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ÜBERSICHT**
I. Ein­füh­rung: Der Sie­ges­zug der Ethik­kom­mis­sio­nen und ihre grund­recht­li­che Pro­ble­ma­tik
II. Gro­ße Band­brei­te der Erschei­nungs­for­men und Befug­nis­se von Ethikkommissionen

  1. Unter­schied­li­che Zusam­men­set­zung und Trägerschaft
  2. Ver­knüp­fung mit unter­schied­li­chen (Verwaltungs-)Aufgaben und Entscheidungen
  3. Unter­schied­lich weit­rei­chen­de Bin­dungs­wir­kung ihres Votums
  4. Der Beur­tei­lungs­maß­stab: recht­lich und/oder ethisch?
    III. Ver­ein­bar­keit der Ein­schal­tung einer Ethik­kom­mis­si­on mit der Forschungsfreiheit
  5. Gemenge­la­ge deut­schen und euro­päi­schen Grundrechtsschutzes
  6. Unter­schied­lich inten­si­ver Ein­griff in die Forschungsfreiheit
  7. Beson­der­hei­ten beim Ein­satz von Ethik­kom­mis­sio­nen in der Forschungsförderung
  8. Recht­fer­ti­gungs­mög­lich­keit durch kol­li­die­ren­de deut­sche bzw. Unions-Grundrechte
  9. Her­stel­lung eines ver­hält­nis­mä­ßi­gen Aus­gleichs kol­li­die­ren­der Ver­fas­sungs­po­si­tio­nen als zen­tra­les Pro­blem
    a) Grund­la­gen
    b) Bewäl­ti­gungs­stra­te­gien des Gesetzgebers
  10. Kon­se­quen­zen für die Aus­le­gung und Hand­ha­bung der ein­schlä­gi­gen Nor­men
    IV. Gewis­ser Nut­zen der Ein­schal­tung einer Ethik­kom­mis­si­on auch für die Forschungsfreiheit
  11. Ver­bes­ser­te Rechts­si­cher­heit für die betei­lig­ten Forscher
  12. Par­ti­el­le Ent­las­tung von Verantwortung?
  13. Redu­zier­te gericht­li­che Kon­troll­dich­te zwi­schen Gefähr­dung und Schutz der Wis­sen­schafts­frei­heit
    V. Fazit
    I. Ein­füh­rung: Der Sie­ges­zug der Ethik­kom­mis­sio­nen und ihre grund­recht­li­che Pro­ble­ma­tik
    Aus­ge­hend von den USA,1 haben sich Ethik­kom­mis­sio­nen seit den 1980er-Jah­ren auch in Euro­pa zur Beur­tei­lung von For­schungs­vor­ha­ben immer mehr eta­bliert. Aus­gangs- und Mit­tel­punkt war und ist die kli­ni­sche Arz­nei­mit­tel­for­schung, die im Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen For­schungs­in­ter­es­sen (und davon erhoff­tem Ertrag für die künf­ti­ge Gesund­heits­ver­sor­gung) einer­seits sowie Pati­en­ten- bzw. Pro­ban­den­schutz ande­rer­seits beson­ders hand­greif­li­che ethi­sche Pro­ble­me auf­wirft. Die Richt­li­nie 2001/20/EG „über die gute kli­ni­sche Pra­xis bei der Durch­füh­rung von kli­ni­schen Prü­fun­gen von Humanarzneimittel“2 und die Nach­fol­ge­ver­ord­nung (EU) 2014/536 – wohl erst 2020 voll­um­fäng­lich anwend­bar – ent­hal­ten zwar nur Teil­re­ge­lun­gen, haben aber auch dar­über hin­aus eine Annä­he­rung des Rechts­rah­mens in den ver­schie­de­nen Mit­glied­staa­ten bewirkt.4 In Deutsch­land sind §§ 40 Abs. 1 Satz 2, 42, 42a AMG5 nebst der GCP-Rechts­ver­ord­nun­g6 ein­schlä­gig. Ethik­Mi­cha­el
    Feh­ling*
    Ethik­kom­mis­sio­nen: Gefahr oder Chan­ce für die Wissenschaftsfreiheit?
  • Zum Geden­ken an mei­nen aka­de­mi­schen Leh­rer, Prof. Dr. Dr. h.c. Mar­tin Bul­lin­ger (5. April 1930 – 23. Janu­ar 2021), der 22 Jah­re (!) ehren­amt­lich als Rechts­be­ra­ter des Rek­tors der Uni­ver­si­tät Frei­burg tätig war.
    ** Umge­ar­bei­te­te Fas­sung eines eng­lisch­spra­chi­gen Vor­trags vom 25.9.2020 auf der deutsch-ita­lie­ni­schen Tagung „Aca­de­mic Free­dom under Pres­su­re“ (Tagungs­band im Erschei­nen); dort stand die rechts­ver­glei­chen­de Betrach­tung im Vor­der­grund, wäh­rend hier der Schwer­punkt auf der deut­schen Rechts­dog­ma­tik liegt. – Mei­nem wiss. Mit­a­bei­ter Vin­cent Mit­tag dan­ke ich für wert­vol­le Hil­fe insb. bei den Nach­wei­sen.
    1 Aus deut­scher Sicht Deutsch, Das neue Bild der Ethik­kom­mis­si­on, MedR 2006, S. 411; für die Ver­ei­nig­ten Staa­ten Bork, Ethik-Kom­mis­sio­nen in den USA, NJW 1983, S. 2056.
    2 Richt­li­nie 2001/20/EG des Euro­päi­schen Par­la­men­tes und des Rates vom 4. April 2001 zur Anglei­chung der Rechts- und Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über die Anwen­dung der guten kli­ni­schen Pra­xis bei der Durch­füh­rung von kli­ni­schen Prü­fun­gen mit Human­me­di­zin, ABl. L 121 vom 1.5.2001, S. 34.
    3 Ver­ord­nung (EU) 2014/536 des Euro­päi­schen Par­la­men­tes und des Rates vom 16 April 2014 über kli­ni­sche Prü­fung mit Human­arz­nei­mit­teln und zur Auf­he­bung der Richt­li­nie 2001/20/EG, ABl. L 158 vom 27.5.2014, S. 1; sie­he im Über­blick Lan­zer­ath, Euro­päi­sche Ethik­kom­mis­sio­nen im Wan­del: Her­aus­for­de­run­gen durch neue Rah­men­be­din­gun­gen, Bun­des­ge­sund­heits­blatt – Gesund­heits­schutz – Gesund­heits­for­schung 2019, S. 697, 700.
    4 Vgl. zur Ablö­sung natio­na­ler Bestim­mun­gen all­ge­mein Lip­pert, Kli­ni­sche Prü­fung von Tier­arz­nei­mit­teln unter der Ver­ord­nung (EU) 2019/6, PharmR 2019, S. 278; zurück­hal­ten­der, was eine Har­mo­ni­sie­rung betrifft, Lan­zer­ath (Fn. 3), Bun­des­ge­sund­heits­blatt – Gesund­heits­schutz – Gesund­heits­for­schung 2019, S. 697, 701 f.; die Ten­denz von Bestre­bun­gen ein­heit­li­cher Rege­lun­gen auf euro­päi­scher Ebe­ne beto­nend bereits Dop­pel­feld, Mög­li­che neue Tätig­keits­fel­der für Ethik-Kom­mis­sio­nen, MedR 2008, S. 645, 646 f. und 649 zur dama­li­gen Rechts­la­ge.
    5 Gesetz über den Ver­kehr mit Arz­nei­mit­teln (Arz­nei­mit­tel­ge­setz – AMG) in der Fas­sung der Bekannt­ma­chung vom 12. Dezem­ber 2005, BGBl. I S. 3394 zuletzt geän­dert durch Gesetz vom 9.12.2020, BGBl. I S. 2870.
    6 Ver­ord­nung über die Anwen­dung der Guten Kli­ni­schen Pra­xis bei der Durch­füh­rung von kli­ni­schen Prü­fun­gen mit Arz­nei­mit­teln zur Anwen­dung am Men­schen (GCP-Ver­ord­nung – GCP‑V) vom 9. August 2004, BGBl. I S. 2081, zuletzt geän­dert durch Ver­ord­nung vom 20.12.2016, BGBl. I S. 3048.
    Ord­nung der Wis­sen­schaft 2021, ISSN 2197–9197
    1 0 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 1 0 3 — 1 1 6
    7 Gesetz über Medi­zin­pro­duk­te (Medi­zin­pro­duk­te­ge­setz – MPG)
    in der Fas­sung der Bekannt­ma­chung vom 7. August 2002, BGBl. I
    S. 3146 zuletzt geän­dert durch Ver­ord­nung vom 19.6.2020, BGBl.
    I S. 1328.
    8 Gesetz zur Sicher­stel­lung des Embryo­nen­schut­zes im Zusam­men­hang
    mit Ein­fuhr und Ver­wen­dung mensch­li­cher embryo­na­ler
    Stamm­zel­len (Stamm­zel­len­ge­setz – StZG) vom 28. Juni 2002,
    BGBl. I S. 2277 zuletzt geän­dert durch Gesetz vom 29.3.2017,
    BGBl. I 2277.
    9 Ver­ord­nung zum Schutz vor der schäd­li­chen Wir­kung ioni­sie­ren­der
    Strah­lung (Strah­len­schutz­ver­ord­nung – StrlSchV) vom 29.
    Novem­ber 2018, BGBl. I, S. 2036 zuletzt geän­dert durch Ver­ord­nung
    vom 27.3.2020, BGBl. I S. 748.
    10 Gesetz zum Schutz vor der schäd­li­chen Wir­kung ioni­sie­ren­der
    Strah­lung (Strah­len­schutz­ge­setz – StrlSchG) vom 27. Juni 2017,
    BGBl. I S. 1966 zuletzt geän­dert durch Gesetz vom 23.10.2020,
    BGBl. I S. 2232
    11 Tier­schutz­ge­setz vom 18. Mai 2006, BGBl. I, S. 1206 zuletzt geän­dert
    durch Ver­ord­nung vom 19.6.2020, BGBl. I S. 1328.
    12 Sie­he nur BVerfGE 35, S. 202, 219 ff.
    13 Zur Abgren­zung unten III. 1.
    14 Albers, Die Insti­tu­tio­na­li­sie­rung von Ethik-Kom­mis­sio­nen: Zur
    Renais­sance der Ethik im Recht, KritV 2003, S. 410, 435.
    15 Deutsch (Fn. 1), MedR 2006, S. 411, 413.
    16 Von einer Annä­he­rung an peer review gehen inso­weit wohl aus
    Just, Die Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der Ethik-Kom­mis­sio­nen, einer
    Ein­rich­tung der Selbst­kon­trol­le der Wis­sen­schaft, MedR 2008,
    S. 640, 643; Gramm, Ethik­kom­mis­sio­nen: Siche­rung oder Begren­zung
    der Wis­sen­schafts­frei­heit?, WissR 1999, S. 209, 217. Dazu
    auch unten III. 5. b. sowie IV. 3.
    17 Ähn­li­che Ein­schät­zung Lan­zer­ath Fn.(3), Bun­des­ge­sund­heits­blatt
    – Gesund­heits­schutz – Gesund­heits­for­schung 2019, S. 697, 702 f.;
    Ver­ein­heit­li­chungs­be­darf her­vor­he­bend Deutsch (Fn. 1), MedR
    2006, S. 411, 416.
    kom­mis­sio­nen zur Begut­ach­tung von For­schungs­vor­ha­ben
    fin­den sich dar­über in Deutsch­land aber auch in
    immer wei­te­ren Rechts­ge­bie­ten, etwa im Medizinproduktegesetz7
    (§§ 20,22 MPG), im Stammzellengesetz8
    (§§ 5, 6, 9 StZG), in der Rönt­gen­ver­ord­nung RöV) und
    in der Strahlenschutzverordnung9 (§§ 31, 36 StrlSchV).10
    Mitt­ler­wei­le gibt es sol­che Kom­mis­sio­nen sogar außer­halb
    der For­schung am Men­schen für Tier­ver­su­che im
    Tierschutzgesetz11 (§ 15 Abs. 1 Satz 2 TSchG).
    Die am Bei­spiel der Arz­nei­mit­tel­stu­di­en beschrie­be­ne
    ethi­sche Kon­flikt­la­ge spie­gelt sich in einem grund­recht­li­chen
    Span­nungs­ver­hält­nis wider, näm­lich zwi­schen
    For­schungs­frei­heit (Art. 5 Abs. 3 GG bzw.
    Art. 13 Satz 1 GrCh) einer­seits sowie Per­sön­lich­keits­rech­ten
    ein­schließ­lich infor­ma­tio­nel­ler Selbstbestimmung12
    (Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG bzw. Art. 7, 8
    GrCh) und Gesund­heits­schutz (Art. 2 Abs. 2 GG bzw.
    Art. 3 GrCh) der Probanden/Patienten ande­rer­seits. Soweit
    For­schungs­vor­ha­ben in der einen oder ande­ren
    Form von der vor­he­ri­gen Befas­sung einer Ethik­kom­mis­si­on
    abhän­gig gemacht wer­den, liegt dar­in zunächst ein­mal
    eine recht­fer­ti­gungs­be­dürf­ti­ge Ein­schrän­kung und
    im Sin­ne unse­res The­mas Gefähr­dung der For­schungs­frei­heit
    (unten III.). Bei genaue­rem Hin­se­hen las­sen sich
    aber auch gewis­se Vor­tei­le für die betrof­fe­nen For­scher
    und auch für die For­schungs­frei­heit iden­ti­fi­zie­ren, nament­lich
    durch ver­bes­ser­te Rechts­si­cher­heit und mög­li­cher­wei­se
    sogar eine par­ti­el­le Ent­las­tung von Ver­ant­wor­tung;
    auch die – redu­zier­te – ver­wal­tungs­ge­richt­li­che
    Kon­troll­dich­te könn­te sich ten­den­zi­ell eher frei­heits­scho­nend
    aus­wir­ken (IV.).
