Menü Schließen
Klicke hier zur PDF-Version des Beitrags!

Das Ber­li­ner Abge­ord­ne­ten­haus hat am 2. Sep­tem­ber 2021 ein neu­es Hoch­schul­ge­setz ange­nom­men. Erst in der Aus­schuss­be­ra­tung (und auch nach Anhö­rung der Ber­li­ner Uni­ver­si­tä­ten) wur­de ein neu­er § 110 Abs. 6 Satz 2 BerlHG in das Ver­fah­ren eingeführt.1 Die Prä­si­den­tin der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin, Frau Prof. Dr.-Ing. Dr. Sabi­ne Kunst, trat auf­grund der gesetz­li­chen Neu­re­ge­lung von ihrem Amt zurück.2 Die fol­gen­de ver­fas­sungs­recht­li­che Kurz­stel­lung­nah­me wur­de über die Pres­se­stel­le der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin verbreitet.3 Die frag­li­che Vor­schrift lau­tet:
(6) 1Mit einem wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­ter oder einer wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­te­rin auf einer Qua­li­fi­ka­ti­ons­stel­le kann ver­ein­bart wer­den, dass im Anschluss an das befris­te­te Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis der Abschluss eines unbe­fris­te­ten Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­ses erfol­gen wird (Anschluss­zu­sa­ge), wenn die bei der Anschluss­zu­sa­ge fest­ge­leg­ten wis­sen­schaft­li­chen Leis­tun­gen erbracht wur­den und die sons­ti­gen Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zun­gen vor­lie­gen. 2Sofern der wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter oder die wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin bereits pro­mo­viert ist und es sich bei dem im Arbeits­ver­trag genann­ten Qua­li­fi­ka­ti­ons­ziel um eine Habi­li­ta­ti­on, ein Habi­li­ta­ti­ons­äqui­va­lent, den Erwerb von Lehr­erfah­rung und Lehr­be­fä­hi­gung oder um sons­ti­ge Leis­tun­gen zum Erwerb der Beru­fungs­fä­hig­keit gemäß § 100 han­delt, ist eine Anschluss­zu­sa­ge zu ver­ein­ba­ren.
I. Fra­ge­stel­lung und ihre Bedeu­tung
Hat das Land Ber­lin die Kom­pe­tenz zum Erlass von § 110 Abs. 6 Satz 2 BerlHG und § 95 Abs. 1 Satz 2 BerlHG (jeweils in der ab dem 25. Sep­tem­ber 2021 gel­ten­den Fas­sung)?
Die Fra­ge ist nicht nur abs­trakt rele­vant. Grund-rechts­ein­grif­fe – wie hier in die in Art. 5 Abs. 3 GG ver­an­ker­te Hoch­schul­au­to­no­mie – sind nur durch for­mell ver­fas­sungs­kon­for­me Geset­ze zu rechtfertigen.4 Ver­sto­ßen die betref­fen­den Nor­men des BerlHG gegen die bun­des­staat­li­che Kom­pe­tenz­ord­nung, könn­te daher neben einer abs­trak­ten Nor­men­kon­trol­le auch eine Ver­fas­sungs­be­schwer­de erfolg­reich sein, sofern die übri­gen Zuläs­sig­keits­vor­aus­set­zun­gen bezo­gen auf den kon­kre­ten Beschwer­de­füh­rer erfüllt sind.
