Übersicht
I. (Hinter-)Grund
II. Politischer Extremismus: Begriff – Befund – Analyse
- Antipluralismus und Intoleranz als gemeinsame Nenner
- Grundgesetzlich bestimmt: Aktive Verfassungsfeindschaft
- Rechtsstaatlich gebotene Differenzierung: Demokratisch oder extremistisch?
- Zivilgesellschaft: Privatautonomie und antiradikaler Mainstream
- Neu: Rigider Moralismus als Gefahr für Meinungs- wie Wissenschaftsfreiheit
III. Prämisse des Grundgesetzes: Freiheitlicher und wehrhafter Rechtsstaat - Freiheitlich: Umfassender Grundrechtsschutz
a) Schutzbereich der Meinungsfreiheit
b) Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit
c) Abgrenzung der beiden Schutzbereiche - Wehrhaft: Grenzen grundrechtlicher Freiheiten
a) Grundgesetzliche Schutzmechanismen
b) Schranken der Meinungsfreiheit
c) Schranken der Wissenschaftsfreiheit - Fazit: Verfassungsimmanenter Dualismus und gebotene Synthese
IV. Konsequenzen für das Hochschulpersonal - Grundsätzliches
a) Zeithistorischer Überblick
b) Konflikt: Verfassungsschutz versus Grundrechtsschutz
c) Lösung: Funktionale Differenzierung - Beamte
a) Positive Verfassungstreuepflicht
aa) Dogmatische Herleitung
bb) Verfassungskonformität
[1] Politische Anschauung, Art. 3 Abs. 3 GG
[2] Parteienprivileg, Art. 21 Abs. 2, 4 GG
[3] Wissenschaftsfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG
[4] Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 GG
cc) Völker- und europarechtliche Konformität
[1] Meinungsfreiheit, Art. 10, 14 EMRK
[2] Politische Anschauung, Art. 21 Abs. 1 GRCh
b) Rechtliche Konsequenzen
aa) Zugang
bb) Bestand
[1] Schwacher Bestandsschutz: Beamte auf Widerruf und Probe
[2] Starker Bestandsschutz: Beamte auf (Lebens-)Zeit
cc) Fazit: Abgestuftes Schutzniveau - Arbeitnehmer
a) H. M.: Funktionstheorie
b) Beschäftigte mit hoheitlichen Aufgaben: Positive Verfassungstreuepflicht
c) Beschäftigte ohne hoheitliche Aufgaben: Negative Loyalitätspflicht
d) Kündigungsrechtliche Konsequenzen - Annex: Lehrbeauftragte
V. Zusammenfassung
I. (Hinter-)Grund
Hochschulen sind – verfassungsrechtlich legitimiert und prädestiniert – Horte der Wissenschaftsfreiheit. An ihnen soll möglichst frei geforscht, gelehrt und so um die „richtigen“ Argumente und Ideen gerungen werden – idealerweise im Bewusstsein, dass es keine absoluten Wahrheiten gibt. Traditionell sind Universitäten zudem Orte, an denen Lehrende wie Studierende von ihrer (politischen) Meinungsfreiheit Gebrauch machen; wenn und soweit deren Kommunikation hier nicht als wissenschaftliche durch Art. 5 Abs. 3 GG besonders geschützt ist, ist sie es zumindest durch Art. 5 Abs. 1 GG. Denn möglichst viel freie und offene Diskussion und Information sind sowohl für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn als auch für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen „schlechthin konstituierend“1. Die Resolution des Deutschen Hochschulverbands (DHV) zur Debattenkultur an Universitäten muss daher auch für die Meinungsfreiheit gelten: „Universitäten sind Stätten geistiger Auseinandersetzung. […] Wer die Welt der Universitäten betritt, muss akzeptieren, mit Vorstellungen konfrontiert zu werden, die den eigenen zuwiderlaufen.“2
Freilich bestimmt das Grundgesetz auch für diese beiden Grundrechte Grenzen: Wissenschaft und damit Forschung und Lehre sind zwar gem. Art. 5 Abs. 3 GG „frei“ (S. 1), aber die „Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung“ (S. 2); und die „vorbehaltChristian
Picker und Sebastian Reif
Mein Prof ist ein Nazi — Politischer Extremismus und Beschäftigungsverhältnisse an staatlichen Hochschulen
1 BVerfG 15.1.1958 –1 BvR 400/57, NJW 1958, 257, 258 – Lüth.
2 https://www.hochschulverband.de/pressemitteilung.html (31.1.2021).
