I. Präludium, oder: Vorspiel auf diversen Bühnen
Schon 2019 gab es Überlegungen einer umfassenden Reform des bayerischen Hochschulrechts, liegt doch die letzte große Änderung im Jahre 2006 – die durch die Föderalismusreform I verursacht wurde – doch schon eineinhalb Jahrzehnte zurück. Angesichts der seither massiv voranschreitenden Internationalisierung und Globalisierung soll eine weitere Autonomie vor allem durch flexiblere Governancestrukturen, aber auch eine weitere Stärkung der Hochschulleitungen die Voraussetzungen geschaffen werden, um in einer weltweit immer kompetitiveren Hochschulwelt nicht den Anschluss zu verlieren. Immerhin haben es ja auch die verschiedenen Phasen der Exzellenzinitiative/-strategie nicht wirklich geschafft, den deutschen Universitäten in den weltweiten Rankings Riesensprünge nach vorn zu verschaffen, was freilich auch an der „anglophilen“ Rankingmethodik liegen mag.
Die Vorarbeiten zum Gesetzesentwurf dümpelten zunächst etwas vor sich hin, nahmen aber dann Mitte 2020 massiv an Fahrt auf. Anlass war ein Arbeitspapier aus dem Bereich der Technischen Hochschulen, das eine Gleichstellung des Wissens- und Technologietransfers mit den Bereichen Forschung und Lehre forderte, eine deutliche (weitere) Stärkung der Hochschulleitung zu Lasten der kollegialen Selbstverwaltungsorgane verlangte (um angebliche „Blockaden“ der Entscheidungsprozesse zu verhindern) und den Hochschulen durch Einräumung einer weitgehenden Organisationsautonomie die Möglichkeit zu verschaffen, ihre Binnen-Governance auf ihre jeweiligen Bedürfnisse zuzuschneiden. Auch sollten die Hochschulen zu reinen Körperschaften mit Globalhaushalt umgebaut werden. Diese Ideen sind freilich gar nicht so visionär, wie behauptet, wurden sie doch in Baden-Württemberg, in Nordrhein-Westfalen und auch anderen Bundesländern unter dem Siegel „Unternehmerische Hochschule“ schon vor knapp 20 Jahren proklamiert (und zwischenzeitlich in Teilen auch wieder revidiert).
Besagtes Papier wurde in die Bayerische Staatskanzlei lanciert und dort zur „Chefsache“ aufgebaut. Insgesamt blieb der Prozess aber reichlich intransparent: Im Ministerium existierte ein – ständig fortgeschriebenes – Eckpunktepapier, das aber zunächst nur Eingeweihten bekannt war. Es verwundert daher nicht, dass teilweise wüste Gerüchte über die mutmaßlichen Neuregelungen bis hin zum Kahlschlag der Selbstverwaltung kursierten. Dies sorgte zum einen für großen Ärger bei den meisten Hochschulleitungen, die sich nicht als Eingeweihte empfinden durften, zum anderen zu großen Sorgen insbesondere bei den Geisteswissenschaften, die sich schon als Opfer einer neoliberalen Ökonomisierung, eines Vermarktbarkeitsdogmas und als Wissenschaften zweiter Klasse, kurz: eines akademischen Kahlschlags sahen. Zudem wurde bekannt, dass die Staatskanzlei offenbar entschlossen war, das Verfahren in größtmöglicher Schnelle durchzuziehen, idealerweise schon bis zum Jahresende. Diese Unruhe, die sich auch in den Medien abbildete, führte dazu, dass die Opposition im Oktober 2020 eine Sachverständigenanhörung im Wissenschaftsausschuss erwirkte. Diese Anhörung war in mehrfacher Hinsicht grotesk: Zum einen existierte ja noch kein Gesetzesentwurf, das Verfahren bewegte sich gerade einmal noch auf der ministeriellen Referentenebene, so dass die Befassung durch den Wissenschaftsausschuss eigentlich zur Unzeit stattfand. Zum anderen wurde den 10 geladenen Sachverständigen (die mehrheitlich aus Hochschulpräsidenten bestanden) ein Fragenkatalog von 77 Fragen übermittelt, die Zeit der Anhörung war mit gut drei Stunden recht knapp angesetzt. Allerdings konnte man aus der Formulierung der Fragen recht eindeutig sowohl den ungefähren Stand des immer noch apokryphen Eckpunktepapiers als auch der im Hintergrund wirkenden Ideengeber erraten.