II. Bun­des­kom­pe­tenz für Befris­tungs­re­ge­lun­gen in der Hochschule

  1. Grund­sät­ze der Kom­pe­tenz­ver­tei­lung zwi­schen Bund und Län­dern
    Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Län­der das Recht der Gesetz­ge­bung, soweit dem Bund durch das Grund­ge­setz kei­ne Gesetz­ge­bungs­be­fug­nis­se ver­lie­hen wer­den. Die Kata­lo­ge der Art. 73 und 74 GG sowie die sons­ti­gen grund­ge­setz­li­chen Bestim­mun­gen zur föde­ra­len Ver­tei­lung von Gesetz­ge­bungs­kom­pe­ten­zen gehen von einer voll­stän­di­gen, abschlie­ßen­den Kom­pe­tenz­ver­tei­lung ent­we­der auf den Bund oder auf die Län­der aus. „Auch wenn die Mate­rie eines Geset­zes Bezug zu ver­schie­de­nen Sach­ge­bie­ten auf­weist, die teils dem Bund, teils den Län­dern zuge­wie­sen sind, besteht des­halb die Not­wen­dig­keit, sie dem einen oder ande­ren Kom­pe­tenz­be­reich zuzuweisen.“5 Auf die­se Wei­se „wird der Kom­pe­tenz­be­reich der Län­der daher grund­sätz­lich durch die Reich­wei­te der Bun­des­kom­pe­ten­zen bestimmt, nicht umgekehrt.6 Aus der in Art. 30 und Art. 70 Abs. 1 GG ver­wen­de­ten Rege­lungs­tech­nik ergibt sich kei­ne Zustän­dig­keits­ver­mu­tung zuguns­ten der
    Mat­thi­as Ruf­fert
    Kei­ne Lan­des­kom­pe­tenz für § 110 Abs. 6 Satz 2 BerlHG und § 95 Abs. 1 Satz 2 BerlHG
    (jeweils i.d.F. vom 25. Sep­tem­ber 2021)
    1 Das par­la­men­ta­ri­sche Ver­fah­ren ist abruf­bar unter https://pardok.parlament-berlin.de/portala/browse.tt.html zur Drs. 18/3818.
    2 https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/oktober-2021/nr-211026–1.
    3 https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/november-2021/nr-21111.
    4 Allg. M. Prä­gnant: Hufen, Staats­recht II, 7. Aufl. 2018, § 34, Rn. 26: „Nur vom zustän­di­gen Gesetz­ge­ber erlas­se­ne Geset­ze kön­nen die Wis­sen­schafts­frei­heit ein­schrän­ken.“
    5 BVerfG, Beschl. v. 25.3.2021 – 2 BvF 1/20, 2 BvL 4/20, 2 BvL 5/20, NJW 2021, 1377, Rn. 81 (Ber­li­ner Mie­ten­de­ckel) unter Rück­griff auf st. Rspr.
    6 BVerfG (Fn. 5), Rn. 82. BVerfGE 135, 155 (196), wor­auf sich das BVerfG bezieht, ver­deut­licht, dass dies auch im Hin­blick auf das „Haus­gut“ der Län­der gilt (kon­kret: Kul­tur).
    Ord­nung der Wis­sen­schaft 2022, ISSN 2197–9197
    3 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 3 1 — 3 4
    7 BVerfG (Fn. 5), Rn. 82. Das BVerfG kehrt hier end­gül­tig von einer
    zuletzt 1976 in BVerfGE 42, 20 (28) ver­tre­te­nen Recht­spre­chung
    ab.
    8 BVerfG (Fn. 5), Rn. 99.
    9 Statt aller Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG III,
  2. Aufl. 2018, Art. 74, Rn. 101.
    10 Auf­zäh­lung bei Oeter (Fn. 9).
    11 BVerfG (Fn. 5), Rn. 104 m.w.N.
    12 BVerfG (Fn. 5), Rn. 104 m.w.N.
    13 BVerfG (Fn. 5), Rn. 105 m.w.N.
    14 BVerfG (Fn. 5), Rn. 105 m.w.N.
    15 BVerfG (Fn. 5), Rn. 105 m.w.N. zum Schrift­tum.
    16 BVerfG (Fn. 5), Rn. 105 m.w.N. zum Schrift­tum.
    17 BVerfG (Fn. 5), Rn. 106.
    18 BVerfG (Fn. 5), Rn. 106 m.w.N.
    19 BVerfG (Fn. 5), Rn. 106 m.w.N.
    Länder.“7 Es kommt also dar­auf an, ob es eine Bun­des­kom­pe­tenz
    gibt, die einer lan­des­recht­li­chen Rege­lung
    wie in § 110 Abs. 6 Satz 2 BerlHG und § 95 Abs. 1 Satz 2
    BerlHG ent­ge­gen­steht.
