ÜBERSICHT
I. Einleitung
II. Das DESY und seine Kooperationen am Beispiel von HERA, European XFEL und CTA
1. HERA
2. European XFEL
3. Cherenkov Telescope Array (CTA)
III. Bewertung von Kooperationsformen am Beispiel der von der ESFRI ausgewählten Charakteristika
IV. Thesen zu den Erfolgsfaktoren bei der Organisation interna- tionaler Forschungseinrichtungen
I. Einleitung
Der weit überwiegende Teil aktueller Forschungsvorha- ben ist international. Forschungsergebnisse werden international veröffentlicht und bewertet, For- schungsteams sind multinational und jedenfalls in Euro- pa werden auch Ressourcen für größere Projekte in immer stärkerem Maße international vergeben. Die Fra- ge, wie diese internationale Zusammenarbeit von For- schern in geeignete Organisationsformen gegossen wer- den kann, nimmt damit ebenfalls eine wachsende Bedeu- tung ein.
Dabei ist die einhergehende Verrechtlichung des Themas den agierenden Wissenschaftlern und zum Teil auch den sie beschäftigenden Institutionen vielfach nicht bewusst. Dort wo sie es ist, werden Regelungsansprüche aus den beteiligten Rechtssystemen vielfach als ein lästi- ges Beiwerk empfunden, welches Zeit kostet, die für die eigentliche Forschung fehlt und Anforderungen mani- festiert, denen sich die Forschung glaubte entziehen zu können. Früher waren Forschungsvorhaben durch Ab- sprachen hochintelligenter und einander gut bekannter Akteure gefühlt um ein vielfaches einfacher. Heutige Konstrukte aus den verschiedensten nationalen und in- ternationalen Rechtsgebieten, die für eine moderne For- schungskooperation wie etwa den im September dieses
* Schriftliche Version eines Vortrags gehalten anlässlich des Sym- posiums „Forschungskooperationen Plädoyer für eine wissen- schaftsadäquate Rechtsform“ am 6. Oktober 2017 in Berlin. Die in diesem Aufsatz geäußerten Ansichten sind die des Autors und geben nicht notwendigerweise die offizielle Meinung des DESY wieder.
Jahres eingeweihten europäischen Röntgenlaser Euro- pean XFEL nötig sind, werden dagegen als äußerst kom- plex empfunden.
Der unlängst unternommene Anlauf,1 aufbauend auf den Instituten des deutschen Gesellschaftsrechts eine für wissenschaftliche Kooperationen besonders geeignete Ko- operationsform zu entwickeln, kann hier sehr hilfreiche Dienste leisten. Dies gilt in besonderem Maße, wenn die In- itiative von der Möglichkeit Gebrauch macht, eine umfas- sende Lösung unter Einschluss nicht nur von gesellschafts‑, sondern auch von haftungs- und insbesondere steuerrecht- lichen Fragestellungen zu entwickeln. In welcher Form die- se Kooperationen künftig normiert und standardisiert wer- den können, bzw. welcher Katalog erprobter Rechtskonst- rukte hierfür sinnvoll wäre, wird in den weiteren Beiträgen diesesHeftesbeleuchtet.
ImZentrumdeshierverschriftlichtenSymposiumsbei- trags geht es darum, einige Beispiele aus der erprobten Ko- operationspraxis einer seit mehreren Jahrzehnten internati- onal agierenden Forschungseinrichtung aufzuzeigen. Im Anschluss werden diese Beispiele gemäß den vom Euro- pean Strategy Forum on Research Infrastructures (ESFRI) der EU gewählten Charakteristika2 eingeordnet. Die vom ESFRI gewählten Charakteristika werden dabei um jene er- gänzt,diesichinderPraxisdesDESYalsbesonderswesent- lich für die Erfolgsaussichten einer Kooperation erwiesen haben. Schließlich werden dann, gestützt auf die praktische Erfahrung am DESY, Thesen zu erfolgskritischen Organisa- tionscharakteristika von Forschungskooperationen entwi- ckelt, die bei der vorgesehenen rechtlichen Abbildung künf- tiger wissenschaftlicher Kooperationen Orientierung bie- ten können.
