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I. Aus­gangs­punkt
Die Ära des Deut­schen Kai­ser­reichs sah die end­gül­ti­ge deutsch­land­wei­te Eta­blie­rung des in sei­nen Ursprün­gen bis zu den Uni­ver­si­tä­ten Hal­le (gegr. 1694) und Göt­tin­gen (gegr. 1737) zurück­rei­chen­den Modells der For­schungs­uni­ver­si­tät, d. h. einer Bil­dungs­ein­rich­tung, in der die Wei­ter­ga­be von Wis­sen wesens­mä­ßig mit der Pro­duk­ti­on neu­en Wis­sens ver­eint ist. Die­se Ver­ei­ni­gung unter­schei­det die moder­ne von der vor­mo­der­nen Uni­ver­si­tät, deren Lehr­kräf­te zwar neu­es Wis­sen her­vor­brin­gen konn­ten, es aber nicht muss­ten und in der Regel auch nicht taten. Sie erfüll­ten die Rol­len­er­war­tung mit der Bewah­rung, Ord­nung und Ver­mitt­lung von tra­dier­tem Wissen,1 wes­halb die wesent­lichs­te Vor­aus­set­zung für ihr Amt eine gedie­ge­ne Gelehr­sam­keit war. Erst mit der all­mäh­li­chen Durch­set­zung des For­schungs­im­pe­ra­tivs, der sich gegen Ende des 18. Jahr­hun­derts in Preu­ßen her­aus­zu­bil­den begann,2 sahen sich Uni­ver­si­täts­do­zen­ten im Ver­lauf des 19. Jahr­hun­derts der Erwar­tung aus­ge­setzt, sich nicht nur ihrer tra­di­tio­nel­len Funk­ti­on als Ver­mitt­ler über­kom­me­nen Wis­sens zu wid­men, son­dern sich dar­über hin­aus an der „Pro­duk­ti­on spe­zia­li­sier­ten neu­en Wis­sens im Rah­men einer wis­sen­schaft­li­chen Disziplin“3 zu beteiligen.4
Mit der alten Auf­ga­be der Wei­ter­ga­be von Wis­sen soll­te die neue Auf­ga­be, „selbst an der Wis­sen­schaft zu arbei­ten“, dem Ide­al nach dahin­ge­hend ver­bun­den sein, dass die Pro­fes­so­ren mit ihrer auf dem aktu­el­len Wis­sens­stand ihres Faches auf­bau­en­den Lehr­tä­tig­keit in der Lage waren, ihre „Schü­ler zum wis­sen­schaft­li­chen Den­ken anzu­lei­ten [und] wenn mög­lich auch zur Mit­ar­beit an der wis­sen­schaft­li­chen For­schung her­an­zu­zie­hen“, wie es der Ber­li­ner Päd­ago­ge und Phi­lo­soph Fried­rich Paul­sen im Jahr 1898 formulierte.5
Als Ort der Ver­wirk­li­chung die­ses Ide­als einer Leh­re, in der „nicht die blos­se Tra­di­ti­on, son­dern die Anlei­tung zur selb­stän­di­gen Her­vor­brin­gung der Erkennt­nis“ das Ziel ist,6 galt (und gilt) in ers­ter Linie die sich um 1800 von ihrer ursprüng­li­chen pro­pä­deu­ti­schen Funk­ti­on eman­zi­pie­ren­de phi­lo­so­phi­sche Fakul­tät. In die­ser im 19. Jahr­hun­dert sowohl Geis­tes- als auch Natur­wis­sen­schaf­ten umfas­sen­den Fakul­tät trat nach Ansicht von Paul­sen der Cha­rak­ter der „deut­schen Uni­ver­si­tät“ als „Pflanz­schu­le der wis­sen­schaft­li­chen For­schung“ vor­zugs­wei­se zuta­ge, wäh­rend in den drei auf die Aus­bil­dung von Prak­ti­kern gerich­te­ten Fakul­tä­ten für Theo­lo­gie, Recht und Medi­zin „natur­ge­mäß […] die Über­lie­fe­rung und Ein­prä­gung von Wis­sen, das für die tech­ni­sche Aus­stat­tung des Berufs erfor­der­lich ist“, die grö­ße­re Rol­le spiele.7 Des­halb wer­de in die­sen Fakul­tä­ten auf die Lehr­be­ga­bung der Pro­fes­so­ren „erheb­lich grö­ße­rer Nach­druck“ gelegt als in den phi­lo­so­phi­schen, wo nicht der Lehr­erfolg, son­dern die wis­sen­schaft­li­che Leis­tung das Kri­te­ri­um
Frank Zei­ler
Juris­ten­lehr­an­stalt oder „For­schungs­fa­kul­tät“?
Zur Rol­le der uni­ver­si­tä­ren For­schungs­ori­en­tie­rung in juris­ti­schen Fakul­tä­ten zur Zeit des
Deut­schen Kai­ser­reichs am Bei­spiel der Frei­bur­ger Rechts­fa­kul­tät
1 Sie­he zu den unter­schied­li­chen Rol­len von Pro­fes­so­ren im Lauf der Geschich­te Moraw, Der deut­sche Pro­fes­sor vom 14. bis zum 20. Jahr­hun­dert, in: ders., Gesam­mel­te Bei­trä­ge zur deut­schen und euro­päi­schen Uni­ver­si­täts­ge­schich­te, Leiden/Boston 2008, S. 353 ff.
2 Vgl. hier­zu etwa Tur­ner, The Prus­si­an Pro­fes­so­ria­te and the Rese­arch Impe­ra­ti­ve 1790–1840, in: Jahnke/Otte (Hg.), Epis­te­mo­lo­gi­cal and Social Pro­blems of the Sci­en­ces in the Ear­ly Nine­te­enth Cen­tu­ry, Dordrecht/Boston/London 1981, S. 109 ff.
3 Lund­green, Mythos Hum­boldt in der Gegen­wart, in: Ash (Hg.), Mythos Hum­boldt. Ver­gan­gen­heit und Zukunft der deut­schen Uni­ver­si­tät, Wien/Köln/Weimar 1999, S. 157.
4 Vgl. zum Pro­zess des Rol­len­wan­dels des Pro­fes­sors von einem sich durch umfas­sen­de Gelehr­sam­keit aus­zeich­nen­den Leh­rer zum spe­zia­li­sier­ten Wis­sen­schaft­ler, der durch die akti­ve Teil­nah­me am Pro­zess der Wis­sens­ge­ne­rie­rung in sei­ner Dis­zi­plin cha­rak­te­ri­siert ist, z. B. Baum­gar­ten, Pro­fes­so­ren und Uni­ver­si­täts­pro­fi­le im Humboldt’schen Modell 1810–1914, in: Schwin­ges (Hg.), Hum­boldt Inter­na­tio­nal. Der Export des deut­schen Uni­ver­si­täts­mo­dells im 19. und 20. Jahr­hun­dert, Basel 2001, S. 107 f.