  3. „Arbeits­recht“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG)
    Gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG erstreckt sich die kon­kur­rie­ren­de
    Gesetz­ge­bung auf das Gebiet des Arbeits­rechts.
    Wenn es sich bei § 110 Abs. 6 Satz 2 BerlHG und
    § 95 Abs. 1 Satz 2 BerlHG um arbeits­recht­li­che Rege­lun­gen
    han­delt, steht dem Land Ber­lin die Befug­nis zur
    Gesetz­ge­bung nur dann zu, wenn der Bund von die­ser
    Gesetz­ge­bungs­zu­stän­dig­keit nicht Gebrauch gemacht
    hat (Art. 72 Abs. 1 GG). Wei­te­re Ein­schrän­kun­gen der
    Bun­des­zu­stän­dig­keit (Art. 72 Abs. 2 und 3 GG) bestehen
    nicht.
    Der Begriff des „Arbeits­rechts“ in Art. 74 Abs. 1
    Nr. 12 GG ist – wie durch­weg die in Art. 73 und 74 GG genann­ten
    Mate­ri­en – als unbe­stimm­ter Rechts­be­griff der
    Aus­le­gung nach den all­ge­mei­nen Regeln der Ver­fas­sungs­in­ter­pre­ta­ti­on
    zugänglich.8 Nach all­ge­mei­ner Mei­nung
    erfasst die­ser Begriff alle Rege­lun­gen, die auf
    Rechts­be­zie­hun­gen zwi­schen Arbeit­neh­mern und Arbeit­ge­bern
    bezo­gen sind, mit­hin den gesam­ten Bereich
    des indi­vi­du­el­len und kol­lek­ti­ven Arbeits­rechts; auf die
    Zuord­nung zur Pri­vat­wirt­schaft oder zum öffent­li­chen
    Dienst kommt es nicht an.9 Das BVerfG hat dem­entspre­chend
    zahl­rei­che arbeits­recht­li­che Ein­zel­re­ge­lun­gen die­sem
    Kom­pe­tenz­ti­tel zugeordnet.10
    „Die Zuord­nung einer gesetz­li­chen Rege­lung zu einem
    Kom­pe­tenz­ti­tel von … Art. 74 GG … erfolgt anhand
    ihres (unmit­tel­ba­ren) Regelungsgegenstands11, ihrer
    Wir­kun­gen und Adres­sa­ten sowie des Normzwecks12.
    Ob sich eine Rege­lung unter einen Kom­pe­tenz­ti­tel sub­su­mie­ren
    lässt, hängt davon ab, ob der dort genann­te
    Sach­be­reich unmit­tel­bar oder ledig­lich mit­tel­bar Gegen­stand
    die­ser Rege­lung ist.13 Für des­sen Ermitt­lung ist der
    sach­li­che – auch auf­grund des Gesamt­zu­sam­men­hangs
    der Rege­lung im jewei­li­gen Gesetz zu ermit­teln­de – Gehalt
    einer Rege­lung und nicht die vom Gesetz­ge­ber gewähl­te
    Bezeich­nung maßgebend.14 Eine gesetz­li­che Rege­lung
    ist – ihrem Haupt­zweck ent­spre­chend – dem
    Kom­pe­tenz­ti­tel zuzu­ord­nen, den sie spe­zi­ell und nicht
    (ledig­lich) all­ge­mein behandelt15, wobei die Rege­lung in
    ihrem – kom­pe­tenz­be­grün­den­den – (Gesamt-)Sachzusammenhang
    zu erfas­sen ist.“16 Der Norm­zweck ergibt
    sich „regel­mä­ßig aus dem – durch Aus­le­gung zu ermit­teln­den
    – objek­ti­vier­ten Wil­len des Gesetzgebers“17.
