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Über­sicht
I. (Hinter-)Grund
II. Poli­ti­scher Extre­mis­mus: Begriff – Befund – Analyse

  1. Anti­plu­ra­lis­mus und Into­le­ranz als gemein­sa­me Nenner
  2. Grund­ge­setz­lich bestimmt: Akti­ve Verfassungsfeindschaft
  3. Rechts­staat­lich gebo­te­ne Dif­fe­ren­zie­rung: Demo­kra­tisch oder extremistisch?
  4. Zivil­ge­sell­schaft: Pri­vat­au­to­no­mie und anti­ra­di­ka­ler Mainstream
  5. Neu: Rigi­der Mora­lis­mus als Gefahr für Mei­nungs- wie Wis­sen­schafts­frei­heit
    III. Prä­mis­se des Grund­ge­set­zes: Frei­heit­li­cher und wehr­haf­ter Rechtsstaat
  6. Frei­heit­lich: Umfas­sen­der Grund­rechts­schutz
    a) Schutz­be­reich der Mei­nungs­frei­heit
    b) Schutz­be­reich der Wis­sen­schafts­frei­heit
    c) Abgren­zung der bei­den Schutzbereiche
  7. Wehr­haft: Gren­zen grund­recht­li­cher Frei­hei­ten
    a) Grund­ge­setz­li­che Schutz­me­cha­nis­men
    b) Schran­ken der Mei­nungs­frei­heit
    c) Schran­ken der Wissenschaftsfreiheit
  8. Fazit: Ver­fas­sungs­im­ma­nen­ter Dua­lis­mus und gebo­te­ne Syn­the­se
    IV. Kon­se­quen­zen für das Hochschulpersonal
  9. Grund­sätz­li­ches
    a) Zeit­his­to­ri­scher Über­blick
    b) Kon­flikt: Ver­fas­sungs­schutz ver­sus Grund­rechts­schutz
    c) Lösung: Funk­tio­na­le Differenzierung
  10. Beam­te
    a) Posi­ti­ve Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    aa) Dog­ma­ti­sche Her­lei­tung
    bb) Ver­fas­sungs­kon­for­mi­tät
    [1] Poli­ti­sche Anschau­ung, Art. 3 Abs. 3 GG
    [2] Par­tei­en­pri­vi­leg, Art. 21 Abs. 2, 4 GG
    [3] Wis­sen­schafts­frei­heit, Art. 5 Abs. 3 GG
    [4] Mei­nungs­frei­heit, Art. 5 Abs. 1 GG
    cc) Völ­ker- und euro­pa­recht­li­che Kon­for­mi­tät
    [1] Mei­nungs­frei­heit, Art. 10, 14 EMRK
    [2] Poli­ti­sche Anschau­ung, Art. 21 Abs. 1 GRCh
    b) Recht­li­che Kon­se­quen­zen
    aa) Zugang
    bb) Bestand
    [1] Schwa­cher Bestands­schutz: Beam­te auf Wider­ruf und Pro­be
    [2] Star­ker Bestands­schutz: Beam­te auf (Lebens-)Zeit
    cc) Fazit: Abge­stuf­tes Schutzniveau
  11. Arbeit­neh­mer
    a) H. M.: Funk­ti­ons­theo­rie
    b) Beschäf­tig­te mit hoheit­li­chen Auf­ga­ben: Posi­ti­ve Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    c) Beschäf­tig­te ohne hoheit­li­che Auf­ga­ben: Nega­ti­ve Loya­li­täts­pflicht
    d) Kün­di­gungs­recht­li­che Konsequenzen
  12. Annex: Lehr­be­auf­trag­te
    V. Zusam­men­fas­sung
    I. (Hinter-)Grund
    Hoch­schu­len sind – ver­fas­sungs­recht­lich legi­ti­miert und prä­de­sti­niert – Hor­te der Wis­sen­schafts­frei­heit. An ihnen soll mög­lichst frei geforscht, gelehrt und so um die „rich­ti­gen“ Argu­men­te und Ideen gerun­gen wer­den – idea­ler­wei­se im Bewusst­sein, dass es kei­ne abso­lu­ten Wahr­hei­ten gibt. Tra­di­tio­nell sind Uni­ver­si­tä­ten zudem Orte, an denen Leh­ren­de wie Stu­die­ren­de von ihrer (poli­ti­schen) Mei­nungs­frei­heit Gebrauch machen; wenn und soweit deren Kom­mu­ni­ka­ti­on hier nicht als wis­sen­schaft­li­che durch Art. 5 Abs. 3 GG beson­ders geschützt ist, ist sie es zumin­dest durch Art. 5 Abs. 1 GG. Denn mög­lichst viel freie und offe­ne Dis­kus­si­on und Infor­ma­ti­on sind sowohl für den wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­ge­winn als auch für ein demo­kra­tisch ver­fass­tes Gemein­we­sen „schlecht­hin konstituierend“1. Die Reso­lu­ti­on des Deut­schen Hoch­schul­ver­bands (DHV) zur Debat­ten­kul­tur an Uni­ver­si­tä­ten muss daher auch für die Mei­nungs­frei­heit gel­ten: „Uni­ver­si­tä­ten sind Stät­ten geis­ti­ger Aus­ein­an­der­set­zung. […] Wer die Welt der Uni­ver­si­tä­ten betritt, muss akzep­tie­ren, mit Vor­stel­lun­gen kon­fron­tiert zu wer­den, die den eige­nen zuwiderlaufen.“2
    Frei­lich bestimmt das Grund­ge­setz auch für die­se bei­den Grund­rech­te Gren­zen: Wis­sen­schaft und damit For­schung und Leh­re sind zwar gem. Art. 5 Abs. 3 GG „frei“ (S. 1), aber die „Frei­heit der Leh­re ent­bin­det nicht von der Treue zur Ver­fas­sung“ (S. 2); und die „vor­be­halt­Chris­ti­an
    Picker und Sebas­ti­an Reif
    Mein Prof ist ein Nazi — Poli­ti­scher Extre­mis­mus und Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se an staat­li­chen Hoch­schu­len
    1 BVerfG 15.1.1958 –1 BvR 400/57, NJW 1958, 257, 258 – Lüth.
    2 https://www.hochschulverband.de/pressemitteilung.html (31.1.2021).
    Ord­nung der Wis­sen­schaft 2021, ISSN 2197–9197
    7 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    3 Vgl. BVerfG 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, NJW 2010, 47; Maunz/
    Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3 Rn. 28.
    4 Vgl. dazu etwa Eckert, Was war die Kie­ler Schu­le? in: Säcker
    (Hrsg.), Recht und Rechts­leh­re im Natio­nal­so­zia­lis­mus, 1992,
    S. 37 ff.; Erd­mann, Wis­sen­schaft im Drit­ten Reich, 1967, S. 14 ff.
    5 RGBl. 1933 I, S. 175.
    6 RGBl. 1935 I, S. 23.
    7 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechts­theo­rie, 11. Aufl. 2020, Rn. 546 ff.
    8 Dazu nur: Jork/Knoblauch (Hrsg.), Zwi­schen Humor und Repres­si­on
    – Stu­die­ren in der DDR, 2017, pas­sim;
    https://www.deutschlandfunk.de/ddr-studieren-in-einer-diktatur.
    1310.de.html?dram:article_id=398152 (31.1.2021).
    9 Zum Umgang pri­va­ter Arbeit­ge­ber mit poli­tisch extrem agi­tie­ren­den
    Arbeit­neh­mern aus­führ­lich: Chr. Picker, RdA 2021, 33 ff.
    10 Vgl. dazu etwa: https://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/
    rech­te-an-hoch­schu­len-war­um-deut­schen-unis-das-enga­ge­ment­schwer­faellt-
    a‑1224632.html (31.1.2021); https://www.welt.de/
    poli­ti­k/­deutsch­lan­d/ar­tic­le166529076/­Die-Hoch­schu­len-haben­nicht-
    den-Mut-durchzugreifen.html (31.1.2021).
    los“ gewähr­te For­schungs­frei­heit unter­liegt ver­fas­sungs­im­ma­nen­ten
    Schran­ken. Wei­ter­ge­hend kön­nen (nicht
    wis­sen­schaft­li­che) Mei­nungs­äu­ße­run­gen nach Art. 5
    Abs. 2 GG neben den Geset­zen zum Schut­ze der Jugend
    und dem Recht der per­sön­li­chen Ehre durch all­ge­mei­ne
    Geset­ze inhalt­lich beschränkt wer­den.
    Die­se Schran­ken haben die Müt­ter und Väter des
    Grund­ge­set­zes nicht zuletzt auf­grund ihrer Erfah­run­gen
    mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus gezogen.3 Auch an den
    deut­schen Uni­ver­si­tä­ten zeig­te sich näm­lich zwi­schen
    1933–1945, dass aka­de­mi­sche Bil­dung Leh­ren­de wie Stu­die­ren­de
    weder gegen eine ras­sis­ti­sche und anti­se­mi­ti­sche
    Ideo­lo­gie immu­ni­siert noch per se zu „bes­se­ren“
    Men­schen macht und so vor oppor­tu­nis­ti­schem Mit­läu­fer­tum
    schützt. Als Rechts­wis­sen­schaft­ler den­ken wir
    hier etwa an die Prot­ago­nis­ten der soge­nann­ten Kie­ler
    Schule4. Nach der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­er­grei­fung
    wur­den jüdi­sche und poli­tisch anders­den­ken­de
    Pro­fes­so­ren auf­grund des „Geset­zes zur Wie­der­her­stel­lung
    des Berufs­be­am­ten­tums“ vom 7.4.19335 sowie des
    „Geset­zes über die Ent­pflich­tung und Ver­set­zung von
    Hoch­schul­leh­rern aus Anlass des Neu­auf­baus des deut­schen
    Hoch­schul­we­sens“ vom 21.1.19356 ent­las­sen. Die
    dadurch frei gewor­de­nen Stel­len wur­den gezielt mit jun­gen
    regime­treu­en Rechts­wis­sen­schaft­lern besetzt – beson­ders
    an der Chris­ti­an-Albrechts-Uni­ver­si­tät zu Kiel,
    deren juris­ti­sche Fakul­tät so zur natio­nal­so­zia­lis­ti­schen
    „Stoß­trupp­f­akul­tät“ umfunk­tio­niert wur­de. Die neu­en
    Lehr­stuhl­in­ha­ber erwie­sen sich dann auch als wil­li­ge
    Unter­stüt­zer bei der ange­streb­ten natio­nal­so­zia­lis­ti­schen
    „Rechtserneuerung“.7
    Nach 1945 wur­den die ost­deut­schen Uni­ver­si­tä­ten
    und Hoch­schu­len erneut in den Dienst einer poli­tisch extre­men
    tota­li­tä­ren Ideo­lo­gie gestellt: Denn auch die DDR
    benö­tig­te eine ihr poli­tisch treu erge­be­ne aka­de­mi­sche
    Eli­te, um ihre „Dik­ta­tur des Pro­le­ta­ri­ats“ zu errich­ten; ent­spre­chend
    wur­den Stu­die­ren­de wie Leh­ren­de gezielt ideo­lo­gisch
    selek­tiert, indok­tri­niert und dis­zi­pli­niert; nicht die
    intel­lek­tu­el­le Eig­nung, son­dern das Bekennt­nis zum „Sozia­lis­mus“
    (als Chif­fre für die SED) ent­schied über den
    uni­ver­si­tä­ren Zugang, Ver­bleib und Erfolg.8
    Unser frei­heit­li­cher Rechts­staat bedroht die Wis­sen­schafts-
    und Mei­nungs­frei­heit grund­sätz­lich nicht
    mehr; viel­mehr schützt und gewähr­leis­tet er sie über­haupt
    erst. Mit­un­ter wer­den Wis­sen­schafts- wie Mei­nungs­frei­heit
    an unse­ren Hoch­schu­len heu­te jedoch
    durch Personen(-gruppen) gefähr­det, die poli­tisch extrem
    den­ken, agi­tie­ren und han­deln. Dazu gehö­ren
    auch Hoch­schul­be­schäf­tig­te.
    Der Fra­ge, ob und wie der Staat auf sol­che Beschäf­tig­te
    als Dienst­herr bzw. Arbeit­ge­ber (re-)agieren kann
    und soll, gehen wir in die­sem Bei­trag nach. Unbe­rück­sich­tigt
    blei­ben damit zum einen die pri­va­ten Hoch­schu­len,
    da hier nicht der Staat Dienst­herr bzw. Arbeit­ge­ber
    ist.9 Zum ande­ren müs­sen wir (weit­ge­hend) das Pro­blem
    aus­blen­den, wie sich Hoch­schu­len gegen­über poli­tisch
    extre­men Stu­die­ren­den und deren Ver­tre­tun­gen ver­hal­ten
    dür­fen und sollen10, da hier kei­ne beam­ten- oder arbeits­recht­li­chen
    Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se bestehen.
    Ange­spro­chen ist damit beson­ders die ver­fas­sungs­recht­li­che
    Per­spek­ti­ve: Beam­te und Arbeit­neh­mer im öffent­li­chen
    Dienst sind einer­seits Bür­ger und kön­nen sich
    als sol­che gegen­über dem frei­heits­ver­pflich­te­ten Staat
    unmit­tel­bar auf ihre (poli­ti­schen) Grund­rech­te beru­fen.
    Ande­rer­seits sind sie als Beschäf­tig­te „Teil des Staa­tes“
    und unter­lie­gen damit beson­de­ren Pflich­ten. Zu unter­su­chen
    ist daher, ob und inwie­weit Beschäf­tig­te an staat­li­chen
    Hoch­schu­len einer poli­ti­schen Treue­pflicht ihrem
    Dienst­herrn bzw. Arbeit­ge­ber gegen­über unter­lie­gen,
    sowie vice ver­sa, ob und inwie­weit sich die­se auf ihre
    Grund­rech­te beru­fen und poli­ti­sche Tole­ranz und Neu­tra­li­tät
    vom unmit­tel­bar grund­rechts­ver­pflich­te­ten Staat
    ein­for­dern kön­nen. Der hier auf­ge­zeig­te ver­fas­sungs­im­ma­nen­te
    Dua­lis­mus des öffent­li­chen Diens­tes – grund­recht­li­cher
    Frei­heits­schutz ver­sus staat­li­cher Ver­fas­sungs­schutz
    – wird an staat­li­chen Hoch­schu­len dadurch
    ver­kom­pli­ziert, dass die­se sowohl Grund­rechts­ver­pflich­te­te
    als auch Grund­rechts­trä­ger sind – und damit eine
    Zwit­ter­stel­lung zwi­schen Staat und Gesell­schaft, zwi­schen
    staat­li­cher Frei­heits­ver­pflich­tung und pri­va­ter
    Frei­heits­be­rech­ti­gung, ein­neh­men.
    Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 7 1
    11 So die Ein­tei­lung des BfV, Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2019, pas­sim,
    https://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2019.pdf
    (31.1.2021).
    12 Näher Chr. Picker, RdA 2020, 317, 319 ff. m. w. N.
    13 Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2019, S. 46 ff., 107 ff., 148 ff., 173 ff.,
    232 ff.
    14 Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2019, S. 25, 32.
    15 Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2019, S. 23 ff.
    16 Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2019, S. 148 f.
    17 Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2019, S. 173 ff.
    18 Näher Chr. Picker, RdA 2020, 317, 320 f.
    19 Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2019, S. 53, 116, 180.
    20 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 321.
    21 https://www.kas.de/documents/252038/253252/7_dokument_
    dok_pdf_9000_1.pdf/bbc3b780-9d91-a330-da25-824eb02cf62a
    (31.1.2021).
    22 Vgl. https://www.boeckler.de/de/interviews-17944-Corona-
    Pan­de­mie-Poli­ti­sche-Unzu­frie­den­heit-Ver­schwoe­rungs­my­then-
    28411.htm (31.1.2021).
    23 Vgl. Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2019, S. 3 f.; 24 ff.
    24 Ull­rich, JZ 2016, 169, 170 m. w. N.
    25 BGBl. I 2012, 1798.
    26 BT-Drs. 17/8672, S. 10.
    II. Poli­ti­scher Extre­mis­mus: Begriff – Befund – Ana­ly­se
    Kon­sens herrscht heu­te dahin­ge­hend, dass der poli­ti­sche
    Extre­mis­mus die zen­tra­le Bedro­hung für unse­ren frei­heit­li­chen
    Rechts­staat und unse­re offe­ne Gesell­schaft ist.
    Aller­dings wer­den die Gefah­ren, die von sei­nen fünf
    gro­ßen Strömungen11 – Rechts­extre­mis­mus, „Reichs­bür­ger“
    und „Selbst­ver­wal­ter“, Links­extre­mis­mus, Isla­mis­mus
    sowie extre­mis­ti­sche Bestre­bun­gen von Aus­län­dern
    (ohne Isla­mis­mus) – aus­ge­hen, poli­tisch sehr unter­schied­lich
    bewertet.12
  13. Anti­plu­ra­lis­mus und Into­le­ranz als gemein­sa­me Nen­ner
    Das Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz (BfV) erkennt
    hin­ge­gen als beru­fe­ner Hüter unse­rer Ver­fas­sung klar,
    dass jede Form des poli­ti­schen Extre­mis­mus den frei­heit­li­chen
    Rechts­staat und die offe­ne Gesell­schaft
    bedroht.13 Damit ent­spricht es sei­nem gesetz­li­chen
    Schutz­auf­trag nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 BVerfSchG,
    Infor­ma­tio­nen über sämt­li­che Bestre­bun­gen gegen die
    frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung zu sam­meln
    und aus­zu­wer­ten.
    Der – in der BRD nach wie vor über­wie­gend dem
    völ­ki­schen Den­ken ver­haf­te­te – Rechts­extre­mis­mus ist
    zwar (im Gegen­satz etwa zum Links­extre­mis­mus) schon
    in sei­nem ideo­lo­gi­schen Kern men­schen­ver­ach­tend;
    denn er spricht Men­schen allein des­halb Men­schen­wür­de
    und (Grund-)Rechte ab, weil die­se so sind, wie sie
    sind (far­big, jüdisch, behin­dert), ohne dass sie irgend­et­was
    „dafür“ noch hier­an ändern kön­nen. Auch geht der­zeit
    vom Rechts­extre­mis­mus sta­tis­tisch die größ­te Gefahr
    aus: Rechts­extre­mis­ten begin­gen im Berichts­jahr
    2019 mit 781 Fäl­len nicht nur mehr als dop­pelt so vie­le
    Kör­per­ver­let­zungs­de­lik­te wie Links­extre­mis­ten (355 Fäl­le)
    14, son­dern auch alle voll­ende­ten Tötungs­de­lik­te im
    Bereich der poli­tisch moti­vier­ten Kriminalität15.
    Dies ist jedoch kein Grund, die quan­ti­ta­tiv wie qua­li­ta­tiv
    zuneh­men­de Bedro­hung durch Linksextremisten16
    und Islamisten17 zu rela­ti­vie­ren und zu bagatellisieren.18
    Rechts­extre­mis­ten (32.080 Per­so­nen), Links­extre­mis­ten
    (33.500 Per­so­nen) und Isla­mis­ten (28.020 Per­so­nen) lie­gen
    momen­tan näm­lich nicht nur zah­len­mä­ßig unge­fähr
    gleichauf.19 Viel­mehr eint den poli­ti­schen Extre­mis­mus
    – bei allen grund­sätz­li­chen ideo­lo­gi­schen Unter­schie­den
    der ein­zel­nen Strö­mun­gen – die men­schen­feind­li­che
    Intoleranz.20 Alle extre­mis­ti­schen Ideo­lo­gien
    basie­ren – frei und oft ent­ge­gen von Fak­ten – auf einem
    pri­mi­ti­ven Schwarz-Weiß- und kom­pro­miss­lo­sen
    Freund-Feind-Den­ken; Sün­den­bö­cke sind wahl­wei­se
    und pau­schal die Juden, die „Asy­lan­ten“, die „Kapi­ta­lis­ten“
    oder die „Ungläubigen“.21 Gegen­wär­tig eta­blie­ren
    bzw. reak­ti­vie­ren zudem – ideo­lo­gisch wie poli­tisch sehr
    hete­ro­ge­ne – pseu­do­re­li­giö­se „Coro­na­leug­ner“ und Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker
    mit den inter­na­tio­na­len „Eli­ten“
    (vor­nehm­lich als Chif­fre für demo­kra­tisch legi­ti­mier­te
    Regie­run­gen und Poli­ti­ker) ein wei­te­res Feindbild.22 Damit
    erhebt jede die­ser Ideo­lo­gien für sich nicht nur einen
    – zutiefst wis­sen­schafts­feind­li­chen – abso­lu­ten Wahr­heits­an­spruch;
    viel­mehr wird Gewalt grund­sätz­lich als
    legi­ti­mes Mit­tel erach­tet, um die ideo­lo­gisch „wah­ren“
    Zie­le zu erreichen.23
  14. Grund­ge­setz­lich bestimmt: Akti­ve Ver­fas­sungs­feind­schaft
    Der Ter­mi­nus „poli­ti­scher Extre­mis­mus“ ist gesetz­lich
    nicht definiert.24 Ein­sei­tig heißt es in der Begrün­dung
    zum Rechts­extre­mis­mus­da­tei-Gesetz (RED‑G)25 nur:
    „Rechts­extre­mis­mus ist der Ober­be­griff für bestimm­te ver­fas­sungs­feind­li­che
    Bestre­bun­gen, die sich gegen die im
    Grund­ge­setz kon­kre­ti­sier­te fun­da­men­ta­le Gleich­heit der
    Men­schen rich­ten und die uni­ver­sel­le Gel­tung der Men­schen­rech­te
    ableh­nen. Rechts­extre­mis­ten sind Fein­de des
    demo­kra­ti­schen Verfassungsstaates“.26 § 4 Abs. 1 S. 1 c)
    BVerfSchG ver­wen­det als Syn­onym für poli­ti­schen Extre­mis­mus
    „Bestre­bun­gen gegen die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche
    Grund­ord­nung“; ent­spre­chend rech­net das BfV in
    sei­nen jähr­lich erschei­nen­den Verfassungsschutzberich7
    2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    27 Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/
    publikationen/verfassungsschutzberichte (31.1.2021).
    28 BVerfG 23.10.1952 – 1 BvB 1/51, NJW 1952, 1407.
    29 BVerfG 23.10.1952 – 1 BvB 1/51, NJW 1952, 1407.
    30 Vgl. Maunz/Dürig/Dürig/Klein, 91. EL April 2020, GG Art. 18
    Rn. 62.
    31 BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, NJW 2017, 611, 619.
    32 BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, NJW 2017, 611, 619 f.
    33 BVerfG 23.10.1952 – 1 BvB 1/51, NJW 1952, 1407.
    34 Die Begrif­fe frei­heit­lich demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung und
    ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Ord­nung sind nach all­ge­mei­ner Ansicht
    inhalts­gleich, vgl. Maunz/Dürig/Dürig/Klein, 91. EL April 2020,
    GG Art. 18 Rn. 57.
    35 Men­ger, Ver­w­Arch 67 (1976), 105, 106 f.
    36 So auch Ull­rich, JZ 2016, 169, 172; Murs­wiek, NVwZ 2006, 121;
    Wüs­ten­berg, NVwZ 2008, 1078, 1079.
    37 Inso­fern stim­men poli­tik­wis­sen­schaft­li­cher und juris­ti­scher
    Begriff über­ein, vgl. Ull­rich, JZ 2016, 169 ff. m. w. N.; Murs­wiek,
    NVwZ 2006, 121; Warg, Ver­w­Arch 99 (2008), 570, 571; Wüs­ten­berg,
    NVwZ 2008, 1078, 1079.
    38 Maunz/Dürig/Dürig/Klein, 91. EL April 2020, GG Art. 18 Rn. 65.
    39 BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, NJW 2017, 611.
    40 Vgl. Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2019, S. 91.
    ten Bestre­bun­gen von Personen(-gruppen), die sich
    gegen die frei­heit­lich demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung
    rich­ten, dem poli­ti­schen Extre­mis­mus zu27.
    Das Grund­ge­setz erwähnt und betont die­se „frei­heit­li­che
    demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung“ als fun­da­men­ta­les
    ver­fas­sungs­recht­li­ches Schutz­gut zwar mehr­fach (in
    Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2, 18 S. 1, 21 Abs. 2, 87a Abs. 4 S. 1
    und 91 Abs. 1 GG), defi­niert sie aber nicht. Das BVerfG
    beschreibt sie seit 1952 als „eine Ord­nung, die unter Aus­schluß
    jeg­li­cher Gewalt- und Will­kür­herr­schaft eine
    rechts­staat­li­che Herr­schafts­ord­nung auf der Grund­la­ge
    der Selbst­be­stim­mung des Vol­kes nach dem Wil­len der jewei­li­gen
    Mehr­heit und der Frei­heit und Gleich­heit dar­stellt.“
    28 Zu die­sen grund­le­gen­den Prin­zi­pi­en zählt das
    BVerfG nicht sämt­li­che Nor­men und Insti­tu­tio­nen des
    Grund­ge­set­zes, son­dern nur des­sen Grund­prin­zi­pi­en
    und damit „min­des­tens […] die Ach­tung vor den im GG
    kon­kre­ti­sier­ten Men­schen­rech­ten, vor allem vor dem Recht
    der Per­sön­lich­keit auf Leben und freie Ent­fal­tung, die
    Volks­sou­ve­rä­ni­tät, die Gewal­ten­tei­lung, die Ver­ant­wort­lich­keit
    der Regie­rung, die Gesetz­mä­ßig­keit der Ver­wal­tung,
    die Unab­hän­gig­keit der Gerich­te, das Mehr­par­tei­en­sys­tem
    und die Chan­cen­gleich­heit für alle poli­ti­schen Par­tei­en
    mit dem Recht auf ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Bil­dung und
    Aus­übung einer Opposition“29. Ein­fach­ge­setz­lich fin­det
    sich eine weit­ge­hend iden­ti­sche Auf­lis­tung der ver­fas­sungs­recht­li­chen
    Grund­wer­te in § 4 Abs. 2 BVerfSchG.
    Die­se heu­te all­ge­mein aner­kann­te Definition30 hat das
    BVerfG 2017 dahin­ge­hend prä­zi­siert, dass die frei­heit­li­che
    demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung nur „weni­ge, zen­tra­le
    Grund­prin­zi­pi­en, die für den frei­heit­li­chen Ver­fas­sungs­staat
    schlecht­hin unent­behr­lich sind“, erfasst; die­se lie­ßen
    sich nicht durch Rück­griff auf Art. 79 Abs. 3 GG bestim­men.
    31 Zu die­sen Grund­prin­zi­pi­en zäh­len die Men­schen­wür­de,
    das Demo­kra­tie­prin­zip sowie der Grund­satz der
    Rechtsstaatlichkeit.32 Die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche
    Grund­ord­nung ist danach „das Gegen­teil des tota­len Staa­tes,
    der als aus­schließ­li­che Herr­schafts­macht Men­schen­wür­de,
    Frei­heit und Gleich­heit ablehnt.“33
    Ver­fas­sungs­recht­lich ist eine extre­mis­ti­sche Ein­stel­lung
    allein jedoch nicht aus­rei­chend, um Extre­mist zu
    sein. Wie die erwähn­ten Vor­schrif­ten des Grund­ge­set­zes
    (Art. 9 Abs. 2: „sich gegen die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Ord­nung
    […] richten“34, Art. 18 S. 1: „zum Kamp­fe gegen die
    frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung“, Art. 21
    Abs. 2: „dar­auf aus­ge­hen, die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche
    Grund­ord­nung zu beein­träch­ti­gen oder zu besei­ti­gen“
    und Abs. 3: „dar­auf aus­ge­rich­tet sind, die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche
    Grund­ord­nung zu beein­träch­ti­gen oder zu
    besei­ti­gen“) und auch § 4 Abs. 1 S. 1 c) BVerfSchG („Bestre­bun­gen
    gegen die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung“)
    zei­gen, muss sich die extre­mis­ti­sche Ein­stel­lung
    kumu­la­tiv in akti­ven Hand­lun­gen gegen die­se
    Grund­ord­nung niederschlagen.35 Ver­fas­sungs­recht­lich
    ist damit nur extre­mis­tisch, wer die Grund­ord­nung des
    Grund­ge­set­zes sub­jek­tiv ablehnt und die­se aktiv bekämpft.
    36 Poli­ti­scher Extre­mis­mus steht folg­lich für akti­ve
    Verfassungsfeindschaft37.
  15. Rechts­staat­lich gebo­te­ne Dif­fe­ren­zie­rung: Demo­kra­tisch
    oder extre­mis­tisch?
    Damit ist eine poli­ti­sche Ein­stel­lung aus ver­fas­sungs­recht­li­cher
    Sicht extre­mis­tisch, die die unver­zicht­ba­ren
    „Kernelemente“38 der frei­heit­lich demo­kra­ti­schen
    Grund­ord­nung – Men­schen­wür­de, Demo­kra­tie­prin­zip
    und Rechts­staat­lich­keit – ablehnt. Ein­deu­tig extre­mis­tisch
    ist es etwa, wenn ein „Füh­rer­staat“ oder eine „Dik­ta­tur
    des Pro­le­ta­ri­ats“ pro­pa­giert und so neben dem
    Rechts­staats- das grund­ge­setz­li­che Demo­kra­tie­prin­zip
    im Kern negiert wird, wel­ches neben der Volks­sou­ve­rä­ni­tät
    die Ver­ant­wort­lich­keit der Regie­rung, ein Mehr­par­tei­en­sys­tem,
    die Chan­cen­gleich­heit der poli­ti­schen
    Par­tei­en sowie das Recht auf Oppo­si­ti­on voraussetzt39.
    Und sicher rechts­extre­mis­tisch ist es, wenn Men­schen
    ande­ren Men­schen (Grund-)Rechte allein wegen ihrer
    bio­lo­gi­schen bzw. eth­ni­schen Her­kunft gewäh­ren oder
    ver­weh­ren wollen.40
    Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 7 3
    41 Vgl. §§ 57 ff., 53 ff., 11, 15 Auf­enthG, §§ 8 Abs. 1 Nr. 2, 11 S. 1, 12a
    StAG.
    42 Wüs­ten­berg, NVwZ 2008, 1078, 1082.
    43 Wüs­ten­berg, NVwZ 2008, 1078, 1081.
    44 So auch Ull­rich, JZ 2016, 169, 172.
    45 BVerfG 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01, NJW 2005, 2912, 2913 f.;
    BVerwG 26.6.2013 – 6 C 4/12, NVwZ 2014, 233; VGH Mün­chen
    22.10.2015 – 10 B 15.1609, Beck­RS 2015, 55371; Murs­wiek,
    NVwZ 2006, 121 ff.; ders., NVwZ 2004, 769, 772 ff.; ders., DVBl.
    1997, 1021, 1028 ff.; Wüs­ten­berg, NVwZ 2008, 1078, 1082; Gusy,
    NVwZ 1986, 6, 7 ff. Zur Ein­griffs­qua­li­tät der Bezeich­nung einer
    Par­tei als „Prüf­fall“: VG Köln 26.2.2019 – 13 L 202/19, NVwZ 2019,
    1060.
    46 Bicken­bach, DVBl. 2017, 149, 153; Enders, JZ 2008, 1092; Volk­mann,
    JZ 2010, 209, 213; ders., NJW 2010, 417.
    47 Vgl. Bei­sel, NJW 1995, 997, 1000; Hus­ter, NJW 1996, 487; kri­tisch
    inso­weit und für Recht­fer­ti­gungs­lö­sung: Hufen, Staats­recht II,
  16. Aufl. 2020, § 25 Rn. 8.
    48 BVerfG 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, NJW 1994, 1779; BVerfG 9.10.1991
    – 1 BvR 1555/88, NJW 1992, 1439, 1440; MüKoStGB/Schäfer, 3.
    Aufl. 2017, § 130 Rn. 77.
    49 Das BVerfG recht­fer­tigt § 130 Abs. 4 StGB als „Aus­nah­me vom
    Ver­bot des Son­der­rechts für mei­nungs­be­zo­ge­ne Geset­ze“ damit,
    dass die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Schre­ckens­herr­schaft ein­zig­ar­tig sei
    und für die BRD „eine gegen­bild­lich iden­ti­täts­prä­gen­de Bedeu­tung“
    habe, BVerfG 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, NJW 2010, 47.