5 Paul­sen, Die aka­de­mi­sche Lehr­frei­heit und ihre Gren­zen, in: Preu­ßi­sche Jahr­bü­cher, Bd. 91 (1898), S. 515.
6 Paul­sen, Die deut­schen Uni­ver­si­tä­ten und das Uni­ver­si­täts­stu­di­um, Ber­lin 1902, S. 204.
7 Paul­sen, Wesen und geschicht­li­che Ent­wick­lung der deut­schen Uni­ver­si­tät, in: Lexis (Hg.), Die deut­schen Uni­ver­si­tä­ten, 1. Bd., Ber­lin 1893, S. 39.
Ord­nung der Wis­sen­schaft 2021, ISSN 2197–9197
2 4 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 4 3 — 2 5 0
8 Ebd., S. 66 f.
9 Paul­sen, Die deut­sche Uni­ver­si­tät als Unter­richts­an­stalt und als
Werk­stät­te der wis­sen­schaft­li­chen For­schung, in: ders., Gesam­mel­te
Päd­ago­gi­sche Abhand­lun­gen, Stuttgart/Berlin 1912, S. 93 f.
10 Palet­schek, Die per­ma­nen­te Erfin­dung einer Tra­di­ti­on. Die Uni­ver­si­tät
Tübin­gen im Kai­ser­reich und in der Wei­ma­rer Repu­blik,
2001, S. 9.
11 Die fol­gen­den Aus­füh­run­gen basie­ren auf Zei­ler, Sta­tik und
Wan­del. Die Frei­bur­ger Rechts­fa­kul­tät im uni­ver­si­tä­ren Expan­si­ons­pro­zess
des Deut­schen Kai­ser­reichs, Freiburg/München
2009; dort fin­den sich detail­lier­te Nach­wei­se sowohl der
archi­va­li­schen Quel­len als auch der Sekun­där­li­te­ra­tur. Für
bio­gra­phi­sche Anga­ben zu den im Text erwähn­ten Frei­bur­ger
Dozen­ten wird ver­wie­sen auf: Zei­ler, Bio­gra­phi­sche Skiz­zen
zum Lehr­kör­per der Frei­bur­ger Rechts­fa­kul­tät, 2008, URN:
urn:nbn:de:bsz:25opus58711.
für die Aus­wahl der Lehr­kräf­te sei.8 Mit­hin stand für
Paul­sen zwar nicht in Zwei­fel, dass auch die Dozen­ten
der juris­ti­schen Fakul­tät ent­spre­chend der Dop­pel­funk­ti­on
der Uni­ver­si­tät als „Unter­richts­an­stalt und als Werk­stät­te
der wis­sen­schaft­li­chen For­schung“ sowohl Leh­rer
als auch For­scher zu sein hat­ten, er ging aber davon aus,
dass hier die Auf­ga­be der Wei­ter­ga­be von Wis­sen gegen­über
jener der Wis­sens­er­zeu­gung ein­deu­tig den Vor­rang
genie­ße. Auch nahm er an, dass die Ver­mitt­lung der Fähig­keit,
wis­sen­schaft­lich zu arbei­ten, in der juris­ti­schen
Fakul­tät am schwers­ten zu errei­chen sei, weil die „Last
des eigent­li­chen Ler­nens […] nir­gends so gross“ sei wie
dort.9 Dem­nach war die juris­ti­sche Fakul­tät in Paul­sens
Ein­schät­zung eher eine „Unter­richts­an­stalt“ denn eine
„For­schungs­werk­statt“, wie er sie, urteilt man nach sei­nen
Beschrei­bun­gen, in der phi­lo­so­phi­schen Fakul­tät in
Rein­form ver­wirk­licht sah.
Im Fol­gen­den soll die­se – im Hin­blick auf die phi­lo­so­phi­sche
Fakul­tät zwei­fel­los idea­li­sie­ren­de – zeit­ge­nös­si­sche
Cha­rak­te­ri­sie­rung des Zustan­des der deut­schen
Uni­ver­si­tä­ten und ihrer Rechts­fa­kul­tä­ten zum Aus­gangs­punkt
genom­men wer­den, um einen klei­nen Bei­trag
zur „Rekon­struk­ti­on der ‚Real­ge­stalt‘ der deut­schen
Universität“10 im Hin­blick auf die uni­ver­si­täts­his­to­rio­gra­phisch
wenig beach­te­ten juris­ti­schen Fakul­tä­ten zu
leis­ten, indem anhand der Frei­bur­ger Rechts­fa­kul­tät unter­sucht
wird, wel­ches Gewicht dem For­schungs­im­pe­tus
bei der Beset­zung vakan­ter Pro­fes­su­ren zukam (II.), inwie­weit
er die Leh­re beein­fluss­te (III.) und ob durch ihn
stu­den­ti­sche Wis­sens­pro­duk­ti­on ange­regt wur­de (IV.). 11
II. Zur Rol­le der For­schungs­ori­en­tie­rung bei der
Beset­zung juris­ti­scher Pro­fes­su­ren
Die in der Ein­lei­tung beschrie­be­ne Dop­pel­funk­ti­on des
Pro­fes­sors wur­de in der Ära des Kai­ser­reichs von kei­ner
der an den Beset­zungs­ver­fah­ren für die Lehr­stüh­le der
Frei­bur­ger Rechts­fa­kul­tät betei­lig­ten Stel­len zu irgend­ei­ner
Zeit in Fra­ge gestellt – nicht vom badi­schen Kul­tus­mi­nis­te­ri­um,
das bereits 1870 an dem Fakul­täts­vor­schlag
für die Nach­fol­ge des Kano­nis­ten Emil Fried­berg bemän­gel­te,
dass der als Kan­di­dat ins Auge gefass­te Alfred Bore­ti­us
auf kir­chen­recht­li­chem Gebiet – dem Haupt­fach der
Pro­fes­sur – noch nicht publi­ziert habe, eben­so wenig
vom aka­de­mi­schen Senat, der 1872 bei der Nach­fol­ge für
den Straf­recht­ler Karl Bin­ding unter Hin­weis auf die
Bedeu­tung wis­sen­schaft­li­cher Leis­tun­gen die Nen­nung
eines in die­ser Hin­sicht nicht aus­ge­wie­se­nen Rechts­an­walts
als Kan­di­da­ten monier­te, und auch nicht inner­halb
der Fakul­tät, bei deren Kan­di­da­ten­su­che sich in die­sem
Fall – wie aus dem Brief­wech­sel von Bin­ding mit dem
zustän­di­gen Refe­ren­ten im badi­schen Kul­tus­mi­nis­te­ri­um
Wil­helm Nokk ent­nom­men wer­den kann – alles um
die „wis­sen­schaft­li­che Pro­duk­ti­vi­tät“ der in Fra­ge kom­men­den
Dozen­ten dreh­te. Auch sonst behan­del­ten die
Ordi­na­ri­en in ihren Beru­fungs­gut­ach­ten – soweit die­se
über­lie­fert sind – mit Aus­nah­me des inter­na­tio­nal
renom­mier­ten und damit über eine Begut­ach­tung erha­be­nen
Römi­sch­recht­lers Otto Lenel stets die Publi­ka­ti­ons­tä­tig­keit
der in Aus­sicht genom­me­nen Kan­di­da­ten,
woge­gen die Lehr­be­fä­hi­gung bis­wei­len gar nicht the­ma­ti­siert
wur­de. Wur­de sie the­ma­ti­siert, umfass­te die Beur­tei­lung
oft nur einen pau­schal auf Lehr­erfol­ge hin­wei­sen­den
Satz, was indes nicht bedeu­tet, dass die Fakul­tät
das Kri­te­ri­um der didak­ti­schen Fähig­kei­ten gering­schätz­te.