    Die­ser ist mit Hil­fe der aner­kann­ten Metho­den der Geset­zes­aus­le­gung
    zu ermit­teln, das heißt anhand des
    Wort­lauts der Norm, ihrer sys­te­ma­ti­schen Stel­lung, nach
    Sinn und Zweck sowie anhand der Geset­zes­ma­te­ria­li­en
    und ihrer Ent­ste­hungs­ge­schich­te, wobei sich die­se Metho­den
    nicht gegen­sei­tig aus­schlie­ßen, son­dern ergän­zen.
    Kei­ne unter ihnen hat einen unbe­ding­ten Vor­rang
    vor der anderen.18 Nicht ent­schei­dend sind aller­dings
    die sub­jek­ti­ven Vor­stel­lun­gen der am Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren
    betei­lig­ten Orga­ne oder Ein­zel­ner ihrer
    Mitglieder.19
    Nach die­sen Maß­stä­ben han­delt es sich sowohl bei
    § 110 Abs. 6 Satz 2 BerlHG als auch bei § 95 Abs. 1 Satz 2
    BerlHG dem Wort­laut nach um arbeits­recht­li­che Rege­lun­gen.
    Sie regeln das Ver­hält­nis zwi­schen der Hoch­schu­le
    und ihren Arbeit­neh­mern, bei § 110 Abs. 6
    Satz 2 BerlHG zwi­schen der Hoch­schu­le und der kon­kre­ten
    Grup­pe der pro­mo­vier­ten wis­sen­schaft­li­chen
    Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern. Die Rege­lun­gen
    wir­ken sich unmit­tel­bar auf die Rechts­ver­hält­nis­se der
    jeweils von ihr betrof­fe­nen (wis­sen­schaft­li­chen) Mit­ar­bei­te­rin­nen
    und Mit­ar­bei­ter aus. Der Anspruch auf eine
    Anschluss­zu­sa­ge bzw. das Ver­bot der sach­grund­lo­sen
    Befris­tung ist nicht nur mit­tel­ba­rer Reflex einer Rege­lung
    mit ande­rem Rege­lungs­ge­gen­stand.
    Dar­auf, dass die­se Rege­lung im Ber­li­ner Hoch­schul­ge­setz
    getrof­fen wird, kommt es nach den beschrie­be­nen
    ver­fas­sungs­ge­richt­lich fest­ge­leg­ten Maß­stä­ben nicht an.
    Nach ihrem erkenn­ba­ren Rege­lungs­zweck geht es der
    Rege­lung auch nicht um eine Reform der Struk­tur wis­sen­schaft­li­chen
    Arbei­tens an den Hoch­schu­len, son­dern
    unmit­tel­bar um die Ver­än­de­rung der Arbeits­ver­hält­nis­se
    des wis­sen­schaft­li­chen Mit­tel­baus, also um Arbeits­recht,
    nicht um Hoch­schul­recht. Die Ent­ste­hungs­ge­schich­te
    macht dies beson­ders deut­lich. Das Gesetz set­ze
    „… noch einen beson­de­ren Akzent … im Bereich der
    guten Arbeit: durch Ent­fris­tung nach der Pro­mo­ti­on.“
    Durch die­se unmit­tel­ba­re Ver­än­de­rung der Arbeits­be­Ruf­fert
    · Kei­ne Lan­des­kom­pe­tenz für das BerlHG 3 3
    20 Abge­ord­ne­ten­haus von Ber­lin, 18. WP, Ple­nar­pro­to­koll der
  4. Sit­zung vom 2. Sep­tem­ber 2021, S. 9852 (Abg. Czy­bor­ra)
    – dort Zitat mit Her­vor­he­bung von Verf. – sowie S. 9855
    (Abg. Schul­ze). Ähn­lich auch die Ein­brin­gung in den Aus­schuss
    durch die Abg. Czy­bor­ra, https://www.youtube.com/
    watch?v=8hehY-C-gt4&list=PLgqUxMeOmFHz3dxbDzR7kbuaJbeB9SWD&
    index=36 ab min 39:14.