In der Anhörung selbst wurde nicht mit Kritik gespart, sowohl am dysfunktionalen Verfahren also auch an den aufgrund der Fragen vermuteten, sich abzeichnenden Inhalte. Es fiel sogar das sarkastisch überhöhte Wort von einer „Einführung des Führerprinzips“ zu
Max-Emanuel Geis
Das neue bayerische Hochschulinnovationsgesetz
Ein symphonischer Werkstattbericht
Ordnung der Wissenschaft 2021, ISSN 2197–9197
2 1 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 1 1 — 2 1 6
Gunsten der Hochschulleitungen, was auch in der Presse
kolportiert wurde und die Gemüter weiter erregte. Kurz
nach der Anhörung wurde dann die finale Fassung des
Eckpunktepapiers ins Netz gestellt. In den Wochen danach
war das Ministerium durch eine vorsorgliche
„Charmeoffensive“ erst einmal an einer Deeskalation bemüht.
Zwischenzeitlich wurden in Gremien, Verbänden
und sonstigen Gruppen wiederum Ziele und rote Linien
diskutiert, die von der Gesetzgebung beachtet werden
sollten. Zugleich unternahm das bayerische Wissenschaftsministerium
eine Charmeoffensive, in der der Minister
und hochrangige Ministerialvertreter sowohl in
Online-Foren als auch unter Teilnahme an Hochschulratssitzungen
für das Projekt warben und den oben geäußerten
Gerüchten und Ängsten entgegenwirkten. Zugleich
wurde deutlich, dass der anfangs überambitionierte
Zeitplan nicht einzuhalten sei.
Mitte Januar 2021 veröffentlichten dann die großen
Gruppenverbände (Deutscher Hochschulverband,
Hochschullehrerbund, Landesverband Wissenschaftler
in Bayern, Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten
an bayerischen Hochschulen, Landes-
Asten-Konferenz) eine gemeinsame Stellungnahme mit
folgenden sieben Kernforderungen:
- Hochschulauftrag ist Forschung und Lehre, dieser
muss vollständig staatlich finanziert sein. Hochschulen
sollen nur mit Zustimmung ihrer akademischen
Kollektivorgane reine Körperschaften werden. - Erhalt von selbstverwalteten, fachlichen Einheiten
mit eigener selbstgewählter Leitung und Zuständigkeit
für Studiengänge; diese haben ein eigenes,
selbstgewähltes Kollektivorgan, in dem alle Statusgruppen
vertreten sind (berufliche und studentische
Heimat). - Internes, selbstgewähltes Kollektivorgan, in dem alle
Statusgruppen vertreten sind (Senat), das Haushalt
und den Stellenplan beschließt sowie die Leitlinien
von Forschung und Lehre und der Hochschulentwicklung
bestimmt. - Beschränkung der Zuständigkeit der Hochschulräte
auf Aufsicht und Beratung. Sicherstellung der fachlichen
Eignung seiner externen Mitglieder sowie
Wahl durch Senat und Vorschlagsrecht aller Statusgruppen. - Haushalt mit klarer Mittelzuweisung zu den Aufgaben
der Hochschulen und keine Risiken in den
Haushalten der Hochschulen, insbesondere einen
garantierten Aufwuchs bei Kostensteigerungen. - Die Gleichstellung aller Geschlechter und die tatsächliche
Gleichstellung der Frauen in der Wissenschaft
sind zentrale Querschnittsaufgabe der Hochschulen
und deren Leitungen. - Es muss ausreichend Zeit für Stellungnahmen der
Betroffenen und ihrer Verbände eingeräumt werden.