Soweit bei wis­sen­schaft­lich ähn­lich bewer­te­ten
Kan­di­da­ten die Lehr­gabe des einen erwie­se­ner­ma­ßen
grö­ßer war als die des ande­ren, kam ihr ohne­hin das ent­schei­den­de
Gewicht zu, und im Fall des 1902 vor allem
für die Abhal­tung von Übun­gen ein­ge­rich­te­ten Extra­or­di­na­ri­ats
für bür­ger­li­ches Recht stell­te die Lehr­be­fä­hi­gung
sogar das erst­ran­gi­ge Aus­wahl­kri­te­ri­um dar. Aber
auch bei der Beset­zung von ordent­li­chen Pro­fes­su­ren
gab sich die Fakul­tät wie­der­holt Mühe, dies­be­züg­li­che
Kennt­nis­se zu erlan­gen. Bei der Beset­zung des Lehr­stuhls
für bür­ger­li­ches Recht und Kir­chen­recht im Jahr
1896 sowie des Lehr­stuhls für Straf- und Pro­zess­recht im
Jahr 1913 reis­ten gar eigens zwei Emis­sä­re in das benach­bar­te
Basel, um die Lehr­tä­tig­keit des Kan­di­da­ten Ulrich
Stutz bzw. des Kan­di­da­ten Johan­nes Nag­ler in Augen­schein
zu neh­men, was sich dann in ver­gleichs­wei­se aus­führ­li­chen
The­ma­ti­sie­run­gen die­ses Kri­te­ri­ums in den
bei­den Beru­fungs­gut­ach­ten nie­der­schlug.
Gleich­wohl muss die wis­sen­schaft­li­che Leis­tung als
das für die Fakul­tät ent­schei­den­de Kri­te­ri­um ange­se­hen
wer­den. Denn sie wur­de im Gegen­satz zu den didak­ti­Zei­ler
· Juris­ten­lehr­an­stalt oder „For­schungs­fa­kul­tät“ 2 4 5
12 Das Kapi­tal die­ser Stif­tung bestand aus dem Ver­mö­gen des von
1874 bis zu sei­nem Tod im Jahr 1895 in Frei­burg leben­den schles­wig-
hol­stei­ni­schen Ver­wal­tungs­be­am­ten, Diplo­ma­ten und Abge­ord­ne­ten
Rudolf Schlei­den. Zweck der Stif­tung war die För­de­rung
der wis­sen­schaft­li­chen Arbeit auf dem Gebiet des Völ­ker­rechts
und der Staats­wis­sen­schaf­ten durch die all­jähr­li­che Aus­schrei­bung
einer Preis­auf­ga­be sowie die Errich­tung einer ordent­li­chen Pro­fes­sur
für Völ­ker­recht und Staats­wis­sen­schaf­ten an der Uni­ver­si­tät
Frei­burg, sobald die Erträ­ge des Stif­tungs­ka­pi­tals hier­für aus­reich­ten.
13 Ver­hand­lun­gen der Stän­de­ver­samm­lung des Groß­her­zog­tums Baden,
Pro­to­kol­le der ers­ten Kam­mer, 1913/14, Karls­ru­he 1914, S. 523.
schen Fer­tig­kei­ten in den Beru­fungs­gut­ach­ten (mit der
erwähn­ten Aus­nah­me von Lenel) stets ange­spro­chen
und über­dies fast immer zuerst abge­han­delt, so dass die
Aus­füh­run­gen zur Lehr­be­fä­hi­gung oft nur als ein Anhäng­sel
an die bis­wei­len recht aus­führ­li­chen Dar­le­gun­gen
zu den Publi­ka­tio­nen des Kan­di­da­ten erschei­nen.
Die­ser Umstand wur­de von kei­ner der an den Beru­fungs­ver­fah­ren
betei­lig­ten Stel­len jemals gerügt. Viel­mehr
wur­de zumin­dest in der End­pha­se des Kai­ser­reichs
augen­schein­lich die wis­sen­schaft­li­che Leis­tung allent­hal­ben
für so aus­ch­lag­ge­bend gehal­ten, dass sich die
Fakul­tät im Jahr 1914 bei der erst­ma­li­gen (letzt­lich erst
1919 mit einem ande­ren Kan­di­da­ten voll­zo­ge­nen) Beset­zung
der Stif­tungs­pro­fes­sur für Staats- und Völ­ker­recht
(sog. Schlei­den-Pro­fes­sur) zur Recht­fer­ti­gung der klei­nen
Zahl der von ihr vor­ge­schla­ge­nen Kan­di­da­ten zu
dem Hin­weis genö­tigt sah, sie habe schließ­lich „pflicht­ge­mäß“
neben der wis­sen­schaft­li­chen Arbeit „auch“ die
Lehr­gabe in Betracht zie­hen müs­sen; gleich­zei­tig setz­te
sie den 31-jäh­ri­gen Extra­or­di­na­ri­us Fritz Mar­schall von
Bie­ber­stein trotz einer posi­ti­ven Cha­rak­te­ri­sie­rung sei­ner
Lehr­tä­tig­keit aus­drück­lich nur als Füll­kan­di­da­ten
auf die Beru­fungs­lis­te, weil er „der­zeit“ man­gels eines
„über­zeu­gen­den Oeu­vres“ nur zu „Hoff­nun­gen“
berech­ti­ge.