II. Das DESY und seine Kooperationen am Beispiel von HERA, European XFEL und CTA
Das DESY baut und betreibt seit 1959 in Hamburg als Stiftung des Bürgerlichen Rechts Teilchenbeschleuniger,
1 Vgl. Wolfram Eberbach, Peter Hommelhoff, Johannes Lappe: Eine Kooperationsform für die Wissenschaft, Ordnung der Wissen- schaft 1/2017, S. 1ff.
2 Report of the Workshop on the Legal forms of research infra- structures of pan-European interests, Brussels 23 March 2006.
Christian Harringa
Zwischen Völkerrecht und Frascati: Praktische As- pekte der Ausgestaltung internationaler Kooperatio- nen am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY)*
Ordnung der Wissenschaft 2018, ISSN 2197–9197
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die der Erforschung der Materie in maximaler zeitlicher und räumlicher Auflösung dienen. Seit 1992 hat DESY einen zweiten Standort in Zeuthen bei Berlin, der sich vor allem der Astroteilchenphysik widmet. Mit heute mehr als 2.300 Beschäftigten und einem Jahresetat vön mehr als 350 Miö. € zählt das DESY zu den größten Beschleunigerzentren weltweit. Mehr als 3.000 Gastfor- scher arbeiten jährlich für einige Zeit am DESY, mehr als 1.000 Kooperationen wurden zwischen dem DESY und Forschungspartnern im In- und Ausland geschlossen.3 DESY ist Gründungsmitglied der Helmholtz-Gemein- schaft.
Für die Zwecke dieser Darstellung werden drei we- sentliche Kooperationsprojekte gewählt, die DESY in den vergangenen Jahrzehnten geprägt haben bzw. im Fall von CTA künftig tun werden. Allen drei Projekten ist gemein, dass es sich um internationale Kooperatio- nen mit einer größeren Zahl von Teilnehmern und ei- nem Budget im drei- bis vierstelligen Millionen-Euro- Bereich handelt. Die Projekte, die hier in ihrer physika- lisch-naturwissenschaftlichen Konzeption nur im An- satz beschrieben werden können, dienen als Beispiele für verschiedene organisatorische Herausforderungen, an denen sich Vorschläge für die rechtliche Verfasstheit von Forschungskooperationen messen lassen müssen. Ihre Darstellung beschränkt sich daher an dieser Stelle im Wesentlichen auf organisatorische Rahmendaten.
1. HERA
Die der Untersuchung der inneren Proton-Struktur gewidmete Hadron-Elektron-Ring-Anlage HERA ist mit einem Umfang von 6.336 Metern die größte Beschleunigeranlage, die DESY je errichtet hat. In dieser Anlage werden Teilchen beschleunigt und an vorbestimmten Punkten zur Kollision gebraucht. Aus den zerberstenden sub-atomaren Teilchen lassen sich dann durch aufwendige Detektoren unter Einsatz rie- siger Rechenkapazitäten Rückschlüsse auf die Teil- chenstruktur ziehen. Der Bau der unterirdischen Anlage begann 1984. Die ersten Experimente konnten 1992 ihren Messbetrieb beginnen. Herausragender wissenschaftlicher Erfolg der Anlage war die Entde- ckung des Gluons. HERA war bis Ende Juni 2007 in Betrieb.
Zwölf Länder mit mehr als 40 Forschungsinstituten waren am Bau der mehr als 1 Milliarde Mark teuren An- lage beteiligt, rund 77 % der Kosten wurden von Deutsch- land getragen. Interessant ist das seither insbesondere im Bereich der damals federführenden Teilchenphysik im-
3 Vgl. Ehrich Lohman und Paul Söding, Von schnellen Teilchen und hellem Licht, 50 Jahre Deutsches Elektronen Synchrotron,
mer wieder höchgelöbte sög. „HERA-Mödell“.4 Dieses Modell beschreibt die Organisation von Planung, Bau und Betrieb einer Forschungsinfrastruktur von hoher Komplexität und enormem Ressourcenbedarf im Rah- men einer Gemeinschaft interessierter Forschungsein- richtungen, die sich ohne eine eigene ausdrückliche rechtliche Organisation rund um einen zentralen „Orga- nisatör“ – in diesem Falle DESY – aufstellt. Konkret be- stand die Kollaboration im Wesentlichen aus Sachbeiträ- gen in Form von Komponenten der Gesamtanlage, über deren Notwendigkeit man sich in Form eines rechtlich nicht bindenden Konzepts zwischen DESY und den üb- rigen Beteiligten verständigt hatte. Zur Lieferung dieser In-Kind-Beiträge in der erforderlichen Spezifikation hatten sich die Beteiligten bilateral gegenüber DESY ver- pflichtetet. Auf diese Weise war die Beschaffung signifi- kanter Ressourcen einschließlich deren Umwandlung in entsprechend bepreiste Sachbeiträge den internationalen Partnern überlassen. Finanzielle Direktbeiträge wurden weitgehend vermieden.