Da eine komplette Neufassung des Gesetzes
geplant ist, muss auch allen Hochschulorganen ausreichend
Gelegenheit gegeben werden, eine Position
zum Gesetzesvorschlag zu entwickeln.
Gerade die letzte Forderung erschien besonders
wichtig, war doch schon wieder das Gerücht aufgekommen,
dass der neue Zeitplan eine Verabschiedung im Kabinett
Anfang März 2021 vorsehe mit einer anschließenden
6‑wöchigen Frist für die Verbändeanhörung bis
längstens Ende April, so dass das Gesetz noch vor der
Sommerpause in Kraft treten könne. Dann wäre aber die
leidige (wenngleich nicht unbekannte) Situation eingetreten,
dass wegen der in Bayern noch andauernden vorlesungsfreien
Zeit eine strukturierte Befassung und Diskussion
in den Senaten nahezu unmöglich gewesen
wäre. Da hierüber auch in der Regierungskoalition unterschiedliche
Auffassungen herrschten, wurde der Zeitplan
noch einmal nach hinten verschoben und zwischenzeitlich
im Entwurf noch einmal etliche Detailregelungen
verändert.
II. Exposition, oder: der lang erwartete Gesetzesentwurf
Dann war es soweit: Am 18. Mai 2021 billigte das bayerische
Kabinett den Gesetzesentwurf, der am 11.6.2021
sodann ins Netz gestellt wurde. Der Leser erlebt ein
Gesetz, das die interne Organisation und Governance
fast völlig den einzelnen Hochschulen zur Regelung in
der Grundordnung überlassen wird. Lediglich die Dreiheit
von Hochschulleitung (Präsidium), zentralem Kollektivorgan
(nicht zwingend Senat genannt) und Hochschulrat
als internem Aufsichtsorgan sind vorgegeben,
nicht dagegen eine Untergliederung in Fakultäten. Ob
und wie eine Hochschule eine „zweite Ebene“ einzieht,
bleibt ihr überlassen: Sie kann das herkömmliche Fakultätssystem
wählen, aber auch eine moderne Departementstruktur;
auch eine Matrixorganisation ist möglich,
in der nur die Forschung in Departements organisiert
wird, die Lehre hingegen in einer oder mehreren
„Schools“ stattfindet. Die neu zu errichtende TU Nürnberg
bietet hierzu in ihrem Errichtungsgesetz den Prototyp,
der jetzt auch von anderen Hochschulen übernomGeis
· Das neue bayerische Hochschulinnovationsgesetz 2 1 3
men werde können soll. Etwas kryptisch formuliert das
Gesetz, dass eine zweite Selbstverwaltungsebene eine
Leitung haben müsse (heiße sie nun Dekan, Dean, Chair
oder sonstwie). Allerdings verschweigt das Gesetz, wie
diese Leitung ins Amt gelangt; theoretisch könnte das
auch ein „von oben“ ohne Wahl eingesetzter Dekan sein.
Dass dies keine völlig abwegige Konstruktion ist, beweist
die jetzige Rechtslage, bei der ein gewählter Dekan durch
die Hochschulleitung bestätigt werden muss. Auch in
anderen Bundesländern gab es immer wieder Ansätze,
das Durchregieren einer übermächtigen Hochschulleitung
zu ermöglichen.
