Planung der baulichen Entwicklung der Hoch- schule. Dieser Beschluss des Hochschulrats betrifft eine Planung, die von den Fakultäten sowie von dem Rektorat erarbeitet wurde und die die Zustimmung des Senats ge- funden hat. Eine derartige Planung zeitigt beträchtliche Vor- und Bindungswirkungen.53 Was den Konsens von Fakultäten, Senat und Rektorat gefunden hat, nämlich ein abgestimmtes und in sich stimmiges Konzept der Hochschulentwicklung, kann vom Hochschulrat nicht mehr aufgebrochen werden. Bei seiner Beschlussfassung ist der Hochschulrat als Kollegialorgan faktisch ohnehin nicht in der Lage, die ihm vorgelegten Struktur- und Entwicklungspläne neu zu gestalten. Dass dem so auch sein soll, ergibt sich aus der Systematik des § 20 Abs. 1 LHG. Dessen S. 1 und 2 bezeichnen allgemein die Aufgaben, die dem Hochschulrat übertragen sind: Nach § 20 Abs. 1 S. 1 LHG übernimmt der Hochschulrat Verantwortung in strategischer Hinsicht und schlägt Maßnahmen vor, die der Profilbildung und der Erhö- hung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit dienen. Dies ist die Perspektive und sind die Zielsetzungen, die der Hochschulrat bei der Beschlussfassung über die
- 52 Wie detailliert ein Struktur- und Entwicklungsplan ist, zeigt der von der Universität Freiburg verabschiedete: umfassende Auf- stellung von Einnahmen und Ausgaben (S. 162 ff.), Maßnahmen effizienter Ressourcennutzung (S. 165 ff.) bauliche Entwicklung, geplante größere Bau- und Sanierungsmaßnahmen (S. 168 ff.), detaillierte Entwicklungsziele für die Fakultäten mit „Professu- renplanung“ (S. 176 ff.).
- 53 Würtenberger, Staatsrechtliche Probleme politischer Pla-
nung, S. 90 ff. zur allseits bekannten Vorwirkung der Planausar- beitung. - 54 So ausdrücklich LT-Drs. 15/4684, S. 164.
Struktur- und Entwicklungspläne nach § 20 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 LHG zu verfolgen hat.54
(8) Der Einfluss der Wissenschaftler auf die Entschei- dungen des Hochschulrates hängt von dessen Zusammen- setzung ab. Nach § 20 Abs. 3 S. 1 LHG besteht der Hoch- schulrat aus mindestens sechs und höchstens zwölf ex- ternen Mitgliedern. Dies ist jedoch nicht zwingend. Dass sich der Hochschulrat aus internen und externen Mitglie- dern zusammensetzt, kann, wie bereits erwähnt, durch die Grundordnung bestimmt werden (§ 20 Abs. 5 S. 3 LHG).55 Bei Verabschiedung der Grundordnung wird also über ein Stück Hochschulautonomie entschieden. Die Mehrheit der Mitglieder des Hochschulrates muss extern sein, also außerhalb der Hochschule tätig sein. Die Wissenschaft- ler als interne Mitglieder im Hochschulrat können in dieser Konstellation auf dessen Entscheidungen einen durchaus beachtlichen Einfluss ausüben. In den Diskussio- nen und anlässlich der Entscheidungen des Hochschulrates bringen sie die wissenschaftsrelevanten Aspekte zur Gel- tung und können wissenschaftsinadäquaten Entscheidun- gen entgegenwirken.
(9) Insgesamt gesehen garantieren die organisations- rechtlichen Vorschriften ein ausgewogenes Maß an wis- senschaftsadäquater und auch demokratischer Legitima- tion bei der normativen Festlegung der Struktur- und Entwicklungspläne der Hochschulen. An der Entwick- lung der strategischen Ziele wirken das Rektorat, der Hochschulrat und das zuständige Landesministerium mit. Die hochschulinternen Mitwirkungsrechte der De- kanate und Fakultätsräte sowie vor allem des Senats ga- rantieren, dass die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre im Planungsprozess in wirksamer Weise zur Geltung gebracht werden kann.
b) Verfassungsmäßigkeit der Kompetenzen des Rekto- rats nach § 16 Abs. 3 S. 2 Nrn. 2–10 LHG
BeiderverfassungsrechtlichenWürdigungderKompeten- zen des Rektorates nach § 16 Abs. 3 S. 2 Nrn. 2–10 LHG muss man auf das Gesamtgefüge der Kompetenzen von Rektorat, Senat und auch Hochschulrat abstellen. Für die erforderlichen Abwägungen hat das Bundesverfassungs-
55 Es liegt also in der Autonomie der Hochschule, ob sie einen extern oder extern/intern besetzten Hochschulrat wählt. Zwar kommt der extern/intern besetzte Hochschulrat der vom Bundes- verfassungsgericht geforderten Beteiligung von Wissenschaftlern in Leitungsgremien näher als ein bloß extern besetzter Hoch- schulrat. Damit steht aber noch nicht fest, dass der gesetzliche Regelfall eines lediglich extern besetzten Hochschulrates nicht mit den Vorgaben des landesgrundrechtlichen Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG übereinstimmt. Denn die Hochschule hat die Autonomie, zwi- schen beiden Varianten zu wählen. Sie kann dabei auf einen Teil ihrer Freiheit von Einflüssen Dritter verzichten.
