Übersicht
I. Einleitung
II. Die Entwicklung des Hochschulorganisationsrechts im Spiegel wandelnder Leitbilder
- Die Hochschulorganisation im Leitbild der Gelehrtenrepublik
- Hochschulorganisation und Hochschulleitung in der Gruppenuniversität
- Neuausrichtung des Leitbilds nach dem 4. HRG-Änderungsgesetz 1998 — Das Konzept der unternehmerischen Hochschule
III. Entwicklungslinien der Hochschulgesetzgebung - Auswirkungen auf den Katalog der Hochschulaufgaben
- Auswirkungen auf den Rechtsstatus der Hochschulen
- Reform der Leitungsstrukturen
3.1. Grundprinzipien
3.2. Hochschulleitung
3.3. Hochschulrat –Kuratorium
3.4. Senat
3.5. Unterbliebene Gestaltung der Ablaufprozesse
3.6 Vertikale Aufbauorganisation — Fakultäten
3.7 Studienstrukturreform und Qualitätssicherung
IV. Weitere Entwicklungen von 2010 bis 2020
V. Hochschulreformen auf dem Prüfstand des Hochschulverfassungsrechts - BVerfGE 35, 72 ff.- Niedersächsisches Vorschaltgesetz
- Folgeentscheidungen bis 2000
- Entscheidungen zu den Hochschulgesetznovellen ab 2000
a) BVerfGE 111, 333- Brandenburgisches Hochschulgesetz
b) BVerfGE 127, 87 ff. — Hamburger Dekanatsbeschluss
c) BVerfGE 136, 338 ff. — MHH Hannover
d) Urteil des VerfGH Baden-Württemberg v. 16.11.2016- HAW
e) Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts v. 5.2.2020 — Duale Hochschule
VI. Fazit
I. Einleitung
In der politischen Begriffsgeschichte wird die sog. permanente Revolution als „Abfolge unterschiedlicher sozioökonomischer Transformationen“ definiert, die „die Gesellschaft nicht ins Gleichgewicht kommen“ lassen.1
Mit der gebotenen Unterscheidung und Distanz gegenüber den politischen und gesellschaftlichen Zielen der verschiedenen Facetten des Konzepts einer permanenten Revolution lassen sich auch die Hochschulrechtsreformen der letzten Jahrzehnte als Transformationen bezeichnen, die die Hochschulen bis jetzt nicht ins Gleichgewicht kommen ließen.
Untersucht man die Änderungsverzeichnisse der Hochschulgesetzgebung der Bundesländer seit der Jahrtausendwende,2 so finden sich neben einer oder mehrerer grundlegender Neufassungen des jeweiligen Landeshochschulgesetzes3 in nahezu jedem Jahr Novellierungen einzelner Teilbereiche der Aufgaben der Hochschulen, der Hochschularten, des Organisationsrechtes, des Studien‑, Prüfungs- und Zulassungsrechts im Zuge der Studienstrukturreform (Bologna), der Qualitätssicherung, sowie der Personalstruktur, des Haushaltsrechts, der Drittmittelfinanzierung, der Organisation der Studierendenschaft, des Rechts von Niederlassungen ausländischer Hochschulen und nicht staatlicher Hochschulen. Von besonderem Gewicht für die künftige Entwicklung der Hochschulen sind die Regelungen über den Gleichstellungsauftrag und die zu seiner Erfüllung notwendigen Verfahren und Maßnahmen, zur Diversität, zur Studienstrukturreform, zum Zugang zu den Hochschulen, zum Berufungsverfahren und zu den
Georg Sandberger
Hochschulrechtsreform in Permanenz
Zur Entwicklung des Hochschulorganisationsrechts seit der Jahrtausendwende
1 Wikipedia unter „Permanente Revolution“ m.w.N.
2 Abrufbar bei Beck online unter den jeweiligen Landesgesetzen.
3 Vgl. Baden-Württemberg: Landeshochschulgesetz (LHG BW) v. 1.1.2005 (GBl. S. 1), zuletzt geänd. durch Art. 1 Viertes HochschulrechtsänderungsG vom 17.12.2020 (GBl. S. 1204); Bayern: HochschulG (BayHG) v. 23.5.2006 (GVBl. S. 245), zuletzt geänd. d. § 1 des Gesetzes vom 9.4.2021 (GVBl. S. 182); Berlin: HochschulG (Berl.HG) i.d.F. vom 26.7.2011 (GVBl. S. 378), zuletzt geändert d. Art. 1 G vom 4.5.2021 (GVBl. S. 435); Brandenburg: Brandenburgisches Hochschulgesetz (BbgHG) i.d.F. v. 28. 4 2014 (GVBl. I Nr. 18) zuletzt geänd. d. Art. 1 Erstes G zur Änd. des Brandenburgischen HochschulG vom 23.9.2020 (GVBl. I Nr. 26); Bremen: HochschG i.d.F. v. 9.5.2007 (Brem.GBl. S. 339), zuletzt geänd. d. Art. 1 Zweites G zur Änd. hochschulrechtlicher Bestimmungen im Zusammenhang mit den Anforderungen aus der Covid-19-Krise vom 24.2.2021 (Brem.GBl. S. 216); Hamburg: Hamburgisches HochschulG (HmbHG) v. 18.7.2001 (GVBl. S. 171), zuletzt geänd. d. Art. 1 G zur Änd. von Vorschriften
Ordnung der Wissenschaft 2022, ISSN 2197–9197
2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 1 — 2 2
zur digitalen Fortentwicklung der Hochschulen vom 17.6.2021
(HmbGVBl. S. 468); Hessen: HochschulG i.d.F. v. 14.12.2009
(GVBl I. S. 666), zuletzt geänd. d. Art. 1 G zur Ermächtigung
zum Erlass von RechtsVOen zur Bewältigung der Auswirkungen
der SARSCoV2Pandemie
im Hochschulbereich vom 24.6.2020
(GVBl. S. 435); Mecklenburg-Vorpommern, LandeshochschulG
(LHG-MVP) vom 25. Januar 2011 (GVOBl. M‑V S. 18), zuletzt
geänd. d. Art. 1 Sechstes ÄndG zum LandeshochschulG vom
21.6.2021 (GVOBl. M‑V S. 1018); Niedersachsen: HochschulG
(NHG) v. 26.2.2007 (GVBl. S. 69, zuletzt geänd. d. Art. 4 G zur
Änd. verschiedener Rechtsvorschriften aus Anlass der COVID-
19-Pandemie vom 16.3.2021 (Nds. GVBl. S. 133); Nordrhein-
Westfalen: HochschulG (HG NRW) v. 16. 9 2014 (GV. NRW. S.
547), zuletzt geänd. d Art. 2 G zur Änd. des Kunsthochschulgesetzes
und zur Änd. weiterer Vorschriften im Hochschulbereich vom
25.3.2021 (GV. NRW. S. 331); Rheinland-Pfalz: Hochschulgesetz
(HochSchG) v. 23.9.2020 (GVBl. 2020, 461), zuletzt geändert
d. G. vom 22.07.2021 (GVBl. S. 453); Saarland: Saarländisches
Hochschulgesetz (SHSG) Vom 30.11.2016 (Amtsbl. I S. 1080),
Zuletzt geändert durch Art. 3 Abs. 1 G zur Neuorganisation der
Wahrnehmung studentischer Angelegenheiten vom 16.6.2021
(Amtsbl. I S. 1762); Sachsen: Sächsisches Hochschulfreiheitsgesetz
(SächsHSFG) vom 15. 1 2013 (SächsGVBl. S. 3), zuletzt geänd.
d. Art. 11 Haushaltsbegleitgesetz 2021/2022 vom 21.5.2021
(SächsGVBl. S. 578); Sachsen-Anhalt: HochschulG (HG-LSA) v. - 12 2010, (GVBl. LSA S. 600, ber. 2011 S. 561), zuletzt geänd.
d. § 1 Zweites ÄndG des Hochschulgesetzes LSA vom 18.1.2021
(GVBl. LSA S. 10); Schleswig-Holstein: HochschulG (HG-SH) v.
5.2.2016, (GVOBl. Schl.-H. S. 39), zuletzt geänd. d. Art. 1 G zur
Änd. des HochschulG vom 13.12.2020 (GVOBl. Schl.-H. 2021
S. 2); Thüringen: HochschulG (ThürHG) v. 10. 5 2018 (GVBl. S.
149), zuletzt geändert d. Art. 7 Zweites Thüringer Covid-19‑G
zur Umsetzung erforderlicher Maßnahmen im Zusammenhang
mit der Corona-Pandemie vom 23.3.2021 (GVBl. S. 115).
4 G. Sandberger, Organisationsreform und ‑autonomie: Bewertung
der Reformen in den Ländern, WissR 35 (2002), 125 ff.; Neuordnung
der Leitungsorganisation der Hochschulen durch die
Hochschulrechtsnovellen der Länder, WissR 44 (2011), 118–155.
5 Empfehlungen zur Hochschulgovernance v. 19.10.2018, Drs.
7328–18.
6 Vgl. z.B. K.F. Gärditz, Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche
Systembildung 2010, S. 10 ff.; R. Hendler, Die Universität
im Zeitalter von Ökonomisierung und Internationalisierung,
VVDStL 65 (2006), 238 ff.; W. Kahl, Hochschule und Staat, 2004,
S. 11 ff.; Th. Oppermann, Ordinarienuniversität, Gruppenuniversität,
Räteuniversität in: Heß/ Leuze (Hrsg.), die janusköpfige
Rechtsnatur der Universität- ein deutscher Irrweg, Wissenschaftsrecht,
Sonderheft 15, 2004, S.1 ff.; D. Müller-Böhling, Die
entfesselte Hochschule, 2000, S. 19 ff.: dem folgend A. Miechielsen,
Hochschulorganisation und Wissenschaftsrecht, Diss. München,
2013, S. 21 ff.
7 FAZ- Forschung und Lehre v. 31.8.2016 S. 4, wiedergegeben in:
Jahrbuch des Hochschulverbandes 2016.
Qualifikationspfaden für den Hochschullehrerberuf,
insbesondere zur Einführung der Juniorprofessur mit
Tenure-Track.
Der Katalog wird zuletzt durch pandemiebedingte
Regelungen für die Durchführung von Lehrveranstaltungen,
Prüfungen, Gremiensitzungen und Gremienentscheidungen
im Onlinebetrieb sowie des Datenschutzes
ergänzt.
Es ist in diesem Rahmen nicht möglich, diesen Entwicklungen
in der gesamten Breite nachzugehen. Im
Mittelpunkt der nachfolgenden Ausführungen stehen
die neuerdings mit dem Terminus „Hochschulgovernance“
bezeichneten Aufgaben der Hochschulen, deren
Rechtsstatus und die Hochschulorganisation. Dazu sollen
im Anschluss an frühere Querschnittsuntersuchungen
des Verfassers4 und Empfehlungen des Wissenschaftsrates5
- unter Rückgriff auf die in der Hochschulrechtsforschung
etablierten Bezeichnungen und Leitbilder - die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der
Hochschulorganisationsentwicklung in den einzelnen
Bundesländern in ihrer zeitlichen Abfolge nachverfolgt
werden. Einbezogen werden die richtungsweisenden
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und
einzelner Landesverfassungsgerichte zu den Reformansätzen
der jeweiligen Landesgesetze und ihre übergreifende
Bedeutung für die Entwicklung des Hochschulverfassungs-
und Hochschulrechts.
II. Die Entwicklung des Hochschulorganisationsrechts
im Spiegel wandelnder Leitbilder
Im Organisationsrecht der Hochschulen spiegeln sich
wandelnde Leitbilder der Hochschulen wieder.
Schlagwortartig wird deren Entwicklung in den letzten
Jahrzehnten mit dem Paradigmenwechsel von der
Gelehrtenrepublik über die mitbestimmte oder Gruppenhochschule
zur unternehmerischen Hochschule
beschrieben.6
Der in der Wissenschaftsgemeinschaft bis heute hoch
umstrittene, 2016 von Jürgen Mittelstraß unter dem Titel
„Die Universität zwischen Weisheit und Management“7
kritisierte Wechsel zur unternehmerischen Hochschule
beschreibt den im Zuge der Hochschulrechtsentwicklung
derzeitig erreichten Rechtszustand. Dessen Kernelemente
sind: Stärkung der Autonomie der Hochschulen
gegenüber dem staatlichen Träger, klare Leitungsund
Aufsichtsstrukturen, Organisations- und Finanzautonomie
sowie Dienstherreneigenschaft für das
Hochschulpersonal.
- Die Hochschulorganisation im Leitbild der Gelehrtenrepublik
Historischer Ausgangspunkt kritischer Analysen des
derzeitigen Hochschulorganisationsrechts ist die Rolle
der „Hochschule als Gelehrtenrepublik“. Dieses Leitbild
Sandberger · Hochschulrechtsreform in Permanenz 3
8 Exemplarisch sei auf die Eingriffe nach den Karlsbader Beschlüssen
durch Einsetzung von Staatskommissaren verwiesen,
s.: „Provisorischer Bundesbeschluss über die in Ansehung der
Universitäten zu ergreifenden Maßregeln“ vom 20. September
1819, § 1; vgl. auch G. Roellecke, Geschichte des Hochschulwesens
in: Handbuch des Wissenschaftsrechts, 2. Aufl. 1996, S. 3, 25 ff.
9 W. v. Humboldt, Antrag auf Errichtung der Universität Berlin, Juli
1809 und Denkschrift über die innere und äußere Organisation
der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin, u.a. abgedruckt
in: Gelegentliche Gedanken über Universitäten, Schriften
von J.J. Engel, J.B. Erhard, F.A. Wolf, J.G. Fichte, F.D.E. Schleiermacher,
K. F. v. Savigny, W. v. Humboldt, G.F.W. Hegel, Leipzig
1990 (Reclam).
10 Vgl. dazu Wolfgang Kahl, Hochschule und Staat, 2004, § 4, S. 11
ff.
11 Zur Geschichte des Kuratoren- und Kanzleramtes vgl. auch
BVerfGE 149, 1 ff., Rn. 57 ff.
12 Vgl. z. B. Th. Oppermann, Fn. 6 S.3 ff.; ders, Selbstverwaltung
und staatliche Verwaltung in Flämig et al. (Hrsg.), Handbuch
des Wissenschaftsrechts, 2. Aufl. 1996, § 37, S. 1009 ff., 1016; Th.
Nipperdey, Preußen und die Universität in: Nachdenken über die
deutsche Geschichte, 1986, S. 140 ff., 147.
ist jedoch von Nostalgien und historischen Fehldeutungen
beeinflusst. Es vernachlässigt Systembrüche, die sich
im Zuge der Verfassungsgeschichte des jeweiligen Trägerlandes
auch auf die Hochschulverfassungen niedergeschlagen
haben.8
Als Leitbild der Gelehrtenrepublik wird neben dem
Bezug auf die mittelalterlichen und postreformatorischen
Universitätsverfassungen oft auf die Gründung
der Berliner Universität auf der Grundlage der Denkschrift
von W. von Humboldt „Über die innere und
äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen
Anstalten in Berlin“ hingewiesen.9
Diese Denkschrift enthält nicht nur eine wissenschaftstheoretische
Begründung für die Notwendigkeit
der Staatsferne und akademischen Freiheit, sondern
auch Vorschläge für eine wissenschaftsadäquate Binnenorganisation
und das Zusammenwirken von Staat und
Hochschule, z. B. bei Berufungen.
Diese Prinzipien der neuen Universität konnten aber
weder an der Berliner Universität noch an anderen
Standorten verwirklicht werden. Humboldt’sches Ideal
und die Realität der Universität waren nie deckungsgleich.