Die­se Ein­schät­zung wur­de im groß­her­zog­li­chen Kul­tus­mi­nis­te­ri­um
allem Anschein nach unein­ge­schränkt
geteilt. Es gibt kei­ner­lei Hin­wei­se dar­auf, dass die Beru­fung
des wis­sen­schaft­lich bis­lang nur mit sei­ner (wenn
auch ver­schie­dent­lich gelob­ten) Habi­li­ta­ti­ons­schrift zur
Ver­ant­wort­lich­keit und Gegen­zeich­nung bei Anord­nun­gen
des obers­ten Kriegs­herrn her­vor­ge­tre­te­nen Mar­schall
von Bie­ber­stein dort jemals erwo­gen wur­de, obwohl
die Anstel­lung einer besol­dungs­tech­nisch „bil­li­gen“
Nach­wuchs­kraft die ein­zi­ge Mög­lich­keit gewe­sen wäre,
die Beset­zung des Lehr­stuhls mit den ver­gleichs­wei­se gerin­gen
Erträg­nis­sen der Schlei­den-Stif­tun­g12 zu finan­zie­ren.
Ganz im Gegen­teil lie­ßen die Ver­ant­wort­li­chen in
Karls­ru­he nichts unver­sucht, um mit dem von der Frei­bur­ger
Fakul­tät favo­ri­sier­ten 57-jäh­ri­gen Würz­bur­ger
Ordi­na­ri­us Chris­ti­an Meu­rer einen Pro­fes­sor zu gewin­nen,
der sich als einer der füh­ren­den Staats­kir­chen­recht­ler
sei­ner Zeit und einer Auto­ri­tät auf ver­schie­de­nen Gebie­ten
des Völ­ker­rechts eines mehr als „über­zeu­gen­den
Oeu­vres“ rüh­men konn­te, und sie waren dabei auch wie­der­holt
zu finan­zi­el­len Zuge­ständ­nis­sen bereit. Damit
kann davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass die im Jahr 1914
von dem His­to­ri­ker Ernst Fabri­ci­us als Ver­tre­ter der Albert-
Lud­wigs-Uni­ver­si­tät in der ers­ten Kam­mer der badi­schen
Land­stän­de getä­tig­te Aus­sa­ge, wonach der
„obers­te Grund­satz“ für die Aus­wahl von Pro­fes­so­ren
stets sei, nur die „wis­sen­schaft­lich bes­te Kraft“ zu berufen13,
zumin­dest zu die­sem Zeit­punkt auch für die juris­ti­sche
Fakul­tät als unein­ge­schränkt gül­tig ange­se­hen
wur­de.
III. Zur Rol­le der For­schungs­ori­en­tie­rung in der
juris­ti­schen Leh­re
Der Ort, an dem sich die Ver­bin­dung von For­schung
und Leh­re an den Uni­ver­si­tä­ten des Kai­ser­reichs vor­zugs­wei­se
rea­li­sier­te, waren die Semi­na­re und Insti­tu­te,
die gera­de­zu als eine Insti­tu­tio­na­li­sie­rung die­ses Prin­zips
gel­ten. Die Ein­rich­tung von Semi­na­ren setz­te sich
an deut­schen Uni­ver­si­tä­ten erst­mals in den 1870er Jah­ren
in brei­te­rem Umfang durch. Zuvor waren sie außer­halb
der klas­si­schen Phi­lo­lo­gie, die hier die Vor­rei­ter­rol­le
inne­hat­te, ledig­lich spo­ra­disch zu fin­den. Die phi­lo­lo­gi­schen
Semi­na­re dien­ten ursprüng­lich der
Leh­rer­aus­bil­dung, doch die­se Funk­ti­on wur­de im Lau­fe
der Zeit durch eine fach­wis­sen­schaft­li­che Aus­rich­tung
ver­drängt, deren Ziel es war, die Stu­den­ten zu selb­stän­di­gem
Den­ken zu erzie­hen und sie durch die Abfas­sung
eige­ner, im Semi­nar zu dis­ku­tie­ren­der phi­lo­lo­gi­scher
Arbei­ten metho­disch zu schu­len.
Die­se For­schungs­ori­en­tie­rung wur­de im juris­ti­schen
Bereich nur sel­ten über­nom­men. Hier stand im Zei­chen
der stets viru­len­ten Dis­kus­si­on um die Ver­bes­se­rung der
als man­gel­haft emp­fun­de­nen Aus­bil­dung der Stu­den­ten
für die juris­ti­sche Pra­xis von Anbe­ginn die Berufs­bil­dungs­funk­ti­on
im Vor­der­grund. Des­halb blie­ben for­schungs­ori­en­tier­te
Semi­na­re in juris­ti­schen Fakul­tä­ten
eine sel­te­ne Aus­nah­me. Hier domi­nier­ten all­ge­mei­ne
Fakul­täts­se­mi­na­re, an denen im Unter­schied zu den in
phi­lo­so­phi­schen Fakul­tä­ten vor­herr­schen­den spe­zia­li­sier­ten
„Ein­mann-Semi­na­ren“ alle Pro­fes­so­ren und Fächer
betei­ligt waren. Sie ziel­ten vor allem auf die Hebung
des Aus­bil­dungs­stan­des zukünf­ti­ger juris­ti­scher Prakti2
4 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 4 3 — 2 5 0
14 Paul­sen, Unter­richts­an­stalt (Fn. 9), S. 155.
15 So die For­mu­lie­rung von Fischer, Rechts­for­schung und Rechts­stu­di­um
im all­ge­mei­nen, in: Lexis, Uni­ver­si­tä­ten (Fn. 7), S. 296.
16 Brun­ner, Deut­sches Recht, in: Lexis, Uni­ver­si­tä­ten (Fn. 7), S. 323.
ker, wes­halb die semi­na­ris­ti­schen Lehr­ver­an­stal­tun­gen,
die sich in den juris­ti­schen Fakul­tä­ten vor allem nach
1900 ver­stärkt eta­blier­ten, ihren Schwer­punkt in Übun­gen
hat­ten, deren Ziel­set­zung gera­de nicht die Anlei­tung
zu „selb­stän­di­ger wis­sen­schaft­li­cher For­schung“
war, son­dern in der auf prak­ti­sche Ver­wert­bar­keit abge­stell­ten
Bear­bei­tung von Rechts­fäl­len lag. So zeig­te
sich für den Zeit­ge­nos­sen Paul­sen auch gera­de hier am
deut­lichs­ten der Unter­schied zwi­schen der juris­ti­schen
und der phi­lo­so­phi­schen Fakul­tät, weil in Letz­te­rer die
semi­na­ris­ti­schen Lehr­ver­an­stal­tun­gen einen „Cha­rak­ter
von Schu­len der wis­sen­schaft­li­chen For­schung“ auf­wei­sen
würden.14 Der­art weit­rei­chend konn­te die Ver­bin­dung
von For­schung und Leh­re in der juris­ti­schen
Fakul­tät ange­sichts ihrer unzwei­fel­haft vor­herr­schen­den
Funk­ti­on der Aus­bil­dung juris­ti­scher Prak­ti­ker
frei­lich nicht gel­ten, doch das Prin­zip rich­te­te sich ohne­hin
in ers­ter Linie an den wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuchs.