    50 Vgl. Murs­wiek, NVwZ 2004, 769, 772 ff.
    51 Gauck, Tole­ranz – ein­fach schwer, 2019, S. 99 ff.
    Nicht extre­mis­tisch sind hin­ge­gen For­de­run­gen nach
    der kon­se­quen­ten Durch­set­zung gel­ten­den Rechts; des­halb
    ist es etwa nicht rechts­extre­mis­tisch, wenn die kon­se­quen­te
    Abschie­bung kri­mi­nel­ler und voll­zieh­bar ausreisepflichtiger41
    Aus­län­der ver­langt wird. Gene­rell kön­nen
    Ansich­ten, die zwar dem „Zeit­geist“ und „poli­ti­schen
    Grund­kon­sens“ wider­spre­chen, sich aber
    inner­halb des gel­ten­den Ver­fas­sungs­rah­mens bewe­gen,
    nicht als extre­mis­tisch bezeich­net werden.42 Und des­halb
    ist aus Sicht des Grund­ge­set­zes etwa der Rechts­extre­mis­mus,
    bei dem sich völ­ki­sches, ras­sis­ti­sches oder natio­na­lis­ti­sches
    Den­ken zu einer fun­da­men­tal ver­fas­sungs­wid­ri­gen,
    weil die Men­schen­wür­de ver­let­zen­den Ideo­lo­gie
    ver­dich­tet, etwas kate­go­ri­al Ande­res als (Rechts-)Konservatismus,
    der im Ein­klang mit der Ver­fas­sung für eine
    stär­ke­re Beto­nung tra­dier­ter Wer­te ein­tritt oder die
    strik­te Durch­set­zung von „Recht und Ord­nung“ pro­pa­giert.
    43 Selbst die For­de­rung nach einer Ver­fas­sungs­än­de­rung
    ist nicht not­wen­dig extre­mis­tisch, erach­tet
    Art. 79 GG eine sol­che unter Beach­tung des ände­rungs­fes­ten
    Kerns der Ver­fas­sung doch aus­drück­lich für zuläs­sig.
    44 Viel­mehr ist die Gren­ze zum Extre­mis­mus erst
    über­schrit­ten, wenn eine beab­sich­tig­te Ver­fas­sungs­än­de­rung
    nicht nur die Abän­de­rung, son­dern die Abschaf­fung
    sol­cher zen­tra­ler „Grund­wer­te“ beab­sich­tigt, die
    für die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung iden­ti­täts­prä­gend
    sind.
    Die Unter­schei­dung, ob eine Äuße­rung nur sehr
    links oder rechts oder schon extre­mis­tisch ist, kann im
    Ein­zel­fall schwie­rig sein. Ange­sichts der – recht­lich wie
    tat­säch­lich – gra­vie­ren­den Nach­tei­le für Indi­vi­du­um wie
    Kol­lek­tiv, wel­ches öffent­lich als „extre­mis­tisch“ gebrand­markt
    ist, ist die sorg­fäl­ti­ge Dif­fe­ren­zie­rung jedoch
    rechts­staat­lich unver­zicht­bar.
    Ver­fas­sungs­recht­lich droht extre­mis­ti­schen Indi­vi­du­en
    die Ver­wir­kung ihrer (poli­ti­schen) Grund­rech­te nach
    Art. 18 GG sowie extre­mis­ti­schen Par­tei­en nach Art. 21
    Abs. 2, 4 GG und Ver­ei­nen nach Art. 9 Abs. 2 GG das
    Ver­bot. Wei­ter bedeu­tet nicht erst die nach­rich­ten­dienst­li­che
    Über­wa­chung, son­dern bereits die Erwäh­nung einer
    Per­son oder Par­tei als extre­mis­tisch in den frei zugäng­li­chen
    Ver­fas­sungs­schutz­be­rich­ten einen emp­find­li­chen
    Grund­rechts­ein­griff; denn dem Indi­vi­du­um oder
    dem Kol­lek­tiv wird hier öffent­lich vor­ge­wor­fen, die
    Grund­prin­zi­pi­en unse­rer frei­heit­li­chen Ver­fas­sungs­ord­nung
    bekämp­fen und besei­ti­gen zu wollen.45 Schließ­lich
    sind die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den auf­grund eines mei­nungs­spe­zi­fi­schen
    Son­der­straf­rechts gegen „rechts“46
    heu­te beson­ders gefor­dert, ver­däch­ti­ge Äuße­run­gen
    sorg­fäl­tig aus­zu­le­gen. Nach § 130 StGB sind näm­lich
    nicht mehr nur Volks­ver­het­zung (Abs. 1) und Leug­nung
    des Holo­caust (Abs. 3) straf­bar; viel­mehr ist seit 2005
    auch eine die Wür­de der Opfer ver­let­zen­de Ver­herr­li­chung,
    Bil­li­gung oder Recht­fer­ti­gung der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen
    Gewalt­herr­schaft (Abs. 4) unter Stra­fe gestellt.
    Wäh­rend die Volks­ver­het­zung nach § 130 Abs. 1 StGB als
    all­ge­mei­nes Gesetz Art. 5 Abs. 2 GG genügt und die nach
    § 130 Abs. 3 StGB straf­ba­re „Ausch­witz­lü­ge“ nach zwar
    nicht unumstrittener47, aber h. M.48 schon nicht vom
    Schutz­be­reich der Mei­nungs­frei­heit umfasst wird, da
    hier kei­ne Mei­nung geäu­ßert, son­dern eine erwie­se­ner­ma­ßen
    unwah­re Tat­sa­chen­be­haup­tung auf­ge­stellt wird,
    sind nach § 130 Abs. 4 StGB Mei­nun­gen allein wegen ihres
    Inhalts verboten49.
  17. Zivil­ge­sell­schaft: Pri­vat­au­to­no­mie und anti­ra­di­ka­ler
    Main­stream
    Gra­vie­ren­der noch als die dro­hen­den recht­li­chen Kon­se­quen­zen
    sind für Indi­vi­du­um wie Kol­lek­tiv aber mit­un­ter
    die gesell­schaft­li­chen Fol­gen, wenn und weil die­se
    als Extre­mis­ten geäch­tet werden.50 Wir leben heu­te
    (glück­li­cher­wei­se!) in einer demo­kra­tisch wachen und
    his­to­risch sen­si­bi­li­sier­ten media­len Öffent­lich­keit, die
    zumin­dest rechts­extre­mis­ti­sche Akti­vi­tä­ten ent­schie­den
    ablehnt.51 Zum mora­lisch guten Ton gehört im auf­ge­klär­ten
    Bür­ger­tum die rigo­ro­se Into­le­ranz jeden­falls
    7 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    52 Flu­me, All­ge­mei­ner Teil des Bür­ger­li­chen Rechts, Zwei­ter Band:
    Das Rechts­ge­schäft, 4. Aufl. 1992, S. 6.
    53 Aus­führ­lich dazu Chr. Picker, RdA 2020, 317, 328 f. m. w. N.
    54 BVerfG 11.4.2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667.
    55 BVerfG 27.8.2019 – 1 BvR 879/12, NJW 2019, 3769; BVerfG
    11.4.2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667. Aus­führ­lich dazu
    Chr. Picker, RdA 2020, 317, 329 m. w. N.
    56 Spe­zi­al­ge­setz­lich etwa: §§ 18 ff. iVm § 33 GWB, § 36 Abs. 1 EnWG,
    § 21 Abs. 2 S. 3 LuftVG, § 22 PBefG. Dane­ben durch all­ge­mei­nen
    zivil­recht­li­chen Kon­tra­hie­rungs­zwang aus § 826 BGB, dazu
    MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 218; Beck­OK BGB/
    Förs­ter, 55. Ed. 1.11.2020, § 826 Rn. 232 f.; Stad­ler, BGB AT, 20.
    Aufl. 2020, § 3 Rn. 11.
    57 VG Mei­nin­gen 26.9.2019 – 2 E 1194/19 Me, AfP 2019, 555.
    58 LG Ros­tock 4.4.2012 – 3 O 748/11 (2), 3 O 748/11, AfP 2012, 492
    („Gesin­nungs­extre­mis­tin“); vgl. auch LG Karls­ru­he 31.5.2007 –
    8 O 279/07, NJW-RR 2008, 63.
    59 Näher Wüs­ten­berg, NVwZ 2008, 1078, 1079 f.; vgl. BVerfG
    19.9.2012 – 1 BvR 2979/10, NJW 2012, 3712.
    60 John Stuart Mill, Über die Frei­heit, 1972, S. 12.
    61 DER SPIEGEL Nr. 23 vom 24.12.2020, S. 102 ff.
    62 Sehr klar: Schlink, Der Preis der Enge, F.A.Z. vom 31.7.2019,
    https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-der-gesellschaftliche-
    mainstream-die-rechten-staerkt-16311578.html?premium
    (31.1.2021); Gauck, Tole­ranz – ein­fach schwer, 2019, S. 96 f., 100,
    118 f.
    63 Pieroth, Bedroh­te Mei­nungs­frei­heit?, F.A.Z. vom 23.9.2019, https://
    www.faz.net/aktuell/politik/standpunkt-bedrohte-meinungsfreiheit-
    16967910.html?premium=0x93040edb956ee1b1f6418ebde
    39f4ccf&GEPC=s5 (31.1.2021).
    gegen­über rech­ten Into­le­ran­ten: Pri­va­te sol­len daher kei­ne
    Geschäfts­be­zie­hun­gen mit „Rech­ten“ ein­ge­hen oder
    unter­hal­ten, son­dern die­se mei­den oder gar boy­kot­tie­ren.
    Recht­lich ist das grund­sätz­lich zuläs­sig: Die Bür­ger
    sind kraft ihrer durch Art. 2 Abs. 1 GG geschütz­ten Pri­vat­au­to­no­mie
    berech­tigt, den Ver­trags­schluss mit Per­so­nen
    aus belie­bi­gen, auch will­kür­li­chen Grün­den abzu­leh­nen:
    Stat pro ratio­ne voluntas.52
    Ein­fach­ge­setz­lich ver­bie­tet § 19 AGG im all­ge­mei­nen
    Pri­vat­rechts­ver­kehr weder die Benach­tei­li­gung wegen
    der poli­ti­schen noch wegen der Weltanschauung.53 Und
    sowohl der all­ge­mei­ne (Art. 3 Abs. 1 GG) als auch die
    spe­zi­el­len (Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG) ver­fas­sungs­recht­li­chen
    Gleich­be­hand­lungs­grund­sät­ze wir­ken hier auch nach
    Ansicht des BVerfG allen­falls in „spe­zi­fi­schen Kon­stel­la­tio­nen“
    54 und selbst dann nur mittelbar.55 Die Ver­trags­ab­schluss­frei­heit
    wird somit nur in weni­gen Ausnahmefällen56
    zuguns­ten eines Kon­tra­hie­rungs­zwangs beschränkt.
    Selbst die öffent­li­che Bezeich­nung einer Per­son
    als „Faschist“57 oder „Rechtsextremist“58 kann als
    Wert­ur­teil über die poli­ti­sche Anschau­ung einer Per­son
    von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt sein, ohne dass die so bezeich­ne­te
    Per­son nach (verfassungs-)rechtlichen Maß­stä­ben
    Extre­mist sein muss.59
    Damit ist es Pri­vat­leu­ten grund­sätz­lich gestat­tet,
    (ech­te wie ver­meint­li­che) Extre­mis­ten im all­ge­mei­nen
    Pri­vat­rechts­ver­kehr zu dis­kri­mi­nie­ren. Gleich­wohl sind
    auch die auto­nom, weil frei von rechts­staat­li­chen (Tole­ranz-)
    Pflich­ten agie­ren­den Bür­ger gesell­schafts­po­li­tisch
    gut bera­ten, die (verfassungs-)rechtlich gebo­te­ne Unter­schei­dung
    zwi­schen (rech­ten oder lin­ken) Demo­kra­ten
    einer­seits und poli­ti­schen Extre­mis­ten ande­rer­seits zu
    tref­fen und (im Rah­men des gel­ten­den Rechts) into­le­rant
    nur gegen­über ech­ten Extre­mis­ten zu sein. Ande­ren­falls
    droht ein illi­be­ra­ler Main­stream, der Mei­nungs­viel­falt
    und ‑offen­heit ver­nich­tet und in eine sozia­le „Tyran­nei
    des vor­herr­schen­den Mei­nens und Emp­fin­dens“
    60 mün­det.
    Das Nach­rich­ten­ma­ga­zin DER SPIEGEL ist dazu offen­bar
    nicht in der Lage; unter der Über­schrift „Wut und
    Wissenschaft“61 frag­te es kürz­lich rhe­to­risch-pole­misch:
    „Wie rechts sind Deutsch­lands Wirt­schafts­li­be­ra­le?“ Als
    Beleg dafür, dass die Pro­fes­so­ren der Öko­no­mie „ziem­lich
    weit nach rechts“ abdrif­ten, wur­den dann nicht nur
    abstru­se Ver­schwö­rungs­theo­rien eines VWL-Pro­fes­sors
    zur Coro­na-Pan­de­mie ange­führt, die die­ser erkenn­bar
    fach­fremd als pri­va­te Mei­nung äußert, son­dern auch die
    auf eige­ner For­schung beru­hen­de Kri­tik nam­haf­ter
    Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler an der Euro-Ret­tungs­po­li­tik
    und deren For­de­run­gen nach mehr Markt­wirt­schaft und
    Wett­be­werb. Abge­se­hen davon, dass sich die Äuße­run­gen
    eines Coro­na­leug­ners kei­ner poli­ti­schen Rich­tung
    zu- und daher nicht als „rechts“ ein­ord­nen las­sen, wur­de
    hier nicht unter­schie­den, ob eine Per­son oder Mei­nung
    rechts­extrem oder nur libe­ral-kon­ser­va­tiv ist, son­dern
    pau­schal als „rechts“ dif­fa­miert. Zudem wird nicht zwi­schen
    Per­so­nen unter­schie­den, die irra­tio­nal als Fach­frem­de
    pri­va­te Mei­nun­gen äußern und sol­chen, die ratio­nal
    als Fach­leu­te Wis­sen­schaft betreiben.
  18. Neu: Rigi­der Mora­lis­mus als Gefahr für Mei­nungs­wie
    Wis­sen­schafts­frei­heit
    Ein rigi­der Mora­lis­mus, der sich undif­fe­ren­ziert gegen
    (ver­meint­lich) „rech­te“, unschö­ne oder poli­tisch unkor­rek­te
    Mei­nun­gen wen­det, ist inzwi­schen nicht nur in der
    Zivilgesellschaft62, son­dern gera­de auch an Uni­ver­si­tä­ten
    zu beobachten63.
    Die Gren­zen der Debat­ten­kul­tur sol­len nicht mehr
    nur Grund­ge­setz und ein­fa­ches Recht, son­dern – weit
    vor­ge­la­gert – auto­no­me „Wer­te“ selbst­er­nann­ter Tugend­wäch­ter
    bestim­men. Ent­spre­chend sol­len nicht
    mehr die – im demo­kra­ti­schen Rechts­staat aus­schließ­lich
    hier­zu legi­ti­mier­ten und fach­lich ver­sier­ten – staatPicker/
    Reif · Mein Prof ist ein Nazi 7 5
    64 https://www.hf.uni-koeln.de/data/fist/File/Stellungnahme%20
    final.pdf (31.1.2021).
    65 Näher dazu: https://www.zeit.de/2020/34/cancel-culture-zensurusa-
    mei­nungs­frei­heit-debat­ten­kul­tur (31.1.2021).
    66 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/wende-infrankfurter-
    kopf­tuch­kon­fe­renz-raum-fuer-freie-debat­te-16179391.
    html (31.1.2021); https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/streitum-
    kopftuch-konferenz-in-frankfurt-eskaliert-16157556.html
    (31.1.2021).
    67 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/club-der-vernunftmeinungsfreiheit-
    an-der-uni-15410075.html (31.1.2021); vgl. zum
    offe­nen Brief diver­ser Wis­sen­schaft­ler gegen das Refe­rat: https://
    www.dpolg.de/fileadmin/user_upload/www_dpolg_de/pdf/2017/
    Offener_Brief_gegen_Rainer_Wendt.pdf (31.1.2021).
    68 https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/studenten-kritisierenherfried-
    muenkler-anonym-13611258.html (31.1.2021).
    69 https://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/causa-bernd-luckewir-
    sind-an-der-gren­ze-des­sen-was-eine-uni­ver­si­taet-leis­ten­kann-
    a‑1296433.html (31.1.2021).
    70 https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/hoersaal/
    hoch­schul­leh­rer-bekla­gen-mei­nungs­kli­ma-an-uni­ver­si­tae­ten-
    16628855.html (31.1.2021).
    lichen Gerich­te, son­dern poli­ti­sche Akti­vis­ten ver­bind­lich
    dar­über befin­den, ob und wel­che Mei­nun­gen aus­gren­zend,
    ras­sis­tisch, homo­phob oder isla­mo­phob sind.
    Jüngs­tes Bei­spiel dafür ist die „Stel­lung­nah­me der For­schungs­stel­le
    für Inter­kul­tu­rel­le Stu­di­en“ der Uni­ver­si­tät
    zu Köln vom August 202064: Auf dem Index der „men­schen­ver­ach­ten­den
    und ‑feind­li­chen Äuße­run­gen“ ste­hen
    dort Aus­sa­gen wie „Der Islam gehört nicht zu
    Deutsch­land“ oder „Das Kopf­tuch ist ein Zei­chen für
    Unter­drü­ckung“. Zwar hal­ten wir die­se Aus­sa­gen allein
    schon auf­grund ihrer feh­len­den Dif­fe­ren­ziert­heit für unzu­tref­fend.
    Aber sol­che Äuße­run­gen dür­fen nicht im
    Rah­men einer selbst­an­ma­ßen­den „kri­ti­schen Ras­sis­mus-
    und Dis­kri­mi­nie­rungs­for­schung“ als unsag­bar ver­dammt
    wer­den, weil sie (abhän­gig vom kon­kre­ten Kon­text)
    ent­we­der von der Mei­nungs- oder von der Wis­sen­schafts­frei­heit
    geschützt und damit ver­fas­sungs­recht­lich
    jeden­falls sag­bar sind.
    Anders­den­ken­de, die gegen die Denk- und Sprech­ver­bo­te
    die­ser selbst­er­nann­ten und demo­kra­tisch ille­gi­ti­men
    Moral­apos­tel ver­sto­ßen, wer­den öffent­lich als
    „men­schen­feind­lich“ und bes­ten­falls als „umstrit­ten“ geäch­tet
    und sol­len vom uni­ver­si­tä­ren und öffent­li­chen
    Dis­kurs aus­ge­schlos­sen wer­den. Für die­se zwangs­wei­se
    Exklu­si­on hat sich neu­deutsch der Ter­mi­nus „Can­cel
    Culture“65 eta­bliert: Die stö­ren­de, weil von der eige­nen
    Mei­nung abwei­chen­de Mei­nung will man nicht nur ent­schie­den
    ableh­nen und ihr wider­spre­chen (was nicht
    nur ver­fas­sungs­kon­form, son­dern gesell­schaft­lich wie
    wis­sen­schaft­lich gera­de erwünscht wäre!), son­dern „can­celn“,
    also aus­lö­schen.
    So wur­den an deut­schen Hoch­schu­len in den ver­gan­ge­nen
    Jah­ren mehr­fach renom­mier­te und poli­tisch „unver­däch­ti­ge“
    Wis­sen­schaft­ler mas­siv in ihrer Wis­sen­schafts­frei­heit
    beein­träch­tigt: Erwähnt sei hier nur die
    Islam­wis­sen­schaft­le­rin Susan­ne Schrö­ter, die im Mai
    2019 in Frank­furt die Kon­fe­renz „Das isla­mi­sche Kopf­tuch
    – Sym­bol der Wür­de oder der Unter­drü­ckung?“
    aus­rich­te­te und damit wüten­de Boy­kott­auf­ru­fe außer­uni­ver­si­tä­rer
    Grup­pen aus­lös­te. Immer­hin: Die­se
    Kon­fe­renz fand (den­noch) statt, auch weil sich die Lei­tung
    der Goe­the-Uni­ver­si­tät wie der AStA öffent­lich zur
    Pro­fes­so­rin und ihrer Kon­fe­renz bekannt hatten66. Anders
    war dies aber bei einer wei­te­ren Kon­fe­renz von Susan­ne
    Schrö­ter im Herbst 2017: Hier war als Vor­tra­gen­der
    der Bun­des­vor­sit­zen­de der Deut­schen Poli­zei­ge­werk­schaft
    Rai­ner Wendt ein­ge­la­den, der kurz­fris­tig wie­der
    aus­ge­la­den wer­den muss­te, weil sei­ne Ein­la­dung auf
    schar­fen, auch inner­uni­ver­si­tä­ren Pro­test gesto­ßen
    war.67 Ver­wie­sen sei fer­ner auf den Poli­tik­wis­sen­schaft­ler
    Her­fried Mün­k­ler an der Ber­li­ner Hum­boldt-Uni­ver­si­tät,
    dem von (anony­men) Blog­gern ohne jeg­li­chen belast­ba­ren
    Anhalts­punkt vor­ge­wor­fen wur­de, sich als
    Leh­ren­der ras­sis­tisch, sexis­tisch und mili­ta­ris­tisch zu
    verhalten.68 Zu nen­nen ist schließ­lich der Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler
    Bernd Lucke, des­sen Vor­le­sun­gen nach
    sei­ner Rück­kehr an die Uni­ver­si­tät Ham­burg im Win­ter­se­mes­ter
    2019/2020 (unter „Bei­hil­fe“ des dor­ti­gen AStA)
    mas­siv gestört wur­den und des­halb abge­bro­chen wer­den
    muss­ten – sei­ne nach­fol­gen­den Vor­le­sun­gen konn­ten
    nur unter Poli­zei­schutz stattfinden.69
    Zwar wur­de die Wis­sen­schafts­frei­heit in den genann­ten
    Fäl­len nicht vom Staat und sei­nen Hoch­schu­len, son­dern
    von Pri­va­ten bedroht, die als sol­che nicht grund­rechts­ver­pflich­tet
    sind und des­halb auch nicht das
    Grund­recht „Wis­sen­schafts­frei­heit“ ver­let­zen kön­nen.
    Aber auch die­se pri­va­ten Akti­vis­ten hin­dern Wis­sen­schaft­le­rin­nen
    und Wis­sen­schaft­ler dar­an, von ihrer
    Wis­sen­schafts­frei­heit indi­vi­du­ell Gebrauch zu machen.
    Und zu die­sen Wis­sen­schafts­fein­den zäh­len eben nicht
    nur „Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker“, die gegen­wär­tig Viro­lo­gin­nen
    und Viro­lo­gen mas­siv bedro­hen, und Rech­te,
    die Hetz­kam­pa­gnen gegen Gen­der- und Diver­si­täts­for­sche­rin­nen
    ver­an­stal­ten; son­dern eben auch lin­ke Mora­lis­ten,
    die (weni­ger bru­tal und dafür umso sub­ti­ler) die
    Defi­ni­ti­ons- und Dis­kurs­ho­heit an Hoch­schu­len für sich
    rekla­mie­ren und die­se ange­sichts einer poli­tisch des­in­ter­es­siert-
    pas­si­ven Mehr­heit oft auch durch­set­zen kön­nen.
    Das „Mei­nungs­kli­ma an Uni­ver­si­tä­ten“ haben Letzt­ge­nann­te
    jeden­falls längst in ihrem Sin­ne ver­än­dert; vie­le
    Hoch­schul­leh­rer emp­fin­den die­ses laut einer aktu­el­len
    Umfra­ge als into­le­rant und einengend.70
    7 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    71 Vgl. Maunz/Dürig/Gärditz, 92. EL August 2020, GG Art. 5 Abs. 3
    Rn. 269 ff.; v. Coelln, WissR 52 (2019), 3, 15 ff. All­ge­mein zur
    Leh­re von den grund­recht­li­chen Schutz­pflich­ten: Jarass in Jarass/
    Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Vorb. vor Art. 1 Rn. 8; Schwa­be, Die
    soge­nann­te Dritt­wir­kung der Grund­rech­te, 1971, S. 65 f.; Cana­ris
    AcP 184 (1984), 201, 225 ff. Bei­de Ansät­ze zusam­men­füh­rend:
    Maunz/Dürig/Langenfeld, 92. EL August 2020, GG Art. 3 Abs. 3
    Rn. 82.
    72 https://www.hochschulverband.de/pressemitteilung.html
    (31.1.2021).
    73 BVerfG 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257, 258 – Lüth.
    74 Vgl. Maunz/Dürig/Gärditz, 92. EL August 2020, GG Art. 5 Abs. 3
    Rn. 20 ff., 31.
    75 VG Ber­lin 16.9.1988 – VG Disz. 12/8, NJW 1989, 1688, 1690.
    76 BVerfG 17.9.2012 – 1 BvR 2979/10, NJW 2012, 3712; BVerfG
    28.11.2011 – 1 BvR 917/09, NJW 2012, 1273; BVerfG 9.10.1991 –
    1 BvR 1555/88, NJW 1992, 1439.
    77 BVerfG 28.11.2011 – 1 BvR 917/09, NJW 2012, 1273.
    78 BVerfG 28.11.2011 – 1 BvR 917/09, NJW 2012, 1273.
    79 Maunz/Dürig/Grabenwarter, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 1,
    Abs. 2 Rn. 68.
    80 Zumin­dest miss­ver­ständ­lich: BVerfG 18.2.1970 – 2 BvR 531/68,
    NJW 1970, 1268, 1269: „Die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ist eine
    Demo­kra­tie, deren Ver­fas­sung von ihren Bür­gern eine Ver­tei­di­gung
    der frei­heit­lich-demo­kra­ti­schen Ord­nung erwar­tet“; eben­so
    Bezug neh­mend dar­auf BVerwG 27.6.1983 – 1 B 73/83, DVBl.
    1983, 1013, 1014. Bei der Schaf­fung des Grund­ge­set­zes wur­de eine
    Vor­schrift über die Pflicht aller Bür­ger zur Ver­fas­sungs­treue zwar
    erwo­gen, aber ver­wor­fen, vgl. Satt­ler, Die recht­li­che Bedeu­tung
    der Ent­schei­dung für die streit­ba­re Demo­kra­tie, 1982, S. 61 –
    Fn. 116.
    Der Staat und sei­ne Hoch­schu­len sind hier dem
    Schutz der Wis­sen­schafts­frei­heit verpflichtet71 und müs­sen
    solch illi­be­ra­len Ten­den­zen daher ent­schie­den ent­ge­gen­tre­ten.
    Denn „Uni­ver­si­tä­ten sind Stät­ten geis­ti­ger
    Auseinandersetzung“72 – und kei­ne von einem mora­lin­sauren
    Kon­for­mis­mus durch­tränk­te safe spaces; gera­de
    hier müs­sen anders­den­ken­de Wis­sen­schaft­ler und deren
    Mei­nun­gen zumin­dest „aus­ge­hal­ten“ wer­den. Denn
    mög­lichst viel freie Kom­mu­ni­ka­ti­on, Dis­kus­si­on und Infor­ma­ti­on
    sind nicht nur für eine plu­ra­lis­ti­sche Demo­kra­tie
    und offe­ne Gesell­schaft „schlecht­hin konstituierend“
  19. Viel­mehr sind Mei­nungs­viel­falt und – die­ser
    imma­nent – Mei­nungs­streit und Mei­nungs­kampf gera­de
    con­di­tio sine qua non für ech­te, weil freie Wissenschaft.74
    Poin­tiert hat das VG Ber­lin dies wie folgt for­mu­liert:
    „Eine gemä­ßig­te Wis­sen­schaft könn­te all­zu­leicht in eine
    mäßi­ge Wis­sen­schaft umschla­gen. Es gehört zur Eigen­ge­setz­lich­keit
    der Wis­sen­schaft, die unteil­ba­re Wahr­heit
    kom­pro­miß­los – ohne Rück­sicht auf gesell­schaft­li­che oder
    poli­ti­sche Akzep­tanz – zu erfor­schen und unver­fälscht
    auszusprechen.“75
    Wohin die ideo­lo­gi­sche Eng­füh­rung der Hoch­schu­len
    und – damit zwangs­läu­fig ver­bun­den – wis­sen­schaft­li­che
    Feig­heit, Ange­passt­heit und Oppor­tu­nis­mus füh­ren, haben
    uns zwei Dik­ta­tu­ren auf deut­schem Boden furcht­bar
    ein­drucks­voll gelehrt. Ein Sprich­wort lau­tet: „Der Teu­fel
    kommt nie zwei Mal durch die­sel­be Tür“. Wir fügen hin­zu:
    Aber der extre­mis­ti­sche Teu­fel ist für auf­ge­klär­te Demo­kra­ten
    auf­grund sei­ner ideo­lo­gi­schen Into­le­ranz doch
    stets erkenn­bar. Und daher ist auch ein poli­tisch über­mo­ti­vier­ter
    Mora­lis­mus, der für sich einen abso­lu­ten Wahr­heits­an­spruch
    erhebt und Drit­te eigen­mäch­tig dar­an hin­dert,
    ihre Grund­rech­te wahr­zu­neh­men, extre­mis­tisch –
    egal wie mora­lisch hehr sei­ne Zie­le sind.
    III. Prä­mis­se des Grund­ge­set­zes: Frei­heit­li­cher
    und wehr­haf­ter Rechts­staat
    Unser Ver­fas­sungs­staat begeg­net der Bedro­hung durch
    den poli­ti­schen Extre­mis­mus frei­heit­lich und wehr­haft:
    Er gewährt den Bür­gern größt­mög­li­che grund­recht­li­che
    Frei­hei­ten und ver­tei­digt sei­ne Grund­wer­te erst und
    auch dann nur rechts­staat­lich, wenn die­se durch
    Rechts(guts)verletzungen kon­kret bedroht sind.
  20. Frei­heit­lich: Umfas­sen­der Grund­rechts­schutz
    Betont libe­ral und inhalts­neu­tral sind ins­be­son­de­re – für
    unser The­ma zen­tral – die Mei­nungs­frei­heit und die
    Wis­sen­schafts­frei­heit aus­ge­stal­tet.
    a) Schutz­be­reich der Mei­nungs­frei­heit
    Der Schutz­be­reich der Mei­nungs­frei­heit ist nach Art. 5
    Abs. 1 S. 1 GG weit: Er umfasst nach stän­di­ger Recht­spre­chung
    des BVerfG alle Äuße­run­gen, die durch das Ele­ment
    der Stel­lung­nah­me und des Dafür­hal­tens geprägt
    sind.76 Die­se unter­lie­gen kei­nem inhalt­li­chen Vor­be­halt;
    es kommt also nicht dar­auf an, „ob sie sich als wahr oder
    unwahr erwei­sen, ob sie begrün­det oder grund­los, emo­tio­nal
    oder ratio­nal sind, oder ob sie als wert­voll oder wert­los,
    gefähr­lich oder harm­los ein­ge­schätzt werden“.77 Wei­ter­ge­hend
    hält das BVerfG fest: „Der Mei­nungs­äu­ßern­de
    ist ins­be­son­de­re auch nicht gehal­ten, die der Ver­fas­sung
    zugrun­de lie­gen­den Wert­set­zun­gen zu tei­len, da das
    Grund­ge­setz zwar auf die Wer­te­loya­li­tät baut, die­se aber
    nicht erzwingt“.78 Damit sind sogar ver­fas­sungs­feind­li­che
    Mei­nun­gen von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt.79
    Ent­spre­chend besteht auch kei­ne Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    für jedermann.80
    Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 7 7
    81 Die nor­ma­ti­ve Unter­schei­dung des Grund­ge­set­zes zwi­schen (blo­ßer)
    Mei­nung und wis­sen­schaft­li­cher For­schung und Leh­re war
    nicht immer selbst­ver­ständ­lich. Im Par­la­men­ta­ri­schen Rat stand
    auf Grund­la­ge des soge­nann­ten Berg­sträs­ser-Ent­wurfs zur Debat­te,
    die Wis­sen­schafts­frei­heit nur als Teil der Mei­nungs­frei­heit, nicht
    aber als selbst­stän­di­ge Garan­tie zu schüt­zen. Vgl. dazu Maunz/
    Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3 Rn. 8 f.
    82 BVerfG 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, NJW 1994, 1781, 1782.
    83 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176.
    84 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176.
    85 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176.
    86 BVerfG 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, NJW 1994, 1781, 1782.
    87 BVerfG 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, NJW 1994, 1781, 1781.
    88 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 427/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176.
    89 Maunz/Dürig/Gärditz, 92. EL August 2020, GG Art. 5 Abs. 3
    Rn. 32 m. w. N.
    90 Maunz/Dürig/Gärditz, 92. EL August 2020, GG Art. 5 Abs. 3
    Rn. 30.
    91 Maunz/Dürig/Gärditz, 92. EL August 2020, GG Art. 5 Abs. 3
    Rn. 31; ders., WissR 51 (2018), 5, 19, 23.
    92 Gär­ditz, WissR 51 (2018), 5, 19.
    93 Voigt, GS Jel­li­nek, 1955, S. 259, 262.
    94 Maunz/Dürig/Gärditz, 92. EL August 2020, GG Art. 5 Abs. 3
    Rn. 31.
    95 v. Coelln, WissR 52 (2019), 3, 6.
    96 v. Coelln, WissR 52 (2019), 3, 6.
    97 v. Coelln, WissR 52 (2019), 3, 8 f.