Eine nach wie vor aktuelle Frage ist, wie der Freistaat
auf den MHH-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
vom 24. Juli 2014 (1 BvR 3217/07) reagieren würde. Danach
ist eine Stärkung der Kompetenzen der Hochschulleitung
zulässig, wenn im Gegenzug der Senat reziprok
die Möglichkeit erhält, diese vorzeitig abzuwählen. Tatsächlich
hat Bayern – im Unterschied zu den meisten anderen
Bundesländern – bislang keine rechtlichen Konsequenzen
aus dieser Entscheidung gezogen. Im jetzt vorliegenden
Gesetzentwurf ist neben dem schon bisherigen
Abwahlrecht des Hochschulrats auch ein
Abwahlrecht durch ein Quorum von 40% der Hochschullehrer
und Hochschullehrerinnen selbst vorgesehen.
Beide Fälle erfüllen die verfassungsgerichtlichen
Vorgaben nicht hinreichend. Zum einen sind nach dem
neuen Gesetz – anders als die noch geltende Fassung –
die professorale Seite Mitglieder des Hochschulrats nicht
mehr automatisch Hochschulratsmitglieder, was die Zuständigkeit
des kollektiven Selbstverwaltungsorgans aushöhlt.
Zudem hat die professorale Seite auch in diesem
Fall keine Mehrheit. Die stattdessen angebotene Abwahlmöglichkeit
durch die Professorenschaft ist kaum
praktikabel und unrealistisch, da kaum zu erwarten ist,
dass die Professorenschaft, die in der Mittelzuweisung
letztlich von der Hochschulleitung abhängig sind – v.a.
an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften –
sich zu einer „Rebellion“ verständigen kann. Außerdem
sieht der Entwurf ein außerordentliches Abberufungsrecht
des/der Präsidenten/-in durch den Staatsminister/
die Staatsministerin vor, wenn diese/r seine/ihre Pflichten
gröblich verletzt oder sich eines außerdienstlichen
oder wissenschaftlichen Fehlverhaltens schuldig macht.
Dieses Abberufungsrecht ist allerdings mit dem System
des Beamtenrechts inkompatibel, da jedenfalls bei verbeamteten
Präsidenten/Präsidentinnen das in diesen
Fällen eigentlich statthafte, strikt formalisierte Disziplinarrecht
schlicht umgangen wird.
Eine weitere Änderung des Entwurfs sieht vor, den
Hochschulen die Rechtsform einer reinen Körperschaft
zu ermöglichen, also den Status einer staatlichen Einrichtung
zu canceln. War dies im Vorfeld noch als obligatorische
Konstruktion nach dem Vorbild des nordrhein-
westfälischen Hochschulfreiheitsgesetzes 2006 geplant
worden, wurde dies nach erheblichem Gegenwind
im Gesetzesentwurf zu einer Optionsklausel gemacht –
freilich verbunden mit der ebenfalls optionalen Entscheidung
für einen Globalhaushalt, was dogmatisch
auch durchaus Sinn macht. Allerdings wurde – nach
massiven Initiativen – eine wesentliche Komponente
hiervon ausgenommen, nämlich die Dienstherreneigenschaft:
Das professorale Personal verbleibt beim Freistaat
Bayern und wird definitiv nicht den Hochschulen als
Dienstherren zugeordnet. Hier spiegeln sich Erfahrungen
aus der niedersächsischen Hochschulreform 2001,
die einen Übergang der Beamten auf die Stiftungsuniversitäten
vorsah, was seinerzeit extremen Ärger infolge
eines – eher psychologischen – Gefühls der Abgeschobenheit
erzeugte. In mehreren Diskussionsrunden wurde
daher der ganz überwiegende Wunsch an das Ministerium
geäußert, dass der Freistaat Dienstherr bleiben
solle. Dies wurde im Gesetzesentwurf auch aufgenommen,
freilich mit dem Effekt, dass bei einem Wechsel in
die reine Körperschaftsform mit dem Personalsektor ein
großer Bereich aus dem Globalhaushalt wieder herausgenommen
wird und so die angestrebte Flexibilität verringert
wird.