Bereits im Gründungsjahr 1810 verlor Humboldt
seinen Einfluss und später den Posten als zuständiger
Leiter der Unterrichtssektion. Sein Nachfolger v. Schuckmann
nahm nicht nur die zur Sicherung der wirtschaftlichen
Unabhängigkeit notwendige Dotation der Domänen
zurück, sondern fragte beim preußischen König
nach, ob es ratsam sei, „die Hochschule nicht nur in ihrem
freien wissenschaftlichen Streben und Wirken sondern
auch ihrer Subsistenz auf Dauer vom Oberhaupt
des Staates unabhängig zu machen und sie von dieser
Seite gegen das Bestehen der jetzigen Verfassung des Königs
und seiner Dynastie in den Zustand der Gleichgültigkeit
zu versetzen.“
Die Statuten der Universität Berlin von 1816 nehmen
zwar in Teilen auf die Humboldt’sche Denkschrift — vor
allem auf den Grundsatz der Einheit von Forschung und
Lehre und Bildung durch Wissenschaft — Bezug. Sie enthalten
jedoch keine Gewährleistung der institutionellen
und individuellen Wissenschaftsfreiheit durch den Staat,
aber Kernelemente der Selbstverwaltung.
Vielmehr setzen sie die bereits im ALR verankerte
Doppelnatur der Universität als staatliche Einrichtung
und Körperschaft fort.10 Formell wird der Senat als das
Leitungsorgan der Universität bezeichnet, dem der vom
Senat gewählte Rektor präsidiert. Für den Senat wurde
bereits eine Repräsentationsverfassung eingeführt, in
dem die Professorenschaft durch von ihr gewählte Vertreter
repräsentiert, die anderen Mitgliedergruppen aber
nicht vertreten waren.
Das eigentliche Machtzentrum war der Kurator als
weisungsabhängiger Vertreter des Ministers, dem die gesamte
Verwaltung der Universität unterstellt war.11
Dieses sog. Kurator-Modell, gekennzeichnet durch
eine Trennung der akademischen Aufgaben im Kernbereich
von Forschung und Lehre und der sog. staatlichen
Angelegenheiten, war stilbildend für die Hochschulverfassung
der preußischen Universitäten und fand nach
Ende des 2. Weltkriegs zunächst auch noch Eingang in
die Hochschulverfassung der preußischen Nachfolgestaaten
wie Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.
Auch die süddeutsche Kanzler-Verfassung ging von
einer Trennung der akademischen und staatlichen Angelegenheiten
aus. Im Gegensatz zur Kurator-Verfassung
wurden die Kanzler vom jeweiligen Herrscher des Trägerlandes
aus dem Kreise der Professoren der Universität
ernannt.
Eine Erklärung des Zusammenhangs zwischen der
bestehenden Leitungsorganisation und dem zweifellos
hohen wissenschaftlichen Ansehen deutscher Universitäten
vor dem Nationalsozialismus ist angesichts des Zusammenspiels
von akademischer Selbstverwaltung und
staatlichem Einfluss nahezu unmöglich. Im Wesentlichen
wird der Erfolg von Universitäten im Rückblick
dem Wirken weitsichtiger Persönlichkeiten in den zuständigen
Kultusverwaltungen und Kuratoren zugeschrieben,
für die Namen wie Altenstein, Althoff und
Becker stehen.12
Mit der akademischen Selbstverwaltung durch die
Professorenschaft sind die bereits von W. v. Humboldt
beklagten Schwächen verbunden:
„Gelehrte zu dirigieren ist nicht viel besser als eine
Kommödiantengruppe unter sich zu haben … Mit wie4
O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 1 — 2 2
13 Zitiert von H. Schelsky, Einsamkeit und Freiheit- Idee und Gestalt
der deutschen Universität und ihrer Reformen, rororo Taschenbuchausgabe,
S. 155.
14 RMinAmtsbl. 1935, S.142
15 Württemberg- Hohenzollern 1947, Art. 10; Württemberg-Baden
1946, Art. 12; Baden 1947, Art. 12; Baden-Württemberg 1953,
Art. 20, 85; Bayern 1946, Art. 108, 138; Berlin 1950, Art. 21;
Bremen 1947, Art. 11; Hamburg 1952, Art. 1, 5 GG; Hessen 1946,
Art. 60; Niedersachen 1951, Art. 5; Nordrhein-Westfalen 1950,
Art. 16; Rheinland-Pfalz 1947, Art. 39; Saarland 1947, Art. 33;
Schleswig-Holstein 1949, Art. 3, 5 GG.
16 Exemplarisch für die ideengeschichtliche Diskussion Karl Jaspers:
Die Idee der Universität, Berlin 1946; Zur Ideengeschichte vgl.
auch H. Schelksky, Einsamkeit und Freiheit, Idee und Gestalt der
deutschen Universität und ihrer Reformen, Hamburg 1963, zu
den Reformbestrebungen seit 1945, S. 244; für die wissenschaftolitische
Diskussion Wissenschaftsrat (1967): Empfehlungen
zum Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen bis 1970;
Wissenschaftsrat (1968): Empfehlungen des Wissenschaftsrates
zur Struktur und Verwaltungsorganisation der Universitäten;
zur rechtswissenschaftlichen Diskussion A. Köttgen, Freiheit der
Wissenschaft und Selbstverwaltung der Universität in: Neumann,
Nipperdey, Scheuner, Die Grundrechte, 2. Bd. 1954, S. 291 ff.; H.
J. Wollf, Die Rechtsgestalt der Universität, 1956.
17 BVerfGE 35, 72 ff.
viel Schwierigkeiten ich … zu kämpfen habe, wie mich
die Gelehrten, die unbändigste und am schwersten zu
befriedigende Menschenklasse mit ihren ewig sich
durchkreuzenden Interessen, ihrer Eifersucht, ihrem
Neid … ihren einseitigen Absichten umlagern, wo jeder
meint, dass nur sein Fall Unterstützung und Förderung
verdient, … davon hast du keinen Begriff “. Das schrieb
1810 Wilhelm von Humboldt an seine Frau Caroline.13
Der Dualismus zwischen dem auf Repräsentationsaufgaben
beschränkten Rektor und dem Kurator/Kanzler
als Repräsentanten des Staates bestand bis zur Gleichschaltung
der Universitäten im Nationalsozialismus. Als
Leitungsmodell hat der Nationalsozialismus Führer und
Gefolgschaft propagiert. Die Freiheit von Forschung und
Lehre wurde ebenso wie die akademische Selbstverwaltung,
unter dem stetig wachsenden Einfluss von NS-Studentenbund,
SD und schwarzem Korps zunächst auf
Länderebene, nach Gleichschaltung der Länder durch
die Richtlinien des Reichs- und Preußischen Ministers
für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 3.
April 1935 außer Kraft gesetzt.14 - Hochschulorganisation und Hochschulleitung in der
Gruppenuniversität
In der Nachkriegszeit wurden zunächst durch die Militärverwaltungen,
nach Bildung der neuen Bundesländer
auf der Grundlage ihrer grundrechtlichen und institutionellen
Garantien der Wissenschaftsfreiheit in den Landesverfassungen15
die vor der NS-Zeit geltenden, in Satzungsform
gefassten Statuten der Universitäten wiederhergestellt.
Eine intensive wissenschaftspolitische und
auch rechtswissenschaftlichen Diskussion über den
künftigen Rechtsstatus der Universitäten bzw. Hochschulen
in den 50-er Jahren kam über Konzeptentwürfe
nicht hinaus.16
Die überkommene Struktur der Universität und ihrer
Fakultäten geriet indes bereits durch die Öffnung der
Hochschulen, in jedem Fall unter einen unerwarteten
Druck, als die Studentenrevolte nicht nur bei den älteren
Ordinarien das Trauma der NS-Zeit wachrief, sondern
auch den Gesetzgeber auf den Plan rief, die alsbald so genannte
„Gruppenuniversität“ zu installieren.
Gruppenuniversität umschreibt die im Zuge der Studentenunruhe
Ende der 60-er Jahre durch Ländergesetze
eingeführte, bis zur sog. Drittelparität reichende
Gruppenrepräsentation der Mitgliedergruppen in den
Kollegialorganen der Universitäten, wissenschaftlichen
Hochschulen und neu entstandenen Fachhochschulen.
Im Urteil zum niedersächsischen Vorschaltgesetz erklärte
das Bundesverfassungsgericht zwar die Gruppenuniversität
für verfassungskonform, setzte aber im Bereich
wissenschaftsrelevanter Entscheidungen dem Gestaltungspielraum
des Gesetzgebers Grenzen.17 Dies betrifft
vor allem die Mitwirkung und den Einfluss der
nicht zur Professorenschaft gehörenden Hochschulmitglieder
in den Entscheidungsgremien der Hochschulen
bei Entscheidungen im Kernbereich von Lehre und
Forschung
Mit dem Hochschulrahmengesetz von 1976 wurden
die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze
im Verbund mit engen Vorgaben für die Gestaltung
der Leitungsstrukturen, der Personalstruktur, des Studien-
Prüfungs- und Zulassungsrechts durch die Landeshochschulgesetze
umgesetzt. Der Rechtsstatus der
Hochschulen als Körperschaft des öffentlichen Rechts
und zugleich staatliche Einrichtungen wurde beibehalten.
Neu war die Einführung der sog. Einheitsverwaltung
akademischer und staatlicher Angelegenheiten
durch die zuständigen Hochschulgremien unter der
Rechtsaufsicht des Ministeriums im Bereich akademischer
Angelegenheiten und einer bis in Einzelfallentscheidungen
gehenden Fachaufsicht in den sog. staatlichen
Angelegenheiten, die neben der Wirtschafts- und
Personalverwaltung auch Fragen der Organisation, Planung
und Hochschulzulassung umfasst.
Die aus der Hochschultradition überkommene Leitungsstruktur
mit dem Senat als allzuständigem Entscheidungsorgan
und der auf die Außenvertretung, die
Vorbereitung und den Vollzug von Entscheidungen des
Senats beschränkte Hochschulleitung, wurde beibehalSandberger
· Hochschulrechtsreform in Permanenz 5
18 V. 18. September 1990, GBl. DDR 1990, 1585
19 Einigungsvertrag v. 31.8.1990, BGBl. II, 859, Kap. XVI
20 Vgl. dazu D. Müller-Böling, Die entfesselte Hochschule, 2000;
ihm folgend Monopolkommission, Wettbewerb als Leitbild der
Hochschulpolitik, Sondergutachten 30, 2000; Stifterverband für
die deutsche Wissenschaft, Qualität durch Wettbewerb und Autonomie,
2002; Wissenschaftsrat, Perspektiven des Wissenschaftssystems,
Empfehlungen 2013, Drs. 3228/13; aus rechtswissenschaftlicher
Sicht kritisch die Habilitationsschriften von Wolfgang
Kahl, Hochschule und Staat, 2004, § 11 und 12 sowie K.F. Gärditz,
Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche Systembildung
2010, insbesondere § 1 II. S. 23 ff., § 3, S. 94 ff, § 4, S. 274 ff. aus
wissenschaftshistorischer und wissenschaftstheoretischer kritisch
J. Mittelstraß, Die Universität zwischen Weisheit und Management,
FAZ- Forschung und Lehre vom 31. August S.4.
ten. Gleiches gilt für die dezentrale Organisation der Fakultäten
mit dem Fakultätsrat als allzuständigem Organ
und einem mit der Außenvertretung und Leitung des Fakultätsrats
betrauten Dekansamt im Nebenamt.
Allerdings haben nach dem Inkrafttreten eine Reihe
von Hochschulen von der Option einer monokratischen
Präsidialverfassung mit längeren Amtszeiten der Stelleninhaber
und der Möglichkeit der Besetzung durch nicht
zur Professorenschaft gehörende Bewerber Gebrauch
gemacht.
Im Gegensatz zu den Erwartungen des Gesetzgebers,
einen Interessenausgleich zwischen den Statusgruppen
herzustellen, führte das nach den Vorgaben des HRG gestaltete
Hochschulorganisationsrecht vielerorts zu einer
Lähmung von Entscheidungsprozessen. Dies hat zugleich
den Staatseinfluss auf die Hochschulen massiv
verstärkt.
Die Entscheidungsfähigkeit der Hochschulen war in
dieser Zeit im Wesentlichen davon abhängig, dass die
Hochschulleitungen auch ohne ausdrückliches rechtliches
Mandat anstelle der formal allzuständigen Selbstverwaltungsorgane
die strategische Führung in der
Hochschule übernommen und dafür ihre personelle Legitimation
aus den Wahlen durch die Selbstverwaltungsgremien
in Anspruch genommen haben.
Dies war nur möglich, wenn und soweit die Grundordnungen
längere Amtszeiten für das Amt der Rektoren
oder die Präsidialverfassung eingeführt haben. War
dies nicht der Fall, wuchs an vielen Standorten den
Kanzlern aufgrund ihrer Lebenszeitstellung oder ihrer
langen Amtszeiten als Wahlbeamte ein erheblicher Einfluss
zu.
Begleitet von einer zunlanehmenden Regulierung
des Hochschulwesens wuchs damit zugleich der Einfluss
der Hochschulverwaltung, auf die sich die Hochschulleitung
neuen Typs als Machtinstrument statt oder neben
den Selbstverwaltungsorganen stützte.
Die damit verbundenen Bürokratisierungsprozesse
wurden in gewisser Überspitzung als „Mutation der
Hochschule von einer Selbstverwaltungskörperschaft
zur Behörde“ umschrieben.
Trotz der zutage getretenen Mängel blieben die
Grundelemente der durch das HRG vorgegebenen
Hochschulorganisation nahezu 25 Jahre erhalten. Nach
der Wiedervereinigung waren die neuen Bundesländer
zunächst gezwungen, ihre durch das DDR-Recht beseitigten,
nach der Wende durch eine vorläufige Hochschulrechtsverordnung18
wiederhergestellten Hochschulverfassungen
nach der Blaupause der HRG-Vorgaben
zu gestalten.19 Den Gesetzgebungen der 90-er Jahre
folgten nach dem Erlass des 4. HRG- Änderungsgesetzes
im zeitlichen Gleichlauf mit den Novellen der alten
Bundesländer weitere Änderungsgesetze. - Neuausrichtung des Leitbilds nach dem 4. HRGÄnderungsgesetz
1998 — Das Konzept der unternehmerischen
Hochschule
Mit der Aufhebung der Rahmenvorgaben der §§ 60 ff.
HRG für die Binnenorganisation der Hochschulen und
die Öffnung für alternative Rechtsformen in der Regelung
des § 58 HRG zum Rechtsstatus der Hochschulen
war der Weg für die danach einsetzende, meist mit dem
Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ bezeichnete
Reform der Landeshochschulgesetze geöffnet.
Erweiterte Rahmenbedingungen für die Landesgesetzgeber
brachte die Aufhebung der Rahmenkompetenz im
Zuge der Föderalismusreform im Jahr 2008.
Einfluss- und folgenreich für die neuere
Hochschulrechtsentwicklung war das vom CHE als
Anführer der Reformbewegung entwickelte Leitbild der
Hochschule als Dienstleistungsunternehmen oder
unternehmerischen Hochschule.20
Gefordert wird darin zum einen eine umfassende
Neugestaltung des Verhältnisses von Staat und
Hochschule, zum anderen eine Neuordnung der
Leitungsorganisation. Der Zuwachs an externer
Autonomie soll mit einer Stärkung der Leitungsorgane
zu Lasten der kollegialen Selbstverwaltungsorgane
verbunden, der Machtzuwachs der Hochschulleitung
durch ein ausschließlich oder überwiegend mit Externen
besetzten internes Aufsichtsorgan (Hochschulrat,
Kuratorium) unter Kontrolle gestellt werden.
Bis hin zur Bezeichnung der Leitungsorgane als
Vorstand und Aufsichtsrat steht dafür die
Führungsorganisation von Unternehmen als Vorbild.