    98 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1642.
    b) Schutz­be­reich der Wis­sen­schafts­frei­heit
    Noch umfas­sen­der ist der Schutz durch die „vor­be­halt­los“
    gewähr­leis­te­te Wis­sen­schafts­frei­heit, die in Art. 5
    Abs. 3 S. 1 GG gesondert81 nor­miert ist. Das BVerfG legt
    den ver­fas­sungs­recht­li­chen Wis­sen­schafts­be­griff weit
    aus.82 Danach ist Wis­sen­schaft „alles, was nach Inhalt
    und Form als ernst­haf­ter plan­mä­ßi­ger Ver­such zur Ermitt­lung
    der Wahr­heit anzu­se­hen ist.“83 Geschützt wer­de kei­ne
    „bestimm­te Auf­fas­sung von der Wis­sen­schaft oder eine
    bestimm­te Wissenschaftstheorie“84. Dies fol­ge „unmit­tel­bar
    aus der prin­zi­pi­el­len Unab­ge­schlos­sen­heit jeg­li­cher
    wis­sen­schaft­li­chen Erkenntnis.“85
    Und des­halb hängt ihr Schutz auch „weder von der
    Rich­tig­keit der Metho­den und Ergeb­nis­se ab noch von der
    Stich­hal­tig­keit der Argu­men­ta­ti­on und Beweis­füh­rung
    oder der Voll­stän­dig­keit der Gesichts­punk­te und Bele­ge“,
    sie „schützt daher auch Min­der­mei­nun­gen sowie For­schungs­an­sät­ze
    und ‑ergeb­nis­se, die sich als irrig oder feh­ler­haft
    erwei­sen. Eben­so genießt unor­tho­do­xes oder intui­ti­ves
    Vor­ge­hen den Schutz des Grund­rechts. Vor­aus­set­zung
    ist nur, daß es sich dabei um Wis­sen­schaft handelt“86.
    Wis­sen­schaft im Sin­ne von Art. 5 Abs. 3 GG ist damit
    zwar von „der prin­zi­pi­el­len Unvoll­stän­dig­keit und Unab­ge­schlos­sen­heit“
    geprägt, erfor­dert aber eines „für sie
    kon­sti­tu­ti­ven Wahrheitsbezugs“.87 Die wis­sen­schaft­li­che
    Betä­ti­gung – also das Auf­fin­den von wis­sen­schaft­li­chen
    Erkennt­nis­sen, deren Deu­tung und Wei­ter­ga­be – muss
    frei sein von staat­li­cher Ingerenz.88
    c) Abgren­zung der bei­den Schutz­be­rei­che
    Für unser The­ma zen­tral ist die Fra­ge, wie die Schutz­be­rei­che
    der bei­den Grund­rech­te bei Äuße­run­gen von
    Wis­sen­schaft­lern von­ein­an­der abzu­gren­zen sind.
    Bei wis­sen­schaft­li­chen Äuße­run­gen geht die Wis­sen­schafts­frei­heit
    (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) gegen­über der all­ge­mei­nen
    Mei­nungs­frei­heit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) als lex
    spe­cia­lis vor – und zwar unab­hän­gig, wo und wie die­se
    (etwa in Pres­se oder Rund­funk) getrof­fen werden.89
    Cha­rak­te­ris­tisch für Wis­sen­schaft im Sin­ne von Art. 5
    Abs. 3 S. 1 GG ist, dass Wis­sen nach den Regeln beson­de­rer
    Ratio­na­li­tät gewon­nen und ver­mit­telt wird oder wer­den
    soll.90 Ent­spre­chend zeich­net sich wis­sen­schaft­li­che
    Kom­mu­ni­ka­ti­on dadurch aus, dass Aus­sa­gen fach­lich­ra­tio­nal
    begrün­det werden.91
    Dem­ge­gen­über schützt die Mei­nungs­frei­heit jede
    Äuße­rung, die durch sub­jek­ti­ves Dafür­hal­ten geprägt ist
    – unab­hän­gig von ihrem Inhalt und sei sie noch so irra­tio­nal.
    Die Mei­nungs­frei­heit ist „eine Frei­heit zur Irra­tio­na­li­tät,
    ein Grund­recht des Emo­tio­na­len, des Unre­flek­tier­ten,
    des radi­ka­len Relativismus.“92 Ins­be­son­de­re wer­den
    kei­ne Anfor­de­run­gen an wis­sen­schaft­lich fun­dier­te Begrün­dun­gen
    gestellt.93 Denn: „Teil­neh­mer am Mei­nungs­streit
    kann […] jeder sein, gleich wie schlecht begrün­det
    eine Mei­nung ist. Dem­ge­gen­über hängt die Teil­nah­me am
    wis­sen­schaft­li­chen Dis­kurs von spe­zi­fi­schen Ratio­na­li­täts­struk­tu­ren
    der Argu­men­ta­ti­on ab, die einen hohen Grad
    an fach­li­cher Pro­fes­sio­na­li­tät voraussetzen.“94
    Folg­lich ist nicht jede Äuße­rung eines Wis­sen­schaft­lers
    durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützt: Wis­sen­schaft
    liegt nicht vor, weil sich Wis­sen­schaft­ler äußern, son­dern
    weil sie sich wis­sen­schaft­lich äußern.95 All­ge­mei­ne poli­ti­sche
    Äuße­run­gen von Wis­sen­schaft­lern sind typi­scher­wei­se
    nicht wis­sen­schaft­lich und unter­fal­len daher (nur)
    der Meinungsfreiheit.96 Umge­kehrt ver­lie­ren Äuße­run­gen
    ihren wis­sen­schaft­li­chen Cha­rak­ter aber nicht dadurch,
    dass sie poli­ti­schen Posi­tio­nen nahe­ste­hen oder
    sol­che wis­sen­schaft­lich bewerten.97
  21. Wehr­haft: Gren­zen grund­recht­li­cher Frei­hei­ten
    Frei­lich bekennt sich das Grund­ge­setz nicht nur posi­tiv
    zu sei­ner frei­heit­li­chen demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung
    als Wer­te­ord­nung – und ist damit selbst anti­to­ta­li­tär und
    nicht wertneutral.98
    7 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    99 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1642.
    100 BVerfG 17.9.2013 – 2 BvR 2436/10, 2 BvE 6/08, NVwZ 2013, 1468,
  22. Iden­tisch bereits BVerfG 15.12.1970 – 2 BvF 1/69, 2 BvR
    629/68, 308/69, NJW 1971, 275, 277.
    101 BVerfG 17.8.1956 – 1 BvB 2/51, NJW 1956, 1393; BVerfG 18.2.1970
    – 2 BvR 531/68, NJW 1970, 1268. Aus­führ­lich dazu: Schlies­ky, in:
    Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hand­buch des Staats­rechts, Bd. XII,
  23. Aufl. 2014, § 277 sowie Becker, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.),
    Hand­buch des Staats­rechts, Bd. VII, 1992, § 167.
    102 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1642; BVerfG
    29.10.1975 – 2 BvE 1/75, BVerfGE 40, 287, 292: „Auf­trag, die
    frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung zu wah­ren und zu
    ver­tei­di­gen.“
    103 BVerfG 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, NJW 1994, 1779; kri­tisch inso­weit
    und für Recht­fer­ti­gungs­lö­sung: Hufen, Staats­recht II, 8. Aufl.
    2020, § 25 Rn. 8.
    104 H. M., BVerfG 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, NJW 1994, 1779; BVerfG
    9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, NJW 1992, 1439, 1440;
    MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl. 2017, § 130 Rn. 77.
    105 BVerfG 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257 – Lüth; BVerfG
    10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92 und 1 BvR
    221/92, NJW 1995, 3303; BVerfG 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW
    1998, 1381; BVerfG 23.6.2004 – 1 BvQ 19/04, NJW 2004, 2814, 2815.
    106 BVerfG 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257, 258 – Lüth.
    107 Gär­ditz, WissR 51 (2018), 5.
    108 Näher dazu v. Coelln, WissR 52 (2019), 3, 18.
    109 T. Opper­mann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Hand­buch des
    Staats­rechts, Bd. VI, 2. Aufl. 2001, § 145 Rn. 32.; v. Coelln, WissR
    52 (2019), 3, 18; Mans­sen, Staats­recht II, 17. Aufl. 2020, § 17 Rn. 437.
    110 Vgl. Kahl, Hoch­schu­le und Staat, 2004, S. 62.
    111 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020 Rn. 72, GG Art. 5
    Abs. 3 Rn. 9.
    112 Abg. Berg­sträs­ser in der 3. Sit­zung des Aus­schus­ses für Grund­satz­fra­gen
    v. 21.9.1948, abge­druckt in: Deut­scher Bundestag/Bundesarchiv
    (Hrsg.), Der Par­la­men­ta­ri­sche Rat 1948–1949, Akten
    und Pro­to­kol­le, Bd. 5/I, 1993, S. 54 f.
    a) Grund­ge­setz­li­che Schutz­me­cha­nis­men
    Viel­mehr trifft unse­re Ver­fas­sung selbst „Vor­keh­run­gen
    gegen ihre Bedro­hung, sie insti­tu­tio­na­li­siert beson­de­re
    Ver­fah­ren zur Abwehr von Angrif­fen auf die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge
    Ord­nung, sie kon­sti­tu­iert eine wehr­haf­te Demokratie“
  24. Das Grund­ge­setz will so sicher­stel­len: „Ver­fas­sungs­fein­de
    sol­len nicht unter Beru­fung auf Frei­hei­ten, die
    das Grund­ge­setz gewährt, die Ver­fas­sungs­ord­nung oder
    den Bestand des Staa­tes gefähr­den, beein­träch­ti­gen oder
    zer­stö­ren dürfen“100. Unse­re Ver­fas­sung ist somit kumu­la­tiv
    frei­heit­lich und wehrhaft.101
    Zum Schutz sei­ner Grund­ord­nung ver­pflich­tet das
    Grund­ge­setz in Art. 1 nicht nur den Staat, die­se ein­fach­ge­setz­lich
    zu sichern und zu gewährleisten.102 Viel­mehr
    sta­tu­iert es in Art. 2 Abs. 1, 9 Abs. 2, 18, 20 Abs. 4, 21
    Abs. 2, 79 Abs. 3, 91 und 98 Abs. 2 GG eige­ne Schutz­me­cha­nis­men,
    um Angrif­fe auf sei­ne Grund­ord­nung zu
    ver­mei­den bzw. abzu­weh­ren. Wei­ter bestimmt das
    Grund­ge­setz für die ein­zel­nen Grund­rech­te Gren­zen
    und Schran­ken – so auch für die hier im Mit­tel­punkt ste­hen­de
    Mei­nungs­frei­heit und Wis­sen­schafts­frei­heit.
    b) Schran­ken der Mei­nungs­frei­heit
    Der Schutz durch die Mei­nungs­frei­heit nach Art. 5 Abs. 1
    S. 1 GG wird schon dadurch begrenzt, dass nach h. M.
    erwie­se­ner­ma­ßen unwah­re Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen
    vom Schutz­be­reich aus­ge­nom­men sind.103 Aus die­sem
    Grund ist etwa die „Ausch­witz­lü­ge“ nicht vom Schutz­be­reich
    erfasst.104 Mei­nungs­äu­ße­run­gen kön­nen neben
    Geset­zen zum Schut­ze der Jugend und dem Recht der
    per­sön­li­chen Ehre durch all­ge­mei­ne Geset­ze inhalt­lich
    beschränkt wer­den. All­ge­mei­ne Geset­ze sind nach der
    „Kom­bi­na­ti­ons­for­mel“ des BVerfG nur sol­che Geset­ze,
    „die sich nicht gegen die Mei­nungs­frei­heit an sich oder
    gegen die Äuße­rung einer bestimm­ten Mei­nung rich­ten,
    die viel­mehr dem Schutz eines schlecht­hin, ohne Rück­sicht
    auf eine bestimm­te Mei­nung, zu schüt­zen­den Rechts­guts
    dienen“.105 Die­se „mei­nungs­neu­tra­len“ Geset­ze sind
    ihrer­seits im Lich­te der Bedeu­tung der Mei­nungs­frei­heit
    zu inter­pre­tie­ren (Wech­sel­wir­kungs­theo­rie) und wer­den
    so durch die Mei­nungs­frei­heit beschränkt.106
    c) Schran­ken der Wis­sen­schafts­frei­heit
    Auch der grund­recht­li­che Schutz durch die Wis­sen­schafts­frei­heit
    ist begrenzt. Er wird – wie bei jedem Frei­heits­recht
    des Grund­ge­set­zes – durch die Defi­ni­ti­on des
    geschütz­ten Bereichs beschränkt: auf die Wis­sen­schaft.
    107 Eine beson­de­re und aus­drück­lich nor­mier­te
    Gren­ze ent­hält Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG für die Lehr­frei­heit;
    denn nach der Ver­fas­sungs­treu­e­klau­sel in Art. 5 Abs. 3
    S. 2 GG ent­bin­det die­se „nicht von der Treue zur Ver­fas­sung“.
    Unab­hän­gig von der (umstrit­te­nen) dog­ma­ti­schen
    Einordnung108 ist sie restrik­tiv aus­zu­le­gen und
    ver­bie­tet daher nicht jede Kri­tik an der Verfassung109.
    Dies zeigt sich deut­lich anhand einer his­to­ri­schen Gene­se:
    Bei Ent­ste­hung der Wis­sen­schafts­frei­heit war die
    Ver­fas­sungs­treue von Hoch­schul­leh­rern hef­tig umstrit­ten
    und eine zen­tra­le Fra­ge im Par­la­men­ta­ri­schen Rat.110
    Die Sor­gen waren his­to­risch begrün­det: Wäh­rend der
    Wei­ma­rer Zeit wur­de die Lehr­frei­heit oft dafür miss­braucht,
    gegen die Repu­blik zu agitieren.111 Zum Haupt­kri­ti­ker
    der Wis­sen­schafts­frei­heit wur­de der hes­si­sche
    Abge­ord­ne­te Lud­wig Berg­sträs­ser. Er fürch­te­te ein „Son­der­recht
    für die Her­ren Pro­fes­so­ren […], um den Staat zu
    unterhöhlen“112. Sei­ne Befürch­tung war: „Es ist mög­lich,
    daß ein Uni­ver­si­täts­leh­rer sei­ne Vor­le­sun­gen dazu benutzt,
    unter dem Män­tel­chen der Wis­sen­schaft den Staat, Orga­ne
    des Staa­tes und füh­ren­de Per­so­nen des Staa­tes anzu­grei­fen.
    Bestimmt man in der Ver­fas­sung, daß die WissenPicker/
    Reif · Mein Prof ist ein Nazi 7 9
    schaft, die Kunst und ihre Leh­re frei sind, kann man sich
    dar­auf stützen.“113 Des­halb wur­de als Reak­ti­on auf das
    Ver­hal­ten der Hoch­schul­leh­rer in der Wei­ma­rer Repu­blik
    Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG geschaffen.114
    Sinn und Zweck der Norm ist damit, die „Zweck­ent­frem­dung“
    des Hör­saals zur poli­ti­schen Agi­ta­ti­on zu
    verhindern.115 Dies zeigt auch die häu­fig zitier­te Begrün­dung
    von Car­lo Schmid im Par­la­men­ta­ri­schen Rat: „Es
    soll ver­hin­dert wer­den, daß unter dem Vor­wand einer wis­sen­schaft­li­chen
    Kri­tik ein Mann auf dem Kathe­der nichts
    ande­res treibt als hin­ter­häl­ti­ge Poli­tik, indem er die Demo­kra­tie
    und ihre Ein­rich­tun­gen nicht kri­ti­siert, son­dern ver­ächt­lich
    macht […]. Aber mir scheint es sehr nütz­lich zu
    sein, eine ein­dring­li­che War­nung aus­zu­spre­chen, eine
    War­nung an sol­che, die ver­su­chen soll­ten, die Repu­blik
    ‚wis­sen­schaft­lich‘ zu unter­lau­fen. Die Leu­te, die sol­ches
    etwa vor­ha­ben sol­len, sol­len genau wis­sen, daß die Repu­blik
    ent­schlos­sen ist, sich auch gegen Hin­ter­häl­tig­kei­ten zu
    verteidigen!“116
    Dar­über hin­aus wird die Wis­sen­schafts­frei­heit nach
    Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zwar vor­be­halt­los gewähr­leis­tet.
    Gleich­wohl ist der durch sie gewähr­leis­te­te Schutz nicht
    gren­zen­los: Art. 5 Abs. 2 GG ist wegen der Spe­zia­li­tät des
    Art. 5 Abs. 3 GG im Ver­hält­nis zu Art. 5 Abs. 1 GG nicht
    anwendbar.117 Aller­dings erge­ben sich Schran­ken der
    Wis­sen­schafts­frei­heit aus der Ver­fas­sung selbst, nament­lich
    in Grund­rech­ten Drit­ter oder sons­ti­gen Ver­fas­sungs­gü­tern.
    118 Der Kon­flikt zwi­schen grund­recht­lich
    geschütz­ter Wis­sen­schafts­frei­heit und ande­ren Ver­fas­sungs­gü­tern
    muss „nach Berück­sich­ti­gung der Ein­heit
    die­ses Wert­sys­tems durch Ver­fas­sungs­aus­le­gung gelöst
    werden“119, wobei der Wis­sen­schafts­frei­heit „nicht
    schlecht­hin Vorrang“120 zukommt. Daher wird die Wis­sen­schafts­frei­heit
    etwa sicher bei wis­sen­schaft­li­chen
    Ver­su­chen an Straf­ge­fan­ge­nen gegen deren Wil­len durch
    die Men­schen­wür­de nach Art. 1 Abs. 1 GG begrenzt.121
  25. Fazit: Ver­fas­sungs­im­ma­nen­ter Dua­lis­mus und gebo­te­ne
    Syn­the­se
    Unse­re – not­wen­dig skiz­zen­haf­ten und unvoll­stän­di­gen
    – Aus­füh­run­gen soll­ten dies ver­deut­li­chen: Die grund­ge­setz­li­che
    Ent­schei­dung für einen frei­heit­li­chen und
    wehr­haf­ten Rechts­staat ist so rich­tig wie alternativlos.122
    Unser Rechts­staat befin­det sich wegen des ver­fas­sungs­im­ma­nen­ten
    Dua­lis­mus von Grund­rechts- und Ver­fas­sungs­schutz
    bei der Bekämp­fung des poli­ti­schen Extre­mis­mus
    jedoch stets in einem Dilemma.123 Sowohl zu
    viel grund­recht­li­che Frei­heit als auch zu viel Frei­heits­be­gren­zung
    kann zum Ver­lust der grund­ge­setz­li­chen Frei­heit
    führen.124 Der Rechts­staat muss daher immer und
    immer wie­der neu abwä­gen, wie tole­rant er sich poli­ti­schen
    Extre­mis­ten gegen­über ver­hal­ten muss und wie
    repres­siv er die­se bekämp­fen darf.
    Grund­sätz­lich muss er den Bür­gern so viel Frei­heit
    wie mög­lich gewäh­ren; denn gera­de weil die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche
    Schre­ckens­herr­schaft für die grund­ge­setz­li­che
    Ord­nung „eine gegen­bild­lich iden­ti­täts­prä­gen­de
    Bedeutung“125 hat, ist die­se so freiheitlich.126 Der
    Rechts­staat muss daher grund­sätz­lich „auf die Fähig­keit
    der Gesamt­heit der Bür­ger, sich mit Kri­tik an der Ver­fas­sung
    aus­ein­an­der­zu­set­zen und sie dadurch abzu­weh­ren“
    127 ver­trau­en. Erst wenn und weil Extre­mis­ten die
    frei­heit­lich demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung kon­kret gefähr­den,
    darf er die­se ver­tei­di­gen – und auch dann nur
    rechts­staat­lich.
    Des­halb sind auch die ver­fas­sungs­recht­li­chen Schutz­in­stru­men­te
    der wehr­haf­ten Demo­kra­tie libe­ral kon­zi­piert.
    So zählt das Grund­ge­setz sei­ne Schutz­me­cha­nis­men
    in den Art. 2 Abs. 1, 9 Abs. 2, 18, 20 Abs. 4, 21 Abs. 2,
    79 Abs. 3, 91 und 98 Abs. 2 GG nicht nur abschlie­ßend
    auf.128 Der Staat darf daher „kei­ne wei­ter­ge­hen­den Rechts­fol­gen
    als die aus­drück­lich ange­ord­ne­ten [ablei­ten]“ und
    113 Abg. Berg­sträs­ser in der 3. Sit­zung des Aus­schus­ses für Grund­satz­fra­gen
    v. 21.9.1948, abge­druckt in: Deut­scher Bundestag/Bundesarchiv
    (Hrsg.), Der Par­la­men­ta­ri­sche Rat 1948–1949, Akten
    und Pro­to­kol­le, Bd. 5/I, 1993, S. 55.
    114 Löwer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Hand­buch der Grund­rech­te,
    Band IV, 1. Aufl. 2011, § 99 Rn. 64; Kahl, Hoch­schu­le und Staat,
    2004, S. 62.
    115 Vgl. Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020 Rn. 72, GG Art. 5
    Abs. 3 Rn. 190 m. w. N.
    116 Abg. Schmid in der 9. Sit­zung des Ple­nums v. 6.5.1949, abge­druckt
    in: Deut­scher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Par­la­men­ta­ri­sche
    Rat 1948–1949, Akten und Pro­to­kol­le, Bd. 9, 1996, S. 449.
    117 BVerfG 1.3.1978 – 1 BvR 174, 178, 191/71; 333/75, NJW 1978, 1621,
    1621.
    118 Sie­he nur Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5
    Abs. 3 Rn. 151, 170 m. w. N.
    119 BVerfG 1.3.1978 – 1 BvR 174, 178, 191/71; 333/75, NJW 1978, 1621,
    1622.
    120 BVerfG 1.3.1978 – 1 BvR 174, 178, 191/71; 333/75, NJW 1978, 1621,
    1622; Epping, ZBR 1997, 383, 392.
    121 Gär­ditz, WissR 51 (2018), 5, 29.
    122 Näher dazu Chr. Picker, RdA 2020, 317, 322 f.
    123 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 324. Vgl. Schlies­ky, in: Isensee/Kirchhof
    (Hrsg.), Hand­buch des Staats­rechts, Bd. XII, 3. Aufl. 2014,
    § 277 Rn. 26: „Dem Prin­zip wehr­haf­ter Demo­kra­tie ist eine
    gewis­se Wider­sprüch­lich­keit imma­nent.“; Drei­er, in: GS Klein,
    1977, S. 86, 97 f.
    124 Drei­er, in: GS Klein, 1977, S. 86, 98.
    125 BVerfG 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, NJW 2010, 47.
    126 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 324.
    127 BVerfG 24.3.2001 – 1 BvQ 13/01, NJW 2001, 2069.
    128 BVerfG 24.3.2001 – 1 BvQ 13/01, NJW 2001, 2069.
    8 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    kann sich nicht „auf unge­schrie­be­ne ver­fas­sungs­im­ma­nen­te
    Schran­ken als Recht­fer­ti­gung für sons­ti­ge Maß­nah­men
    zum Schutz der frei­heit­li­chen demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung“
    berufen.129 Viel­mehr gel­ten für die­se Schutz­me­cha­nis­men
    auch hohe pro­ze­du­ra­le wie mate­ri­el­le
    Hür­den: So kön­nen etwa nach Art. 18 GG nur die enu­me­ra­tiv
    auf­ge­zähl­ten Grund­rech­te (S. 1) ver­wirkt werden130
    und Ver­wir­kung und Aus­maß dür­fen aus­schließ­lich
    vom BVerfG aus­ge­spro­chen wer­den (S. 2). Die prak­ti­sche
    Bedeu­tung von Art. 18 GG geht denn auch gegen
    null131: Jedes der bis­lang vier ein­ge­lei­te­ten Ver­fah­ren
    wur­de (nach jeweils mehr­jäh­ri­ger Ver­fah­rens­dau­er)
    vom BVerfG abge­wie­sen. Ent­spre­chen­des gilt für das
    Par­tei­ver­bot nach Art. 21 Abs. 2, 4 GG, „die schärfs­te und
    über­dies zwei­schnei­di­ge Waf­fe des demo­kra­ti­schen Rechts­staats
    gegen sei­ne orga­ni­sier­ten Feinde“132 und kon­zep­tio­nell
    das „Hauptinstrument“133 der wehr­haf­ten Demo­kra­tie
    des Grund­ge­set­zes. Auch über das Ver­bot einer
    Par­tei darf nur das BVerfG befin­den (Art. 21 Abs. 4 GG),
    und die­ses hat die mate­ri­el­len Anfor­de­run­gen an ein
    Ver­bot im zwei­ten NPD-Ver­bots­ver­fah­ren 2017 wei­ter
    ver­schärft: Aus­rei­chend ist nun­mehr nicht schon der
    rechts­staat­lich kor­rek­te Nach­weis, dass die frag­li­che Par­tei
    ver­fas­sungs­feind­lich ist, wobei die Par­tei sich dafür
    nicht nur pro­gram­ma­tisch gegen die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche
    Grund­ord­nung rich­ten, son­dern die­se auch
    aktiv bekämp­fen muss; es bedarf nun­mehr wei­ter­ge­hend
    „kon­kre­ter Anhalts­punk­te von Gewicht, die einen Erfolg
    des gegen die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung
    oder den Bestand der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land gerich­te­ten
    Han­delns zumin­dest mög­lich erschei­nen lassen“.134
    Ent­spre­chen­des gilt für den 2017 neu ein­ge­führ­ten
    Art. 21 Abs. 3 GG: Zwar kön­nen danach ver­fas­sungs­feind­li­che
    Par­tei­en (zeit­wei­se) von der staat­li­chen Finan­zie­rung
    aus­ge­schlos­sen wer­den, aller­dings nicht ver­bo­ten
    und damit nicht gleich effek­tiv bekämpft wer­den.
    IV. Kon­se­quen­zen für das Hoch­schul­per­so­nal
    Die grund­ge­setz­li­che Ent­schei­dung für den frei­heit­li­chen
    und wehr­haf­ten Ver­fas­sungs­staat deter­mi­niert die
    Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se im öffent­li­chen Dienst – und
    damit auch die an staat­li­chen Hochschulen.
  26. Grund­sätz­li­ches
    Der Staat steht hier als Dienst­herr bzw. Arbeit­ge­ber
    immer schon vor der Fra­ge, wie er die Kol­li­si­on der bei­den
    Grund­wer­te des Grund­ge­set­zes – frei­heit­lich und
    wehr­haft – (auf-)löst.
    a) Zeit­his­to­ri­scher Über­blick
    Poli­ti­scher Extre­mis­mus im öffent­li­chen Dienst und –
    dar­aus resul­tie­rend – die Gefahr der „Unter­wan­de­rung“
    des frei­heit­li­chen Rechts­staats durch sei­ne Fein­de und
    des­sen Zer­stö­rung „von innen her­aus“, ist ein zeit­los zen­tra­les
    Problem.135
    Bereits die Wei­ma­rer Repu­blik schuf gegen die­se Bedro­hung
    „von innen“ Vorkehrungen.136 Durch das „Gesetz
    über die Pflich­ten der Beam­ten zum Schut­ze der Repu­blik“
    vom 21.7.1922137 wur­de in das dama­li­ge Reichs­be­am­ten­ge­setz
    ein § 10a neu ein­ge­fügt. Danach war der
    Reichs­be­am­te ver­pflich­tet, „in sei­ner amt­li­chen Tätig­keit
    für die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge repu­bli­ka­ni­sche Staats­ge­walt
    ein­zu­tre­ten“ und „alles zu unter­las­sen, was mit sei­ner Stel­lung
    als Beam­ter der Repu­blik nicht zu ver­ein­ba­ren ist“.
    Da aber Art. 130 Abs. 2 WRV den Beam­ten „die Frei­heit
    ihrer poli­ti­schen Gesin­nung und die Ver­ei­ni­gungs­frei­heit“
    gewähr­leis­te­te, waren Inhalt und Gren­zen der
    Treue­pflicht gegen­über der Repu­blik umstritten.138
    Im Jahr 1930 beschloss das preu­ßi­sche Staats­mi­nis­te­ri­um,
    „die Natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Deut­sche Arbei­ter­par­tei
    und die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei Deutsch­lands […] als Orga­ni­sa­tio­nen
    anzu­se­hen, deren Ziel der gewalt­sa­me Umsturz
    der bestehen­den Staats­ord­nung ist“. Hier­aus fol­ger­te
    es: „Ein Beam­ter, der an einer sol­chen Orga­ni­sa­ti­on teil­nimmt,
    sich für sie betä­tigt oder sie sonst unter­stützt, ver­letzt
    dadurch die aus sei­nem Beam­ten­ver­hält­nis sich
    erge­ben­de beson­de­re Treue­ver­pflich­tung gegen­über dem
    Staa­te und macht sich eines Dienst­ver­ge­hens schuldig.“139
    Die­ser Beschluss wur­de hin­sicht­lich der NSDAP nach
    dem soge­nann­ten Preu­ßen­schlag wie­der auf­ge­ho­ben.
    129 BVerfG 24.3.2001 – 1 BvQ 13/01, NJW 2001, 2069.
    130 H. M., vgl. BVerfG 6.10.1959 – 1 BvL 118/53, NJW 1960, 29;
    BVerfG 15.1.1969 – 1 BvR 438/65, NJW 1969, 742; BVerfG 8.3.1983
    – 1 BvR 1078/80, NJW 1983, 1535; Witt­rek, in: Drei­er, GG, Bd. I, 3.
    Aufl. 2013, Art. 18 Rn. 38 m. w. N.
    131 Volk­mann, JZ 2010, 209, 210: „inef­fek­tiv“; Witt­rek, in: Drei­er, GG,
    Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 18 Rn. 29: „Net­to-Kampf­wert gegen Null“.
    132 BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, NJW 2017, 611.
    133 Volk­mann, JZ 2010, 209, 210.
    134 BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, NJW 2017, 611.
    135 Es han­delt sich auch nicht um ein natio­na­les Pro­blem. Viel­mehr
    besteht die­se Gefahr bei jedem frei­heit­lich demo­kra­tisch
    orga­ni­sier­ten Gemein­we­sen, wel­ches sei­ne Grund­wer­te nicht nur
    nach außen (Drit­ten gegen­über), son­dern gera­de auch nach innen
    ver­tei­di­gen muss, vgl. Böcken­för­de, in: Böckenförde/Tomuschat/
    Umbach (Hrsg.), Extre­mis­ten und öffent­li­cher Dienst, Rechts­la­ge
    und Pra­xis des Zugangs zum und Ent­las­sung aus dem öffent­li­chen
    Dienst in West­eu­ro­pa, USA, Jugo­sla­wi­en und der EG, 1981,
    S. 10.
    136 Näher hier­zu Rudolf, in: Thiel (Hrsg.), Wehr­haf­te Demo­kra­tie,
    2003, S. 209, 214 f.
    137 RGBl. 1922 I, S. 590.
    138 Vgl. Bat­tis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 11. Näher Rudolf, in: Thiel
    (Hrsg.), Wehr­haf­te Demo­kra­tie, 2003, S. 209, 214 f.
    139 All­ge­mein­ver­fü­gung des Preu­ßi­schen Jus­tiz­mi­nis­ters vom
    9.7.1930 – I 10 237, Preu­ßi­sches Jus­tiz­mi­nis­te­ri­al­blatt 1930, S. 220.
    Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 8 1
    Nach dem „Adenauer-Erlass“140 von 1950 ver­letz­te
    sei­ne Dienst­pflicht, wer „als Beam­ter, Ange­stell­ter oder
    Arbei­ter im Bun­des­dienst an Orga­ni­sa­tio­nen oder Bestre­bun­gen
    gegen die frei­heit­lich demo­kra­ti­sche Staats­ord­nung
    teil­nimmt, sich für sie betä­tigt oder sie sonst unter­stützt“.
    Nicht abschlie­ßend wur­den 13 Orga­ni­sa­tio­nen
    auf­ge­zählt, in denen man als Staats­be­diens­te­ter
    nicht Mit­glied sein durf­te. Anlass hier­für war, dass die
    „Geg­ner der Bun­des­re­pu­blik ihre Bemü­hun­gen, die frei­heit­li­che
    demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung zu unter­gra­ben“,
    ver­stärk­ten.
