I. Einleitung
Am 24. Dezember 2020 erzielten die Europäische Union (EU) und das Vereinigte Königreich (UK) eine Einigung über die Bedingungen ihrer künftigen Zusammenarbeit. Ergebnis der mühsamen Verhandlungen zwischen der EU auf der einen und dem UK auf der anderen Seite ist ein Handels- und Kooperationsabkommen,1 das – ausweislich der Pressemitteilung der Europäischen Kommission2 – von drei Hauptsäulen getragen wird: Neben einem Freihandelsabkommen, das der Schaffung einer wirtschaftlichen und sozialen Partnerschaft zwischen der EU und dem UK dienen soll, wurde eine Sicherheitspartnerschaft sowie ein horizontales Abkommen über Governance geschaffen. Das Handels- und Kooperationsabkommen ist nach Zustimmung der 27 EU-Mitgliedstaaten am 1. Januar 2021 vorläufig in Kraft getreten. Eine Zustimmung durch das Europäische Parlament steht noch aus.3
Schon die Benennung der drei Hauptsäulen in der Pressemitteilung zeigt, dass die Themen Bildung und Forschung in dem Handels- und Kooperationsabkommen allenfalls eine untergeordnete Rolle einnehmen. Gleichwohl sollen – nach einem kurzen Rückblick auf die bisherige Kooperation der EU und des UK auf dem Gebiet der Forschung (II.) – die Perspektiven einer künftigen Zusammenarbeit der EU und des UK auf Grundlage des nunmehr abgeschlossenen Abkommens ausgelotet werden (III.).
II. Rückblick – die bisherige Zusammenarbeit der EU und des UK auf den Gebieten der Bildung und Forschung
Die vielfältigen Verflechtungen der EU und des UK im Bildungs- und Forschungsbereich wurden bereits an anderer Stelle ausführlich thematisiert.4 Hierbei wurde herausgearbeitet, dass das UK ein wichtiger Bestandteil des EU-Forschungsraums (vgl. Art. 179 AEUV) war. So konnte die EU bislang uneingeschränkt an der erstklassigen Forschung und dem großen Renommee britischer Universitäten teilhaben. Das UK profitierte seinerseits insbesondere von der europarechtlich gewährleisteten Mobilität von Wissenschaftlern sowie der finanziellen Förderung durch die EU. So partizipierte das UK nicht zuletzt an dem durch die EU aufgelegten Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020.5 Durch seine Teilnahme an dem Programm Erasmus+ machte das UK bislang seine global sehr angesehenen Universitäten Studierenden aus Mitgliedstaaten der EU zu erleichterten Bedingungen zugänglich; Studierenden aus dem UK standen die Türen für ein Studium im EU-Ausland offen.6
III. Ausblick – die zukünftige Zusammenarbeit der EU und des UK auf den Gebieten der Bildung und Forschung
Die bislang äußerst fruchtbare Kooperation zwischen EU und UK im Bildungs- und Forschungsbereich ist durch den mittlerweile vollzogenen Brexit und die in dem nunmehr abgeschlossenen Handels- und Kooperationsabkommen niedergelegten Regelungen erfreulicherweise nicht umfassend, sondern nur partiell gravierenden Änderungen unterworfen.
- Perspektiven der Forschungskooperationen
So ergeben sich im Zusammenhang mit der Beteiligung des UK an dem Programm Horizont 2020 grundsätzlich keine Änderungen. Einrichtungen aus dem UK bleiben bis zum Programmende und bis zum Ende der Laufzeit der individuellen Projekte teilnahme- und förderfähig.
Evelina Will
Europäische Bildung und Forschung post Brexit
1 Der vollständige Text des Abkommens findet sich im ABl. EU Nr. L 444/2020, 14 ff.; vgl. dazu Terhechte, All’s well that ends well? – Das EU/VK-Handels- und Kooperationsabkommen, NJW 2021, 417
2 Die Pressemitteilung findet sich etwa in EuZW 2021, 3.
3 Derzeit prüfen die Europaabgeordneten den Text des Abkommens in den Fachausschüssen des Parlaments, um sodann auf einer Plenartagung darüber abzustimmen, vgl. die Pressemitteilung des Europäischen Parlaments zu dem Abkommen vom 8.1.2021 in NZG 2021, 131 f.
4 Vgl. dazu Will, Der Brexit und die Forschung in der EU,
OdW 2017, 211 ff.