Dieses Konzept verwirklicht wesentliche Elemente
des New Public Management — dem Grundsatz der
Dezentralisierung und Stärkung der
Eigenverantwortlichkeit der öffentlichen Verwaltung. Es
korrespondiert zugleich in weiten Teilen dem Anglo6
O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 1 — 2 2
21 LT-Drucksache 15/4396 v. 6.12.2005.
amerikanischen Modell der Hochschulverfassung.
Dieses wurzelt, anders als das deutsche Universitätssystem
und das der Universitäten Oxford und Cambridge, nicht
im Körperschaftsgedanken, sondern in der
Stiftungsorganisation (Trust bzw. Non Profit
Corporation) als Verfassung der ursprünglich
kirchlichen oder gesellschaftlichen Träger der
Hochschulen. Eine mitgliedschaftliche Repräsentation
durch die Hochschulangehörigen ist dieser
Organisationsstruktur weitgehend fremd.
Weiteres Hauptziel der neuen Organisationsverfassung
war es, das als System staatlicher Einzelsteuerung
beschriebene und kritisierte Verhältnis von Staat und
Hochschule zugunsten einer Stärkung der
Entscheidungsautonomie der Hochschulen zu
verändern.
Die Reform der Leitungsorganisation steht damit in
einem engen Zusammenhang mit der Stärkung der
Entscheidungsautonomie der Hochschule nach außen
und innen (sog. externe und interne Governance).
Die Stärkung der Entscheidungsautonomie nach
außen betrifft den Rechtsstatus der Hochschulen
gegenüber ihrem staatlichen Träger. Ansätze für die
Entstaatlichung sind die Aufhebung ihres Doppelstatus
als rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts
und zugleich staatliche Einrichtung, die neben der
Rechtsaufsicht über die Wahrnehmung der
Selbstverwaltungsangelegenheiten die Fachaufsicht über
die Wahrnehmung staatlicher Angelegenheiten auch das
Einfallstor für unmittelbare Zuständigkeiten im Bereich
des Personalwesens, der Finanzwirtschaft, der
Liegenschaftsverwaltung umfasst.
Mit der Beschränkung auf den Rechtsstatus der
Körperschaft wird die Forderung nach weitreichender
Organisations- und Satzungsautonomie bei der
Gestaltung von Studiengängen, Personalhoheit,
Finanzautonomie und Bauherrenschaft verbunden.
Die bisherigen Aufsichtsrechte, vor allem die auf die
Finanzwirtschaft bezogenen, sollen durch Ziel- und
Leistungsvereinbarungen, Zustimmungs- und
Aufsichtsrechte im Bereich der Prüfungs- und
Studienordnungen sowie durch Maßnahmen der
Qualitätssicherung bei Einrichtung von Studiengängen
durch eine externe Akkreditierung, bei der Durchführung
von Studiengängen durch eine fortlaufende Evaluation
abgelöst werden.
Leitvorstellung für die Neuausrichtung der Binnenorganisation
(sog. interne Governance) ist eine Verlagerung
der bisher bei den Senaten liegenden All- und Auffangzuständigkeit
für grundsätzliche Entscheidungen
über die Entwicklung der Hochschule auf die Hochschulleitung.
Damit verbunden ist die Reduzierung der
Zuständigkeiten der Kollegialorgane auf Satzungsfragen,
auf die Mitwirkung bei Wahlentscheidungen sowie auf
die Stellungnahme oder Zustimmung zu wichtigen von
der Hochschulleitung vorbereiteten strategischen Entscheidungen.
Soweit die Hochschulgesetze einen Aufsichtsrat
oder ein Kuratorium vorsehen, wird die Aufsichts-
und Zustimmungsfunktion bei Entscheidungen
vorrangig finanzwirtschaftlicher oder organisatorischer
Art vom Senat auf dieses Organ übertragen. Im Mittelpunkt
der Neuordnung der Leitungsorganisation stehen
somit die Neudefinition der Leitung, ihre Abgrenzung
zu den Kompetenzen der weiteren zentralen Hochschulorgane
und die Zuordnung der Leitungskompetenz zu
einem kollegialen oder monokratischen Leitungsorgan.
III. Entwicklungslinien der Hochschulgesetzgebung
seit 2000
In rascher Abfolge wurden in den Bundesländern Bausteine
dieses Konzeptes mit unterschiedlichen Akzentsetzungen
umgesetzt.
Exemplarisch dafür steht die Novelle des Bayerischen
Hochschulgesetzes 2006:21
„Um den Hochschulen eine klarere Profilierung und
zukunftsfähige Entwicklungen zu ermöglichen, sind Änderungen
im gesamten Gefüge der staatlichen Steuerung,
der Verteilung der Kompetenzen zwischen Staat
und Hochschulen und der staatlichen Aufsicht notwendig.
Mit der Stärkung der Autonomie und Erweiterung
der Kompetenzen der Hochschulen ist eine erhöhte
Selbstverantwortung der Hochschulen für Profilbildung
und Qualitätssicherung verbunden.
Bei der Neugestaltung des Verhältnisses von Staat
und Hochschulen ist die sich aus Art. 138 Abs. 1 Satz 1 der
Bayerischen Verfassung ergebende Verantwortung des
Staates für die Hochschulen als landesspezifische Verfassungsnorm
für die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen
Staat und Hochschulen zu beachten.
Zentrales Steuerungsinstrument bei gleichzeitiger
Zurücknahme der staatlichen Detailsteuerung ist künfSandberger
· Hochschulrechtsreform in Permanenz 7
22 BW § 2; BE § 4; BY Art. 2; BB § 3; BR § 4; HH § 3; HE § 3; MVP
§ 3; NI § 3; NRW § 3; RPf § 2; Saar § 2; SA § 5; SN § 3; SH § 3;
TH § 5.
23 BVerfG Beschluss v. 13.4. 2010, BVerfGE 126, 1ff. Rn.45 ff.; Kammerbeschluss
des Bundesverfassungsgerichts v. 5.2. 2020- Duale
Hochschule, — 1 BvR 1586/14 -, Rn. 1–37.
24 Vgl. die Hochschulgesetze: BW, § 8, BY Art.3, BB § 4, BR §§ 7, 7a,
HH § 2, HE § 1, MVP § 5, NI § 3, RPf § 6, Saar § 2, SA §§ 54–56,
SN § 2, 6, SH § 4, TH §7.
25 §§ 2, 76 HG NRW, der Abschaffung des Doppelstatus folgend
§ 2 HmbHG, § 2 SächsHG; § 54 HG-LSA; § 2 HGSH
26 Art. 12 BayHG: (1) Die Hochschulen nehmen eigene Angelegenheiten
als Körperschaften (Körperschaftsangelegenheiten),
staatliche Angelegenheiten als staatliche Einrichtungen wahr.
(2) Körperschaftsangelegenheiten sind alle Angelegenheiten der
Hochschule, soweit nichts anderes bestimmt ist.
tig der Abschluss von Zielvereinbarungen zwischen Staat
und Hochschulen. Mit der Delegation weitgehender Zuständigkeiten
auf die Hochschulen wird konsequent der
1998 begonnene Weg fortgesetzt und die Eigenverantwortung
der Hochschulen, denen neue Handlungsfreiräume
eröffnet werden, gestärkt.
Im Rahmen der Neuordnung der Hochschulorganisationsstruktur
werden den Hochschulen hochschulspezifische
Gestaltungsspielräume eingeräumt; Entscheidungen
über die hochschulinterne Organisation werden
weitestgehend vom Staat auf die Hochschulen
übertragen.“ - Auswirkungen auf den Katalog der Hochschulaufgaben
Im Verlauf der Hochschulrechtsnovellen ist der Katalog
der Aufgaben der Hochschulen rasant gewachsen, ein
Ende ist noch nicht abzusehen.22 Neben der Primäraufgabe
der Pflege und Entwicklung der Wissenschaften
und Künste durch Forschung, Lehre und Weiterbildung
in einem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat,
ist ein Katalog von im Einzelfall mehr als zehn Ziffern
und weiteren Absätzen die Primäraufgaben konkretisierender
und ergänzender Annexaufgaben und weiterer
Sekundäraufgaben getreten, die durch Verordnungs-
Ermächtigung noch erweitert werden können. Jüngste
Änderungen betreffen die Pflicht zur Nachhaltigkeit und
zur Wahrung des Tierschutzes.
Die gesetzlichen Annexaufgaben und die Sekundäraufgaben
stehen zwar unter dem Vorbehalt der Verträglichkeit
mit den Primäraufgaben und dem Verbot
der Überforderung.
In der Hochschulpraxis sind diese Beschränkungen
aber im Regelfall wirkungslos, weil die Übertragung der
Aufgaben nicht mit dem Gebot entsprechender Finanzausstattung
verbunden wird.
In den hochschulartenübergreifenden Hochschulgesetzen
wäre es Aufgabe des Gesetzgebers, das jeweilige
Aufgabenprofil der Hochschularten zu definieren. Im
Gegensatz dazu ist bei der Formulierung der Aufgaben
und Bezeichnung der Hochschulgattungen ein Annäherungsprozess
zu beobachten, der zu einer Verwischung
der Profile im Wissenschaftssystem führt. Dies gilt für
die bisherigen wissenschaftlichen und künstlerischen
Hochschulen, insbesondere aber für deren Verhältnis zu
den bisherigen Fachhochschulen, die mit der Erweiterung
ihrer Aufgaben im Bereich angewandter Forschung
inzwischen die Bezeichnung „Hochschulen für Angewandte
Wissenschaften“, in englischer Terminologie die
Bezeichnung „University of Applied Science“ erlangt haben.
Spiegelbildlich wird die Annäherung zwischen den
Hochschulen für Angewandte Wissenschaften und den
Dualen Hochschulen vollzogen. Die Annäherung der
Hochschulprofile setzt sich in den Bildungszielen und
der Gleichwertigkeit der Abschlüsse fort. Diese Entwicklung
hat das Bundesverfassungsgericht zu der konsequenten
Schlussfolgerung veranlasst, zunächst den Fachschulen
und deren Hochschullehrern, 2020 dann auch
den Dualen Hochschulen den Schutz des Art. 5 Abs.3
GG zuzuerkennen.23 - Auswirkungen auf den Rechtsstatus der Hochschulen24
Die einleitend zitierten oder ähnlich formulierten Zielsetzungen
der Organisationsreform in den Landeshochschulgesetzen
wurden allerdings nur teilweise und halbherzig
eingelöst:
a) In einigen Bundesländern wurde der Doppelstatus
der Hochschulen als rechtsfähige Körperschaft und
staatliche Einrichtung aufgehoben. Am weitesten ging
Nordrhein-Westfalen im sog. Hochschulfreiheitsgesetz,
das den Status der rechtsfähigen Körperschaft öffentlichen
Rechts mit der Aufhebung der Fachaufsicht und
der Übertragung der bislang beim Staat liegenden Finanz‑,
Personal- und Organisationsverantwortung verband.
25 Demgegenüber hielt das Bayerische Hochschulgesetz
von 2006 in Art. 11 am bisherigen Doppelstatus
der Hochschulen fest und zog in Art. 12 eine scharfe Abgrenzung
zwischen Körperschaftsangelegenheiten und
staatlichen Angelegenheiten. Der in Abs. 3 aufgeführte
Katalog entspricht den überkommenen Definitionen
und wird nur bei nicht expliziten Entscheidungsgegenständen
durch eine Vermutung zugunsten ihrer Zugehörigkeit
zur körperschaftlichen Selbstverwaltung bestimmt.
26 Auch die Freiheit der Gestaltung der Aufbauorganisation
der zentralen und dezentralen Ebene wurde
nur geringfügig erweitert. Die Gestaltung der
Grundordnung (Organisationssatzung) der Hochschule
8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 1 — 2 2
27 Gesetz über die Stiftung Europa Universität Viadrina v. 14.12.
2007, GVBl. I Nr. 16, 206.
28 §§ 81 ff. HHG
29 Vgl. z.B. § 13 Abs. 3 LHG BW; § 6 HmbHG; § 11 Abs. 4 SächsHG.
30 § 13 Abs. 3, 8, 9 LHG BW; §§ 10 Abs. 4, 11 Abs. 2, 4, 5 SächsHG.
31 Z.B. §§ 33, 34 HG NRW. In Sachsen für die TU Dresden § 104
SächsHG.
32 Z.B. § 11 Abs. 5 LHG BW; § 78 Abs. 2 SächsHG.
33 Vgl. Art. 13 Abs. 2 BayHG; §§ 34 Abs. 1 LHG BW (PrüfungsO),
38 Abs. 5 LHG BW (PromotionsO), 39 Abs. 5 LHGBW (HabilitationsO);
§ 2 Abs. 4 HG NRW; § 13 Abs. 3 SHG 2008; § 13 Abs. 3
und 4 SächsHG.
34 Z.B. Art. 15 BayHG; § 13 Abs. 2 LHG BW; §§ 2, 6 HmbHG;
§ 88 Abs. 2 Hess HG; § 6 HG NRW: § 11 SHG; § 57 HSG LSA;
§ 99 Abs. 2 SHG; §§ 10 Abs. 2, 11 Abs. 7 SächsHG 2008. Zum Instrument
der Zielvereinbarungen vgl. G. Sandberger, Finanzierung
staatlicher Hochschulen über Ziel- und Leistungsvereinbarungen,
in: Fehling/Kämmerer/Schmidt (Hrsg.), Hochschulen zwischen
Gleichheit und Elitestreben, Schriften der Buccerius Law School,
Bd. I /5 2005, S. 21 ff. m. w. A.
35 Ausnahmen sind NRW: §§ 6 HG, 76 HG NRW. In BW beschränkt
sich die Fachaufsicht bei Bestehen von Zielvereinbarungen auf
deren Einhaltung, § 67 Abs. 2 Nr. 2 LHG BW.
ist an die Vorgaben des Gesetzes gebunden und unterliegt
staatlicher Zustimmung.
Auch in der grundlegenden Baden-Württembergischen
LHG-Novelle von 2005 wird die Zielvorstellung
der Stärkung der Hochschulautonomie nur zum Teil eingelöst.
Sie hielt am Doppelstatus der Hochschulen als
rechtsfähige Körperschaft und staatliche Einrichtung
fest. Organisationsautonomie wurde mit gesetzlichen
Regelbeispielen nur für wissenschaftliche Einrichtungen
und Dienstleistungseinrichtungen auf zentraler und dezentraler
Ebene der Hochschulen eingeräumt. Statt einer
Deregulierung ist das Gesetz den Weg einer Delegation
von Zuständigkeiten auf die Hochschulleitung bei der
Genehmigung von Satzungen, insbesondere Prüfungsordnungen,
in Berufungsangelegenheiten und Ernennungszuständigkeiten
gegangen.
Diese Feststellungen lassen sich auch auf Gesetze anderer
Bundesländer übertragen, für die die genannten
Hochschulgesetze als Modell gedient haben.
b) Einen Sonderweg ist das Niedersächsische Hochschulgesetz
von 2002 gegangen, das neben dem Modell
der Hochschule in staatlicher Trägerschaft im 4. Kapitel
die Option der Rechtsform der rechtsfähigen Stiftung
des öffentlichen Rechts geschaffen hat. Um dem verfassungsrechtlichen
Gebot der Selbstverwaltung Rechnung
zu tragen, werden die bisherigen staatlichen Angelegenheiten
und Aufsichtsbefugnisse auf die Stiftung und deren
Organe übertragen. Die Selbstverwaltungsangelegenheiten
obliegen der unter dem Dach der Stiftung mitgliedschaftlich
eingerichteten Hochschule als nicht
rechtsfähiger Körperschaft, deren Organe auf der Leitungsebene
mit denen der Stiftung in Personalunion verbunden
sind.