    In den 1970er Jah­ren stand die Bekämp­fung des
    Links­extre­mis­mus im Mit­tel­punkt der sicher­heits­po­li­ti­schen
    Agen­da der damals noch jun­gen BRD – was ange­sichts
    der abs­trak­ten Bedro­hung durch den kom­mu­nis­ti­schen
    Ost­block und des sehr kon­kre­ten Ter­rors der
    RAF nach­voll­zieh­bar war. Die Regie­rungs­chefs von
    Bund und Län­dern befürch­te­ten, dass der öffent­li­che
    Dienst durch (Links-)Extremisten „unter­wan­dert“ wird
    und erlie­ßen daher am 28.1.1972 einen gemein­sa­men Beschluss141,
    der der Öffent­lich­keit als „Radi­ka­len­er­lass“
    oder „Extre­mis­ten­be­schluss“ bekannt wur­de. Die­ser Beschluss
    war auch eine Reak­ti­on der Exe­ku­ti­ve auf zuneh­men­de
    kom­mu­nis­ti­sche und sozia­lis­ti­sche Akti­vi­tä­ten
    an Universitäten.142 Er beton­te die Pflicht zur Ver­fas­sungs­treue
    als Pflicht, sich posi­tiv zur Ver­fas­sung zu beken­nen,
    sodass ver­fas­sungs­feind­li­che Bestre­bun­gen eine
    Ver­let­zung der Dienst­pflich­ten bedeu­te­ten. Begrün­de­te
    Zwei­fel an der posi­ti­ven Ver­fas­sungs­treue von Bewer­bern
    recht­fer­tig­ten des­halb im Regel­fall deren
    Ablehnung.143
    Beson­ders umstrit­ten war – neben der Fra­ge, ob die
    Mit­glied­schaft eines Staats­be­diens­te­ten in einer Par­tei,
    wel­che nicht vom BVerfG ver­bo­ten ist, des­sen Ableh­nung
    oder Ent­las­sung recht­fer­ti­gen konn­te – das Ver­fah­ren
    der Regel­an­fra­gen bei den Verfassungsschutzämtern144:
    Auf Grund die­ser Regel­an­fra­ge wur­den im Zeit­raum
    von 1972 bis 1992 rund 3,5 Mil­lio­nen Bewer­ber für
    den öffent­li­chen Dienst über­prüft. Es kam in ca. 11.000
    Fäl­len zu Ver­fah­ren, wobei 1.250 Per­so­nen nicht ein­ge­stellt
    wurden.145 Dar­über hin­aus wur­den rund 260 Beam­te
    und Ange­stell­te im genann­ten Zeit­raum ent­las­sen;
    beson­ders betrof­fen waren neben Leh­rern (etwa 80 %)
    auch Hoch­schul­leh­rer (etwa 10 %).146
    Das Ver­fah­ren der Regel­an­fra­ge wur­de von den ein­zel­nen
    Län­dern suk­zes­si­ve auf­ge­ho­ben und ver­lor so an
    Bedeutung.147 Zuletzt gab es 1991 auch der Frei­staat Bay­ern
    auf148, der jedoch an des­sen Stel­le ein neu­es, eige­nes
    Ver­fah­ren ein­führ­te, um die Ver­fas­sungs­treue im öffent­li­chen
    Dienst zu prüfen149. Danach muss nun­mehr jeder
    Bewer­ber in einem „Fra­ge­bo­gen zur Prü­fung der Ver­fas­sungs­treue“
    aus­drück­lich beant­wor­ten, ob er Mit­glied
    oder Unter­stüt­zer einer oder meh­re­rer als extre­mis­tisch
    oder extre­mis­tisch beein­fluss­ter Orga­ni­sa­ti­on war oder
    ist; die „wich­tigs­ten extre­mis­ti­schen oder extre­mis­tisch
    beein­fluss­ten Orga­ni­sa­tio­nen“ sind dabei (nicht abschlie­ßend)
    in einem Verzeichnis150 auf­ge­zählt.
    Gegen­wär­tig rin­gen Bund und Län­der wie­der ver­stärkt
    mit dem Pro­blem, wie sie den öffent­li­chen Dienst
    frei von Ver­fas­sungs­fein­den hal­ten kön­nen. Wie unver­än­dert
    real und akut die Bedro­hung durch die­se ist, zei­gen
    näm­lich zahl­rei­che (rechts-)extremistische Vor­fäl­le
    in den Sicher­heits­be­hör­den im ver­gan­ge­nen Jahr.151 Der
    Frei­staat Sach­sen ver­sucht die­ser Gefahr mit einer neu
    geschaf­fe­nen Koor­di­nie­rungs­stel­le für inter­ne Extre­mis­mus­ab­wehr
    und ‑prä­ven­ti­on zu begeg­nen; deren Ziel ist
    es, extre­mis­ti­sche Bestre­bun­gen von Bediens­te­ten des
    Innen­mi­nis­te­ri­ums wie nach­ge­ord­ne­ter Behör­den
    aufzuspüren.152
    140 Beschluss der Bun­des­re­gie­rung zur poli­ti­schen Betä­ti­gung von
    Ange­hö­ri­gen des öffent­li­chen Diens­tes gegen die demo­kra­ti­sche
    Grund­ord­nung vom 19.9.1950, in: Gemein­sa­mes Minis­te­ri­al­blatt
    vom 20.9.1950, S. 93. Näher hier­zu Rudolf, in: Thiel (Hrsg.),
    Wehr­haf­te Demo­kra­tie, 2003, S. 209, 217 ff.
    141 Gemein­sa­mer Beschluss des Bun­des­kanz­lers und der Minis­ter­prä­si­den­ten
    der Län­der zu Grund­sät­zen über die Mit­glied­schaft
    von Beam­ten in extre­men Orga­ni­sa­tio­nen, bekannt­ge­ge­ben
    in: Minis­te­ri­al­blatt für das Land Nord­rhein-West­fa­len vom
    29.2.1972, S. 342. Näher dazu Rudolf, in: Thiel (Hrsg.), Wehr­haf­te
    Demo­kra­tie, 2003, S. 209, 219 ff.
    142 Kunig, in: Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 33 Rn. 34; Rudolf,
    in: Thiel (Hrsg.), Wehr­haf­te Demo­kra­tie, 2003, S. 209, 220.
    143 Rudolf, in: Thiel (Hrsg.), Wehr­haf­te Demo­kra­tie, 2003, S. 209,
    219.
    144 Rudolf, in: Thiel (Hrsg.), Wehr­haf­te Demo­kra­tie, 2003, S. 209, 219 f.
    145 Mühl­dor­fer, Radi­ka­len­er­lass, publi­ziert am 16.6.2014, in:
    His­to­ri­sches Lexi­kon Bay­erns, https://www.historisches-lexikonbayerns.
    de/Lexikon/Radikalenerlass (31.1.2021).
    146 Mühl­dor­fer, Radi­ka­len­er­lass, publi­ziert am 16.6.2014, in: His­to­ri­sches
    Lexi­kon Bay­erns, https://www.historisches-lexikon-bayerns.
    de/Lexikon/Radikalenerlass (31.1.2021).
    147 Näher Rudolf, in: Thiel (Hrsg.), Wehr­haf­te Demo­kra­tie, 2003,
    S. 209, 221 f.
    148 Vgl. Kath­ke, ZBR 1992, 344, 345. Näher zur Ent­wick­lung der
    Prü­fung der Ver­fas­sungs­treue seit 1980: Rudolf, in: Thiel (Hrsg.),
    Wehr­haf­te Demo­kra­tie, 2003, S. 209, 222 ff.
    149 Bekannt­ma­chung über die Pflicht zur Ver­fas­sungs­treue im öffent­li­chen
    Dienst (Ver­fas­sungs­treue-Bekannt­ma­chung – Verft­öD­Bek)
    der Baye­ri­schen Staats­re­gie­rung vom 3.12.1991 (All­MBl. S. 895,
    StAnz. Nr. 49), zuletzt geän­dert durch Bekannt­ma­chung vom
    27.9.2016 (All­MBl. S. 2138).
    150 Ver­zeich­nis extre­mis­ti­scher oder extre­mis­tisch beein­fluss­ter
    Orga­ni­sa­tio­nen (nicht abschlie­ßend), IMBek vom 29.11.2007.
    151 Vgl. etwa https://www.sueddeutsche.de/politik/nrw-polizeirechtsextremismus-
    chat‑1.5034926 (31.1.2021).
    152 https://www.mdr.de/sachsen/koordinierungsstelle-extremismusabwehr-
    sachsen-100.html (31.1.2021).
    8 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    Der (zeit-)geschichtliche Rück­blick macht deut­lich:
    Poli­ti­scher Extre­mis­mus ist eine offen­bar nicht aus­zu­rot­ten­de
    ver­fas­sungs­feind­li­che Ein­stel­lung von Men­schen
    und damit ein zeit­lo­ses Phä­no­men nicht nur gene­rell in
    Staat und Gesell­schaft, son­dern auch im öffent­li­chen
    Dienst der staat­li­chen Hoch­schu­len; denn Letz­te­re sind
    mit ihren vie­len Stu­die­ren­den und Beschäf­tig­ten stets
    Abbild unse­rer Lebens­wirk­lich­keit: Mit der Zahl der
    Stu­die­ren­den (1975: 836.002; 2019: 2.891.049153) ist die
    Zahl ihrer Beschäf­tig­ten deut­lich gestie­gen. Beschäf­tig­ten
    die Hoch­schu­len im Jahr 2010 noch 601.682 Personen154,
    so waren es 2019 bereits 737.762; davon sind
    406.659 dem wis­sen­schaft­li­chen (und künst­le­ri­schen)
    Per­so­nal und 331.103 dem nicht­wis­sen­schaft­li­chen (ver­wal­tungs­tech­ni­schen
    und sons­ti­gen) Per­so­nal zuzu­rech­nen.
    155 Dabei über­wiegt das Per­so­nal der Uni­ver­si­tä­ten
    mit 578.569 Beschäf­ti­gen gegen­über dem der Kunst‑,
    Fach- und Ver­wal­tungs­hoch­schu­len klar.156 Die­se Zah­len
    bezie­hen sich zwar auf alle Hoch­schu­len unab­hän­gig
    von deren Trä­ger­schaft, schlie­ßen also pri­va­te Hoch­schu­len
    mit ein. Deren Beschäf­tig­te machen aller­dings
    nur einen sehr gerin­gen Teil aus: Im Jahr 2018 waren an
    pri­va­ten Hoch­schu­len ins­ge­samt ledig­lich 18.283 Per­so­nen
    beschäf­tigt, davon 8.147 im wis­sen­schaft­li­chen und
    künst­le­ri­schen Bereich, 10.136 als Verwaltungs‑, tech­ni­sches
    und sons­ti­ges Personal.157 Die Beschäf­tig­ten an
    staat­li­chen Uni­ver­si­tä­ten und ande­ren Hoch­schu­len bil­den
    so mit gut 15% einen beacht­li­chen Teil der rund 4,9
    Mil­lio­nen Beschäf­tig­ten im öffent­li­chen Dienst.158
    b) Kon­flikt: Ver­fas­sungs­schutz ver­sus Grund­rechts­schutz
    Der Staat befin­det sich bei der Bekämp­fung von poli­ti­schem
    Extre­mis­mus stets in einem Dilem­ma – und
    beson­ders als Dienst­herr und Arbeit­ge­ber im öffent­li­chen
    Dienst: Einer­seits ver­pflich­tet das Grund­ge­setz ihn
    als wehr­haf­te Demo­kra­tie, sei­ne Grund­wer­te zu erhal­ten
    und zu schüt­zen. Und dazu wäre der Staat nicht in der
    Lage, wenn sei­ne Bediens­te­ten ihn und sei­ne Grund­ord­nung
    „von innen her­aus“ ableh­nen und bekämp­fen.
    Zutref­fend stell­te das BVerfG daher bereits 1975 fest:
    „Der frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Rechts­staat kann und
    darf sich nicht in die Hand sei­ner Zer­stö­rer geben.“159
    Ande­rer­seits ist der wehr­haf­te Staat zugleich ein libe­ra­ler,
    die Grund­rech­te aller Bür­ger ach­ten­der und schüt­zen­der
    Rechts­staat. Und die­se Grund­rech­te gel­ten im
    Rechts­staat grund­sätz­lich auch für die Fein­de der Frei­heit.
    160
    Die­ser ver­fas­sungs­im­ma­nen­te Grund­kon­flikt – die
    Kol­li­si­on der staat­li­chen Pflicht zum Ver­fas­sungs­schutz
    mit der Pflicht, den Bür­gern mög­lichst umfas­send
    grund­recht­li­che Frei­heit zu gewäh­ren – prägt die Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se
    an staat­li­chen Uni­ver­si­tä­ten
    und ande­ren Hoch­schu­len. Auch hier muss der Staat sei­ne
    Grund­ord­nung einer­seits vor Ver­fas­sungs­fein­den
    schüt­zen und ver­tei­di­gen, ande­rer­seits aber umfas­send
    grund­recht­li­che Frei­hei­ten – und hier ganz beson­ders
    die Wis­sen­schafts­frei­heit – ach­ten und schüt­zen.
    Beson­ders klar zeigt sich die­se Ambi­va­lenz bei den
    Beam­ten; das BVerfG beschreibt sie wie folgt: „Der Beam­te
    genießt Grund­rechts­schutz. Er steht zwar ‚im Staat‘
    und ist des­halb mit beson­de­ren Pflich­ten belas­tet, die ihm
    dem Staat gegen­über oblie­gen, er ist aber zugleich Bür­ger,
    der sei­ne Grund­rech­te gegen den Staat gel­tend machen
    kann. In ihm sto­ßen sich also zwei Grund­ent­schei­dun­gen
    des Grund­ge­set­zes: Die Garan­tie eines für den Staat unent­behr­li­chen,
    ihn tra­gen­den, ver­läß­li­chen, die frei­heit­li­che
    demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung beja­hen­den Beam­ten­kör­pers
    […] und die Garan­tie der indi­vi­du­el­len
    Freiheitsrechte“161.
    Für den ver­be­am­te­ten Hoch­schul­leh­rer folgt aus die­sem
    ver­fas­sungs­im­ma­nen­ten Kon­flikt spe­zi­fisch: Er ist
    als Beam­ter Staats­die­ner, sodass ihn beam­ten­recht­li­che
    Pflich­ten tref­fen; zugleich genießt er nicht nur all­ge­mein
    als Bür­ger Grund­rechts­schutz, viel­mehr ist sei­ne wis­sen­schaft­li­che
    Tätig­keit durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG beson­ders
    (umfas­send) geschützt.
    153 https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/
    Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/Tabellen/lrbil01.html
    (31.1.2021).
    154 Sta­tis­ti­sches Bun­des­amt, Bil­dung und Kul­tur – Per­so­nal an Hoch­schu­len
    2019, 2020, S. 14, https://www.destatis.de/DE/Themen/
    Gesell­schaft-Umwelt­/­Bil­dung-For­schung-Kul­tur/Hoch­schu­len/
    Publi­ka­tio­nen­/­Down­loads-Hoch­schu­len/­per­so­nal-hoch­schu­len-
    2110440197004.pdf;jsessionid=4DB1A130F514083ACD029330
    4A21451E.internet8731?__blob=publicationFile (31.1.2021).
    155 Sta­tis­ti­sches Bun­des­amt, Bil­dung und Kul­tur – Per­so­nal an Hoch­schu­len
    2019, 2020, S. 14.
    156 Sta­tis­ti­sches Bun­des­amt, Bil­dung und Kul­tur – Per­so­nal an Hoch­schu­len
    2019, 2020, S. 15.
    157 Sta­tis­ti­sches Bun­des­amt, Bil­dung und Kul­tur – Pri­va­te Hoch­schu­len
    2018, 2020, S. 14, 115 f.; https://www.destatis.de/DE/Themen/
    Gesell­schaft-Umwelt­/­Bil­dung-For­schung-Kul­tur/Hoch­schu­len/
    Publi­ka­tio­nen­/­Down­loads-Hoch­schu­len/­per­so­nal-hoch­schu­len-
    2110440197004.pdf;jsessionid=4DB1A130F514083ACD029330
    4A21451E.internet8731?__blob=publicationFile (31.1.2021).
    158 https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Oeffentlicher-Dienst/
    Tabellen/beschaeftigte-aufgaben.html (31.1.2021).
    159 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1642.
    160 Näher Chr. Picker, RdA 2020, 317, 322 f.
    161 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1647; fer­ner
    BVerfG 20.9.2007 – 2 BvR 1047/06, NVwZ 2008, 416.
    Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 8 3
    c) Lösung: Funk­tio­na­le Dif­fe­ren­zie­rung
    Wie ist die­ses Dilem­ma – Ver­fas­sungs­schutz und Grund­rechts­schutz
    – ver­fas­sungs­kon­form auf­zu­lö­sen? Zwar
    spricht Vie­les auf den ers­ten Blick dafür, dass der Selbst­schutz
    des wehr­haf­ten Ver­fas­sungs­staa­tes vor­ran­gig
    ist162 und damit eine posi­ti­ve Ver­fas­sungs­treue­pflicht für
    alle Beschäf­tig­te an Uni­ver­si­tä­ten und ande­ren Hoch­schu­len
    gel­ten muss – unab­hän­gig davon, wel­che kon­kre­te
    Stel­lung die­se inne­ha­ben und wel­che kon­kre­ten
    Auf­ga­ben die­se aus­üben.
    Eine der­art umfas­sen­de poli­ti­sche Treue­pflicht aller
    Hoch­schul­be­schäf­tig­ten wür­de deren Grund­rech­te aber
    auch dann ein­schrän­ken, wenn ein Funk­ti­ons- oder Anse­hens­ver­lust
    des Staa­tes gera­de nicht zu befürch­ten ist.
    Denn nicht jeder Beschäf­tig­te des öffent­li­chen Diens­tes
    übt hoheit­li­che Tätig­kei­ten aus und reprä­sen­tiert und
    ver­tritt so den Staat. Eine posi­ti­ve poli­ti­sche Treue­pflicht,
    die sche­ma­tisch für den gesam­ten öffent­li­chen
    Dienst gilt, ist daher weder gebo­ten noch
    verhältnismäßig.163
    Gera­de weil unser Rechts­staat kein ein­sei­tig wehr­haf­ter,
    son­dern kumu­la­tiv libe­ra­ler und wehr­haf­ter ist, hat
    er die Grund­rech­te sei­ner Beschäf­tig­ten mög­lichst weit­ge­hend
    zu respek­tie­ren. Ver­fas­sungs­recht­lich not­wen­dig
    ist es daher, an staat­li­chen Uni­ver­si­tä­ten und Hoch­schu­len
    zwi­schen Beam­ten und Arbeit­neh­mern zu
    dif­fe­ren­zie­ren.
  27. Beam­te
    Für die staat­li­chen Funk­ti­ons­trä­ger, denen hoheit­li­che
    Auf­ga­ben und Befug­nis­se über­tra­gen sind, gel­ten beson­de­re
    poli­ti­sche Treue­pflich­ten. Zu die­sen zäh­len Beam­te,
    Rich­ter und Soldaten.164 An den Hoch­schu­len unter­liegt
    daher das ver­be­am­te­te Per­so­nal einer spe­zi­fi­schen Verfassungstreuepflicht165
    – und dazu gehö­ren ins­be­son­de­re
    die ganz überwiegend166 nach § 46 HRG bzw. § 49
    Abs. 1 LHG167 ver­be­am­te­ten Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren.
    a) Posi­ti­ve Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    Beam­te müs­sen sich nach Ansicht des BVerfG168 und der
    h. M.169 ein­deu­tig zur frei­heit­li­chen demo­kra­ti­schen
    Grund­ord­nung beken­nen, sich mit die­ser iden­ti­fi­zie­ren
    und bereit sein, für die­se jeder­zeit aktiv ein­zu­tre­ten. Die­se
    soge­nann­te posi­ti­ve Treue­pflicht gilt für sie umfas­send:
    Dienst­lich wie außerdienstlich170 sowie unab­hän­gig
    von der Art des Beam­ten­ver­hält­nis­ses (auf Lebens­zeit,
    Zeit oder Pro­be) und den kon­kre­ten dienst­li­chen
    Aufgaben.171
    Ein­fach­ge­setz­lich ist die­se Pflicht für Bun­des­be­am­te
    in § 60 Abs. 1 S. 3 BBG und für Lan­des­be­am­te wort­laut­iden­tisch
    in § 33 Abs. 1 S. 3 BeamtStG posi­ti­viert: „Beam­tin­nen
    und Beam­te müs­sen sich durch ihr gesam­tes Ver­hal­ten
    zu der frei­heit­li­chen demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung
    im Sin­ne des Grund­ge­set­zes beken­nen und für deren
    Erhal­tung ein­tre­ten.“
    aa) Dog­ma­ti­sche Her­lei­tung
    BVerfG172 und BVerwG173 betrach­ten die­se beson­de­re
    poli­ti­sche Treue­pflicht als einen her­ge­brach­ten Grund­satz
    des Berufs­be­am­ten­tums und lei­ten sie damit unmit-
    162 Näher Chr. Picker, RdA 2020, 317, 324.
    163 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 324.
    164 Siems, DÖV 2014, 338, 339.
    165 BVerfGE 31.7.1981 – 2 BvR 321/81, NJW 1981, 2683; BVerwG
    22.4.1977 – VII C 17/74, NJW 1977, 1837; BVerwG 28.11.1980 – 2 C
    24/78, NJW 1981, 1390; BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989,
    1374; VG Ber­lin 29.10.2012 – VG 80 K 23.12 OL, Beck­RS 2012,
    60858.
    166 Nach Epping, ZBR 1997, 383, 385 – Fn. 34 waren im Jahr 1997 rund
    98 % der Pro­fes­so­ren Beam­te.
    167 Soweit lan­des­recht­li­che Vor­schrif­ten zitiert wer­den, han­delt es
    sich um sol­che des Lan­des Baden-Würt­tem­berg.
    168 Grund­le­gend: BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
    Vgl. etwa auch BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 337/08, NJW 2008, 2568.
    169 Maunz/Dürig/Badura, 92. EL August 2020, GG Art. 33 Rn. 60
    m. w. N. Jüngst dazu Lor­se, ZBR 2021, 1 ff.
    170 BVerwG 29.10.1981 – 1 D 50/81, NJW 1982, 779; VGH Kas­sel
    7.5.1988 – 24 DH 2498–96, NVwZ 1999, 904.
    171 H. M., vgl. aus der umfang­rei­chen Recht­spre­chung: BVerfG
    22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641; BVerwG 6.2.1975 – II C
    68/73, NJW 1975, 1135; BVerwG 27.11.1980 – 2 C 38/79, NJW 1981,
    1386; BVerwG 29.10.1981 – 1 D 50/80 (BDiszG), NVwZ 1982,
    191; VGH Mann­heim 13.3.2007 – 4 S 1805/06, NVwZ-RR 2008,
    149; eben­so Stern, Zur Ver­fas­sungs­treue der Beam­ten, Mün­chen
    1974, S. 23; zur Pra­xis: Rund­erlass des BMI v. 4.2.1993 D I 3–210
    152/7; Kath­ke ZBR 1992, 344. A. A. und für funk­ti­ons­be­zo­ge­ne
    Bestim­mung der beam­ten­recht­li­chen Ver­fas­sungs­treue­pflicht:
    Bro­si­us-Gers­dorf, in: Drei­er (Hrsg.), GG, Bd. II, 3. Aufl. (2015),
    Art. 33 Rn. 107; Bat­tis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 12, jeden­falls
    zwei­felnd Beck­OK Beam­tenR Bund/Schwarz, 20. Ed. 1.10.2020,
    BBG § 7 Rn. 14.1.
    172 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641; BVerfG 6.5.2008
    – 2 BvR 337/08, NJW 2008, 2568.
    173 BVerwG 6.2.1975 – II C 68/73, NJW 1975, 1135.
    8 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    tel­bar aus Art. 33 Abs. 5 GG her. Zu die­sen her­ge­brach­ten
    Grund­sät­zen zählt das BVerfG den „Kern­be­stand von
    Struk­tur­prin­zi­pi­en […], die all­ge­mein oder doch ganz
    über­wie­gend wäh­rend eines län­ge­ren, tra­di­ti­ons­bil­den­den
    Zeit­raums, min­des­tens unter der Reichs­ver­fas­sung von
    Wei­mar, als ver­bind­lich aner­kannt und gewahrt wor­den
    sind“174.
    Danach ist sicher die all­ge­mei­ne Treue­pflicht der Beam­ten
    ein tra­dier­ter Grund­satz des Berufs­be­am­ten­tums.
    175 Ob dazu jedoch his­to­risch auch die beson­de­re
    posi­ti­ve Ver­fas­sungs­treue­pflicht zählt, ist ange­sichts der
    grund­le­gen­den Staats- und Ver­fas­sungs­um­brü­che in der
    deut­schen Geschich­te des 20. Jahr­hun­derts zwei­fel­haft.
    176 Sicher kann die per­so­nen­be­zo­ge­ne Treue­pflicht
    der Beam­ten gegen­über dem Füh­rer wäh­rend der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen
    Schreckensherrschaft177 nicht zur Begrün­dung
    einer Ver­fas­sungs­tra­di­ti­on her­an­ge­zo­gen wer­den.
    Die­se Pflicht war zwar auch eine beson­de­re, aber
    eben eine beson­ders per­ver­tier­te. Ob zumin­dest die
    Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung eine ent­spre­chen­de Ver­fas­sungs­tra­di­ti­on
    begrün­det hat, ist zweifelhaft178, weil gera­de
    umstrit­ten war, inwie­weit die­se Ver­fas­sung eine poli­ti­sche
    Treue­pflicht für die Beam­ten sta­tu­ier­te. Art. 130
    Abs. 2 WRV garan­tier­te den Beam­ten näm­lich auch „die
    Frei­heit ihrer poli­ti­schen Gesin­nung“, sodass Inhalt und
    Gren­zen der Treue­pflicht umstrit­ten waren.179
    Aller­dings geht es bei der hier frag­li­chen poli­ti­schen
    Treue­pflicht ein­zig um die Treue zum Grund­ge­setz. Ihr
    Inhalt und Umfang las­sen sich des­halb nicht aus der Gene­se
    zuvor gel­ten­der Ver­fas­sun­gen, son­dern allein aus
    dem Grund­ge­setz selbst bestimmen.180 Folg­lich muss
    sich eine ent­spre­chen­de Treue­pflicht ori­gi­när aus und
    mit dem Grund­ge­setz begrün­den las­sen.
    Zur Begrün­dung der posi­ti­ven Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    von Beam­ten bemüht das BVerfG wei­ter das Ver­fas­sungs­prin­zip
    der wehr­haf­ten bzw. streit­ba­ren Demo­kra­tie.
    Dies über­zeugt indes nur bedingt, setzt die­ses
    Prin­zip doch gera­de eine akti­ve Ver­fas­sungs­feind­schaft
    voraus181, sodass sich mit ihm ledig­lich eine nega­ti­ve,
    aber gera­de kei­ne posi­ti­ve Ver­fas­sungs­treue­pflicht begrün­den
    lässt. Erfasst wären mit­hin nur sol­che (sel­te­nen)
    Fäl­le, in denen Beam­te aktiv „kämp­fe­risch“ gegen
    die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung oppo­nie­ren,
    nicht aber die Fäl­le, in denen Beam­te die­se nur (pas­siv)
    ableh­nen, was etwa anzu­neh­men ist, wenn die­se
    bloß Mit­glied einer ver­fas­sungs­feind­li­chen Par­tei oder
    Orga­ni­sa­ti­on sind.182 Unab­hän­gig davon gilt das Ver­bot,
    sich aggres­siv-kämp­fe­risch gegen die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche
    Grund­ord­nung zu betä­ti­gen, für alle Bür­ger –
    und nicht spe­zi­fisch nur für Beam­te.
    Über­zeu­gend lässt sich die Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    von Beam­ten mit der Funk­ti­on des Berufs­be­am­ten­tums
    begründen.183 Unser Ver­fas­sungs­staat geht mit sei­ner
    Ent­schei­dung für die wehr­haf­te Demo­kra­tie eine Selbst­ver­pflich­tung
    ein, sei­ne Grund­ord­nung zu schüt­zen und
    zu erhal­ten. Da er aber selbst nicht hand­lungs­fä­hig ist, ist
    er zwin­gend auf sei­ne Beam­ten als ihn Reprä­sen­tie­ren­de
    und für ihn Han­deln­de ange­wie­sen; die­sen über­trägt er
    ins­be­son­de­re das Recht, (für ihn) hoheit­li­che Gewalt
    und so sei­ne „Kern­funk­ti­on“ aus­zu­üben, Art. 33 Abs. 4
    GG.184 Die­se ver­fas­sungs­recht­li­che Grund­ent­schei­dung
    ver­bie­tet es zwin­gend, „dass der Staat, des­sen ver­fas­sungs­mä­ßi­ges
    Funk­tio­nie­ren auch von der frei­en inne­ren
    Bin­dung sei­ner Amts­trä­ger an die gel­ten­de Ver­fas­sung abhängt,
    zur Aus­übung von Staats­ge­walt Bewer­ber zulässt
    und in (Ehren-)Ämtern, die mit der Aus­übung staat­li­cher
    Gewalt ver­bun­den sind, Bür­ger belässt, die die frei­heit­li­che
    demo­kra­ti­sche, rechts- und sozi­al­staat­li­che Ord­nung ableh­nen
    und bekämpfen“185. Für die Ver­fas­sungs­treue
    beim Zugang zum Beam­ten­ver­hält­nis bie­tet ent­spre­chend
    Art. 33 Abs. 2 GG einen ver­fas­sungs­recht­li­chen
    Anknüpfungspunkt.186
    174 Stän­di­ge Recht­spre­chung, vgl. etwa BVerfG 2.12.1958 – 1 BvL
    27/55, NJW 1959, 189; BVerfG 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, 2 BvR
    1395/13, 2 BvR 1068/14, 2 BvR 646/15, NVwZ 2018, 1121, 1123
    m. w. N.
    175 BVerfG 19.9.2007 – 2 BvF 3/02, NVwZ 2007, 1396; BVerfG
    15.12.1976 – 2 BvR 841/73, NJW 1977, 1189; BVerfG 17.12.1953 –
    1 BvR 147/52, NJW 1954, 21; Bro­si­us-Gers­dorf in: Drei­er (Hrsg.),
    GG, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 33 Rn. 186 m. w. N. Aus­führ­lich zur
    his­to­ri­schen Ent­wick­lung der beam­ten­recht­li­chen Treue­pflicht:
    Lau­bin­ger, FS Ule, 1977, 89 ff.
    176 Im Ein­zel­nen Bat­tis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 10 f.; eben­so
    Rudolf, in: Thiel (Hrsg.), Wehr­haf­te Demo­kra­tie, 2003, S. 209, 232
    f.
    177 Näher dazu: Lau­bin­ger, FS Ule, 1977, S. 89, 105 ff.; Rudolf, in: Thiel
    (Hrsg.), Wehr­haf­te Demo­kra­tie, 2003, S. 209, 215 ff.
    178 Bat­tis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 11: „kei­ne trag­fä­hi­ge Grund­la­ge
    zur Her­lei­tung der poli­ti­schen Treue­pflicht“; dem zustim­mend
    Lor­se, ZBR 2021, 1, 5; fer­ner Kortz/Lubig, ZBR 2006, 397, 401.
    179 Näher Bat­tis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 11.
    180 Vgl. Kortz/Lubig, ZBR 2006, 397, 401.
    181 Sie­he oben II.2.
    182 Rich­tig Bat­tis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 12.
    183 Eben­so Bat­tis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 12; Men­ger, Ver­w­Arch
    67 (1976), 105, 106 f.
    184 Vgl. Men­ger, Ver­w­Arch 67 (1976), 105, 107.
    185 BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 337/08, NJW 2008, 2568, 2569.
    186 Dar­auf stellt maß­geb­lich Lor­se, ZBR 2021, 1, 6 ab. Vgl. zur Ver­fas­sungs­treue
    als Eig­nungs­merk­mal: Maunz/Dürig/Badura, 91.
    EL April 2020, GG Art. 33 Rn. 33; BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73,
    NJW 1975, 1641.
    Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 8 5
    bb) Ver­fas­sungs­kon­for­mi­tät
    Das BVerfG hält die poli­ti­sche Treue­pflicht der Beam­ten
    für verfassungskonform.187 Zwar kön­nen sich auch
    Beam­te auf ihre Grund­rech­te berufen188, ins­be­son­de­re
    auf das Ver­bot der Benach­tei­li­gung wegen der poli­ti­schen
    Anschau­ung (Art. 3 Abs. 3 GG), die auch durch
    Art. 33 Abs. 3 GG geschütz­te Glau­bens- und Welt­an­schau­ungs­frei­heit
    (Art. 4 Abs. 1 GG), sowie die Mei­nungs­frei­heit
    (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) und Wis­sen­schafts­frei­heit
    (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG).
    Aber sie kön­nen ihre Grund­rech­te wegen der „Garan­tie
    eines für den Staat unent­behr­li­chen, ihn tra­gen­den,
    ver­läß­li­chen, die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung
    beja­hen­den Beam­ten­kör­pers“ nur ver­fas­sungs­kon­form
    ausüben.189 Der Grund­rechts­schutz darf die poli­ti­sche
    Treue­pflicht nicht zuguns­ten von Ver­fas­sungs­fein­den
    rela­ti­vie­ren.