Ordnung der Wissenschaft 2021, ISSN 2197–9197
7 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
3 Vgl. BVerfG 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, NJW 2010, 47; Maunz/
Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3 Rn. 28.
4 Vgl. dazu etwa Eckert, Was war die Kieler Schule? in: Säcker
(Hrsg.), Recht und Rechtslehre im Nationalsozialismus, 1992,
S. 37 ff.; Erdmann, Wissenschaft im Dritten Reich, 1967, S. 14 ff.
5 RGBl. 1933 I, S. 175.
6 RGBl. 1935 I, S. 23.
7 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, Rn. 546 ff.
8 Dazu nur: Jork/Knoblauch (Hrsg.), Zwischen Humor und Repression
– Studieren in der DDR, 2017, passim;
https://www.deutschlandfunk.de/ddr-studieren-in-einer-diktatur.
1310.de.html?dram:article_id=398152 (31.1.2021).
9 Zum Umgang privater Arbeitgeber mit politisch extrem agitierenden
Arbeitnehmern ausführlich: Chr. Picker, RdA 2021, 33 ff.
10 Vgl. dazu etwa: https://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/
rechte-an-hochschulen-warum-deutschen-unis-das-engagementschwerfaellt-
a‑1224632.html (31.1.2021); https://www.welt.de/
politik/deutschland/article166529076/Die-Hochschulen-habennicht-
den-Mut-durchzugreifen.html (31.1.2021).
los“ gewährte Forschungsfreiheit unterliegt verfassungsimmanenten
Schranken. Weitergehend können (nicht
wissenschaftliche) Meinungsäußerungen nach Art. 5
Abs. 2 GG neben den Gesetzen zum Schutze der Jugend
und dem Recht der persönlichen Ehre durch allgemeine
Gesetze inhaltlich beschränkt werden.
Diese Schranken haben die Mütter und Väter des
Grundgesetzes nicht zuletzt aufgrund ihrer Erfahrungen
mit dem Nationalsozialismus gezogen.3 Auch an den
deutschen Universitäten zeigte sich nämlich zwischen
1933–1945, dass akademische Bildung Lehrende wie Studierende
weder gegen eine rassistische und antisemitische
Ideologie immunisiert noch per se zu „besseren“
Menschen macht und so vor opportunistischem Mitläufertum
schützt. Als Rechtswissenschaftler denken wir
hier etwa an die Protagonisten der sogenannten Kieler
Schule4. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung
wurden jüdische und politisch andersdenkende
Professoren aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung
des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.19335 sowie des
„Gesetzes über die Entpflichtung und Versetzung von
Hochschullehrern aus Anlass des Neuaufbaus des deutschen
Hochschulwesens“ vom 21.1.19356 entlassen. Die
dadurch frei gewordenen Stellen wurden gezielt mit jungen
regimetreuen Rechtswissenschaftlern besetzt – besonders
an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel,
deren juristische Fakultät so zur nationalsozialistischen
„Stoßtruppfakultät“ umfunktioniert wurde. Die neuen
Lehrstuhlinhaber erwiesen sich dann auch als willige
Unterstützer bei der angestrebten nationalsozialistischen
„Rechtserneuerung“.7
Nach 1945 wurden die ostdeutschen Universitäten
und Hochschulen erneut in den Dienst einer politisch extremen
totalitären Ideologie gestellt: Denn auch die DDR
benötigte eine ihr politisch treu ergebene akademische
Elite, um ihre „Diktatur des Proletariats“ zu errichten; entsprechend
wurden Studierende wie Lehrende gezielt ideologisch
selektiert, indoktriniert und diszipliniert; nicht die
intellektuelle Eignung, sondern das Bekenntnis zum „Sozialismus“
(als Chiffre für die SED) entschied über den
universitären Zugang, Verbleib und Erfolg.8
Unser freiheitlicher Rechtsstaat bedroht die Wissenschafts-
und Meinungsfreiheit grundsätzlich nicht
mehr; vielmehr schützt und gewährleistet er sie überhaupt
erst. Mitunter werden Wissenschafts- wie Meinungsfreiheit
an unseren Hochschulen heute jedoch
durch Personen(-gruppen) gefährdet, die politisch extrem
denken, agitieren und handeln. Dazu gehören
auch Hochschulbeschäftigte.