Dieses Modell wurde auch in Hochschulgesetzen in
Brandenburg27 und Hessen28 übernommen.
Im Stiftungs-Modell wird zwar der über die Aufsicht
ausgeübte unmittelbare Staatseinfluss durch Beteiligung
von Vertretern des Ministeriums im Stiftungsrat mediatisiert,
er bleibt aber aufgrund der Abhängigkeit von
staatlicher Dotierung vorhanden. Ein endgültiges Urteil
darüber, ob damit ein Autonomiegewinn erzielt wird,
steht noch aus.
c) Der im neuen Steuerungsmodell geforderte Autonomiegewinn
betrifft vor allem die Finanzwirtschaft. In
finanzwirtschaftlicher Hinsicht wurden den Hochschulen
zwar durch die Haushaltsglobalisierung größere Gestaltungsspielräume
eingeräumt.29 Der Preis dafür sind
aber detaillierte Vorgaben für die Einführung von Kosten-
und Leistungsrechnungen und für ein
Berichtsystem.30
In personalrechtlicher Hinsicht haben nur wenige
Hochschulgesetze den Hochschulen die volle Dienstherreneigenschaft
bzw. Arbeitgeberstellung eingeräumt.31
Stattdessen werden Entscheidungsbefugnisse des Ministeriums
bei Berufungen und die Entscheidung über dem
Dienstherren obliegende Statusfragen auf die Leitung
der Hochschule delegiert.32
Gleiches gilt für die Genehmigung von Satzungen,
Einrichtung von Studiengängen und Erlass von Prüfungsordnungen.
33 Bei diesen wird die Genehmigung
des Ministeriums durch externe Akkreditierungsverfahren
mit eng gefassten Kriterienkatalogen ersetzt.
Mit dem Instrument der Zielvereinbarung bzw.
Hochschulvertrag34 wird ein ergebnisorientiertes
Steuerungssystem eingeführt, das nicht nur die Finanzwirtschaft,
sondern die Struktur- und Entwicklungsplanung
der Hochschulen in ihrem gesamten Aufgabenbereich
umfasst und die Finanzzuweisungen mit den in der
Vereinbarung enthaltenen Zielvorgaben verknüpft. Nur
in wenigen Hochschulgesetzen sind autonomiefreundliche
Verfahrensgarantien für das Zustandekommen dieser
Zielvereinbarungen im Sinne eines Initiativrechtes
der Hochschule enthalten.
Die Einführung von Zielvereinbarungen hat jedoch
keineswegs zu einer synchronen Reduktion der staatlichen
Fachaufsicht geführt.35 Vielmehr bleibt das Verhältnis
von Zielvereinbarungen und Einzelaufsicht
offen.
Sandberger · Hochschulrechtsreform in Permanenz 9
36 So auch P. Lynen in: Hartmer/ Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht, 3.
Aufl. 2017, Kap 3, S. 119, Rn. 47
37 Vgl. dazu auch Monopolkommission, Sondergutachten 30, Wettbewerb
als Leitbild für die Hochschulpolitik, 2000, S. 109 ff., Rn.
138 ff.
38 So ausdrücklich die Amtliche Begründung zum UG Baden-Württemberg
v. 1.2.2000, LT-Drucksache 12/4404, S. 225.
39 BW §§ 15, 16; BY Art. 19, 20; BE § 52; BB § 64; BR §§ 79, 81;
HH §§ 79, 84 ff.; HE § 37; MVP § 82; NI §§ 36, 37; NRW § 18
ff.; SA §§ 68, 70; SN §§ 80, 82; SH §§ 18, 22; TH §§ 28 ff.; dazu
Wissenschaftsrat, Hochschulgovernance, S. 65 ff.; K.F. Gärditz,
Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche Systembildung
2010, S. 527 ff.
Auch wenn der mit der Hochschulrechtsreform erreichte
Autonomiegewinn spürbar ist, wäre es deshalb
verfehlt, darin einen Quantensprung zu sehen.
Der Zugewinn an Verantwortung dient im Verbund
mit der Neuordnung der Finanzierungsgrundsätze dem
Ziel, Wettbewerbsprozesse zwischen Hochschulen zu
stärken. Innerhalb der Hochschulen wird er allerdings
vielfach als Entlastungsstrategie der Trägerländer gesehen,
im Zeichen der Finanzkrise der staatlichen Haushalte
notwendige konfliktträchtige Entscheidungen den
Hochschulen zu überlassen.36
Jedenfalls verlangen die neuen Steuerungssysteme
aber von den Hochschulen eine stärkere strategische
Ausrichtung ihrer Strukturen und Ressourcen auf Gesamtziele,
37 die in mittelfristig auszurichtenden Strukturund
Entwicklungsplänen, darauf ausgerichteten Zielvereinbarungen
mit dem Trägerland und internen Zielvereinbarungen
mit den Untergliederungen der Hochschule
konkretisiert werden müssen.
Diese Aufgabe kann nach der Konzeption der Reformgesetzgebung
nur von Entscheidungsorganen der
Hochschulen mit klar definierten Kompetenzen und
Verantwortlichkeiten geleistet werden. - Reform der Leitungsstrukturen
Die Reform der Leitungsorganisation steht damit in
einem engen Zusammenhang mit der Stärkung der Entscheidungsautonomie
der Hochschule nach außen.38
3.1. Grundprinzipien
Leitgedanke der Organisationsreform ist es, die gestärkten
Handlungsfreiheiten der Hochschulen mit einer effizienten
Entscheidungsorganisation zu verbinden. Bausteine
dieses Konzepts sind:
– eine klare Trennung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten
von Leitungsorganen auf zentraler Ebene
und der Ebene der Fakultäten,
– die Verlagerung der Zuständigkeiten für die Ressourcenzuteilung
und bisherigen Allzuständigkeit
der Kollegialorgane auf die zentralen und dezentralen
Leitungsorgane,
– eine klare Trennung von Leitungs- und Aufsichtsverantwortung,
– schließlich die Beschränkung der Kollegialorgane
auf die Wahl der Hochschul- bzw. Fakultätsleitung,
auf Satzungsangelegenheiten einschließlich der
Organisationssatzung und auf die Zustimmung zu
Entscheidungsgegenständen von grundsätzlicher
strategischer Bedeutung wie dem Abschluss von
Zielvereinbarungen oder den Struktur- und Entwicklungsplänen
der Hochschule.
Damit werden die bereits eingangs erwähnten Defizite
der bisherigen Leitungsorganisation der Hochschule
behoben. Bei dieser klafften Recht und Wirklichkeit auseinander.
Die Aufgaben der zentralen und dezentralen
Leitungsorgane umfassten de jure die Außenvertretung,
die Führung der laufenden Geschäfte, personalrechtliche
Kompetenzen, die Leitung der Verwaltung, die Leitung
der Selbstverwaltungsorgane, die Vorbereitung und
Durchführung ihrer Beschlüsse. Die strategischen Kompetenzen
oblagen dagegen den Kollegialorganen. De facto
fiel aber die eigentliche strategische Funktion, d. h. die
Planung und Durchführung des Zielfindungsprozesses
schon bisher der zentralen Hochschulleitung zu.
Die Organisationsreform zeichnet damit in der
Hochschulwirklichkeit vorweggenommene Strukturen
eines Hochschulmanagements nach und beseitigt die in
der bisherigen Hochschulgesetzgebung angelegte Kluft
von Kompetenz und Verantwortung, die für die allseits
kritisierte Intransparenz der Entscheidungsprozesse verantwortlich
ist.
3.2. Hochschulleitung39
Die rechtliche Umschreibung des Funktionswandels der
Hochschulleitung spiegelt sich in der umfassend angelegten
Leitungskompetenz wieder.
Neben der operativen wird die strategische Gesamtverantwortung
der Hochschulleitung für die Strukturund
Entwicklungsplanung einschließlich der Personalentwicklung
und Bauplanung besonders
hervorgehoben.
Ebenso wurde die bisher überwiegend bei Kollegialorganen
(Senatsausschüssen, Verwaltungsrat) angesiedelte
Ressourcenverantwortung auf die Hochschulleitung
übertragen. Die Grundsätze der leistungs- und belastungsbezogenen
Mittelverteilung wurden mit den
1 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 1 — 2 2
Vorgaben der Struktur- und Entwicklungspläne und den
Ergebnissen von Forschungs- und Lehrevaluationen
verknüpft.
Wegen des erheblichen Machtzuwachses ist gesetzlicher
Regeltypus die kollegiale Hochschulleitung (Rektorat,
Präsidium, Vorstand). Ihr gehören neben dem Rektor/
Präsidenten, mehrere Prorektoren/Vizepräsidenten
und die Kanzlerin/der Kanzler/ die (der)
Vizepräsident(in) für Verwaltung an. Dabei werden für
die akademischen Mitglieder der Hochschulleitung Geschäftsbereiche
zur selbständigen Wahrnehmung durch
Organisationsakt festgelegt, während die Aufgabe der
Wirtschafts- und Personalverwaltung gesetzlich zum
Geschäftsbereich der Kanzlerin/des Kanzlers gehört. Soweit
das Gesetz nicht der Rektorin/dem Rektor, der Präsidentin/
dem Präsidenten nicht besondere Kompetenzen
einräumt, handelt das Rektorat als Kollegialorgan.
Innerhalb der Hochschulleitung kommt dem Rektor
/Präsidenten eine heraus gehobene, über den Status des
Vorstandsvorsitzenden eines Unternehmens hinausgehende
Funktion zu. Diese äußert sich in der Außenvertretung
der Hochschule, der Stellung als Dienstvorgesetzter,
in Vorschlagsrechten bei der Bestellung der weiteren
Mitglieder des Rektorats und der Dekane, Vetorechten
und in der Richtlinienkompetenz.
Die Position des Kanzlers (Vizepräsidenten für Verwaltung)
wird dabei tendenziell durch Reduzierung des
Aufgabenbereichs in Wirtschafts- und Personalangelegenheiten,
befristete und relativ kurze Amtszeiten und
das Bestellungsverfahren geschwächt. Dies geht teilweise
so weit, dass das Rektorat für die Bestellung und Abberufung
des Kanzlers zuständig ist (Bayern, Brandenburg).
Ob dies die Funktionsfähigkeit der wahrzunehmenden
Aufgaben, vor allem eine effiziente Verwaltungsorganisation
stärkt, muss nach allen Erfahrungen
bezweifelt werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht
aus beamten- und hochschulverfassungsrechtlichen
Gründen veranlasst, den Beamtenstatus auf Zeit an
die Voraussetzung gleichberechtigter Funktionen und
die Wahl und Abwahl durch die Wahlorgane der Hochschule
zu knüpfen.40
3.3. Hochschulrat –Kuratorium41
Neben der Transformation der Hochschulleitung nach
dem Modell eines Unternehmensvorstands ist die Einführung
von Hochschulräten/Kuratorien als Aufsichtsund
Wahlorgan für die Hochschulleitung und als
Zustimmungsorgan für strategisch bedeutsame Entscheidungen
die nachhaltigste Änderung der Hochschulorganisation.
Ursprünglich als Ersatz der externen Aufsicht der
Ministerien oder als Plattform des Zusammenwirkens
von Staat und Hochschule konzipiert, übt der Hochschulrat
neben der weiter bestehenden Rechts- und
Fachaufsicht des Landes überwiegend nicht mehr staatliche
Aufsichtsaufgaben, sondern körperschaftsinterne
Aufsichts‑, Entscheidungs- und Beratungsfunktionen
aus. Insoweit ist mit der Einführung des Hochschulrats /
der Kuratorien keine Verminderung, sondern eine Vermehrung
von Entscheidungsebenen eingetreten.
In einigen Bundesländern, z. B. in Brandenburg, hat
der Hochschulrat hochschulübergreifende Beratungsoder
Entscheidungsfunktionen.
Auffallend ist die große Bandbreite der Aufgaben, die
der Hochschulrat / das Kuratorium im Entscheidungssystem
der Hochschulen wahrnimmt. Die Gesetze sehen
dabei ein abgestuftes System von Beratung, Stellungnahmen,
Mitwirkung, Zustimmung und Endentscheidungen
vor.
Bei der Bestellung der Hochschulleitung erhält der
Hochschulrat / das Kuratorium in den meisten Bundesländern
ein Mitentscheidungsrecht, die endgültige Entscheidung
über den Ernennungsvorschlag liegt beim
Staat. Gerade diese Kompetenz wird als Eingriff in die
Selbstverwaltung angesehen. Dabei ist aber zu bedenken,
dass die Hochschulleitung zugleich staatliche Aufgaben
wahrzunehmen hat und deshalb als Konsequenz
des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 2 GG) neben der
Legitimation durch die Wahl des Senats/Konzils auch
staatlicher Legitimation bedarf (personelle
Legitimation)
Endentscheidungen trifft der Hochschulrat/das Kuratorium
bei der Feststellung des Jahresabschlusses, bei
der Beschlussfassung über die Struktur- und Entwicklungsplanung,
über die Grundsätze der Mittelverteilung
In einigen Bundesländern ist er auch bei der Festlegung
der Funktionsbeschreibung von Professuren beteiligt.
Eine zentrale Aufgabe des Hochschulrats / des Kuratoriums
ist die Aufsicht über die Geschäftsführung des
Rektorats und die Verantwortung für die Entwicklung
der Gesamtuniversität, insbesondere für Maßnahmen
40 Beschluss des Zweiten Senats vom 24. April 2018- 2 BvL 10/16
- BVerfGE 149, 1 ff., dazu G. Sandberger, Der Funktionswandel
des Kanzleramtes an Hochschulen — vom Hochschulorgan zum
weisungsgebundenen Verwaltungsleiter? , DÖV 2018, 963 ff.
41 BW § 20; BY Art. 26; BE §§ 64, 65; BB § 77; BR § 80; HH § 84;
HE § 42; MVP § 86; NI § 52; NRW § 21; RPf §§ 74, 75; Saar § 20;
SA § 74; SN § 86; SH § 19; TH § 34; vgl. dazu Wissenschaftsrat,
Hochschulgovernance, S. 80 ff.
Sandberger · Hochschulrechtsreform in Permanenz 1 1
der Profilbildung und Stärkung der
Wettbewerbsfähigkeit.
Keine einheitliche Linie verfolgen die Länder bei der
Zusammensetzung des Hochschulrats/Kuratoriums.
Hochschulräte/Kuratorien mit Beratungsfunktionen
sind meist extern besetzt. Bei Hochschulräten mit Entscheidungsfunktionen
wird überwiegend eine Beteiligung
von Hochschulmitgliedern bei mehrheitlich externer
Besetzung vorgesehen. Als Anforderungsprofil an
externe Mitglieder werden Erfahrungen im Bereich von
Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft gefordert.
Eine besondere Konstruktion hat der Hochschulrat
in Bayern erfahren. Ihm gehören neben den externen,
vom Senat zu wählenden Mitgliedern die Wahlmitglieder
des Senats an. Dies erleichtert die Vernetzung der
strategischen Entscheidungsverantwortung und vermindert
die Legitimationsprobleme.
Die Funktion des Hochschulrats / des Kuratoriums
als Hochschulorgan erfordert seine Legitimation durch
ein hochschulinternes Bestellungs- und Mitwirkungsverfahren,
aber zugleich eine Mitwirkung des Trägerlandes.
Soweit eine Einigung nicht erzielt wird, stehen
Hochschule und Staat meist paritätische Vorschlagsrechte
zu. Im Regelfall und bei Ausgestaltung als Organ der
Körperschaft auch verfassungsrechtlich (Selbstverwaltungsgarantie)
geboten, bedarf die Bestellung der Bestätigung
durch den Senat.