    (1) Poli­ti­sche Anschau­ung, Art. 3 Abs. 3 GG
    Das BVerfG legt in sei­ner grund­le­gen­den Ent­schei­dung
    aus dem Jahr 1975 das Merk­mal der „poli­ti­schen
    Anschau­ung“ äußerst restrik­tiv aus: Art. 3 Abs. 3 GG soll
    nur das „Haben“, nicht aber das Äußern und Betä­ti­gen
    einer poli­ti­schen Über­zeu­gung schützen.190 Denn die
    Betä­ti­gung der poli­ti­schen Gesin­nung sei „ein­deu­tig“
    durch beson­de­re Grund­rech­te geschützt. Wei­ter gel­te
    das Benach­tei­li­gungs­ver­bot des Art. 3 Abs. 3 GG nicht
    „absolut“.191 Ver­bo­ten sei nur die geziel­te Benach­tei­li­gung
    (oder Bevor­zu­gung) wegen der poli­ti­schen Ein­stel­lung,
    nicht aber ein Nach­teil, der die Fol­ge einer ganz
    anders inten­dier­ten Rege­lung ist. Schließ­lich müs­se
    Art. 3 Abs. 3 GG „aus dem Kon­text der Ver­fas­sung“ her­aus
    aus­ge­legt wer­den; die­se kon­sti­tu­ie­re eine „wehr­haf­te
    Demo­kra­tie“, die über Art. 3 Abs. 3 GG nicht ihren Fein­den
    aus­ge­lie­fert wer­den dür­fe.
    Die bei­den erst­ge­nann­ten Argu­men­te des BVerfG
    über­zeu­gen nicht: Woll­te man den Schutz­be­reich des
    Art. 3 Abs. 3 GG auf das blo­ße Haben einer poli­ti­schen
    Über­zeu­gung beschrän­ken, so wäre die Norm wei­test­ge­hend
    sinn­los. Abge­se­hen davon, dass sich inne­re (poli­ti­sche)
    Ein­stel­lun­gen von Men­schen kaum rechts­si­cher
    fest­stel­len las­sen, kann das blo­ße „Haben“ einer Über­zeu­gung
    in einem frei­heit­li­chen Rechts­staat nie­mals ver­bo­ten
    sein; viel­mehr sind die Gedan­ken hier umfas­send
    „frei“192. Daher muss gera­de auch die Mani­fes­ta­ti­on von
    poli­ti­schen Anschau­un­gen nach außen – ent­ge­gen der
    Ansicht des BVerfG193 – von Art. 3 Abs. 3 GG geschützt
    sein.194 Der Ver­weis, dass die poli­ti­sche Betä­ti­gung nur
    von den beson­de­ren Grund­rech­ten geschützt sei, schafft
    ein – sys­te­ma­tisch nicht begründ­ba­res und grund­rechts­dog­ma­tisch
    ver­fehl­tes – Spe­zia­li­täts­ver­hält­nis zwi­schen
    Art. 3 Abs. 3 GG und den (ver­meint­lich beson­de­ren)
    Grundrechten.195 Viel­mehr ist Telos des Art. 3 Abs. 3
    GG, Dis­kri­mi­nie­run­gen wegen der poli­ti­schen Anschau­ung
    zu ver­bie­ten – was inzwi­schen auch das BVerfG anerkennt196.
    Und da die Ableh­nung eines Bewer­bers bzw.
    die Ent­las­sung eines Beam­ten gera­de wegen des­sen (extre­mer)
    poli­ti­scher Anschau­ung erfolgt, ist Art. 3 Abs. 3
    GG hier einschlägig.197
    Frei­lich ist die­se Ungleich­be­hand­lung von Extre­mis­ten
    wegen Art. 33 Abs. 5 GG grund­sätz­lich gerecht­fer­tigt.
    198 Art. 3 Abs. 3 GG muss näm­lich (wie jede ande­re
    Ver­fas­sungs­norm auch) im Kon­text der Ver­fas­sung aus­ge­legt
    wer­den; und ein „Staat, der sich nicht selbst auf­ge­ben
    will, […] muß sicher­stel­len, daß in den Beam­ten­ap­pa­rat
    nicht Ver­fas­sungs­fein­de eindringen.“199 Denn der
    Staat ist nur dau­er­haft funk­ti­ons­tüch­tig und sei­nen Bür­gern
    gegen­über nach außen glaub­wür­dig, wenn er zumin­dest
    in sei­nem hoheit­li­chen Kern­be­reich von Amts­trä­gern
    reprä­sen­tiert wird, die jeder­zeit vor­be­halt­los für
    ihn ein­tre­ten. Die Benach­tei­li­gung ist auch ver­hält­nis­mä­ßig,
    da Extre­mis­ten (fast) jeden Beruf außer­halb der
    Beam­ten­schaft ergrei­fen können.200
    187 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
    188 Ins­be­son­de­re setzt die Leh­re vom beson­de­ren Gewalt­ver­hält­nis
    die Gel­tung der Grund­sät­ze nicht außer Kraft, vgl. BVerfG
    14.3.1972 – 2 BvR 41/71, NJW 1972, 811; vgl. auch Bat­tis, BBG, 5.
    Aufl. 2017, § 4 Rn. 23 f.
    189 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1647.
    190 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1648. Dem
    fol­gend BAG 12.3.1986 – 7 AZR 20/83, NJW 1987, 1100, 1101 und
    BVerwG 7.7.2004 – 6 C 17/03, NJW 2005, 85, 88.
    191 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
    192 Volk­mann, NJW 2010, 417, 419.
    193 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641; rela­ti­vie­rend
    BVerfG 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, NJW 2010, 47.
    194 So auch Stern/Becker, GG, 3. Aufl. 2019, Art. 3 Rn. 84;
    ErfK/Schmidt, 21. Aufl. 2021, GG Art. 3 Rn. 74; s. fer­ner Son­der­vo­tum
    Simon, BVerfG 8.3.1983, 1 BvR 1078/80, BVerfGE 63, 266, 304.
    Inzwi­schen wohl auch BVerfG 14.1.2020 – 2 BvR 1333/17, NJW
    2020, 1049, 1056 Rn. 116.
    195 Vgl. Maunz/Dürig/Langenfeld, 91. EL April 2020, GG Art. 3
    Abs. 3 Rn. 19; Stern/Becker, GG, 3. Aufl. 2019, Art. 3 Rn. 162.
    196 BVerfG 28.1.1992 – 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83, 1 BvL 10/91, NJW
    1992, 964, 965.
    197 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 325.
    198 Eben­so Maunz/Dürig/Langenfeld, 91. EL April 2020, GG Art. 3
    Abs. 3 Rn. 70.
    199 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1648.
    200 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 325.
    8 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    (2) Par­tei­en­pri­vi­leg, Art. 21 Abs. 2, 4 GG
    Nach Ansicht des BVerfG201 hin­dert auch das Par­tei­en­pri­vi­leg
    nach Art. 21 Abs. 2, 4 GG den öffent­li­chen
    Dienst­herrn nicht, die Mit­glied­schaft in einer poli­ti­schen
    Par­tei, die er für ver­fas­sungs­feind­lich hält, vom
    BVerfG aber nicht für ver­fas­sungs­wid­rig erklärt wur­de,
    als Ein­stel­lungs­hin­der­nis oder Dienst­ver­ge­hen zu wer­ten.
    202 Vor bloß fak­ti­schen Nach­tei­len, die einer betrof­fe­nen
    Par­tei dadurch ent­ste­hen, schüt­ze Art. 21 Abs. 2, 4
    GG nicht. Es sei funk­tio­nal zu dif­fe­ren­zie­ren: Wäh­rend
    Art. 21 GG die freie poli­ti­sche Betä­ti­gung des Bür­gers
    schüt­ze, lie­ge „die ratio des ver­fas­sungs­recht­li­chen Grund­sat­zes,
    daß dem Beam­ten gegen­über dem frei­heit­li­chen
    demo­kra­ti­schen Staat, zu dem er in ein beson­ders enges
    Ver­hält­nis getre­ten ist, eine poli­ti­sche Treue­pflicht obliegt,
    in einem ande­ren recht­li­chen Zusammenhang“203.
    Die­se Argu­men­ta­ti­on über­zeugt eben­falls nur im Ergeb­nis,
    nicht aber in der Begrün­dung. Nach ganz h. M.
    darf der Staat die poli­ti­schen Zie­le einer Par­tei auch
    ohne kon­sti­tu­ti­ve Ver­bots­ent­schei­dung des BVerfG als
    ver­fas­sungs­feind­lich bezeich­nen und die Mit­glied­schaft
    in einer sol­chen Par­tei als wesent­li­ches Indiz dafür her­an­zie­hen,
    dass die erfor­der­li­che Ver­fas­sungs­treue
    fehlt.204 Zwar ist dadurch – ent­ge­gen der Ansicht des
    BVerfG205 und BVerwG206 – der Schutz­be­reich des
    Art. 21 Abs. 2, 4 GG sehr wohl berührt, wonach der Staat
    eine nicht vom BVerfG ver­bo­te­ne Par­tei (und ins­be­son­de­re
    deren Funk­tio­nä­re, Mit­glie­der und Anhän­ger)
    nicht in ihrer poli­ti­schen Tätig­keit stö­ren oder behin­dern
    darf.207 In den Schutz­be­reich ist auch ein­ge­grif­fen,
    weil Art. 21 GG ent­we­der – ent­ge­gen der h. M.208 – auch
    vor fak­ti­schen Nach­tei­len schützt209 oder ein recht­li­cher
    Nach­teil anzu­neh­men ist, wenn der Staat Bewer­ber wegen
    ihrer Par­tei­mit­glied­schaft ablehnt bzw. Beam­te des­halb
    entlässt.210 Denn die Par­tei­mit­glied­schaft ist hier
    wesent­li­ches Indiz für die Beur­tei­lung der Ver­fas­sungs­treue,
    sodass der Bewerber/Beamte gera­de auch „wegen
    sei­ner Zuge­hö­rig­keit“ zu die­ser und nicht nur wegen sei­nes
    Gesamt­ver­hal­tens benach­tei­ligt wird.211 Fer­ner
    „exis­tie­ren“ Par­tei­en nur mit und durch ihr per­so­na­les
    Sub­strat. Sie sind exis­ten­ti­ell auf ihre Funk­tio­nä­re wie
    Mit­glie­der ange­wie­sen, sodass sie erheb­lich in ihrer Betä­ti­gungs­frei­heit
    beein­träch­tigt wer­den, wenn Per­so­nen
    ihnen nur des­halb fern­blei­ben, weil ihnen wegen der
    Mit­glied­schaft Beru­fe ver­wehrt sind.212
    Aber auch hier gilt: Zumin­dest in sei­nem Kern­be­reich
    ist der Staat auf ver­fas­sungs­treue Beam­te zwin­gend ange­wie­sen,
    wes­halb die ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­te
    Betä­ti­gungs­frei­heit der Par­tei­en und deren Mit­glie­der
    und Funk­tio­nä­re die­se unver­zicht­ba­re Prü­fung der Ver­fas­sungs­treue
    nicht kon­ter­ka­rie­ren darf. Denn der Staat
    bedarf „in sei­ner frei­heit­li­chen demo­kra­ti­schen Ver­faßt­heit
    […], wenn er sich nicht selbst in Fra­ge stel­len will, eines
    Beam­ten­kör­pers, der für ihn und die gel­ten­de ver­fas­sungs­mä­ßi­ge
    Ord­nung ein­tritt, in Kri­sen und Loya­li­täts­kon­flik­ten
    ihn ver­tei­digt, indem er die ihm über­tra­ge­nen
    Auf­ga­ben getreu in Ein­klang mit dem Geist der Ver­fas­sung,
    mit den ver­fas­sungs­recht­li­chen Wert­ent­schei­dun­gen
    und Gebo­ten und den gel­ten­den Geset­zen erfüllt.“213 Und
    der Ein­griff in deren Betä­ti­gungs­frei­heit ist inso­fern erträg­lich,
    als nur einem ver­hält­nis­mä­ßig klei­nen Teil der
    Bür­ger, den Beam­ten, ver­wehrt wird, sich für sie zu betä­ti­gen.
    Folg­lich geht Art. 33 Abs. 5 GG dem Par­tei­en­pri­vi­leg
    nach Art. 21 Abs. 2, 4 GG als ver­fas­sungs­im­ma­nen­te
    Schran­ke vor.214
    Die Par­tei­mit­glied­schaft ist frei­lich immer nur ein Indiz
    und befreit den Staat nicht davon, die Ver­fas­sungs-
    201 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
    202 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
    203 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1645.
    204 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1644; BVerwG
    29.10.1981 – 1 D 50/81, NJW 1982, 779; BVerwG 7.7.2004 – 6 C
    17/03, NJW 2005, 85, 87; BAG 31.3.1976 – 5 AZR 104/74, NJW
    1976, 1708, 1709; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Bd. 2,
  28. Aufl. 2018, GG Art. 21 Rn. 219.
    205 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
    206 BVerwG 7.7.2004 – 6 C 17/03, NJW 2005, 85, 87; BVerwG
    29.10.1981 – 1 D 50/81, NJW 1982, 779. Nach Ansicht des BAG
    31.3.1976 – 5 AZR 104/74, NJW 1976, 1708, 1710 ist das Par­tei­en­pri­vi­leg
    nur in sei­ner „Rand­zo­ne berührt“.
    207 Eben­so Men­ger, Ver­w­Arch 67 (1976), 105, 109; Kortz/Lubig, ZBR
    2006, 397, 400; dies., ZBR 2006, 412 ff.; a.A. Lind­ner, ZBR 2006,
    402, 410 ff.
    208 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641; BVerfG 29.10.1975
    – 2 BvE 1/75, JZ 1976, 63; BVerfG 25.3.1981 – 2 BvE 1/79, NJW 1981,
    1359; BVerwG 6.2.1975 – II C 68.73, NJW 1975, 1135.
    209 So Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, GG
    Art. 21 Rn. 218 ff. m. w. N. Sie­he fer­ner Men­ger, Ver­w­Arch 67
    (1976), 105, 108 f.; Kortz/Lubig, ZBR 2006, 397, 400; dies., ZBR
    2006, 412, 413.
    210 So bereits Son­der­vo­tum Rupp zu BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73,
    NJW 1975, 1641, 1650: „Was ande­res aber als ein […] recht­li­ches
    Gel­tend­ma­chen der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit ist es, wenn die Ein­stel­lungs­be­hör­de
    die Zuge­hö­rig­keit des Bewer­bers zu einer nicht
    ver­bo­te­nen Par­tei zu sei­nem Nach­teil wer­tet?“; Rudolf, in: Thiel
    (Hrsg.), Wehr­haf­te Demo­kra­tie, 2003, S. 209, 234 ff.; Drei­er, in:
    GS Klein, 1977, S. 86, 82.
    211 A. A. frei­lich das BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641,
    1645: „Es geht nicht dar­um, daß der Beam­te wegen sei­ner Zuge­hö­rig­keit
    zu einer poli­ti­schen Par­tei benach­tei­ligt wird.“
    212 Kortz/Lubig, ZBR 2006, 397, 400; Mau­rer, NJW 1972, 601, 603.
    213 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1645.
    214 Beck­OK GG/Kluth, 44. Ed. 15.8.2020, Art. 21 Rn. 184.
    Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 8 7
    treue des Bewer­bers oder Beam­ten umfas­send zu prü­fen.
    215 Denn es kommt allein auf des­sen Ver­fas­sungs­treue
    an – und nicht auf die der Partei.216 Und aus der
    Ver­fas­sungs­feind­lich­keit des Kol­lek­tivs kann und darf
    nicht auto­ma­tisch auf die feh­len­de Ver­fas­sungs­treue des
    Indi­vi­du­ums geschlos­sen wer­den; es gibt inso­fern kei­nen
    „Kollektivzurechnungsverdacht“217. Ent­spre­chend
    muss der Dienst­herr per­so­nen­be­zo­gen wei­te­re Umstän­de
    dar­le­gen und bewei­sen, wonach dem Indi­vi­du­um
    selbst die Ver­fas­sungs­treue fehlt – und umge­kehrt nicht
    der Beschäf­tig­te den durch sei­ne Par­tei­mit­glied­schaft
    begrün­de­ten Ver­dacht der feh­len­den Ver­fas­sungs­treue
    entkräften.218
    (3) Wis­sen­schafts­frei­heit, Art. 5 Abs. 3 GG
    Zen­tral für unser The­ma ist die Fra­ge, ob und inwie­fern
    die posi­ti­ve Ver­fas­sungs­treue­pflicht für Beam­te an
    Hoch­schu­len mit der Wis­sen­schafts­frei­heit ver­ein­bar ist.
    Weder der per­sön­li­che noch der sach­li­che Schutz­be­reich
    der Wis­sen­schafts­frei­heit ist zwar insti­tu­tio­nell auf
    Uni­ver­si­tä­ten und ande­re Hoch­schu­len beschränkt; viel­mehr
    schützt die Wis­sen­schafts­frei­heit jeden, der wis­sen­schaft­lich
    tätig ist.219 Aber ihr Schutz­be­reich ist an
    Hoch­schu­len typi­scher­wei­se eröff­net – per­sön­lich beson­ders
    für Uni­ver­si­täts­pro­fes­so­ren als „Inha­ber der
    Schlüs­sel­funk­tio­nen des wis­sen­schaft­li­chen Lebens“220,
    nach Ansicht des BVerfG aber auch für
    Fachhochschulprofessoren221.
    Die Treue­pflicht eines ver­be­am­te­ten Wis­sen­schaft­lers
    kon­f­li­giert dann nicht mit der Wis­sen­schafts­frei­heit,
    wenn deren (sach­li­cher) Schutz­be­reich nicht eröff­net ist.
    Nach der oben erwähn­ten Defi­ni­ti­on des BVerfG ist
    Wis­sen­schaft „alles, was nach Inhalt und Form als ernst­haf­ter
    plan­mä­ßi­ger Ver­such zur Ermitt­lung der Wahr­heit
    anzu­se­hen ist.“222
    Ins­be­son­de­re bei poli­ti­schen Äuße­run­gen eines Wis­sen­schaft­lers
    ist daher zu dif­fe­ren­zie­ren, ob die­se (schon
    oder noch) unter den Schutz­be­reich der Wis­sen­schafts­frei­heit
    oder (nur) der Mei­nungs­frei­heit fallen.223 Ein
    ers­tes Indiz ist die äuße­re Form der Äuße­rung – vor allem
    wo und wie die­se getä­tigt wird. Ver­öf­fent­licht etwa
    ein Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor Bei­trä­ge auf sei­nem pri­va­ten
    Social-Media-Account, so spricht dies pri­ma facie dafür,
    dass die­ser (nur) sei­ne per­sön­li­che Mei­nung wie­der­gibt.
    Ande­res ist bei fach­li­chen Stel­lung­nah­men auf der Inter­net­sei­te
    sei­nes Lehr­stuhls anzu­neh­men. Ein wei­te­res Indiz
    dafür, dass die frag­li­che Äuße­rung eines Wis­sen­schaft­lers
    eine wis­sen­schaft­li­che ist, ist, dass die­se sein
    Fach­ge­biet betrifft.224 Äußert sich ein Wis­sen­schaft­ler zu
    (poli­ti­schen) The­men außer­halb sei­nes Fach­ge­bie­tes,
    fehlt es hin­ge­gen regel­mä­ßig an metho­disch-dis­zi­pli­nä­rer
    Argu­men­ta­ti­on und damit an einem kon­sti­tu­ti­ven
    Bei­trag zum wis­sen­schaft­li­chen Diskurs.225 Sol­che öffent­lich
    geäu­ßer­ten Ansich­ten sind kei­ne Wis­sen­schaft, son­dern
    all­ge­mei­ne Mei­nungs­äu­ße­run­gen im poli­ti­schen
    Diskurs.226 Sie unter­fal­len auch nicht der Lehrfreiheit227,
    son­dern nur der Meinungsfreiheit228. Danach ist die
    Wis­sen­schafts­frei­heit in vie­len der öffent­lich dis­ku­tier­ten
    Fäl­len, in denen sich Wis­sen­schaft­ler zu poli­ti­schen
    The­men geäu­ßert haben, über­haupt nicht betrof­fen, son­dern
    nur deren Meinungsfreiheit.229
    Die Wis­sen­schafts­frei­heit ist auch dann nicht ein­schlä­gig,
    wenn der Anspruch von Wis­sen­schaft­lich­keit
    sys­te­ma­tisch ver­fehlt wird230: „Das ist ins­be­son­de­re dann
    der Fall, wenn die Akti­vi­tä­ten des betrof­fe­nen Hoch­schul­leh­rers
    nicht auf Wahr­heits­er­kennt­nis gerich­tet sind, son­dern
    vor­ge­faß­ten Mei­nun­gen oder Ergeb­nis­sen ledig­lich
    den Anschein wis­sen­schaft­li­cher Gewin­nung und Nach­weis­lich­keit
    verleihen“231. Denn dann ist Ziel der Äuße­rung
    nicht der wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­ge­winn, son-
    215 BAG 31.3.1976 – 5 AZR 104/74, NJW 1976, 1708, 1710; Siegel/
    Hart­wig, NVwZ 2017, 590, 597. Eine sol­che Ein­zel­fall­prü­fung sah
    auch der viel kri­ti­sier­te „Radi­ka­len­er­lass“ von 1972 vor. Näher
    dazu: v. Münch, NJW 2001, 728, 729.
    216 Mau­er, NJW 1972, 601, 604. Inso­weit trägt auch der Ein­wand
    von Rupp zu BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1651
    nicht, dass „jeder Dienst­herr — mög­li­cher­wei­se, wie die Pra­xis
    zeigt, auch noch von Land zu Land ver­schie­den — nach sei­nem
    Ermes­sen bis zur Gren­ze der Will­kür in jedem ein­zel­nen Fall inzi­den­ter
    dar­über ent­schei­det, ob eine poli­ti­sche Par­tei nach ihren
    Zie­len dar­auf aus­geht, die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung
    zu beein­träch­ti­gen oder zu besei­ti­gen.“
    217 Rieb­le, RdA 2012, 241, 242.
    218 Für die Mit­glied­schaft in der DKP: BAG 28.9.1989 – 2 AZR
    317/86, NJW 1990, 1196. Für die Mit­glied­schaft in der NPD: BAG
    12.5.2011 – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43.
    219 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176.
    220 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176, 1180.
    221 BVerfG 13.4.2010 – 1 BvR 216/07, NVwZ 2010, 1285.
    222 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176.
    223 Sie­he oben III.1.c). Vgl. auch BVerwG 22.4.1977 – VII C 17/74,
    NJW 1977, 1837.
    224 Gär­ditz, WissR 51 (2018), 5, 31; v. Coelln, WissR 52 (2019), 3, 13.
    Vgl. auch BVerwG 22.4.1977 – VII C 17/74, NJW 1977, 1837: „Nicht
    das Leh­ren wis­sen­schaft­li­cher Theo­rie, son­dern die prak­ti­sche
    poli­ti­sche Betä­ti­gung steht dabei zur Debat­te“. Die­se „prak­ti­sche
    poli­ti­sche Betä­ti­gung fällt nicht unter Art. 5 III GG“.
    225 Gär­ditz, WissR 51 (2018), 5, 31.
    226 Vgl. Gär­ditz, WissR 51 (2018), 5, 31.
    227 Stern/Becker, GG, 3. Aufl. 2019, Art. 5 Rn. 281; Thie­me, Hochschulrecht,
  29. Aufl. 2014, Rn. 119.
    228 v. Coelln, WissR 52 (2019), 3, 6.
    229 Sie­he IV.2.a)bb)[4].
    230 BVerfG 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, NJW 1994, 1781, 1782.
    231 BVerwG 11.12.1996 – 6 C 5/95, NJW 1997, 1996, 1997.
    8 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    dern die Durch­set­zung poli­ti­scher Ziele.232 Deren Motiv
    ist mit­hin nicht das wis­sen­schaft­li­che Stre­ben nach
    Wahr­heit, son­dern die Teil­nah­me am poli­ti­schen
    Meinungskampf.233
    Außer­halb von For­schung und Leh­re steht Art. 5
    Abs. 3 S. 1 GG daher – neben ande­ren beam­ten­recht­li­chen
    Pflich­ten – der posi­ti­ven Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    von Beam­ten an Uni­ver­si­tä­ten und ande­ren Hoch­schu­len
    nicht ent­ge­gen. Denn inso­weit ent­spricht die grund­recht­li­che
    Stel­lung deren der übri­gen Beamten.234 Das
    BVerfG urteil­te daher zutref­fend, dass die Ent­las­sung eines
    Hoch­schul­leh­rers, der hoch­ran­gi­ger Funk­tio­när und
    Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter der NPD war und damit gegen
    sei­ne poli­ti­sche Treue­pflicht ver­sto­ßen hat­te, „nicht in
    Wider­spruch mit der in Art. 5 III 1 GG garan­tier­ten Frei­heit
    der Wis­sen­schaft, For­schung und Leh­re [steht]; denn
    die Wis­sen­schafts­frei­heit, die selbst unter dem aus­drück­li­chen
    Vor­be­halt der Ver­fas­sungs­treue steht (Art. 5 III 2
    GG), ent­bin­det den Hoch­schul­leh­rer nicht von der durch
    Art. 33 V GG von allen Beam­ten gefor­der­ten poli­ti­schen
    Treuepflicht.“235
    Ist der Schutz­be­reich der Wis­sen­schafts­frei­heit aller­dings
    eröff­net, so genießt der Wis­sen­schaft­ler beim Auf­fin­den
    von wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­sen, deren
    Deu­tung und Wei­ter­ga­be umfas­sen­de Freiheit.236 Art. 5
    Abs. 3 S. 1 GG schützt ihn hier auch, wenn er poli­ti­sche
    Über­zeu­gun­gen äußert, sofern die­se mit sei­ner wis­sen­schaft­li­chen
    Aus­sa­ge untrenn­bar ver­bun­den sind.237
    Rich­ti­ger­wei­se ging daher 1988 auch das VG Berlin238
    davon aus, dass ein „Wis­sen­schaft­ler-Inter­view“ vom
    Schutz des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG umfasst ist. Dort gab ein
    ver­be­am­te­ter Fach­hoch­schul­pro­fes­sor, der in Per­so­nal­uni­on
    Pri­vat­do­zent an einer Uni­ver­si­tät war, ein Inter­view
    zu rechts­po­li­tisch umstrit­te­nen Sicher­heits­ge­set­zen.
    Nach­dem sich die­ser Pro­fes­sor im Inter­view dahin­ge­hend
    geäu­ßert hat­te, dass man sich gegen ein „Abdrif­ten
    der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land in den tota­li­tä­ren
    Poli­zei- und Über­wa­chungs­staat not­falls auch mit der
    Knar­re weh­ren“ kön­ne, wur­de gegen ihn ein Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren
    ein­ge­lei­tet. Sei­ne Äuße­rung unter­fiel als wis­sen­schaft­li­che
    dem Schutz­be­reich des Art. 5 Abs. 3 S. 1
    GG, da sich das The­ma des Inter­views auf sei­ne wis­sen­schaft­li­che
    Arbeit bezog, er in sei­ner Funk­ti­on als Wis­sen­schaft­ler
    befragt wur­de und sich als sol­cher geäu­ßert
    hat­te. Dass sei­ne Äuße­run­gen poli­tisch scharf, über­spitzt
    und pro­vo­zie­rend waren, erach­te­te das VG Ber­lin zurecht
    als unschäd­lich: Auch „enga­gier­te“ Wis­sen­schaft
    ist frei.239
    Inner­halb von For­schung und Leh­re kann Art. 33
    Abs. 5 GG als ver­fas­sungs­im­ma­nen­te Schran­ke die Wis­sen­schafts­frei­heit
    ein­schrän­ken, sodass die poli­ti­sche
    Treue­pflicht grund­sätz­lich auch für ver­be­am­te­tes Hoch­schul­per­so­nal
    gilt.240 Frei­lich ist zu unter­schei­den: Im
    Bereich der Lehr­frei­heit modi­fi­ziert Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG
    die all­ge­mei­ne beam­ten­recht­li­che Ver­fas­sungs­treue­pflicht.
    Die Norm geht Art. 33 Abs. 5 GG als lex spe­cia­lis
    vor und kon­kre­ti­siert inso­weit die poli­ti­sche Treue­pflicht.
    241 Ver­bo­ten ist danach (ledig­lich) die Zweck­ent­frem­dung
    der Leh­re (bild­lich gespro­chen: des Hör­saals)
    zum Kampf gegen die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche
    Grundordnung242 – und damit regel­mä­ßig ein Ver­hal­ten,
    das schon nicht unter ihren Schutz­be­reich fällt.243
    Von der Lehr­frei­heit geschützt bleibt aber wis­sen­schaft­li­che
    Kri­tik an der Verfassung.244 Da der Umfang der
    nach Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG geschul­de­ten Treue­pflicht wesent­lich
    hin­ter der all­ge­mei­nen beam­ten­recht­li­chen
    Treue­pflicht zurückbleibt245, pri­vi­le­giert sie Hoch­schul­leh­rer
    gezielt im Funk­ti­ons­be­reich der Leh­re. Beam­ten­recht­li­che
    Sank­tio­nen, die unmit­tel­bar an (ver­meint­lich)
    ver­fas­sungs­feind­li­che Leh­re anknüp­fen, kön­nen erst
    dann ergrif­fen wer­den, wenn die Gren­ze des Art. 5 Abs. 3
    S. 2 GG über­schrit­ten ist.246
    Zudem ver­drängt die Wis­sen­schafts­frei­heit Art. 33
    Abs. 5 GG, soweit spe­zi­fisch wis­sen­schaft­li­che Tätig­kei­ten
    von ver­be­am­te­tem Hoch­schul­per­so­nal betrof­fen
    sind247, ins­be­son­de­re von Hochschullehrern.248 Inhal­te
    wis­sen­schaft­li­cher Tätig­keit kön­nen danach kei­nen Ver­stoß
    gegen die beam­ten­recht­li­che Ver­fas­sungs­treue-
    232 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3 Rn. 72.
    233 Thie­me, Hoch­schul­recht, 3. Aufl. 2014, Rn. 115.
    234 Vgl. Voigt, GS Jel­li­nek, 1955, S. 259, 263.
    235 BVerfG 31.7.1981 – 2 BvR 321/81, NJW 1981, 2683, 2684.
    236 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 427/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176.
    237 Ent­spre­chend zur Wis­sen­schafts­frei­heit: BVerfG 17.7.1984 – 1 BvR
    816/62, NJW 1985, 261 (262). Was für die Kunst­frei­heit gilt, muss
    für die ver­fas­sungs­recht­lich neben­ein­an­der­ge­stell­te Wis­sen­schafts­frei­heit
    gel­ten, vgl. BVerwG 7.12.1966 – V C 47/64, NJW
    1967, 1483, 1486.
    238 VG Ber­lin 16.9.1988 – VG Disz. 12/88, NJW 1989, 1688.
    239 So aus­drück­lich VG Ber­lin 16.9.1988 – VG Disz. 12/88, NJW 1989,
    1688, 1689.
    240 BVerfG 31.7.1981 – 2 BvR 321/81, NJW 1981, 2683, 2684; BVerwG
    25.2.1971 – II C 11/70, NJW 1971, 1229; Maunz/Dürig/Gärditz, 91.
    EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3 Rn. 176.
    241 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3
    Rn. 177, 189.
    242 Sie­he oben III.2.c).
    243 Gär­ditz, WissR 51 (2018), 5, 32.
    244 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3
    Rn. 190 f.; Gär­ditz, WissR 51 (2018), 5, 36.
    245 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3
    Rn. 177, 189; ders., WissR 51 (2018), 5, 36.
    246 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3
    Rn. 177.
    247 Gär­ditz, WissR 51 (2018), 5, 36.
    248 BAG 20.2.1975 – 2 AZR 534/73, DöD 1975, 213; Maunz/Dürig/Gärditz,
  30. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3 Rn. 176.
    Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 8 9
    pflicht begrün­den. Ande­ren­falls könn­ten näm­lich unan­ge­neh­me
    oder uner­wünsch­te wis­sen­schaft­li­che Inhal­te
    durch Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men gezielt „aus­ge­schal­tet“
    wer­den. Freie Wis­sen­schaft lebt aber von „tri­al and error“
    und zahl­lo­se „Lehr­sät­ze, die ges­tern als wis­sen­schaft­lich
    gal­ten, sind heu­te als Irr­tum erwiesen.“249 Das VG
    Ber­lin erkann­te daher schon damals zutref­fend: „Es wäre
    für die Frei­heit der Wis­sen­schaft ver­häng­nis­voll, wenn
    wis­sen­schaft­li­che Über­zeu­gun­gen von Hoch­schul­leh­rern
    in Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren durch die Dis­zi­pli­nar­ge­rich­te vom
    Rich­ter­tisch aus für rich­tig oder falsch erklärt wer­den
    könnten.“250
    Ent­spre­chend unter­lie­gen Hoch­schul­leh­rer bei ihrer
    For­schung kei­ner beam­ten­recht­li­chen Mäßi­gungs­pflicht
    (§ 60 Abs. 2 BBG, § 33 Abs. 2 BeamtStG).251 Auch hier
    erkann­te das VG Ber­lin klar: „Eine gemä­ßig­te Wis­sen­schaft
    könn­te all­zu­leicht in eine mäßi­ge Wis­sen­schaft umschla­gen.