5 Ausführlich zu diesem Programm Becker, Horizont 2020 – Das Rahmenprogramm der Europäischen Union für Forschung und Innovation, OdW 2014, 97 ff.; vgl. zum Umfang der Partizipation des UK an diesem Programm ferner Will, Der Brexit und die Forschung in der EU, OdW 2017, 211 (211 f.).
6 Jenseits des Austauschs von Studierenden ermöglicht das Programm Erasmus+ auch einen Austausch im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung, etwa durch Förderung von Praktika im EU-Ausland, vgl. Will, Der Brexit und die Forschung in der EU, OdW 2017, 211 (212).
Ordnung der Wissenschaft 2021, ISSN 2197–9197
1 4 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 1 4 1 — 1 4 4
7 Bundesministerium für Bildung und Forschung, Was bedeutet der
Brexit für Bildung und Forschung?, abrufbar unter https://www.
bmbf.de/de/faq-was-bedeutet-der-austritt-fuer-bildung-undforschung-
10776.html (Abrufdatum: 2.2.2021).
8 Bundesministerium für Bildung und Forschung, Brexit – Was nun?,
abrufbar unter https://www.horizont2020.de/einstieg-teilnahmebrexit.
htm (Abrufdatum: 2.2.2021).
9 Vgl. in diesem Zusammenhang die Präambel des Handels- und
Kooperationsabkommens, wo es – unter anderem – heißt: „IN
DER ERWÄGUNG, dass die Zusammenarbeit in Bereichen
von gemeinsamem Interesse wie Wissenschaft, Forschung und
Innovation, Nuklearforschung oder Raumfahrt in Form einer
Teilnahme des Vereinigten Königreichs an den entsprechenden
Programmen der Union unter fairen und angemessenen Bedingungen
beiden Vertragsparteien zugutekommen wird (…)“; eine
explizite Erwähnung des Programms Horizont Europa findet sich
im „Anhang UNPRO‑1:Umsetzung der finanziellen Bedingungen“,
Ziff. 6.
10 Bundesministerium für Bildung und Forschung, Teilnahme des
Vereinigten Königreichs an Horizont Europa und anderen
Unionsprogrammen, Meldung v. 11.1.2021, abrufbar unter
https://www.horizont-europa.de/de/Teilnahme-des-Vereinigten-
Konigreichs-an-Horizont-Europa-und-anderen-Unionsprogrammen-
2068.html (Abrufdatum: 2.2.2021).
11 Ebd.
12 Vgl. dazu Will, Der Brexit und die Forschung in der EU –Ein
Update anlässlich des Weißbuchs der britischen Regierung vom - Juli 2018, OdW 2018, 305 f.
13 Weißbuch, S. 34, 79.
14 Vgl. dazu Will, Der Brexit und die Forschung in der EU, OdW
2017, 211 (212).
15 Flachsenberg, Kann ich trotz Brexit noch in Großbritannien
studieren?, Spiegel Online v. 6.1.2021, abrufbar unter https://
www.spiegel.de/start/erasmus-alternative-kann-ich-trotz-brexitnoch-
in-grossbritannien-studieren-a-8ac89d05-d67f-47cf-86a4-
11d1409ae7e3 (Abrufdatum: 2.2.2021).
16 Ebd.
Dies gilt sowohl für Verbund- als auch für Einzelfördermaßnahmen.