Der Frage, ob und wie der Staat auf solche Beschäftigte
als Dienstherr bzw. Arbeitgeber (re-)agieren kann
und soll, gehen wir in diesem Beitrag nach. Unberücksichtigt
bleiben damit zum einen die privaten Hochschulen,
da hier nicht der Staat Dienstherr bzw. Arbeitgeber
ist.9 Zum anderen müssen wir (weitgehend) das Problem
ausblenden, wie sich Hochschulen gegenüber politisch
extremen Studierenden und deren Vertretungen verhalten
dürfen und sollen10, da hier keine beamten- oder arbeitsrechtlichen
Beschäftigungsverhältnisse bestehen.
Angesprochen ist damit besonders die verfassungsrechtliche
Perspektive: Beamte und Arbeitnehmer im öffentlichen
Dienst sind einerseits Bürger und können sich
als solche gegenüber dem freiheitsverpflichteten Staat
unmittelbar auf ihre (politischen) Grundrechte berufen.
Andererseits sind sie als Beschäftigte „Teil des Staates“
und unterliegen damit besonderen Pflichten. Zu untersuchen
ist daher, ob und inwieweit Beschäftigte an staatlichen
Hochschulen einer politischen Treuepflicht ihrem
Dienstherrn bzw. Arbeitgeber gegenüber unterliegen,
sowie vice versa, ob und inwieweit sich diese auf ihre
Grundrechte berufen und politische Toleranz und Neutralität
vom unmittelbar grundrechtsverpflichteten Staat
einfordern können. Der hier aufgezeigte verfassungsimmanente
Dualismus des öffentlichen Dienstes – grundrechtlicher
Freiheitsschutz versus staatlicher Verfassungsschutz
– wird an staatlichen Hochschulen dadurch
verkompliziert, dass diese sowohl Grundrechtsverpflichtete
als auch Grundrechtsträger sind – und damit eine
Zwitterstellung zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen
staatlicher Freiheitsverpflichtung und privater
Freiheitsberechtigung, einnehmen.
Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 7 1
11 So die Einteilung des BfV, Verfassungsschutzbericht 2019, passim,
https://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2019.pdf
(31.1.2021).
12 Näher Chr. Picker, RdA 2020, 317, 319 ff. m. w. N.
13 Verfassungsschutzbericht 2019, S. 46 ff., 107 ff., 148 ff., 173 ff.,
232 ff.
14 Verfassungsschutzbericht 2019, S. 25, 32.
15 Verfassungsschutzbericht 2019, S. 23 ff.
16 Verfassungsschutzbericht 2019, S. 148 f.
17 Verfassungsschutzbericht 2019, S. 173 ff.
18 Näher Chr. Picker, RdA 2020, 317, 320 f.
19 Verfassungsschutzbericht 2019, S. 53, 116, 180.
20 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 321.
21 https://www.kas.de/documents/252038/253252/7_dokument_
dok_pdf_9000_1.pdf/bbc3b780-9d91-a330-da25-824eb02cf62a
(31.1.2021).