Die Funktion des Hochschulrats/Kuratoriums war
und ist in der hochschulpolitischen und hochschulrechtlichen
Diskussion umstritten. Im Mittelpunkt stehen die
ihm übertragenen Kompetenzen in wissenschaftsrelevanten
Angelegenheiten, seine Zusammensetzung mit
beherrschendem Einfluss nicht zu den Hochschulangehörigen
gehörenden Mitgliedern und die fehlende oder
unzureichende personelle Legitimation durch den Senat
als zentralem Kollegialorgan.42 Der Bayerische Verfassungsgerichtshof
hat eine Popularklage gegen seine Einrichtung
mit der Begründung verworfen, dass der Hochschulrat
keine Aufgaben aus dem Kernbereich der akademischen
Selbstverwaltung erfüllt.43 Die umfassende
Kritik an den Aufgaben, der Zusammensetzung und Bestellung
des Hochschulrats durch den VerfGH von Baden-
Württemberg im Urteil vom 16. 11. 2016 hat nur die
Bedeutung von obiter dicta, war aber nicht
Entscheidungsgegenstand.44
Die Arbeit des Hochschulrats / des Kuratoriums hat
sich nach den zwischenzeitlichen Erfahrungen der
Hochschulpraxis überwiegend als ein wichtiger Faktor
für die Hochschulentwicklung herausgestellt. Die Beteiligung
Externer kann zur Erweiterung der Perspektiven,
zur Verankerung der Hochschule in ihrem Umfeld und
zur Schlichtung schwieriger interner Konflikte beitragen.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Tätigkeit ist
aber, dass die Mitglieder des Hochschulrats bei Entscheidungen
mit akademischem Bezug den internen Sachverstand
der Hochschule respektieren und Sensitivität für
die hochschulinternen Willensbildungsprozesse
entwickeln, die die Integration und Überzeugung der
Hochschulmitglieder zu gemeinsamen Handlungszielen
und ihrer Realisierung in Forschung und Lehre zu gewährleisten
haben. Hierbei kann Führungserfahrung
aus anderen Organisationen hilfreich, bei undifferenzierter
Übertragung von deren Entscheidungsmodellen
auf Hochschulen aber auch hinderlich sein.
Die Integration des Hochschulrats in das Entscheidungssystem
der Hochschule ist also ein wechselseitiger
Lernprozess der Mitglieder des Hochschulrats und der
traditionellen Selbstverwaltung, innerhalb dessen Gespür
für die jeweiligen Verantwortlichkeiten entwickelt
werden muss.
Dies impliziert auch die Entwicklung informeller
Kommunikationsstrukturen neben den gesetzlichen
Verfahrensregelungen. Wenn diese bei wichtigen Personalentscheidungen
und für die Entwicklung der Hochschule
bedeutsamen strategischen Entscheidungen nicht
eingehalten werden, können — wie Erfahrungen in einzelnen
Hochschulen belegen — lähmende Friktionen
entstehen.
3.4. Senat45
Die Stärkung der Hochschulleitung und die Einführung
des Hochschulrats/Kuratoriums haben erhebliche Verschiebungen
von Zuständigkeiten der zentralen Kollegialorgane
zur Folge. Die Zuständigkeit des Senats wurde
in den Ländern mit Hochschulräten massiv reduziert.
Dies stößt wegen der geringen Verankerung des Hoch-
42 Vgl. dazu aus der Zeit der Einführung Fittschen, Wider die
Einführung von Hochschulräten Fittschen, Wider die Einführung
von Hochschulräten, WissR (39) 1997, 325 ff.; Hartmer,
in Hartmer/Detmer, Hochschulrecht 2004, S. 200, Rn. 149 ff.;
J. Kersten, Alle Macht den Hochschulräten?, DVBl. 1999, 1704
ff..; umfassende Darstellung des Streitstandes bei K.F. Gärditz,
Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche Systembildung
2010, S. 545 ff.; W. Kahl, Hochschulräte – Demokratieprinzip
– Selbstverwaltung unter besonderer Berücksichtigung des
Aufsichtsratsmodells in Baden-Württemberg, AöR 2005, 225 ff.
43 Beschluss v. 7.5.2008, NVwZ 2009, 177.
44 ESVGH 67, 124, Rn. 203 ff.
45 BW § 19; BY Art. 25; BE §§ 60, 61; BB § 64; BR § 80; HH § 85;
HE § 36; MVP § 81; NI § 41; NRW § 22; RPf §§ 76, 77; Saar § 19;
SA § 67; SN § 81; SH § 27; TH § 35; vgl. dazu Wissenschaftsrat,
Hochschulgovernance, S. 75 ff.
1 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 1 — 2 2
schulrats in der Selbstverwaltung auch auf verfassungsrechtliche
Kritik. In die Zuständigkeit des Senats fallen
nunmehr in der Regel neben der Mitwirkung bei der
Wahl der Hochschulleitung vor allem Satzungs‑, Berufungs-
und Organisationsentscheidungen.
3.5. Unterbliebene Gestaltung der Ablaufprozesse
Bei den dem Hochschulrat / dem Kuratorium obliegenden
strategischen Entscheidungen erhält der Senat im
Regelfall das Recht der Stellungnahme, insbesondere bei
der Struktur- und Entwicklungsplanung. Da innerhalb
der Strukturplanung die Festlegung von Schwerpunkten
in Forschung und Lehre, auch die Entscheidung über
Prioritäten verlangt wird, die wissenschaftlichen Sachverstand
voraussetzt, kommt einem breit angelegten
Informationsaustausch und der Herstellung eines Konsenses
zwischen beiden Gremien in allen Fragen mit
vorrangig akademischem Inhalt ein hoher Rang zu. Den
dabei gebotenen Ablaufprozessen wird in den neuen
Hochschulgesetzen vielfach keine oder nur untergeordnete
Bedeutung beigemessen.46
3.6 Vertikale Aufbauorganisation47 – Fakultäten48
Die Neuausrichtung der Fakultätsorganisation als der
operativen Grundeinheit für Forschung und Lehre ist
neben der Neugestaltung der zentralen Ebene das wichtigste
Anliegen der Hochschulreform.
Für die fachliche Gliederung gibt es meist — außer vagen
Formulierungen wie: „Zusammenfassung gleicher
oder verwandter Fachgebiete“ — keine Vorgaben, dafür
werden Mindestgrößen wie eine bestimmte Anzahl von
Professuren festgelegt.
Deutlich erkennbar ist die Absicht des Gesetzgebers,
die Fakultät nachhaltig auf strategische Ziele, Effizienz
des Mitteleinsatzes und auf die Qualitätskontrolle auszurichten.
Der Zuwachs an Aufgaben wird mit der Stärkung
der Leitungsfunktion der Fakultätsleitung verbunden.
Die meisten Hochschulgesetze haben sich für eine
kollegiale Fakultätsleitung durch den Fakultätsvorstand
entschieden.
Um die Einbindung in die Loyalität gegenüber der
Hochschulleitung zu erreichen, sieht das Gesetz die doppelte
Legitimation der Fakultätsleitung durch ein Vorschlagsrecht
des Rektorats/Präsidiums und die Wahl
durch den Fakultätsrat vor. Spiegelbildlich zum Zuwachs
der Aufgaben der Fakultätsleitung ist die Reduktion des
Fakultätsrats auf Wahl‑, Aufsichts- und Entscheidungskompetenzen
in grundsätzlichen Angelegenheiten, insbesondere
die Beschlussfassung über Berufungsvorschläge,
Satzungen und Organisationsentscheidungen
vorgesehen.
Unterhalb der Fakultätsebene lassen die neuen Hochschulgesetze
erhebliche Gestaltungsspielräume zwischen
den nach fachlichen Kriterien zugeschnittenen Instituten
und neuen Entwicklungen in der Wissenschaft offenen,
häufig interdisziplinären und auf Zeit eingerichteten
Zentren.
Dies erlaubt vor allem eine unterschiedlichen Ordnungsprinzipien
folgende Organisation des Lehr- und
Forschungsangebots.
3.7. Studienstrukturreform und Qualitätssicherung49
Die Einführung gestufter Studiengänge im Rahmen der
Bologna-Reform hatte nicht nur eine inhaltliche Neuausrichtung
der Studiengänge und Prüfungen mit einem
international transferierbaren Leistungspunktesystem
zur Folge. Im Zuge der Reform wurde auch das bisherige
System von der KMK koordinierter Modellstudiengängen
durch weitgehende Übertragungen der Entscheidungen
über die Einrichtung und inhaltliche Gestaltung
auf die Hochschulen abgelöst. Damit verbunden ist die
Einführung von Qualitätssicherungsmaßnahmen wie
der Systemakkreditierung, Akkreditierung von Studiengängen
nach Maßgabe von vereinheitlichten Vorgaben
und Verfahren durch externe Akkreditierungsorgane
sowie eine interne Qualitätssicherung in Form laufender
Lehrveranstaltungsevaluationen.
In das deutsche Hochschulsystem wurden damit
Maßnahmen der Qualitätssicherung übernommen, die
im angelsächsischen Hochschulsystem schon seit Jahrzehnten
etabliert sind. Obwohl über die Notwendigkeit
inzwischen weitgehende Einigkeit besteht, wurden bei
der Institutionalisierung die mit ihr verbundenen Eingriffe
in die Lehr- und Studierfreiheit, die dafür notwendige
gesetzliche Grundlage und verfahrensmäßigen Sicherungen
durch hinreichende Teilhabe der Wissenschaft
vernachlässigt.50 Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
vom 17.2.2016 hat zwar der Notwendigkeit
46 Auf diese Problematik weist auch der Wissenschaftsrat in seinen
Empfehlungen zur Hochschulgovernance, S. 79 hin.
47 Organisationsgrundsätze enthalten folgende Landesgesetze: BW
§ 15; BE § 75a; BB § 71; BR § 86; HH § 92; HE § 47; NRW § 36;
NI § 36; RPf § 71; Saar § 13; SA § 66; SH § 18; TH §§ 38- 40.
48 BW §§ 22–26; BY Art. 27, 28; BE §§ 69–72; BB §§ 71–73; BR
86–90; HH §§ 89–92; HE §§ 43–47; MVP §§ 90–92 a; NI §§ 43–45;
NRW §§ 27–28; RPf §§ 85–88; Saar §§ 26–29; SA §§ 76–79; SN
§§ 87–91; SH §§ 28–31; TH §§ 38–41.
49 Vgl. dazu A. Kalous, Studium, Lehre Prüfungen in Haug, Das
Hochschulrecht Baden- Württemberg, 3. Aufl. 2020, Kap. 3 A, S.
290 ff. m.w.N.; G. Sandberger, Qualitätssicherung, in Haug, aaO.
Kap. 3 E, S. 369 ff. m.w.N.
50 Vgl. dazu die Hinweise bei Sandberger, vorige Fn. Rn. 848.
Sandberger · Hochschulrechtsreform in Permanenz 1 3
der Akkreditierung von Studiengängen keine Absage erteilt
und die Qualitätssicherung unter der Voraussetzung
der Einhaltung wissenschaftskonformer Verfahren für
geboten und verfassungskonform erklärt. Diesen Anforderungen
genügte das bisher auf einem Staatvertrag der
Bundesländer beruhende System nicht. Vor allem war
die von Hochschullehrern zu verantwortende wissenschaftliche
Sachkompetenz bei der Zusammensetzung
der Gremien nicht gewährleistet. Die im Beschluss des
BVerfG enthaltenen Anforderungen wurden inzwischen
durch den Studienakkreditierungsstaatvertrag vom 7. 11.
2017 mit Wirkung zum 1.1.2018 umgesetzt.51
IV. Weitere Entwicklungen von 2010 bis 2020
Die Novellen in den Jahren 2010–2020 betreffen idR
nicht die Grundkonzeption der Hochschulverfassung,
sondern die in der Einleitung aufgeführten anlassbezogenen
Ergänzungen. Schwerpunkte sind der Gleichstellungsauftrag,
Förderung von Familie und Studium,
Schutz behinderter Studierender, die Haushaltsflexibilisierung,
die Qualitätssicherung, insbesondere Akkreditierung
das Promotionswesen, der Hochschulzugang,
die Wiedereinführung der Studierendenschaft, das Berufungswesen,
die leistungsbezogene Besoldung, Korrekturen
der Personalstruktur im wissenschaftlichen Dienst
und die Einführung der Juniorprofessur als Qualifikationspfad
zum Hochschullehrerberuf.
Grundsätzliche Korrekturen seit 2010 stehen demgegenüber
in der Regel im Zusammenhang mit einem Regierungswechsel
oder sind durch Vorgaben der Verfassungsjudikatur
des BVerfG und der Länderverfassungsgerichte
veranlasst. Daneben haben einige Bundesländer
die zahlreichen Änderungen in einer Neufassung konsolidiert.
52 Vom Regierungswechsel veranlasst sind insbesondere
die Hochschulgesetznovellen in Nordrhein-
Westfalen in den Jahren 2014 und 2019.
Unter dem Titel „Hochschulzukunftsgesetz“ hat die
von der rot-grünen Mehrheit im Landtag getragene Landesregierung
trotz eines Bekenntnisses zur Grundkonzeption
wesentliche Reformelemente des Gesetzes von
2006 zurückgenommen. Dies betrifft vor allem den
Rechtsstatus der Hochschulen und die in ihm erreichte
Hochschulautonomie. Diese wurde wieder eingeschränkt,
“weil staatliche Deregulierung im Hochschulwesen
nicht dazu führen dürfe, das Land gänzlich aus
seiner Verantwortung zu entlassen und Gemeinwohlinteressen
weniger Beachtung einzuräumen.53 Die bisher
auf eine bloße Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkte
staatliche Aufsicht, wurde für die Personalverwaltung
und die Haushalts- und Wirtschaftsangelegenheiten
wieder eingeführt (§ 33 Abs. 2 und 3 HG 2014). Die gravierendste
Beschränkung stellen „Rahmenvorgaben“
nach § 6 Abs. 5 LHG dar, die nicht nur für den Einzelfall
gelten, sondern eine Gesamtsteuerung der Hochschulen
ermöglichen sollen (vgl. auch § 5 Abs. 9 LHG). Verstöße
gegen Rahmenvorgaben konnten das Ministerium berechtigen,
einen angemessenen Teil des jährlichen Zuschusses
(zeitweilig) zurückzubehalten oder (gänzlich)
einzubehalten (§ 76 Abs. 6 S. 2 NRWHG 2014). Als
Instrument der Steuerung diente ein Landeshochschulentwicklungsplan,
der die landespolitisch bedeutsamen
Aufgaben der Hochschulen beschrieb und den verbindlichen
Rahmen für Hochschulverträge zwischen dem
Ministerium und den Hochschulen bildete. Den Landeshochschulentwicklungsplan
beschloss das Ministerium
auf der Grundlage vom Landtag gebilligter Planungsgrundsätze
als Rechtsverordnung im Einvernehmen
mit dem Landtag (§ 6 Abs. 2 NRWHG 2014).
Mit dem Gesetz zur Änderung des Hochschulgesetzes
v. 12.7.2019 wurden diese Beschränkungen, vor allem
das Instrument der Rahmenvorgaben durch die von
CDU und FDP getragene Landesregierung wieder weitgehend
beseitigt. Die Abstimmung von strategischen
Zielen erfolgt wieder gemeinsam zwischen den Hochschulen
und dem Ministerium. Im Bereich des Hochschulbaus
werden die Befugnisse der Hochschulen gestärkt:
Ein „Optionsmodell“ erlaubt den Hochschulen,
selbst zu Bauherren zu werden (§ 2 Abs. 8 NRWHG
2019).
Mit der Regierungsübernahme durch eine grün-rote
Mehrheit im Jahr 2011 und eine grün-schwarze Mehrheit
im Jahr 2016 sind auch die zahlreichen Korrekturen des
Landeshochschulgesetzes am Leitbild der unternehmerischen
Hochschule in Baden-Württemberg
verbunden.