    21 Drs. 18/3818 vom 8.6.2021; Vor­blatt, S. 3.
    22 Drs. 18/3818 vom 8.6.2021; Vor­blatt, S. 202. Her­vor­he­bung von
    Verf.
    23 BVerfG (Fn. 5), Rn. 87 ff. m.w.N. auch zum Schrift­tum.
    24 BVerfG (Fn. 5), Rn. 92 m.w.N.
    25 BVerfG (Fn. 5), Rn. 106, sowie bereits in BVerfGE 102, 99 (115) –
    Abfall­ge­setz NRW.
    din­gun­gen Pro­mo­vier­ter ent­stün­de Ber­lin ein Vor­teil im
    Wett­be­werb um den wis­sen­schaft­li­chen Nachwuchs.20
    Bereits die Senats­vor­la­ge für das Abge­ord­ne­ten­haus ent­hält
    fol­gen­de Passage:21
    „Gute Arbeits­be­din­gun­gen sind ein wich­ti­ger Garant für
    ertrag­rei­che Arbeits­pro­zes­se und zufrie­den­stel­len­de Arbeits­er­geb­nis­se.
    Wich­ti­ge Ver­ab­re­dun­gen zum The­ma
    gute Arbeit an den Ber­li­ner Hoch­schu­len wur­den bereits
    in den aktu­el­len Hoch­schul­ver­trä­gen für die Jah­re
    2018 bis 2022 getrof­fen. Im 14. Gesetz zur Ände­rung des
    Ber­li­ner Hoch­schul­ge­set­zes wur­den im Jahr 2017 bereits
    wich­ti­ge Wei­chen­stel­lun­gen gesetzt, um eine ver­bes­ser­te
    Grund­la­ge für eine ver­läss­li­che Per­so­nal­ent­wick­lung
    in den Ber­li­ner Hoch­schu­len sowie gute Beschäf­ti­gungs­be­din­gun­gen
    zu schaf­fen. Aller­dings bestehen
    auch im Bereich des Per­so­nal­we­sens wei­te­re
    Ände­rungs­be­dar­fe.“
    Zur sei­ner­zeit gene­rell vor­ge­schla­ge­nen optio­na­len
    Anschluss­zu­sa­ge führt die Begrün­dung des Senats aus:22
    „Für die­se an das Modell des Ten­ure-Track (s. § 102c) ange­leg­te
    Rege­lung besteht im Bereich des Hoch­schul­ar­beits­rechts
    zwar kein zwin­gen­der gesetz­ge­be­ri­scher Rege­lungs­be­darf.
    Der Gesetz­ge­ber will mit die­ser neu­en
    Rege­lung aber das Inter­es­se dar­an unter­strei­chen, mög­lichst
    vie­len befris­te­ten Beschäf­tig­ten früh­zei­tig Per­spek­ti­ven
    für eine Dau­er­be­schäf­ti­gung auf­zu­zei­gen, soweit
    sei­tens der Hoch­schu­le ein sol­cher Bedarf gese­hen
    wird und ent­spre­chen­de Mög­lich­kei­ten bestehen.“
    Die auf eine arbeits­recht­li­che Rege­lung ori­en­tier­te
    Ziel­rich­tung des Gesetz­ge­bers ist offen­kun­dig. Auch für
    § 95 Abs. 1 Satz 2 BerlHG gibt es an die­ser Zuord­nung
    kei­ne Zweifel.
  5. Umfang der Sperr­wir­kung
    a) Grund­satz
    Weil dem Land Ber­lin die Befug­nis zur Gesetz­ge­bung
    nur dann zusteht, wenn der Bund von die­ser Gesetz­ge­bungs­zu­stän­dig­keit
    nicht Gebrauch gemacht hat
    (Art. 72 Abs. 1 GG), ist nun­mehr in den Blick zu neh­men,
    wie weit die Gesetz­ge­bung des Bun­des im Bereich
    der befris­te­ten Arbeits­ver­hält­nis­se im aka­de­mi­schen
    Mit­tel­bau reicht.