12 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2016), 1–18
gericht folgende Anforderungen an das Gesamtgefüge des Hochschulorganisationsrechts entwickelt: Dieses „kann insbesondere dann verfassungswidrig sein, wenn dem Leitungsorgan substantielle personelle und sachli- che Entscheidungsbefugnisse im wissenschaftsrelevan- ten Bereich zugewiesen werden, dem mit Hochschulleh- rern besetzten Vertretungsorgan im Verhältnis hierzu jedoch kaum Kompetenzen und auch keine maßgebli- chen Mitwirkungs- und Kontrollrechte verbleiben.“56 Die Kompetenzen des Senats und des Rektorates müssen also zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Die ver- hältnismäßige Zuordnung ist erst dann verletzt, wenn dem Senat im wissenschaftsrelevanten Bereich kaum Kompetenzen und keine maßgeblichen Beteiligungsrech- te verbleiben.
aa) Ein Blick auf die Kompetenzen des Senats
Dem Senat sind wichtige Kompetenzen und maßgebli- chen Mitwirkungs- und Kontrollrechte zugewiesen: Er hat im akademischen Bereich wichtige Beschlusskompe- tenzen: Wahl der nebenamtlichen Rektoratsmitglieder und damit Einwirkungsmöglichkeit auf das Kollegium Rektorat ( § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 2), Beschlussfassung über Studiengänge, Hochschuleinrichtungen, Fachgruppen etc. (Nr. 7), Beschlussfassung über die Festsetzung der Zulassungszahlen (Nr. 8), Beschlussfassung über die Sat- zungen für Hochschulprüfungen etc. (Nr. 9), Beschluss- fassung über Satzungen für die Benutzung von Hoch- schuleinrichtungen etc. (Nr. 10), Beschlussfassung über die Grundordnung (Nr. 12), Beschlussfassung über die Evaluationssatzung (§ 5 Abs. 3 S. 4 LHG). In der Grund- ordnung, die vom Senat erlassen wird, wird die Gliede- rung der Universität in Fakultäten und weitere Hochschu- leinrichtungen geregelt (§ 15 Abs. 6 LHG; vgl. § 8 Grund- ordnung der Universität Freiburg).
Ergänzend zu diesen Beschlusskompetenzen beste- hen für zwei wichtige Bereiche Zustimmungsrechte: zum Struktur- und Entwicklungsplan (Nr. 3) sowie zu den Berufungslisten der Fakultäten (z. B. nach § 24 Abs. 2 Grundordnung der Universität Freiburg). Und nicht zu- letzt: An der Wahl der hauptamtlichen Rektoratsmitglie- der ist der Senat maßgeblich beteiligt.
Der Senat hat die Herrschaft über die Tagesordnung und weitreichende Informationsansprüche. Nach § 19 Abs. 1 S. 3 LHG ist auf Antrag eines Viertels der Senatsmitglie- der ein Verhandlungsgegenstand auf die Tagesordnung zu setzen. Mit dem gleichen Quorum kann verlangt wer- den, dass das Rektorat den Senat in Angelegenheiten un- terrichtet, die in die Zuständigkeit des Senats fallen (§ 19 Abs. 3 S. 1 LHG). Darüber hinaus hat jedes Senatsmit-
56 BVerfGE 127, 87 LS 2.
glied ein Fragerecht und einen Informationsanspruch in dem vorgenannten Bereich (§19Abs.3S.2LHG). Diese Ansprüche können notfalls in einem Universitätsverfas- sungsstreitverfahren durchgesetzt werden. Diese Infor- mationsrechte und die Herrschaft über die Tagesord- nung garantieren, dass der Senat darüber bestimmt, wel- che Gegenstände auf umfassender Informationsgrundla- ge mit dem Rektorat verhandelt und diskutiert werden. Wer die Wirklichkeit von Senatssitzungen kennt, weiß von durchsetzungsstarken Senatoren zu berichten, die auch dann zur Bildung einer dezidierten Meinung bei- tragen können, wenn lediglich Berichtspunkte auf der Tagesordnung stehen. Dass das Meinungsbild im Senat vom Rektorat bei seinen Entscheidungen berücksichtigt wird, gehört, wie bereits ausgeführt, zu gutem akademi- schem Brauch.
bb) Die Legitimationswirkung der genehmigten Struk- tur- und Entwicklungspläne
Die staatliche Finanzierung der Hochschulen orientiert sich an drei Parametern: An ihren Aufgaben, an den verein- barten Zielen und an ihren Leistungen (§ 13 Abs. 2 S. 1 LHG). Die genehmigten Struktur- und Entwicklungspläne sind Grundlage der staatlichen Finanzierung der Universität (§ 13 Abs. 2 S. 3 LHG). Diese wiederum wird in Hoch- schulverträgen und Zielvereinbarungen, allesamt unter Vorbehalt des Haushaltsgesetzes, geregelt. Über die Mit- wirkung am Struktur- und Entwicklungsplan gewinnt der Senat einen wesentlichen Einfluss auf die fachliche, strukturelle, personelle, bauliche und finanzielle Ent- wicklung der Universität. Ist der Struktur- und Entwick- lungsplan doch die Road Map für die Verwirklichung des universitären wissenschaftlichen Profils und mittelbar des- sen Finanzierung durch das Land.