    Bei alle­dem han­delt es sich zwar pri­mär um über­ge­ord­ne­te
    grund­recht­li­che Fra­ge­stel­lun­gen, in ers­ter Linie
    auf Ver­fas­sungs­ebe­ne, teil­wei­se aber auch auf unio­na­ler
    Ebene.13 Aus zwei Grün­den las­sen sich den­noch die ein­fach­ge­setz­li­chen
    Grund­la­gen bei unse­rem The­ma nicht
    kom­plett aus­blen­den. Zum einen sind die Befug­nis­se
    von Ethik­kom­mis­sio­nen bereichs­spe­zi­fisch höchst unter­schied­lich
    gere­gelt, was wie­der­um die grund­recht­li­che
    Prü­fung und Abwä­gung prägt. Zum ande­ren wirkt
    die Grund­rechts­la­ge poten­zi­ell auf die Aus­le­gung des
    ein­fa­chen Rechts zurück; die maß­geb­li­chen Bestim­mun­gen
    müs­sen gege­be­nen­falls ver­fas­sungs- bzw. uni­ons­rechts­kon­form
    so aus­ge­legt und gehand­habt wer­den,
    dass die kol­li­die­ren­den Ver­fas­sungs­po­si­tio­nen im Sin­ne
    prak­ti­scher Kon­kor­danz mög­lichst weit­rei­chend zur
    Gel­tung kom­men. Dem­entspre­chend soll zunächst die
    Band­brei­te der Erschei­nungs­for­men und Befug­nis­se sol­cher
    Ethik­kom­mis­sio­nen im gel­ten­den Recht skiz­ziert
    wer­den (sogleich II.).
    II. Gro­ße Band­brei­te der Erschei­nungs­for­men und
    Befug­nis­se von Ethikkommissionen
  1. Unter­schied­li­che Zusam­men­set­zung und Trä­ger­schaft
    Eine Ethik­kom­mis­si­on ist schon begriffs­not­wen­dig ein
    unab­hän­gi­ges Gre­mi­um aus Exper­ten ver­schie­de­ner
    Fach­rich­tun­gen, die zusam­men (gege­be­nen­falls mit
    Mehrheitsentscheidung)14 eine Stel­lung­nah­me abge­ben.
    Dies bil­de­te den Kern der Legal­de­fi­ni­ti­on in Art. 2 Abs. 2
    Ziff. 11 der VO (EU) 2014/536 (ähn­lich in Art. 2 (k) der
    frü­he­ren EG-Richt­li­nie) und kann auch für Ethik­kom­mis­sio­nen
    außer­halb des Anwen­dungs­be­reichs der Ver­ord­nung
    als Leit­vor­stel­lung die­nen. Wel­che Grup­pen
    über die jeweils rele­van­ten medi­zi­ni­schen Fach­rich­tun­gen
    hin­aus ver­tre­ten sind – neben einem Juris­ten z.B.
    Ethi­ker, Geist­li­che oder auch „ein­fa­che“ Bürger15 –, ist
    von Kom­mis­si­on zu Kom­mis­si­on unter­schied­lich, eben­so
    die Zahl der Mit­glie­der. Inso­weit han­delt es sich nur
    par­ti­ell um Peer Review.16 Nähe­res diver­giert nicht nur
    zwi­schen den euro­päi­schen Staaten,17 son­dern auch
    inner­halb Deutsch­lands. Für die Zusam­men­set­zung und
    Arbeits­wei­se der Ethik­kom­mis­sio­nen gilt näm­lich größ­ten­teils
    Lan­des­recht, nament­lich in den Heil­be­rufs­kam­Feh­ling
    · Ethik­kom­mi­sio­nen 1 0 5
    18 Bei­spie­le bei Kern, Stand­ort­be­stim­mung: Ethik­kom­mis­sio­nen –
    auf wel­chen Gebie­ten wer­den sie tätig?, MedR 2008, S. 631, 634
    f.; sie­he für Berufs­ord­nun­gen Deutsch (Fn. 1), MedR 2006, S. 411,
    412.
    19 So z. B. Just (Fn. 16), MedR 2008, S. 640 ff.
    20 Just (Fn. 16), MedR 2008, S. 640, 642 und 644.
    21 Dop­pel­feld (Fn. 4), MedR 2008, S. 645, 646.
    22 Frü­her hat­ten pri­va­te Ethik­kom­mis­sio­nen noch im Anwen­dungs­be­reich
    des Medi­zin­pro­duk­te­ge­set­zes sowie der Rönt­gen- und
    Strah­len­schutz­ver­ord­nung Bedeu­tung, vgl. Kern (Fn. 18), MedR
    2008, S. 631, 634.
    23 Sie­he für „Hori­zon 2020“ ins­be­son­de­re Art. 14 Ver­ord­nung
    (EU) 1290/2013 des Euro­päi­schen Par­la­ments und des Rates
    vom 11. Dezem­ber 2013 über die Regeln für die Betei­li­gung am
    Rah­men­pro­gramm für For­schung und Inno­va­ti­on “Hori­zont
    2020” (2014–2020) sowie für die Ver­brei­tung der Ergeb­nis­se und
    zur Auf­he­bung der Ver­ord­nung (EG) Nr. 1906/2006, ABl. L 347
    vom 20.12.2013, S. 81; Art. 19 Ver­ord­nung (EU) 1291/2013 des
    Euro­päi­schen Par­la­ments und des Rates vom 11. Dezem­ber 2013
    über das Rah­men­pro­gramm für For­schung und Inno­va­ti­on Hori­zont
    2020 (2014–2020) und zur Auf­he­bung des Beschlus­ses Nr.
    1982/2006/EG, ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 104; erwähnt auch
    von Lan­zer­ath (Fn. 3), S. 697, 701. Sie­he für „Hori­zon Euro­pe“
    Vor­schlag für eine Ver­ord­nung des Euro­päi­schen Par­la­ments
    und des Rates über das Rah­men­pro­gramm für For­schung und
    Inno­va­ti­on „Hori­zont Euro­pa” sowie über die Regeln für die
    Betei­li­gung und die Ver­brei­tung der Ergeb­nis­se COM (2018) 435
    final vom 7. Juni 2018 ins­be­son­de­re Art. 15.
    24 Dop­pel­feld (Fn. 4), MedR 2008, S. 645.
    25 Feh­ling, Ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­ge­stal­tung von DFG-För­der­be­din­gun­gen
    zur Open-Access-Publi­ka­ti­on, OdW 2014, S. 179, 193;
    all­ge­mein auch Britz, in: Drei­er (Hrsg.), GG-Kom­men­tar, Bd. I, 3.
    Aufl. 2013, Art. 5 Abs.3, Rn. 61.
    26 Sie­he zu den Auf­ga­ben des Deut­schen Ethik­ra­tes § 2 EthRG; vgl.
    fer­ner Lind­ner, Deut­scher Ethik­rat als prae­cep­tor iuris­dic­tion­is?,
    ZRP 2017, S. 148, 149.
    27 Hufen, Wis­sen­schaft zwi­schen Frei­heit und Kon­trol­le, NVwZ
    2017, S. 1265.
    28 Sie­he zu die­ser Ent­wick­lung Dop­pel­feld (Fn. 4), S. 645; Just (Fn.
    16), MedR 2008, S. 640 ff.
    29 Die­se Geneh­mi­gung (abzu­gren­zen von der Zulas­sung eines
    Arz­nei­mit­tels, wor­um es in die­sem Bei­trag nicht geht) ist stets gemeint,
    wenn im Fol­gen­den ver­kür­zend nur von „Geneh­mi­gung“
    oder „Zulas­sung“ die Rede ist.
    mergesetzen.18 Die Kom­mis­si­ons­mit­glie­der arbei­ten
    regel­mä­ßig ehren­amt­lich; die immer wie­der gefor­der­te
    Professionalisierung19 schlägt sich im Wesent­li­chen in
    der Zuar­beit durch eine Geschäfts­stel­le oder Ähn­li­chem
    nieder.20
    Orga­ni­sa­to­risch sind Ethik­kom­mis­sio­nen, die pro­jekt­be­zo­ge­ne
    Ein­schät­zun­gen abge­ben, meist ent­we­der
    bei den Ärz­te­kam­mern oder den Uni­ver­si­tä­ten ange­sie­delt,
    gele­gent­lich aber auch bei Fachinstituten.21 Pri­va­te
    Ethik­kom­mis­sio­nen spie­len außer­halb des rei­nen Berufs-
    Stan­des­rechts kei­ne bedeu­ten­de Rol­le mehr.22
  2. Ver­knüp­fung mit unter­schied­li­chen (Ver­wal­tungs-)
    Auf­ga­ben und Ent­schei­dun­gen
    Im Zen­trum unse­res The­mas steht die Betei­li­gung von
    Ethik­kom­mis­sio­nen an der Ent­schei­dung über die
    Geneh­mi­gung bestimm­ter For­schungs­pro­jek­te, nament­lich
    kli­ni­scher (Arzneimittel-)Studien. Dar­auf bezo­gen
    sich die zuvor genann­ten gesetz­li­chen Bei­spie­le. Dane­ben
    ist ein zustim­men­des Votum solch einer Kom­mis­si­on
    ver­brei­tet Vor­aus­set­zung für die Gewäh­rung von For­schungs­för­de­rung,
    auch und gera­de auf EU-Ebe­ne im
    For­schungs­rah­men­pro­gramm „Hori­zon 2020“ und dem
    Nach­fol­ge­pro­gramm „Hori­zon Europe“.23 Schließ­lich
    machen ent­spre­chen­de Fach­zeit­schrif­ten die Publi­ka­ti­on
    oft­mals eben­falls von einer sol­chen posi­ti­ven Stel­lung­nah­me
    abhängig.24 Dies ist frei­lich regel­mä­ßig nicht
    mehr dem Staat zure­chen­bar und des­halb nicht unmit­tel­bar
    grund­recht­lich rele­vant – es sei denn, eine semi­staat­li­che
    und des­halb grund­rechts­ge­bun­de­ne Forschungsorganisation25
    (wie die Deut­sche For­schungs­ge­mein­schaft)
    hat­te eine dies­be­züg­li­che Auf­la­ge bereits in
    ihre För­der­be­din­gun­gen auf­ge­nom­men.
    Über sol­che pro­jekt­be­zo­ge­nen Voten hin­aus wer­den
    Ethik­kom­mis­sio­nen – wie bei­spiels­wei­se der Deut­sche
    Ethik­rat – all­ge­mein zur Poli­tik­be­ra­tung ein­ge­setzt, sei
    es stra­te­gisch oder bei kon­kre­ten Gesetzesvorhaben.26
    Da die­se abs­trakt-gene­rel­le Poli­tik­be­ra­tung jedoch weit
    im Vor­feld kon­kre­ter Gesetz­ge­bungs- oder sons­ti­ger
    rechts­er­heb­li­cher Maß­nah­men ange­sie­delt ist und daher
    die For­schungs­frei­heit noch nicht berührt,27 bleibt sie
    im Fol­gen­den ausgeklammert.
  3. Unter­schied­lich weit­rei­chen­de Bin­dungs­wir­kung
    ihres Votums
    Ursprüng­lich hat­ten Ethik­kom­mis­sio­nen, auch im deut­schen
    Arz­nei­mit­tel­recht, meist nur bera­ten­de Funk­ti­on;
    die zustän­di­ge Behör­de war bei ihrer Geneh­mi­gungs­ent­schei­dung
    an deren Votum nicht gebun­den. Dies ist heu­te
    jedoch die Ausnahme,28 eine sol­che Rege­lung fin­det
    sich etwa in Hes­sen an medi­zi­ni­schen Fach­be­rei­chen,
    soweit es um die Durch­füh­rung kli­ni­scher Ver­su­che an
    Men­schen geht, die nicht dem AMG unter­lie­gen, oder
    bei epi­de­mio­lo­gi­schen For­schun­gen mit per­so­nen­be­zo­ge­nen
    Daten (vgl. § 53 HHG).
    Bei Arz­nei­mit­tel­stu­di­en bestimmt seit 2004
    § 40 Abs. 1 Satz 2 AMG, dass die kli­ni­sche Prü­fung eines
    Arz­nei­mit­tels nur begon­nen wer­den darf, wenn neben
    der behörd­li­chen Geneh­mi­gung der Studie29 kumu­la­tiv
    auch ein zustim­men­des Votum der Ethik­kom­mis­si­on
    vor­liegt. Die­se bin­den­de Wir­kung einer Ableh­nung
    durch die Ethik­kom­mis­si­on ist seit 2001 auch EU-rech­t1
    0 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 1 0 3 — 1 1 6
    30 Zur im Text genann­ten Funk­ti­on des Rechts insb. Luh­mann, Das
    Recht der Gesell­schaft, 1993, S. 124 ff.
    31 Auf Luh­mann in die­sem Zusam­men­hang hin­wei­send, Albers
    (Fn. 14), KritV 2003, S. 410, 426, Fuß­no­ten 32 und 33; Fateh-
    Moghadam/Atzeni, Ethisch ver­tret­bar im Sin­ne des Geset­zes –
    Zum Ver­hält­nis von Ethik und Recht am Bei­spiel der Pra­xis von
    For­schungs-Ethik­kom­mis­sio­nen, in: Vöneky/Hagedorn/Clados/
    von Achen­bach (Hrsg.), Legi­ti­ma­ti­on ethi­scher Ent­schei­dun­gen
    im Recht – Inter­dis­zi­pli­nä­re Unter­su­chun­gen, 2009, S. 115 mit
    dor­ti­ger Fn. 1 sowie S. 119 mit dor­ti­gen Fn. 14 u.15.