    „Macht der Bund von der kon­kur­rie­ren­den Gesetz­ge­bung
    Gebrauch, ver­lie­ren die Län­der gemäß
    Art. 72 Abs. 1 GG das Recht zur Gesetz­ge­bung in dem
    Zeit­punkt („solan­ge“) und in dem Umfang („soweit“), in
    dem der Bund die Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenz zuläs­si­ger­wei­se
    in Anspruch nimmt (sog. Sperr­wir­kung). Soweit
    die Sperr­wir­kung reicht, ent­fällt die Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenz
    der Länder23. Die Sperr­wir­kung ver­hin­dert für
    die Zukunft den Erlass neu­er Lan­des­ge­set­ze und ent­zieht
    in der Ver­gan­gen­heit erlas­se­nen Lan­des­ge­set­zen die
    Kom­pe­tenz­grund­la­ge, sodass sie nich­tig sind bezie­hungs­wei­se
    wer­den. … In sach­lich-inhalt­li­cher Hin­sicht
    reicht die Sperr­wir­kung so weit, wie der Bun­des­ge­setz­ge­ber
    eine erschöp­fen­de, also lücken­lo­se und abschlie­ßen­de
    Rege­lung getrof­fen hat bezie­hungs­wei­se tref­fen
    wollte.“24
    b) § 95 Abs. 1 Satz 2 BerlHG
    Befris­te­te Arbeits­ver­hält­nis­se sind bun­des­recht­lich in
    § 14 TzBfG gere­gelt. Die Vor­schrift ist gemäß
    § 1 Abs. 2 WissZeitVG auf wis­sen­schaft­li­ches Per­so­nal
    aus­drück­lich anwend­bar. Zuläs­sig sind befris­te­te
    Arbeits­ver­hält­nis­se nach die­ser Bestim­mung nur, wenn
    sie durch einen sach­li­chen Grund gerecht­fer­tigt sind
    (§ 14 Abs. 1 TzBfG). In den Absät­zen 2, 2a und 3 des
    § 14 TzBfG regelt der Bun­des­ge­setz­ge­ber abschlie­ßend
    die Fäl­le, in denen eine sach­grund­lo­se Befris­tung zuläs­sig
    ist, ein­schließ­lich von Abwei­chungs­mög­lich­kei­ten
    der Tarif­ver­trags­par­tei­en. Der Bun­des­ge­setz­ge­ber hat
    inso­fern von sei­ner Kom­pe­tenz abschlie­ßend Gebrauch
    gemacht. § 95 Abs. 1 Satz 2 BerlHG schließt sach­grund­lo­se
    Befris­tun­gen gene­rell aus. „Ein deut­li­ches Anzei­chen
    dafür, dass eine lan­des­recht­li­che Bestim­mung einen
    Bereich betrifft, den der Bun­des­ge­setz­ge­ber gere­gelt hat,
    liegt vor, wenn ihr Voll­zug die Durch­set­zung des Bun­des­rechts
    beein­träch­tigt und die­ses nicht mehr – zumin­dest
    nicht mehr voll­stän­dig – oder nur ver­än­dert ange­wandt
    und sein Rege­lungs­ziel ledig­lich modi­fi­ziert ver­wirk­licht
    wer­den kann.“25 Genau dies ist hier der Fall:
    Indem nach § 95 Abs. 1 Satz 2 BerlHG sach­grund­lo­se
    Befris­tun­gen auch in den Fäl­len der § 14 Abs. 2, 2a
    und 3 TzBfG nicht mehr mög­lich sind, wird das beschrie­be­ne
    bun­des­recht­li­che Rege­lungs­sche­ma durch­bro­chen.
    c) § 110 Abs. 6 Satz 2 BerlHG
    Befris­te­te Arbeits­ver­trä­ge an Hoch­schu­len sind bun­des­recht­lich
    im WissZeitVG gere­gelt. Des­sen § 1 ver­weist
    3 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 3 1 — 3 4
    26 Zum fol­gen­den auch Deut­scher Bun­des­tag, Wis­sen­schaft­li­che
    Diens­te, Aus­ar­bei­tung WD 3 — 3000 — 173/21 S. 7 f.
