Die Fälle von Missbrauch und sexualisierter Gewalt im kirchlichen Umfeld beschäftigen zur Zeit Politik, Medien und Öffentlichkeit. Dieses Thema hat in den vergangenen Jahren die Menschen aufgewühlt, das Vertrauen in die Institution und die Glaubwürdigkeit der Kirchen ausgehöhlt und die Mitgliedszahlen einbrechen lassen. Das liegt unbestritten auch an den großen Schwierigkeiten, die die Kirchen und ihre hochrangigen Vertreterinnen haben, einen offenen und angemessenen Umgang mit dieser Thematik zu finden. Sie darauf zu verkürzen, hieße aber die äußerst vielschichtige Problematik von sexuellem Missbrauch und seiner Aufarbeitung zu verkennen. Neben den konfliktträchtigen Fragen des Umgangs zwischen Betroffenen, Tätern2 und den Vertreterninnen der Institutionen stehen komplexe Rechts- und Verfahrensfragen im Raum, die den Bereich der reinen Rechtsanwendung überschreiten und die Grenzen des Handelns in juristisch abgesicherten Kategorien aufzeigen.
Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Alle Taten sexualisierter Gewalt stehen in einem eklatanten Missverhältnis zum kirchlichen Auftrag und den ethischen Werten, für die Kirchen stehen wollen. Eine größere moralische Fallhöhe als die der Kirchen in den Missbrauchsfällen ist kaum vorstellbar. Das Verdrängen und Vertuschen solcher Taten im kirchlichen Raum wirkt daher ebenso toxisch wie die Taten selber. In allen diesen Fällen erwarten Kirchenmitglieder und Öffentlichkeit zu Recht die Bestrafung der Täter, Gerechtigkeit für die vom Missbrauch Betroffenen und die notwendigen organisatorischen Konsequenzen von Seiten der Kirchenleitungen. Diese Erwartungen werden in einem rechtsstaatlichen System in der Regel durch Einsatz des zur Verfügung stehenden juristischen Instrumentariums erfüllt. In den nunmehr aufgedeckten Fällen sexualisierter Gewalt, die überwiegend Jahrzehnte zurückliegen, können die heutigen Erwartungen an einen angemessenen Umgang mit dem bestehenden juristischen Instrumentarium nicht erfüllt werden. Politik und Gesellschaft fordern von den Kirchen die Aufarbeitung der Vorkommnisse. Dieser Forderung versuchen die Kirchen nachzukommen.3
Begleitet werden die Versuche der Aufarbeitung von einer nicht allein an juristischen oder wissenschaftlichen Standards orientierten öffentlichen Berichterstattung. In vielfältigen Äußerungen von unterschiedlichsten Seiten finden sich zum Teil nachvollziehbare Bestrebungen der Emotionalisierung und Moralisierung, aber auch die Verfolgung von Individualinteressen sowie politischer und gesellschaftlicher Zielsetzungen, die insgesamt eine Vielzahl von schwer zu durchdringenden Argumentationsebenen schaffen. Sich in diesem Geflecht zurechtzufinden und den Überblick zu behalten ist auch für die Kirchen und ihre Vertreter*innen eine große Herausforderung.
Der vorliegende Beitrag möchte aus der Perspektive der Evangelischen Kirche4 die juristischen Rahmenbedingungen des Umgangs mit sexualisierter Gewalt herausarbeiten und aufzeigen, warum auf diesem Wege keine befriedigenden und befriedenden Ergebnisse zu erreichen sind. Im Anschluss daran wird untersucht, ob ein Aufarbeitungsprozess, wie er von Politik und Gesellschaft gefordert wird, diese Ziele erreichen kann und ob er die Defizite des bestehenden juristischen Instrumentariums ausgleicht. Die Relevanz dieser Überlegungen dürfte über den rein kirchlichen Bereich hinausgehen, weil der Umgang mit sexualisierter Gewalt eine gesellschaftliche Herausforderung ist und es nicht verwunNikolaus
Blum1
Juristische Aspekte des Umgangs mit den Missbrauchsfällen in der Evangelischen Kirche
1 In dem Artikel kommt ausschließlich die persönliche Sichtweise des Autors zum Ausdruck. Es können keine Rückschlüsse auf Positionen offizieller kirchlicher Organe oder Gremien gezogen werden.
2 In den Fällen aus dem Bereich der Evangelischen Kirche handelt es sich bei den Tätern überwiegend um männliche Personen. Es gibt auch Taten von Frauen, insbesondere im Zusammenhang mit Kindererziehung. Sie stellen jedoch die Ausnahme dar. Mit der Verwendung der männlichen Form Täter wird der Regelfall in den Vordergrund gestellt.
3 Für die Evangelische Kirche siehe z.B. die Zusammenstellung von Aufarbeitungsstudien unter https://www.ekd.de/sammlung-aufarbeitungsstudien-projekten-und-berichten-64545.htm (4.9.2021).
4 Unter diesem Begriff wird hier die Gesamtheit der in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zusammengeschlossenen Evangelischen Landeskirchen verstanden. Es ist zu beachten, dass die 20 Gliedkirchen der EKD autonome Körperschaften sind, die ihre Rechtsverhältnisse selbständig regeln, sofern sie nicht Regelungsbefugnisse auf die EKD übertragen haben. Dazu z.B. P . Unruh, Handbuch des evangelischen Kirchenrechts (HevKR), 2016, § 9 Rn. 50 ff; C. Heckel, HevKR § 11 Rn 1 ff; H. Claessen, Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kommentar, 2006, S 197 ff; Grundordnung der EKD Art. 1, Art 9 – 10b.
Ordnung der Wissenschaft 2021, ISSN 2197–9197
2 3 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 3 3 — 2 4 2
5 Siehe dazu den Artikel von R. Bauch und S. Andresen, „Tatort
Schule“, in FAZ vom 10.08.2021.
6 Auch wenn keine dieser Taten hingenommen werden kann, muss
eine Differenzierung stattfinden. Verbale Übergriffe beispielsweise
sind anders zu bewerten als jahrelanger sexueller Missbrauch
von Kindern.
7 Jede Art von sexualisierter Gewalt kann bei betroffenen Personen
Verletzungen und langfristige Schäden verursachen, auch z.B. abfällige
Bemerkungen aus sexueller Motivation oder unerwünschte
körperliche Kontakte.