Dies gilt ebenfalls für Entscheidungen des Rektorats über die Verteilung der für die Hochschule verfügbaren StellenundMittelnachdenGrundsätzendes§13Abs.2LHG (§ 16 Abs. 3 S. 2 Nr. 8 LHG). Der Wortlaut des § 13 Abs. 2 S. 7 LHG bindet diese Entscheidungen an den Struktur- und Entwicklungsplan der Hochschule, zudem an besondere Leistungs- und Belastungskriterien.
Davon abgesehen kann das Rektorat trotz aller Haus- haltsflexibilisierung nur in begrenztem Umfang Stellen und Mittel verteilen, weil diese durch bestehende Bin- dungen und Zuweisungen über lange Zeiträume hinweg festgelegt sind. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Wenn Berufungszusagen einzuhalten sind oder der Senat Hoch- schuleinrichtungen und Zentren beschließt (§ 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 LHG), werden hierdurch zugleich auch längerfris- tige Raum‑, Stellen- und Mittelzuweisungen erforder-
Würtenberger · Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Hochschulleitung 1 3
lich. In einer solchen Situation nur begrenzter Möglich- keiten der Verteilung von Mitteln und Stellen muss die Wissenschaftsfreiheit nicht durch weiterreichende organi- satorische Vorkehrungen geschützt werden.57
Nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 LHG nimmt der Senat zum Abschluss von Hochschulverträgen und Zielvereinba- rungen (vgl. 13 Abs. 2 S. 3 LHG) Stellung. Auch wenn die Zielvereinbarungen in der Praxis bislang keine Rolle spielen, so gilt dennoch: Hier findet eine Art von doppel- terBeteiligungdesSenatsstatt:DenndieHochschulver- träge und Zielvereinbarungen müssen auf Grund der ge- setzlichen Regelung die Zielsetzungen der genehmigten Struktur- und Entwicklungspläne beachten, denen der Senat bereits seine Zustimmung gegeben hat.58 Damit ist die verfassungsrechtlich gebotene Beteiligung des Se- nats, ähnlich wie in einer Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts gefordert59, gewahrt.
cc)Beteiligung des Senats am Qualitätsmanagement
Nach § 5 Abs. 1 LHG richten die Hochschulen unter der Gesamtverantwortung des Rektorats ein Qualitätsma- nagementsystem ein. Nach § 16 Abs. 3 S. 2 Nr. 5 LHG soll ein Qualitätsmanagementsystem der kontinuierlichen Bewertung und Verbesserung der Strukturen und Leis- tungsprozesse dienen. Zu diesem Qualitätsmanagement gehört nicht allein, aber auch die Lehr- und For- schungsevaluation.
Eine sachadäquate Forschungsevaluation hat aller- dings ihre Schwierigkeiten. Überzeugende rechtliche Vorgaben sind weder vom Gesetzgeber noch von Hoch- schulsatzungen etc. zu erwarten. Es gilt nach wie vor, was das Bundesverfassungsgericht 200460 judiziert hat: Wir sind auch wegen der allseits bekannten Wandlungen der Rahmenbedingungen wissenschaftlicher Forschung und wegen der Unterschiede im jeweiligen wissen- schaftsspezifischen Umfeld immer noch im Stadium der Diskussion von Praktiken der Wissenschaftsevaluation. So hat der Wissenschaftsrat eine Vielzahl von Kriterien der Evaluation von Wissenschaft vorgeschlagen, ohne vorgeben zu können, ob es Rangordnungen der Kriteri-
- 57 So BVerfG 1BvR 3217/07 Rn. 74.
- 58 Zur Verfassungsmäßigkeit, wenn das Rektorat zum Abschlussvon Zielvereinbarungen zuständig ist, die in ihrem wissenschafts- relevanten Teil an eine vom Senat beschlossene Struktur- und Entwicklungsplanung gebunden sind: BVerfG 1BvR 3217/07
Rn. 68. - 59 BVerfG‑K NVwZ-RR 2001, 587.
- 60 BVerfG 1 BvR 911/00, 927/00, 928/00 Rn. 152, 154.
- 61 Wissenschaftsrat, Aufgaben, Kriterien und Verfahren des Evalu-ationsausschusses des Wissenschaftsrates, Drs. 4205/14; ebenso Gärditz, Hochschulmanagement und Wissenschaftsadäquanz, NVwZ 2005, 407, 408 ff.
en gibt bzw. wie diese im Einzelfall gewichtet werden.61 Trotz seiner Versuche, die Evaluation wissenschaftlicher Leistung zu strukturieren und zu rationalisieren, musste er jüngst feststellen, „dass viele Wissenschaftler … die Verfahren der Leistungsmessung und die Formen der Mittelallokation mit Unmut betrachten und hinsichtlich des Nutzens dieser Verfahren für die Wissenschaft zu- nehmend Skepsis äußern“.62 In solcher Situation vom Gesetzgeber inhaltliche Vorgaben für Evaluationsver- fahren zu verlangen, wäre ein Bärendienst an der Wissenschaftsfreiheit.