III. Durchführung, oder: Die Anhörung und ihre
Folgen
Nach der Verabschiedung des Gesetzesentwurfs im
Kabinett wurde eine weitere 2‑tägige Anhörung im Wissenschaftsausschuss
für den 14./15. Juni 2021 (ursprünglich
Mai) angesetzt. Diese sprengte die Rekorde: Sie war
nicht nur mit zwei vollen Tagen die längste Anhörung in
der Geschichte des Bayerischen Landtags, sie stellte auch
mit 15 Sachverständigen (!) das bei weitem größten Panel
aller Zeiten. Deutlich war aber auch hier wieder das
Übergewicht der Funktionsträger und Verbände, die
vornehmlich die Gruppeninteressen, erst in zweiter
Linie die (verfassungs-) rechtlichen Probleme artikulierten.
Zum Teil wurden hier auch wieder die seit den 70er
Jahren kursierenden Forderungen aufgefrischt. So
monierten die zahlreich vertretenen Hochschulpräsidenten,
dass die gleich dreifach gegebene Möglichkeit
einer vorzeitigen Abberufung den Stellenwert des Amtes
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1 Das steht schon unmissverständlich im berühmten „1. Hochschulurteil“
(BVerfGE 35, 79/ 116 ff.) und wurde seitdem gebetsmühlenhaft
wiederholt
konterkariere. Die Vertretung des Mittelbaus monierte
die prekäre Situation der zeitlich befristeten Beschäftigten,
was in der Sache durchaus berechtigt, aber für die
große Mehrheit als arbeitsrechtliche Frage gar nicht in
die Landeskompetenz fällt. Die Studierendenvertreter
der LandesAstenkonferenz forderten routinemäßig die –
verfassungsrechtlich nicht begründbare – Viertelparität
ein und nahmen die Gelegenheit wahr, über die neuformulierten
Hochschulaufgaben der gesellschaftlichen
Relevanz und der Nachhaltigkeit einschließlich des Klimaschutzes
über die Hintertür ein hochschulrechtliches
Mandat in ein allgemeinpolitisches Mandat umzudeuten
– ebenfalls ein altbekanntes Déjavu. Der Verband der
Gleichstellungsbeauftragten beschränkte sich auf Gender-
und Kaskadenfragen.
Als wirkliches verfassungsrechtliches Problem kristallisierte
sich jedoch immer deutlicher die Frage der
Wesentlichkeitstheorie heraus: Was muss der Gesetzgeber
selbst regeln, was kann er auf die Satzungsebene delegieren?
Dieses Grundthema durchzieht letztlich den
gesamten Gesetzesentwurf. So sind etwa die Fakultäten,
deren Relativierung weitgehend beklagt wurde, keineswegs
verfassungsfest. Die renommierte, der französischen
ENA nachgebildete Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften
in Speyer hat von vornherein keine
Fakultäten; Matrixorganisationen – wie oben beschrieben
– unterliegen dem vom
Bundesverfassungsgericht immer wieder betonten Gestaltungsspielraum
des Gesetzgebers, der eben keiner
Bindung an eine althergebrachte Organisationsform unterliegt.
1 Anders ist es hingegen mit der Amtszeit des
Präsidenten: Nach dem Gesetzesentwurf wird diese
durch die Grundordnung festgelegt. Möglich wäre danach
auch eine sehr lange Amtsperiode. Dies widerspricht
aber dem Prinzip demokratischer Legitimation,
deren unverzichtbares Pendant die Kontrolle ist. Eine effektive
Kontrolle kann aber nur stattfinden, wenn die
Amtsperioden überschaubar sind, da ansonsten die
Kontrolle durch das Vergessen und Verblassen überlagert
wird. Dies zeigt ein Blick auf vergleichbare Fälle: Die
Amtszeiten der ersten Bürgermeister in Gemeinden
(ebenfalls Selbstverwaltungskörperschaften) sind in der
Regel auf sechs Jahre limitiert, die längste Amtszeit hat
der Bürgermeister in Baden-Württemberg mit acht Jahren.