8 § 2 Absatz 1 der Gewaltschutzrichtlinie der EKD vom 18. Oktober
2019 (ABl. EKD 2019, S. 270; ABl. EKD 2020, S. 25;
https://www.uek.recht.de/document/44830 (8.9.21)
9 Der EKD sind aus ihren 20 Landeskirchen knapp 900 Fälle seit
1950 bekannt (https://www.ekd.de/haufige-fragen-zu-sexualisierter-
gewalt-64520.htm (04.09.2021)), in denen es zu sexualisierter
Gewalt und Missbrauch kam. Die große Mehrheit, fast zwei
Drittel, dieser Fälle stammen aus der Heimerziehung (Diakonie
und kirchliche Schulen) und fanden überwiegend vor der großen
Reform der Jugendhilfe von 1975 statt. Der andere Teil der Fälle
stammt aus dem Bereich der verfassten Kirche. In ihm sind die
Taten aller kirchlichen Berufsgruppen enthalten (neben Pfarrern
auch Diakone, Pädagogen, Sozialarbeiter und Kirchenmusiker),
weiterhin ehrenamtlicher Mitarbeiter und die Taten, die sich
Kinder und Jugendliche innerhalb ihrer Peergroups antun.
dern würde, wenn in den kommenden Jahren noch andere
öffentliche Institutionen in die Situation kämen,
sich mit Missbrauchsfällen aus der Vergangenheit auseinandersetzen
zu müssen.5
I. Die Tatbestände und die aktuelle Rechtslage in der
Evangelischen Kirche
Zunächst einmal ist zu klären, welche Tatbestände unter
Missbrauch und sexualisierte Gewalt fallen. Denn unter
der Überschrift Missbrauch und sexualisierte Gewalt
werden in der öffentlichen Diskussion eine Vielzahl von
Fallkonstellationen behandelt, die von strafrechtlichen
Verbrechen über minderschwere Straftaten bis hin zu
Belästigungen und Grenzüberschreitungen mit sexuell
motiviertem Hintergrund reichen. Im Zentrum stehen
die Straftatbestände des sexuellen Missbrauchs von Kindern
und Jugendlichen (§§ 174, 176 – 176 d, 182 StGB).
Darüber hinaus werden im allgemeinen Sprachgebrauch
alle Straftaten, die die sexuelle Selbstbestimmung verletzen
und in einem kirchlichen Kontext geschehen, als
Missbrauch bezeichnet, auch wenn sie zwischen Erwachsenen
oder zwischen Jugendlichen und Kindern vorkommen.
Schließlich werden auch Belästigungen, Übergriffigkeiten
und Grenzverletzungen oft als Missbrauch
bezeichnet, die die Schwelle zu einer Straftat noch nicht
überschritten haben.6
Die undifferenzierte Verwendung der Bezeichnung
Missbrauch führt zu Verzerrungen in der Wahrnehmung
von individuellen Fallkonstellationen. Einerseits
ist zu beobachten, dass weniger schwerwiegende Taten
und Grenzverletzungen auf diese Weise medial aufgewertet
und tendenziell übersteigert werden. Andererseits
ist nochmals festzuhalten, dass jede Art von sexualisierter
Gewalt zu verurteilen7 ist und in einem kirchlichen
Umfeld nicht hingenommen werden kann. Die
umfangreichen Diskussionen waren für die in der EKD
zusammengeschlossenen Evangelischen Landeskirchen
daher Anlass, generell den Begriff der sexualisierten Gewalt
im kirchlichen Bereich zu verwenden und ihn näher
zu bestimmen, damit eine verlässliche Grundlage besteht,
um alle Erscheinungsformen konsequent und
wirksam zu unterbinden. Gerade im Bereich unterhalb
der Schwelle der normierten Straftatbestände mangelte
es an einer hinreichend klaren und belastbaren Definition,
um das Vorliegen sexualisierter Gewalt rechtssicher
feststellen und wirksam darauf reagieren zu können. Die
Richtlinie der EKD zum Schutz vor sexualisierter Gewalt
vom 18. Oktober 2019 qualifiziert eine Verhaltensweise
als sexualisierte Gewalt, „wenn ein unerwünschtes sexuell
bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass
die Würde der Person verletzt wird“. Es wird klarstellend
ergänzt: „Sexualisierte Gewalt kann verbal, nonverbal,
durch Aufforderung oder durch Tätlichkeit geschehen.
Sie kann auch in Form des Unterlassens geschehen,
wenn die Täterin oder der Täter für deren Abwendung
einzustehen hat“.8 Die Richtlinie findet unmittelbare Anwendung
in allen Einrichtungen der Evangelischen Kirche
in Deutschland und ihres Evangelischen Werkes für
Diakonie und Entwicklung e.V. Für die Landeskirchen
ist sie verbindlicher Maßstab und enthält die Aufforderung,
entsprechende landeskirchliche Regelungen zu erlassen.
Dieser Aufforderung kommen die Landeskirchen
durch den Erlass entsprechender Präventions- oder Gewaltschutzgesetze
nach.
Damit ist unmissverständlich klargestellt, dass in allen
kirchlichen und diakonischen Einrichtungen für alle
Mitarbeitenden jegliches Verhalten untersagt ist, das als
Ausübung sexualisierter Gewalt qualifiziert werden
kann. Dieses Verbot gilt für Geistliche genauso wie für
Kirchenmusiker, für pädagogisches Personal wie für
Verwaltungspersonal, für Hauptamtliche wie für Ehrenamtliche.
Konsequenterweise erfassen sowohl die Aufarbeitung
als auch die Berichterstattung der Evangelischen
Kirche alle Fälle sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie.
Sie sind nicht auf Missbrauchstatbestände des
geistlichen Personals gegenüber Kindern und Jugendlichen
beschränkt.9
Blum· Juristische Aspekte des Umgangs mit den Missbrauchsfällen 2 3 5
10 Anders im Ordnungswidrigkeitsrecht.
11 § 78 StGB.
12 Bei den Disziplinarverfahren sind Besonderheiten zu beachten.
Es handelt sich nicht um innerkirchliches Strafrecht (s.u. III.).
Dem Disziplinarrecht unterliegen nur die beamteten Beschäftigten.
Bei Angestellten werden entsprechende arbeitsrechtliche
Maßnahmen ergriffen.
13 Bei geringeren Verstößen, die als Akte sexualisierter Gewalt zu
qualifizieren sind, ist das jetzt durch die Gewaltschutzrichtlinie
der EKD und die landeskirchlichen Präventionsgesetze zweifelsfrei
festgestellt
14 Dazu z.B. A. Thier, HevKR § 2 Rn. 12 ff und M. Otto, HevKR § 3
Rn. 8 ff. Weiterführende Literatur zum deutschen Staatskirchenrecht
auch bei de Wall/German, HevKR, § 1 Fn. 7.
15 Hübner, Evangelisches Kirchenrecht in Bayern, 2020, S. 104 ff. mit
weiterführenden Literaturhinweisen auf S. 115
16 Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV.
II. Die juristischen Verfahren
Die zur Verfügung stehenden rechtlichen Verfahren für
den Umgang mit sexualisierter Gewalt sind klar und
stellen in systematischer Hinsicht keine besonderen
Herausforderungen dar. Die Taten sind zunächst in
strafrechtlicher Hinsicht aufzuklären und zu bewerten.
Bei Verdacht von Straftaten sind Polizei und Staatsanwaltschaft
einzuschalten. Sie agieren als Ermittlungsbehörden
mit besonderen Ermittlungsrechten. Für Straftaten,
die in einem institutionellen Kontext geschehen, ist
darauf hinzuweisen, dass das deutsche Strafrecht nur die
Strafbarkeit von natürlichen Personen kennt, nicht von
Organisationen.10 Wurden Taten vertuscht oder Überwachungspflichten
verletzt, so sind auch diesbezüglich
die handelnden oder verantwortlichen natürlichen Personen
zu ermitteln und zur Verantwortung zu ziehen.