    Es gehört zur Eigen­ge­setz­lich­keit der Wis­sen­schaft,
    die unteil­ba­re Wahr­heit kom­pro­miß­los — ohne
    Rück­sicht auf gesell­schaft­li­che oder poli­ti­sche Akzep­tanz -
    zu erfor­schen und unver­fälscht auszusprechen.“252 Und
    daher war im Fall des VG Ber­lin auch dis­zi­pli­nar­recht­lich
    kein Dienst­ver­ge­hen anzu­neh­men.
    (4) Mei­nungs­frei­heit, Art. 5 Abs. 1 GG
    Poli­ti­sche Mei­nungs­äu­ße­run­gen von Beam­ten sind
    durch die all­ge­mei­ne Mei­nungs­frei­heit nach Art. 5 Abs. 1
    S. 1 GG geschützt. Wie oben dargelegt253, geht das
    BVerfG von einem wei­ten und inhalt­s­of­fe­nen Schutz­be­reich
    der Mei­nungs­frei­heit aus, sodass selbst ver­fas­sungs­feind­li­che
    Mei­nun­gen unter ihn fallen.254 Aller­dings
    kann die Mei­nungs­frei­heit der Beam­ten ver­fas­sungs­recht­lich
    zuläs­sig durch Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men
    beschränkt werden255: Kei­ne Schran­ke der Mei­nungs­frei­heit
    ist nach Wort­laut und Sys­te­ma­tik zwar Art. 5
    Abs. 3 S. 2 GG.256 Aber die Rege­lun­gen des Beam­ten­und
    Dis­zi­pli­nar­rechts (zur Ver­fas­sungs­treue) sind all­ge­mei­ne
    Geset­ze im Sin­ne von Art. 5 Abs. 2 GG, die die
    Mei­nungs­frei­heit ein­schrän­ken können.257 Sie sind wie­der­um
    im Lich­te von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG auszulegen.258
    Zudem müs­sen die Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men im Ein­zel­fall
    ver­hält­nis­mä­ßig sein.
    Immer schon sind poli­ti­sche Äuße­run­gen von Hoch­schul­leh­rern
    Gegen­stand erreg­ter öffent­li­cher Dis­kus­si­on:
    So kom­men­tier­te ein renom­mier­ter Jura­pro­fes­sor an
    der Uni­ver­si­tät Leip­zig, der sich schon zuvor mit der islam­feind­li­chen
    Pegi­da-Bewe­gung soli­da­risch gezeigt
    hat­te, einen Auf­marsch pol­ni­scher Rechts­extre­mer auf
    sei­nem pri­va­ten Twit­ter-Account 2017 mit: „Polen: ‚Ein
    wei­ßes Euro­pa brü­der­li­cher Natio­nen.‘ Für mich ist das
    ein wun­der­ba­res Ziel“259. Am fol­gen­den Tag twit­ter­te er
    erneut pri­vat: „Wir schul­den den Afri­ka­nern und Ara­bern
    nichts. Sie haben ihre Kon­ti­nen­te durch Kor­rup­ti­on,
    Schlen­dri­an, unge­hemm­te Ver­meh­rung und Stam­mesund
    Reli­gi­ons­krie­ge zer­stört und neh­men uns nun weg,
    was wir mit Fleiß auf­ge­baut haben.“
    Wir hal­ten die­se Aus­sa­gen zwar für rechts­extrem
    und ras­sis­tisch, weil hier Men­schen nicht nur bio­lo­gis­tisch
    als „schwarz“ und „weiß“, „Afri­ka­ner“ und „Ara­ber“
    typi­siert und klas­si­fi­ziert wer­den, son­dern weil
    hier­mit vor allem auch eine Über­le­gen­heit der wei­ßen
    (euro­päi­schen) Ras­se insi­nu­iert wird. Auch ist das Bekennt­nis
    zum Eth­no­plu­ra­lis­mus als zen­tra­les (hier:
    „wun­der­ba­res“) Ziel rechts­extre­mis­tisch, weil es – im
    Sin­ne der vom BfV als „gesi­chert rechts­extre­mis­tisch“
    eingestuften260 Iden­ti­tä­ren Bewe­gung – den Erhalt der
    eth­ni­schen „Rein­heit“ pro­pa­giert.
    Den­noch sind die­se Äuße­run­gen grund­recht­lich geschützt:
    Sie sind zwar sicher nicht von der Wis­sen­schafts­frei­heit
    erfasst, da sie nicht nur erkenn­bar pri­vat,
    son­dern vor allem weder wis­sen­schaft­lich fun­diert noch
    fach­kun­dig sind. Es ist mit­hin kei­ne spe­zi­fisch wis­sen­schaft­li­che
    Tätig­keit des Hoch­schul­leh­rers betrof­fen, sodass
    die­ser hier sei­ner – auch außer­dienst­lich gel­ten­den
    – poli­ti­schen Treue­pflicht und Mäßi­gungs­pflicht als Beam­ter
    unter­liegt. Aller­dings sind die frag­li­chen Äuße­run­gen
    von der Mei­nungs­frei­heit geschützt, da nach Ansicht
    des BVerfG auch extre­mis­ti­sche Äuße­run­gen unter
    ihren Schutz­be­reich fallen.261 Die ein­schrän­ken­den Rege­lun­gen
    des Beam­ten- und Dis­zi­pli­nar­rechts recht­fer­ti-
    249 VG Ber­lin 16.9.1988 – VG Disz. 12/88, NJW 1989, 1688.
    250 VG Ber­lin 16.9.1988 – VG Disz. 12/88, NJW 1989, 1688.
    251 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3
    Rn. 179; ders., WissR 51 (2018), 5, 39 f.
    252 VG Ber­lin 16.9.1988 – VG Disz. 12/8, NJW 1989, 1688, 1690.
    253 Sie­he oben III.1.a).
    254 BVerfG 28.11.2011 – 1 BvR 917/09, NJW 2012, 1273.
    255 BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 337/08, NJW 2008, 2568.
    256 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3
    Rn. 189.
    257 BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 337/08, NZA 2008, 962, BVerfG
    22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1647;
    Beck­OK GG/Schemmer, 45. Ed. 15.11.2020, Art. 5 Rn. 136.
    258 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1647.
    259 Vgl. etwa https://www.zeit.de/2017/49/leipziger-jura-professortwitter-
    ras­sis­mus-pro­test (31.1.2021).
    260 Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-rechtsextremismus/
    zah­len-und-fak­ten-rechts­extre­mis­mus/i­den­ti­tae­re­be­we­gung-
    deutsch­land-2019 (31.1.2021); zur Recht­mä­ßig­keit: VG
    Ber­lin 12.11.2020 – 1 K 606.17, Beck­RS 2020, 34341.
    261 BVerfG 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, NJW 2010, 47, 48 f.; dem bei­pflich­tend:
    Maunz/Dürig/Grabenwarter, 92. EL August 2020, GG
    Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 68, 73.
    9 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    gen als all­ge­mei­ne Geset­ze im Sin­ne von Art. 5 Abs. 2 GG
    Ein­grif­fe in die Mei­nungs­frei­heit und gel­ten auch für
    Mei­nungs­äu­ße­run­gen über elek­tro­ni­sche
    Kommunikationsmedien.262
    Es ist jedoch zu berück­sich­ti­gen, dass die hier frag­li­chen
    Äuße­run­gen außer­halb des Diens­tes und erkenn­bar
    pri­vat getä­tigt wur­den und die Mei­nungs­frei­heit des­halb
    wei­ter reicht – der Beam­te ist inso­weit nicht Teil des
    Staa­tes, son­dern Bürger.263 Und die abso­lu­te Abwä­gungs­gren­ze
    der Menschenwürde264 ist hier nicht erreicht,
    da Äuße­run­gen nach der „mei­nungs­freund­li­chen“
    Recht­spre­chung des BVerfG265 unter Berück­sich­ti­gung
    des (poli­ti­schen) Kon­texts und sons­ti­gen Umstän­den
    grund­rechts­scho­nend aus­zu­le­gen sind. Der
    twit­tern­de Jura­pro­fes­sor fühl­te sich denn auch „falsch
    ver­stan­den“; der Ter­mi­nus „wei­ßes Euro­pa“ sei für ihn
    nur „eine ver­ständ­li­che Chif­fre für die durch Chris­ten­tum,
    euro­päi­sche Kul­tur und Tra­di­ti­on und, ja, auch dies, Men­schen
    wei­ßer Haut­far­be gepräg­te euro­päi­sche Iden­ti­tät“.
    266 Sei­ne Äuße­run­gen las­sen sich auch (noch) so
    aus­le­gen: Kul­tur­be­zo­gen und nicht bio­lo­gis­tisch. Damit
    gilt für sie die Ver­mu­tung zuguns­ten der frei­en Rede267.
    Folg­lich sind sei­ne Äuße­run­gen ins­ge­samt von der Mei­nungs­frei­heit
    gedeckt – wovon offen­bar auch das säch­si­sche
    Wis­sen­schafts­mi­nis­te­ri­um aus­ge­gan­gen ist, wel­ches
    von (disziplinar-)rechtlichen Maß­nah­men abge­se­hen
    hat.
    Ein wei­te­rer, schon oben kurz ange­spro­che­ner, aktu­el­ler
    Fall ist die­ser: Ein wis­sen­schaft­lich ange­se­he­ner
    Pro­fes­sor der Volks­wirt­schafts­leh­re an der Gott­fried
    Wil­helm Leib­niz Uni­ver­si­tät Han­no­ver leug­net öffent­lich
    die Gefähr­lich­keit von Covid-19, bezeich­net die
    staat­li­chen Maß­nah­men zur Ein­däm­mung der Coro­na-
    Pan­de­mie als tota­li­tär und ver­gleicht sie mit der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen
    Macht­er­grei­fung („Das hier ist
    1933“).268
    Zwar ist es nicht nur gro­tesk, son­dern dumm und gefähr­lich,
    wenn man vor­über­ge­hen­de und pan­de­mie­be­ding­te
    Restrik­tio­nen in der frei­heit­li­chen BRD mit den
    tota­li­tä­ren Maß­nah­men der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen
    Macht­er­grei­fung gleich­setzt und so das Unrecht der NSDik­ta­tur
    rela­ti­viert. Gleich­wohl sind sol­che Ver­glei­che
    nicht extre­mis­tisch und als Wert­ur­tei­le (und damit als
    Mei­nun­gen und nicht etwa unwah­re Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen)
    von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt. Unab­hän­gig
    davon dürf­te die „Ent­schul­di­gung“ des frag­li­chen Hoch­schul­leh­rers
    nicht zu wider­le­gen sein, er habe „nie­mals
    Par­al­le­len zur natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Dik­ta­tur gezo­gen“,
    son­dern sich auf „Gefah­ren wie in der Spät­pha­se der
    Wei­ma­rer Republik“269 bezo­gen. Somit konn­ten auch
    hier von Senat, Prä­si­di­um und Hoch­schul­rat der Leib­niz
    Uni­ver­si­tät Han­no­ver kei­ne (disziplinar-)rechtlichen
    Maß­nah­men ergrif­fen werden.270
    cc) Völ­ker- und euro­pa­recht­li­che Kon­for­mi­tät
    Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se wer­den zuneh­mend durch
    inter­na­tio­na­les und euro­päi­sches Recht über­la­gert,
    sodass sich die Fra­ge stellt, ob die akti­ve Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    von Beam­ten völ­ker- und euro­pa­rechts­kon­form
    ist. Nicht nach­ge­gan­gen wird der Ver­ein­bar­keit mit
    dem ILO-Über­ein­kom­men Nr. 111 über Dis­kri­mi­nie­rung
    in Beschäf­ti­gung und Beruf.271
    (1) Mei­nungs­frei­heit, Art. 10, 14 EMRK
    Anders als pri­va­te Arbeit­ge­ber ist der Staat unmit­tel­bar
    an die Vor­ga­ben der EMRK gebun­den; die Ange­hö­ri­gen
    des öffent­li­chen Diensts kön­nen sich dar­auf auch per­sön­lich
    berufen.272 Art. 10 Abs. 1 EMRK schützt das
    Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung. Den Begriff der Mei­nung
    legt der EGMR – ähn­lich wie das BVerfG – weit aus
    und schränkt die­sen weder auf­grund des Inhalts der
    Äuße­rung noch auf­grund deren Moda­li­tä­ten ein.273
    Gleich­wohl ver­nein­te der EGMR 1986 in zwei Ent­schei­dun­gen
    einen Ein­griff in Art. 10 Abs. 1 EMRK: In
    sei­ner Gla­sen­app-Ent­schei­dun­g274 mein­te er, dass die
    Ent­las­sung einer Gym­na­si­al­leh­re­rin als Beam­tin auf
    262 Maunz/Dürig/Grabenwarter, 92. EL August 2020, GG Art. 5
    Abs. 1, Abs. 2 Rn. 155.
    263 Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 5 Rn. 98; Beck­OK
    GG/Schemmer, 45. Ed. 15.11.2020, Art. 5 Rn. 142.
    264 Maunz/Dürig/Grabenwarter, 92. EL August 2020, GG Art. 5
    Abs. 1, Abs. 2 Rn. 158.
    265 Stän­di­ge Rspr., BVerfG 24.1.2018 – 1 BvR 2465/13, NJW 2018,
    770, 771; BVerfG 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001;
    BVerfG 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92 u.
    1 BvR 221/92, NJW 1995, 3303.
    266 Zitiert nach https://www.zeit.de/2017/49/leipziger-jura-professortwitter-
    ras­sis­mus-pro­tes­t/ (31.1.2021).
    267 Stän­di­ge Recht­spre­chung seit BVerfG 15.1.1958 – 1 BvR 400/57,
    NJW 1958, 257 – Lüth, vgl. Maunz/Dürig/Grabenwarter, 90. EL
    Febru­ar 2020, GG Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 52.
    268 Vgl. etwa https://www.spiegel.de/start/stefan-homburg-studierende-
    in-han­no­ver-weh­ren-sich-gegen-coro­na-aeus­se­run­gen-a-
    1a536f1b-2182–45d8-ae96-55684c00f844 (31.1.2021); https://www.
    sueddeutsche.de/wirtschaft/professor-homburg-leibniz-universitaet-
    hannover-corona‑1.4917681 (31.1.2021).
    269 https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/professor-homburgleibniz-
    universitaet-hannover-corona‑1.4917681 (31.1.2021).
    270 Vgl. https://www.uni-hannover.de/de/universitaet/aktuelles/
    online-aktu­el­l/­de­tail­s/­news­/­ge­mein­sa­me-stel­lung­nah­me-des­se­na­tes-
    des-prae­si­di­ums-und-des-hoch­schul­ra­tes-der-gott­fried­wil­helm-
    le/ (31.1.2021).
    271 BGBl. II 1962, 97 ff. Aus­führ­lich zu die­ser Fra­ge: Rudolf, in: Thiel
    (Hrsg.), Wehr­haf­te Demo­kra­tie, 2003, S. 209, 239 ff.
    272 EuArbRK/Schubert, 3. Aufl. 2020, EMRK Art. 10 Rn. 4 m. w. N.
    273 Vgl. EuArbRK/Schubert, 3. Aufl. 2020, EMRK Art. 10 Rn. 6.
    274 EGMR 28.8.1986 – 4/1984/76/120 – Gla­sen­app, NJW 1986, 3005.
    Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 9 1
    Pro­be wegen ihrer poli­ti­schen Akti­vi­tä­ten für die DKP
    nicht deren nach Art. 10 Abs. 1 EMRK geschütz­te Mei­nungs­frei­heit
    berüh­re, son­dern ledig­lich den von der
    Kon­ven­ti­on nicht geschütz­ten Zugang zum öffent­li­chen
    Dienst betref­fe. Ent­spre­chend urteil­te der EGMR in sei­ner
    Kosiek-Ent­schei­dun­g275: Dort war ein Fach­hoch­schul­do­zent
    für Mathe­ma­tik trotz acht­jäh­ri­ger Tätig­keit
    für die NPD zunächst zum Beam­ten auf Pro­be ernannt
    wor­den, nach Prü­fung sei­ner Ver­fas­sungs­treue im Zuge
    sei­ner Ernen­nung zum Beam­ten auf Lebens­zeit aber ein
    Jahr spä­ter ent­las­sen wor­den. Auch hier mein­te der
    EGMR, dass die staat­li­che Maß­nah­me nur die (nicht geschütz­te)
    Ein­stel­lung in den öffent­li­chen Dienst betref­fe.
    Die­se for­ma­lis­ti­sche Abgren­zung des EGMR über­zeugt
    nicht, erfolg­ten doch in bei­den Fäl­len beam­ten­recht­li­che
    Repres­sio­nen gera­de wegen der poli­ti­schen Mei­nung der
    Beamten.276
    Zutref­fend anders ent­schied der EGMR 1995 im Fall
    Vogt277: Dort war eine auf Lebens­zeit ver­be­am­te­te Leh­re­rin
    auf­grund ihrer außer­dienst­li­chen Tätig­kei­ten für die
    DKP und ihrer Wei­ge­rung, sich von die­ser zu distan­zie­ren,
    ent­las­sen wor­den. Hier bejah­te der EGMR einen
    Ein­griff in den Schutz­be­reich von Art. 10 Abs. 1 EMRK,
    da es – anders als in den bei­den vor­ge­nann­ten Fäl­len –
    nicht um den Zugang zum öffent­li­chen Dienst gehe.278
    Die Ent­las­sung sei schwer­punkt­mä­ßig wegen der poli­ti­schen
    Mei­nung der Beam­tin erfolgt – daher sei nicht
    (nur) deren Berufs‑, son­dern vor allem deren Mei­nungs­frei­heit
    betrof­fen.
    Ein sol­cher Ein­griff kann aber grund­sätz­lich nach
    Art. 10 Abs. 2 EMRK gerecht­fer­tigt sein. Die beam­ten­recht­li­chen
    Vor­schrif­ten, wel­che die poli­ti­sche Treue­pflicht
    sta­tu­ie­ren sowie die gefes­tig­te Recht­spre­chung
    von BVerfG und BVerwG, stel­len näm­lich eine hin­rei­chend
    gesetz­li­che Grund­la­ge dar.279 Wei­ter erkennt auch
    der EGMR die poli­ti­sche Treue­pflicht von Beam­ten als
    legi­ti­mes Ziel im Sin­ne von Art. 10 Abs. 2 EMRK an.280
    Er begrün­det dies mit den his­to­ri­schen Erfah­run­gen
    Deutsch­lands in der Wei­ma­rer Repu­blik, der NS-Herr­schaf­t281
    und der DDR282. Schließ­lich ist die Maß­nah­me
    (hier: Ent­las­sung) zur Gewähr­leis­tung der Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    in einer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft regel­mä­ßig
    unent­behr­lich – also ver­hält­nis­mä­ßig. Im kon­kre­ten
    Fall hielt der EGMR die Ent­las­sung der Gym­na­si­al­leh­re­rin
    zwar für unver­hält­nis­mä­ßig, weil von ihr als
    Deutsch- und Fran­zö­sisch­leh­re­rin kei­ne gestei­ger­ten Sicher­heits­ri­si­ken
    aus­gin­gen. Not­wen­dig waren viel­mehr
    kon­kre­te Pflicht­ver­let­zun­gen (etwa die poli­ti­sche Indok­tri­na­ti­on
    der Schü­ler) – und die­se lagen nicht vor.283
    Rich­ti­ger­wei­se erach­te­te der EGMR aber die Ent­las­sung
    eines Gym­na­si­al­leh­rers wegen ehren­amt­li­cher und
    haupt­amt­li­cher Akti­vi­tä­ten in der SED gera­de des­halb
    für ver­hält­nis­mä­ßig, weil die­ser einen sei­ner Schü­ler gezielt
    zur Bespit­ze­lung poli­tisch Anders­den­ken­der miss­braucht
    hatte.284
    Auch ein Ein­griff in die nach Art. 11 EMRK geschütz­te
    Ver­ei­ni­gungs­frei­heit ist gerecht­fer­tigt, wenn ein Beam­ter
    wegen sei­ner Par­tei­mit­glied­schaft ent­las­sen wird:
    Hier gel­ten die Erwä­gun­gen zur Mei­nungs­frei­heit ent­spre­chend,
    da Art. 11 Abs. 2 EMRK nahe­zu iden­ti­sche
    Recht­fer­ti­gungs­an­for­de­run­gen wie Art. 10 Abs. 2 EMRK
    konstituiert.285 Schließ­lich ist auch das (vom EGMR nur
    sel­ten geprüfte286) akzes­so­ri­sche Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot
    nach Art. 14 EMRK (i.V.m. Art. 10 oder Art. 11
    EMRK) nicht ver­letzt. Zwar schließt die feh­len­de Ver­let­zung
    der Frei­heits­rech­te nach Art. 10 oder Art. 11 EMRK
    das Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot nach Art. 14 EMRK nicht
    aus.287 Aller­dings ist die Ungleich­be­hand­lung von Extre­mis­ten
    ent­spre­chend gerecht­fer­tigt.
    Die Wis­sen­schafts­frei­heit wird hin­ge­gen von der
    EMRK nicht eigens geschützt; viel­mehr wird sie, die das
    Recht zur wis­sen­schaft­li­chen Publi­ka­ti­on und Leh­re umfasst288,
    von Art. 10 EMRK unge­schrie­ben mit­ge­schützt.
    (2) Poli­ti­sche Anschau­ung, Art. 21 Abs. 1 GRCh
    Der poli­ti­schen Treue­pflicht von Beam­ten steht auch
    Art. 21 Abs. 1 GRCh nicht entgegen.289 Die Norm ver­bie­tet
    nach ihrem Wort­laut zwar Dis­kri­mi­nie­run­gen (neben
    275 EGMR 28.8.1986 – 5/1984/77/121 – Kosiek, NJW 1986, 3007.
    276 Zutref­fend Rudolf, in: Thiel (Hrsg.), Wehr­haf­te Demo­kra­tie, 2003,
    S. 209, 246.
    277 EGMR 26.9.1995 – 7/1994/454/535 – Vogt, NJW 1996, 375.
    278 EGMR 26.9.1995 – 7/1994/454/535 – Vogt, NJW 1996, 375.
    279 EGMR 26.9.1995 – 7/1994/454/535 – Vogt, NJW 1996, 375.
    280 EGMR 26.9.1995 – 7/1994/454/535 – Vogt, NJW 1996, 375; vgl.
    Grabenwarter/Pabel, Euro­päi­sche Menschenrechtskonvention,
  31. Aufl. 2016, § 23 Rn. 31. Auf­grund der Sin­gu­la­ri­tät der Rechts­la­ge
    in Deutsch­land künf­tig zwei­felnd: Lor­se, ZBR 2021, 1, 5.
    281 EGMR 26.9.1995 – 7/1994/454/535 – Vogt, NJW 1996, 375.
    282 EGMR 22.11.2001 – 39799/98 – Volkmer/Deutschland, NJW 2002,
    3087.
    283 EGMR 26.9.1995 – 7/1994/454/535 – Vogt, NJW 1996, 375.
    284 EGMR 22.11.2001 – 39799/98 – Volkmer/Deutschland,
    NJW 2002, 3087.
    285 Ent­spre­chend stell­te der EGMR im Fall Vogt (EGMR 26.9.1995
    – 7/1994/454/535, NJW 1996, 375) fest, dass neben Art. 10 EMRK
    auch Art. 11 EGMR ver­letzt sei. Umge­kehrt recht­fer­tig­te die
    Mit­glied­schaft und vor allem Tätig­kei­ten in der SED (EGMR
    22.11.2001 – 39799/98 – Volkmer/Deutschland, NJW 2002, 3087)
    den Ein­griff in Art. 10 EMRK und damit auch in Art. 11 EMRK.
    286 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Euro­päi­sche Menschenrechtskonvention,
  32. Aufl. 2016, § 26 Rn. 2.
    287 EGMR 20.5.1999 – 25390/94 – Rekvényi/Ungarn, NVwZ 2000,
    421.
    288 EuArbRK/Schubert, 3. Aufl. 2020, EMRK Art. 10 Rn. 13.
    289 Vgl. VGH Mann­heim 13.3.2007 – 4 S 1805/06, NVwZ-RR 2008,
    149, 150.
    9 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    fast allem!) ins­be­son­de­re wegen der poli­ti­schen
    Anschau­ung. Frag­lich ist aber, inwie­fern der Staat als
    Dienst­herr bei der poli­ti­schen Treue­pflicht sei­ner Beam­ten
    dar­an gebun­den ist. Nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Var. 2
    GRCh gilt die Char­ta für die Mit­glieds­staa­ten ‚‚aus­schließ­lich
    bei der Durch­füh­rung des Rechts der Uni­on“.
    Nach der umstrit­te­nen, vom BVerfG scharf kritisierten290
    Åker­berg Frans­son-Ent­schei­dung des EuGH soll es aus­rei­chen,
    dass „eine natio­na­le Rechts­vor­schrift in den Gel­tungs­be­reich
    des Uni­ons­rechts fällt“291. Nach nun­mehr
    gefes­tig­ter Recht­spre­chung des EuGH ist maß­geb­lich, ob
    eine mit­glied­staat­li­che Rege­lung die Durch­füh­rung von
    Uni­ons­recht bezweckt und ob es für die­sen Bereich eine
    uni­ons­recht­li­che Rege­lung gibt, die spe­zi­fisch ist oder
    die­sen beein­flus­sen kann.292 Bei den beam­ten­recht­li­chen
    Vor­schrif­ten zur akti­ven Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    wird kein Uni­ons­recht durch­ge­führt. Die BRD han­delt
    inso­weit nicht funk­tio­nell für die Uni­on, was unter ande­rem
    ein Grund der Bin­dung der Mit­glied­staa­ten an die
    Uni­ons­grund­rech­te ist.293
    Bei Arbeit­neh­mern im öffent­li­chen Dienst ist der
    Anwen­dungs­be­reich nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GRCh
    zwar eröff­net, da das Indi­vi­du­al­ar­beits­recht weit­ge­hend
    durch Richt­li­ni­en uni­ons­recht­lich deter­mi­niert ist.294 Jedoch
    ist frag­lich, ob Art. 21 Abs. 1 GRCh ein eigen­stän­di­ges
    Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot wegen der poli­ti­schen Anschau­ung
    für Arbeits­ver­hält­nis­se begrün­den kann. Dem
    wider­spricht Art. 19 Abs. 1 AEUV, der kei­nen gene­rel­len,
    son­dern ledig­lich einen punk­tu­el­len und dif­fe­ren­zier­ten
    Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz vor­sieht und die poli­ti­sche Anschau­ung
    dabei bewusst aus­nimmt. Die­sen pri­mär­recht­li­chen
    Vor­ga­ben ist auch der Richt­li­ni­en­ge­ber gefolgt,
    der ein wei­te­res auf die „poli­ti­sche Anschau­ung“ bezo­ge­nes
    Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot (im Gegen­satz zur Welt­an­schau­ung)
    für das euro­päi­sche Sekun­där­recht bewusst
    abge­lehnt hat.295
    Will man für den öffent­li­chen Dienst anders ent­schei­den
    und öffent­li­che Arbeit­ge­ber unmit­tel­bar an die
    pri­mär­recht­li­chen Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te des Art. 21
    Abs. 1 GRCh bin­den, so kön­nen die­se jeden­falls nicht
    abso­lut gel­ten; viel­mehr kann die Ungleich­be­hand­lung
    von extre­mis­ti­schen Beam­ten und Arbeit­neh­mern nach
    Art. 52 Abs. 1 GRCh (und damit ent­spre­chend zu unse­ren
    Aus­füh­run­gen zu Art. 10 Abs. 2 EMRK) gerecht­fer­tigt
    sein.
    b) Recht­li­che Kon­se­quen­zen
    Im Fol­gen­den sol­len die recht­li­chen Kon­se­quen­zen auf­ge­zeigt
    wer­den, wenn Beam­te ihre – auch ein­fach­ge­setz­lich
    posi­ti­vier­te – Ver­fas­sungs­treue­pflicht ver­let­zen.
    aa) Zugang
    Die Ver­fas­sungs­treue des Bewer­bers ist zwin­gen­de Vor­aus­set­zung
    für den Zugang zu jedem Beam­ten­ver­hält­nis
    – also auch für Beam­ten­ver­hält­nis­se auf Wider­ruf, Pro­be
    oder Zeit. § 7 Abs. 1 Nr. 2 BBG bestimmt für Bun­des­be­am­te
    und § 7 Abs. 1 Nr. 2 BeamtStG wort­gleich für Lan­des­be­am­te,
    dass in das Beam­ten­ver­hält­nis nur beru­fen
    wer­den darf, „wer die Gewähr dafür bie­tet, jeder­zeit für
    die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung im Sin­ne
    des Grund­ge­set­zes einzutreten“296.
    Dies gilt auch für die Ernen­nung zum Beam­ten an
    Hoch­schu­len – ins­be­son­de­re für die Ver­be­am­tung von
    Pro­fes­so­ren (§ 44 HRG und § 47 Abs. 1 LHG)297, die im
    Regel­fall zu Beam­ten auf Lebens­zeit ernannt wer­den
    (§ 49 Abs. 1 LHG); fer­ner für die Ver­be­am­tung von Juni­or­pro­fes­so­ren
    (§ 51 Abs. 2 S. 1 LHG) und für die von –
    seit 2018 neu geschaffenen298 – Ten­ure-Track-Pro­fes­so­ren
    (§ 51b LHG), die regel­mä­ßig zu Beam­ten auf Zeit ernannt
    wer­den (§ 51 Abs. 7 S. 1 LHG). Posi­ti­ve Ver­fas­sungs­treue
    schul­den schließ­lich die aka­de­mi­schen
    Mit­ar­bei­ter, soweit die­se zum Beam­ten (auf Zeit) ernannt
    wer­den (§ 52 Abs. 1, 4 LHG).
    Die Ein­stel­lungs­be­hör­de muss des­halb bei der Ein­stel­lung
    eines Bewer­bers pro­gnos­tisch ent­schei­den, ob
    die­ser bis zum Ende sei­nes Beam­ten­ver­hält­nis­ses sei­ner
    Pflicht zur Ver­fas­sungs­treue gerecht wer­den wird.299 Ein
    Ver­stoß gegen die ein­fach­ge­setz­li­che Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    führt nicht dazu, dass die Ernen­nung zum Beam­ten
    unwirk­sam ist. Die­se muss zurück­ge­nom­men wer­den,
    wenn bei der Ein­stel­lung arg­lis­tig über die Ver­fas­sungs­treue
    getäuscht wur­de, §§ 14 Abs. 1 Nr. 1 BBG, 12
    Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG300; dies ist etwa der Fall, wenn der
    290 BVerfG 24.3.2013 – 1 BvR 1215/07, NJW 2013, 1499; vgl. fer­ner
    Thym, NVwZ 2013, 889 ff.
    291 EuGH 26.2.2013 – C‑617/10 Rn. 21 – Åker­berg Frans­son.
    292 Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2020, 1022, 1023 m. w. N.
    293 Kai­ner, NZA 2018, 894, 898.
    294 Vgl. Hart­mann, EuZA 2019, 24, 35; Kai­ner, NZA 2018, 894, 899.
    295 Näher dazu Chr. Picker, RdA 2021, 33, 41 f.
    296 Glei­che Anfor­de­run­gen gel­ten für die Beru­fung in das Rich­ter­ver­hält­nis
    (§ 9 Nr. 2 DRiG) und in das Dienst­ver­hält­nis eines
    Berufs­sol­da­ten oder Sol­da­ten auf Zeit (§ 37 Abs. 1 Nr. 2 SG).
    297 Die Nor­men ver­knüp­fen die beson­de­ren mit den all­ge­mei­nen
    dienst­recht­li­chen Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zun­gen des­halb, da § 45
    LHG, der zwar die all­ge­mei­nen gel­ten­den Nor­men für anwend­bar
    erklärt, sich ledig­lich auf bereits ein­ge­stell­te bzw. ernann­te
    Hoch­schul­leh­rer bezieht, Beck­OK Hoch­schulR BW/Frenzel, 18.
    Ed. 1.11.2019, LHG § 47 Rn. 6.
    298 Gesetz zur Wei­ter­ent­wick­lung des Hoch­schul­rechts vom 13.3.2018,
    GBl. vom 29.3.2018, S. 85.