    27 Zur Erläu­te­rung Löwisch, Die Ablö­sung der Befris­tungs­be­stim­mun­gen
    des Hoch­schul­rah­men­ge­set­zes durch das Wis­sen­schafts­zeit­ver­trags­ge­setz,
    NZA 2007, 479.
    28 BT-Drs. 10/2283, S. 6 sub 1.
    29 BVerfG (Fn. 5), Rn. 91.
    30 Zum fol­gen­den Deut­scher Bun­des­tag (Fn. 23), S. 8.
    für den Abschluss von Arbeits­ver­trä­gen für eine
    bestimm­te Zeit (befris­te­te Arbeits­ver­trä­ge) mit wis­sen­schaft­li­chem
    und künst­le­ri­schem Per­so­nal (außer Hoch­schul­leh­rer)
    an staat­li­chen Hoch­schu­len des Lan­des­rechts
    auf die §§ 2, 3 und 6 des Geset­zes. Die­se Nor­men
    regeln im Wesent­li­chen die Befris­tungs­höchst­dau­er.
    Bun­des­recht­lich ist – mit Modi­fi­ka­tio­nen im Ein­zel­nen
    – die Befris­tung bis zu sechs Jah­re vor der Pro­mo­ti­on
    und bis zu wei­te­re sechs Jah­re nach der Pro­mo­ti­on mög­lich,
    § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 WissZeitVG. Für län­ge­re Zeit­räu­me
    kann wis­sen­schaft­li­ches Per­so­nal nur unbe­fris­tet
    ein­ge­stellt wer­den.
    Ziel der Befris­tungs­re­ge­lun­gen des WissZeitVG ist
    es, die Erneue­rungs­fä­hig­keit der an den Hoch­schu­len
    betrie­be­nen Leh­re und For­schung sicherzustellen.26 Die
    Begrün­dung für die 1985 in das Hoch­schul­rah­men­ge­setz
    (HRG) auf­ge­nom­me­nen §§ 57a ff., die nach der Föde­ra­lis­mus­re­form
    I in das WissZeitVG über­tra­gen wurden27,
    ver­weist wört­lich auf „den lau­fen­den Zustrom jun­ger
    Wis­sen­schaft­ler und Ideen“ und dar­auf, zu ver­hin­dern,
    dass ohne die­sen Zustrom „die For­schung erstar­ren wür­de“.
    28 Vor­ge­hen­de Gene­ra­tio­nen dürf­ten die Stel­len nicht
    blo­ckie­ren, son­dern das nach­rü­cken­de Per­so­nal müs­se
    die Chan­ce haben, in den uni­ver­si­tä­ren Wis­sen­schafts­be­trieb
    zu gelan­gen. Die­ses gesetz­ge­be­ri­sche Ziel kann
    jedoch nicht erreicht wer­den, wenn allen pro­mo­vier­ten
    wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern
    eine Anschluss­zu­sa­ge gemacht wer­den muss. Sie sind
    dann im Anschluss an die befris­te­te Beschäf­ti­gung unbe­fris­tet
    zu beschäf­ti­gen. Auch hier­durch tritt der Fall ein,
    dass der Voll­zug einer lan­des­recht­li­chen Rege­lung die
    Durch­set­zung des Bun­des­rechts beein­träch­tigt und die­ses
    min­des­tens nicht mehr voll­stän­dig oder nur ver­än­dert
    ange­wandt wer­den kann bzw. dass sein Rege­lungs­ziel
    modi­fi­ziert wird. Auch hier fehlt es mit­hin an einer
    Lan­des­kom­pe­tenz.