Die Aufklärung der Straftaten ist Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden.
Weiterhin können Geschädigte auf zivilrechtlichem
Wege ihre Ansprüche gegen Täter und beteiligte Organisationen
aus deliktischem Handeln vor den Zivilgerichten
geltend machen und Schadenersatz und Schmerzensgeld
einklagen. Sind die zugrundeliegenden Taten in
strafrechtlicher Hinsicht verjährt, so ergeben sich
Schwierigkeiten. Die Verjährung stellt ein Verfolgungshindernis
dar.11 Die Strafverfolgungsbehörden werden
dann in aller Regel nicht mehr tätig und stellen die Verfahren
ein. Die strafrechtliche Verjährung verhindert
zwar nicht die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche,
erschwert sie jedoch erheblich, da die Beweislast für
die Taten alleine den Geschädigten obliegt und sie keine
Unterstützung durch die Ermittlungsbehörden mit ihren
besonderen Ermittlungsrechten haben.
Ergänzend zu den Verfahren vor den staatlichen Gerichten
gibt es noch die innerkirchlichen Disziplinarverfahren12
für Pfarrer und Kirchenbeamte, in denen die
Täter wegen Verstößen gegen das Dienstrecht von ihren
jeweiligen Landeskirchen zur Verantwortung gezogen
werden. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
und Handlungen sexualisierter Gewalt sind immer auch
als Verstöße gegen die dienstrechtlichen Verpflichtungen
zu werten.13 Disziplinarverfahren können zwar auch bei
weit zurückliegenden Taten durchgeführt werden, die in
strafrechtlicher Hinsicht verjährt sind. Allerdings bestehen
ebenfalls erschwerte Bedingungen, denn es gibt keine
Unterstützung durch die staatlichen Ermittlungsbehörden.
Auch in den Disziplinarverfahren müssen die
zugrundeliegenden Sachverhalte und Taten nach rechtsstaatlichen
Standards zweifelsfrei festgestellt werden. Besondere
Ermittlungsrechte stehen den kirchlichen
Dienststellen nicht zu, so dass sie zur zweifelsfreien Aufklärung
der Sachverhalte auf die freiwillige Mitwirkung
der Beteiligten angewiesen sind.
Der Vollständigkeit halber ist noch zu erwähnen,
dass Personen, die Opfer von Gewalttaten wurden, Leistungen
nach dem Opferentschädigungsgesetz beantragen
und beziehen können. In Fällen von sexuellem Missbrauch
ist dies unter Umständen auch dann möglich,
wenn die betroffenen Personen keine Strafanzeige gestellt
haben und die Taten verjährt sind.
III. Die Perspektive des evangelischen Kirchenrechts
Ein besonderer Blick muss im Kontext der Missbrauchsthematik
auf das Verhältnis von staatlichem und
kirchlichem Recht geworfen werden. Dieses Verhältnis
hat sich in der deutschen und europäischen Rechtsgeschichte
über Jahrhunderte entwickelt und zu tiefgreifenden
Auseinandersetzungen geführt.14 Für Deutschland
gelten über Art. 140 GG die institutionellen Garantien
der Weimarer Reichsverfassung fort. Seit über
hundert Jahren besteht ein modifiziertes Trennungsmodell15,
das den Kirchen als öffentlich-rechtlichen Körperschaften
ein weitgehendes Selbstbestimmungsrecht in
den eigenen Angelegenheiten zugesteht. Sie dürfen
innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes
ihre Angelegenheiten selbständig ordnen und verwalten.
16 Die Frage, was unter den eigenen Angelegenheiten
zu verstehen ist und welchen Einfluss die Glaubensinhalte
auf die Bestimmung der eigenen Angelegenheiten
haben, ist in Literatur und Rechtsprechung umfangreich
behandelt worden. Im Hinblick auf Straftaten bleibt
allerdings festzuhalten, dass die strafrechtlichen Nor2
3 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 3 3 — 2 4 2
17 Siehe M. Heckel, Martin Luthers Reformation und das Recht,
2016, S. 591 ff.
18 A. Thier in HevKR, § 2 Rn. 32, 33.
19 Anders in der Römisch-Katholischen Kirche: Der Codex Juris
Canonici enthält eigene Strafrechtsnormen.
20 Siehe dazu das explizite Kooperationsgebot mit den staatlichen
Strafverfolgungsbehörden in § 6 Abs. 1 Disziplinargesetz.EKD.
21 So auch der Leitfaden „Hinschauen – Helfen – Handeln“ der EKD
für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung,
2012, S. 16, 19, 21 (https://www.hinschauen-helfen-handeln.
de/media/2012–08-28_broschuere_hinschauen_helfen_handeln.
pdf (06.09.2021)).
22 Siehe § 1 Abs. 3 Disziplinargesetz der EKD (DG. EKD).
23 De Wall in HevKR, § 6 Rn.78.
24 Materiell bedeutet die Entfernung aus dem Dienst auch den
Verlust der Bezüge und der Versorgung. Bei Pfarrern kann sie darüber
hinaus auch mit dem Verlust der Rechte aus der Ordination
verbunden sein.
25 Es gibt keine besonderen kirchlichen Ermittlungsrechte. Wenn
die Taten abgestritten werden und keine weiteren Zeugen vorhanden
sind, was bei sexuellen Übergriffen der Regelfall ist, ist
eine gesicherte Grundlage für Disziplinarmaßnahmen kaum zu
erreichen.
26 Ein langer Zeitablauf und keine weiteren einschlägigen Vorkommnisse
erschweren die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen;
siehe auch § 22 DG.EKD.
men des Staates für alle geltende Gesetze sind, die das
kirchliche Selbstbestimmungsrecht begrenzen. Die Kirchen
und ihre Mitarbeitenden unterliegen uneingeschränkt
dem materiellen und prozessualen staatlichen
Strafrecht.
Das ist für die Evangelische Kirche und ihr kirchenrechtliches
Verständnis keine besondere Herausforderung.
Die Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts
sind von Luthers Lehre von den zwei Reichen und den
zwei Regimenten17 sowie von der historischen Erscheinungsform
des landes- und stadtherrlichen Kirchenregiments
bestimmt. Das Kirchenregiment umfasste das
Recht der Obrigkeit, das Kirchenwesen im Herrschaftsgebiet
zu regeln, einschließlich der Organisationsstrukturen
und des Finanzwesens. Die weltlichen Herrschaftsautoritäten
erließen entsprechende Kirchenordnungen.