Davon abgesehen ist sehr zweifelhaft, ob es zielfüh- rend sein kann, die Verteilung von Forschungsmitteln einem bestimmenden Einfluss der Forscher zu überant- worten. Ihnen fehlt die hinreichende persönliche Distanz zumEntscheidungsgegenstand,sodassFehlallokationen zu befürchten sind.63 Es bedarf damit einer distanzierten, aber dem Forschungsbereich doch verbundenen Mode- ration und Organisation. Für die Verteilung der For- schungsmittel kann damit nur das Rektorat zuständig sein.
Davon abgesehen ist der Senat durchaus an der Ent- wicklung des Qualitätsmanagementsystems beteiligt ist. Über die Beteiligung an der Verabschiedung des Struk- tur- und Entwicklungsplans wirkt der Senat auch an der Entwicklung des Qualitätsmanagementsystems mit.64
Nicht zuletzt erlassen die Hochschulen nach § 5 Abs. 3 S. 4 LHG Evaluationssatzungen. Der Senat ist also als Satzungsgeber in der Lage, die internen Evaluati- onsverfahren zu gestalten.65 In diesen Evaluationssat- zungen kann zum Beispiel vom Satzungsgeber Senat ge- regelt werden, dass und auch wie Evaluationen Grundla- ge leistungsorientierter Mittelverteilung sind. Auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist durch die Be- teiligung des Senats „die erforderliche Einbeziehung von wissenschaftlichem Sachverstand gewährleistet“.66 Es be- steht damit auch insoweit keine Gefahr wissen- schaftsinadäquater Entscheidungen.
62 Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Bewertung und Steuerung von Forschungsleistungen, Drs. 1656/11, S. 5.
63 So Gärditz, NVwZ 2005, 407, 409 mwN.
64 Vgl. etwa das umfängliche Kapitel im Struktur- und Entwick-
lungsplan der Universität Freiburg, im Internet abrufbar, S. 152 ff. 65 Vgl. § 2 S. 1 Nrn. 4 und 5 Ordnung der Universität Freiburg
für das Verfahren der Evaluation von Studium und Lehre vom 22. 12. 2011, Amtliche Bekanntmachungen, Jahrg. 42 (2011), Nr. 109, S. 976.
66 BVerfG 1 BvR 911/00, 927/00, 928/00 Rn. 177.
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c) Verfassungsmäßigkeit der besoldungsrechtlichen Kompetenzen des Rektorats nach § 16 Abs. 3 S. 2 Nrn. 11–14 LHG
§ 16 Abs. 3 S. 2 Nrn. 11–14 LHG weist dem Rektorat die Kompetenz zu, über Leistungsbezüge sowie Forschungs- und Lehrzulagen zu entscheiden. Die Festsetzung von Leistungsbezügen, etwa aus Anlass von Berufungsver- handlungen, gehört seit jeher zu den staatlichen Aufga- ben. In historischer Perspektive war die Professorenbe- soldung nie eine Angelegenheit, die korporationsrecht- lich von den Wissenschaftlern einer Hochschule (mit) zu entscheiden war. Diese staatliche Aufgabe ist dem Rekto- rat übertragen worden, das die entsprechenden Ent- scheidungen nach den beamten- und dienstrechtlichen Vorgaben zu treffen hat. Konsequenter Weise bindet § 16 Abs. 3 S. 2 Nrn. 11–14 LHG die vom Rektorat als Kol- legialorgan zu entscheidenden besoldungsrechtlichen Zulagen an § 38 Abs. 1 und § 60 LBesGBW.
Diese Dezentralisierung der Vergabe von Leistungs- bezügen sowie von Forschungs- und Lehrzulagen er- möglicht ein höheres Maß an Hochschulautonomie, als wenn die Vergabe dieser Bezüge und Zulagen durch das Ministerium erfolgen würde. Das Rektorat ist ein Kolle- gialorgan, das, legitimiert durch Wahlen, die LBVO zu vollziehen hat. Diese „Kollegialität“ gewährleistet „wis- senschafts- und leistungsrelevante Richtigkeit“ deutlich besser als die Entscheidung einer Landesbehörde.
Davon abgesehen ist äußerst zweifelhaft, ob die Ver- gabe von Leistungsbezügen sowie von Forschungs- und Lehrzulagen wissenschaftsrelevant im Sinne der Rechtspre- chung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG seinkann.DerartigeüberdienormaleBesoldunghinausge- hende Zulagen honorieren zwar persönlichen Einsatz und überdurchschnittliche Leistungen. Die Forschungs- freiheit steht aber nicht in deren Fokus. Diese wird weder durch besondere finanzielle Zuwendungen optimiert noch gar beeinträchtigt. Dies ist vom Wissenschaftsrat klar formuliert worden: „Zusätzliche externe, vor allem monetäre wettbewerbliche Impulse, die durchsetzungs- stärkeren Forschenden ein höheres Einkommen .… ver- sprechen, sind nicht erforderlich, um die Forschungs- leistung zu steigern“.67 Wer Gegenteiliges behaupten wollte, verkennt die persönliche Motivation, die For- schung voranbringt.