Darüber hinaus ist nur noch das Amt eines Bundesverfassungsrichters
auf zwölf Jahre befristet, hier gibt es
jedoch keine Wiederwahl als Akt der Kontrolle. Daraus
kann man die Lehre ziehen, dass der Gesetzgeber selbst
die Länge der Amtsperiode (nicht die Zahl der Amtsperioden!)
bestimmen muss, um nicht durch eine “Putin-
Klausel“ die Effektivität der periodischen Kontrollen zu
unterlaufen.
Zweites verfassungsrechtliches Problem ist das immer
noch nicht stimmig gelöste Dreiecksverhältnis zwischen
Hochschulleitung, Senat und Hochschulrat. Der
Gedanke eines ausgewogenen system of checks and balances
wird nach wie vor durch die versteckte partielle
Zirkellegimitation konterkariert: Die Hochschulleitung
sucht die externen Mitglieder des Hochschulrats aus, die
anschließend bei der Wahl der Mitglieder des Hochschulrats
mitwirken. Dieser – leider bundesweit verbreitete
– Geburtsfehler bei der funktionalen Selbstverwaltung
wird durch die Zustimmung des Senats und die Bestellung
durch den Wissenschaftsminister/die Wissenschaftsministerin
zwar abgeschwächt, aber nicht
beseitigt.
Kritisiert wurde auch die Möglichkeit, dass die internen
Mitglieder des Hochschulrates mit den Senatsmitgliedern
nicht mehr automatisch identisch sein müssen
– eine der wesentlichen Vorgaben, die den Bayerischen
Verfassungsgerichtshof 2008 veranlasste, die damalige
Regelung als (gerade noch) verfassungsgemäß zu erklären.
Ungeachtet der Frage, ob dies verfassungsrechtlich
noch zulässig ist, ist diese Frage unter Governance-Gesichtspunkten
höchst zweifelhaft: Es besteht die nicht zu
unterschätzende Gefahr, dass die internen Mitglieder
eine Art Gegensenat oder Parallelsenat bilden, der die
Entscheidungsabläufe blockiert und die Hochschulleitungen
befähigt, beide „Vertretungen“ gegeneinander
auszuspielen.
Ganz massiv – allerdings nicht von den präsidentiellen
Sachverständigen – wurde gefordert, dass die Leitung
der nachgeordneten Selbstverwaltungseinheiten durch
Wahl deren Organe erfolgen muss. Es ist genuiner „Job“
eines Dekans, die Interessen einer Fakultät auch einmal
gegenüber der zentralen Ebene zu vertreten und vertreten
zu müssen. Eine Einsetzung „von oben“ würde dies
dysfunktional unterlaufen.
Ein weiterer strittiger Punkt ist die Einräumung eines
(begrenzten) Promotionsrechts an qualifizierte Fachhochschulen.
Die bayerische Gesetzgebung knüpft hier –
unter starkem Lobbydruck – an bereits bestehende ParGeis
· Das neue bayerische Hochschulinnovationsgesetz 2 1 5
2 Wissenschaftsrat, Leitfaden der institutionellen Akkreditierung
nichtstaatlicher Hochschulen v. 30.1.2015, Drs. 4395–15, sub B V,
S. 39 ff.
3 Erhältlich postalisch beim Sekretariat der Ständigen Konferenz
der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland,
Graurheindorfer Str. 157, 53117. Seltsamerweise wurde der
Beschluss nicht – wie ansonsten viele andere – auf www.kmk.org
oder an einer andere Stelle einsehbar ins Netz gestellt
allelvorschriften in Hessen, Nordrhein-Westfalen und
Schleswig-Holstein an; weitere Bundesländer schicken
sich an, zu folgen. Allerdings ist unübersehbar, dass der
Gesetzesentwurf die Voraussetzungen für die temporäre
Einräumung des Promotionsrechts deutlich abschwächt.