Das 3. HRÄG setzte sich in seinem hochschulorganisatorischen
Teil zum Ziel, die Leitungsstrukturen der
Hochschule neu zu justieren. Dies äußerte sich zum einen
in der Ersetzung der an die Entscheidungsorganisation
von Unternehmen erinnernden Bezeichnungen
Vorstand durch Rektorat bzw. Präsidium, Aufsichtsrat
51 Für Baden-Württemberg abgedruckt GBl. 2017, 584.
52 Dazu gehören von den in Fn. 3 Aufgeführten folgende Landesgesetze:
Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-
Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen.
53 LTDrs. 16/5410, 293.
1 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 1 — 2 2
durch Hochschul- oder Universitätsrat, Fakultätsvorstand
durch Dekanat. Zum anderen wurde die personelle
Legitimation der Hochschulleitung aus der Selbstverwaltung
durch ein Findungs- Wahl- und Abwahlverfahren
mit maßgeblichem Einfluss des Senats gestärkt.
Schließlich wurde dem Senat beim Abschluss von Hochschulverträgen
und Zielvereinbarungen das Recht der
Stellungnahme eingeräumt.
Die formal zur Verfassungswidrigkeit des Wahl- und
Abwahlverfahrens der Hochschulleitung ergangene Entscheidung
des Verfassungsgerichtshofes, stellte den Gesetzgeber
vor die Wahl, die Mitwirkungsrechte des Senats
in Angelegenheiten der Struktur- und Entwicklungsplanung,
Bauplanung, Abschluss von Hochschulverträgen,
Aufstellung und Vollzug des Haushalts- und
Wirtschaftsplans und der Organisation wissenschaftlicher
Einrichtung im Sinne von Mitentscheidungskometenzen
zu stärken oder für das Wahl- und Abwahlverfahren
einen entscheidenden Einfluss eines aus Wahlmitgliedern
der Professorenschaft zusammengesetzten
Findungs- und Wahlgremiums zu sichern.
Das HRWeitEG entschied sich für die Beibehaltung
des bisherigen Kompetenzgefüges, für die Neugestaltung
des Wahl- und Abwahlverfahrens entsprechend den
Vorgaben des VerfGH.
Neben dem Abwahlverfahren durch Senat und Hochschulrat
wird die Möglichkeit einer Urabwahl durch die
Professorenschaft geschaffen.
Einbezogen wurde auch das Wahl- und Abwahlverfahren
der Fakultätsleitungen.
Neu gestaltet wurde die bisher von Amtsmitgliedern
(Rektorat, Gleichstellungsbeauftragte, Dekane) beherrschte
Zusammensetzung des Senats mit dem Ziel
der Sicherung der Mehrheit der gewählten Professoren.
Um eine angemessene Vertretung der Fächer zu sichern,
ist statt einer Listenwahl eine Wahl für eine nach Fakultätsgröße
bestimmte Zahl von Sitzen vorgesehen.
Mit dem Regierungswechsel in Niedersachsen verbunden
ist das Gesetz zur Stärkung der Beteiligungskultur
innerhalb der Hochschulen vom 15.12.2015 (Nds.
GVBl. 384). Inhalt ist u.a. eine Stärkung der Beteiligungsrechte
der Studierenden, Promovierenden und
Personalvertretungen bezüglich der Entscheidungen der
Hochschule. Zugleich wurde den Auflagen des Beschlusses
des BVerfG zur Leitungsorganisation der MH Hannover
Rechnung getragen.
Wesentliche Veränderungen sind von dem im Gesetzgebungsverfahren
befindlichen Entwurf des bayerischen
Hochschulinnovationsgesetzes54 zu erwarten.
Der bisherige Doppelstatus der Hochschulen soll durch
ein Körperschaftsmodell abgelöst werden. Damit ist aber
nur eine Option für einen Globalhaushalt verbunden,
während die Dienstherreneigenschaft beim Freistaat
verbleiben soll. In organisationsrechtlicher Hinsicht neu
ist, dass das Gesetz die interne Organisation und Leitungsstruktur
auf der dezentralen Ebene weitgehend der
Grundordnung überlässt. Vorgegeben ist demgegenüber
die Leitungsstruktur auf der zentralen Ebene mit einer
kollegialen Hochschulleitung, einem kollegial verfassten
zentralen Organ (Senat) und dem Hochschulrat als internem
Aufsichtsorgan.
Für die dezentrale Ebene bleiben die Anforderungen
an die Kompetenzgestaltung und Bestellungsverfahren
weitgehend offen.
Auf zentraler Ebene folgt der Entwurf weitgehend
der in Baden-Württemberg realisierten Option, die im
MHH-Beschluss monierte Beteiligung des Senats in wissenschaftsrelevanten
Fragen durch ein neben dem bestehenden
Abwahlverfahren durch ein Urabwahlverfahren
einer Mehrheit von 40 % der Professorenschaft zu
ergänzen.
An diesem Entwurf hat M. E. Geis neben dem Problem
der Konformität der zentralen Leitungsorganisation
mit den Anforderungen des MHH-Beschlusses die Frage
aufgeworfen, ob die vorgesehene Regelungsoffenheit mit
der Wesentlichkeitstheorie (Art. 20 Abs.2 GG) vereinbar
ist.55
Das 2021 verabschiedete Berliner Hochschulgesetz56
behält den Doppelstatus der Hochschulen
(§ 2 Abs. 1) und die Dienstherren-/Arbeitgeberstellung
für das Hochschulpersonal (§ 2 Abs. 4) bei. Die Aufgabe
der Dienstbehörde wird vom Kuratorium auf die Präsidentin
oder den Präsidenten übertragen (§ 67). Ebenso
wird die Rechtsaufsicht und Fachaufsicht bei der Wahrnehmung
staatlicher Angelegenheiten aufrechterhalten.
In organisationsrechtlicher Hinsicht orientiert sich das
Gesetz an der Organisationsentwicklung der anderen
Bundesländer. In die Regelung der Leitungsorganisation
gehen zugleich die Erfahrungen ein, die auf der Grundlage
der Experimentierklausel mit den Leitungsmodellen
in einzelnen Berliner Hochschulen gewonnen wurden.
Schließlich trägt die Novelle den im MHH-Beschluss
niedergelegten Maßstäben an eine verfassungskonforme
Gestaltung Rechnung.
Regeltypus für die Leitung der Hochschule (§ 56) ist
künftig eine kollegiale Präsidialverfassung (§ 52), der der
54 Bayrisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, Bayerisches
Hochschulinnovationsgesetz (BayHIG), Dok- Nr-2210–1-
3 WK.
55 M. E. Geis, Das neue bayerische Hochschulinnovationsgesetz,
OdW 2021, 211 ff., 216.
56 GVBl. 2021, S. 1039 ff.; RegE Drs. 18/ 3818.
Sandberger · Hochschulrechtsreform in Permanenz 1 5
Kanzler mit der Aufgabe der Wirtschafts- und Personalverwaltung
und Leitung der Hochschulverwaltung
gleichberechtigt angehört (§ 58).
An die Stelle des Konzils tritt der für die Wahl- und
Abwahl der Hochschulleitung und den Erlass der Grundordnung
zuständige erweiterte Akademische Senat
(§ 63). Die Zuständigkeiten des Akademischen Senats
werden entsprechend den Maßstäben des MHH-Beschlusses
in wissenschaftsrelevanten Angelegenheiten
gestärkt (§ 61), der weitreichende Einfluss des Kuratoriums
wird entsprechend reduziert (§ 65). Gleiches gilt für
die Zuständigkeiten für das Wahl- und Abwahlverfahren
der Hochschulleitung. Zu den Zuständigkeiten des Senats
gehören auch Entscheidungen über die Flexibilisierung
des Haushaltswesens (§ 88a). Im Kuratorium sind
künftig die Vertreter der Senatsverwaltung nur noch mit
beratender Stimme vertreten. Bei der Zusammensetzung
des Senats ist die Professorinnen-Mehrheit zu
gewährleisten.
Für die Organisation auf der Ebene der Fachbereiche
(§§ 69 ff.) sieht § 75a eine weitreichende Gestaltungsfreiheit
nach einem vorgesehenen Regelungskatalog vor.
Im Rahmen des jetzt als Innovationsklausel bezeichneten
§ 75a können die Hochschulen mit Zustimmung
der Senatsverwaltung abweichende Regelungen treffen,
soweit diese der Verbesserung der Beteiligungsstrukturen,
der Organisation der Entscheidungsfindung und
Wirtschaftlichkeit dienen.
V. Hochschulreformen auf dem Prüfstand des Hochschulverfassungsrechts57
Bei allen bisherigen Reformschritten der Hochschulgesetzgebung
war die Veränderung des Organisationsrechtes
Gegenstand verfassungsgerichtlicher Entscheidungen,
meist aufgrund von Verfassungsbeschwerden von
Mitgliedern von Hochschulgruppen, die sich durch die
Organisationsänderungen in ihren Grundrechten beeinträchtigt
sahen.
- BVerfGE 35, 72 ff.- Niedersächsisches Vorschaltgesetz
Grundlegende Bedeutung für die weitere Entwicklung
des Hochschulverfassungsrechts hat die Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts zum sog. Vorschaltgesetz
zum Niedersächsischen Hochschulgesetz aus dem Jahre
1973.58 Gegenstand waren diverse Verfassungsbeschwerden
gegen die Einführung der Gruppenuniversität in der
Form drittelparitätisch zusammengesetzter Kollegialorgane
auf der zentralen und dezentralen Ebene der Universität.
Das BVerfG nahm dies zum Anlass grundlegender,
aber auch ins organisationsrechtliche Detail gehender
Ausführungen zum Inhalt der Wissenschaftsfreiheit, daraus
zu ziehender Konsequenzen für das Verhältnis von
Staat und Universität sowie der Gestaltung des Organisationsrechts
und den dabei vom Gesetzgeber zu beachtenden
Grenzen der Gestaltungsfreiheit.
Ausgangspunkt ist die Feststellung des Gerichts, dass
Art. 5 Abs. 3 GG neben seinem abwehrrechtlichen individualrechtlichen
Gehalt eine objektive Wertordnung
verkörpert, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung
alle Bereiche des Rechts bindet.
Dabei lässt das Gericht unter Hinweis auf die landesverfassungsrechtliche
Garantie der akademischen Selbstverwaltung
offen, ob Art. 5 Abs, 3 GG auch ein Grundrecht
der deutschen Universität gewährleistet oder gar
eine institutionelle Garantie der traditionellen Universitätsorganisation
gewährleistet.
Konsequenz der objektiven Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit
ist im Verhältnis zum Staat zum einen
ein Ingerenzverbot in den Kernbereich von Forschung
und Lehre, zum anderen eine Bestandsgarantie und Alimentationpflicht
des Staates, soweit und solange freie
Wissenschaft auf ein ausreichendes Angebot staatlicher
Wissenschaftseinrichtungen angewiesen ist. Bezogen auf
die Binnenorganisation definiert das Bundesverfassungsgericht
die individueller Entscheidung vorbehaltenen
Freiheitsräume der Lehr- und Forschungsfreiheit
und grenzt diese von Beschränkungen ab, die für den
einzelnen Grundrechtsträger aufgrund der organisatorischen
Einbindung in den Wissenschaftsbetrieb unvermeidlich
sind. Es betont Regelungen der Hochschulverfassung
seien grundsätzlich wissenschaftsneutral und
stünden folglich zur Disposition des Gesetzgebers, stellt
aber zugleich klar, dass eine wissenschaftsinadäquate
Organisation, Entscheidungsstrukturen die sachwidrige
57 Die nachfolgenden Zusammenfassungen beruhen auf dem
Beitrag von H. Goerlich und Georg Sandberger, Hochschulverfassungsrecht
- Kontinuität oder Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts, in: Festschrift f. F. J.
Peine zum 70. Geburtstag, 2016, S. 297 ff. sowie dies., Zurück zur
Professorenuniversität, Neue Leitungsstrukturen auf dem verfassungsrechtlichen
Prüfstand, DVBl. 2017, S. 667 ff.; zur Entwicklung
der Judikatur des BVerfG vgl. auch Th. Würtenberger, zur
Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Hochschulleitung nach
dem Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg, OdW 2016, 1
ff.: W. Löwer, Organisationsvorhaben für das Hochschulrecht in
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Festschrift f.
P.M. Lynen, Schiften zum Kunst- und Kulturrecht Bd. 28, 2018, S.
191 ff.
58 BVerfGE 35, 79, 115 ff.).
1 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 1 — 2 2
Einflussnahme auf wissenschaftsrelevante Entscheidungen
ermöglichen, gegen Art. 5 Abs. 3 GG verstoßen. Dies
schließe eine Beteiligung von nicht durch Art. 5 Abs. 3
GG privilegierten Gruppen bei Entscheidungen der
Hochschulgremien nicht aus, jedoch müsse die Beteiligung
der Statusgruppen nach dem Grad der Betroffenheit
in diesem Grundrecht, der Sachkompetenz und
Dauer der Zugehörigkeit zur Universität ausdifferenziert
werden. Daraus folgert das Gericht, dass bei Entscheidungen
von Kollegialorganen über Angelegenheiten
von Lehre und Forschung eine Professorenmehrheit in
dem Entscheidungsgremium gesetzlich gesichert sein
muss.
Ebenso lässt Art. 5 Abs. 3 GG Gestaltungsspielräume
zwischen einer unmittelbaren Mitwirkung oder Vertretung
in durch Wahlen der Mitglieder legitimierten Repräsentationsorganen.
Jedoch fordere Art. 5 Abs. 3 GG
ein individuelles Anhörungsrecht des einzelnen Hochschullehrers
bei Entscheidungen der Hochschulorgane,
soweit sie ihn individuell betreffen.
Ausgehend von einer weit gezogenen Definition wissenschaftsrelevanter
Entscheidungen, die neben der Abstimmung
des Lehrangebots und der Koordination der
Forschung Berufungsverfahren, die Gestaltung der Aufbauorganisation
in den Fakultäten und Instituten, Beschlüsse
über die Struktur- und Finanzplanung sowie
den Haushaltsvollzug umfassen und insoweit eine Professorenmehrheit
voraussetzen, erklärt es eine Reihe von
Bestimmungen des Vorschaltgesetzes bis hin zu Berufungskommissionen
für verfassungswidrig.
- Folgeentscheidungen bis 2000
Die Kernsätze dieser Entscheidung finden sich stereotyp
in Folgeentscheidungen zum hessischen59 und nordrheinwestfälischen
Hochschulgesetz,60 bei denen durchgängig
die Kompetenzabgrenzungen zwischen Leitungsämtern
und Kollegialorganen vom Grundsatz der Allzuständigkeit
der Kollegialorgane bestimmt sind. - Entscheidungen zu den Hochschulgesetznovellen ab
2000
Bereits im Urteil zu § 27 UG NRW61 hat das BVerfG die
Tendenz erkennen lassen, die Kontrolldichte seiner Prüfungsmaßstäbe
zurückzunehmen und die Stärkung der
Leitungsorgane unter der Voraussetzung einer Rückbindung
an die Selbstverwaltungsorgane bei grundsätzlichen
Angelegenheiten für unbedenklich zu erklären.
a) BVerfGE 111, 333 — Brandenburgisches Hochschulgesetz
Erstmals hatte der 1. Senat des BVerfG mit Beschluss
vom 26.4.200462 über Verfassungsbeschwerden gegen
das 1999 novellierte Brandenburgische Hochschulgesetz
die Verfassungsmäßigkeit eines Landesgesetzes “neuen
Typs“ zu entscheiden.