Dem steht die Entscheidung des Bundesverfassungs- gerichts zur Verfassungswidrigkeit der W 2‑Besoldung
67 Wissenschaftsrat, Empfehlungen, aaO. S. 6; anders ohne Be- gründung Koch, Leistungsorientierte Professorenbesoldung, 2010, S. 86, wobei Verfasserin die Gewährung von Leistungsbe- zügen gleichwohl für verfassungswidrig hält, wenn der Staat die Qualität von Wissenschaft beurteilt (S. 136 f.).
in Hessen nicht entgegen.68 Streitgegenstand dieser Ent- scheidung war allein, ob die hessische W 2‑Besoldung mit Art. 33 Abs. 5 GG in Einklang stehe, weil sie nicht dem Alimentationsprinzip und der amtsangemessenen Besoldung genüge. Lediglich in einem obiter dictum hat das Bundesverfassungsgericht allerdings die These ent- wickelt, es bedürfe einer wissenschaftsadäquaten Ausge- staltung der Gewährleistung von Leistungszulagen.69 In formelhafter Übernahme früherer Rechtsprechung zur Absicherung der Wissenschaftsfreiheit wird behauptet, eine wissenschaftsadäquate Ausgestaltung der Vergabe von Leistungszulagen schütze die Freiheit der Wissen- schaft und damit auch den einzelnen Wissenschaftler vor wissenschaftsinadäquaten Entscheidungen.70 War- um sich dies so verhält, bleibt ohne Begründung, – und lässt sich auch nicht ausreichend begründen. Denn wie bereits bemerkt: Das Ausmaß von Wissenschaftsfreiheit hängt nicht von den Dienstbezügen des Professors ab. Dass es sich hier um ein bloßes obiter dictum handelt, erhellt sich daraus, dass die Wissenschaftsfreiheit nicht in den Leitsätzen71 der Entscheidung thematisiert wird, dass dem Gesetzgeber keinerlei Hinweise zur prozedura- len Absicherung gegeben werden und dass im Subsumti- onsteil der Entscheidung nicht auf Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Bezug genommen wird.
4. Verfassungsmäßigkeit der Rechte des Senats bei Wahl und Abberufung der hauptamtlichen Rektoratsmitglie- der nach § 18 Abs. 1 – 3, Abs. 5 S. 1 und S. 4, § 19 Abs. 2 Nr. 1, 2 LHG
a) Zur Wahl
Die Wahl der hauptamtlichen Rektoratsmitglieder erfolgt in einem gestuften Verfahren:
Nach §18Abs.1S.1LHG wird eine Findungskom- mission zur Vorbereitung der Wahl eines hauptamtli- chen Rektoratsmitglieds eingesetzt. Diese Findungs- kommission beschließt einen Wahlvorschlag, der des Einvernehmens des Wissenschaftsministeriums bedarf. Sodann wählen Hochschulrat und Senat in gemeinsamer Sitzung die hauptamtlichen Rektoratsmitglieder (§ 18 Abs. 2 S. 2 LHG). Auf Verlangen eines der beiden Wahlgremien, also auch des Senats, werden weitere Be- werber in den Wahlvorschlag aufgenommen, sofern das Wissenschaftsministerium sein Einvernehmen erteilt. Die Quoren für die Wahl regelt § 18 Abs. 2 S. 4–6 LHG. Wird die in den ersten beiden Wahlgängen erforderliche
68 BVerfG Urteil vom 14. 2. 2012 2 BvL 4/10.
69 BVerfG 2 BvL 4/10 Rn. 161.
70 BVerfG 2 BvL 4/10 Rn. 159.
71 Zu diesem Erfordernis: BVerwGE 73, 263, 268; kritisch Schlaich/
Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 489 mwN.
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Mehrheit nicht erreicht, reicht im dritten Wahlgang die einfache Mehrheit der Stimmen jeweils beider Wahlgre- mien. Scheitert eine Wahl, wird ein Wahlpersonengremi- um eingesetzt, das aus der gleichen Zahl von externen Mitgliedern des Hochschulrates und von Mitgliedern des Senats besteht. Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen in diesem Gremium erhält (zu den Modalitä- ten: § 17 Abs. 3 S. 4 LHG).
Eine Findungskommission hat, wie vom Bundesver- fassungsgericht betont72, einen maßgeblichen Einfluss auf die Wahl der hauptamtlichen Rektoratsmitglieder. Daher müssen die an der Hochschule tätigen Wissenschaftler in der Findungskommission ausreichend gewichtig re- präsentiert sein. Dem wird dadurch Rechnung getragen, dass der Findungskommission die gleiche Zahl an Mit- gliedern aus Senat und Hochschulrat angehören müssen (§18Abs.1S.2LHG). Durch diese paritätische Beset- zung hat der Senat auch dann ausreichende Mitwir- kungskompetenzen, wenn dem Leitungsorgan gewichti- ge wissenschaftsrelevante Befugnisse zugewiesen sein sollten.73
Gegen die Quoren des Wahlverfahrens ist verfas- sungsrechtlich nichts zu erinnern. Die Senatsmitglieder haben Blockademöglichkeiten, um die Wahl eines ihnen nicht genehmen Kandidaten zu verhindern. Entschei- dend ist: Gegen den Willen der Repräsentanten des Se- nats kann kein hauptamtliches Rektoratsmitglied ge- wählt werden.