Im Betrieb der Anlage lagen die Verantwortung für den Beschleuniger und die gesamte Administration bei DESY. Die Verantwortung für die Experimente ein- schließlich der zugehörigen Detektorkomponenten wur- de vom jeweiligen Partnerinstitut bzw. der für die einzelnen Experimente vereinbarten Kooperation mehrerer Institute übernommen. Die erforderlichen Abstimmungen erfolgten im Rahmen der regelmäßig stattfindenden Treffen der bei- tragenden Länder, in der auch die Finanzplanung für die kommenden Jahre vorgenommen wurde. Hilfreich für die- se Kooperation war die Tatsache, dass sie sich innerhalb der Community der Teilchenphysiker konstituierte, die lang- jährige Erfahrungen mit ähnlichen, wenn auch im Umfang kleineren Projekten hatte.
In der Rückschau wird das nunmehr seit mehr als zehn Jahren nicht mehr betriebene Modell, dessen Da- tenauswertung gleichwohl noch immer andauert, von Seiten aller Beteiligten als ein großer Erfolg gewertet. Dies gilt insbesondere für die scheinbar kaum wahrnehmbare Natur der Organisation im Sinne einer insbesondere in der Teilchenphysik erprobten Kooperation zahlreicher Akteu- re, die sich primär um ein wissenschaftliches Konzept für eine zentrale Anlage organisieren.
2. European XFEL
Der Linearbeschleuniger European X‑Ray Free Electron Laser XFEL ist die hellste Lichtquelle der Welt. In Betrieb seit September 2017, dient die Anlage u. a. dazu, moleku- lare Prozesse mit bis zu 27.000 Bildern pro Sekunde zu
Weinheim 2009.
4 Lohman und Söding a.a.O S. 124 ff.
analysieren. Damit sind dreidimensionale Aufnahmen chemischer und biologischer Prozesse möglich, die völ- lig neue wissenschaftliche Potentiale in vielen Gebieten erschließen.
DESY hat mit dem Projekt FLASH die technologi- schen Voraussetzungen für die Elektronenlasertechnolo- gie geschaffen und ist für die ursprüngliche Konzeption des Gesamtprojekts sowie als Konsortialführer für Bau und Betrieb des Beschleunigers, der auf dem DESY-Ge- lände in Hamburg-Bahrenfeld seinen Anfang nimmt, verantwortlich.
Rechtliche Grundlage des Projekts ist eine völker- rechtliche Übereinkunft,5 auf deren Basis eine von 11 Ge- sellschaftern gehaltene deutsche GmbH – die European XFEL GmbH — gegründet wurde. Größter Gesellschafter ist mit rund 58 % die Bundesrepublik Deutschland, für die DESY die Gesellschafterrolle innehat, zweitgrößer Gesellschafter die Russische Föderation mit rund 27 % der Anteile. Die mit den russischen Anteilen verknüpfte Finanzierungszusage in Höhe von mehr als 250 Miö. € wurde als wichtiger Durchbruch für den Beginn der Re- alisierung gesehen.6 Derzeit neun weitere europäische Partner folgen mit Anteilen von 3 % und weniger.
Die European XFEL GmbH ist verantwortlich für den Betrieb der Experimente, welche rund drei Kilometer von DESY entfernt im schleswig-holsteinischen Schene- feld stattfinden. Die GmbH ist zudem Vertragspartner für die mit den Partnern einschließlich Deutschland ver- einbarten In-Kind-Beiträge. Die Baukosten betrugen mehr als 1,5 Mrd. €.
Die strategische Leitung der European XFEL GmbH erfolgt durch den sog. XFEL-Council, in dem die Gesell- schafter zusammenkommen. Im Übrigen liegt die Lei- tung bei der Geschäftsführung der GmbH.