Für die weitere Entwicklung des evangelischen Kirchenrechts
bedeutete dies, dass eine enge Verflechtung der
staatlichen und kirchlichen Ordnungen entstand18 und
sich das rein kirchlich gesetzte Recht auf ein enges Feld
bekenntnisorientierter Normen konzentrierte. So ist es
in den Evangelischen Kirchen nie zur Entwicklung eines
kirchlichen Strafrechts gekommen.19
Konkret bedeutet das für alle strafrechtlich relevanten
Taten, die von kirchlichen Mitarbeitenden begangen
werden oder die sich im kirchlichen Bereich ereignen,
dass die staatliche Straf- und Verfolgungsgewalt völlig
außer Frage steht. Die Taten sind zur Anzeige zu bringen
und die Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden,
also mit Polizei und Staatsanwaltschaft, ist aus kirchlicher
Sicht geboten.20 Im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen
ist dies von vielen Kirchenleitungen nochmal
explizit betont und bekannt gemacht worden.21
Als innerkirchliches Verfahren kann in Grenzen
auch das bereits angesprochene kirchliche Disziplinarverfahren
angesehen werden. Das geltende Disziplinarrecht
der EKD ist stark an das Disziplinarrecht der staatlichen
Beamten angelehnt, wobei den Besonderheiten
des kirchlichen Dienstes und speziell des Pfarrdienstes
Rechnung getragen wird. Zweck der Disziplinarverfahren
ist, das Ansehen der Kirche, die Funktionsfähigkeit
ihres Dienstes, eine auftragsgemäße Amtsführung und
das Vertrauen in das Handeln der in der Kirche mitarbeitenden
Menschen zu sichern.22 Damit steht nicht der
Grundgedanke einer Bestrafung für das dienstliche Vergehen
im Vordergrund, sondern die Integrität und die
Funktionsfähigkeit des kirchlichen Dienstes23, also der
Institution Kirche. Im Gegensatz zum Strafrecht formuliert
das Disziplinarrecht nicht bestimmte Tatbestände,
an die dann unterschiedliche Sanktionen geknüpft werden.
Es gibt nur den einheitlichen Begriff der
Amtspflichtverletzung.
Aufgrund dieser, dem rechtlichen Laien in der Regel
unbekannten Ausrichtung des Disziplinarrechts haben
die Verfahren in den Fällen, in denen sie wegen strafrechtlich
verjährter Missbrauchsvorwürfe eingeleitet
wurden, bei den Betroffenen große Enttäuschung und
Frustration ausgelöst. Die Erwartungen der Betroffenen
gingen regelmäßig dahin, dass mit der Entfernung aus
dem Dienst24 gegen die Täter die schärfste Disziplinarmaßnahme
verhängt würde. Wegen unzureichender Tatsachenfeststellungen,
mangelnder Beweislage25 im Hinblick
auf die vorgeworfenen Handlungen und langem
Zeitablauf26 konnten Disziplinarmaßnahmen nach vielen
Jahren nur in sehr seltenen Fällen verhängt werden.
Viele Verfahren endeten mangels Beweisbarkeit der erhobenen
Vorwürfe mit Abweisung der Disziplinarklage.
Eine weitere Enttäuschung der Betroffenen ergab sich
aus der Verfahrensbeteiligung: Sie treten nur als Zeugen
auf, können das gesamte Verfahren nur mit großen Einschränkungen
verfolgen und die Urteilsfindung nicht
nachvollziehen. Die Unmöglichkeit am Verfahren teilzuhaben
und die als viel zu milde empfundenen Maßnahmen
lösten bei den Betroffenen erneut OhnmachtsgeBlum
· Juristische Aspekte des Umgangs mit den Missbrauchsfällen 2 3 7
27 Aufgrund dieser Erfahrungen wurde das Disziplinargesetz der
EKD am 12. November 2014 geändert (Amtsblatt EKD 2014 S.
342). Die Rechtsstellung der Betroffenen, die nach wie vor als
Zeugen im Disziplinarverfahren auftreten, wurde gestärkt, z.B.
durch Recht auf einen Zeugenbeistand, Übernahme der Kosten
des Zeugenbeistands, Teilnahmerechten an nichtöffentlichen
Verhandlungen, Möglichkeit zum Ausschluss der Öffentlichkeit
bei Zeugenaussagen etc.
28 Verständnis des Disziplinarverfahrens als „Tor zur Versöhnung“.
Dazu de Wall, HevKR, § 6 Rn. 76 m.w.N.
29 Besonders kritisch: Entscheidung des Disziplinarhofes der EKD
vom 13.2.2013 (DH.EKD 0125/1–11), ZevKR 58, 406 ff. Siehe
dazu die Anmerkungen von Gansen, Dürfen schwere Amtspflichtverletzungen
folgenlos bleiben?, ZevKR 58, 368 ff.
30 § 20 Abs. 1 Satz 2 Disziplinargesetz.EKD.
31 Erfreulich klar ist z.B. das Urteil des Kirchengerichtshofs der EKD
vom 04.06.2021 (I‑0125/1–2018) (https://www.kirchenrecht-ekd.
de/document/48626 (06.09.2021), das feststellt, dass das Eingehen
–einer-auch einvernehmlichen – sexuellen Beziehung neben
einer bestehenden seelsorgerlichen Beziehung immer einen
eindeutigen Verstoß gegen die Amtspflichten von Pfarrerinnen
und Pfarrern darstellt.
32 Einfügung des § 50a Datenschutzgesetz EKD.
fühle gegenüber dem Täter und dem „System Kirche“
aus, die häufig zu einer Retraumatisierung führten. Darauf
hat die EKD mit einer Änderung des Disziplinarrechts
reagiert.27
Auch wenn es nicht Ziel sein kann, das Disziplinarverfahren
in ein innerkirchliches Strafverfahren umzuwandeln,
so ist doch ersichtlich, dass in den vergangenen
Jahren zumindest im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen
unzutreffende Maßstäbe angelegt und
zweifelhafte Ziele28 verfolgt wurden. Der Vorwurf, dass
auch im Disziplinarrecht Täterschutz stattfand, entbehrt
nicht konkreter Grundlagen. Manche Entscheidungen
sind schlicht nicht akzeptabel.29 Maßstab für die Verhängung
disziplinarischer Maßnahmen ist die Schwere der
Amtspflichtverletzung.30 Durch die Enthüllungen in den
vergangenen Jahren und den Mut einiger Betroffener,
über ihre Erlebnisse zu berichten, sind die Leiden und
die lebenslangen Schädigungen offenkundig geworden,
die mit sexuellem Missbrauch verbunden sein können.
Die Folgen für das Ansehen und die Glaubwürdigkeit
der Kirche sind verheerend. Deshalb müssen die Maßstäbe,
mit denen damit einhergehende Amtspflichtverletzungen
bewertet werden, dringend angepasst werden.