Auch die Mitwirkung des Ministeriums am Wahlver- fahren begegnet keinen verfassungsrechtlichen Beden- ken. Das Ministerium muss sein Einvernehmen mit dem Kandidaten erklären, weil der hautamtliche Rektor auch für den Vollzug staatlicher Aufgaben zuständig ist.
b) Zur Abberufung
Die Abberufung bzw. Abwahl als actus contrarius zur Wahl ist in § 18 Abs. 5 S. 1 und 4 LHG geregelt: Im wech- selseitigen Einvernehmen können Hochschulrat, Senat und Wissenschaftsministerium das Amt eines haupt- amtlichen Rektoratsmitglieds vorzeitig beenden. Im Senat und im Hochschulrat ist hierfür eine 2/3 Mehrheit erforderlich.
Ob dieses Quorum den verfassungsrechtlichen An- forderungen genügt, erscheint fraglich. Denn nach An- sichtdesBundesverfassungsgerichtsstößtesauferhebli-
- 72 BVerfG 1 BvR 3217/07 Rn. 84.
- 73 Das BVerfG, aaO. hat es nicht für ausreichend erachtet, wenn nurzwei von elf stimmberechtigten Mitgliedern in der Findungskom- mission vom Senat bestimmt werden, – ein Missverhältnis, von dem die baden-württembergische Regelung weit entfernt ist.
- 74 BVerfG 1 BvR 3217/07 Rn. 95.
che Bedenken, wenn die abstimmenden Wissenschaftler nicht in der Lage sind, das Quorum von 2/3 Dritteln im Senat zu erreichen.74 In aller Regel wird dieses Quorum im Senat von der Gruppe der Hochschullehrer (auch wenn man die Dekane hinzuzählt) nicht erreicht. Dies macht die „Abwahlregelung“ im LHG gleichwohl nicht verfassungswidrig. Denn das vom Bundesverfassungsge- richt geforderte 2/3 Quorum für die Wissenschaftler gilt nur unter besonderen Voraussetzungen75: Die wissen- schaftsrelevanten Entscheidungen müssen größtenteils bei den hauptamtlichen Rektoratsmitgliedern bzw. beim Rektorat konzentriert sein, dem Senat dürfen, abgesehen von einigen wenigen Beschluss- oder Zustimmungs- rechten, nur Informations- oder Benehmensrechte zu- stehen. Gerade dies ist aber bei der Kompetenzvertei- lung zwischen Senat und Rektorat nicht der Fall. Dem Senat stehen, wie ausgeführt76, zahlreiche Beschluss- kompetenzen und Zustimmungsrechte zu.
Auch ist nicht verfassungswidrig, dass das zuständige Ministerium an der vorzeitigen Beendigung des Amtes eines hauptamtlichen Rektors mitwirkt. Dieses Mitwir- kungsrecht ist dadurch gerechtfertigt, dass das haupt- amtliche Rektoratsmitglied auch staatliche Aufgaben zu vollziehen hat, die, jedenfalls zum Teil, vor der Hoch- schulreform vom Ministerium wahrgenommen wurden. Wegen dieses Kondominiums zwischen Ministerium bzw. Land und Rektorat bestehen keine Bedenken an der Mitwirkung des Ministeriums bei der Beendigung des Amtes eines hauptamtlichen Rektoratsmitglieds. Dieses Mitwirkungsrecht wird dann verfassungskonform aus- geübt, wenn das Ministerium zur Ansicht gelangt, die Vertrauensbasis zwischen dem hauptamtlichen Rekto- ratsmitglied und dem Rektorat sei entfallen.
c) Würdigung der Regelungen über Wahl und Abberu- fung im hochschulrechtlichen Gesamtgefüge
Würdigt man die Regelungen der Wahl und Abberufung der hauptamtlichen Rektoratsmitglieder im hochschul- rechtlichen Gesamtgefüge: Nach der hochschulorganisa- tionsrechtlichen je desto-Formel des Bundesverfas- sungsgerichts muss die Mitwirkung des Vertretungsor- gans an der Bestellung und Abberufung der (hauptamtlichen) Leitungsorgane desto stärker sein, „je mehr, je grundlegender und je substantieller wissen- schaftsrelevante personelle und sachliche Entschei-
75 In BVerfG 1 BvR 911/20, 927/00, 928/00 Rn. 188 wird die Ab- wahlmöglichkeit einer 2/3 Mehrheit von Senatsmitgliedern für verfassungskonform erachtet.