Administrative und rechtliche Herausforderungen des Projekts ergeben sich immer wieder aus der als sög. „Cömpany-Lösung“ benannten rechtlichen Selbststän- digkeit. Während diese Selbstständigkeit im Sinne einer transparenten und von DESY als Hauptgesellschafter unabhängigen Organisationsform geschätzt wird, erge- ben sich gleichzeitig eine Reihe von Schwierigkeiten ge- genüber dem zuvor geschilderten HERA-Modell. Bei- spiele sind etwa Umsatzsteuertatbestände für die von DESY erbrachten Leistungen. Hier ist derzeit zu klären, inwieweit das zwischen den zuständigen Steuerverwaltun- gen und den einzelnen Zentren der Helmholtz-Gemein-
- 5 Convention concerning the Construction and Operation of a European X‑Ray Free-Electron Laser Facility, Hamburg 2009.
- 6 Olof Hallonsten, The Politics of European Collaboration in Big Science, in Mayer et al. The Global Politics of Science and Tech- nology, Berlin 2014.
- 7 Hierbei geht es um den Umfang der Vorsteuerabzugsfähigkeit,
schaft vereinbarte sog. Frascati-Modell7 auch auf die Euro- pean XFEL GmbH Anwendung findet. Weitere Herausfor- derungen ergeben sich etwa bei der Personalüberlassung zwischen DESY und der GmbH und nicht zuletzt bei der Zurechnung der erwarteten wissenschaftlichen Erfolge und der daraus resultierenden Reputation.
3. Cherenkov Telescope Array (CTA)
Bei CTA handelt es sich um ein Projekt, das am DESY- Standort in Zeuthen im Bereich der Astroteilchenphysik betrieben wird. Hier geht es um die Errichtung und den Betrieb zweier Observatorien für die Detektion hoch- energetischer Gammastrahlen in Chile und auf der Kanareninsel La Palma. Das Projekt befindet sich mit seinen 11 Partnern derzeit noch in der Vorbereitungs- phase. Zusagen für das insgesamt rund 400 Miö. € teure Vörhaben liegen aus mehreren europäischen Ländern vor, darunter Deutschland mit rund 19 %. Momentan existiert ein Interim-Rechtsträger in Form einer in Hei- delberg beheimateten gGmbH. Der Umzug zum neuen Hauptquartier nach Bologna einerseits und zum Science Data Management Center bei DESY in Zeuthen ist zwi- schen den Akteuren vereinbart. Mittelfristig wird der Übergang in die noch relativ junge europarechtliche Rechtsform des ERIC8 geplant.
Ähnlich der European XFEL GmbH soll der künftige CTA-ERIC eine völker- bzw. gemeinschaftsrechtliche Gründungskonvention erhalten und dann Vertragspart- ner von In-Kind-Verträgen über zu erbringende Kom- ponenten wie etwa einzelne Teleskope werden. Auch hier ist geplant, dass die deutsche Mitgliedschaft im CTA-ERIC maßgeblich von DESY wahrgenommen wird.
Das CTA-Projekt stößt derzeit auf ähnliche rechtlich- organisatorische Herausforderungen wie die European XFEL GmbH, auch hier gilt es insbesondere steuer- und arbeitsrechtliche Fragen zu klären, die durch den vorge- sehenen Umzug von Heidelberg nach Bologna noch ein- mal komplexer sind. Die Frage der Reputationszurech- nung hat eine Rolle gespielt bei der Entscheidung, Hauptquartier und Science Data Management Center an zwei unterschiedlichen Orten unterzubringen, wird der CTA-ERIC unter Einschluss der geplanten Observatori- en am Ende an insgesamt vier Standorten innerhalb und außerhalb von Europa beheimatet sein.
der auf der Grundlage der Klassifizierungen wissenschaftlicher Tätigkeit nach dem sog. Frascati-Manual der OECD geregelt wird.
8 Verordnung (EG) Nr. 723/2009 des Rates vom 25. Juni 2009 über den gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für ein Konsortium für eine europäische Forschungsinfrastruktur (ERIC).