Es gibt kaum schlimmere Pflichtverletzung im kirchlichen
Dienst als sexuellen Missbrauch, insbesondere,
wenn er Kinder und Jugendliche betrifft. Diese veränderten
Maßstäbe dürfen nicht zu einer Vorverurteilung
oder Aufweichung der rechtsstaatlichen Anforderungen
an die Beweiswürdigung führen. Aber es müssen auch
von den Disziplinarverfahren klare Signale ausgehen,
dass sexualisierte Gewalt in der Kirche nicht toleriert
wird und schwerwiegende Konsequenzen hat. Die Klarheit,
die die Gewaltschutzrichtlinie der EKD geschaffen
hat, muss sich in Zukunft auch in der Praxis
auswirken.31
Das betrifft auch die Personalführung. Der Umgang
mit und der dienstliche Einsatz von Personen, die sich
Übergriffe haben zuschulden kommen lassen – oder bei
denen ein begründeter Verdacht besteht –, muss kritisch
hinterfragt werden. Hier haben die kirchlichen Dienstgeber
die herausfordernde Aufgabe, ohne unhaltbare
Vorverurteilung die notwendigen arbeits- oder dienstrechtlichen
Maßnahmen zu ergreifen, um entsprechende
Vorfälle in Zukunft auszuschließen (Prävention) und
keine Zweifel an der kirchlichen Arbeitsweise aufkommen
zu lassen.
Dass die Kirchen als Dienstgeber heute eine aktive
Rolle bei der Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen
für die Aufarbeitung einnehmen, zeigt eine
aktuelle Neuerung im kirchlichen Datenschutzrecht.
Das EKD-Datenschutzgesetz wurde so angepasst, dass
Schriftgut einschließlich Personalakten ohne Vorlage einer
expliziten Einwilligung der betroffenen Personen für
die wissenschaftliche Aufarbeitung von sexualisierter
Gewalt verwendet werden darf.32 Damit ist auch datenschutzrechtlich
eine sichere Grundlage für die transparente,
konsequente und umfassende Aufarbeitung
geschaffen.
IV. Die Problematik der Verjährung
Es bleibt die Frage, wie mit den bekannt gewordenen
Fällen aus der Vergangenheit umzugehen ist. Durch den
Eintritt der strafrechtlichen Verjährung ist eine angemessene
juristische Behandlung dieser Fälle nicht mehr
möglich. In den Verfahren, die das staatliche Rechtsschutzsystem
und das kirchliche Recht vorsehen, lassen
sich keine Ergebnisse erzielen, die aus heutiger Sicht eine
adäquate Antwort auf die Taten und die einschneidenden
Folgen für die Betroffenen geben. Dass solche Taten
für Täter wie beteiligte Institutionen durch Zeitablauf
folgenlos bleiben, die Betroffenen aber unter Umständen
mit lebenslangen Beeinträchtigungen zu kämpfen haben,
wird heute allgemein als ungerecht und gesellschaftlich
nicht tolerabel empfunden. Zu der veränderten Wertung
haben mehrere Faktoren beigetragen:
- Tatort Kirche
Die Empörung der Öffentlichkeit über die Missbrauchsfälle
in den Kirchen beruht völlig zu Recht auf der Wahrnehmung,
dass diese Taten in diametralem Gegensatz
zum Auftrag und zur Verkündigung der Kirchen stehen.
2 3 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 3 3 — 2 4 2
33 Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs
(StORMG) vom 29. Juni 2013 (BGBl I 2013, 1805).
34 § 78 b Abs.1 Nr. 1 StGB.
35 https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/
Abschlussbericht_RTKM.html (2.9.2021).
36 Abschlussbericht Runder Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“
(Fn 35), S. 19 ff.
Hier wurden nicht nur Taten begangen, die allen kirchlichen
Lehren und Handlungsmaximen entgegenstehen.
Vielmehr nutzen diese Taten die besonderen Schutzund
Vertrauensräume aus, die die Kirchen benachteiligten
und verletzlichen Individuen bieten möchten. Als
weiteres Unrecht ist hinzugekommen, dass nach
Bekanntwerden von Taten die Menschen im kirchlichen
Umfeld in vielen Fällen nicht angemessen reagiert haben.
Den Betroffenen wurde nicht geglaubt, das Geschehene
wurde verharmlost oder auch sogar gezielt vertuscht. Es
ist nicht hinnehmbar, dass solches Unrecht durch die
Berufung auf Verjährungsvorschriften faktisch ohne
Folgen für Täter und ihr Umfeld bleibt. - Gesellschaftliche Wertung
Die gesellschaftliche Wertung sexueller Selbstbestimmung
und Integrität hat sich in den vergangenen Jahrzehnten
grundlegend verändert. In den frühen Jahren
der Bundesrepublik gab es diesbezüglich eine weitgehend
tabuisierte Privatsphäre. Veränderungen im öffentlichen
Umgang mit der sexuellen Selbstbestimmung
zeigten sich Anfang der siebziger Jahre in den Debatten
über die Strafbarkeit der Abtreibung oder in den achtziger
und neunziger Jahren in den Auseinandersetzungen
zur Vergewaltigung in der Ehe. Die verschiedenen Reformen
des Sexualstrafrechts, aber auch des Ehe- und Familienrechts
oder die Entwicklung der Sexualpädagogik
geben von diesem Wertewandel Zeugnis. Handlungen,
die die sexuelle Selbstbestimmung beeinträchtigen, werden
heute viel sensibler und kritischer wahrgenommen.
Die veränderte Wertung erstreckt sich auch auf die Vorfälle
der Vergangenheit. Die aus heutiger Sicht viel zu
kurzen Verjährungsfristen der Missbrauchsdelikte wurden
allerdings erst im Rahmen der Reform des Sexualstrafrechts
im Jahr 2013 neugestaltet und erheblich verlängert33,
wobei zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung
bereits verjährte Straftaten verjährt bleiben. Die kurzen
Verjährungsfristen haben sich faktisch als Täterschutz
ausgewirkt. Die Besonderheit der Missbrauchsdelikte
besteht gerade darin, dass sie im Verborgenen stattfinden
und auch die Opfer aus Ohnmacht oder Scham die
Aufklärung vermeiden. Oft bringen sie erst im Erwachsenenalter
die Kraft auf, sich mit dem Erlebten auseinanderzusetzen.
Dem wurde durch eine weitere Reform in
2015 Rechnung getragen, bei der festgelegt wurde, dass
die Verjährung von Missbrauchstaten erst mit Vollendung
des 30. Lebensjahres der Opfer zu laufen beginnt.34 - Missbrauch als gesellschaftliche Herausforderung
Auch vor 20 oder 30 Jahren wurden bereits einzelne
Missbrauchsfälle bekannt und in die Öffentlichkeit
gebracht. Sie wurden aber als Einzelfälle wahrgenommen
und führten nicht zu größeren gesellschaftlichen
oder politischen Reaktionen. Erst im Jahr 2010 rückten
Umfang und Ausmaß des Missbrauchs nachhaltig in das
öffentliche Bewusstsein, nicht zuletzt durch die Enthüllung
der Vorgänge am Berliner Canisius-Kolleg und in
der Odenwaldschule. Die Politik reagierte mit der Einrichtung
eines Runden Tisches „Sexueller Missbrauch“
und der Ernennung einer Unabhängigen Beauftragten
zur Aufarbeitung des Missbrauchsgeschehens und als
Anlaufstelle für Betroffene. Das war der Auslöser für
umfangreiche Untersuchungen und Anhörungen, die
deutlich machten, dass Missbrauch und sexualisierte
Gewalt ein über Jahrzehnte verdrängtes und tabuisiertes
Problem der Gesellschaft darstellen, das in institutionellen
Kontexten, insbesondere in Kirchen, im Sport, in
Schulen und Heimen, aber vor allem in Familien und im
engsten Privatbereich in erschreckendem Ausmaß auftritt.