    Die kla­re Ziel­set­zung der bun­des­ge­setz­li­chen Rege­lung
    ver­hin­dert es auch, sie als eine Min­dest­re­ge­lung anzu­se­hen,
    die einer stren­ge­ren Rege­lung durch den Lan­des­ge­setz­ge­ber
    zugäng­lich wäre.29 „Stren­ger“ im Sin­ne
    der bun­des­ge­setz­li­chen Rege­lung wäre letzt­lich eine
    noch grö­ße­re Fle­xi­bi­li­tät bei Befris­tun­gen.
    Das kla­re Ziel der bun­des­recht­li­chen Rege­lung steht
    auch einer Argu­men­ta­ti­on ent­ge­gen, die dar­auf abstell­te,
    dass § 110 Abs. 6 Satz 2 BerlHG die Befris­tungs­re­ge­lung
    nach dem WissZeitVG for­ma­li­ter nicht berührt, son­dern
    nur den Zeit­raum nach Ablauf der Beschäf­ti­gungs­frist
    betrifft.30 Nach Ablauf einer befris­te­ten Qua­li­fi­ka­ti­ons­stel­le
    erhal­ten zwar nur die­je­ni­gen Beschäf­tig­ten die zuge­sag­te
    unbe­fris­te­te Stel­le, die die Vor­aus­set­zun­gen dafür
    erfül­len. Die Ein­rich­tung von Qua­li­fi­ka­ti­ons­stel­len
    erfolgt aber gera­de mit dem Ziel, die Vor­aus­set­zun­gen
    durch Qua­li­fi­ka­ti­on zu erfül­len, so dass die weit über­wie­gen­de
    Zahl der pro­mo­vier­ten wis­sen­schaft­li­chen
    Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter in der Lage sein wer­den,
    von der Anschluss­zu­sa­ge Gebrauch zu machen. Damit
    kommt die befris­te­te Ein­stel­lung mit Anschluss­zu­sa­ge
    einer unbe­fris­te­ten Ein­stel­lung in der Wir­kung inso­weit
    gleich, als die Erneue­rung des Per­so­nals in der Wis­sen­schaft
    mit dem Ziel der Dyna­mi­sie­rung von
    For­schung und Leh­re, wie sie das WissZeitVG erstrebt,
    nicht mehr mög­lich wäre. Vor­han­de­ne Stel­len wür­den
    von Per­so­nen blo­ckiert, die von ihrer Anschluss­zu­sa­ge
    Gebrauch gemacht haben. Ver­schär­fend käme mit Blick
    auf die Inten­ti­on des Bun­des­ge­setz­ge­bers, die Qua­li­tät
    von For­schung und Leh­re zu stei­gern, hin­zu, dass ins­be­son­de­re
    sol­che wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­te­rin­nen und
    Mit­ar­bei­ter, die nicht im Anschluss an die hier­für grund­sätz­lich
    befä­hi­gen­de Habi­li­ta­ti­on auf eine Pro­fes­sur beru­fen
    wür­den, weil es stär­ke­re Bewer­be­rin­nen und Bewer­ber
    gibt, die Anschluss­zu­sa­ge zur Absi­che­rung des
    eige­nen Lebens­un­ter­halts aus­nut­zen wür­den. Das kon­ter­ka­riert
    Sinn und Zweck der abschlie­ßen­den bun­des­ge­setz­li­chen
    Rege­lung.
    III. Ergeb­nis
    Dem Land Ber­lin fehlt die Kom­pe­tenz für den Erlass von
    § 110 Abs. 6 Satz 2 BerlHG. Die gesetz­li­che Bestim­mung
    ist unwirk­sam und inso­weit auch kei­ne taug­li­che Grund­la­ge
    für Grund­rechts­ein­grif­fe. Auch für § 95 Abs. 1 Satz 2
    BerlHG besteht kei­ne Lan­des­kom­pe­tenz.
    Pro­fes­sor Dr. Mat­thi­as Ruf­fert hat an der Hum­boldt-
    Uni­ver­si­tät zu Ber­lin den Lehr­stuhl für Öffent­li­ches
    Recht und Euro­pa­recht inne.