    299 BVerwG 27.11.1980 – 2 C 38/79, NJW 1981, 1368.
    300 Bat­tis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 29.
    Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 9 3
    Bewer­ber die – bei Beam­ten gene­rell zulässige301 – Fra­ge
    nach der Mit­glied­schaft in (einer bestimmten302!) extre­mis­ti­schen
    Par­tei oder Orga­ni­sa­ti­on oder sons­ti­gen Ver­bin­dung
    zu sol­chen vor­sätz­lich wahr­heits­wid­rig
    beant­wor­tet.
    bb) Bestand
    Die poli­ti­sche Treue­pflicht besteht als Dienst­pflicht wäh­rend
    der Dau­er des Beam­ten­ver­hält­nis­ses fort, was § 60
    Abs. 1 S. 3 BBG für Bun­des­be­am­te und § 33 Abs. 1 S. 3
    BeamtStG für Lan­des­be­am­te ein­fach­ge­setz­lich bestimmt.
    Ein Beam­ter, der gegen die poli­ti­sche Treue­pflicht ver­stößt,
    ver­letzt des­halb sei­ne Dienstpflicht303. Das Dienst­ver­ge­hen
    wird nach den Dis­zi­pli­nar­ge­set­zen ver­folgt.
    Die­se Dienst­pflicht trifft auch ver­be­am­te­tes Hoch­schul­per­so­nal,
    wor­auf § 45 Abs. 1 LHG deklaratorisch304 hin­weist.
    (1) Schwa­cher Bestands­schutz: Beam­te auf Wider­ruf
    und Pro­be
    Kaum Bestands­schutz genie­ßen Beam­te auf Wider­ruf:
    Die­se kön­nen jeder­zeit aus sach­li­chem Grund ent­las­sen
    wer­den (§ 37 Abs. 1 S. 1 BBG für Bun­des­be­am­te, § 23
    Abs. 4 S. 1 BeamtStG für Lan­des­be­am­te). Für einen sol­chen
    sach­li­chen Grund bedarf es nicht des kon­kre­ten
    Nach­wei­ses, dass der Beam­te gegen die poli­ti­sche Treue­pflicht
    schuld­haft ver­sto­ßen hat.305 Es genügt viel­mehr
    die berech­tig­te Über­zeu­gung des Dienst­herrn, dass der
    Beam­te nicht die Gewähr dafür bie­tet, jeder­zeit für die
    frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung ein­zu­tre­ten.
    306
    Die­se Über­zeu­gung soll­te vom Dienst­herrn auf­grund
    einer akti­ven Betä­ti­gung des Beam­ten für eine ver­fas­sungs­feind­li­che
    Par­tei gewon­nen wer­den. Ob allein die
    (pas­si­ve) Mit­glied­schaft in einer ver­fas­sungs­feind­li­chen
    Par­tei als (sach­li­cher) Grund aus­reicht, ist frag­lich: Dafür
    spricht, dass der Bestands­schutz beim Beam­ten auf
    Wider­ruf bewusst schwach aus­ge­stal­tet und sei­ne Ent­las­sung
    hier nicht will­kür­lich ist, da sie auf dem begrün­de­ten
    Ver­dacht sei­ner extre­mis­ti­schen Ein­stel­lung und
    dar­aus resul­tie­rend berech­tig­ten Zwei­feln an sei­ner Ver­fas­sungs­treue
    beruht. Dage­gen spricht, dass die Par­tei­mit­glied­schaft
    immer nur ein Indiz ist und den Staat
    nicht davon befreit, die Ver­fas­sungs­treue jedes Beam­ten
    selbst zu prü­fen. Denn es kommt allein auf des­sen Ver­fas­sungs­treue
    an – und nicht auf die der Partei.307
    Nur schwa­chen Bestands­schutz genie­ßen zudem Beam­te
    auf Pro­be. Zu sol­chen kön­nen etwa Pro­fes­so­ren im
    Fall der Erst­be­ru­fung ernannt wer­den (§ 50 Abs. 1 LHG).
    Beam­te auf Pro­be kön­nen (neben den all­ge­mei­nen Ent­las­sungs­tat­be­stän­den)
    vor allem ent­las­sen wer­den, wenn
    sie sich in der Pro­be­zeit (etwa wegen Eig­nung, Befä­hi­gung
    oder fach­li­cher Leis­tung) nicht bewährt haben
    (§ 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BBG für Bun­des­be­am­te, § 23 Abs. 3
    S. 1 Nr. 2 BeamtStG für Landesbeamte).308 Zur erfor­der­li­chen
    Bewäh­rung zählt die Gewähr der Ver­fas­sungs­treue.
    309 Bei der Ent­schei­dung über die Über­nah­me in
    das Beam­ten­ver­hält­nis auf Lebens­zeit muss sich die Bewäh­rungs­be­ur­tei­lung
    des Beam­ten auf Pro­be daher auch
    dar­auf erstre­cken, ob die­ser die Gewähr dafür bie­tet, jeder­zeit
    für die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung
    einzutreten310, was aus­schließ­lich anhand sei­nes
    Ver­hal­tens wäh­rend der lauf­bahn­recht­li­chen Pro­be­zeit
    fest­zu­stel­len ist.311
    Im Rah­men die­ser indi­vi­du­ell vor­zu­neh­men­den Eig­nungs­be­ur­tei­lung
    ist ins­be­son­de­re die Mit­glied­schaft in
    einer ver­fas­sungs­feind­li­chen, aber vom BVerfG (noch)
    nicht ver­bo­te­nen Par­tei ein Indiz dafür, dass es an der erfor­der­li­chen
    Ver­fas­sungs­treue fehlt.312 Nicht bewährt
    haben sich jeden­falls Beam­te auf Pro­be, die sich aktiv für
    eine sol­che Par­tei betä­ti­gen: Ent­las­sen wer­den konn­te
    des­halb ein Fach­hoch­schul­pro­fes­sor, der sich als hoch­ran­gi­ger
    Funk­tio­när und Mit­glied der NPD von die­ser
    „nicht nur nicht distan­ziert, sei­ne Par­tei­mit­glied­schaft
    auch nicht nur als pas­si­ve Zuge­hö­rig­keit auf­ge­faßt“, son­dern
    „sich mit der hier ange­spro­che­nen, recht­lich bedeut­sa­men
    ‚Par­tei­li­nie‘ viel­mehr identifiziert“313 hat­te. Ins­ge­samt
    gilt damit, was das BVerfG bereits 1975 fest­ge­stellt
    hat­te: „Bei Beam­ten auf Pro­be und bei Beam­ten auf Wider­ruf
    recht­fer­tigt ein sol­ches Dienst­ver­ge­hen regel­mä­ßig
    die Ent­las­sung aus dem Amt.“314
    301 VGH Mün­chen 24.11.2005 – 15 BV 03.3017, Beck­RS 2005, 17706.
    302 Rieb­le, RdA 2012, 241.
    303 So aus­drück­lich: BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641,
    1642.
    304 Beck­OK Hoch­schulR BW/Frenzel, 17. Ed. 1.11.2019, LHG
    § 45 Rn. 7.
    305 BVerwG 9.6.1981 – 2 C 48.78, ZBR 1982, 81.
    306 BVerwG 9.6.1981 – 2 C 48.78, ZBR 1982, 81.
    307 Sie­he oben IV.2.a)bb)[2].
    308 Ent­spre­chen­des gilt auch für Rich­ter nach § 22 DRiG.
    309 BVerwG 28.4.1983 – 2 C 89/81, Beck­RS 1983, 2883; Beck­OK Beam­tenR
    Bund/Sauerland, 20. Ed. 1.4.2020, BeamtStG § 23 Rn. 57;
    Schick, NVwZ 1982, 161, 165.
    310 BVerfG 31.7.1981 – 2 BvR 321/81, NJW 1981, 2683.
    311 Beck­OK Beam­tenR Bund/Sauerland, 20. Ed. 1.4.2020, BBG § 34
    Rn. 18 m. w. N.
    312 BVerfG 31.7.1981 – 2 BvR 321/81, NJW 1981, 2683.
    313 BVerfG 31.7.1981 – 2 BvR 321/81, NJW 1981, 2683.
    314 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
    9 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    Unab­hän­gig von der Über­nah­me in das Beam­ten­ver­hält­nis
    auf Lebens­zeit ist die Gewähr der Ver­fas­sungs­treue
    bei Beam­ten auf Pro­be rele­vant, da die­se auch wegen
    eines Dienst­ver­ge­hens ent­las­sen wer­den kön­nen,
    das bei Beam­ten auf Lebens­zeit min­des­tens zur Kür­zung
    der Dienst­be­zü­ge geführt hät­te (§ 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BBG
    i.V.m. § 8 BDG für Bun­des­be­am­te, § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 1
    BeamtStG i.V.m. § 29 LDG für Landesbeamte).315 Es bedarf
    eines schuld­haft began­ge­nen, schwer­wie­gen­den
    Dienst­ver­ge­hens, was wir bei den Lebens­zeit­be­am­ten
    näher erör­tern.
    (2) Star­ker Bestands­schutz: Beam­te auf (Lebens-)Zeit
    Star­ken Bestands­schutz genie­ßen Beam­te auf Lebens­zeit.
    Ins­be­son­de­re Pro­fes­so­ren an Uni­ver­si­tä­ten und Hoch­schu­len
    wer­den im Regel­fall auf Lebens­zeit ernannt.
    Die­sen Schutz haben auch Beam­te auf Zeit (§ 6 Abs. 2
    BBG, § 6 BeamtStG) – bei­spiel­wei­se Juni­or­pro­fes­so­ren,
    Ten­ure-Track-Pro­fes­so­ren und sol­che Pro­fes­so­ren, die
    in Aus­nah­me­fäl­len zu Beam­ten auf Zeit ernannt wur­den
    (§ 50 Abs. 2 LHG).
    Beam­te auf (Lebens-)Zeit kön­nen aus dem Beam­ten­ver­hält­nis
    nur dann ent­fernt wer­den, wenn sie ein
    Dienst­ver­ge­hen began­gen haben, also schuld­haft eine
    kon­kre­te Pflicht ver­letzt haben (§ 77 Abs. 1 S. 1 BBG für
    Bun­des­be­am­te, § 47 Abs. 1 S. 1 BeamtStG für Lan­des­be­am­te).
    Die poli­ti­sche Treue­pflicht ist eine Amts­pflicht
    der Beamten.316 Daher besteht die Pflicht­ver­let­zung
    nicht in der man­geln­den Ver­fas­sungs­ge­währ, son­dern in
    der nach­ge­wie­se­nen schuld­haf­ten Ver­let­zung der Ver­fas­sungs­treue­pflicht.
    317 Nach der Recht­spre­chung des
    BVerfG deckt sich die dis­zi­pli­nar­recht­lich zu ahn­den­de
    Treue­pflicht­ver­let­zung inhalt­lich nicht mit der ver­fas­sungs­recht­li­chen
    Treue­pflicht, da ers­te­re „ein Mini­mum
    an Gewicht und an Evi­denz der Pflichtverletzung“318 vor­aus­setzt;
    die Pflicht­ver­let­zung kann fer­ner nicht nur in
    einem Han­deln, son­dern auch in einem Unter­las­sen lie­gen,
    etwa „wenn der Vor­ge­setz­te oder Dienst­vor­ge­setz­te
    ver­fas­sungs­feind­li­che Umtrie­be inner­halb sei­nes Ver­ant­wor­tungs­be­reichs
    geflis­sent­lich über­sieht und gesche­hen
    läßt“319.
    Dage­gen ist das „blo­ße Haben einer Über­zeu­gung und
    die blo­ße Mit­tei­lung, daß man die­se habe, […] nie­mals
    eine Ver­let­zung der Treue­pflicht“, son­dern erst dann,
    wenn „der Beam­te aus sei­ner poli­ti­schen Über­zeu­gung
    Fol­ge­run­gen für sei­ne Ein­stel­lung gegen­über der ver­fas­sungs­mä­ßi­gen
    Ord­nung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land,
    für die Art der Erfül­lung sei­ner Dienst­pflich­ten, für den
    Umgang mit sei­nen Mit­ar­bei­tern oder für poli­ti­sche Akti­vi­tä­ten
    im Sin­ne sei­ner poli­ti­schen Über­zeu­gung zieht.“320
    Da die poli­ti­sche Treue­pflicht des Beam­ten funk­tio­nal
    die Grund­la­ge des Beam­ten­ver­hält­nis­ses betrifft, ist sie
    nach Ansicht der Recht­spre­chung stets eine inner­dienst­li­che
    Pflicht­ver­let­zung (§ 77 Abs. 1 S. 1 BBG bzw. § 47
    Abs. 1 S. 1 BeamtStG); auf die beson­de­ren Vor­aus­set­zun­gen,
    unter denen ein außer­dienst­li­ches Fehl­ver­hal­ten
    eine Pflicht­ver­let­zung dar­stellt (§ 77 Abs. 1 S. 2 BBG bzw.
    § 47 Abs. 1 S. 2 BeamtStG), kommt es daher nicht an.321
    Soweit die Ver­fas­sungs­treue­pflicht schuld­haft ver­letzt
    wur­de, liegt ein Dienst­ver­ge­hen vor, das nach den
    Dis­zi­pli­nar­ge­set­zen geahn­det wird (§ 77 Abs. 3 BBG
    i.V.m. den Regeln des BDG für Bun­des­be­am­te, § 47
    Abs. 3 BeamtStG i.V.m. den Regeln des LDG für Lan­des­be­am­te).
    Mög­li­che Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men sind nach
    § 5 BDG bzw. § 25 LDG Ver­weis, Geld­bu­ße, Kür­zung der
    Bezü­ge, Zurück­stu­fung und Ent­fer­nung aus dem Beam­ten­ver­hält­nis.
    Die Ent­fer­nung kommt nur bei schwe­ren
    Dienst­ver­ge­hen in Betracht (§ 13 Abs. 2 BDG, § 26 Abs. 2
    LDG).
    Die Recht­spre­chung hat einen Pflicht­ver­stoß bei sol­chen
    Beam­ten ange­nom­men und deren Ent­fer­nung als
    dis­zi­pli­nar­recht­li­che Höchst­maß­nah­me für ver­hält­nis­mä­ßig
    erach­tet, die sich aktiv für eine Orga­ni­sa­ti­on
    (hier: DKP) ein­ge­setzt haben, deren Zie­le mit der frei­heit­li­chen
    demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung des Grund­ge­set­zes
    unver­ein­bar sind, und die­se Pflicht­ver­let­zung
    beharr­lich fort­set­zen wollten.322 Denn hier fehlt es an
    der – für die Fort­set­zung des Beam­ten­ver­hält­nis­ses kon­sti­tu­ti­ven
    – Ver­trau­ens­grund­la­ge, stellt der Beam­te doch
    sei­ne Treue zu einer ver­fas­sungs­feind­li­chen Par­tei beharr­lich
    über die von ihm geschul­de­te Treue zur Ver­fas­sung.
    Das Beam­ten­ver­hält­nis endet dann mit der Ent­fer­nung
    aus dem Dienst als Ergeb­nis des Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens
    (§ 10 Abs. 1 S. 1 BDG bzw. § 31 Abs. 1 LDG). Eine
    pas­si­ve Mit­glied­schaft eines Lebens­zeit­be­am­ten in einer
    ver­fas­sungs­feind­li­chen Par­tei ist zwar ein Indiz für die
    feh­len­de Verfassungstreue323, recht­fer­tigt jedoch für sich
    allein kei­ne Ent­las­sung.
    315 Vgl. Schick, NVwZ 1982, 161, 165.
    316 Gri­go­leit, in: Bat­tis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 77 Rn. 13.
    317 BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 337/08, NZA 2008, 962, 965 f.; BVerfG
    22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
    318 BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 337/08, NZA 2008, 962, 966; BVerfG
    22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1643.
    319 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1643.
    320 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1643.
    321 BVerwG 1.2.1989 – 1 D 2/86 (BDiszG), NJW 1989, 2554; BVerwG
    29.10.1981 – 1 D 50/81 (BDiszG), NJW 1982, 779, 784.
    322 BVerwG 1.2.1989 – 1 D 2/86 (BDiszG), NJW 1989, 2554; BVerwG
    29.10.1981 – 1 D 50/81 (BDiszG), NJW 1982, 779.
    323 Sie­he oben IV.2.a)bb)[2].
    Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 9 5
    Das Beam­ten­ver­hält­nis (aller Beam­ten) endet dar­über
    hin­aus kraft Geset­zes – also ohne Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren
    –, sofern ein Beam­ter sei­ne Beam­ten­rech­te ver­liert
    (§ 41 BBG für Bun­des­be­am­te, § 24 BeamtStG für Lan­des­be­am­te).
    Dies ist neben der kaum rele­van­ten Grund­rechts­ver­wir­kung
    der Fall, wenn ein Beam­ter wegen einer
    vor­sätz­li­chen Tat zu einer Frei­heits­stra­fe von min­des­tens
    einem Jahr oder staats­ge­fähr­den­den Straftaten324
    zu einer Frei­heits­stra­fe von min­des­tens sechs
    Mona­ten straf­recht­lich ver­ur­teilt wird.
    Frü­he­re Beam­te bzw. Ruhe­stands­be­am­te tref­fen zwar
    kei­ne Dienst­pflich­ten mehr. Den­noch wird bei Ruhe­stands­be­am­ten
    oder frü­he­ren Beam­ten mit Ver­sor­gungs­be­zü­gen
    ein Dienst­ver­ge­hen fin­giert („gilt es als
    Dienst­ver­ge­hen“, § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 BBG für Bun­des­be­am­te,
    § 47 Abs. 2 S. 1 BeamtStG, für Lan­des­be­am­te),
    wenn sie sich gegen die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche
    Grund­ord­nung im Sin­ne des Grund­ge­set­zes betä­ti­gen
    oder an Bestre­bun­gen teil­neh­men, die dar­auf abzie­len,
    den Bestand oder die Sicher­heit der Bun­des­re­pu­blik zu
    beein­träch­ti­gen. Nach Ansicht des BVerfG325 sind dafür
    feind­se­li­ge Akti­vi­tä­ten erfor­der­lich; ins­be­son­de­re „Mei­nungs­äu­ße­run­gen
    kön­nen, müs­sen aber nicht in jedem
    Fall den Cha­rak­ter von sol­chen Akti­vi­tä­ten feind­se­li­ger
    Art haben. Solan­ge sie sich dar­in erschöp­fen, im Ver­trau­en
    auf die Über­zeu­gungs­kraft des Argu­ments Kri­tik an bestehen­den
    Zustän­den zu üben oder bestehen­de recht­li­che
    Rege­lun­gen in Geset­zen oder in der Ver­fas­sung in dem dafür
    vor­ge­se­he­nen ver­fas­sungs­recht­li­chen Ver­fah­ren zu ändern,
    erfül­len sie nicht die genann­ten Tat­be­stän­de eines
    Dienst­ver­ge­hens. […] Dage­gen stel­len Agi­ta­tio­nen, die die
    frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung her­ab­set­zen,
    ver­fas­sungs­recht­li­che Wert­ent­schei­dun­gen und Insti­tu­tio­nen
    dif­fa­mie­ren und zum Bruch gel­ten­der Geset­ze auf­for­dern,
    Betä­ti­gun­gen gegen die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche
    Grund­ord­nung dar.“ Das ist ver­fas­sungs­recht­lich gebo­ten:
    Frü­he­re Beam­te bzw. Ruhe­stands­be­am­te sind nicht
    mehr für den Staat „aktiv“ tätig, sodass deren Grund­rech­te
    stär­ker wie­gen. Sank­tio­niert wer­den kann ein
    Dienst­ver­ge­hen bei Ruhe­stands­be­am­ten (nur noch) mit
    der Kür­zung oder voll­stän­di­gen Aberken­nung des Ruhe­ge­halts
    (§ 5 Abs. 2 BDG bzw. § 25 Abs. 2 LDG).
    Bei sons­ti­gen frü­he­ren Beam­ten gibt es die­se Fik­ti­on
    nicht, da die ein­schlä­gi­gen Nor­men die­se nicht nen­nen
    (§ 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 BBG für Bun­des­be­am­te, § 47
    Abs. 2 S. 2 BeamtStG für Lan­des­be­am­te).
    cc) Fazit: Abge­stuf­tes Schutz­ni­veau
    Die ver­fas­sungs­recht­lich gefor­der­te poli­ti­sche Treue­pflicht
    ist ein­fach­ge­setz­lich kon­kre­ti­siert und als sol­che
    zwin­gen­de Vor­aus­set­zung für den Zugang zum Beam­ten­ver­hält­nis
    – auch für Beam­te an Hoch­schu­len. Die
    ein­schlä­gi­gen Rege­lun­gen set­zen hier­für zwin­gend die
    Ver­fas­sungs­treue der Bewer­ber vor­aus, weil für die
    Been­di­gung des Beam­ten­ver­hält­nis­ses regel­mä­ßig hohe
    Hür­den bestehen.326 Das Beam­ten­recht stellt durch die
    hohen Zulas­sungs­an­for­de­run­gen für alle Beam­ten­ver­hält­nis­se
    die Ver­fas­sungs­treue der Bewer­ber sicher und
    beschränkt sich nicht dar­auf, repres­siv die Ver­let­zung
    durch Beam­te dis­zi­pli­na­risch zu ahn­den.
    Unse­re Aus­füh­run­gen zur Been­di­gung des Beam­ten­ver­hält­nis­ses
    nach den ein­schlä­gi­gen Nor­men des Beam­ten­rechts
    blei­ben not­wen­di­ger­wei­se skiz­zen­haft und unvoll­stän­dig.
    Sie zei­gen aber dies: Das Beam­ten­recht ver­folgt
    ein abge­stuf­tes Schutz­kon­zept und trägt auf die­se
    Wei­se ein­fach­ge­setz­lich den Grund­rech­ten und beson­ders
    dem Gebot der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit Rech­nung. Dadurch
    wird auch die Fra­ge um die – von der h. M. abge­lehn­te
    – funk­ti­ons­be­zo­ge­nen Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    für Beam­te rela­ti­viert. Denn der Bestands­schutz der Beam­ten
    wird umso stär­ker, je län­ger das Beam­ten­ver­hält­nis
    besteht und ist von der Art des Beam­ten­ver­hält­nis­ses
    abhän­gig: Stark ist der Bestands­schutz für Beam­te auf
    Lebens­zeit (oder Zeit) aus­ge­stal­tet, die nur auf­grund eines
    kon­kret began­ge­nen Dienst­ver­ge­hens aus dem Beam­ten­ver­hält­nis
    ent­fernt wer­den kön­nen. Schwach ist er
    hin­ge­gen für Beam­te auf Pro­be: Die­se kön­nen ent­las­sen
    wer­den, wenn sie sich man­gels Ver­fas­sungs­treue nicht
    bewährt haben. Kaum Schutz genie­ßen schließ­lich Beam­te
    auf Wider­ruf: Sie kön­nen jeder­zeit ent­las­sen wer­den.
    Als sach­li­cher Grund reicht bereits die Über­zeu­gung
    des Dienst­herrn aus, dass der Beam­te nicht die Gewähr
    der Ver­fas­sungs­treue bietet.
  33. Arbeit­neh­mer
    Das BVerfG bemerk­te in sei­ner Grund­satz­ent­schei­dung
    von 1975 obiter dic­tum, dass auch Arbeit­neh­mer im
    öffent­li­chen Dienst poli­ti­sche Loya­li­tät schul­den: „Auch
    sie dür­fen nicht den Staat, in des­sen Dienst sie ste­hen, und
    sei­ne Ver­fas­sungs­ord­nung angreifen.“327
    324 Aus­führ­lich zu staats­ge­fähr­den­den Straf­ta­ten: Reich BeamtStG,
  34. Aufl. 2018, BeamtStG § 24 Rn. 5 ff.
    325 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1643.
    326 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1643.
    327 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1643.
    9 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    a) H. M.: Funk­ti­ons­theo­rie
    Daher sehen die ein­schlä­gi­gen Tarif­ver­trä­ge eine poli­ti­sche
    Treue­pflicht auch für Arbeit­neh­mer im öffent­li­chen
    Dienst vor: So müs­sen sich nach § 3 Abs. 1 S. 2 TV‑L
    (sowie nach dem mitt­ler­wei­le aufgehobenen328 § 8 Abs. 1
    S. 2 BAT) alle Beschäf­tig­ten im öffent­li­chen Dienst
    „durch ihr gesam­tes Ver­hal­ten zur frei­heit­lich demo­kra­ti­schen
    Grund­ord­nung im Sin­ne des Grund­ge­set­zes beken­nen.“
    Die­se tarif­ver­trag­li­che Pflicht gilt auch für Arbeit­neh­mer
    an staat­li­chen Hoch­schu­len (§ 3 Abs. 1 S. 2 TV‑L
    i.V.m. der Son­der­re­ge­lung Nr. 2 für Beschäf­tig­te an
    Hoch­schu­len und For­schungs­ein­rich­tun­gen); die
    Arbeits­ver­trä­ge neh­men dar­auf Bezug. Funk­tio­nal dif­fe­ren­zie­rend
    bestimmt hin­ge­gen § 41 S. 2 TVöD BT‑V:
    „Beschäf­tig­te des Bun­des und ande­rer Arbeit­ge­ber, in
    deren Auf­ga­ben­be­rei­chen auch hoheit­li­che Tätig­kei­ten
    wahr­ge­nom­men wer­den, müs­sen sich durch ihr gesam­tes
    Ver­hal­ten zur frei­heit­lich demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung
    im Sin­ne des Grund­ge­set­zes beken­nen.“
    Frag­lich sind jedoch Inhalt und Umfang der geschul­de­ten
    Ver­fas­sungs­treue. Nach h. M. gilt die posi­ti­ve Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    von Beam­ten nicht für alle ande­ren
    Ange­hö­ri­gen des öffent­li­chen Diensts. Viel­mehr folgt sie
    der soge­nann­ten Funk­ti­ons­theo­rie des BAG, wel­ches in
    stän­di­ger Rechtsprechung329 das Maß der poli­ti­schen
    Treue­pflicht funk­tio­nal nach Stel­lung und Auf­ga­ben­kreis
    des jewei­li­gen Ange­stell­ten im öffent­li­chen Dienst bestimmt:
    Geschul­det ist „die­je­ni­ge poli­ti­sche Loya­li­tät, die
    für die funk­ti­ons­ge­rech­te Amts­aus­übung unver­zicht­bar
    ist.“330 Die Arbeit­neh­mer an Hoch­schu­len schul­den daher
    funk­ti­ons­be­zo­gen Treue – abhän­gig von ihrer Stel­lung
    und ihren arbeits­ver­trag­li­chen Aufgaben.331
    Die­se poli­ti­sche Treue­pflicht für Arbeit­neh­mer im
    öffent­li­chen Dienst kann nicht mit Art. 33 Abs. 5 GG begrün­det
    wer­den, da die­ser nur für Beam­te gilt. Viel­mehr
    ist die poli­ti­sche Treue­pflicht aus der erfor­der­li­chen
    „Eig­nung“ nach Art. 33 Abs. 2 GG herzuleiten.332 Dies ist
    auch dann ver­fas­sungs­kon­form, wenn das „Höchst­maß“
    an Ver­fas­sungs­treue geschul­det wird: Funk­tio­nal „staats­tra­gen­de“
    Arbeit­neh­mer kön­nen sich zwar auch auf ihre
    Grund­rech­te beru­fen; die­se wer­den aber durch ihre beson­de­re
    Ver­fas­sungs­treue­pflicht begrenzt. Der Exklu­si­on
    extre­mis­ti­scher Arbeit­neh­mer ste­hen weder der spe­zi­el­le
    Gleich­heits­satz nach Art. 3 Abs. 3 GG noch deren
    Frei­heits­rech­te nach Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 21 Abs. 2, 4
    GG noch Art. 10, 11 EMRK333 ent­ge­gen. Die Mit­glied­schaft
    in einer ver­fas­sungs­feind­li­chen Par­tei ist aller­dings
    auch hier nur ein Indiz für feh­len­de Ver­fas­sungs­treue,
    wel­ches für sich allein regel­mä­ßig noch kei­nen
    Eig­nungs­man­gel begrün­den kann.334
    Die im Wege prak­ti­scher Kon­kor­danz bestimm­te
    „Eig­nung“ im Sin­ne von Art. 33 Abs. 2 GG deter­mi­niert
    die Aus­le­gung der genann­ten Tarif­be­stim­mun­gen: Wäh­rend
    § 41 S. 2 TVöD BTV ver­fas­sungs­kon­form inner­halb
    der Arbeit­neh­mer­schaft des öffent­li­chen Diensts dif­fe­ren­ziert
    (soweit „in deren Auf­ga­ben­be­rei­chen auch hoheit­li­che
    Tätig­kei­ten wahr­ge­nom­men wer­den“), ver­langt
    § 3 Abs. 1 S. 2 TV‑L (wie der frü­he­re, wort­laut­iden­ti­sche
    § 8 Abs. 1 S. 2 BAT), dass sich alle Beschäf­tig­ten „durch
    ihr gesam­tes Ver­hal­ten zur frei­heit­lich demo­kra­ti­schen
    Grund­ord­nung im Sin­ne des Grund­ge­set­zes beken­nen“
    müs­sen. Die­ser zu wei­te Wort­laut ist ver­fas­sungs­kon­form
    im Sin­ne der Funk­ti­ons­theo­rie zu reduzieren.335
    b) Beschäf­tig­te mit hoheit­li­chen Auf­ga­ben: Posi­ti­ve Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    Arbeit­neh­mer schul­den somit posi­ti­ve Ver­fas­sungs­treue,
    wenn sie nach ihrer Stel­lung und ihren Auf­ga­ben beamt­en­gleich
    hoheit­lich tätig sind. Zwar besteht zwi­schen
    sol­chen Beschäf­tig­ten und dem Staat kein beson­de­res
    öffent­lich-recht­li­ches Dienst- und Treue­ver­hält­nis, son-
    328 Er wur­de für Ange­stell­te des Bun­des und der Kom­mu­nen zum
    1.10.2005 durch den TVöD ersetzt, für Ange­stell­te der Län­der
    zum 1.11.2006 durch den TV‑L. Er gilt nun­mehr auch nicht mehr
    in Hes­sen, denn dort fin­det seit dem 1.1.2010 der Tarif­ver­trag
    für den Öffent­li­chen Dienst des Lan­des Hes­sen Anwen­dung.
    Ent­spre­chen­des gilt für Ber­lin: Dort wur­de der TV‑L bis Janu­ar
    2011 suk­zes­si­ve ein­ge­führt.
    329 Vgl. nur BAG 12.5.2011 – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43; BAG
    6.9.2012 – 2 AZR 372/11, NZA-RR 2013, 441. Rechts­ver­glei­chend
    stimmt die Funk­ti­ons­theo­rie des BAG mit der über­wie­gen­den
    Ansicht im ver­gleich­ba­ren Aus­land über­ein, vgl. Tomu­schat,
    in: Böckenförde/Tomuschat/Umbach (Hrsg.), Extre­mis­ten und
    öffent­li­cher Dienst, Rechts­la­ge und Pra­xis des Zugangs zum und
    Ent­las­sung aus dem öffent­li­chen Dienst in West­eu­ro­pa, USA,
    Jugo­sla­wi­en und der EG, 1981, S. 647 ff.
    330 BAG 12.5.2011 – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43. Die Funk­ti­ons­theo­rie
    über­trägt das BAG auf das Fra­ge­recht des Arbeit­ge­bers
    im öffent­li­chen Dienst. Fra­gen nach der Ver­fas­sungs­treue eines
    Bewer­bers sind nur zuläs­sig, soweit den Bewer­ber künf­tig eine
    sol­che poli­ti­sche Treue­pflicht funk­tio­nal trifft, vgl. BAG 12.5.2011
    – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43; BAG 5.8.1982 – 2 AZR 3/80 –,
    juris. Vgl. zum Fra­ge­recht des pri­va­ten Arbeit­ge­bers zur poli­ti­schen
    Anschau­ung: Chr. Picker, RdA 2021, 33, 40.
    331 Vgl. BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374.
    332 BVerfG 17.12.1953 – 1 BVR 323/51, NJW 1954, 27; BAG 31.3.1976 – 5
    AZR 104/74, NJW 1976, 1708, 1709.
    333 EGMR 22.11.2001 – 39799/98, NJW 2002, 3087; EGMR 26.9.1993 –
    7/1994/454/535, NJW 1996, 375.
    334 BAG 31.3.1976 – 5 AZR 104/74, NJW 1976, 1708, 1710.
    335 Ent­spre­chend zur Vor­läu­fer­re­ge­lung des § 8 Abs. 1 S. 2 BAT: BAG
    31.3.1976 – 5 AZR 104/74, NJW 1976, 1708, 1709.
    Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 9 7
    dern (nur) ein pri­vat­recht­li­ches Arbeits­ver­hält­nis.
    Gleich­wohl kann die – auf­grund des beam­ten­ver­fas­sungs­recht­li­chen
    Funk­ti­ons­vor­be­halts nach Art. 33
    Abs. 4 GG ohne­hin zwei­fel­haf­te – ‚‚Flucht ins pri­va­te
    Arbeits­recht‘‘ das Maß an geschul­de­ter poli­ti­scher Treue
    nicht herabsetzen.336 Denn das Treue­pflicht­maß
    bestimmt sich gera­de nicht sta­tus­be­zo­gen (als Beam­ter
    oder Arbeit­neh­mer), son­dern funk­ti­ons­be­zo­gen nach
    Stel­lung und Auf­ga­ben.