Angriffspunkt der Verfassungsbeschwerde sind insbesondere
die weit reichenden Entscheidungskompetenzen
des Präsidenten bei der Wahl der Dekane, der Ressourcenzuweisung
an die Fakultäten bei der Auflösung
von Instituten, die Mitwirkung des als hochschulübergreifenden
Landeshochschulrates bei der Strukturplanung
und Wahl des Präsidenten, die fehlende Vertretung
der Fachbereiche im Senat und die Kompetenzen des
Dekans für die Koordination von Forschung und Lehre
sowie für die fakultätsinterne Ressourcenverteilung.
Die materiellen Prüfungsmaßstäbe liegen im Grundansatz
auf der Linie der Rechtsprechung seit dem Niedersachsenurteil.
Aus der objektiv-rechtlichen Pflicht
des Staates, für funktionstüchtige Institutionen eines
freien Wissenschaftsbetriebes zu sorgen, erwächst ein
Recht auf Maßnahmen organisatorischer Art, die dafür
unerlässlich sind, anders gewendet auf eine wissenschaftsadäquate
Organisation.
Dafür bleibt dem Gesetzgeber aber ein erheblicher
Gestaltungsspielraum. Die Grenze dafür ist erst überschritten,
wenn durch Organisationsnormen die Aufgabenerfüllung
strukturell, also nicht individuell gefährdet
ist. Deutlicher als in den vorausgehenden Entscheidungen
wird aber unter der Voraussetzung eines hinreichenden
Maßes organisatorischer Selbstbestimmung der
Grundrechtsträger die Prärogative des parlamentarischen
Gesetzgebers vor der Selbstverwaltung betont, die
Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und der Interessen
der Beteiligten unter Wahrung seiner gesamtgesellschaftlichen
Verantwortung zum Ausgleich zu
bringen.
Dies umfasst die Kompetenz und die Pflicht des Gesetzgebers,
bisherige Organisationsformen kritisch zu
beobachten und zeitgerecht zu reformieren, neue Modelle
und Steuerungstechniken zu entwickeln und zu
erproben.
Dabei ist er nicht an überkommene hochschulorganisatorische
Strukturen gebunden, sondern frei, die Art
der Beteiligung der Grundrechtsträger durch direkte
59 BVerfGE 47, 327, bes. S. 403 ff.
60 BVerfGE 61, 261, 277ff.
61 BVerfGE 93, 85, 96 ff. Dies fand seine Fortsetzung im Beschluss
der 2. Kammer des 1. Senats zum SHHG, DVBl. 2001, 1137.
62 BVerfGE 111, 333.
Sandberger · Hochschulrechtsreform in Permanenz 1 7
oder repräsentative Beteiligung, Entscheidungs,- Mitwirkungs‑,
Aufsichts- Informations- oder Kontrollrechte
zu regeln, je nachdem welche Strukturen dem Gesetzgeber
für eine funktionsfähige Wissenschaftsverwaltung
geeignet erscheinen. Dafür steht dem Gesetzgeber die
Einschätzungsprärogative zu.
Der Kernsatz der Schlussfolgerung daraus lautet:
„Die zur Sicherung der Wissenschaftsadäquanz von
hochschulorganisatorischen Entscheidungen gebotene
Teilhabe muss nicht in jedem Fall im Sinne der herkömmlichen
Selbstverwaltung erfolgen. Auch hochschulexterne
Institutionen können dazu beitragen, einerseits
staatliche Steuerung wissenschaftsfreiheitssichernd
zu begrenzen, andererseits der Verfestigung von
Status quo- Interessen bei reiner Selbstverwaltung zu
begegnen.63
Dies ist zweifelsohne ein Paradigmenwechsel gegenüber
der bisherigen Rechtsprechung, in der die verfassungsrechtliche
Unbedenklichkeit von Modifikationen
rein kollegialer Selbstverwaltung stets mit dem Hinweis
der Legitimation und Rückbindung der Leitungsorgane
an die Selbstverwaltungsorgane begründet wurde.
Entscheidend war aber bei der Beurteilung des Gesetzes,
dass die Kompetenzen der Hochschulleitung und
des Dekans im Bereich von Forschung und Lehre nur
koordinierender Natur sind und Weisungsrechte in wissenschaftsrelevanten
Tätigkeiten, die über das durch die
Notwendigkeit des Zusammenwirkens von Grundrechtsträgern
notwendige Maß hinausgehen, nicht
bestanden.
b) BVerfGE 127, 87 ff. — Hamburger Dekanatsbeschluss
Im Fall des sog. Hamburger Dekanatsbeschlusses des
BVerfG vom 20.7.201064 stand aus verfahrensrechtlichen
Gründen nicht die zentrale, sondern die Leitungsorganisation
der Fakultät nach deren Umwandlung auf dem
verfassungsrechtlichen Prüfstand.
Diese Entscheidung greift zwar in ihrem Ausgangspunkt
auf die bisherigen Prüfungsmaßstäbe zurück,65
entwickelt diese aber in zwei wesentlichen Punkten mit
der Folge einer weitergehenden Kontrolldicht fort. Bei
der Beurteilung der Verfassungskonformität der Hochschulorganisation
ist das „Gesamtgefüge“ der Hochschulverfassung
in den Blick zu nehmen.“66 Das Gesamtgefüge
kann insbesondere dann verfassungswidrig
sein, wenn dem Leitungsorgan substantielle personelle
und sachliche Entscheidungsbefugnisse im wissenschaftsrelevanten
Bereich zugewiesen werden, dem mit
Hochschullehrern besetzten Vertretungsgremium im
Verhältnis hierzu jedoch kaum Kompetenzen und auch
keine maßgeblichen Mitwirkungs- und Kontrollrechte
verbleiben.“ Der Gesetzgeber hat die Option, die Verfassungswidrigkeit
entweder durch eine Rückverlagerung
der wissenschaftsrelevanten Entscheidungskompetenzen
auf die Kollegialorgane oder Stärkung von Mitwirkungs-
und Kontrollrechten zu vermeiden oder den mit
Professorenmehrheit besetzten Kollegialorganen einen
entscheidenden Einfluss bei der Wahl und der Abwahl
der Hochschulleitung einzuräumen.67
Bei der Beurteilung der auf das Dekanat übertragenen
Einzelkompetenzen hat das BVerfG vor allem die
abschließenden Entscheidungszuständigkeiten über die
Verteilung von Mitteln und Stellen und die Auffangzuständigkeit
in gesetzlich nicht explizit dem Fakultätsrat
zugewiesenen Angelegenheiten beanstandet, die nicht
durch geeignete gesetzliche Mitwirkungsmöglichkeiten
des Fakultätsrates oder die Möglichkeit vorzeitiger Abberufung
der Fakultätsleitung aus dem Amt kompensiert
war.68
c) BVerfGE 136, 338 ff. — MHH Hannover
Eine weitere Weichenstellung erfolgte durch den
Beschluss zur Leitungsorganisation der MHH Hannover
v. 24. Juni 201469 Der Beschluss führt den Ansatz der
Prüfung des Gesamtgefüges der Kompetenzverteilung
mit einem hochdifferenzierten Prüfungsraster fort.
Auf dem Prüfstand steht das Kompetenzgefüge zwischen
dem mit der Doppelfunktion als Leitung der
Hochschule und des Universitätsklinikums betrauten
Präsidium und dem Senat als deren zentralem Kollegialorgan
und dem Hochschulrat. Das zu prüfende Kompetenzgefüges
betrifft das Bestellungs- und Abberufungsverfahren
der Mitglieder der Hochschulleitung durch
Senat und Hochschulrat. Des Weiteren sind Prüfungsgegenstand
die Zuständigkeit und Verfahren der Abstimmung
der Belange von medizinischer Forschung, Lehre
und Krankenversorgung zwischen den Vorstandsmitgliedern
für Forschung und Lehre, Krankenversorgung
und Haushalt. Gegenstand der weiteren Prüfung ist die
Frage hinreichender Kompensation von Entscheidungszuständigkeiten
des Präsidiums und seiner Mitglieder
durch Mitwirkungs‑, Kontroll- und Abwahlrechte des
Senats. Gegenüber der bisherigen Rechtsprechung wird
neben dem hochdifferenzierten Prüfungsraster der Kreis
63 Rn. 141.
64 BVerfG 127, 87 ff.
65 Entscheidungsgründe, Rn. 88 ff.
66 Leitsatz 2 und Entscheidungsgründe Rn. 95 ff.
67 Entscheidungsgründe
68 Entscheidungsgründe, Rn. 118 ff.
69 BVerfG 136, 338 ff.
1 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 1 — 2 2
wissenschaftsrelevanter Entscheidungen über den Kernbereich
wissenschaftlicher Forschung und Lehre auf
Entscheidungen über die Struktur- und Entwicklungsplanung,
den Abschluss von Zielvereinbarungen, die
Aufstellung und den Vollzug des Haushalts und Organisationsentscheidungen
über die Einrichtung, Zusammenlegung
und Aufhebung wissenschaftlicher Einrichtungen
und Einrichtungen der Krankenversorgung erweitert.
Zugleich entwickeln die Entscheidungsgründe
weitergehende Kriterien, für welche Gegenstände Mitwirkungs-
und Kontrollrechte des Senats als verfassungsrechtlich
hinreichende Kompensation angesehen
werden können und welche abschließender Entscheidungskompetenzen
des Senats bedürfen.
Eine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit
sieht das BVerfG in den nicht hinreichenden Mitwirkungsbefugnissen
des Senats an den Entscheidungen
des Vorstands über den Wirtschaftsplan (§ 63e Abs. 2
Nr. 3 NHG), und die Aufteilung der Sach‑, Investitionsund
Personalbudgets auf die Organisationseinheiten
(§ 63e Abs. 2 Nr. 10 NHG), sowie über die Bereitstellung
von Mitteln für zentrale Lehr- und Forschungsfonds
(§ 63e Abs. 2 Nr. 11 NHG).70
„Grundlegende ökonomische Entscheidungen wie
diejenige über den Wirtschaftsplan einer Hochschule
sind nicht etwa wissenschaftsfern, sondern angesichts
der Angewiesenheit von Forschung und Lehre auf die
Ausstattung mit Ressourcen wissenschaftsrelevant.
Haushalts- und Budgetentscheidungen müssen die verfassungsrechtlich
in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG garantierten
Anforderungen an den Schutz der Wissenschaftsfreiheit
hinreichend beachten. Dennoch hat der Gesetzgeber bei
der Entscheidung über den Wirtschaftsplan neben dem
Vetorecht des Vorstandsmitglieds für Wirtschaftsführung
und Administration kein Vetorecht zugunsten des
Vorstands für Forschung und Lehre vorgesehen.“71
Die Zuweisung von Entscheidungsbefugnissen über
die Organisation und Weiterentwicklung von Forschung
und Lehre nach § 63e Abs. 4 S. 1 Nr. 1 NHG an das zuständige
Mitglied des Vorstands hält nach Auffassung
des Gerichts im hier maßgeblichen Gesamtgefüge einer
verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand.
Desgleichen sei jedenfalls im vorliegenden Gesamtgefüge
die Entscheidungsbefugnis über die Aufteilung
der Mittel für Forschung und Lehre nach § 63e Abs. 4 S. 1
Nr. 2, § 63e Abs. 4 S. 1 Nr. 2 und 4 NHG zu beanstanden.
Auch hier entscheidet das Vorstandsmitglied lediglich
im Benehmen mit dem Senat und unterliegt, soweit ersichtlich,
keinen weiteren normativen Vorgaben (anders
als beispielsweise in Hamburg, wo die Grundsätze für
die Ausstattung und die Mittelverteilung vom Hochschulrat
beschlossen werden).72
Schließlich stößt aus der Sicht des BVerfG die Ausgestaltung
der Kreation des Leitungsorgans der Hochschule
bei der derzeitigen Ausgestaltung der Befugnisse des
Vorstands insofern auf verfassungsrechtliche Bedenken,
als das für Wirtschaftsführung und Administration zuständige
Vorstandsmitglied ohne hinreichende Mitwirkung
des Senats auf Vorschlag des externen Hochschulrats
im Einvernehmen mit dem für Forschung und Lehre
zuständigen Vorstandsmitglied bestellt wird.
Durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken
begegnet es schließlich, der Bestellung einer wie hier mit
weitreichenden Befugnissen ausgestatteten Hochschulleitung
ein Findungsverfahren vorzuschalten, in dem –
anders als nach dem für sonstige Hochschulen geltenden
§ 38 Abs. 2 S. 2 NHG – eine Mitwirkung der Wissenschaftler
und Wissenschaftlerinnen nicht hinreichend
gesichert ist.73
Im Ergebnis bedeutet dies zum einen das Erfordernis
einer personellen Legitimation bei der Wahl und Abwahl
von Mitgliedern des Leitungsorgan mit Zuständigkeiten
im Bereich wissenschaftsrelevanter Entscheidungen
durch das Selbstverwaltungsorgan als Repräsentationsorgan
der Grundrechtsträger, zum anderen die sachliche
Legitimation wissenschaftsrelevanter
Entscheidungen des Leitungsorgans durch Rückbindung
an das Selbstverwaltungsorgan oder gesetzliche Vorgaben
zum Schutze der Belange von Forschung und Lehre.
Zu den wissenschaftsrelevanten Entscheidungen gehören
neben der Bestellung und Abberufung des leitenden
ärztlichen Personals auch die Struktur- und Finanzplanung
sowie Entscheidungen über die Aufteilung des
Budgets für Forschung, Lehre und Krankenversorgung
und die Grundsätze der Mittelverteilung.
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts führt
damit die im Beschluss zur Fakultätsorganisation nach
Hamburgischen Hochschulgesetz erkennbare Tendenz
fort, die einerseits die Leitung einer Hochschule oder Fakultät
durch einen Vorstand (Rektorat, Präsidium, Dekanat)
für grundgesetzkonform erklärt, diese Leitungsorganisation
andererseits einer personellen und sachlichen
70 Beschluss vom 24.6.2014 – BVerfGE 136, 338 ff., 371 Rn. 70.
71 Beschluss vom 24.6.2014 – BVerfGE 136, 338 ff., 371 Rn. 71.
72 Beschluss vom 24.6.2014 – BVerfGE 136, 338 ff., 373 Rn. 76 u. 77.
73 Beschluss vom 24.6.2014 – BVerfGE 136, 338 ff., 375 Rn. 82 ff.
Sandberger · Hochschulrechtsreform in Permanenz 1 9
Legitimation durch die akademische Selbstverwaltung
unterwirft.
Die Organisation der Krankenversorgung (Vorstand,
Aufsichtsrat) ist davon nur insoweit betroffen, als es um
Entscheidungen im Schnittstellenbereich zu Forschung
und Lehre geht.
d) Urteil des VerfGH Baden-Württemberg v. 16.11. 2016
- HAW
Mit der 2015 eingeführten Landesverfassungsbeschwerde
eines Hochschullehrers einer Hochschule für Angewandte
Wissenschaften wurde der Verstoß der das 3.
HRÄG gestalteten Leitungsorganisation der Hochschulen
in Baden-Württemberg gegen die Selbstverwaltungsgarantie
des Art. 20 LV geltend gemacht. Da der größte
Teil der angegriffenen Vorschriften über die Kompetenzen
der Hochschul- und Dekanatsleitung durch das 3.
HRÄG unverändert geblieben waren, war die Verfassungsbeschwerde
nur zulässig, soweit das Wahl- und
Abwahlverfahren der Hochschulleitung betroffen war.