Vergleicht man die gesetzlichen Voraussetzungen mit
den Anforderungen, die etwa der Wissenschaftsrat an
die Verleihung eines Promotionsrechts an private Hochschulen
stellt.2 Zwar haben die Empfehlungen und Leitfäden
des Wissenschaftsrats keine unmittelbare normative
Wirkung, gleichwohl genießen sie ein erhebliches
wissenschaftsrechtliches und ‑politisches Renommée.
Daher hat die Kultusministerkonferenz durch Beschluss
vom 13.02.2020 einen Musterparagraphen (KMK-MP)
geschaffen, in dem die wesentlichen Vorgaben der Institutionellen
Akkreditierung nichtstaatlicher Hochschulen
normativiert wurden.3 Darin setzt auf der Grundlage
der o.g. Kriterien in § 1 Abs. 4 KMK-MP die Verleihung
des Promotionsrechts an eine Hochschule als rechtliche
Mindestkriterien voraus, dass
(1) sie auf der Grundlage von Forschungsschwerpunkten
ein erkennbares wissenschaftliches Profil entwickelt
hat, das an andere Hochschulen anschlussfähig
ist,
(2) die an der Hochschule erbrachten Forschungsleistungen
der Professoren sowie die Forschungsbasierung
der Studiengänge den für promotionsberechtigte
staatlichen Hochschulen geltenden Maßstäben
entsprechen und
(3) die Hochschule über ein geregeltes, transparentes
Promotionsverfahren verfügt.
Diese Kriterien werden als unabdingbar gesehen,
um die Qualitätssicherung der Promotionsverfahren
zu garantieren.
Der Entwurf des BayHIG hat die Regelungen des
KMK-MP in Art. 93 Abs. 2 wörtlich übernommen: Als
zwingende Voraussetzung verlangt Art. 93 Abs. 4 Satz 1
BayHIG‑E eine gutachterliche Stellungnahme des Wissenschaftsrats
oder einer vergleichbaren Akkreditierungseinrichtung
zur Überprüfung der in Art. 93 Abs. 2
genannten Kriterien. Die Formulierung ist so gewählt,
um – auch aus europarechtlichen Gründen – keine Monopolstellung
des Wissenschaftsrats zu begründen. Ungeachtet
dessen dürfte der Wissenschaftsrat derzeit aufgrund
seiner langjährig gewachsenen, institutionalisierten
Sachkunde die einzige Einrichtung sein, die eine entsprechende
Stellungnahme objektiv und
wissenschaftsadäquat abzugeben vermag. Auch ist der
wesentliche Inhalt der Stellungnahme im Sinne größtmöglicher
Transparenz nach Art. 94 Satz 2 BayHIG‑E zu
veröffentlichen; ergänzend wird auf Art. 87 Abs. 2 bis 4
HIG verwiesen.
Vergleicht man nun Art. 93 Abs. 2 und
Art. 80 Abs. 7 BayHIG‑E, so ist die Diskrepanz zwischen
den Anforderungen sofort greifbar: Bei den Hochschulformen
für angewandte Wissenschaften (HaW) soll – lediglich
– eine „angemessene Forschungsstärke“ und die
Einbettung in eine grundständige akademische Lehre
ausreichend sein; weder kommt es auf ein erkennbares
wissenschaftliches Profil noch auf eine Anschlussfähigkeit
der Hochschule an. Die herausragenden Leistungen
der Professorinnen und Professoren in der anwendungsbezogenen
Lehre sollen nach Art. 80 Abs. 7 Satz 2 Zf. 1
BayHIG‑E höchstens fünf Jahre zurückliegen dürfen;
das liest sich zunächst achtbar, schließt aber nicht aus,
dass eben in den letzten fünf Jahren keine substantiellen
Forschungsergebnisse erbracht wurden. Im Falle der
nicht-staatlichen Hochschulen wäre das ein K.-o.-Kriterium.