Ein besonders wichtiger und wirksamer Schritt
bestand darin, dass den Betroffenen ein geschützter Rahmen
geboten wurde, ihre Geschichte zu erzählen. Erst
dadurch wurden das persönliche Leid und die langfristigen
Schäden und Beeinträchtigungen sichtbar, die mit
Missbrauch verbunden sind.
V. Aufarbeitung als neues Verfahren der Bewältigung?
Der Runde Tisch Sexueller Kindesmissbrauch hat in seinem
Abschlussbericht35 den damals aktuellen Stand des
Umgangs mit diesen Untaten festgehalten und eine Vielzahl
von Maßnahmen und Gesetzesvorhaben angestoßen.
Die Einrichtungen und Institutionen wurden aufgefordert,
Verantwortung wahrzunehmen und die Vorgänge
aufzuarbeiten.36 Der von der Bundesregierung
eingesetzte Unabhängige Beauftragte für Fragen des
sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) hat sich seinem
Auftrag entsprechend intensiv mit der Frage beschäftigt,
welcher Handlungsbedarf für die Aufarbeitung der
Missbrauchsfälle besteht. Durch den engen Austausch
Blum· Juristische Aspekte des Umgangs mit den Missbrauchsfällen 2 3 9
37 Eine (unvollständige) Liste von Aufarbeitungsstudien im Bereich
der EKD findet sich unter https://www.ekd.de/sammlung-aufarbeitungsstudien-
projekten-und-berichten-64545.htm (6.9.2021).
38 Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs,
Rechte und Pflichten: Aufarbeitungsprozesse
in Institutionen – Empfehlungen zur Aufarbeitung sexuellen
Kindesmissbrauchs, Stand 2020, S. 8 und 9, https://www.
aufarbeitungskommission.de/service-presse/service/meldungen/
kommission-empfehlungen-aufarbeitung-sexueller-kindesmissbrauch-
institutionen/ (3.9.2021).
39 So z.B. die Empfehlungen der Unabhängigen Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung
des Verfahrens zur Anerkennung des Leids“ vom - September 2019, S. 6 ff. (https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/
diverse_downloads/dossiers_2019/2019–09-24_Anerkennung-
Empfehlungen-Unabhaengige_Arbeitsgruppe_10.09.2019-
final.pdf (6.9.2021)).
mit Betroffenen und mit wissenschaftlicher Begleitung
sind die Anforderungen an Aufarbeitung kontinuierlich
ausgestaltet und erweitert worden.
Was bedeutet Aufarbeitung nach dem heutigen Verständnis?
Die Unabhängige Kommission spricht von gesellschaftlicher
Aufarbeitung, die über die juristische
Aufklärung der Straftat und die individuelle Therapie
zur Verarbeitung des Traumas hinausgeht. Die Aufarbeitung
soll die Umstände und Strukturen in Institutionen
aufdecken, unter denen der Missbrauch möglich wurde,
und zielt auf die Anerkennung des Leids und auf die
Rechte und die Unterstützung Betroffener ab. Die Aufarbeitung
ist ein öffentlicher Prozess, bei dem alle Schritte
und Ergebnisse kommuniziert und veröffentlicht werden.
37 Bei der Durchführung wird zwischen dem institutionellen
Aufarbeitungsprozess und der individuellen
Bearbeitung differenziert.38 Während die institutionelle
Aufarbeitung eher die Offenlegung der organisatorischen
und kulturellen Schwachstellen betrifft, die den
Missbrauch überhaupt erst ermöglicht haben, zielt die
individuelle Bearbeitung auf die Anerkennung des erlittenen
Leides und geht auf die individuellen Bedürfnisse
der Betroffenen im konkreten Einzelfall ein. Für beide
Teile des Aufarbeitungsprozesses ist die Beteiligung der
Betroffenen unabdingbare Voraussetzung. Konkret wird
für den kirchlichen Bereich die Errichtung von Unabhängigen
Aufarbeitungskommissionen gefordert, in denen
Betroffene, „neutrale“ Personen des öffentlichen Lebens
und Vertreterinnen der kirchlichen Institution vertreten sind. Die kirchlichen Vertreterinnen dürfen
keine Mehrheit haben.
Aus diesen grob skizzierten Eckpunkten wird deutlich,
dass Aufarbeitung weit mehr Ziele verfolgt als offene
rechtliche Fragen zu beantworten. Es geht um die
Aufdeckung von Machtverhältnissen, die Korrektur von
Verhaltensmustern, die Anerkennung und Linderung
von Leid, die Stärkung von Betroffenen und Erhöhung
ihres Einflusses. In allen diesen Punkten sind juristische
Elemente enthalten. Es bleibt aber festzuhalten, dass es
sich bei der Aufarbeitung nicht um einen klar definierten
juristischen Begriff handelt. Bei näherer Befassung
mit seinen unterschiedlichen Aspekten bleiben große
Unsicherheiten, unter welchen Bedingungen und mit
Einsatz welcher Mittel die Ziele der Aufarbeitung erreicht
werden können.
Damit ist keine Bewertung verbunden, dass ein so
verstandener Prozess der Aufarbeitung nicht einen großen
Beitrag zur Bewältigung der verjährten Fälle aus der
ferneren Vergangenheit leisten kann. Im Gegenteil: es ist
klar, dass die desaströsen Folgen im Lichte des eben Ausgeführten
nicht allein auf juristischem Weg bewältigt
werden können. Weiterhin ist klar, dass Ansehen und
Glaubwürdigkeit von Kirchen nicht durch juristische
Formalakte wieder aufgebaut werden. Deshalb tun alle
kirchlichen Organisationseinheiten, in denen entsprechende
Fälle aufgetreten sind, gut daran, sich auf Aufarbeitungsprozesse
unter Beteiligung der Betroffenen
einzulassen.