Gleichwohl nahm der VerfGH die Verfassungsbeschwerde
zum Anlass der Prüfung der gesetzlichen
Kompetenzzuweisungen in wissenschaftsrelevanten Fragen
zwischen den Leitungsorganen und Selbstverwaltungsorganen
auf zentraler und dezentraler Ebene, um
aus der Feststellung unzureichender Beteiligung der
Selbstverwaltungsorgane in Fortführung der Judikatur
des Bundesverfassungsgerichts und auf die Auslegung
des Art. 20 LV übertragen, die Notwendigkeit einer
Kompensation des bestimmenden Einflusses der Selbstverwaltungsorgane
auf die Wahl und Abwahl der Hochschul-
und Fakultätsleitung zu begründen.74 75
In Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht
weiten die Entscheidungsgründe den Begriff der
„Entscheidungen über wissenschaftsrelevante Fragen“,
an denen eine Letzt- oder Mitentscheidung der Selbstverwaltungsorgane
aus Art. 5 Abs. 3, 20 LV geboten ist,
über den Kernbereich der akademischen Angelegenheiten
und Satzungsangelegenheiten, Wahl- und Abwahl,
Berufung von Professoren auf Entscheidungen im Bereich
der Struktur- und Entwicklungsplanung, Funktionsbeschreibung
von Professuren, Bauplanung, Ausstattungspläne,
Abschluss von Hochschulverträgen, Qualitätssicherung,
Evaluation, Haushaltsaufstellung, Haushaltsvollzug
und Mittelverteilung, Abschluss von
Zielvereinbarungen, Grundstücks- und Raumverteilung,
Besoldungsfragen und Organisation der Hochschule
aus.
Den größten Teil der Entscheidungsgründe nimmt
eine umfassende Analyse der gesetzlichen Aufbauorganisation
und Ablaufprozesse von Entscheidungen einschließlich
der Abstufung von Mitentscheidungs- und
Mitwirkungskompetenzen im Verhältnis von Leitungsund
Selbstverwaltungsorganen ein. Obwohl nicht mit
der Verfassungsbeschwerde angegriffen, werden auch
die Zusammensetzung und die Kompetenzen des Hochschulrats
in wissenschaftsrelevanten Fragen und seine
Kompetenzen bei Wahl- und Abwahl der Hochschulleitung
einbezogen.76
Der Verfassungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg
verlangt in Abwandlung der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts zusätzlich, dass der Senat
als entscheidendes Wahlorgan mehrheitlich von gewählten
Mitgliedern der Professorengruppe zusammengesetzt
sein und Wahl- und Abwahl der Hochschulleitung
von einer Professorenmehrheit getragen sein muss.77
Die Entscheidungsgründe münden in die Feststellung,
dass die bestehende Kompetenzverteilung zwischen
Leitungsorganen und Selbstverwaltungsorganen
den Anforderungen an die durch Art. 20 LV, Art. 5 Abs. 3
GG gebotene Mitwirkung der Grundrechtsträger nicht
genügt. Ebenso wenig sei in dem bisherigen Wahl- und
Abwahlverfahren deren bestimmender Einfluss
gewährleistet.78
Dementsprechend wurden § 18 Abs. 1 bis 3, 5 S. 1 bis 4
und Abs. 6 S. 1 und 5 des LHG mit Art. 20 Abs. 1 der Landesverfassung
für unvereinbar erklärt.
74 VerfGH BW, Urt. v. 14.11.2016, VB 16/15, ESVGH 67, 124 (Leitsatz),
WissR 2016, 302–332 (Leitsatz und Gründe); dazu Michael
Fehling, Unzureichende Kompetenzen des Senats im reformierten
Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg? – Anmerkungen
zum Urt. des VerfGH BW vom 14.11.2016, OdW 2017, 63 ff.;
Helmut Goerlich und Georg Sandberger, Zurück zur Professoren-
Universität? – Neue Leitungsstrukturen auf dem verfassungsrechtlichen
Prüfstand – Zum Urt. des Verfassungsgerichtshofs für
das Land Baden-Württemberg, vom 14.11.2016, DVBl. 2017, 667
ff.; Friedhelm Hufen, JuS 2017, 279–281 (Anmerkung); Hendrik
Jacobsen, VBlBW 2017, 69–70 (Anmerkung); Jörg Ennuschat,
RdJB 2017, 34–46 (Entscheidungsbesprechung); Timo Rademacher/
Jens-Peter Schneider, Die „Hochschullehrermehrheit“ des
§ 10 Abs. 3 LHG in der Rechtsprechung des baden-württembergischen
Verfassungsgerichtshofs, VBlBW 2017, 155 ff; zur
Beurteilung der Leitungsorganisation vor dem Urt. des VerfGH
Thomas Würtenberger, Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen
der Hochschulleitung im LHG von Baden-Württemberg, OdW
2016, 1 ff.
75 Entscheidungsgründe unter E II, Rn. 93 ff. Dazu Helmut Goerlich
und Georg Sandberger, Zurück zur Professoren-Universität? - Neue Leitungsstrukturen auf dem verfassungsrechtlichen
Prüfstand- Zum Urt. des Verfassungsgerichtshofs für das Land
Baden-Württemberg, vom 14.11.2016, DVBl. 2017, 667 ff.
76 Entscheidungsgründe unter E II, Rn. 142 ff.
77 Entscheidungsgründe unter E II, Rn.158.
78 Entscheidungsgründe unter E II, Rn. 163 ff.
2 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 1 — 2 2
Dem Gesetzgeber wurde eine Frist auferlegt, die verfassungswidrigen
Regelungen über das Wahl- und Abwahlverfahren
bis zum 31.3.2018 durch eine verfassungskonforme
Neuregelung zu ersetzen.79 Der VerfGH ließ
dabei die Option offen, statt der „Kreation und Abberufung
der Rektoratsmitglieder“ die Sachentscheidungsbefugnisse
der Hochschullehrer im Senat anzupassen.
Ebenso hält es der VerfGH für möglich, statt einer Änderung
der Zusammensetzung des Senats die Abstimmungsregelungen
mit der Hochschulleitung so zu ändern,
dass ein bestimmender Einfluss der gewählten
Hochschullehrer gesichert wird.80
e) Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts v.
5.2. 2020 — Duale Hochschule81
Eine bereits 2014 beim BVerfG eingereichte Verfassungsbeschwerde
eines Hochschullehrers der DHBW richtete
sich zunächst gegen die Änderungen des LHG durch das
- HRÄG. Nach dem Urteil des VerfGH v. 16.11.2016 wurde
die Verfassungsbeschwerde modifiziert und richtete
sich, erweitert um Verfassungsbeschwerden von 80 weiteren
Beschwerdeführern, gegen § 18 Abs. 2 S. 3 bis 6
und Abs. 5 S. 1 bis 4, § 18a und § 16 Abs. 3 S. 2 Nr. 15 LHG,
hilfsweise gegen § 27a Abs. 3 S. 1 bis 4, Abs. 4 S. 6 bis 7
LHG i.d.F. des 3. HRÄG sowie § 27e Landeshochschulgesetz
HRWeitEG.
Die Verfassungsbeschwerde wurde z.T. wegen Unzulässigkeit,
in der Sache aber wegen mangelnder grundsätzlicher
Bedeutung nicht angenommen.
Dennoch enthalten die Entscheidungsgründe des Beschlusses
eine zusammenfassende Darstellung der bisherigen
Judikatur des Gerichts zum Hochschulverfassungsrecht
und grundsätzliche Hinweise zur Verfassungskonformität
der auch für andere Hochschulen geltenden
zentralen Leitungsorganisation und der
dezentralen Leitungsorganisation der DHBW. Zugleich
setzt sich das Gericht in einigen Punkten von der Entscheidung
des VerfGH v. 16.11.2016 ab:
Am Anfang der Entscheidungsgründe stellt der Beschluss
klar, dass die Repräsentation der Hochschullehrer
in Selbstverwaltungsgremien nur durch von diesen
gewählte Vertreter, sich nicht aus der bisherigen Rechtsprechung
des BVerfG ergäbe.82 Bestätigt wird dies
durch die Bezugnahme auf die Formulierungen vorausgehender
Entscheidungen, dass „für die Beurteilung
der nötigen Mitwirkung der Einfluss der wissenschaftlich
Tätigen beziehungsweise der Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler insgesamt entscheidend“ sei.83
In einer Gesamtschau der Zuständigkeiten zum
Wahlverfahren und der Abstimmung der Entscheidungsbefugnisse
zwischen kollegialen Selbstverwaltungsorganen
und Leitungsorganen kommt der Beschluss
zum Ergebnis, dass das Gesamtgefüge der Organisation
der DHBW den Anforderungen des BVerfG an
die Kompensation von Leitungskompetenzen der Hochschulleitung
durch Mitwirkungsprozesse, Kontrollrechte,
Wahl- und Abwahlverfahren der Selbstverwaltungsgremien
unter maßgeblichem Einfluss der Hochschullehrer
als Grundrechtsträger genügt.84
Beim Wahl- und Abwahlverfahren sieht der Beschluss
durch die Neufassung des § 18 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5
und § 10 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 S. 2 Nr. 1 LHG
den hinreichenden Einfluss der Hochschullehrer auf die
Wahl- und Abwahl gesichert.85
Nach einer Analyse der Entscheidungs- und Abstimmungsprozesse
zwischen Hochschulleitung und Senat in
wissenschaftsrelevanten Angelegenheiten, wie den
Struktur- und Entwicklungsplänen, der Vorbereitung
und dem Abschluss von Hochschulverträgen, Funktionsbeschreibungen
von Professuren, Berufungen, Haushalts-
und Budgetentscheidungen, Satzungen sowie der
bestehenden Berichtspflichten der Hochschulleitung
und Informationsrechte des Senats sieht die Kammer die
vom BVerfG aufgestellten Grundsätze für eine wissenschaftskonforme
Organisation gewahrt.
Die Entscheidungsgründe zum Wahlverfahren der
Hochschulleitung, zum Verhältnis von Entscheidungskompetenzen
zwischen Hochschulleitung und Senat
betreffende Bestimmungen, gelten nicht nur für die
DHBW, sondern für alle Hochschulen. Sie setzen sich
zugleich von der Bewertung der umfangreichen obiter
dicta des baden-württembergischen VerfGH zum Zusammenspiel
der Entscheidungskompetenzen und Abstimmungsverfahren
zwischen Hochschulleitung und
Selbstverwaltungsremien ab. Das bedeutet, dass es bei
der Frage der Leitungsorganisation bei der jetzigen Regelung
des baden-württembergischen HRWeitEG bleiben
kann.
79 Entscheidungsgründe unter E II, Rn. 170.
80 Entscheidungsgründe unter E II, Rn. 169.
81 1 BvR 1586/14, vgl. dazu die Entscheidungsanalyse von R. Penßel,
Zu den Anforderungen der Wissenschaftsfreiheit an die Rechtsstellung
des kollegialen Selbstverwaltungsorgans — Anmerkungen
zu den Nichtannahmebeschlüssen des Bundesverfassungsgerichts
vom 5.2. und 6.3.2020, OdW 2020, 253 ff.
82 Entscheidungsgründe, Rn. 8.
83 Entscheidungsgründe, Rn. 15, 19.
84 Entscheidungsgründe, Rn. 15 ff.
85 Entscheidungsgründe, Rn. 27.
Sandberger · Hochschulrechtsreform in Permanenz 2 1
Ein in den Entscheidungsgründen und im Ergebnis
weitgehend gleichlautender Beschluss ist am 6. März
1920 zum Niedersächsischen Hochschulgesetz idF. von
2015 ergangen.86
VI. Fazit
Die Entwicklungsgeschichte des Hochschulorganisationsrechtes
in den Bundesländern weist trotz erkennbarer
gemeinsamer Strukturen, bezogen auf den Rechtsstatus
der Hochschulen, auf den Grad der Organisations‑,
Satzungs- und Finanzautonomie und der
Binnenorganisation, ein heterogenes Bild auf. Die Aufgabe
des Doppelstatus der Hochschulen als Körperschaft
und staatliche Einrichtung in einigen Bundesländern ist
ohne Einschränkung der Aufsichtsrechte und ohne Stärkung
der internen Autonomie nicht zielführend. Von der
in Aussicht genommenen Deregulierung ist wenig zu
erkennen. Der Autonomiegewinn liegt vorrangig in der
Finanzwirtschaft. Die gewonnene Flexibilität wird mit
dem Risiko unterfinanzierter Haushalte erkauft.
Ein Urteil über den Erfolg der Organisationsreformen
ist von den dabei anzulegenden Maßstäben und
dem jeweiligen Blickwinkel abhängig.
Aus externer Sicht und aus der Sicht der Hochschulleitungen
und der sie repräsentierenden HRK wird als
wesentlicher Erfolg die Stärkung der Strategiefähigkeit
der Hochschulen angesehen, die als Voraussetzung maßgeblich
zum Gelingen der Exzellenzinitiative beigetragen
hat. Dieser Zusammenhang wird auch durch den
Imboden-Bericht betont, der in diesem Zusammenhang
zu geringe Reformbereitschaft im deutschen Hochschulsystem
anmahnt, von einer Baustelle spricht, aber auch
die Wirkungen der Exzellenzinitiative für die Verbesserung
der Leitungsstrukturen würdigt.87
Dem steht die Sicht der durch die Verschiebung der
Entscheidungskompetenzen um ihre Mitwirkungsmöglichkeiten
besorgten Mitglieder der Universität gegenüber.
Aus dieser Sicht besteht der Autonomiegewinn der
Hochschulen nur in einem Autonomiegewinn der Hochschulleitungen.
88 Aus dieser Perspektive stellt sich die
Organisationsreform als eine Gefährdung ihrer wissenschaftlichen
Tätigkeit dar, die mit einem bis zur Indolenz
reichenden Motivationsverlust verbunden sein kann.
Diese Einwände haben Gewicht. Gute Führung einer
Hochschule kann nur gelingen, wenn sich die Hochschulleitung
bei der Ausübung ihrer Leitungsaufgabe
von den Prinzipien der Wissenschaft leiten lässt, sich
ständig um Einvernehmen in der Bestimmung und Verwirklichung
der Ziele bemüht, dabei wechselseitiges
Vertrauen, Loyalität und Offenheit untereinander praktiziert,
sich der durch weitgehende Freiheiten der Mitglieder
und vom Wesen der Wissenschaft bestimmten
Struktur einer wissenschaftlichen Hochschule bewusst
ist, diese in angemessener Weise an den Entscheidungen
teilhaben lässt und Wissenschaft mit wissenschaftskonformen
Mitteln unterstützt.
Mit dem „neuen Leitbild“ wurde das bisher die Hochschulorganisation
beherrschende Kollegialprinzip durch
eine das angemessene Maß überschreitende Hierarchisierung
abgelöst. Verstärkt wird diese durch die Einführung
von Hochschulräten, deren personelle Legitimation
in einigen Bundesländern nicht auf Wahl- und Bestellungsakten
der Kollegialorgane beruht. Der Judikatur
des Bundesverfassungsgerichts ist es zu verdanken, dass
im Zuge der Entwicklung die Balance zwischen den
Kompetenzen der Leitungsorgane, Mitwirkung und
Kontrolle der Kollegialorgane bei grundsätzlichen wissenschaftsrelevanten
Entscheidungen wiederhergestellt
wurde.
Universitätskanzler a.D. Prof. Dr. Dr. h.c. Georg Sandberger,
Juristische Fakultät der Universität Tübingen.
86 BVerfG Beschluss v. 6.3.2020, 1 BvR 2862/16, Rn. 7 ff. und 12 ff.
87 Evaluation der Exzellenzinitiative, Endbericht der internationalen
Expertenkommission, 2016, S. 20 ff.
88 So die Formulierung von Ch. Scholz und Volker Stein, Sag mir wo
die Uni ist…, Eine Systemdiagnose am Rande der Resignation,
F&L 2015, S. 552. Darauf nimmt W. Löwer, in Festschrift Lynen
2018, S. 194, Bezug.
2 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 1 — 2 2