Und zumin­dest für ihn gab es auch in den
Rechts­fa­kul­tä­ten semi­na­ris­ti­sche Lehr­ver­an­stal­tun­gen,
die der „För­de­rung der eige­nen wis­sen­schaft­li­chen Tätig­keit“
dien­ten und „eige­nes For­schen und wis­sen­schaft­li­che
Pro­duk­ti­on“ anre­gen sollten.15
In Frei­burg lässt sich eine der­ar­ti­ge Lehr­ver­an­stal­tung
erst­mals Ende der 1880er Jah­re iden­ti­fi­zie­ren. Damals
wur­de durch den Pri­vat­do­zen­ten Las­sa Oppen­heim
eine als „Anlei­tung zu wis­sen­schaft­li­chen Arbei­ten
auf dem Gebiet des Kri­mi­nal­rechts“ bezeich­ne­te Lehr­ver­an­stal­tung
ange­bo­ten, deren Titel in die genann­te
Rich­tung weist. Über­dies scheint der Adres­sa­ten­kreis
in fort­ge­schrit­te­nen Stu­den­ten bestan­den zu haben,
denn die Ver­an­stal­tung fand, obwohl sich Inter­es­sen­ten
mel­de­ten, letz­ten Endes nicht statt, weil die Kennt­nis­se
der Bewer­ber als zu gering ange­se­hen wur­den. Danach
fin­det sich in den Vor­le­sungs­ver­zeich­nis­sen län­ge­re
Zeit kei­ne Lehr­ver­an­stal­tung mit einer ähn­li­chen Bezeich­nung,
wobei sich der Cha­rak­ter der ange­bo­te­nen
Übun­gen u. Ä. aus den Ankün­di­gun­gen nicht immer
klar erken­nen lässt. So hat bei­spiels­wei­se der seit 1875
in Frei­burg als Pro­fes­sor für deut­sches Recht wir­ken­de
Karl von Ami­ra Anfang der 1890er Jah­re zwei­mal eine
„ger­ma­nis­ti­sche Übung“ ange­bo­ten, die dem Titel nach
zu einem Typus gehört, dem der Ber­li­ner Rechts­his­to­ri­ker
Hein­rich Brun­ner im Jahr 1893 den Zweck zuschrieb,
eine klei­ne Zahl von Stu­den­ten in das selb­stän­di­ge
Stu­di­um der Rechts­quel­len ein­zu­füh­ren und zur
For­schung anzuregen.16 Ein­deu­ti­ger wird die Sache erst
Ende der 1890er Jah­re, als der Kir­chen­rechts­his­to­ri­ker
Ulrich Stutz sei­ne beson­de­ren wis­sen­schaft­li­chen Inter­es­sen
durch meh­re­re als „kir­chen­recht­li­che Semi­na­re“
beti­tel­te Quel­len­übun­gen in den semi­na­ris­ti­schen Unter­richt
ein­brach­te. Da Stutz, wie wei­ter unten gezeigt
wird, als Anre­ger kir­chen­recht­li­cher Arbei­ten her­vor­trat,
kann wohl ange­nom­men wer­den, dass ihm die­se
Lehr­ver­an­stal­tun­gen auch als Platt­form für den Kon­takt
mit fort­ge­schrit­te­nen und wis­sen­schaft­lich inter­es­sier­ten
Stu­den­ten dien­ten. Ähn­li­ches könn­te für den
Pri­vat­do­zen­ten Her­mann Kan­to­ro­wicz gel­ten, der sei­ne
Beschäf­ti­gung mit der mit­tel­al­ter­li­chen Rechts­wis­sen­schaft
in die Leh­re ein­flie­ßen ließ, indem er ent­spre­chen­de
Übun­gen anbot, die sich mit ihrem unge­wöhn­li­chen
Gegen­stand eben­falls kaum an die bloß examens­ori­en­tier­ten
Durch­schnitts­stu­den­ten gewandt haben
dürf­ten. Dar­über hin­aus hat Kan­to­ro­wicz im
Win­ter­se­mes­ter 1909/10 eine als „rechts­phi­lo­so­phi­sches
Semi­nar, für Juris­ten und Phi­lo­so­phen“ beti­tel­te Lehr­ver­an­stal­tung
abge­hal­ten, bei der es sich viel­leicht erst­mals
um ein Semi­nar im heu­te geläu­fi­gen Sin­ne des
Wor­tes han­del­te. Der zum Win­ter­se­mes­ter 1911/12 nach
Frei­burg gekom­me­ne Römi­sch­recht­ler Joseph Partsch
bot dann eben­falls als „Semi­na­re“ bezeich­ne­te Lehr­ver­an­stal­tun­gen
für „Vor­ge­rück­te“ sowie auf den Metho­den
der Inter­po­la­tio­nen­for­schung basie­ren­de Quel­len­ex­ege­sen
an, bei denen es sich um wis­sen­schaft­li­che Lehr­ver­an­stal­tun­gen
im oben genann­ten Sinn han­del­te.
Aber auch die nicht rechts­fall- oder examens­ori­en­tier­ten
Übun­gen ande­rer Pro­fes­so­ren wie die­je­ni­gen des
Straf- und Pro­zess­recht­lers Richard Schmidt oder des
Rechts­his­to­ri­kers und Kir­chen­recht­lers Alfred Schult­ze
wer­den wohl in die wis­sen­schaft­li­che Arbeit ein­ge­führt
haben, da auch bei ihnen Leh­rer-Schü­ler-Ver­hält­nis­se
und Anre­gun­gen zur Abfas­sung von Dis­ser­ta­tio­nen
iden­ti­fi­zier­bar sind, so dass es min­des­tens seit der Jahr­hun­dert­wen­de
auch in der juris­ti­schen Fakul­tät ver­stärkt
Unter­wei­sun­gen in die Metho­dik der wis­sen­schaft­li­chen
Arbeit gab.
Zei­ler · Juris­ten­lehr­an­stalt oder „For­schungs­fa­kul­tät“ 2 4 7
17 So die For­mu­lie­rung von Paul­sen, Geschich­te des gelehr­ten Unter­richts
auf den deut­schen Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten, Bd. 2, 2.
Aufl., Leip­zig 1897, S. 259, der an die­ser Stel­le erklärt, dass der­ar­ti­ge
Lehr­ver­an­stal­tun­gen nun­mehr auch in der juris­ti­schen Fakul­tät
exis­tie­ren wür­den.
IV. Zur Anre­gung stu­den­ti­scher Wis­sens­pro­duk­ti­on
Mit der all­mäh­li­chen Eta­blie­rung eines Typus von Lehr­ver­an­stal­tun­gen,
„in denen eigent­lich wis­sen­schaft­li­che
Stu­di­en getrie­ben werden“,17 erlang­te auch das drit­te Ele­ment
der uni­ver­si­tä­ren For­schungs­ori­en­tie­rung, die
Wis­sens­pro­duk­ti­on durch Stu­den­ten, eine grö­ße­re
Bedeu­tung. Über die in den ange­spro­che­nen Lehr­ver­an­stal­tun­gen
ver­fass­ten Stu­di­en­ar­bei­ten zu Übungs­zwe­cken
lässt sich frei­lich nichts aus­sa­gen, so dass die stu­den­ti­sche
Wis­sens­pro­duk­ti­on nur in Bezug auf Dis­ser­ta­tio­nen
und die Bear­bei­tung von Preis­auf­ga­ben genau­er
unter­sucht wer­den kann. Letz­te­res war ein im 19. Jahr­hun­dert
recht ver­brei­te­tes Mit­tel, um Stu­den­ten zur
Anfer­ti­gung wis­sen­schaft­li­cher Arbei­ten anzu­re­gen,
indem für die bes­te Bear­bei­tung eines von einer Fakul­tät
gestell­ten The­mas ein Preis­geld aus­ge­lobt wur­de. An der
Uni­ver­si­tät Frei­burg exis­tier­te zu die­sem Zweck die sog.
Jubi­lä­ums­stif­tung der Stadt Frei­burg, aus deren Erträg­nis­sen
jedes Jahr 160 RM als Preis für eine im tur­nus­mä­ßi­gen
Wech­sel von einer der vier Fakul­tä­ten gestell­ten
Auf­ga­be ver­wen­det wur­den. Dane­ben kam die juris­ti­sche
Fakul­tät nach der Errich­tung der Schlei­den-Stif­tung
im Jahr 1896 in den Genuss einer eige­nen, mit 1.000
RM dotier­ten Preis­auf­ga­be, die the­ma­tisch aller­dings auf
völ­ker­recht­li­che und staats­wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en
beschränkt war. Ein gro­ßer Erfolg war der­ar­ti­gen Preis­auf­ga­ben
indes nicht beschie­den, denn es sind sowohl
für die Jubi­lä­ums- als auch für die Schlei­den-Stif­tung
Fäl­le nach­weis­bar, in denen über­haupt kei­ne oder nur
eine ein­zi­ge Bear­bei­tung des gestell­ten The­mas ein­ging,
und bis­wei­len waren die ein­ge­reich­ten Arbei­ten von
einer so schlech­ten Qua­li­tät, dass kein Preis ver­ge­ben
wur­de. Erfolg­rei­cher war dage­gen ein 1903 von Ulrich
Stutz initi­ier­ter Kir­chen­rechts­preis, der frei­lich auf sei­ne
Per­son zuge­schnit­ten war und daher einer ande­ren Kon­zep­ti­on
folg­te als die Preis­aus­schrei­ben der Jubi­lä­ums­und
der Schlei­den-Stif­tung. Die­se wand­ten sich undif­fe­ren­ziert
an die Gesamt­heit der Stu­die­ren­den, wäh­rend
der stets als Anre­ger kir­chen­recht­li­cher Stu­di­en auf­tre­ten­de
Stutz sei­nen Preis gezielt für die För­de­rung eige­ner
Stu­den­ten ein­setz­te. Dazu bot sich ihm erst­mals 1901
eine Mög­lich­keit, als die Fakul­tät ihm für das Preis­aus­schrei­ben
der Jubi­lä­ums­stif­tung die Stel­lung einer Auf­ga­be
zum Kir­chen­pa­tro­nats­recht in Baden zubil­lig­te.
Die­se führ­te nach Stutz’ eige­nem Bekun­den zu einem
außer­ge­wöhn­li­chen Erfolg, weil die ein­ge­reich­ten Stu­di­en
nicht ledig­lich das Niveau stu­den­ti­scher Arbei­ten,
son­dern das ech­ter wis­sen­schaft­li­cher Unter­su­chun­gen
erreicht hät­ten. Des­halb woll­te er ein Jahr spä­ter erneut
ein bereits ins Auge gefass­tes The­ma aus dem badi­schen
Kir­chen­recht im Rah­men einer Preis­auf­ga­be bear­bei­ten
las­sen. Die Fakul­tät unter­stütz­te die­ses Vor­ha­ben und
erklär­te sich bereit, das Preis­aus­schrei­ben in ihrem
Namen durch­zu­füh­ren und im Fal­le einer Pro­mo­ti­on
auf der Grund­la­ge der sieg­rei­chen Preis­ar­beit auf die
sonst übli­chen Pro­mo­ti­ons­ge­büh­ren zu ver­zich­ten.
Nach­dem auch der Senat sein Pla­zet zu dem geplan­ten
Vor­ha­ben gege­ben hat­te, stell­te das Kul­tus­mi­nis­te­ri­um
schließ­lich „aus­nahms­wei­se“ 150 RM als Preis zur Ver­fü­gung.
Die­ser wur­de 1903 dem 1880 in Gerol­s­heim gebo­re­nen
cand. jur. Fritz Gei­er für sei­ne Arbeit über die
Durch­füh­rung der kirch­li­chen Refor­men Josephs II. im
vor­der­ös­ter­rei­chi­schen Breis­gau ver­lie­hen. Die Arbeit
wur­de spä­ter von der Fakul­tät als Dis­ser­ta­ti­on ange­nom­men
und 1905 in der Rei­he „Kir­chen­recht­li­che Abhand­lun­gen“
ver­öf­fent­licht. Ein Jahr dar­auf bean­trag­te Stutz
nach dem von ihm behaup­te­ten erneu­ten gro­ßen Erfolg
des Preis­aus­schrei­bens noch ein­mal 150 RM, um wie­der
„jun­ge badi­sche Juris­ten dazu [zu brin­gen], dem hei­mat­li­chen
Kir­chen­recht Auf­merk­sam­keit zu schen­ken“, und
auch die­sem Antrag wur­de vom Kul­tus­mi­nis­te­ri­um
statt­ge­ge­ben. Stutz stell­te dar­auf­hin das The­ma „Die
kirch­li­che Rechts­per­sön­lich­keit im Groß­her­zog­tum Baden“
zur Bear­bei­tung. Der Preis ging 1904 ver­mut­lich an die
von Fritz Amann aus Bruch­sal ver­fass­te Schrift „Die
kirch­li­che Rechts­per­sön­lich­keit im Groß­her­zog­tum Baden
(nach Rechts­grund, Trä­ger­schaft und Inhalt)“, die vier
Jah­re spä­ter von der Fakul­tät als Dis­ser­ta­ti­on ange­nom­men
und im Jahr 1909 als 24. Band des Archivs für
öffent­li­ches Recht publi­ziert wur­de.