    32 Fateh-Mogha­dam/At­zeni (Fn. 31), S. 115 ff.; Albers (Fn. 14), KritV
    2003, S. 410, 426 ff. mit eini­gen (nicht ganz kla­ren) Modi­fi­ka­tio­nen
    auf S. 430 ff.
    33 Dazu all­ge­mein statt vie­ler Feh­ling, Das Ver­hält­nis von Recht und
    außer­recht­li­chen Maß­stä­ben, in: Tru­te et al. (Hrsg.), All­ge­mei­nes
    Ver­wal­tungs­recht – zur Trag­fä­hig­keit eines Kon­zepts, 2008, S.
    461, 467 ff. m.w.N.
    34 Dazu näher unten III. 6.
    35 Deutsch, Ent­ste­hung und Funk­ti­on der Ethik­kom­mis­sio­nen in
    Euro­pa, MedR 2008, S. 650, 653 f.
    36 Kern (Fn. 18), MedR 2008, S. 631, 635 f.
    37 Fateh-Mogha­dam/At­zeni (Fn. 31), S. 115, 141 f.
    38 S. für einen Über­blick Berns­dorff, in: Meyer/Hölscheidt (Hrsg.),
    Char­ta der Grund­rech­te der Euro­päi­schen Uni­on, 5. Aufl. 2019,
    Art. 13 Rn. 14 f.; Jarass, EU-Grund­rech­te-Char­ta, 4. Aufl. 2021,
    Art. 13 Rn. 7 ff.
    lich vor­ge­schrie­ben (heu­te Art. 4 VO (EU) 536/2014).
    Dadurch haben sich die Ethik­kom­mis­sio­nen immer
    mehr von ethi­schen und berufs­recht­li­chen Bera­tungs­gre­mi­en
    zur rechts­an­wen­den­den Pati­en­ten­schutz­ein­rich­tung
    mit Behör­den­cha­rak­ter ent­wi­ckelt.
    Einen Zwi­schen­weg beschrei­tet etwa das Stamm­zel­len­ge­setz
    (§ 6 Abs. 5 StZG). Hier ist das Votum der Ethik­kom­mis­si­on
    „zu berück­sich­ti­gen“, bin­det aber die Behör­de
    nicht. Wenn die­se jedoch von dem Votum abwei­chen
    will, hat sie die Grün­de hier­für schrift­lich dar­zu­le­gen
    („com­ply or explain“).
  4. Der Beur­tei­lungs­maß­stab: recht­lich und/oder
    ethisch?
    Wel­chen Beur­tei­lungs­maß­stab die Ethik­kom­mis­si­on bei
    ihrem Votum zugrun­de zu legen hat, rich­tet sich nach
    dem jewei­li­gen Fach­ge­setz. Dies wirft die Fra­ge auf, wel­che
    Rol­le ethi­sche Gesichts­punk­te, die ja für die­se Kom­mis­sio­nen
    namens­ge­ben sind, dabei eigent­lich noch
    spie­len kön­nen.
    Vor­der­grün­dig ist die Sache klar: Vor­rang
    (Art. 20 Abs. 3 GG) und Vor­be­halt des Geset­zes las­sen
    jen­seits des gesetz­li­chen Ent­schei­dungs­maß­stabs kaum
    mehr Raum für die Prü­fung der ethi­schen Ver­tret­bar­keit
    jeden­falls dort, wo das Kom­mis­si­ons­vo­tum mehr ist als
    nur ein Appell an die per­sön­li­che Ver­ant­wor­tung des
    For­schers. Man muss kein Anhän­ger der Systemtheorie30
    sein, um zu beto­nen, dass es gera­de und aus­schließ­lich
    die Funk­ti­on des Rechts ist, gesell­schaft­li­che Kon­flik­te
    ver­bind­lich zu ent­schei­den und dadurch nor­ma­ti­ve
    Erwar­tun­gen zu stabilisieren.31 Die Tren­nung von
    Ethik und Recht ist eine zen­tra­le Errun­gen­schaft der
    Moder­ne. Im Aus­gangs­punkt bleibt damit die Ent­schei­dung
    einer Ethik­kom­mis­si­on, sofern sie Rechts­wir­kun­gen
    aus­löst, kon­se­quen­ter­wei­se aus­schließ­lich
    Rechtsanwendung.32
    Aller­dings kann das anzu­wen­den­de Geset­zes­recht
    auf außer­recht­li­che Maß­stä­be, ein­schließ­lich ethisch­mo­ra­li­scher,
    ver­wei­sen, sei es in unbe­stimm­ten Rechts­be­grif­fen
    oder in Abwägungsaufträgen.33 Im hie­si­gen
    Kon­text liegt dies vor allem dort nahe, wo das Gesetz –
    wie etwa für kli­ni­sche Arz­nei­mit­tel­stu­di­en in
    § 42 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 2 AMG – expli­zit
    oder impli­zit auf eine Risi­ko-Nut­zen-Abwä­gung ver­weist.
    Unbe­stimm­te (Schleusen-)Begriffe wie „(Un-)
    Ver­tret­bar­keit“ – z.B. in § 40 Abs. 1 Nr. 2a AMG: „unver­tret­ba­re
    schäd­li­che Aus­wir­kun­gen […]“ – kön­nen bei
    der Anwen­dung im Ein­zel­fall eben­falls zu ethi­schen Bewer­tun­gen
    füh­ren. Auch in sol­chen Kon­stel­la­tio­nen
    bleibt die Abwä­gung bzw. Beur­tei­lung im Kern jedoch
    eine recht­li­che, weil in bei­de Rich­tun­gen (d.h. zum
    Schutz der For­schungs­frei­heit wie der Pro­ban­den­rech­te)
    grund­rechts­ge­bun­den und ‑gesteuert.34 Die aller­meis­ten
    gesetz­li­chen Beur­tei­lungs­maß­stä­be für die Ethik­kom­mis­sio­nen
    sind ohne­hin eher for­ma­ler Natur – etwa Ver­si­che­rungs­schutz
    oder Qua­li­fi­ka­ti­on der betei­lig­ten For­scher
    sowie Auf­klä­rung der Pro­ban­den betreffend35 –, so
    dass dort die ethi­sche Ver­tret­bar­keit der pro­jek­tier­ten
    Stu­die von vorn­her­ein kei­ne Rol­le spie­len kann.36
    Macht vor die­sem Hin­ter­grund der Name „Ethik­kom­mis­si­on“
    über­haupt noch Sinn? Jeden­falls aus sozio­lo­gi­scher
    Per­spek­ti­ve dient die­se Aus­flag­gung wohl in
    ers­ter Linie dazu, die Ver­stän­di­gung zwi­schen den unter­schied­li­chen
    Fach­rich­tun­gen in der Kom­mis­si­on zu
    erleich­tern. Medi­zi­ner und ande­re Fach­wis­sen­schaft­ler
    müs­sen sich nicht auf einen genu­in juris­ti­schen Dis­kurs
    ein­las­sen, son­dern kön­nen sich mit ihren fach­li­chen Argu­men­ten
    gleich­sam auf dem gemein­sa­men „neu­tra­len“
    Grund der Ethik treffen.37
    III. Ver­ein­bar­keit der Ein­schal­tung einer Ethik­kom­mis­si­on
    mit der Forschungsfreiheit
  5. Gemenge­la­ge deut­schen und euro­päi­schen Grund­rechts­schut­zes
    Die For­schungs­frei­heit ist nicht nur im Grund­ge­setz
    (Art. 5 Abs. 3 GG), son­dern auch in der EU-Grund­rech­te­char­ta
    (Art. 13 Satz 1 GrCh) mit wohl ähn­li­chem
    Gehalt gewährleistet.38 Uni­ons­grund­rech­te sind nach
    Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GrCh zum einen anwend­bar, wenn
    Feh­ling · Ethik­kom­mi­sio­nen 1 0 7
    39 Sie­he all­ge­mein EuGH, Urt. v. 26.2.2013, C‑617/10
    ECLI:EU:C:2013:105 Rn. 16 ff. Åklaga­ren vs. Åker­berg Frans­son;
    EuGH, Urt. v. 6.3.2014, C‑206/13 ECLI:EU:2014:126 Rn. 16
    ff. Sira­gusa v. Regio­ne Sici­lia – Soprin­ten­den­za Beni Cul­tu­ra­li e
    Ambi­en­ta­li di Paler­mo.
    40 Zu „hin­ken­den“ EU-Ver­ord­nun­gen, die nur eine Teil­re­ge­lung
    ent­hal­ten und des­halb auf ergän­zen­des (nicht: umset­zen­des)
    natio­na­les Recht ange­wie­sen sind, sie­he all­ge­mein Ruf­fert, in:
    Cal­liess, Ruf­fert (Hrsg.), EUV/AEUV-Kom­men­tar, 5. Aufl. 2016,
    Art. 288 AEUV Rn. 21.
    41 In die­se Rich­tung all­ge­mein EuGH, Urt. v. 24.9.2019 C‑507/17
    ECLI:EU:C:2019:722 Rn. 67 Goog­le LLC v. Com­mis­si­on natio­na­le
    de I´informatique et des liber­tés (CNIL); im Über­blick zu die­ser
    im Detail umstrit­te­nen Fra­ge Bäcker, Das Grund­ge­setz als Imple­men­ta­ti­ons­ga­rant
    der Uni­ons­grund­rech­te, EuR 2015, S. 389, 391
    ff. m.w.N.
    42 Grund­le­gend BVerfGE 35, S. 79, 114; aus neue­rer Zeit BVerfGE
    141, S. 143, 165.
    43 Für ein enges Ver­ständ­nis etwa Böcken­för­de, Schutz­be­reich,
    Ein­griff, ver­fas­sungs­im­ma­nen­te Schran­ken, Der Staat 42 (2004),
    S. 165, 185 f.; Hoff­mann-Riem, Grund­rechts­an­wen­dung unter
    Ratio­na­li­täts­an­spruch, Der Staat 43 (2003), 203 ff.; spe­zi­ell zur
    Wis­sen­schafts­frei­heit grund­le­gend Wahl, Frei­bur­ger Univ.-Bl. 95
    (3/1987), S. 32 ff.; kri­tisch etwa Kahl, Vom wei­ten Schutz­be­reich
    zum engen Gewähr­leis­tungs­ge­halt – Kri­tik einer neu­en Rich­tung
    der deut­schen Grund­rechts­dog­ma­tik, Der Staat 43 (2004), S. 167,
    184 ff.; Zippelius/Würtenberger, Deut­sches Staats­recht, 33. Aufl.
    2018, § 19 Rn. 11 ff.; grund­le­gend zur Abwä­gungs­lö­sung Ale­xy,
    Theo­rie der Grund­rech­te, 3. Aufl. 1996, insb. S. 290 ff.; für die
    Wis­sen­schafts­frei­heit etwa auch Losch/Radau, For­schungs­ver­ant­wor­tung
    als Ver­fah­rens­auf­ga­be, NVwZ 2003, S. 392 f.; Würtenberger/
    Tan­ne­ber­ger, Bio­si­cher­heit und For­schungs­frei­heit, OdW
    2014, S. 1, 5 ff.
    44 BVerfG NJW 1984, S. 1293, 1294 wonach die Beein­träch­ti­gung
    frem­den Eigen­tums nicht vom Schutz­be­reich der Kunst­frei­heit
    umfasst ist. Zur Kon­tro­ver­se über die Trag- und Ver­all­ge­mei­ne­rungs­fä­hig­keit
    vgl. für die For­schungs­frei­heit nur Pieroth/
    Schlink, Grund­rech­te, 18. Aufl. 2002, Rn. 524 ff. (in Kingreen/
    Poscher, Grund­rech­te, 35. Aufl. 2019, so nicht mehr ent­hal­ten);
    und Ler­che, Ver­fas­sungs­fra­gen der Gen­tech­no­lo­gie, in: Lukes/
    Scholz (Hrsg.), Rechts­fra­gen der Gen­tech­no­lo­gie, 1986, S. 91 ff.
    einer­seits, Waech­ter, For­schungs­frei­heit und For­schungs­ver­trau­en,
    Der Staat 30 (1991), S. 44 f., ande­rer­seits.
    45 Ange­deu­tet bei Feh­ling, in: Bon­ner Kom­men­tar zum GG, 110.
    Lfg. 2004, Art. 5 Abs. 3 (Wis­sen­schafts­frei­heit) Rn. 147; Däh­ne,
    For­schung zwi­schen Wis­sen­schafts­frei­heit und Wirt­schafts­frei­heit,
    2007, S. 308; in die­se Rich­tung auch Würtenberger/Tanneberger
    (Fn. 43), OdW 2014, S. 1, 5 f., aller­dings mit etwas wei­ter­ge­hen­der
    Ten­denz, den Beschluss zum „Spray­er von Zürich“ zu
    ver­all­ge­mei­nern.
    46 Dazu all­ge­mein statt vie­ler nur BVerfGE 13, S. 181, 185 f.; Drei­er,
    in: ders. (Fn. 25), Vor­be­mer­kun­gen vor Art. 1, Rn. 125 ff.
    die EU-Kom­mis­si­on für die euro­päi­sche For­schungs­för­de­rung
    die Ein­schal­tung einer Ethik­kom­mis­si­on ver­langt.