7 Allenfalls eine sehr begrenzte Anzahl von
Projekten, die den Zugang zu sensiblen, sicherheitsbezogenen
Informationen auf EU-Mitgliedstaaten
beschränkt, könnte von der EU beendet werden.8 Darüber
hinaus ist laut Handels- und Kooperationsabkommen
vorgesehen, dass sich das UK auch in dem neuen
Rahmenprogramm der EU für Forschung und Innovation,
das den Namen Horizont Europa trägt und dessen
Laufzeit sich auf den Zeitraum zwischen dem 1. Januar
2021 und dem 31. Dezember 2027 erstreckt, einbringt.9
Die exakte Ausgestaltung einer Beteiligung des UK an
Horizont Europa ist freilich einem noch abzuschließenden
Assoziierungsabkommen vorbehalten. Die Planungen
der politischen Entscheidungsträger sehen vor, dass
die Teilnahme von Einrichtungen aus dem UK an dem
Programm im Falle des Abschlusses eines solchen Assoziierungsabkommens
rückwirkend zum Start des Programms
möglich sein soll.10
Darüber hinaus ist die Assoziierung zu weiteren Unionsprogrammen
– konkret: zum Copernicus-Programm
als Teil des Raumfahrtprogramms, zum Euratom-Programm
und zu ITER (International Thermonuclear Experimental
Reactor) – vorgesehen.11 - Perspektiven der Austauschprogramme in den Bereichen
der Aus- und Weiterbildung
Das Programm Erasmus+ bleibt in dem Handels- und
Kooperationsabkommen unerwähnt. Dies verwundert
nicht, hat das UK doch entschieden, an der neuen Generation
dieses Programms nicht mehr teilzunehmen. Diese
Entscheidung ist wenig überraschend, wenn man die
Einlassungen der – damals noch von Theresa May
geführten – britischen Regierung zur grenzüberschreitenden
akademischen Ausbildung in ihrem Weißbuch
vom 12. Juli 2018 berücksichtigt.12 Zwar hob die britische
Regierung in dem auch unter dem Namen Chequers-
Plan bekannten und kontroverse Debatten (und Rücktritte)
innerhalb der damaligen britischen Regierung
auslösenden Weißbuch hervor, dass „[t]he UK and the
EU should continue to give young people and students
the chance to benefit from each other’s world leading
universities (…)“; in dem Weißbuch war indes nur sehr
vage von der Teilnahme des UK an einem nicht näher
beschriebenen Nachfolgeprogramm („successor scheme“)
die Rede.13
Der vollständige Rückzug des UK aus dem Programm
Erasmus+ wäre nicht zwingend erforderlich gewesen.
Denn die Partizipation an diesem Programm
steht und fällt gerade nicht mit der Mitgliedschaft in der
EU. So können an Erasmus+ einerseits Programm- und
andererseits Partnerländer teilhaben. Zu den Programmländern
zählen neben den EU-Mitgliedstaaten
auch Norwegen und die Türkei; Partnerländer sind andere
Länder außerhalb der EU, die einen Austausch mit
EU-Mitgliedsstaaten pflegen.14
Weil das UK sich nunmehr gegen jede Form der Teilnahme
an Erasmus+ entschieden hat, sind während des
Studiums oder der Ausbildung zu absolvierende Aufenthalte
in England, Schottland, Wales und Nordirland
fortan grundsätzlich nicht mehr unter Inanspruchnahme
der durch dieses Programm gewährten Privilegien
möglich. Bereits angetretene Aufenthalte können allerdings
fortgesetzt werden.15 Darüber hinaus bestehen
auch nach der Entscheidung des UK gegen Erasmus+
Möglichkeiten, von dem Programm zu profitieren: Wegen
der Corona-Pandemie konnten – jedenfalls an deutschen
Universitäten – offenbar nicht alle Mittel aus dem
Programm ausgeschöpft werden, sodass die verbleibenden
Mittel bis zum Programmende am 31. März 2023 zur
Finanzierung von Erasmus-Aufenthalten im UK genutzt
werden können.16
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17 Ebd.
18 Bundesministerium für Bildung und Forschung, Übersicht: Was
bedeutet der Brexit für Bildung und Forschung?, abrufbar unter
https://www.bmbf.de/de/faq-was-bedeutet-der-austritt-fuerbildung-
und-forschung-10776.html (Abrufdatum: 2.2.2021).
19 Vgl. Artikel VSTV.1 des Handels- und Kooperationsabkommens.
20 Flachsenberg, Kann ich trotz Brexit noch in Großbritannien
studieren?, Spiegel Online v. 6.1.2021, abrufbar unter https://
www.spiegel.de/start/erasmus-alternative-kann-ich-trotz-brexitnoch-
in-grossbritannien-studieren-a-8ac89d05-d67f-47cf-86a4-
11d1409ae7e3 (Abrufdatum: 2.2.2021).
21 Campbell, Brexit: Students in NI can continue in Erasmus
scheme, BBC News v. 24.12.2020, abrufbar unter https://www.
bbc.com/news/uk-northern-ireland-55442685 (Abrufdatum:
2.2.2021).
22 Bundesministerium für Bildung und Forschung, Übersicht: Was
bedeutet der Brexit für Bildung und Forschung?, abrufbar unter
https://www.bmbf.de/de/faq-was-bedeutet-der-austritt-fuerbildung-
und-forschung-10776.html (Abrufdatum: 2.2.2021).
23 Ebd.
24 Department for Education/The Rt Hon Gavin Williamson CBE
MP, New Turing scheme to support thousands of students to
study and work abroad, Pressemitteilung v. 26.12.2020, abrufbar
unter https://www.gov.uk/government/news/new-turing-schemeto-
support-thousands-of-students-to-study-and-work-abroad
(Abrufdatum: 2.2.2021)
25 Bundesministerium für Bildung und Forschung, Übersicht: Was
bedeutet der Brexit für Bildung und Forschung?, abrufbar unter
https://www.bmbf.de/de/faq-was-bedeutet-der-austritt-fuerbildung-
und-forschung-10776.html (Abrufdatum: 2.2.2021).