Auch die weiteren Maßgaben des Wissenschaftsrats
werden nicht hinreichend aufgenommen und durch
weit vagere Regelungen ersetzt. Desgleichen sind Aussagen
zu dem Begutachtungsverfahren ganz auf die intransparente
Rechtsverordnungsebene verschoben. Der
Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses versuchte
dies in der Anhörung damit zu rechtfertigen, dass es ja
beim Wissenschaftsrat „immer so lang dauere“. Gleichwohl
ist im Sinne der Qualitätssicherung und Gleichbehandlung
zu fordern, dass das vorgesehene Begutachtungsverfahren
– wie bei den nichtstaatlichen Hochschulen
– ebenfalls nur durch den Wissenschaftsrat oder
vergleichbare Akkreditierungseinrichtungen (die es –
wie erwähnt – derzeit nicht gibt) durchgeführt werden
dürfen bzw. sollen, um auszuschließen, dass eine (womöglich
adhoc und ergebnisorientiert zusammengestellte)
Feld-Wald-und-Wiesen-Kommission das gewünschte
Ergebnis „herbeigutachtet“. Diese Anforderungen
müssen analog Art. 93 Abs. 4 BayHIG ebenfalls auf der
formalgesetzlichen Ebene geregelt werden. Insgesamt
zeigt sich hier eine ganz massive Schwachstelle des Gesetzes.
Dass sich hier die Fachhochschullobby systematisch
in Salamitaktik zum uneingeschränkten Promotionsrecht
vorarbeitet, zeigt im Übrigen der Blick nach
2 1 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 1 1 — 2 1 6
4 Vgl. dazu die – natürlich positive – Stellungnahme des CHE als
Influencer auf www.che.de (der derzeitige Chef des CHE, Frank
Ziegele, ist Professor an einer niedersächsischen Hochschule für
angewandte Wissenschaften)..
Hessen, wo gerade stillklammheimlich der Übergang
von der temporären Ausnahmeregelung zu einer Verstetigung
geplant ist.4
IV. Coda, oder: Wie geht es weiter?
Eine Zwischenbilanz zeigt: Wesentliche grundsätzliche
Vorbehalte gegen das BayHIG konnten in der Tat entschärft
werden, es kommt jetzt vornehmlich auf die
Feinabstimmung an. Dabei hat die letzte Anhörung
durchaus effektiv gewirkt: So sollen dem Vernehmen
nach wieder die Senatsmitglieder im Hochschulrat sein.
Auch ist das Sonderabberufungssrecht des Ministers im
Bezug auf den Präsidenten offenbar wieder gestrichen
worden. Zwingend ist es auch, das Gesetz mit den beamtenrechtlichen
Normen zu harmonisieren. So sind z.B.
die Regelungen über die Forcierung des Wissens- und
Technologietransfers weitgehend konterkariert, wenn
nicht im gleichen Zug eine fundamentale Liberalisierung
insbesondere des beamtenrechtlichen Nebentätigkeitsrechts
erfolgt, insbesondere hinsichtlich der Abführungspflicht.
Wenn die zahlreichen, bislang unter dem
Radar bleibenden, beamtenrechtlichen Regelungen, im
Rahmen dieser Hochschulreform an den Telos des Bay-
HIG‑E angepasst würden, hätte dieses tatsächlich die
Chance auf einen „großen Wurf “; anderenfalls bringt
der kreißende Berg wieder einmal mehr nur ein Mäuschen
hervor. Allerdings scheint sich die Endfassung des
Gesetzesentwurfs deutlich in den Herbst 2021 zu verlagern.
Jedenfalls insofern ist von einem bombastischen
Schnellschuss keine Rede mehr. Ungeachtet dessen dürften
die Popularklagen vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof
erwartbar sein.
Prof. Dr. Max-Emanuel Geis
Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
Direktor der Forschungsstelle für Wissenschafts- und
Hochschulrecht
Lehrstuhl für Deutschen und Bayerisches Staats- und
Verwaltungsrecht an der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
Landesvorsitzender Bayern des Deutschen Hochschulverbandes