    Zum ande­ren ist die euro­päi­sche For­schungs­frei­heit
    maß­geb­lich, wenn das Uni­ons-Sekun­där­rech­t39 wie
    für kli­ni­sche Arz­nei­mit­tel­stu­di­en (dort mit einer „hin­ken­den“
    EU-Ver­ord­nun­g40) eine Teil­re­ge­lung ent­hält.
    Rich­ti­ger­wei­se bleibt in die­ser Kon­stel­la­ti­on dane­ben
    aber auch die natio­na­le Wis­sen­schafts­frei­heit anwend­bar,
    soweit auf natio­na­ler Ebe­ne – wie im genann­ten Bei­spiel
    der Arz­nei­mit­tel­for­schung – noch ein Spiel­raum
    für ergän­zen­de Rege­lun­gen besteht.41
    Die nach­fol­gen­den Aus­füh­run­gen kon­zen­trie­ren
    sich auf die deut­sche Grund­rechts­ord­nung, weil dort ange­sichts
    vie­ler Lücken im EU-recht­li­chen Rah­men immer
    noch der Schwer­punkt der Prü­fung liegt und die
    dog­ma­ti­schen Kon­tu­ren im natio­na­len Ver­fas­sungs­recht
    kla­rer sind. Ver­glei­chend wird jedoch immer zumin­dest
    kurz auf die Grund­rech­te­char­ta und even­tu­el­le Abwei­chun­gen
    hin­ge­wie­sen.
  6. Unter­schied­lich inten­si­ver Ein­griff in die For­schungs­frei­heit
    Das Recht, For­schungs­pro­jek­te unab­hän­gig von staat­li­chen
    Vor­ga­ben frei wäh­len, kon­zi­pie­ren und durch­füh­ren
    zu kön­nen, ist ein Kern der Wissenschaftsfreiheit.42
    Aller­dings gewährt Art. 5 Abs. 3 GG von vorn­her­ein kei­ne
    Befug­nis, bei der For­schung in Rech­te Drit­ter ein­zu­grei­fen.
    Dies muss, unab­hän­gig von der all­ge­mei­nen
    Kon­tro­ver­se um eine enge oder wei­te­re Aus­le­gung
    grund­recht­li­cher Schutzbereiche43 und dem Streit um
    die Ver­all­ge­mei­ne­rungs­fä­hig­keit der Kam­mer­ent­schei­dung
    des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts zum „Spray­er von
    Zürich“, 44 jeden­falls dann gel­ten, wenn final in die kör­per­li­che
    Inte­gri­tät Drit­ter ein­ge­grif­fen wird;45 eine
    Abwä­gungs­lö­sung auf Schran­ken­ebe­ne wür­de der fun­da­men­ta­len
    Bedeu­tung von Art. 2 Abs. 2 GG jeden­falls
    in die­ser Kon­stel­la­ti­on nicht gerecht. Bei kli­ni­schen Stu­di­en
    beein­träch­tigt es des­halb die Wis­sen­schafts­frei­heit
    nicht, wenn die Ein­wil­li­gung der betei­lig­ten Probanden/
    Pati­en­ten ver­langt wird. Auf die For­schung mit Stamm­zel­len
    lässt sich die­se Über­le­gung indes nicht über­tra­gen,
    denn dort ist kein eige­nes Rechts­sub­jekt betrof­fen.
    Inso­weit han­delt es sich in vol­lem Umfang um einen
    recht­fer­ti­gungs­be­dürf­ti­gen Ein­griff in die For­schungs­frei­heit.
    Das Vor­lie­gen eines Ein­griffs hängt als sol­ches nicht
    davon ab, wie weit die Bin­dungs­wir­kung des Votums der
    Ethik­kom­mis­si­on reicht. Nicht erst dann, wenn die For­schung
    nur bei Zustim­mung durch die Ethik­kom­mis­si­on
    durch­ge­führt wer­den darf (wie im Arz­nei­mit­tel­recht),
    ist ein Ein­griff in die For­schungs­frei­heit gege­ben,
    son­dern auch schon bei der Ver­pflich­tung der staat­li­chen
    Geneh­mi­gungs­be­hör­de zu „com­ply or explain“ wie
    im Stamm­zel­len­ge­setz. Denn in Grund­rech­te kann bekannt­lich
    nicht nur durch Befehl und Zwang ein­ge­grif­fen
    wer­den; die Ein­griffs­schwel­le ist viel­mehr bereits
    dann über­schrit­ten, wenn recht­li­che Rah­men­be­din­gun­gen
    geschaf­fen wer­den, die dem Grund­rechts­trä­ger die
    Aus­übung des Grund­rechts fak­tisch erheb­lich erschwe­ren.
    46 Die Inten­si­tät des Ein­griffs ist dann aller­dings gerin­ger.
    Wird eine Ethik­kom­mis­si­on dage­gen rein bera­tend
    tätig, ohne dass dar­an irgend­wel­che Rechts­fol­gen –
    1 0 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 1 0 3 — 1 1 6
    47 So wohl Hufen (Fn. 27), NVwZ 2017, S. 1265, 1268; weni­ger
    ein­deu­tig Gramm (Fn. 16), WissR 1999, S. 209, 216 f.
    48 Die­ser Begriff ist zwar anschei­nend wenig ver­brei­tet, die Tat­sa­che
    als sol­che aber aner­kannt.
    49 Britz, in: Drei­er (Fn. 25), Art. 5 Abs. 3 Rn. 37; Hufen (Fn. 27),
    NVwZ 2017, S. 1265, 1268.
    50 Sie­he Feh­ling (Fn. 25), OdW 2014, S. 179, 193 ff.; all­ge­mein auch
    Britz, in: Drei­er (Fn. 25), Art. 5 Abs. 3 Rn. 61.
    51 Vgl. Feh­ling (Fn. 25), OdW 2014, S. 179, 194.
    52 Britz, in: Drei­er (Fn. 25), Art. 5 Abs. 3 Rn. 80 ff.; Gär­ditz, in:
    Maunz/Dürig, GG-Kom­men­tar, 92. Lfg. 2020, Art. 5 Abs. 3 Rn.
    259 ff.
    53 Vgl. Feh­ling (Fn. 25), OdW 2014, S. 179, 199 f.; für die Grund­rech­te
    im All­ge­mei­nen Kloep­fer, Ver­fas­sungs­recht I, 2011, S. 318
    ff.
    54 So zur Teil­ha­be­funk­ti­on der Grund­rech­te all­ge­mein BVerfGE
    147, S. 253, 305 ff.; ange­deu­tet auch von Feh­ling, Die Ver­tei­lung
    des Man­gels – Zum neu­en Nume­rus Clau­sus-Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts,
    RdJB 2018, S. 100, 102; zurück­hal­ten­der
    wohl Jarass, Hand­buch der Grund­rech­te in Deutsch­land und
    Euro­pa, Bd. II, 2006, § 38 Rn. 33.
    55 Vgl. frei­lich auf einem teil­wei­se abwei­chen­den dog­ma­ti­schen
    Grund­kon­zept fußend, Murs­wiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.),
    Hand­buch des Staats­rechts der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, Bd.
    IX, 3. Aufl. 2011, § 192 Rn. 79.
    56 Zur Pro­ze­du­ra­li­sie­rung bei Teil­ha­be­rech­ten all­ge­mein Kingreen/
    Poscher (Fn. 44), Rn. 155; Murs­wiek (Fn. 55), Rn. 21.
    57 Für die Wis­sen­schafts­frei­heit I. Augs­berg, in: von der Groeben/
    Schwarze/Hatje (Hrsg.), EU-Kom­men­tar, 4. Aufl. 2015 Art. 13
    GrCh Rn. 9; Jarass, EU-Grund­rech­te-Char­ta, 4. Aufl. 2021, Art.
    13 Rn. 12. Zu den Pro­ble­men, die sich inso­weit aus der begrenz­ten
    Zustän­dig­keit der Uni­on erge­ben Jarass, ebd., Art. 51 Rn. 6;
    Schwerdt­fe­ger, in: Meyer/Hölscheidt (Fn. 38), Art. 51 Rn. 93.
    58 Statt aller BVerfGE 141, S. 143, 169.
    und sei es auch nur die Pflicht einer staat­li­chen Behör­de
    oder der For­scher selbst, eine Abwei­chung zu begrün­den
    – geknüpft sind, so ver­kürzt dies in der Sache die Wis­sen­schafts­frei­heit
    noch nicht.47 Denn der For­scher ist
    durch die blo­ße Bera­tung weder recht­lich noch fak­tisch
    in irgend­ei­ner Form gebun­den. Aller­dings stellt schon
    allein die Tat­sa­che, dass ein For­scher vor einer Ethik­kom­mis­si­on
    Unter­la­gen ein­rei­chen und gleich­sam Rechen­schaft
    able­gen muss, wegen des damit ver­bun­de­nen
    Auf­wands unab­hän­gig von der inhalt­li­chen (Bin­dungs-)
    Wir­kung des Votums der Kom­mis­si­on einen pro­ze­du­ra­len
    Grundrechtseingriff48 dar.49 Des­sen Inten­si­tät ist indes­sen
    nicht all­zu hoch.
  7. Beson­der­hei­ten beim Ein­satz von Ethik­kom­mis­sio­nen
    in der For­schungs­för­de­rung
    Macht eine semi-staat­li­che und als sol­che eben­falls
    grundrechtsgebundene50 For­schungs­för­de­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on
    wie die Deut­sche For­schungs­ge­mein­schaft die
    Gewäh­rung von För­der­mit­teln vom Votum einer Ethik­kom­mis­si­on
    abhän­gig, so ist nicht die Abwehr‑, son­dern
    die Teil­ha­be­funk­ti­on der Wis­sen­schafts­frei­heit betrof­fen.
    51 Auch inso­weit besteht ein, wenn auch etwas schwä­che­rer,
    Grundrechtsschutz.52 Aller­dings reicht hier der
    Vor­be­halt des Geset­zes weni­ger weit.53 Ob des­halb für
    die Ein­schal­tung der Ethik­kom­mis­si­on allein inter­ne
    För­der­richt­li­ni­en aus­rei­chen, erscheint ange­sichts der
    Grund­rechts­we­sent­lich­keit den­noch zwei­fel­haft. Zwar
    ist die Teil­ha­be­funk­ti­on der Grund­rech­te all­ge­mein
    schwä­cher aus­ge­prägt als deren Abwehrfunktion.54
    Denn bei blo­ßer Teil­ha­be­ge­währ­leis­tung exis­tiert kein
    Anspruch auf ein bestimm­tes Tun oder Unter­las­sen,
    son­dern nur ein Anspruch auf chan­cen­glei­chen Zugang.
    Die­ser Gleich­be­hand­lungs­an­spruch ist dann aller­dings
    kla­rer kon­tu­riert als ein ori­gi­nä­res Leistungsrecht,55 wie
    es ver­fas­sungs­recht­lich fast durch­weg allen­falls dem
    Grun­de nach, ohne kon­kre­ten Inhalt, aner­kannt wird.
    Die­sem Recht auf chan­cen­glei­che Teil­ha­be an semi­staat­li­chen
    För­der­mit­teln muss wie allgemein56 dadurch
    Rech­nung getra­gen wer­den, dass ein Chan­cen­gleich­heit
    sichern­des und im Auf­wand zumut­ba­res Ver­ga­be­ver­fah­ren
    auch bezüg­lich der Ein­schal­tung einer Ethik­kom­mis­si­on
    eta­bliert wird.
    Aller­dings ist auf euro­päi­scher Ebe­ne noch weit­ge­hend
    unge­klärt, ob und inwie­weit die Char­ta­grund­rech­te
    auch Teil­ha­be­rech­te enthalten.57 Davon hängt ab, inwie­weit
    die (euro­päi­sche) For­schungs­frei­heit auch bei
    der Ver­ga­be von For­schungs­mit­teln durch die euro­päi­sche
    Kom­mis­si­on mit Ein­schal­tung einer Ethik­kom­mis­si­on
    Bedeu­tung erlangt.
  8. Recht­fer­ti­gungs­mög­lich­keit durch kol­li­die­ren­de
    deut­sche bzw. Uni­ons-Grund­rech­te
    Die Wis­sen­schafts­frei­heit ist in Art. 5 Abs. 3 GG ohne
    aus­drück­li­che Schran­ken gewähr­leis­tet und damit nur
    durch ande­re Rechts­gü­ter mit Ver­fas­sungs­rang ein­schränk­bar
    (ver­fas­sungs­im­ma­nen­te Schranken).58 Hier
    sind als kol­li­die­ren­des Ver­fas­sungs­recht die Selbst­be­stim­mung
    der Probanden/Patienten als Teil ihres all­ge­mei­nen
    Per­sön­lich­keits­rechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m.
    Art. 1 Abs. 1 GG) sowie deren Grund­recht auf Gesund­heit
    und kör­per­li­che Unver­sehrt­heit (Art. 2 Abs. 2 GG)
    zu beach­ten.
    Für das Uni­ons­recht gilt letzt­lich wohl nichts ande­res,
    wenn­gleich die genau­en dog­ma­ti­schen Kon­tu­ren
    noch wenig geklärt sind. Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GrCh ver­Feh­ling
    · Ethik­kom­mi­sio­nen 1 0 9
    59 Jarass (Fn. 57), Art. 13 Rn. 15; Schwerdt­fe­ger, in: Meyer/Hölscheidt
    (Fn. 38), Art. 52 Rn. 36. Teil­wei­se wird auch auf Art.