Für diejenigen, die nicht auf die restlichen Mittel aus
der laufenden Programmgeneration zugreifen können,
ist die Absolvierung eines Auslandsaufenthalts im UK in
Zukunft mit nicht unerheblichen Herausforderungen
verbunden. So werden bei Studienaufenthalten im UK
künftig nicht mehr die sogenannten home fees – also die
gleichen Studiengebühren, die auch von Studierenden
aus dem UK verlangt werden –, sondern die deutlich
teureren oversea fees fällig.17
Zudem ist bei Aufenthalten, die einen Zeitraum von
90 Tagen überschreiten, ab sofort grundsätzlich ein Visum
erforderlich.18 Das Handels- und Kooperationsabkommen
zwischen der EU und dem UK privilegiert ausschließlich
Kurzaufenthalte.19 Aufenthalte im UK, die allein
einem Studium dienen, sind allerdings dann von der
Visumspflicht befreit, wenn sie kürzer als sechs Monate
dauern und das Studium an einer „accredited institution“
stattfindet.20
Personen – insbesondere Studierende – aus dem UK
können nicht länger an Erasmus+ partizipieren. Auch sie
benötigen in Zukunft ein Visum, um Auslandsaufenthalte,
die nicht auf 90 Tage beschränkt sind, innerhalb der
EU zu absolvieren. Eine Ausnahme gilt in diesem Zusammenhang
für nordirische Staatsangehörige: Sie haben
weiterhin Zugang zu Erasmus+.21 Weiterhin können
Studierende aus dem UK nunmehr von Studiengebühren
für internationale Studierende aus Nicht-EU-Ländern
betroffen sein.22 Derartige Gebühren fallen derzeit
(ausschließlich) in Baden-Württemberg an (vgl.
§ 3 I 1 LHGebG BW); sie belaufen sich gemäß § 4 I 1 LHGebG
BW auf 1.500 Euro pro Semester. Allerdings greift
zugunsten Studierender aus dem UK in bestimmten
Konstellationen ein Ausnahmetatbestand ein: Nach
§ 5 II LHGebG BW können Studierende aus einem Staat,
der aus der EU austritt, gebührenfrei in Baden-Württemberg
studieren, wenn sie zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens
des Austritts mindestens fünf Semester in
einem Studiengang an einer baden-württembergischen
Hochschule immatrikuliert waren. Außerdem müssen
Personen aus dem UK, die bereits vor dem 31. Dezember
2020 ihre Freizügigkeitsrechte in Deutschland ausgeübt
haben, für die gesamte Dauer ihres Studiums keine höheren
Studiengebühren als Deutsche oder andere EUBürger
zahlen.23
Um Personen aus dem UK Auslandsaufenthalte zu
Aus- und Weiterbildungszwecken auch im Post-Brexit-
Zeitalter zu ermöglichen, hat die britische Regierung das
sogenannte Turing-Programm aus der Taufe gehoben
und in diesem Zusammenhang bereits 100 Millionen
Pfund zur Verfügung gestellt. Das Programm soll jährlich
etwa 35.000 Personen die Gelegenheit bieten, Auslandsaufenthalte
nicht nur in der EU, sondern weltweit
zu absolvieren.24
Bei allen durch den Brexit ausgelösten Verwerfungen
ist hervorzuheben, dass er die wechselseitige Anerkennung
von Hochschulabschlüssen nicht berührt, weil das
UK Teil des Europäischen Hochschulraums bleibt.25
IV. Fazit
Es lässt sich festhalten, dass die Perspektiven für Forschungskooperationen
vielversprechend sind. Die Assoziierung
des UK zu Horizont Europa und weiteren
bedeutsamen Unionsprogrammen lässt hoffen, dass die
bislang so fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Forschern
aus dem UK und solchen aus der EU auch in
Zukunft stattfindet. Der Rückzug des UK aus Erasmus+
ist indes eine als negativ zu bewertende Entwicklung.
Die Möglichkeiten einer grenzüberschreitenden Ausund
Weiterbildung werden dadurch nicht nur für Personen
aus der EU, sondern auch für Personen aus dem UK
erschwert.
Evelina Will ist Referendarin am Oberlandesgericht
Frankfurt am Main.
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