Es muss jedoch erlaubt sein, das derzeit vom UBSKM
verfolgte Aufarbeitungskonzept unter juristischen und
rechtsstaatlichen Gesichtspunkten unter die Lupe zu
nehmen. Zum einen, weil mit dem UBSKM eine Stelle
der Bundesregierung gestaltend in ein gesellschaftliches
Problemfeld eingreift, zum anderen, weil es gerade veraltete
Rechtsnormen waren, die eine angemessene juristische
Bearbeitung aus heutiger Sicht verhinderten. Es
sollte daher der Anspruch bestehen, dass neue Prozesse,
die politisch initiiert werden, neben der Verfolgung weiterer
Ziele zumindest auch bewirken, dass unter rechtsstaatlichen
Gesichtspunkten juristisch vertretbare und
befriedende Ergebnissen erreicht werden. Vor diesem
Hintergrund sind die folgenden Bemerkungen zu
verstehen. - Einordnung des Aufarbeitungsprozesses unter rechtlichen
Gesichtspunkten
Die Aufarbeitung, die heute von der Kirche gefordert
wird, ist ein Prozess, der weder materiell noch prozessual
dem geltenden Recht unterliegt. Er ist eher als ein notwendiger
Erkenntnis- und Verständigungsprozess zu
qualifizieren, der neben dem staatlichen Recht und über
dieses hinaus stattfindet. Das ist deshalb wichtig zu betonen,
weil in der Debatte um die Aufarbeitung immer
wieder Forderungen eingebracht werden, die auf das geltende
Recht Bezug nehmen. Dies trifft insbesondere Forderungen
nach Schadensersatz und Schmerzensgeld.39
2 4 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 3 3 — 2 4 2
40 11-Punkte Plan der EKD Synode und seine Realisierung: Berichte
an die Synode von 2019 (https://www.ekd.de/bericht-beauftragtenrat-
sexualisierte-gewalt-synode-2019–51487.htm (3.9.2021))
und 2020 (https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/03-TOP-IIIBericht-
des-Beauftragtenrates.pdf 3.9.2021)).
41 K .Mertes, Gastbeitrag in FAZ vom 17.2.2021 „Gerechtigkeit statt
Harmonie“; K .Mertes, Den Kreislauf des Scheiterns durchbrechen,
2021, S. 43 ff.
Oder die Forderung nach „Bestrafung“ der Täter. Solche
Ansprüche und Forderungen gehören in das staatliche
Rechtsschutzsystem und sind an die dort geltenden
Regeln gebunden. Zu diesen Regeln gehören auch die
Verjährungsvorschriften, die Grundsätze der Beweislastverteilung
und die Unschuldsvermutung.
Mit diesem Hinweis soll in erster Linie eine eindeutige
und unmissverständliche Begrifflichkeit im Kontext
der Aufarbeitung erreicht werden. Schadensersatz und
Schmerzensgeld sind nicht Gegenstand der Aufarbeitung.
Das bedeutet allerdings nicht, dass es keine Zahlungen
und Unterstützungen an Betroffene gibt. Im Gegenteil:
in den Evangelischen Landeskirchen sind Kommissionen
eingerichtet, die Betroffenen Anerkennungsund
Unterstützungsleistungen zusprechen.40 Die
Kriterien und Maßstäbe für die Gewährung der Leistungen
werden innerhalb der EKD schrittweise angeglichen.
Für die Feststellung der zum Teil weit in der Vergangenheit
liegenden Taten reicht es in aller Regel, dass sie von
den Betroffenen plausibel und glaubhaft dargestellt werden.
Damit wird im Interesse der Betroffenen von den in
Prozessordnungen geltenden Anforderung an den Beweis
als Grundlage für finanzielle Forderungen abgewichen.
Die Anerkennungs- und Unterstützungsleistungen
sind ein wichtiger Bestandteil der individuellen Bearbeitung
und Ausdruck der kirchlichen Bereitschaft, die Betroffenen
in ihrer jeweiligen persönlichen Situation
wahrzunehmen. In rechtlicher Hinsicht handelt es sich
um freiwillige Leistungen, nicht um Schadensersatz oder
Schmerzensgeld. - Beteiligung der Betroffenen
Ein zentraler Bestandteil des Aufarbeitungsprozesses ist
die Beteiligung der Betroffenen. Sie ist unverzichtbares
Element, stellt aber gleichzeitig alle Beteiligte vor die
größten Herausforderungen. Unverzichtbar ist die
Betroffenenbeteiligung wegen der spezifischen Tatkonstellationen
in den Fällen sexualisierter Gewalt. Nur mit
Hilfe der Betroffenen können die Mechanismen und
Zusammenhänge, die die Taten ermöglicht haben, aufgedeckt
und wirksame Interventions- und Präventionsmaßnahmen
in die Wege geleitet werden. Beteiligung
der Betroffenen ist auch für die gelingende individuelle
Bearbeitung, die Linderung des zugefügten Leids und
die Anerkennung ihrer individuellen Bedürfnisse unverzichtbar.
Ungeklärt ist jedoch die Frage, was Beteiligung über
die Einbeziehung einzelner Personen hinaus ganz konkret
heißt, wie sie institutionalisiert werden kann und
wie Betroffene in Entscheidungsprozesse einbezogen
werden können. Politisch wird derzeit ganz klar eine institutionalisierte
Beteiligung in Form von Betroffenenbeiräten
und die aktive Mitwirkung der Betroffenen in
Entscheidungsprozessen der Kirchen gefordert. Die Erfahrungen,
die bislang mit der Einrichtung von Betroffenenbeiräten
gemacht wurden, sind überaus zwiespältig,
auch aus Sicht von Betroffenen – ein Dilemma, aus dem
es bislang keinen Königsweg gibt. In der Beteiligung an
Entscheidungsprozessen steckt die Gefahr der Instrumentalisierung
der Betroffenen, auf die insbesondere
Klaus Mertes aufmerksam gemacht hat.41 Jede Form der
Instrumentalisierung ist jedoch den Zielen der Aufarbeitung
abträglich. - Rollenkonflikte
Der Aufarbeitungsprozess, so wie er derzeit angelegt ist,
führt zu erheblichen Rollenkonflikten. Sie treten nicht
nur auf Seiten der Betroffenen auf (sind sie unabhängige
Beraterinnen mit Expertenwissen, Vertreterinnen der
eigenen Sache, einer Interessensgruppe oder gar
Mitentscheiderinnen kirchlichen Handelns?), sondern genauso auf Seiten der Kirchen und ihrer Vertreter. Die Kirchen werden im Aufarbeitungsprozess zur Partei. Es stehen sich nicht mehr Täter und Opfer gegenüber, sondern Kirche und Betroffene. Hat die Kirche in der ersten Konstellation noch die Rolle, quasi als „Dritter“ zur Aufklärung der Taten beizutragen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen (z.B. Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden, Durchführung von Disziplinarverfahren, Einleitung von Maßnahmen der Intervention und zur Prävention etc), ist sie in der zweiten Konstellation direkt Konfliktbeteiligte und befindet sich aus öffentlicher Sicht eindeutig auf der Täterseite und der Anklagebank. Das ist aufgrund des institutionellen Versagens, das in vielen Fällen eine Rolle gespielt hat, nicht völlig unberechtigt. Allerdings gerät damit alles, was die Kirche tut und äußert, in das Zwielicht des Selbstschutzes, der Rechtfertigung oder der Beschwichtigung. In dieser polarisierten öffentlichen Auseinandersetzung zwischen den Kirchen und den Betroffenen gibt es keine neutrale dritte Instanz, die das Verfahren leitet (wie z.B. Richterinnen, Mediatoren, Schlichter*innen
etc.). Der UBSKM kann eine solche Rolle nicht ausüben,
da er seinem Auftrag entsprechend als Fürsprecher der
Betroffenen auftritt und ihnen eine starke Stimme verleiht.