    52 Abs. 3 GrCh abge­stellt, so etwa Berns­dorff (Fn. 37) Rn. 12,
    aber das über­zeugt nicht, weil Art. 10 EMRK die Wis­sen­schafts­frei­heit
    nicht aus­drück­lich gewähr­leis­tet.
    60 Zum scho­nen­den Aus­gleich grund­le­gend Ler­che, Über­maß und
    Ver­fas­sungs­recht, 2. Aufl. 1999, S. 153; zur prak­ti­schen Kon­kor­danz
    grund­le­gend Hes­se, Grund­zü­ge des Ver­fas­sungs­rechts der
    Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, 20. Aufl. 1999, Rn. 317 f., auf­ge­grif­fen
    zuletzt von BVerfGE 152, S. 152, 185 mit Rn. 76.
    61 Infor­ma­tio­nen der Orga­ne und Ein­rich­tun­gen der Euro­päi­schen
    Uni­on vom 14. Dezem­ber 2007 zur Char­ta der Grund­rech­te der
    Euro­päi­schen Uni­on, ABl. C 303 vom 14.12.2007, S. 22.
    62 Ähn­lich in einem ähn­li­chen Kon­text (For­schungs­frei­heit und
    Bio­si­cher­heit) Würtenberger/Tannenberger (Fn. 43), OdW 2014,
    S. 1, 7.
    weist für die Ein­schränk­bar­keit der Char­ta­grund­rech­te
    aus­drück­lich auf die „Rech­te und Frei­hei­ten ande­rer“
    (hier nament­lich Art. 3 GrCh).59
  9. Her­stel­lung eines ver­hält­nis­mä­ßi­gen Aus­gleichs kol­li­die­ren­der
    Ver­fas­sungs­po­si­tio­nen als zen­tra­les Pro­blem
    a) Grund­la­gen
    Letzt­lich dür­fen die Ver­fas­sungs­fra­gen jedoch nicht ein­sei­tig
    allein aus der Per­spek­ti­ve der For­schungs­frei­heit
    und der dabei bestehen­den Recht­fer­ti­gungs­not­wen­dig­kei­ten
    betrach­tet wer­den. Da pri­ma facie gleich­ran­gi­ge
    Ver­fas­sungs­gü­ter betrof­fen sind, muss viel­mehr ein
    scho­nen­der Aus­gleich nach allen Sei­ten – oder anders
    aus­ge­drückt: prak­ti­sche Konkordanz60 – ange­strebt wer­den.
    In §§ 42 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 2 AMG
    spie­gelt sich dies für kli­ni­sche Arz­nei­mit­tel­stu­di­en im
    Auf­trag zu einer Nut­zen-Risi­ko-Abwä­gung durch die
    Ethik­kom­mis­si­on wider. Die­se Auf­ga­be wird zusätz­lich
    dadurch kom­pli­ziert, dass über die bereits genann­ten
    Grund­rech­te hin­aus noch wei­te­re Ver­fas­sungs­gü­ter
    invol­viert sind: Auf der einen Sei­te der Waa­ge geht es
    nicht nur um die indi­vi­du­el­le Frei­heit der betei­lig­ten
    For­scher (als Abwehr­recht), son­dern auch um den Nut­zen
    der For­schung für die Gesell­schaft – und im medi­zi­ni­schen
    Bereich letzt­lich für die Gesund­heit der Men­schen
    all­ge­mein. Auf der ande­ren Sei­te sind eben­falls
    nicht nur indi­vi­du­el­le Grund­rech­te (in ihrer Schutz­pflicht­di­men­si­on)
    betrof­fen, son­dern glei­cher­ma­ßen die
    Fol­gen für die Gesell­schaft (kei­ne Instru­men­ta­li­sie­rung
    von Men­schen zu Ver­suchs­zwe­cken) und dabei letz­ten
    Endes die Men­schen­wür­de zu bedenken.61 Gera­de in
    die­ser über­in­di­vi­du­el­len, auf grund­le­gen­de Ver­fas­sungs­wer­te
    ver­wei­sen­den Dimen­si­on des Kon­flikts spie­gelt
    sich des­sen ethi­scher Hin­ter­grund beson­ders wider.
    In die erfor­der­li­che Gesamt­ab­wä­gung sind, ganz abs­trakt
    betrach­tet, drei Para­me­ter ein­zu­stel­len: die Inten­si­tät
    des Ein­griffs in die For­schungs­frei­heit, das Gewicht
    der ver­folg­ten Gemein­wohl- und Dritt­in­ter­es­sen und
    schließ­lich die jewei­li­ge Wahr­schein­lich­keit der Rechts­guts­be­ein­träch­ti­gung.
    62 Schein­bar wie­gen inso­weit die
    grund­recht­lich geschütz­ten Inter­es­sen der Pro­ban­den
    bei der Zustim­mungs­ent­schei­dung der Ethik­kom­mis­si­on
    weni­ger schwer, wenn die­se Dritt­in­ter­es­sen auch
    noch durch die behörd­li­che Geneh­mi­gungs­ent­schei­dung
    geschützt wer­den. Jeden­falls im Arz­nei­mit­tel­recht
    ist eine Nut­zen-Risi­ko-Abwä­gung bei Geneh­mi­gungs­wie
    Zustim­mungs­ent­schei­dung vor­zu­neh­men. In der
    Tat zwin­gen grund­recht­li­che Schutz­pflich­ten nicht zu einem
    dop­pel­ten Schutz mit einer zusätz­li­chen eigen­stän­di­gen
    Zustim­mungs­be­dürf­tig­keit durch eine Ethik­kom­mis­si­on.
    Wenn aber solch eine zwei­te Über­prü­fung wie
    im Arz­nei­mit­tel­recht gesetz­lich vor­ge­schrie­ben ist, so
    droh­te ein wech­sel­sei­ti­ges „Hin- und Her­schie­ben“ der
    Schutz­auf­ga­be die­se letzt­lich in bei­den Ver­fah­ren zu unter­gra­ben.
    Umge­kehrt lie­ße sich theo­re­tisch näm­lich
    auch bei der Behör­den­ent­schei­dung dar­auf ver­wei­sen,
    dass hin­rei­chen­der Grund­rechts­schutz der Pro­ban­den­in­ter­es­sen
    bereits durch die eben­falls bin­den­de Ableh­nungs­mög­lich­keit
    der Ethik­kom­mis­si­on gewähr­leis­tet
    sei. Zwar mag man argu­men­tie­ren, die (Arz­nei­mit­tel-)
    Behör­de sei „staats­nä­her“ als die wei­sungs­un­ab­hän­gi­ge
    Ethik­kom­mis­si­on und damit pri­mär in der Ver­ant­wor­tung.
    Umge­kehrt kann aber auch dar­auf ver­wie­sen wer­den,
    dass die Ethik­kom­mis­si­on auf­grund ihrer spe­zi­fi­schen
    plu­ra­len Zusam­men­set­zung einen beson­de­ren
    Mehr­wert bei der zu tref­fen­den Abwä­gung und damit
    auch bei der Erfül­lung der Schutz­pflich­ten ver­kör­pert.
    Daher über­zeugt es schon auf Ver­fas­sungs­ebe­ne nicht,
    die Schutz­auf­ga­be vor­ran­gig der (Arzneimittel-)Behörde
    zuzu­wei­sen, mit ent­spre­chen­der „Ent­las­tung“ der Ethik­kom­mis­si­on.
    Vor allem aber hat der Gesetz­ge­ber selbst
    im Rah­men sei­ner Schutz-Kon­kre­ti­sie­rungs­auf­ga­be unmiss­ver­ständ­lich
    deut­lich gemacht, dass die Pro­ban­den­in­ter­es­sen
    wie auch die For­schungs­frei­heit in bei­den
    Ver­fah­ren glei­cher­ma­ßen und ohne Abstri­che in der Abwä­gung
    Berück­sich­ti­gung fin­den müs­sen.
    1 1 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 1 0 3 — 1 1 6
    63 Grund­sätz­lich für einen sol­chen pri­ma facie-Vor­rang wohl
    Michael/Morlok, Grund­rech­te, 6. Aufl. 2017; Rn. 534, 759; Wahl/
    Masing, Schutz durch Ein­griff, JZ 1991, S. 553, 559; in die­se
    Rich­tung lässt sich auch BVerfGE 115, S. 118, 151 ff., zum Luft­SG
    deu­ten (frei­lich mit Beson­der­hei­ten wegen der abso­lut gewähr­leis­te­ten
    Men­schen­wür­de), vgl. dazu auch Isen­see, in: ders./
    Kirch­hof (Fn. 55), § 191 Rn. 296 und 311; fer­ner las­sen sich in
    die­sen Zusam­men­hang die Ent­schei­dun­gen ein­ord­nen, die dem
    Gesetz­ge­ber eine sehr wei­te Ein­schät­zungs­prä­ro­ga­ti­ve bei der
    Erfül­lung von grund­recht­li­chen Schutz­pflich­ten ein­räu­men, z.
    B. BVerfGE 77, S. 170, 229 f.; grund­sätz­lich auch von Bernstorff,
    Pflich­ten­kol­li­si­on und Men­schen­wür­de­ga­ran­tie – Zum Vor­rang
    staat­li­cher Ach­tungs­pflich­ten im Norm­be­reich von Art. 1 GG,
    Der Staat 47 (2008), S. 1, 26 ff; für die Wis­sen­schafts­frei­heit in
    etwas ande­res ande­rem Zusam­men­hang BVerfGE 47, S. 327, 369.
    Kri­tisch gegen­über dem als herr­schend ein­ge­stuf­ten Vor­rang
    des Abwehr­rechts Kingreen/Poscher (Fn. 44), Rn. 137 wegen des
    Risi­kos, dass dazu tra­di­tio­nel­le sozia­le Ungleich­hei­ten grund­recht­lich
    ver­stärkt wer­den, vgl. auch Cal­liess, Die grund­recht­li­che
    Schutz­pflicht im mehr­po­li­gen Ver­fas­sungs­rechts­ver­hält­nis, JZ
    2006, S. 321. 325; dage­gen all­ge­mein Isen­see, ebd., Rn. 28 und Rn.
    297; Vos­ger­au, Zur Kol­li­si­on von Grund­rechts­funk­tio­nen – Ein
    zen­tra­les Pro­blem der Grund­rechts­dog­ma­tik, AöR 133 (2008), S.
    346 ff.
    64 Zur Not­wen­dig­keit des Bewer­tens und Abwä­gens „mit Blick auf
    den zu ent­schei­den­den Fall“ Zippelius/Würtenberger (Fn. 43),
    § 7 Rn. 48; ähn­lich Voß­kuh­le, Das Ver­hält­nis von Frei­heit und
    Sicher­heit, FS Wür­ten­ber­ger, 2013, S. 1101, 1111 ff. m.w.N.
    65 Vgl. all­ge­mein für das Abwä­gungs­ge­bot im staat­li­chen Umgang
    mit Risi­ken Klaf­ki, Risi­ko und Recht, 2017, S. 25: „mul­ti­po­la­re
    Abwä­gung“, die „gesamt­ge­sell­schaft­li­che Inter­es­sen­kon­flik­te
    aus­zu­glei­chen ver­sucht“.
    66 Die Unsi­cher­heit bei Ent­schei­dungs­pro­zes­sen unter Ein­bin­dung
    einer Ethik­kom­mis­si­on all­ge­mein her­vor­he­bend Deutsch (Fn.1),
    MedR 2006, S. 411, 415; vgl. zur Risi­ko­er­mitt­lung von Ethik­kom­mis­sio­nen
    nach dem AMG Del­hey, Staat­li­che Risikoentscheidungen
  • Orga­ni­sa­ti­on, Ver­fah­ren und Kon­trol­le, 2014, S. 371 f.; zur
    teil­wei­se ver­gleich­ba­ren Kon­stel­la­ti­on einer Ein­schrän­kung der
    For­schungs­frei­heit zwecks Bio­si­cher­heit betont auch von Würtenberger/
    Tan­ne­ber­ger (Fn. 43), OdW 2014, S. 1, 7 f.
    67 Dazu all­ge­mein etwa Del­hey (Fn. 66), S. 76 ff.; zur Ver­knüp­fung
    mit Risi­ken bei der For­schung Ruf­fert, Grund und Gren­zen der
    Wis­sen­schafts­frei­heit, VVDStRL 65 (2006), S. 142, 194 ff., dort
    aller­dings ohne Akzen­tu­ie­rung des Vor­sor­ge­prin­zips; zum Arz­nei­mit­tel­recht,
    aller­dings ohne Bezug auf Arz­nei­mit­tel­for­schung
    und Ethik­kom­mis­sio­nen, Di Fabio, Risi­koent­schei­dun­gen im
    Rechts­staat, 1994, S. 178 ff.; Fuerst, Arz­nei­mit­tel, in: Ehlers/Fehling/
    Pün­der (Hrsg.), Beson­de­res Ver­wal­tungs­recht, Bd. 2, 4. Aufl.
    2020, § 55 Rn. 21 f.
    68 Zur Kon­stel­la­ti­on im Umwelt­recht im Über­blick Appel, Euro­päi­sches
    und natio­na­les Umwelt­ver­fas­sungs­recht, in: Koch (Hrsg.),
    Umwelt­recht, 4. Aufl. 2014, § 7 Rn. 138; spe­zi­ell zu Frei­set­zungs­ver­su­chen
    mit gen­ver­än­der­ten Pflan­zen BVerfGE 128, S. 1, 39 ff.,
    57 f., 67 f., 85 ff.
    69 Für die Viren­for­schung her­vor­ge­ho­ben von Würtenberger/Tannebrger
    (Fn. 43), OdW 2014, S. 1, 8.