76 Vgl. unter II., 3b, aa.
77 BVerfG 1 BvR 3217/07, LS 2.
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dungsbefugnisse dem Vertretungsorgan der akademi- schen Selbstverwaltung entzogen und einem Leitungsor- gan zugewiesen werden“.77 Im Gesamtgefüge des baden-württembergischen Hochschulorganisationsrechts zeigt sich eine verfassungskonforme Austarierung zwi- schen den Kompetenzen von Senat, Hochschulrat und Rektorat einerseits und den Bestellungs- und Abberu- fungsregelungen der (hauptamtlichen) Rektoratsmitglie- der andererseits.
Die Mitwirkungsrechte des Landes sind durch das Kondominium zwischen Land und Hochschule gerecht- fertigt. Bei den erforderlichen Quoren liegt zum einen ein hinreichendes Gewicht beim Senat als Organ der akademischen Selbstverwaltung. Zum anderen bestehen nicht zu unterschätzende Möglichkeiten wissenschafts- relevanter Einflussnahme im Hochschulrat, soweit er auch interne Mitglieder umfasst. Soweit der Hochschul- rat nur durch externe Mitglieder gebildet wird, haben die Repräsentanten des Senats jedenfalls durch ihre Blo- ckademöglichkeiten einen entscheidenden Einfluss auf die Wahl der hauptamtlichen Rektoratsmitglieder. Bei der Abberufung eines hauptamtlichen Rektoratsmit- glieds haben der Senat und die in ihm repräsentierten Wissenschaftler deutlich geringere Einflussmöglichkei- ten. Dies erscheint noch verfassungskonform, weil der Senat auf wissenschaftsrelevante Entscheidungen, wie ausgeführt, beträchtliche Einflussmöglichkeiten hat.
III. Abschließende Würdigung
Eine abschließende Würdigung des im LHG geregelten wissenschaftsorganisatorischen Gesamtgefüges ergibt: Die Zuweisung von Entscheidungsbefugnissen an die Leitungsorgane ist inhaltlich begrenzt und organisato- risch so abgesichert, dass eine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit ausscheidet. Außerdem orien- tiert sich die akademische Praxis der Leitungs- und Ver- tretungsorgane ganz selbstverständlich an einer verfas- sungskonformen Ausübung der ihnen zugewiesenen Kompetenzen und Rechte verfahrensmäßiger Beteili- gung.
Das zweite Hochschulrechtsänderungsgesetz von 2005 und das dritte Hochschulrechtsänderungsgesetz von 2014 verfolgen zwei Leitziele: zum einen eine Stär- kung der Leitungsorgane durch Übertragung vormals staatlicher Aufgaben, zum anderen eine Stärkung der Hochschulautonomie durch Aufhebung von Fachauf- sicht sowie durch Haushaltsglobalisierung und leis- tungsbezogene Mittelverteilung. In vielen Bereichen er- folgt nunmehr eine von Hochschule und Land koopera- tive, auf Verständigung angelegte Kompetenzausübung. Die Hochschulautonomie ist zudem dadurch gestärkt,
dass von den Hochschulen darüber entschieden wird, ob sie hochschulinterne Mitglieder in den Hochschulrat ent- senden, und dass sie regeln können, ob neben dem De- kan vier weitere Prodekane und neben dem Rektor fünf weitere Prorektoren Sitz und Stimme im Dekanat bzw. im Rektorat haben. Durch Ausschöpfen der hochschul- rechtlichen Höchstzahl haben es die Hochschulen in der Hand, ihre kollegialen, mit Stimmenmehrheit entschei- denden Leitungsorgane wissenschaftspluralistisch zu- sammenzusetzen. So können in die Beschlüsse der Lei- tungsorgane innerhalb der Wissenschaft bestehende Un- terschiede mit gefächertem wissenschaftlichem Sachver- stand und sachverständig eingebracht werden.
Das organisatorische Gesamtgefüge der Fakultäten lässt keine strukturellen Gefährdungen der Wissen- schaftsfreiheit befürchten. Das Vertretungsorgan Fakul- tätsrat hat auf die Wahl des Dekans und der Prodekane einen bestimmenden Einfluss. Dies gilt ebenfalls für die Abwahl des Dekans, die eine Zweidrittelmehrheit des Fakultätsrats erfordert. Wissenschaftsinadäquate Ent- scheidungen des Dekanats sind schon deshalb nicht zu befürchten: Das Dekanat muss den Fakultätsrat regelmä- ßig über wichtige wissenschaftsrelevante Entscheidun- gen unterrichten, was sich nach gutem akademischem Brauch mit einer Meinungsbildung im Fakultätsrat ver- bindet. Es ist fast schon ein ungeschriebener hochschul- rechtlicher Grundsatz, dass das Dekanat an jenes rückge- bunden ist, was mehrheitlich im Fakultätsrat geäußert wurde. Ein wesentliches Steuerungsinstrument des Fa- kultätsrates ist seine Zustimmung zum Struktur- und Entwicklungsplan. Dieses Zustimmungserfordernis er- möglicht es dem Fakultätsrat, die Eckdaten der mittel- fristigen Entwicklung der Fakultät festzulegen. In die- sem ist etwa geregelt, mit welcher Funktionsbeschrei- bung freiwerdende Professuren auszuschreiben sind. Was den Haushalt betrifft, so legt er fest, welche Stellen und Mittel von der Fakultät benötigt werden. Nicht zu- letzt trifft der Fakultätsrat mit dem Votum über Beru- fungsvorschläge, über die Studien- und Prüfungsord- nungensowieüberihreinnereStrukturzentralewissen- schaftsrelevante Entscheidungen.