Harringa · Zwischen Völkerrecht und Frascati 7 1
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III. Bewertung von Kooperationsformen am Beispiel der von der ESFRI ausgewählten Charakteristika
Die vorangegangenen Beispiele schildern allesamt For- schungskooperationen, die unter maßgeblicher deutscher Beteiligung gemeinsam mit europäischen Partnern betrie- ben werden. Auch künftig ist davon auszugehen, dass Vor- haben, bei denen eine wissenschaftlich-inhaltliche Koope- ration zwischen mehreren europäischen Ländern und ein Finanzbudget im höheren Millionenbereich erforderlich ist, auf der Ebene der EU organisiert werden. Die EU selbst hat diesem Umstand nicht nur 2009 mit der Schaffung des forschungsspezifischen Rechtsträgers ERIC Rechnung getragen, sondern hat aus diesem Grund bereits im Jahr 2002 das European Strategy Forum on Research Infrastruc- tures begründet. Es dient mit seinen Delegierten aus den Mitgliedstaaten der EU als wichtiges Koordinationsinstru- ment und spielt eine Schlüsselrolle bei der Artikulation von Anforderungen an aktuelle und künftige Forschungs- kooperationen. In dieser Funktion hat das ESFRI 2006 einen Workshop über rechtliche Formen von Forschungs- infrastrukturenimgesamteuropäischenInteresse,darunter auch European XFEL, vorgenommen.9
Angesichts der Bedeutung des europäischen Rechts- raums und nicht zuletzt dem Primat des EU-Rechts für die künftige Rechtsgestaltung von Forschungskooperati- onen auch in Deutschland macht es Sinn, die Einschät- zungen des ESFRI in die Diskussion mit einzubeziehen. Dies gilt umso mehr, als nicht alle der im ESFRI-Report getroffenen Wertungen mit den praktischen Erfahrun- gen des Jahres 2017 am DESY übereinstimmen.
Das ESFRI nimmt zunächst eine Klassifizierung möglicher Formen der Forschungskooperation nach ih- rer Rechtsform, namentlich Völkerrecht, EU-Recht und nationales Recht, vor.
Forschungskooperationen auf der Basis einer völker- rechtlichen Vereinbarung wie etwa beim Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire CERN oder dem European Molecular Biology Laboratory EMBL führen regelmäßig10 zur Gründung einer mit Völkerrechtspersönlichkeit ausge- statteten Rechtsperson. Bei der Begründung einer solchen Kooperation entstehen umfassende Gründungsdokumente hinsichtlich Mission, Funktion und Struktur der Koopera- tion, hierzu zählt auch eine klare Governance. Mit der Völ- kerrechtspersönlichkeit sind in der Regel Privilegien im Abgabenbereich und zum Teil auch in der Anwendung na- tionaler aufsichtsrechtlicher Regelungen verknüpft, was
- 9 ESFRI Report of the Workshop on the Legal forms of research in- frastructures of pan-European interests, 23 March 2006, Brussels QUELLE.
- 10 Mischformen sind gleichwohl denkbar, wenn wie beim European XFEL sich die Mitgliedstaaten auf der Basis einer völkerrechtli-
wiederum zu einer umfassenden spezifischen Regelung etwa über ein Finanzstatut führt. Nicht zuletzt werden durch die Gehaltsregelungen nach internationalem Stan- dard einschließlich steuerlicher Befreiungen sehr attraktive Vergütungsregelungen für das international zu rekrutieren- de Personal ermöglicht.
Diesen vom ESFRI anerkannten Vorteilen steht ein auf- wändiger Gründungsprozess einschließlich parlamentari- scher Ratifizierungserfordernisse in den Mitgliedstaaten gegenüber,11 gepaart mit einer nur noch teilweise zu beein- flussenden Finanzierungspflicht durch die Mitglieder.
DESY selbst hat als wichtiger deutscher Kooperati- onspartner bzw. wissenschaftlicher Nutzer des CERN so- wie als Standort einer Outstation des in Heidelberg be- heimateten EMBL Erfahrungen mit Forschungskoope- rationen mit Völkerrechtspersönlichkeit gemacht. Dabei lässt sich feststellen, dass ein umfassender und spezifi- scher Regelungskatalog durchaus vorteilhaft sein kann. Insbesondere klare Regelungen hinsichtlich der Anwen- dung nationaler Umsatzsteuer- und Zollregelungen sind angesichts einer zunehmenden und politisch gewünsch- ten Durchdringung von klassisch wissenschaftlichen Themen einerseits und Industriekooperationen anderer- seits von einem nicht zu unterschätzenden Vorteil. Als Gastgeber einer völkerrechtlich verfassten Einrichtung wie dem EMBL hat DESY allerdings auch Erfahrungen gesammelt, die sich aus der Diskussion von Fragen des Völkerrechtsstatus und daraus ggf. resultierender Befrei- ungen von nationalen Vorschriften ergeben können.
Für das Modell einer europarechtlich fundierten For- schungskooperation bezog sich das ESFR noch vor Ein- richtung des ERIC im Jahre 2009 auf das Gemeinsame Unternehmen i.S.v. Art. 187 AEUV (ehem. Art. 171 EGV). Hier werden als Vorteile u. a. klare und transparente spe- zifische Managementregeln und eine gute Anwendbar- keit für Industriekooperationen benannt.12
Am DESY selbst liegen bislang noch keine intensiven Erfahrungen mit europarechtlich begründeten For- schungskooperationen vor, obwohl etwa mit der als ERIC organisierten Europäischen Spallationsquelle ESS in Lund eine wissenschaftliche Zusammenarbeit besteht, die unlängst auch um einen administrativen Austausch ergänzt wurde. Aktuell stellen sich für das ERIC noch Fragen nach der Reichweite einer Umsatzsteuerprivile- gierung, namentlich inwieweit diese auch für die Erstel- lung von In-Kind-Leistungen der Kooperationspartner Anwendung finden kann.
chen Konvention zur Gründung einer GmbH nach deutschem
Recht verpflichten.
11 ESFRI Report, a.a.O, S. 15. 12 SFRI-Report a.a.O. S. 10.
Hinsichtlich der klassischen Rechtsformwahl unter nationalem Recht bezieht sich das ESFRI neben einem vollhaftenden Unternehmen wie der European Synchro- tron Radiation Facility ESRF in Form der französischen Societé Civile u. a. auch auf die beim European XFEL ge- wählte Form der GmbH sowie auf die Rechtsform einer Stiftung nach niederländischem Recht, die für die Stif- tung Deutsch Niederländische Windkanäle DNW ge- wählt wurde. Diesen national verfassten Kooperationen attestiert das ESFRI13 neben klaren Management- und Buchführungsregeln mit Ausnahme der Stiftung eine gute Anschlussfähigkeit für die Industrie sowie eine im Vergleich zu völkerrechtlichen Lösungen deutlich güns- tigere Kostenstruktur.
Als deutscher Gesellschafter des European XFEL hat DESY, wie bereits unter II. 2 beschrieben, einen längeren Erfahrungsschatz sowohl als Kooperationspartner wie auch als Anteilseigner sammeln können. Dabei hat sich gezeigt, dass die auf den ersten Blick klare gesellschafts- rechtliche Lösung vielfach überlagert wird von der ge- lebten Praxis in der international zusammengesetzten Gesellschafterversammlung, dem XFEL-Council. Der Verzicht auf eine umfassende und abschließende (völ- ker-)rechtliche Lösung, auch hinsichtlich von Steuern und Abgaben, stellt die Verwaltung des wissenschaftlich überaus erfolgreichen Projektes immer wieder vor große Herausforderungen. Diese mögen zum Teil aus der Hyb- rid-Struktur einer auf einer völkerrechtlichen Konventi- on begründeten Gründung einer deutschen GmbH lie- gen. Allerdings kann als fraglich gelten, ob eine interna- tionale Kooperation ohne eine solche Konvention ein- schließlich der geübten Praxis eines Quasi-Erfordernisses einstimmiger Entscheidungen überhaupt denkbar ist.
IV. Thesen zu den Erfolgsfaktoren bei der rechtlichen Organisation internationaler Forschungs- kooperationen
In der Gesamtschau lässt sich aus der Perspektive DESYs konstatieren, dass die Erfolgsaussichten der unterschied- lichen Rechtsformen internationaler Forschungseinrich- tungen nicht immer leicht vorherzusehen sind. Das scheinbar regelungsfreie „HERA-Mödell“ findet nöch immer großen Anklang unter den beteiligten Wissen- schaftlern, dagegen erweisen sich deutlich aufwändigere Rechtskonstrukte wie der European XFEL in der kon- kreten Anwendung als durchaus anspruchsvoll.
Aus der naturgemäß subjektiven, allerdings über eine Vielzahl von Jahren und Projekten gewachsenen Erfah- rung DESYs als Partner bzw. Initiator lassen sich einige
13 ESFRI-Report a.a.O. S. 7.
Thesen über relevante Erfolgsfaktoren bei der rechtli- chen Konstruktion internationaler Forschungskoopera- tionen ableiten:
■ Völker- bzw. unionsrechtliche Lösungen sind manchmal nur auf den ersten Blick unangemessen aufwändig.
Die mehr als 60-jährige erfolgreiche Arbeit des CERN ebenso wie die des deutlich jüngeren EMBL zeigen, dass sich individuelle völkerrechtliche Lösungen mit ihren umfassenden Befreiungen in Bereichen aktuell wachsen- der Komplexität wie Zoll oder Steuern als durchaus praktisch erweisen können und komplexe Gründungs- prozesse sich längerfristig als durchaus lohnend erwei- sen. Dies gilt voraussichtlich auch für das europarechtli- che Rechtskonstrukt ERIC, auch wenn hierzu noch kei- ne längeren Praxis existiert und bereits Zweifel an der angemessenen Reichweite der Steuerbefreiung erhoben werden. Wesentlicher Grund hierfür ist der diesen Rechtspersonen immanente und im nächsten Punkt erläuterte holistische Ansatz.
■ Rechtsinstitute mit holistischem Ansatz schützen vor aktuellen und künftigen Herausforderungen.
Bei der Wahl eines bestehenden bzw. der Konzeption eines neuen Rechtsrahmens für wissenschaftliche Kooperationen erweisen sich solche Rechtsinstitute als anwendungs- freundlich, die einen Regelungsansatz verfolgen, der neben Aspekten des Gesellschaftsrechts auch die Bereiche Steuern und Abgaben abschließend und sonderrechtlich regeln. Diese Privilegierung ist zwar rechtsdogmatisch unschön und auch nicht sonderlich fantasievoll, gleichwohl sollte bei einem Regelungsgegenstand wie der Forschung, die sich einer stetig wachsenden auch politischen Wertschätzung erfreut, nicht vorschnell darauf verzichtet werden. Wer über die Konzeption von Spezialrechtsformen, maßge- schneidert für die Belange von Forschungskooperatio- nen, nachdenkt, findet sich mit einer dezidierten Privile- gierung durchaus in guter Gesellschaft. So zeigt sich die- ser Grundgedanke doch deutlich etwa in Rechtsgebieten wie dem Europäischen Beihilferecht oder auch der leider z. T. der Vergangenheit angehörenden forschungs- freundlichen Handhabung des Umsatzsteuerrechts.
■ „Rechtsfreie“ Konstrukte sind möglich
Komplexe und langjährige Kooperationsprojekte sind, wie im „HERA-Modell“, im Einzelfall auf der Basis einer technischen Verständigung ohne rechtliche Verbindlich- keit möglich. Hinzukommen müssen neben der tech- nisch-inhaltlichen Verständigung eine Reihe von bilate- ralen Verträgen zwischen einem zentralen Organisator
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und den beitragenden Partnern. Eine solche Kooperati- on kann nur entstehen, wenn hinreichende wissen- schaftspolitische Bereitschaft besteht, sich einem zentra- len Organisator mit großem Mitteleinsatz und über einen längeren Zeitraum anzuschließen. Das Fehlen einer rechtlichen Verselbstständigung der Kooperation löst dabei – unter der Voraussetzung einer gedeihlichen Zusammenarbeit der Partner – auch das Problem, dass die eine Kooperation tragenden Partner ggf. in der Wahrnehmung hinter die Kooperation zurücktreten.
■ Kritischer Faktor Reputationszurechnung
Mit Ausnahme des „HERA-Modells“ sind die geschilderten Ansätze allesamt anfällig für den in der Wissenschaft durch- aus kritischen Faktor der Reputationszurechnung. Auch bei einer effizienten und hinreichend abschließenden rechtli-
chen Regelung stellt sich doch in vielen Fällen die Frage, ob aus Sicht der beitragenden Partner eine angemessene Zurechnung der zu erwartenden wissenschaftlichen Repu- tationüberdieinderRegellängereDauerderKooperation sichergestelltist.Daeshiernichtprimärumwissenschaftli- che Eitelkeit, sondern um handfeste Interessen an Wahr- nehmbarkeit, politischer Wertschätzung und einhergehen- der Sicherung künftiger öffentlicher Förderung geht, ist die- serPunktnichtzuvernachlässigen.DieserSorgeRechnung zu tragen, erscheint dabei als eine der größten Herausforde- rungen im Umgang mit aktuellen und künftigen For- schungskooperationen.
Christian Harringa ist Administrativer Direktor am DESY.