    70 In die­se Rich­tung deu­tend Del­hey (Fn. 66), S. 293 ff.: „‚Nut­zen
    für ärzt­li­che Heil­kun­de‘“ auch im „zukünftige(n) individuelle(n)
    Pati­en­ten­nut­zen“ (Her­vorh. im Orig.).
    Auf höchs­ter Abs­trak­ti­ons­ebe­ne könn­te man bei unse­rem
    The­ma die – ganz all­ge­mein umstrittene63 – Fra­ge
    auf­wer­fen, ob ein pri­ma facie-Vor­rang des Abwehr­rechts
    (hier der For­schungs­frei­heit) vor der „blo­ßen“ Schutz­pflicht
    (für die Probanden/Patienten) besteht. Solch abs­trak­te
    Über­le­gun­gen hel­fen jedoch in kon­kre­ten Grund­rechts­kon­flik­ten,
    bei denen die betrof­fe­nen Rechts­po­si­tio­nen
    für den spe­zi­fi­schen Konfliktfall64 gewich­tet und
    abge­wo­gen wer­den müs­sen, wenig wei­ter. Im Übri­gen
    lässt sich die beschrie­be­ne kom­ple­xe Kon­flikt- und Gemenge­la­ge
    recht­lich geschütz­ter Inter­es­sen gera­de nicht
    auf eine sol­che Dicho­to­mie Abwehrrecht/Schutzpflicht
    reduzieren.65
    Des Wei­te­ren lässt sich die Schutz­auf­ga­be bei kli­ni­schen
    (Arzneimittel-)Studien auch nicht von vorn­her­ein
    des­we­gen abwer­ten, weil die Probanden/Patienten mit
    ihrer Ein­wil­li­gung gleich­sam zumin­dest teil­wei­se auf
    Schutz ver­zich­tet hät­ten. Denn auch bei best­mög­li­cher
    vor­he­ri­ger Infor­ma­ti­on, wie sie Vor­aus­set­zung schon für
    die Wirk­sam­keit der Ein­wil­li­gung ist, kön­nen die Pro­ban­den
    even­tu­ell ver­blei­ben­de Risi­ken für ihre Gesund­heit
    als Lai­en kaum voll eigen­stän­dig abschät­zen und
    blei­ben daher schutz­be­dürf­tig.
    Den Grund­rechts­kon­flikt ver­schär­fend kommt hin­zu,
    dass eine Nut­zen-Risi­ko- Ein­schät­zung durch die
    Ethik­kom­mis­si­on – nicht anders als durch eine even­tu­ell
    zusätz­lich invol­vier­te staat­li­che Geneh­mi­gungs­be­hör­de
    – unter erheb­li­cher (Prognose-)Unsicherheit getrof­fen
    wer­den muss.66 Inwie­weit sich ein zu tes­ten­des Medi­ka­ment
    tat­säch­lich als wirk­sam erweist, ob auf dem Prüf­stand
    ste­hen­de Medi­zin­pro­duk­te eine ver­bes­ser­te Gesund­heits­ver­sor­gung
    ermög­li­chen wer­den oder inwie­weit
    eine bestimm­te Stamm­zel­len­for­schung in der Zukunft
    zu neu­en und ver­bes­ser­te The­ra­pie­mög­lich­kei­ten
    füh­ren wird – all dies lässt sich vor Beginn der kli­ni­schen
    Stu­di­en anhand des blo­ßen Stu­di­en­de­signs kaum sicher
    vor­her­sa­gen. Eben­falls unsi­cher bleibt vor­ab, allein auf
    Basis der vor­kli­ni­schen For­schun­gen, die Fra­ge nach etwa­igen
    Neben­wir­kun­gen und deren Schwe­re bei den
    Pro­ban­den oder umge­kehrt der indi­vi­du­el­le Gesund­heits­nut­zen
    für die in die Stu­die ein­be­zo­ge­nen Pati­en­ten.
    Man kann sogar von einer Risi­koent­schei­dung spre­chen,
    was die Not­wen­dig­keit eines Vor­sor­ge-Sicher­heits­puf­fers
    impliziert.67 Anders als im Umweltrecht68 ver­stärkt
    der Vor­sor­ge­ge­dan­ke bei unse­rem The­ma jedoch nicht
    ein­sei­tig die Schutz­pflicht (hier für die Gesund­heit der
    Pro­ban­den) im poten­zi­el­len Kon­flikt mit dem Abwehr­recht
    (hier der Wis­sen­schaft­ler gegen For­schungs­be­schrän­kun­gen).
    Viel­mehr ist Vor­sor­ge (jeden­falls in einem
    wei­te­ren Sin­ne) auch für die Gene­sungs­in­ter­es­sen
    künf­ti­ger Pati­en­ten gebo­ten, was eine Beschleu­ni­gung
    der For­schung weit­ge­hend im Gleich­klang mit den Inter­es­sen
    der For­schen­den (und damit in der Abwä­gung
    den Schutz der For­schungs­frei­heit verstärkend69)
    impliziert.70
    Feh­ling · Ethik­kom­mi­sio­nen 1 1 1
    71 Sie­he Gramm (Fn. 16), WissR 1999, S. 209, 225; Mager, in: Isensee/
    Kirch­hof (Hrsg.), Hand­buch des Staats­rechts der Bun­des­re­pu­blik
    Deutsch­land, Bd. VII, 3. Aufl. 2009, § 166 Rn. 34; all­ge­mei­ner
    für die Wis­sen­schafts­frei­heit Britz, in: Drei­er (Fn. 25), Art.
    5 Abs. 3 Rn. 104.
    72 Sie­he all­ge­mein z. B. Kloep­fer, Ver­fas­sungs­recht II, 2010, S. 33 ff.
    73 In die­se Rich­tung Albers (Fn. 14), KritV 2003, S. 410, 434 f.
    74 Feh­ling, in: Bk (Fn. 45), Art. 5 Abs. 3 (Wis­sen­schafts­frei­heit)
    Rn.165; vgl. auch Gramm (Fn. 16), WissR 1999, S. 209, 218;
    Schul­ze-Fie­litz, in: Benda/Maihofer/Vogel/Hesse/Heyde (Hrsg.),
    Hand­buch des Ver­fas­sungs­rechts der Bun­des­re­pu­blik Deutschland,
  1. Aufl. 2012, § 27 Rn. 31; Schmidt-Aßmann, in: Balaguer/
    Morlok/Häberle (Hrsg.), Pri­vat­recht­li­che und öffent­lich-recht­li­che
    Gestal­tungs­for­men (staat­li­cher) Auf­ga­ben­wahr­neh­mung: Das
    Bei­spiel des Wis­sen­schafts­rechts, 2001, S. 31 f..
    75 Sie­he zum Arz­nei­mit­tel­recht Deutsch (Fn. 1), MedR 2006, S. 411,
    414 f.
    76 Vgl. Däh­ne (Fn. 45), S. 326: „rein kos­me­ti­sche Ges­te”.
    77 Sie­he Klein­diek, Wis­sen­schaft und Frei­heit in der Risi­ko­ge­sell­schaft,
    1998, S. 311; Wür­ten­ber­ger, Schran­ken der For­schungs­frei­heit
    und staat­li­che Schutz­pflich­ten, Anhö­rung vor dem Deut­schen
    Ethik­rat, https://www.ethikrat.org/fileadmin/PDF-Dateien/
    Veranstaltungen/anhoerung-25–04-2013-wuertenberger.pd,S. 8;
    all­ge­mein auch BVerfGE 128, S. 1 (38 f.).
    78 In die­se Rich­tung Löwer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Hand­buch
    der Grund­rech­te in Deutsch­land und Euro­pa, Bd. IV, 2011, § 99
    Rn. 29; Feh­ling, in: Bk (Fn. 45), Art. 5 Abs. 3 (Wis­sen­schafts­frei­heit)
    Rn. 165.
    79 Vgl. all­ge­mein Müller/Christensen, Juris­ti­sche Metho­dik, Bd. I,
  2. Aufl. 2013, S. 133 ff.; Kloep­fer (Fn. 53), S. 34 f.
    80 Sie­he oben II. 4.
    81 Etwas all­ge­mei­ner Däh­ne (Fn. 45), S. 309.
    b) Bewäl­ti­gungs­stra­te­gien des Gesetz­ge­bers
    Vor die­sem Hin­ter­grund muss die Ein­schal­tung von
    Ethik­kom­mis­sio­nen als „Flucht ins Ver­fah­ren“ – oder
    freund­li­cher aus­ge­drückt: als Ver­such des Grund­rechts­schut­zes
    durch Ver­fah­ren – ver­stan­den werden.71 Dies
    ist bekannt­lich auch in ande­ren Rechts­be­rei­chen eine
    ver­brei­te­te Stra­te­gie dort, wo mate­ri­ell-recht­li­che Ent­schei­dungs­grund­la­gen
    wegen kom­ple­xer Kon­flikt­la­gen
    und mas­si­ver Unsi­cher­heit defi­zi­tär bleiben.72 Die sach­ver­stän­dig-
    plu­ra­le Zusam­men­set­zung der Ethik­kom­mis­sio­nen
    ver­bes­sert immer­hin die Chan­cen, dass alle
    rele­van­ten Aspek­te und fach­li­chen Blick­win­kel Berück­sich­ti­gung
    finden.73 Die maß­geb­li­che Betei­li­gung ent­spre­chen­der
    Fach­wis­sen­schaft­ler in den Kom­mis­sio­nen
    nähern das Ver­fah­ren zudem ein Stück weit einem Peer
    Review an, obgleich es ange­sichts der Betei­li­gung auch
    von Ver­tre­tern ande­rer Dis­zi­pli­nen und teil­wei­se sogar
    Lai­en zu weit gin­ge, von einer rei­nen Selbst­kon­trol­le der
    (Fach-)Wissenschaft zu spre­chen. Die­se Annä­he­rung an
    Peer Review ver­mag die Ein­griffs­in­ten­si­tät in die Wis­sen­schafts­frei­heit
    wenigs­tens abzumildern.74
    Neben der Pro­ze­du­ra­li­sie­rung ver­folgt der Gesetz­ge­ber
    noch eine ande­re, mit der erst­ge­nann­ten nicht voll
    kom­pa­ti­ble Stra­te­gie. Die Unsi­cher­hei­ten sol­len so weit
    wie mög­lich aus dem Prüf­pro­gramm her­aus­ge­hal­ten
    wer­den, indem die Ethik­kom­mis­sio­nen in wei­tem Umfang
    eher for­ma­le Rah­men­be­din­gun­gen des Stu­di­en­de­signs
    zu beur­tei­len haben.75 Hilfs­kri­te­ri­en wie bei­spiels­wei­se
    die Qua­li­fi­ka­ti­on der an der pro­jek­tier­ten
    Stu­die betei­lig­ten Wis­sen­schaft­ler tre­ten an die Stel­le inhalt­li­cher
    und damit die For­schungs­frei­heit stär­ker beschrän­ken­der
    Bewer­tungs­kri­te­ri­en. Die Ethik­kom­mis­sio­nen
    haben gera­de nicht den wis­sen­schaft­li­chen Wert
    der For­schungs­pro­jek­te als sol­chen ein­zu­schät­zen. Je
    for­ma­ler aber die gesetz­li­chen Maß­stä­be der Ethik­kom­mis­sio­nen
    wer­den, umso gerin­ge­ren Eigen­wert besitzt
    ihre zusätz­li­che Ein­schal­tung neben einer nor­ma­len
    staat­li­chen (Genehmigungs-)Behörde.76 Um nur zu prü­fen,
    ob eine hin­rei­chen­de Ver­si­che­rung für etwa­ige
    Schä­den bei Probanden/Patienten vor­liegt (so z.B. all­ge­mein
    § 40 Abs. 1 Satz 3 Nr. 8 und im Beson­de­ren
    § 42a Abs. 4a Nr. 2 AMG), ist eine sol­che Kom­mis­si­on
    kaum erfor­der­lich.
    Letzt­lich führt die Kom­ple­xi­tät der zu tref­fen­den
    Ein­schät­zun­gen zu einem recht wei­ten Ein­schät­zungs­spiel­raum
    des Gesetzgebers.77 Vor die­sem Hin­ter­grund
    erschei­nen die gesetz­li­chen Rege­lun­gen zu den Ethik­kom­mis­sio­nen
    als eine ver­tret­ba­re Auf­lö­sung des Kon­flik­tes
    zwi­schen den betrof­fe­nen Ver­fas­sungs­po­si­tio­nen
    .78
  3. Kon­se­quen­zen für die Aus­le­gung und Hand­ha­bung
    der ein­schlä­gi­gen Nor­men
    Aus die­sen grund­recht­li­chen Anfor­de­run­gen erge­ben
    sich Kon­se­quen­zen für die Aus­le­gung und Anwen­dung
    des ein­fa­chen Rechts. Sie kön­nen hier nur all­ge­mein
    ange­deu­tet wer­den; im Ein­zel­nen kommt es für Mög­lich­kei­ten
    und Gren­zen einer ver­fas­sungs­kon­for­men
    Aus­le­gung selbst­ver­ständ­lich auf die kon­kre­ten Vor­schrif­ten
    an.79
    Wie oben ausgeführt,80 gebie­ten Vor­rang und Vor­be­halt
    des Geset­zes eine Ori­en­tie­rung aus­schließ­lich an
    den gesetz­li­chen Beur­tei­lungs­maß­stä­ben und ver­bie­ten
    es, zusätz­li­che ethi­sche Maß­stä­be anzu­le­gen. Genu­in
    ethi­sche Kri­te­ri­en dür­fen auch für eine Ethik­kom­mis­si­on
    nur eine Rol­le spie­len, soweit sie sich durch Aus­le­gung
    unbe­stimm­ter Rechts­be­grif­fe oder Abwä­gungs­klau­seln
    aus dem Gesetz her­lei­ten las­sen.