    Posi­ti­ve Ver­fas­sungs­treue schul­den folg­lich sol­che
    Beschäf­tig­te an Hoch­schu­len, die beam­ten­ad­äquat tätig
    wer­den, also hoheit­lich han­deln und in die­ser Funk­ti­on
    den Staat reprä­sen­tie­ren. Auch bei ihnen ist die Mit­glied­schaft
    in einer Par­tei, die ver­fas­sungs­feind­li­che Zie­le
    ver­folgt, ein Indiz, dass sie die poli­ti­sche Treue­pflicht
    nicht erfül­len können.337 Für pri­vat­recht­lich beschäf­tig­te
    Hoch­schul­leh­rer nor­miert dies § 49 Abs. 2 S. 4 LHG,
    der die beam­ten­recht­li­chen Nor­men zur Ver­fas­sungs­treue
    (§§ 7 Abs. 1 Nr. 2, 33 Abs. 1 S. 3 BeamtStG) für ent­spre­chend
    anwend­bar erklärt.
    Die­ser Gleich­lauf an poli­ti­scher Treue­pflicht muss
    vor allem für alle Hoch­schul­leh­rer gel­ten – unab­hän­gig
    davon, ob die­se Beam­te oder Arbeit­neh­mer sind. Posi­ti­ve
    Ver­fas­sungs­treue schul­den daher auch Juni­or­pro­fes­so­ren,
    wenn die­se nicht zum Beam­ten ernannt wer­den
    (§ 51 Abs. 8 LHG). Hoch­schul­leh­rer üben stän­dig hoheit­li­che
    Befug­nis­se aus338: Ihnen oblie­gen zunächst Prü­fungs­be­fug­nis­se.
    Zu nen­nen sind Hoch­schul­prü­fun­gen,
    etwa Vor- und Zwi­schen­prü­fun­gen, Bache­lor und Mas­ter­ar­bei­ten,
    aber auch Pro­mo­tio­nen und Habi­li­ta­tio­nen.
    Sie ent­schei­den dabei meist über die Prü­fungs­form und
    die Prüfungsaufgaben.339 Dane­ben wir­ken Hoch­schul­leh­rer
    regel­mä­ßig als Prü­fer in Staats­prü­fun­gen (z.B.
    Ers­te juris­ti­sche Prü­fung) mit.340 Die Bewer­tung die­ser
    Prü­fungs­leis­tun­gen durch einen Hoch­schul­leh­rer hat
    Aus­wir­kun­gen auf den Stu­di­en­ver­lauf, den Zugang zur
    Staats­prü­fung oder Berufs­ein­stieg, bei Pro­mo­ti­ons­leis­tun­gen
    nicht zuletzt auf­grund des erlang­ten aka­de­mi­schen
    Titels, des­sen Miss­brauch nach § 132a Abs. 1 Nr. 1
    StGB straf­bar ist. Die­se Befug­nis­se sind vor allem im
    Hin­blick auf grund­recht­lich geschütz­te Aus­bil­dungs­in­ter­es­sen
    der Stu­die­ren­den rele­vant; unab­hän­gig davon,
    ob die­se durch Art. 12 GG341 oder Art. 5 Abs. 3 GG342 geschützt
    sind. Ins­be­son­de­re durch berufs­be­zo­ge­ne Prü­fun­gen
    ist Art. 12 GG in beson­de­rem Maße berührt.343
    Die beamt­en­glei­che hoheit­li­che Tätig­keit lässt sich
    aller­dings nicht nur an Prü­fungs­be­fug­nis­sen fest­ma­chen.
    Viel­mehr ist sie auch mit der Lehr­tä­tig­keit als hoheit­li­cher
    Tätig­keit zu begründen.344 Zumin­dest fak­tisch
    besteht in der BRD für vie­le Berei­che ein Aus­bil­dungs­mo­no­pol
    des Staa­tes. Stu­die­ren­de müs­sen Lehr­ver­an­stal­tun­gen
    von Hoch­schul­leh­rern besu­chen und sind
    die­sen so „aus­ge­lie­fert“. Und die­se bestim­men (kraft ihrer
    Lehr­frei­heit), wel­chen Lehr­stoff sie vor­tra­gen und
    wel­cher prü­fungs­re­le­vant ist.345 Die­se gestal­ten damit
    unmit­tel­bar die Aus­bil­dung der Stu­die­ren­den und damit
    auch deren (beruf­li­che) Zukunft.346 Wegen ihrer Prü­fungs­be­fug­nis
    und Lehr­tä­tig­keit wer­den ange­stell­te
    Hoch­schul­leh­rer beamt­en­gleich hoheit­lich tätig.
    Posi­ti­ve Ver­fas­sungs­treue schul­den fer­ner wis­sen­schaft­li­che
    Mit­ar­bei­ter, wenn und weil die­se hoheit­lich
    tätig werden.347 So nahm das BAG348 1982 an, dass an die
    poli­ti­sche Treue­pflicht eines wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­ters,
    zu des­sen Dienst­auf­ga­ben auch Lehr­tä­tig­kei­ten
    gehör­ten, die glei­chen Anfor­de­run­gen wie an einen Beam­ten
    zu stel­len sind. Das Gericht begrün­de­te dies maß­geb­lich
    mit einem Ver­gleich zu Leh­rern: Stu­die­ren­de sei­en
    zwar nicht in glei­chem Maß poli­tisch beein­fluss­bar
    wie Schü­ler, gleich­wohl sei deren Per­sön­lich­keits­bil­dung
    kei­nes­wegs abge­schlos­sen. Sie nei­gen – so das BAG – „zu
    emo­tio­na­ler, unkon­trol­lier­ter Über­nah­me poli­ti­scher Ver­hal­tens­mus­ter
    und sind in ver­stärk­tem Maße Milieu- und
    Grup­pen­ein­flüs­sen ausgesetzt“349. Die­se Begrün­dung
    über­zeugt: Regel­mä­ßig gehört zu den wis­sen­schaft­li­chen
    Dienst­leis­tun­gen von wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­tern
    auch die selbstständige350 Wahr­neh­mung von Auf­ga­ben
    in der Leh­re (§ 52 Abs. 1 S. 2 LHG).
    Aller­dings gilt hier ent­spre­chend: Die wis­sen­schaft­li­che
    Tätig­keit von ange­stell­ten Beschäf­tig­ten an Hoch­schu­len
    ist durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ver­fas­sungs­recht­lich
    beson­ders geschützt. Die­se ist zwar nicht mit Art. 33
    Abs. 5 GG, dafür aber mit Art. 33 Abs. 2 GG im Wege
    336 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 326.
    337 Vgl. BAG 5.8.1982 – 2 AZR 3/80 –, juris.
    338 Vgl. Epping, ZBR 1997, 383, 386; Thie­me, DÖV 2000, 502, 503;
    Hart­mer, WissR 31 (1998), 152 ff.
    339 Thie­me, DÖV 2000, 502.
    340 Vgl. Thie­me, DÖV 2000, 502.
    341 H. M., vgl. etwa Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020,
    Art. 12 Rn. 109 ff.
    342 So etwa Sachs/Bethge, 8. Aufl. 2018, GG Art. 5 Rn. 208.
    343 Vgl. BVerfG 17.4.1991 – 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83, NJW 1991,
    2005; BVerfG 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84, 1 BvR 138/87, NJW 1991,
    2008.
    344 Thie­me, DÖV 2000, 502, 503. A.A. Hart­mer, WissR 31 (1998), 152,
    161; Fink, DÖV 1999, 980, 982.
    345 Thie­me, DÖV 2000, 502, 503.
    346 Deter­mann, NVwZ 2000, 1346, 1348.
    347 BAG 5.8.1982 – 2 AZR 3/80 –, juris; für wis­sen­schaft­li­che Assis­ten­ten:
    LAG Ber­lin 16.1.1978 – 9 Sa 77/77, AP Nr. 4 zu Art. 33
    Abs. 2 GG.
    348 BAG 5.8.1982 – 2 AZR 3/80 –, juris.
    349 BAG 5.8.1982 – 2 AZR 3/80 –, juris.
    350 Beck­OK Hoch­schulR BW/Frenzel, 18. Ed. 1.11.2019, LHG § 52
    Rn. 13.
    9 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    prak­ti­scher Kon­kor­danz in Aus­gleich zu brin­gen. Unse­res
    Erach­tens müs­sen für Hoch­schul­be­schäf­tig­te mit hoheit­li­chen
    Auf­ga­ben die für Beam­ten gel­ten­den Grund­sät­ze
    erst recht gel­ten; denn sie befin­den sich in kei­nem
    Beam­ten­ver­hält­nis, son­dern nur in einem pri­vat­recht­li­chen
    Arbeits­ver­hält­nis. Soweit Beschäf­tig­te selbst­stän­dig
    als Leh­ren­de tätig wer­den und sich auf die Lehr­frei­heit
    beru­fen kön­nen, muss auch für sie die Pri­vi­le­gie­rung des
    Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG gel­ten. Die Ver­fas­sungs­treu­e­klau­sel
    ist des­halb nicht nur für pri­vat­recht­lich ange­stell­te
    Hoch­schul­leh­rer einschlägig351, son­dern auch für sons­ti­ge
    ange­stell­te Beschäf­tig­te, die eigen­stän­dig leh­ren. Und
    wei­ter muss im Übri­gen eben­so gel­ten: Spe­zi­fisch wis­sen­schaft­li­che
    Tätig­keit kann nie­mals einen Treue­pflicht­ver­stoß
    begrün­den.
    c) Beschäf­tig­te ohne hoheit­li­che Auf­ga­ben: Nega­ti­ve
    Loya­li­täts­pflicht
    Beschäf­tig­te an Hoch­schu­len (etwa stu­den­ti­sche Hilfs­kräf­te)
    ohne hoheit­li­che Auf­ga­ben schul­den hin­ge­gen
    nur ein­fa­che poli­ti­sche Treue352: Sie müs­sen sich nicht
    posi­tiv zur frei­heit­li­chen demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung
    beken­nen, nicht mit die­ser iden­ti­fi­zie­ren und ent­spre­chend
    nicht bereit sein, für die­se jeder­zeit aktiv ein­zu­tre­ten.
    Viel­mehr erfül­len sie ihre ein­fa­che Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    regel­mä­ßig schon dadurch, dass sie
    „die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung nicht aktiv
    bekämpf[en]“ – also weder selbst aktiv ver­fas­sungs­feind­li­che
    Zie­le ver­fol­gen noch dar­auf abzie­len, Ver­fas­sung
    und Staat „zu besei­ti­gen, zu beschimp­fen oder ver­ächt­lich
    zu machen.“353 Die ein­fa­che poli­ti­sche Treue­pflicht lässt
    sich folg­lich auch als nega­ti­ve Treue­pflicht bezeich­nen:
    Geschul­det ist nur das ‚‚Feh­len“ ver­fas­sungs­feind­li­cher
    Betä­ti­gung, dies aller­dings auch außerdienstlich.354
    Die­ser Befund ist so rechts­po­li­tisch über­zeu­gend wie
    ver­fas­sungs­recht­lich gebo­ten: Zwar ist es aus Sicht des
    Staats erstre­bens­wert, dass er ins­ge­samt nur über Beschäf­tig­te
    ver­fügt, die sei­ne Wer­te unein­ge­schränkt tei­len
    und dafür vor­be­halt­los auch aktiv ein­tre­ten. Denn
    dadurch wird sei­ne Funk­ti­ons­fä­hig­keit und Glaub­wür­dig­keit
    nach außen gestärkt – auch an Uni­ver­si­tä­ten und
    Hoch­schu­len. Zudem machen Arbeit­neh­mer mit rund
    60 % der Beschäf­tig­ten im öffent­li­chen Dienst den Groß­teil
    aus.355 Das wür­de jedoch den Grund­rech­ten der Beschäf­tig­ten
    nicht gerecht, denn die­se wür­den so „unnö­tig
    und unver­hält­nis­mä­ßig eingeschränkt.“356 Sol­che Arbeit­neh­mer,
    die gegen­über dem Staat nicht nur in einem pri­vat­recht­li­chen
    Aus­tausch­ver­hält­nis und damit in kei­nem
    öffent­lich-recht­li­chen Dienst- und Treue­ver­hält­nis ste­hen,
    son­dern vor allem auch kei­ne hoheit­li­chen Tätig­kei­ten
    wahr­neh­men, han­deln näm­lich funk­tio­nal weder
    für den Staat noch reprä­sen­tie­ren sie diesen.357 Und die
    von ihnen aus­ge­hen­de Gefahr ist regel­mä­ßig inso­weit
    über­schau­bar, als dass sie – anders als Beam­te oder beamt­en­gleich
    täti­ge Arbeit­neh­mer – man­gels ent­spre­chen­der
    hoheit­li­cher Auf­ga­ben oder Stel­lung kaum Gele­gen­heit
    haben, die Inte­gri­tät des Staa­tes nach­hal­tig zu
    beschä­di­gen.
    d) Kün­di­gungs­recht­li­che Kon­se­quen­zen
    Ver­fü­gen Arbeit­neh­mer nicht über die jeweils erfor­der­li­che
    – posi­ti­ve oder nega­ti­ve – Ver­fas­sungs­treue, kön­nen
    sie ent­las­sen werden358. Der Arbeit­ge­ber kann sol­chen
    Arbeit­neh­mern per­so­nen- oder ver­hal­tens­be­dingt kün­di­gen.
    359 Dabei setzt eine ver­hal­tens­be­ding­te Kün­di­gung
    nach stän­di­ger Recht­spre­chung des BAG eine kon­kre­te
    Beein­träch­ti­gung des Arbeits­ver­hält­nis­ses vor­aus, d.h.
    eine erheb­li­che Stö­rung im Leis­tungs- und Ver­trau­ens­be­reich
    oder inner­halb der Betriebs­ge­mein­schaft, und
    die­se muss dem Arbeit­neh­mer zudem indi­vi­du­ell vor­werf­bar
    sein.360 Eine per­so­nen­be­ding­te Kün­di­gung setzt
    vor­aus, dass der Arbeit­neh­mer die erfor­der­li­che Eig­nung
    oder Fähig­keit nicht (mehr) besitzt, um die
    geschul­de­te Arbeits­leis­tung zu erbringen.361
    Bei­de Kün­di­gungs­grün­de müs­sen von­ein­an­der unter­schie­den
    und abge­grenzt wer­den, wenn ein Arbeit­neh­mer
    wegen (angeb­lich) feh­len­der Ver­fas­sungs­treue
    gekün­digt wird. Regel­mä­ßig han­delt es sich dabei um
    eine ver­hal­tens­be­ding­te Kün­di­gung; denn dem Arbeit­neh­mer
    wird wegen einer – erwie­se­nen und nicht etwa
    351 Maunz/Dürig/Gärditz, 92. EL August 2020, GG Art. 5 Abs. 3
    Rn. 189.
    352 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641; BAG 12.5.2011
    – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43.
    353 BAG 12.5.2011 – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43, 45. Zuvor schon
    BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641; BAG 5.8.1982 –
    2 AZR 1136/79, NJW 1983, 779.
    354 Näher zu Inhalt und Umfang der Pflicht zu „ein­fa­cher“ Ver­fas­sungs­treue
    zwei jün­ge­re Urtei­le des BAG: BAG 12.5.2011 – 2 AZR
    479/09, NZA-RR 2012, 43; BAG 6.9.2012 – 2 AZR 372/11, NZARR
    2013, 441. Ein­ge­hend dazu: Chr. Picker, RdA 2020, 317, 326.
    355 https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/sozialesituation-
    in-deutsch­lan­d/61714/oef­fent­li­cher-dienst (31.1.2021).
    356 BAG 12.5.2011 – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43; BAG 31.3.1976 –
    5 AZR 104/74, NJW 1976, 1708, 1709.
    357 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 326.
    358 So schon BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1644.
    359 BAG 12.5.2011 – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43.
    360 BAG 6.9.2012 – 2 AZR 372/11, NZA-RR 2013, 441; BAG 12.5.2011 –
    2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43 m. w. N.
    361 BAG 21.4.2016 – 2 AZR 609/15, NZA 2016, 941; BAG 10.4.2014 – 2
    AZR 812/12, NZA 2014, 653; ErfK/Oetker, 21. Aufl. 2021, KSchG §
    1 Rn. 98 ff.
    Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 9 9
    nur ver­mu­te­ten – vor­werf­ba­ren Treue­pflicht­ver­let­zung
    gekün­digt, was ein­deu­tig als ver­hal­tens­be­dingt ein­zu­ord­nen
    ist.362 Zu klä­ren ist dann, ob bei einem außer­dienst­li­chen
    Ver­hal­ten eine kon­kre­te Stö­rung im per­so­na­len
    Ver­trau­ens­be­reich vor­lie­gen muss oder ob es aus­rei­chend
    ist, dass eine sol­che nur wahr­schein­lich ist.363
    Eine per­so­nen­be­ding­te Kün­di­gung auf­grund eines Eig­nungs­man­gels
    kommt hin­ge­gen in Betracht, wenn begrün­de­te
    Zwei­fel an der (jeweils erfor­der­li­chen posi­ti­ven
    oder nega­ti­ven!) Ver­fas­sungs­treue des Arbeit­neh­mers
    bestehen.364
    Die­se Abgren­zung ver­an­schau­licht eine neue­re Ent­schei­dung
    des LAG Thüringen365: Der Arbeit­neh­mer
    war als Schicht­lei­ter in der auto­ri­sier­ten Stel­le beim Lan­des­kri­mi­nal­amt
    beschäf­tigt. Im Rah­men pri­va­ter Bei­trä­ge
    in sozia­len Medi­en im Inter­net äußer­te er sich frem­den­feind­lich
    und belei­dig­te ande­re „Dis­kus­si­ons­teil­neh­mer“.
    Des­halb kün­dig­te das Land ihm frist­los. Wegen
    der ras­sis­ti­schen und belei­di­gen­den Äuße­run­gen im Inter­net
    kam eine ver­hal­tens­be­ding­te Kün­di­gung in Betracht,
    da es sich inso­weit um eine vor­werf­ba­re Pflicht­ver­let­zung
    des Arbeit­neh­mers han­delt. Die­se wäre im
    kon­kre­ten Fall aber vom Arbeit­ge­ber abzu­mah­nen gewe­sen.
    Da der Arbeit­neh­mer aber bei einem IT-Dau­er­dienst
    arbei­te­te, der vor allem für alle IT-Sys­te­me der Poli­zei
    tätig war, kam im kon­kre­ten Fall auch eine per­so­nen­be­ding­te
    Kün­di­gung in Fra­ge; die­se aber nicht wegen
    der „Dis­kus­si­ons­bei­trä­ge“ auf Face­book, son­dern wegen
    sei­ner ras­sis­ti­schen Ein­stel­lung, die ihn – ange­sichts der
    Ver­fü­gungs­macht über sicher­heits­po­li­tisch hoch­sen­si­ble
    Daten – als Schicht­lei­ter des IT-Dau­er­diens­tes unge­eig­net
    mach­te.
  35. Annex: Lehr­be­auf­trag­te
    Lehr­be­auf­trag­te ste­hen regel­mä­ßig in einem öffent­lich­recht­li­chen
    Dienst­ver­hält­nis mit dem Land.366 Auch
    wenn pri­vat­recht­li­che Rechts­ver­hält­nis­se geschlos­sen
    wer­den, sind Lehr­be­auf­trag­te nur ganz aus­nahms­wei­se
    Arbeitnehmer.367 Frag­lich ist, wel­che poli­ti­sche Treue
    von die­sen geschul­det ist.
    Der 7. Senat des BVerwG folg­te der Funk­ti­ons­theo­rie
    des BAG für Lehr­be­auf­trag­te an Hoch­schu­len zunächst
    nicht. Denn von Lehr­be­auf­trag­ten sei „das glei­che Maß
    an Ver­fas­sungs­treue“ zu ver­lan­gen, „wie es von einem Beam­ten
    zu for­dern ist.“368 Die Gleich­stel­lung aller Lehr­be­auf­trag­ten
    mit Beam­ten sei mit deren Auf­ga­ben zu begrün­den:
    Die Lehr­tä­tig­keit ent­spre­che der des haupt­amt­li­chen
    Hoch­schul­leh­rers; der Sache nach gehe „es
    beim Lehr­be­auf­trag­ten wie bei dem beam­te­ten Hoch­schul­leh­rer
    um die Wahr­neh­mung öffent­li­cher Aufgaben.“369
    Auf­grund der für einen Lehr­be­auf­trag­ten gefor­der­ten
    Eig­nung nach Art. 33 Abs. 2 GG könn­ten die beam­ten­recht­li­chen
    Vor­schrif­ten zur Ver­fas­sungs­treue auf Lehr­be­auf­trag­te
    ent­spre­chend ange­wandt werden.370
    Im Jahr 1989 schwenk­te der 7. Senat des BVerwG aber
    auf die Linie des BAG ein: Die „für Beam­ten­ver­hält­nis­se
    zwin­gen­de For­de­rung nach Ver­fas­sungs­treue unter­schieds­los
    auf alle Lehr­auf­trags­ver­hält­nis­se“ aus­zu­deh­nen, ver­let­ze
    Art. 33 Abs. 2 GG.371 Hier­auf könn­ten sich Lehr­be­auf­trag­te
    beru­fen, unab­hän­gig davon, ob der Lehr­auf­trag
    lan­des­recht­lich als pri­vat­recht­li­ches oder öffent­lich­recht­li­ches
    Rechts­ver­hält­nis voll­zo­gen wird, da sich die
    Lehr­auf­trä­ge selbst dann in einem öffent­li­chen Amt voll­zie­hen,
    wenn kei­ne hoheit­li­che Auf­ga­ben wahr­ge­nom­men
    werden.372 Über­spannt wür­den die Eig­nungs­vor­aus­set­zun­gen
    nach Art. 33 Abs. 2 GG bei einer Gleich­set­zung
    aller Lehr­be­auf­trag­ten mit den ver­be­am­te­ten
    Hoch­schul­leh­rern aus zwei Grün­den: Ers­tens sei­en Begrün­dung
    und Been­di­gung der Rechts­ver­hält­nis­se nicht
    ver­gleich­bar; Lehr­auf­trä­ge wür­den näm­lich nur semes­ter­wei­se
    erteilt und begrün­de­ten des­halb kei­ne dem Beam­ten­ver­hält­nis
    ver­gleich­ba­ren Bin­dun­gen. Zwei­tens
    sei­en Lehr­auf­trä­ge „zu unter­schied­lich und zu viel­ge­stal­tig,
    als daß sie hin­sicht­lich der poli­ti­schen Eig­nung von
    Lehr­auf­trags­be­wer­bern stets nur dem­je­ni­gen zu über­tra­gen
    wären, der in sei­ner Per­son den gestei­ger­ten Anfor­de­run­gen
    des Beam­ten­rechts entspricht.“373 Im Ergeb­nis las­se
    sich das „abs­tra­hie­ren­de Ver­lan­gen nach beamt­en­glei­cher
    Ver­fas­sungs­treue aller Lehr­be­auf­trag­ten […] nicht
    län­ger mit der Begrün­dung recht­fer­ti­gen, die Insti­tu­ti­on
    362 Näher Chr. Picker, RdA 2020, 317, 327.
    363 Dazu Preis/Stoffels, RdA 1996, 210, 221.
    364 BAG 20.7.1989 – 2 AZR 114/87, NJW 1990, 597.
    365 LAG Thü­rin­gen 14.11.2018 – 6 Sa 204/18, Beck­RS 2018, 44972.
    Die­se wur­de vom BAG bestä­tigt, BAG 27.6.2019 – 2 AZR 28/19,
    NZA 2019, 1343.
    366 So ins­be­son­de­re in Baden-Würt­tem­berg, vgl. § 56 Abs. 2 S. 2 Hs. 1
    LHG. Es han­delt sich dabei zwi­schen­zeit­lich um den Regel­fall,
    Löwisch/Wertheimer, in: Hartmer/Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht,
  36. Aufl. 2017, S. 564.
    367 Etwa wenn Unter­richts­ge­gen­stand und Arbeits­zeit im Ein­zel­nen
    vor­ge­ge­ben wer­den, vgl. BAG 19.11.1997 – 5 AZR 21/97, NZA 1998,
    595.
    367 BVerwG 22.4.1977 – VII C 17.74, NJW 1977, 1837; eben­so unter
    Beru­fung dar­auf OVG Ber­lin 18.9.1980 – 3 B 6.79 –, juris.
    369 BVerwG 22.4.1977 – VII C 17.74, NJW 1977, 1837.
    370 BVerwG 22.4.1977 – VII C 17.74, NJW 1977, 1837.
    371 BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374.
    372 BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374, 1375.
    373 BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374.
    1 0 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    des Lehr­be­auf­trag­ten die­ne im Lehr­be­trieb der Hoch­schu­len
    wesent­lich der Ergän­zung des haupt­amt­lich erteil­ten
    Unter­richts durch den beam­te­ten Hoch­schul­leh­rer, so daß
    sich des­sen gestei­ger­te Ver­fas­sungs­treue­pflicht auch auf
    den Lehr­be­auf­trag­ten erstrecke.“374
    Ins­be­son­de­re das zuletzt genann­te Argu­ment über­zeugt:
    Lehr­auf­trä­ge, die zur Ergän­zung des Lehr­an­ge­bots
    erteilt wer­den (§ 56 Abs. 1 S. 1 LHG), sind im Ein­zel­fall
    sehr unter­schied­lich aus­ge­stal­tet. Sie kön­nen in den
    grund­rechts­sen­si­blen Bereich der Stu­die­ren­den weit hin­ein­rei­chen,
    soweit mit ihnen die Bewer­tung von Prü­fungs­leis­tung
    ein­her­geht – müs­sen dies aber nicht.375
    Lehr­be­auf­trag­te kön­nen nach Auf­ga­ben und Funk­ti­on
    nicht nur auf den wei­te­ren Stu­di­en­ver­lauf oder die
    Staats­prü­fung Ein­fluss neh­men (etwa weil die Bewer­tung
    einer Abschluss­klau­sur zur Been­di­gung des Stu­di­ums
    führt), son­dern auch für den Berufs­ein­stieg. Sie
    neh­men hoheit­li­che Auf­ga­ben aber nicht als stän­di­ge
    Auf­ga­be wahr.376 Nur dann (und nicht gene­rell!) wer­den
    Lehr­be­auf­trag­te adäquat zu Hoch­schul­leh­rern tätig und
    han­deln so funk­tio­nell für den Staat.
    Im Ergeb­nis gilt für Lehr­be­auf­trag­te an Uni­ver­si­tä­ten
    und ande­ren Hoch­schu­len die For­mel des BAG ent­spre­chend:
    Geschul­det ist nur die­je­ni­ge poli­ti­sche Loya­li­tät,
    die für die funk­ti­ons­ge­rech­te Aus­übung des erteil­ten
    Lehr­auf­trags unver­zicht­bar ist.
    V. Zusam­men­fas­sung
  37. Poli­ti­scher Extre­mis­mus bedeu­tet akti­ve Ver­fas­sungs­feind­schaft.
    Als zeit­lo­ses Übel prägt er unse­re Ver­gan­gen­heit
    und bedroht unse­re frei­heit­lich ver­fass­te
    Rechts- und Gesell­schafts­ord­nung der Gegen­wart –
    auch an Hochschulen.
  38. Unser Ver­fas­sungs­staat steckt auf­grund der grund­ge­setz­li­chen
    Ent­schei­dung, frei­heit­lich und wehr­haft zu
    sein, bei der Bekämp­fung des poli­ti­schen Extre­mis­mus
    stets in einem Dilem­ma: Einer­seits muss er die Grund­rech­te
    der Bür­ger umfas­send schüt­zen; ande­rer­seits ist er
    ver­fas­sungs­recht­lich ver­pflich­tet, sei­ne frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche
    Grund­ord­nung zu erhal­ten und zu schüt­zen.
    Die­ser Dua­lis­mus ist dahin­ge­hend auf­zu­lö­sen, dass
    der Staat den Bür­gern mög­lichst umfas­sen­de grund­recht­li­che
    Frei­heit gewährt und sei­ne Grund­wer­te erst
    und auch dann nur rechts­staat­lich ver­tei­digt, wenn die­se
    kon­kret bedroht sind.
  39. Die­ser ver­fas­sungs­im­ma­nen­te Dua­lis­mus deter­mi­niert
    die Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se im öffent­li­chen
    Dienst – und damit auch die an staat­li­chen Hoch­schu­len.
    Grund­rechts­freund­lich ist er hier dahin­ge­hend auf­zu­lö­sen,
    dass der Staat von sei­nen Beschäf­tig­ten zwar
    grund­sätz­lich Ver­fas­sungs­treue ver­lan­gen kann, aber
    nicht von allen in glei­chem Maß.
  40. Zu posi­ti­ver Ver­fas­sungs­treue sind Beam­te an
    Hoch­schu­len ver­pflich­tet – dienst­lich wie außer­dienst­lich
    und unab­hän­gig von ihrer Auf­ga­be und Funk­ti­on.
    Das ist nicht nur ver­fas­sungs­kon­form, son­dern auch völ­ker-
    und euro­pa­recht­lich zuläs­sig. Dem steht ins­be­son­de­re
    die Wis­sen­schafts­frei­heit nicht ent­ge­gen: Regel­mä­ßig
    sind (poli­tisch moti­vier­te) extre­mis­ti­sche Äuße­run­gen
    schon ver­fas­sungs­recht­lich kei­ne Wis­sen­schaft und
    (nur) von der all­ge­mei­nen Mei­nungs­frei­heit nach Art. 5
    Abs. 1 S. 1 GG geschützt.
  41. Inner­halb des Schutz­be­reichs der Wis­sen­schafts­frei­heit
    wird die beam­ten­recht­li­che poli­ti­sche Treue­pflicht
    im Funk­ti­ons­be­reich der Leh­re durch die Ver­fas­sungs­treu­e­klau­sel
    nach Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG über­la­gert.
    Ver­bo­ten ist danach (nur), den Hör­saal zur poli­ti­schen
    Agi­ta­ti­on zu miss­brau­chen. Erst wenn und weil ein Ver­stoß
    gegen Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG vor­liegt, kann dies
    Grund­la­ge beam­ten­recht­li­cher Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men
    sein. Im Übri­gen kann Art. 33 Abs. 5 GG die Wis­sen­schafts­frei­heit
    als ver­fas­sungs­im­ma­nen­te Schran­ke zwar
    begren­zen. Kein Ver­stoß gegen die posi­ti­ve Ver­fas­sungs­treue­pflicht
    (und auch nicht gegen die Mäßi­gungs­pflicht)
    liegt jedoch vor, wenn spe­zi­fisch wis­sen­schaft­li­che
    Tätig­kei­ten betrof­fen sind. So kann etwa ein ver­be­am­te­ter
    Hoch­schul­leh­rer nicht wegen der Inhal­te oder
    Ergeb­nis­se sei­ner For­schung dis­zi­pli­nar­recht­lich ver­folgt
    wer­den.
  42. Dane­ben schul­den auch Arbeit­neh­mer an staat­li­chen
    Hoch­schu­len dem Staat poli­ti­sche Treue jedoch
    nur die­je­ni­ge poli­ti­sche Loya­li­tät, die für die funk­ti­ons­ge­rech­te
    Amts­aus­übung unver­zicht­bar ist. Funk­ti­ons­be­zo­gen
    muss daher dif­fe­ren­ziert wer­den: Wis­sen­schaft­li­ches
    Per­so­nal, das beamt­en­gleich hoheit­lich tätig wird, ins­be-
    374 BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374.
    375 BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374, 1375.
    376 BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374.
    377 BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374.
    378 Vgl. Kim­mi­nich, JZ 1989, 439, 440.
    379 BVerwG 29.8.1975 – VII C 60/72, NJW 1976, 437; BAG 15.4.1982 –
    2 AZR 1111/79, NVwZ 1983, 248.
    Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 1 0 1
    son­de­re ver­gleich­bar zu Hoch­schul­leh­rern, trifft wie die
    Beam­ten die Pflicht zur posi­ti­ven Ver­fas­sungs­treue. Beschäf­tig­te,
    die kei­ne hoheit­li­chen Befug­nis­se und Auf­ga­ben
    aus­üben, trifft hin­ge­gen (nur) die Pflicht zur ein­fa­chen
    poli­ti­schen Treue. Sie genü­gen die­ser nega­tiv bereits
    dadurch, dass sie sich nicht aktiv ver­fas­sungs­feind­lich
    betä­ti­gen.
    Prof. Dr. Chris­ti­an Picker ist Inha­ber des Lehr­stuhls für
    Bür­ger­li­ches Recht, Arbeits­recht und Unter­neh­mens­recht
    an der Uni­ver­si­tät Kon­stanz, Sebas­ti­an Reif ist
    wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter eben­dort.
    1 0 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
    .