Mit dem Aus­schei­den von Stutz im Jahr 1904 ent­fiel
die­se beson­de­re Anre­gung zur Abfas­sung von Dis­ser­ta­tio­nen
wie­der, doch an Pro­mo­ti­ons­wil­li­gen bestand ins­be­son­de­re
in der titels­eli­gen Wil­hel­mi­ni­schen Peri­ode
nicht gera­de ein Man­gel. Aller­dings war die Qua­li­tät der
übli­cher­wei­se fer­tig von außer­halb der Uni­ver­si­tät ein­ge­reich­ten
juris­ti­schen Dok­tor­ar­bei­ten noto­risch
2 4 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 4 3 — 2 5 0
18 Von Ami­ra, Reform der Dok­tor­pro­mo­ti­on, in: Aka­de­mi­sche
Rund­schau, Jg. 1912/13, S. 572.
19 So die For­mu­lie­rung von Paul­sen, Unter­richts­an­stalt (Fn. 9), S. 155.
schlecht, was wäh­rend der gesam­ten Zeit des Kai­ser­reichs
ein Gegen­stand immer wie­der­keh­ren­der Kri­tik
war. Es gab damals sogar aus­ge­spro­che­ne „Dok­tor­fa­bri­ken“,
in denen qua­si indus­trie­mä­ßig all­jähr­lich Hun­der­te
jun­ger Juris­ten, die bis­wei­len ledig­lich ihre bin­nen
Sechs­wo­chen­frist ver­fass­ten preu­ßi­schen Refe­ren­dar­ar­bei­ten
als Dis­ser­ta­tio­nen vor­leg­ten, pro­mo­viert wur­den.
Das war in Frei­burg zwar nicht mög­lich, aber auch hier
waren die Anfor­de­run­gen für die Annah­me einer Dis­ser­ta­ti­on
zumin­dest bis zum Ende des 19. Jahr­hun­dert
nicht beson­ders hoch. Im Grund­satz ließ die Fakul­tät die
Vor­la­ge eines spe­ci­men eru­di­tio­nis genü­gen, wodurch
der ursprüng­li­che Cha­rak­ter der Pro­mo­ti­on als Stu­di­en­ab­schluss­examen
noch deut­lich zum Aus­druck kommt:
Das pri­mä­re Ziel bestand nicht in der Erbrin­gung des
Nach­wei­ses einer beson­de­ren wis­sen­schaft­li­chen Befä­hi­gung
in einem bestimm­ten Fach­ge­biet, son­dern in der
Dar­bie­tung des Bewei­ses einer viel­sei­ti­gen Fach­bil­dung.
Mit ande­ren Wor­ten war nicht der Aspekt der Gene­rie­rung
neu­en Wis­sens, son­dern die kunst­ge­rech­te Bear­bei­tung
bekann­ter The­men das (zumin­dest für die Annah­me
der Dis­ser­ta­ti­on) ent­schei­den­de Kri­te­ri­um. Aus
die­sem Grund leg­te die Fakul­tät anfangs auch gro­ßes
Gewicht auf die „Selb­stän­dig­keit“ der ein­ge­reich­ten Arbeit
sowohl im Hin­blick auf ihre Fer­tig­stel­lung als auch
in Bezug auf die Aus­wahl des The­mas. Das heißt, die
Kan­di­da­ten soll­ten schon durch das Erken­nen eines geeig­ne­ten
Dis­ser­ta­ti­ons­ge­gen­stan­des ihre umfas­sen­de
Beherr­schung des Stof­fes nach­wei­sen und die Arbeit
dann ohne jede Hil­fe­stel­lung durch die Fakul­tät oder
durch eines ihrer Mit­glie­der bear­bei­ten. Beson­ders Karl
von Ami­ra war ein ent­schie­de­ner Ver­tre­ter die­ser Posi­ti­on.
Des­halb pro­tes­tier­te er 1888 gegen ein Votum Hein­rich
Rosins, in dem die­ser die Annah­me einer von ihm
begut­ach­te­ten Dok­tor­ar­beit von detail­lier­ten Ände­rungs­vor­ga­ben
abhän­gig mach­te. Auch muss­te nach
Mei­nung von Ami­ras das The­ma vom Kan­di­da­ten selbst
gefun­den wer­den, weil, wie er es ein Vier­tel­jahr­hun­dert
spä­ter aus­drück­te, „ein wis­sen­schaft­lich tie­fer gebil­de­ter
Mann vor allem sein Arbeits­the­ma sel­ber fin­den sollte“18.
Grund­sätz­lich war die Fakul­tät mit ihm bis in die 1890er
Jah­re hin­ein dar­in auch einer Mei­nung, denn Anfra­gen
zur Stel­lung von Dis­ser­ta­ti­ons­the­men wur­den wie­der­holt
abschlä­gig beschie­den. Aller­dings ging zumin­dest
Rosin bereits Ende der 1880er Jah­re dazu über, die Anfer­ti­gung
von Dok­tor­ar­bei­ten anzu­re­gen, indem er 1887
einem Stu­den­ten ein öffent­lich-recht­li­ches The­ma zur
Aus­ar­bei­tung emp­fahl und 1894 eine in einer Übung
zum badi­schen Gemein­de­recht ent­stan­de­ne Stu­di­en­ar­beit
zur Dis­ser­ta­ti­on aus­bau­en ließ. Damit bahn­te sich
hier ein Funk­ti­ons­wan­del der Dok­tor­ar­beit an, der sich
im ers­ten Jahr­zehnt des 20. Jahr­hun­derts immer stär­ker
bemerk­bar mach­te. Nun­mehr wur­den Dis­ser­ta­tio­nen
von vie­len Dozen­ten ganz offen als Mit­tel ver­wen­det, um
von ihnen erkann­te For­schungs­de­si­de­ra­te bear­bei­ten zu
las­sen. Das war neben dem genann­ten Rosin und dem
bereits wei­ter oben als Anre­ger kir­chen­recht­li­cher Stu­di­en
behan­del­ten Stutz vor allem bei Richard Schmidt der
Fall, für den zwi­schen 1901 und 1913 meh­re­re The­men­stel­lun­gen
nach­weis­bar sind. Aber auch ande­re Pro­fes­so­ren
wie Alfred Schult­ze tra­ten als Initia­to­ren und Betreu­er
von Stu­di­en her­vor, und in der ers­ten Hälf­te der
zwei­ten Deka­de des 20. Jahr­hun­derts war die Anre­gung
von Dis­ser­ta­tio­nen durch Dozen­ten augen­schein­lich so
selbst­ver­ständ­lich, dass die Fakul­tät eine ent­spre­chend
umfang­rei­che Tätig­keit auf die­sem Gebiet zwei­mal gegen­über
dem Kul­tus­mi­nis­te­ri­um zur posi­ti­ven Cha­rak­te­ri­sie­rung
von Pro­fes­so­ren-Kan­di­da­ten her­an­zog.