Das Rektorat ist das zentrale Leitungsorgan der Univer- sität. Seine Zuständigkeiten zur Leitung der Hochschule teilt es mit dem Senat, mit dem Hochschulrat und mit dem Wissenschaftsministerium. Im Rahmen der Zuständig- keitsverteilung hat der Senat wichtige Beschlusskompeten- zen: Wahl der nebenamtlichen Rektoratsmitglieder, Be- schlussfassung über Studiengänge, Hochschuleinrichtungen, Fachgruppen etc., Beschlussfassung über die Festsetzung der Zulassungszahlen, Beschlussfassung über die Satzungen für Prüfungen, Beschlussfassung über die Grundordnung, und nicht zuletzt Beschlussfassung über die Evaluationssatzung.
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Über die Grundordnung regelt der Senat zu dem die Gliederung der Universität in Fakultäten, Hochschulein- richtungen oder Zentren. Zum Struktur-und Entwick- lungsplan, dem zentralen Dokument zum Profil, zur Ge- staltung und zur Entwicklung der Hochschule, hat der Senat ein Zustimmungsrecht ebenso wie zu den Beru- fungslisten von Fakultäten gemäß der Grundordnung. In der akademischen Praxis kommt der Struktur- und Entwicklungsplan unter intensiver Beteiligung aller Vertretungsorgane zustande.
Gewiss hat das Rektorat als Leitungsorgan im Wis- senschaftsbereich gewichtige Entscheidungskompeten- zen, wie etwa den Abschluss von Hochschulverträgen und Zielvereinbarungen, die Aufstellung des Entwurfs des Haushaltsvoranschlags oder die Verteilung der ver- fügbaren Stellen und Mittel. Mit diesen Entscheidungen des Rektorats wird jedoch nur jenes ausgeführt, was be- reits im Struktur- und Entwicklungsplan vorverfügt ge- wesen ist. Dem hat der Senat zugestimmt und konnte bei der Erteilung seiner Zustimmung auf die Eckpunkte der Hochschulentwicklung Einfluss nehmen. Auch über sei- ne Herrschaft über die Tagesordnung und sein weit rei- chendes Informationsrecht ist der Senat in der Lage, die Ausarbeitung der Struktur- und Entwicklungsplanung durch das Rektorat frühzeitig und Einfluss nehmend zu begleiten. Mit diesem Bündel an vielfältigen Kompeten- zen hat der Senat ganz erhebliche Steuerungsmöglich- keiten hinsichtlich aller Entscheidungen, die wissen- schaftsrelevant sind.
Die Wahl der hauptamtlichen Rektoratsmitglieder kann nicht gegen den Willen des Senats geschehen. Der Senat hat eine starke verfahrensmäßige Stellung, die es hindert, dass ein hauptamtliches Rektoratsmitglied der Hochschule aufgezwungen wird. Über die Wahl der wei- teren Rektoratsmitglieder entscheidet der Senat eigen-
ständig. Schwächer ist allerdings die Stellung des Senats bei der Abberufung von hauptamtlichen Rektoratsmit- gliedern. Dies kann aus zwei Gründen hingenommen werden: Zum einen kann der Senat, wie ausführlich be- gründet, an wesentlichen wissenschaftsrelevanten Ent- scheidungen bestimmend mitwirken. Zum anderen bleibt ein Rektoratsmitglied, das das Vertrauen des Sena- tes verloren hat, gleichwohl in Mehrheitsentscheidungen des Rektorats eingebunden.
Bei einer Gesamtbilanz führt dieses neue Steuerungs- modell zu einem substantiellen Gewinn an Hochschulau- tonomie. Die Leitungsorgane der Hochschulen nehmen nun dezentral und in Verantwortung gegenüber ihrer Hoch- schule Aufgaben waren, die bislang zentralistisch aus dem „hochschulfernen Stuttgart“ vollzogen wurden. Diese neue Sachnähe der Aufgabenerfüllung verbessert die Möglich- keiten zu wissenschaftsadäquaten Entscheidungen.
Im Ergebnis orientieren sich die zentralen organisati- onsrechtlichen Vorschriften des LHG an einer Balance von starker Leitung auf der einen Seite und weit reichen- den Mitwirkungs- und Zustimmungsrechten der Vertre- tungsorgane auf der anderen Seite. Diese Balance gestat- tet es der Hochschulleitung, Profil und Entwicklung der Hochschule voranzubringen, und den Vertretungsorga- nen, die wissenschaftsrelevanten Entscheidungen mitzu- gestalten und die Hochschule vor wissenschaftsfremden Entscheidungen zu schützen. Das Rektorat kann und muss in umfassenden Aushandlungs- und Zustim- mungsverfahren mit allen Gremien und Akteuren die erforderliche Führungsverantwortung übernehmen.
Thomas Würtenberger ist Professor an der Albert-Lud- wigs-Universität Freiburg und Leiter der Forschungs- stelle für Hochschulrecht und Hochschularbeitsrecht.
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