    Die Prü­fung und Beur­tei­lung des wis­sen­schaft­li­chen
    Werts eines For­schungs­pro­jekts bleibt einer Ethik­kom­mis­si­on
    ver­wehrt, denn dies berührt den Kern der For­schungs­frei­heit.
    81 Auch bei Nut­zen-Risi­ko-Abwä­gun­gen
    darf nur antrags­im­ma­nent geprüft wer­den, ob die Prog1
    1 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 1 0 3 — 1 1 6
    82 Zum Ein­schät­zungs­spiel­raum des For­schers all­ge­mei­ner Löwer
    (Fn. 78), Rn. 24; einen Ein­schät­zungs­spiel­raum andeu­tend auch
    BVerfG NVwZ 1994, S. 894, 895. – Die­ser dem Wis­sen­schaft­ler
    zukom­men­de Spiel­raum ist nicht zu ver­wech­seln mit dem
    Beur­tei­lungs­spiel­raum der Ethik­kom­mis­si­on bei gericht­li­cher
    Kon­trol­le und ist die­sem vor­ge­la­gert; dazu unten IV. 3.
    83 In die­se Rich­tung Meuser/Platter, Die Bewer­tung der kli­ni­schen
    Prü­fung von Arz­nei­mit­teln durch die Ethik­kom­mis­si­on – eine
    Ver­wal­tungs­ent­schei­dung beson­de­rer Art?, PharmR 2005, S. 395,
    401 f.; Dop­pel­feld (Fn. 4), S. 645, 648.
    84 Es ist recht­lich jeder­zeit mög­lich, einen geän­der­ten Antrag zu
    stel­len, sie­he Meuser/Platter (Fn. 83), PharmR 2005, S. 395, 398.
    85 Vgl. zur Unan­wend­bar­keit von § 48 VwVfG für einen Ein­zel­fall,
    aber wohl ver­all­ge­mei­ne­rungs­fä­hig, BVerw­GE 122, 58, 59;
    Kast­ner, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Hand­kom­men­tar
    Ver­wal­tungs­recht, 5. Aufl. 2021, § 48 VwVfG Rn. 21.
    86 Das Erfor­der­nis einer recht­li­chen Grund­la­ge etwas all­ge­mei­ner
    beto­nend Gramm (Fn. 16), WissR 1999, S. 209, 223 ff. Anders,
    aber ohne nähe­re Begrün­dung, Lip­pert, Die zustim­men­de
    Bewer­tung einer Ethik­kom­mis­si­on bei der kli­ni­schen Prü­fung
    von Arz­nei­mit­teln nach dem novel­lier­ten Arz­nei­mit­tel­ge­setz und
    der GCP-Ver­ord­nung, in: Kern/Wadle/Schroeder/Katzenmeier
    (Hrsg.), Huma­ni­o­ra: Medi­zin — Recht — Geschich­te, FS Laufs,
    2006, S. 937, 982.
    87 Jeden­falls im Arz­nei­mit­tel­recht dürf­te das Feh­len sol­cher Bestim­mun­gen
    damit zu erklä­ren sein, dass nach Auf­fas­sung des
    Gesetz­ge­bers „die Infra­struk­tur der Ethik-Kom­mis­si­on nicht so
    beschaf­fen sein kann, dass sie […] ein Moni­to­ring der kli­ni­schen
    Prü­fung betreibt.“ BT-Drucks. 16/12256, S. 51.
    nosen der Antrag­stel­ler hin­sicht­lich des erwart­ba­ren
    Nut­zens plau­si­bel und ver­tret­bar sind; die For­scher besit­zen
    inso­weit gegen­über der Kom­mis­si­on – wie auch
    gegen­über einer Geneh­mi­gungs­be­hör­de nament­lich im
    Arz­nei­mit­tel­recht – einen Einschätzungsspielraum.82
    Mas­si­ve ver­fas­sungs­recht­li­che Beden­ken bestehen
    gegen­über der wohl teil­wei­se anzu­tref­fen­den Pra­xis von
    Ethik­kom­mis­sio­nen, die Zustim­mung mit Bedin­gun­gen
    zu ver­se­hen oder den Wis­sen­schaft­lern Auf­la­gen zu machen.
    83 Rechts­tech­nisch sind dies Neben­be­stim­mun­gen
    gemäß § 36 Abs. 2 VwVfG, sofern es sich (wie im Arz­nei­mit­tel­recht)
    bei der Zustim­mung der Ethik­kom­mis­si­on
    um einen eigen­stän­di­gen Ver­wal­tungs­akt und nicht bloß
    um einen ver­wal­tungs­in­ter­nen Mit­wir­kungs­akt zur Behör­den­ent­schei­dung
    han­delt. Auch die Frei­heit der Metho­den­wahl
    und damit die auto­no­me Kon­zep­ti­on einer
    kli­ni­schen Stu­die gehört zum Kern der Wis­sen­schafts­frei­heit.
    Des­halb ist es nicht Auf­ga­be einer Ethik­kom­mis­si­on,
    aktiv eige­ne „Ver­bes­se­rungs­wün­sche“ beim
    For­schungs­pro­jekt durch­zu­set­zen; sie bleibt strikt auf
    eine nach­voll­zie­hen­de Prü­fung des – gege­be­nen­falls geän­der­ten
    – Antrags beschränkt.84
    IV. Gewis­ser Nut­zen der Ein­schal­tung einer Ethik­kom­mis­si­on
    auch für die For­schungs­frei­heit
    Gewiss ste­hen bei unse­rem The­ma aus dem Blick­win­kel
    der For­schungs­frei­heit poten­ti­el­le Gefähr­dun­gen im
    Vor­der­grund, der Nut­zen von Ethik­kom­mis­sio­nen liegt
    pri­mär im Schutz ande­rer Rechts­gü­ter. Den­noch lässt
    sich unter drei Aspek­ten erwä­gen, ob die Ein­schal­tung
    einer Ethik­kom­mis­si­on jeden­falls indi­rekt die For­schungs­frei­heit
    der Betei­lig­ten auch ein Stück weit schüt­zen
    und för­dern kann.
  4. Ver­bes­ser­te Rechts­si­cher­heit für die betei­lig­ten For­scher
    Wie Ver­wal­tungs­ent­schei­dun­gen all­ge­mein, so schafft
    auch die Zustim­mung einer Ethik­kom­mis­si­on, zusam­men
    mit der behörd­li­chen Geneh­mi­gung, für die betei­lig­ten
    For­scher erst ein­mal Rechts­si­cher­heit und einen
    gewis­sen Ver­trau­ens­schutz. Han­delt es sich wie im Arz­nei­mit­tel­recht
    um einen eigen­stän­di­gen Ver­wal­tungs­akt,
    so kann die Zustim­mung nur aus den gesetz­li­chen Rück­nah­me-
    und Wider­rufs­grün­den (z.B. § 42a Abs. 4a AMG;
    bei feh­len­der spe­zi­al­ge­setz­li­cher Rege­lung
    §§ 48, 49 VwVfG) nach­träg­lich auf­ge­ho­ben wer­den. Wo
    die Zustim­mung der Ethik­kom­mis­si­on dage­gen nur
    einen ver­wal­tungs­in­ter­nen Mit­wir­kungs­akt ohne
    Außen­wir­kung dar­stellt, gibt es nach all­ge­mei­nem Ver­wal­tungs­recht
    für die­sen inter­nen Akt selbst wohl kei­ne
    eigen­stän­di­ge nach­träg­li­che Abänderungsmöglichkeit;85
    aller­dings ist even­tu­ell die außen­wirk­sa­me behörd­li­che
    Geneh­mi­gung auf­heb­bar, aber dies wie­der­um nur im
    Rah­men einer ent­spre­chen­den gesetz­li­chen Ermäch­ti­gung.
    Die behörd­li­che Geneh­mi­gung der (kli­ni­schen)
    Stu­die kann zwar (jeden­falls nach § 42a Abs 1, 2 AMG)
    ohne Rück­sicht auf den Fort­be­stand der Zustim­mung
    der Ethik­kom­mis­si­on zurück­ge­nom­men oder wider­ru­fen
    wer­den, was zur Unzu­läs­sig­keit des (Arz­nei­mit­tel-)
    For­schungs­vor­ha­bens führt. Zumin­dest wird von der
    Behör­de bei Aus­übung ihres Auf­he­bungs­er­mes­sens
    jedoch zu for­dern sein, dass sie sich auch mit den Argu­men­ten
    aus der Zustim­mung der Ethik­kom­mis­si­on –
    soweit sich bei­des im Prüf­pro­gramm über­schnei­det,
    nament­lich bei der Nut­zen-Risi­ko-Abwä­gung – aus­ein­an­der­setzt.
    So erlangt die Zustim­mung der Ethik­kom­mis­si­on
    mit­tel­bar einen wenn auch gerin­gen Ver­trau­ens­schutz­wert
    sogar bei der Ent­schei­dung der Behör­de
    über die nach­träg­li­che Auf­he­bung ihrer Geneh­mi­gung
    der Stu­die.
    Der Vor­be­halt des Geset­zes führt außer­dem dazu,
    dass der Ethik­kom­mis­si­on ein beglei­ten­des Moni­to­ring
    bei Durch­füh­rung der Stu­die, mit tur­nus­mä­ßi­gen Bericht­erstat­tungs­pflich­ten
    der Stu­di­en­lei­tung und Kon­trol­len
    der Ethik­kom­mis­si­on, nur gestat­tet ist, wenn und
    soweit dies gesetz­lich vor­ge­se­hen ist.86 Sol­che Bestim­mun­gen
    schei­nen indes nicht zu existieren.87 Andern­Feh­ling
    · Ethik­kom­mi­sio­nen 1 1 3
    falls müss­te es bei der punk­tu­el­len Vor­ab­prü­fung blei­ben.
    Die inter­na­tio­na­le Dekla­ra­ti­on von Helsinki88
    spricht sich zwar für ein sol­ches Moni­to­ring aus (All­ge­mei­nes
    Prin­zip Nr. 23), genügt aber dem Vor­be­halt des
    Geset­zes nicht, weil sie selbst recht­lich unver­bind­lich
    blo­ße ethi­sche Grund­sät­ze enthält89 und auch kein Par­la­ments­ge­setz
    dar­auf ver­weist. Aller­dings scheint die
    Pra­xis in Deutsch­land sich doch an der Dekla­ra­ti­on zu
    ori­en­tie­ren. Nament­lich § 53 Abs. 2 HHG deu­tet auf eine
    Pra­xis hin, Rege­lun­gen zu einem Fol­low-Up-Moni­to­ring
    durch Innen­recht aus­rei­chen zu las­sen. Die
    VO (EU) 536/2014 wie­der­um geht in
    Art. 78 i.V. m. Art. 2 Nr. 31 anschei­nend davon aus, dass
    zumin­dest künf­tig die zustän­di­ge Behör­de die kli­ni­sche
    Stu­die im Rah­men ihrer Ver­ant­wor­tung wei­ter­ver­folgt
    und nicht die Ethik­kom­mis­si­on.
    Im Übri­gen reicht der Ver­trau­ens­schutz aus Ver­fas­sungs­grün­den
    letzt­lich nicht all­zu weit. Für den Fall,
    dass sich nach­träg­lich her­aus­stellt, dass die grund­recht­lich
    geschütz­te Gesund­heit der Probanden/Patienten
    durch eine kli­ni­sche Stu­die ent­ge­gen der ursprüng­li­chen
    Annah­me doch erheb­lich gefähr­det ist, muss das Gesetz
    wegen Art. 2 Abs. 2 GG eine nach­träg­li­che Auf­he­bung
    der Geneh­mi­gung bzw. Zustim­mung ermög­li­chen. Dies
    ist wohl auch durch­ge­hend gesetz­lich so vor­ge­se­hen (z.B.
    § 42a Abs. 4a i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 7 Nr. 2a AMG). Der
    behörd­li­che Zulas­sungs­ver­wal­tungs­akt darf die Stu­di­en­lei­tung
    dazu ver­pflich­ten, im Ver­lauf der (Arz­nei­mit­tel-)
    Stu­die auf­tau­chen­de Anhalts­punk­te für solch eine Gefähr­dung
    mit­zu­tei­len, ohne dass es allein dafür – weil
    unter­halb der Schwel­le eines „ech­ten“ stu­di­en­be­glei­ten­den
    Moni­to­ring blei­bend – einer beson­de­ren gesetz­li­chen
    Ermäch­ti­gung bedürfte.
  5. Par­ti­el­le Ent­las­tung von Ver­ant­wor­tung?
    Der – ohne­hin begrenz­te – Schutz des Ver­trau­ens in die
    Bestands­kraft der Zustim­mung der Ethik­kom­mis­si­on
    bewirkt kei­ner­lei Ent­las­tung der Antrag­stel­ler und der
    betei­lig­ten For­scher von ihrer recht­li­chen und erst recht
    ethi­schen Ver­ant­wor­tung. Sie müs­sen bei der Durch­füh­rung
    der Stu­die wei­ter­hin unein­ge­schränkt selbst für die
    Rechts­kon­for­mi­tät und gesund­heit­li­che Unbedenklichkeit90
    sor­gen, dabei gege­be­nen­falls auch durch Modi­fi­zie­run­gen
    der Stu­die oder gar deren Abbruch auf unvor­her­ge­se­he­ne
    Risi­ken reagie­ren. Die For­scher und nicht
    die Ethik­kom­mis­si­on blei­ben, etwa als Ärz­te, auch
    berufs­recht­lich voll verantwortlich.91 Deren zivil­recht­li­che
    und straf­recht­li­che Haf­tung für (Gesundheits-)Schäden
    bleibt nach Art. 95 VO (EU) 2014/536 aus­drück­lich
    „unbe­rührt“.