Da der kon­sta­tier­te Anstieg in der Zahl der nicht von
außen fer­tig ein­ge­reich­ten, son­dern intern ver­ge­be­nen
Dok­tor­ar­bei­ten zeit­lich mit der Inten­si­vie­rung des semi­na­ris­ti­schen
Unter­richts zusam­men­fällt, kann ange­nom­men
wer­den, dass unge­fähr ab der Jahr­hun­dert­wen­de
auch in der juris­ti­schen Fakul­tät zuneh­mend die
bereits aus der phi­lo­so­phi­schen Fakul­tät bekann­te Erschei­nung
Platz griff, dass Dis­ser­ta­tio­nen „mit eigent­li­chem
wis­sen­schaft­li­chen Cha­rak­ter“ vor­zugs­wei­se aus Semi­na­ren
her­vor­zu­ge­hen pflegten.19 In die­sen Rah­men
passt auch, dass in einer Neu­fas­sung der Pro­mo­ti­ons­ord­nung
aus dem Jahr 1904 erst­mals der Pas­sus Ein­gang
fand, die Dis­ser­ta­ti­on müs­se „wis­sen­schaft­lich beach­tens­wert“
sein und die Fähig­keit des Bewer­bers dar­tun,
„selb­stän­dig wis­sen­schaft­lich zu arbei­ten“. Inwie­weit die­se
Klau­sel, die im Übri­gen auch durch die seit dem Ende
des 19. Jahr­hun­dert stark stei­gen­den Pro­mo­ti­ons­zah­len
ver­an­lasst wor­den sein könn­te, wirk­lich zu einer Erhö­hung
der Qua­li­tät von Durch­schnitts­dis­ser­ta­tio­nen
führ­te, muss dahin­ge­stellt blei­ben; jeden­falls drückt sich
in dem erwähn­ten Para­gra­phen der fort­schrei­ten­de
Wan­del des Cha­rak­ters der Dis­ser­ta­ti­on von einer blo­ßen
Stu­di­en­ab­schluss­ar­beit zu einer wis­sen­schafts­för­dern­den
Stu­die aus, die zur dama­li­gen Zeit ver­stärkt als
Vor­aus­set­zung für eine erfolg­rei­che Pro­mo­ti­on gefor­dert
wur­de.
Zei­ler · Juris­ten­lehr­an­stalt oder „For­schungs­fa­kul­tät“ 2 4 9
V. Fazit
Als Fazit kann fest­ge­hal­ten wer­den, dass die drei von
Paul­sen for­mu­lier­ten Ele­men­te der „deut­schen Uni­ver­si­tät“
– die Arbeit von Dozen­ten „an der Wis­sen­schaft“, die
Anlei­tung von „Schüler[n] zum wis­sen­schaft­li­chen Den­ken“
und die Her­an­zie­hung von Stu­den­ten „zur Mit­ar­beit
an der wis­sen­schaft­li­chen For­schung“ – auch in der
Frei­bur­ger juris­ti­schen Fakul­tät zum Tra­gen kamen. Für
die bei­den letzt­ge­nann­ten Ele­men­te galt dies aller­dings
erst ab dem Ende des 19. Jahr­hun­derts und nur in Bezug
auf einen klei­nen Kreis von Stu­den­ten. Dage­gen wur­de
der Grund­satz, dass sich Uni­ver­si­täts­leh­rer nicht nur als
Ver­mitt­ler, son­dern auch als Meh­rer wis­sen­schaft­li­cher
Erkennt­nis­se zu betä­ti­gen hat­ten, wesent­lich frü­her
umge­setzt. Im Hin­blick auf die Pro­fes­so­ren eta­blier­te er
sich end­gül­tig in den 1860er Jah­ren, nach­dem am Anfang
die­ser Deka­de mit dem Hof­ge­richts­rat Wil­helm Behag­hel
letzt­mals ein wis­sen­schaft­lich gänz­lich unaus­ge­wie­se­ner
Prak­ti­ker zum Ordi­na­ri­us ernannt wor­den war.20 Nach
ihm gelang­ten nur noch Per­so­nen auf einen Lehr­stuhl
der Fakul­tät, die zum Zeit­punkt ihrer Beru­fung min­des­tens
zwei Mono­gra­phien und meist noch meh­re­re klei­ne­re
Schrif­ten aus dem Fach­be­reich der jewei­li­gen Pro­fes­sur
publi­ziert hat­ten. Im Hin­blick auf Pri­vat­do­zen­ten
eta­blier­te sich das Prin­zip im Jahr 1873. Damals wur­de
durch den Erlass einer juris­ti­schen Habi­li­ta­ti­ons­ord­nung
im Grund­satz die heu­te bekann­te Form der Habi­li­ta­ti­on
ein­ge­führt, so dass die Lehr­be­fug­nis zur Zeit des
Kai­ser­reichs nur unter Vor­la­ge einer (regel­mä­ßig mono­gra­phi­schen)
Spe­zi­al­stu­die über einen Gegen­stand aus
dem Fach­ge­biet, für das die venia legen­di bean­tragt wur­de,
erlangt wer­den konn­te. Damit waren alle seit dem
Ende der 1860er Jah­re ernann­ten Pro­fes­so­ren und Pri­vat­do­zen­ten
„For­scher“ im Sin­ne von aktiv am Pro­zess
der Wis­sens­ge­ne­rie­rung in einer Dis­zi­plin betei­lig­ten
Per­so­nen, die in den rund fünf Deka­den des Kai­ser­reichs
eine zuvor unge­se­he­ne Zahl an Schrif­ten publi­zier­ten
und auf die­se Wei­se die juris­ti­sche Fakul­tät in
Frei­burg zumin­dest in die­ser Hin­sicht unzwei­fel­haft zu
einer „For­schungs­fa­kul­tät“ mach­ten.
Dr. Frank Zei­ler ist als wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter
mit dem Auf­bau einer Medail­len­da­ten­bank zum The­ma
Recht und Gerech­tig­keit befasst.
20 Der Fall des ver­dien­ten badi­schen Ver­wal­tungs­be­am­ten Albert
Geb­hard, für den 1890 mit der Ein­rich­tung einer eben­so sin­gu­lä­ren
wie über­flüs­si­gen Pro­fes­sur für Reichs­zi­vil­recht (die er fak­tisch
nur rund sechs Mona­te ver­sah) eine Art Sine­ku­re geschaf­fen
wor­den war, bleibt als völ­lig aty­pisch außer Betracht.
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