Der Verlauf des Aufarbeitungsprozesses und die
Blum· Juristische Aspekte des Umgangs mit den Missbrauchsfällen 2 4 1
42 Katsch, Bauer, Haucke in Zeit, Christ & Welt, 18.2.2021, „Die
Kirche kann es nicht allein“.
43 Unabhängige Kommission, Empfehlungen (s.o. Fn. 38), S. 9.
Bewertung der Ergebnisse sind dem freien Spiel der
Kräfte in der öffentlichen Auseinandersetzung überlassen.
Spätestens hier wird deutlich, dass Aufarbeitung in
diesem Sinne ein politischer und kein juristischer Prozess
ist. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass in
letzter Zeit die Rufe nach der Einrichtung einer parlamentarischen
„Wahrheitskommission“ laut wurden.42 - Ungewünschte Konsequenzen
Die beschriebene Rollenveränderung wirkt sich zwangsläufig
auch belastend auf das Verhältnis der Kirchen zu
den Betroffenen aus. Die heutigen Vertreter der Kirchen
im Aufarbeitungsprozess werden von den Betroffenen
nicht selten an die Stelle der Täter von gestern gesetzt,
insbesondere, wenn letztere verstorben oder nicht mehr
im Dienst sind. Psychologen und Traumatherapeuten
betonen immer wieder, wie wichtig es ist, dass die
Vertreter*innen der Kirche den Betroffenen gegenüber
mit Empathie und Verständnis auftreten und ihren
Berichten uneingeschränkt Glauben schenken. Genau
dies wird durch die polarisierte Rollenverteilung im Aufarbeitungsprozess
erheblich erschwert. Wer als Gegenspieler
wahrgenommen wird, kann nicht gleichzeitig die
Rolle des offenen, zuhörenden und empathischen Unterstützers
übernehmen.
Eine weitere Nebenfolge dieser Polarisierung könnte
auch sein, dass die Kirchen bei der Verhängung von
dienstrechtlichen Disziplinarmaßnahmen in Schwierigkeiten
geraten. Solche Maßnahmen müssen objektiv und
nach rechtsstaatlichen Kriterien beschlossen werden. Sie
unterliegen der gerichtlichen Kontrolle. Je stärker die
Kirchen unter äußerem Handlungsdruck stehen, desto
angreifbarer werden die Maßnahmen. In anderer Hinsicht
besteht eine gewisse Diskrepanz bereits jetzt, wenn
einerseits gegen einen (potentiellen) Täter wegen Verjährung
oder mangelnder Beweisbarkeit der vorgeworfenen
Taten keine straf- oder disziplinarrechtlichen
Maßnahmen verhängt werden können, andererseits Betroffene
aufgrund der geringeren Darlegungsanforderungen
für eben diese Taten Anerkennungs- oder Unterstützungsleistungen
erhalten. - Aufarbeitung als Perspektive für die gesellschaftliche
Herausforderung?
Der derzeit verfolgte politische Aufarbeitungsprozess ist
im Hinblick auf seinen Verlauf und seine Ergebnisse
nicht vorhersehbar. Nicht nur, dass die zwei Unterprozesse
der Aufarbeitung, die institutionelle Aufarbeitung
und die individuelle Bearbeitung, getrennt voneinander
ablaufen. Der Aufwand und der Zeitablauf ist für beide
Teilprozesse nicht kalkulierbar. Insbesondere die individuelle
Bearbeitung kann sich in einzelnen Fällen als eine
lebenslange Aufgabe erweisen.43 Die Kirchen haben sich
in den Gesprächen mit dem UBSKM auf diesen Weg eingelassen
und haben bzw. werden dies in gemeinsamen
Erklärungen dokumentieren. Das ist aus politischer
Sicht und aus der Verantwortung heraus, die die Kirchen
tragen, zu begrüßen.
Es darf allerdings bezweifelt werden, dass dieser Weg
für andere gesellschaftliche Gruppen und Institutionen
einen Vorbildcharakter hat und sie ermutigt, in ihrem
Bereich einen Aufarbeitungsprozess zu starten. Die Erfahrungen,
die mit Aufarbeitung im Bereich der Kirchen
gemacht wurden, lassen eher befürchten, dass es zu massiven
Polarisierungen kommt und es nicht gelingt, in
überschaubarer Zeit Ergebnisse zu erzielen, die von Betroffenen
und der Öffentlichkeit akzeptiert werden. Deshalb
werden noch viele weitere Anstrengungen nötig
sein, um Kindesmissbrauch und sexualisierte Gewalt als
gesamtgesellschaftliches Phänomen einzudämmen und
in den Griff zu bekommen.
Aus juristischer Perspektive bleibt als Ergebnis dieser
Untersuchungen das Gefühl der Unzufriedenheit. Einerseits
gelingt es nicht, mit den Mitteln des Rechtsstaats
den heute bekannten und ungeahndet gebliebenen Fällen
von Missbrauch und sexualisierter Gewalt in der
Evangelischen Kirche beizukommen. Die viel zu schnelle
strafrechtliche Verjährung in der Vergangenheit verhindert
wirksame Schritte. Andererseits ist es bislang
weder Kirchen noch Staat gelungen, außerhalb des staatlichen
Rechtsschutzes wirksame Aufarbeitungsprozesse
zu etablieren, die auf individueller Ebene die Bedürfnisse
der Betroffenen aufgreifen und Ergebnisse erzielen,
die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten als gerecht
und angemessen empfunden werden. Der aktuell diskutierte
und verfolgte Prozess ist ein politischer, der die
Vorgänge auf eine öffentliche Bühne holt, aber als solcher
nicht in der Lage ist, in absehbarer Zeit Lösungen
für Betroffene und beteiligte Institutionen zu erzielen. So
bleibt es weiterhin Aufgabe der Evangelischen Kirchen,
in ihrem Wirkungsbereich die Aufarbeitung aus eigenem
Antrieb und mit Unterstützung unabhängiger
2 4 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 3 3 — 2 4 2
44 Hierzu sehr eindrücklich K. Mertes, Den Kreislauf des Scheiterns
durchbrechen, 2021, S. 22 ff.
Fachleute entschlossen fortzuführen, die bereits etablierten
kirchlichen Maßnahmen zu verstärken und sich den
Betroffenen mit ideellen und materiellen Unterstützungsangeboten
zuzuwenden. Sie sollten dies nicht mit
der Zielsetzung tun, in der Öffentlichkeit möglichst
schnell wieder als angesehene und moralisch einwandfreie
Institution dazustehen.44 Sie sollten es tun mit dem
Ziel, in möglichst vielen Einzelfällen einen Beitrag zur
Linderung des in ihrem Schutzbereich begangenen Unrechts
zu leisten, die eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten
zu erkennen und ein wirksames Bündel an Interventions-
und Präventionsmaßnahmen zu erlassen,
um Kindern, Jugendlichen und anderen Schutzbedürftigen
ein sicheres Umfeld zu bieten.
Der Verfasser ist Leiter des Landeskirchenamts der
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Mitglied
des Beauftragtenrats zum Schutz vor sexualisierter
Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD).