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In Leip­zig hat Goe­the das rechts­wis­sen­schaft­li­che Stu­di­um nur läs­sig und lust­los betrie­ben. Die ver­eh­rungs­vol­len Sekun­där­li­te­ra­ten machen dafür nicht ihn selbst ver­ant­wort­lich, son­dern sei­nen Vater, der ihm schon vor­her alles ein­ge­paukt hät­te, und die Pro­fes­so­ren, über die Goe­the ein­mal bemerkt hat: Die jün­ge­ren däch­ten weni­ger an die Bedürf­nis­se ihrer Hörer als an ihren eige­nen wis­sen­schaft­li­chen Fort­schritt, so dass sie ihr Wis­sen auf Kos­ten der Stu­den­ten erwer­ben, die älte­ren aber sei­en oft sta­tio­när gewor­den, über­lie­fer­ten nur noch fixe Ansich­ten und vie­les, was die Zeit schon als unnütz und falsch ver­ur­teilt habe. Die­se Bemer­kung von stud. jur. Goe­the muss heu­ti­gen Pro­fes­so­ren der Rech­te Anlass sein, über ihr eige­nes Tun nach­zu­den­ken. Frei­lich liegt es nicht immer nur an den Pro­fes­so­ren, wenn die Stu­den­ten nicht zurecht­kom­men, und man wird ver­mu­ten dür­fen, dass es auch Goe­thes weit gespann­te Inter­es­sen und Bega­bun­gen waren, die ihm anfäng­lich die Lust an einer inten­si­ven Beschäf­ti­gung mit der Juris­te­rei ver­lei­de­ten. Auch die gemüt­li­chen Aben­de im Auer­bachs Kel­ler, von Vaters groß­zü­gi­ger Zuwen­dung leicht finan­zier­bar und Faust bekannt­lich nach­wir­kend, dürf­ten dem Stu­di­um nicht immer för­der­lich gewe­sen sein.
Das Gan­ze ende­te 1768 mit einer Erkran­kung Goe­thes, die zu einer fast zwei­jäh­ri­gen Unter­bre­chung des juris­ti­schen Stu­di­ums führ­te. Im April 1770 ging es dann an die juris­ti­sche Fakul­tät in Straß­burg, das damals zu Frank­reich gehör­te. Trotz­dem wur­den die Straß­bur­ger Abschlüs­se im Reich ohne wei­te­res aner­kannt, ein Zustand, von dem das heu­ti­ge Euro­pa noch weit ent­fernt ist. Goe­the hat­te es nun eilig und mel­de­te sich schon am 22. Sep­tem­ber des­sel­ben Jah­res zur Vor­prü­fung. Wir dür­fen uns Goe­the aller­dings in Straß­burg nicht als eif­ri­gen Kol­leg­be­su­cher vor­stel­len, denn sei­ne Examens­vor­be­rei­tung ver­dank­te er vor allem einem Repe­ti­tor und einem schrift­li­chen Repe­ti­to­ri­um. Als die­ser Repe­ti­tor sich in der ers­ten Unter­hal­tung mit Goe­the Ein­blick in den Stand sei­nes Wis­sens ver­schafft hat­te, mach­te er ihm klar: In Frank­reich sei die Juris­ten­aus­bil­dung weni­ger aufs Gelehr­te als aufs Prak­ti­sche gerich­tet; im Examen wer­de Kennt­nis des posi­ti­ven gel­ten­den Rechts gefor­dert; man fra­ge nicht nach Urprung, äuße­ren und inne­ren Anläs­sen der Geset­ze oder deren Abän­de­rung durch Zeit, Gewohn­heit oder Gerichts­ge­brauch; sol­che Fra­gen über­las­se man der gelehr­ten For­schung. Goe­the nahm sich die­sen Rat zu Her­zen und war selbst über­rascht, wie gut er auf die­se Wei­se vor­an­kam. Mit­ten in der Examens­vor­be­rei­tung schrieb er an eine „See­len­freun­din“: „Die Juris­pru­denz fängt an mir sehr zu gefal­len. So ist‘s doch mit allem wie mit dem Mer­se­bur­ger Bie­re, das ers­te Mal schau­dert man, und hat man‘s eine Woche getrun­ken, so kann man‘s nicht mehr las­sen“. Die zahl­rei­chen Jura­stu­den­ten, die sich heu­te beim Repe­ti­tor auf das Examen vor­be­rei­ten, befin­den sich also in bes­ter Gesell­schaft.
Nach voll­be­frie­di­gend bestan­de­ner Vor­prü­fung reich­te Goe­the eine Dis­ser­ta­ti­on ein, da die Pro­mo­ti­on damals den regel­mä­ßi­gen Abschluss des Stu­di­ums bil­de­te; Staats­examen gab es noch nicht. Die wie üblich latei­nisch abge­fass­te Dis­ser­ta­ti­on war kir­chen­recht­li­cher Art und ver­trat die The­se, der Staat habe als Gesetz­ge­ber das Recht, einen Kul­tus zu bestim­men, nach wel­chem die Geist­lich­keit zu leh­ren und die Lai­en sich äußer­lich und öffent­lich genau zu rich­ten hät­ten. Im Übri­gen sol­le nicht gefragt wer­den, was jeder bei sich den­ke, füh­le oder sin­ne.
Die katho­li­sche Fakul­tät geriet durch die­se pro­vo­zie­ren­de staats­kirch­lich-pro­tes­tan­ti­sche The­se in eini­ge Ver­le­gen­heit, aus der sie sich mit Hil­fe einer Art köl­scher Lösung befrei­te. Man lehn­te die Arbeit ab, pries aber die Selb­stän­dig­keit der Leis­tung und riet zu einer spä­te­ren pri­va­ten Ver­öf­fent­li­chung. Man for­der­te auch kei­ne neue Dis­ser­ta­ti­on, son­dern erlaub­te, „auf The­sen zu dis­pu­tie­ren.“ Nun nahm Goe­the das Ver­fah­ren auch nicht mehr so ernst und stell­te schnell auf 4 Din-A5 Sei­ten 56 bunt durch­ein­an­der gewür­fel­te Rechts­sät­ze zusam­men, unter denen die The­se von der Unent­behr­lich­keit der Todes­stra­fe ihn sein Leben lang beglei­tet hat, selbst an dem Todes­ur­teil gegen ein Gret­chen hat er ein­mal mit­ge­wirkt hat. In sei­nem Werk war er frei­lich mil­der. Auf­grund die­ser 56 The­sen und ihrer Ver­tei­di­gung wur­de Goe­the nicht zum Dr. jur. pro­mo­viert, son­dern nur zum Lizen­zia­ten. Er hat sich kor­rek­ter­wei­se in sei­nen Pro­zess­schrif­ten und amt­li­chen Anga­ben stets als Lizen­zi­at bei­der Rech­te bezeich­net, wur­de aber all­ge­Pe­ter
Hanau
Goe­thes rechts­wis­sen­schaft­li­ches Stu­di­um
1 Aus Peter Hanau, Fröh­li­che Rechts­wis­sen­schaft, 2. Auf­la­ge 2020, S. 68 ff.
Ord­nung der Wis­sen­schaft 2021, ISSN 2197–9197
2 0 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 1 ) , 2 0 7 – 2 0 8
mein als Dr. Goe­the gespro­chen, da dies der gän­gi­ge Abschluss
der juris­ti­schen Stu­di­en war. Vor eini­gen Jah­ren
hat­te ich die Ehre, die Lau­da­tio für den ers­ten Ehren­dok­tor
zu hal­ten, den die Rechts­wis­sen­schaft­li­che Fakul­tät
der Uni­ver­si­tät Jena nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung pro­mo­vier­te.
Ich forsch­te des­halb nach frü­he­ren Ehren­dok­to­ren
und fand, dass Goe­the 1825 aus Anlass sei­nes 50
jäh­ri­gen Dienst­ju­bi­lä­ums von der Medi­zi­ni­schen und
Phi­lo­so­phi­schen, aber nicht der Juris­ti­schen Fakul­tät der
Uni­ver­si­tät zum Ehren­dok­tor ernannt wor­den war, weil
man dach­te, er sei schon Dok­tor jur. Das ist bedau­er­lich,
auch weil ich so dem jüngs­ten Ehren­dok­tor der Fakul­tät
nicht beschei­ni­gen konn­te, dass er in der Nach­fol­ge
Goe­thes stand, was ihn sicher gefreut hät­te.
Peter Hanau lehr­te bis zu sei­ner Emi­ri­tie­rung Bürg­li­ches
Recht und Arbeits­recht an der Uni­ver­si­tät zu
Köln.