    Dies ent­spricht auch dem Ver­ständ­nis der Wis­sen­schafts­frei­heit.
    Denn dar­in ist mit der Frei­heit des For­schers
    untrenn­bar auch des­sen ethi­sche und recht­li­che
    Ver­ant­wor­tung verbunden.92
  6. Redu­zier­te gericht­li­che Kon­troll­dich­te zwi­schen
    Gefähr­dung und Schutz der Wis­sen­schafts­frei­heit
    Gegen ein rechts­er­heb­li­ches ableh­nen­des Votum einer
    Ethik­kom­mis­si­on steht dem Antrag­stel­ler der Rechts­weg
    in Form der Ver­pflich­tungs­kla­ge (§ 42 Abs. 1, 2. Alt
    VwGO) auf Zustim­mung offen. Nach all­ge­mei­nen ver­fas­sungs-
    und ver­wal­tungs­recht­li­chen Grund­sät­zen hat
    das kon­trol­lie­ren­de Gericht dabei einen gewis­sen Beur­tei­lungs­spiel­raum
    der Ethik­kom­mis­si­on zu respek­tie­ren.
    93 Denn die Eta­blie­rung solch einer plu­ra­lis­tisch­sach­ver­stän­di­gen
    Kom­mis­si­on ist im Sin­ne der nor­ma­ti­ven
    Ermäch­ti­gungs­leh­re (her­ge­lei­tet aus
    Art. 19 Abs. 4 GG)94 ein ent­schei­den­des Indiz dafür, dass
    der Gesetz­ge­ber der Kom­mis­si­ons­ent­schei­dung auch
    gegen­über dem Gericht eine höhe­re Bedeu­tung zuwei­sen
    wollte.95 Aller­dings zwingt die hohe Grund­rechts­re­le­vanz
    der Ent­schei­dung einer Ethik­kom­mis­si­on zu
    einer engen Kon­tu­rie­rung eines sol­chen Spiel­raums.
    Man wird teil­wei­se die Grund­sät­ze über­tra­gen kön­nen,
    die das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt für die Kon­trol­le von
    Indi­zie­rungs­ent­schei­dun­gen der sach­ver­stän­dig-plu­ra-
    88 WMA Dekla­ra­ti­on von Hel­sin­ki — Ethi­sche Grund­sät­ze für die
    medi­zi­ni­sche For­schung am Men­schen, sie­he: https://www.
    bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-
    Ordner/International/Deklaration_von_Helsinki_2013_20190905.
    pdf (zuletzt abge­ru­fen am 12.2.2021).
    89 Vgl. Straß­bur­ger, Die Inkor­po­ra­ti­on der Dekla­ra­ti­on von Hel­sin­ki
    in das ärzt­li­che Berufs- und Stan­des­recht, MedR 2006, S.
    462 ff. Unscharf Schul­te, Grund und Gren­zen der Wis­sen­schafts­frei­heit,
    VVDStRL 65 (2006), S. 110, 139, wonach sich in der
    Hel­sin­ki-Dekla­ra­ti­on „inter­na­tio­na­le ver­bind­li­che Stan­dards der
    Wis­sen­schafts­ethik her­aus­ge­bil­det“ hät­ten, die in Ein­zel­fall­ent­schei­dun­gen
    auch von Ethik­kom­mis­sio­nen zu „konkretisier(en)“
    sei­en.
    90 Sie­he für den Gesund­heits­schutz der Pro­ban­den ins­be­son­de­re
    Art. 48 Ver­ord­nung (EU) 2014/536, (Fn. 3).
    91 Vgl. all­ge­mei­nes Prin­zip Nr. 10 der Dekla­ra­ti­on von Hel­sin­ki
    (Fn. 88) mit frei­lich nur dekla­ra­to­ri­scher Bedeu­tung.
    92 Özmen, Wis­sen­schaft. Frei­heit. Ver­ant­wor­tung, OdW 2015, S. 65,
    71.
    93 Sie­he Fateh-Mogha­dam/At­zeni (Fn. 31), S. 127 ff.; in die­se Rich­tung
    wohl auch Gramm (Fn. 16), WissR 1999, S. 209, 225; Albers
    (Fn. 14), KritV 2003, S. 410, 434.
    94 BVerfGE 129, S. 1, 21 f.; 84, 34, 49 f.; begriffs­prä­gend Schmidt-
    Aßmann, in: Maunz/Dürig (Fn. 52), Art. 19 IV GG Rn. 186.
    95 Zu die­ser Fall­grup­pe Maurer/Waldhoff, All­ge­mei­nes Verwaltungsrecht,
  7. Aufl. 2020, § 7 Rn. 45. Zum Ver­ständ­nis des
    in Art. 19 IV GG ange­leg­ten Regel-Aus­nah­me-Ver­hält­nis als
    Argu­men­ta­ti­ons­last­re­gel Feh­ling, Die Kon­kur­ren­ten­kla­ge bei der
    Zulas­sung pri­va­ter Rund­funk­ver­an­stal­ter, 1994, S. 190.
    1 1 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 1 0 3 — 1 1 6
    len Prüf­stel­le für jugend­ge­fähr­den­de Medi­en ent­wi­ckelt
    hat.96
    Dar­an anknüp­fend muss man die Ent­schei­dung der
    Ethik­kom­mis­si­on und die dar­an anknüp­fen­de Gerichts­kon­trol­le
    als einen zwei­stu­fi­gen Pro­zess ver­ste­hen. Die
    ers­te Stu­fe betrifft die iso­lier­te Bewer­tung der Kom­mis­si­on
    von For­schungs­nut­zen einer­seits und Risi­ko für Probanden/
    Pati­en­ten ande­rer­seits. Sol­che Ent­schei­dun­gen
    der Kom­mis­si­on besit­zen nur den Sta­tus eines anti­zi­pier­ten
    Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens. Die zwei­te Stu­fe
    betrifft die Nut­zen-Risi­ko-Abwä­gung. Erst auf die­ser
    Ebe­ne kommt der Kom­mis­si­on eine ech­te Ein­schät­zungs­prä­ro­ga­ti­ve
    zu.
    Aus Per­spek­ti­ve der For­schungs­frei­heit ist die­se Ein­schrän­kung
    der gericht­li­chen Kon­troll­dich­te ambi­va­lent.
    Einer­seits wird damit die Mög­lich­keit beschnit­ten,
    unge­recht­fer­tig­te Ein­grif­fe der Ethik­kom­mis­si­on in die
    Wis­sen­schafts­frei­heit im Rechts­we­ge kor­ri­gie­ren zu las­sen.
    Ande­rer­seits ist eine Ethik­kom­mis­si­on mit Annä­he­run­gen
    an „Peer Review“ immer­hin noch wis­sen­schafts­nä­her
    als ein staat­li­ches Gericht.97 Zudem ist ja dem Beur­tei­lungs­spiel­raum
    der Kom­mis­si­on gegen­über dem
    Gericht bereits ein Ein­schät­zungs­spiel­raum des Antrag­stel­lers
    gegen­über der Ethik­kom­mis­si­on vorgelagert.98
    Im Übri­gen hat das Gericht die Ent­schei­dung der Ethik­kom­mis­si­on
    gege­be­nen­falls auf Beur­tei­lungs­feh­ler ein­schließ­lich
    der Wah­rung ver­fas­sungs­recht­li­cher Gren­zen
    zu kon­trol­lie­ren. Dem­entspre­chend muss wei­ter­hin
    voll geprüft wer­den, ob die For­schungs­frei­heit von der
    Ethik­kom­mis­si­on in ihrer Trag­wei­te ver­kannt wor­den
    ist. Bei einer Gesamt­be­trach­tung spricht somit viel dafür,
    dass der Beur­tei­lungs­spiel­raum in sei­ner engen Kon­tu­rie­rung
    die For­schungs­frei­heit eher schützt als
    gefähr­det.
    V. Fazit
    Im Aus­gangs­punkt ist die Rechts­pflicht, eine Ethik­kom­mis­si­on
    ein­zu­schal­ten, eine poten­ti­el­le Gefahr für die
    Frei­heit der For­schung. Denn die­se Kom­mis­sio­nen
    haben mehr oder weni­ger ver­bind­lich über Fra­gen zu
    ent­schei­den, die teil­wei­se – nament­lich bei Risi­ko-Nut­zen-
    Abwä­gun­gen vor kli­ni­schen Stu­di­en – zen­tra­le
    Bestand­tei­le der Wis­sen­schafts­frei­heit betref­fen. Aller­dings
    sind die damit ver­bun­de­nen Beschrän­kun­gen der
    aka­de­mi­schen Frei­heit (im natio­na­len Recht durch ver­fas­sungs­im­ma­nen­te
    Schran­ken) zuguns­ten der Grund­rech­te
    von Probanden/Patienten zu recht­fer­ti­gen. Die
    ein­schlä­gi­gen Vor­schrif­ten las­sen sich ver­fas­sungs­kon­form
    so aus­le­gen und hand­ha­ben, dass ein nach bei­den
    Sei­ten hin scho­nen­der Aus­gleich zwi­schen kol­li­die­ren­den
    Ver­fas­sungs­po­si­tio­nen gelin­gen kann. Dies gilt letz­ten
    Endes auch, soweit betrof­fen, auf der Ebe­ne der
    Char­ta­grund­rech­te der Euro­päi­schen Uni­on.
    Bei nähe­rem Hin­se­hen bie­tet die Ein­schal­tung einer
    Ethik­kom­mis­si­on aller­dings auch klei­ne Vor­tei­le für die
    Ver­wirk­li­chung der For­schungs­frei­heit. Nament­lich
    schafft deren posi­ti­ves Votum, gege­be­nen­falls zusam­men
    mit der behörd­li­chen Geneh­mi­gung der Stu­die, für
    die For­scher erst ein­mal Rechts­si­cher­heit und einen gewis­sen
    – wenn auch beschränk­ten – Ver­trau­ens­schutz.
    Der Vor­be­halt des Geset­zes schützt vor geset­zes­frem­den
    Maß­stä­ben; nament­lich die ethi­sche Ver­tret­bar­keit kann
    nur inso­weit als Beur­tei­lungs­maß­stab die­nen, wie sich
    ent­spre­chen­de Kri­te­ri­en durch Geset­zes­aus­le­gung aus
    den maß­geb­li­chen Rechts­vor­schrif­ten erge­ben. Schließ­lich
    lässt sich auch der Beur­tei­lungs­spiel­raum, der den
    Ethik­kom­mis­sio­nen zukommt, bei rich­ti­ger enger Kon­tu­rie­rung
    und in Kom­bi­na­ti­on mit einem vor­ge­la­ger­ten
    Ein­schät­zungs­spiel­raum der For­scher eher als För­de­rung
    denn als Gefähr­dung der Wis­sen­schafts­frei­heit
    ein­ord­nen.
    Aller­dings sind Ethik­kom­mis­sio­nen kein All­heil­mit­tel,
    um durch „Flucht ins Ver­fah­ren“ ethi­sche Grund­kon­flik­te
    gleich­sam „aus­zu­la­gern“. Ihre Ein­schal­tung
    soll­te daher auf beson­ders sen­si­ble Berei­che beschränkt
    und nicht auf immer mehr Wis­sen­schafts­fel­der aus­ge­dehnt
    wer­den. Denn schon die Durch­füh­rung eines sol-
    96 Insb. BVerwG NJW 1993, S. 1491 ff. Opus Pis­torum; für einen
    Über­blick sie­he Maurer/Waldhoff (Fn. 95), § 7 Rn. 40.
    97 Ange­deu­tet von Fateh-Mogha­dam/At­zeni (Fn. 31), S. 115, 128.
    98 Sie­he oben Fn. 82.
    Feh­ling · Ethik­kom­mi­sio­nen 1 1 5
    chen Ver­fah­rens kos­tet Zeit und Geld und stellt einen
    pro­ze­du­ra­len Grund­rechts­ein­griff in die For­schungs­frei­heit
    (sowie durch die damit ver­bun­de­ne Ver­zö­ge­rung
    gege­be­nen­falls auch in die Berufs­frei­heit von finan­zie­ren­den
    Unter­neh­men) dar. Dar­über hin­aus sind nament­lich
    in der Arz­nei­mit­tel­for­schung – ein­schließ­lich
    der kli­ni­schen Stu­di­en für (wei­te­re) Impf­stof­fe gegen
    Covid 1999 – Men­schen oft­mals drin­gend auf die beschleu­nig­te
    Markt­rei­fe von Arz­nei­mit­teln und Impf­stof­fen
    ange­wie­sen.
    Micha­el Feh­ling ist Pro­fes­sor an der Buce­ri­us Law
    School, Ham­burg, und Inha­ber des Lehr­stuhls für
    Öffent­li­ches Recht mit Rechts­ver­glei­chung.
    99 Vgl. dort zu Mög­lich­kei­ten und Gren­zen einer Beschleu­ni­gung
    kli­ni­scher Stu­di­en (wobei frei­lich nicht die Ein­schal­tung einer
    Ethik­kom­mis­si­on im Fokus steht) Oet­zel, Licht­blick mRNA-Impf­stof­fe?
    – Mit Erb­infor­ma­tio­nen gegen Coro­na, DAZ v. 28.5.2020,
    S. 30.
    1 1 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 1 0 3 — 1 1 6