22 Vgl. https://www.boeckler.de/de/interviews-17944-Corona-
Pandemie-Politische-Unzufriedenheit-Verschwoerungsmythen-
28411.htm (31.1.2021).
23 Vgl. Verfassungsschutzbericht 2019, S. 3 f.; 24 ff.
24 Ullrich, JZ 2016, 169, 170 m. w. N.
25 BGBl. I 2012, 1798.
26 BT-Drs. 17/8672, S. 10.
II. Politischer Extremismus: Begriff – Befund – Analyse
Konsens herrscht heute dahingehend, dass der politische
Extremismus die zentrale Bedrohung für unseren freiheitlichen
Rechtsstaat und unsere offene Gesellschaft ist.
Allerdings werden die Gefahren, die von seinen fünf
großen Strömungen11 – Rechtsextremismus, „Reichsbürger“
und „Selbstverwalter“, Linksextremismus, Islamismus
sowie extremistische Bestrebungen von Ausländern
(ohne Islamismus) – ausgehen, politisch sehr unterschiedlich
bewertet.12 - Antipluralismus und Intoleranz als gemeinsame Nenner
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erkennt
hingegen als berufener Hüter unserer Verfassung klar,
dass jede Form des politischen Extremismus den freiheitlichen
Rechtsstaat und die offene Gesellschaft
bedroht.13 Damit entspricht es seinem gesetzlichen
Schutzauftrag nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 BVerfSchG,
Informationen über sämtliche Bestrebungen gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung zu sammeln
und auszuwerten.
Der – in der BRD nach wie vor überwiegend dem
völkischen Denken verhaftete – Rechtsextremismus ist
zwar (im Gegensatz etwa zum Linksextremismus) schon
in seinem ideologischen Kern menschenverachtend;
denn er spricht Menschen allein deshalb Menschenwürde
und (Grund-)Rechte ab, weil diese so sind, wie sie
sind (farbig, jüdisch, behindert), ohne dass sie irgendetwas
„dafür“ noch hieran ändern können. Auch geht derzeit
vom Rechtsextremismus statistisch die größte Gefahr
aus: Rechtsextremisten begingen im Berichtsjahr
2019 mit 781 Fällen nicht nur mehr als doppelt so viele
Körperverletzungsdelikte wie Linksextremisten (355 Fälle)
14, sondern auch alle vollendeten Tötungsdelikte im
Bereich der politisch motivierten Kriminalität15.
Dies ist jedoch kein Grund, die quantitativ wie qualitativ
zunehmende Bedrohung durch Linksextremisten16
und Islamisten17 zu relativieren und zu bagatellisieren.18
Rechtsextremisten (32.080 Personen), Linksextremisten
(33.500 Personen) und Islamisten (28.020 Personen) liegen
momentan nämlich nicht nur zahlenmäßig ungefähr
gleichauf.19 Vielmehr eint den politischen Extremismus
– bei allen grundsätzlichen ideologischen Unterschieden
der einzelnen Strömungen – die menschenfeindliche
Intoleranz.20 Alle extremistischen Ideologien
basieren – frei und oft entgegen von Fakten – auf einem
primitiven Schwarz-Weiß- und kompromisslosen
Freund-Feind-Denken; Sündenböcke sind wahlweise
und pauschal die Juden, die „Asylanten“, die „Kapitalisten“
oder die „Ungläubigen“.21 Gegenwärtig etablieren
bzw. reaktivieren zudem – ideologisch wie politisch sehr
heterogene – pseudoreligiöse „Coronaleugner“ und Verschwörungstheoretiker
mit den internationalen „Eliten“
(vornehmlich als Chiffre für demokratisch legitimierte
Regierungen und Politiker) ein weiteres Feindbild.22 Damit
erhebt jede dieser Ideologien für sich nicht nur einen
– zutiefst wissenschaftsfeindlichen – absoluten Wahrheitsanspruch;
vielmehr wird Gewalt grundsätzlich als
legitimes Mittel erachtet, um die ideologisch „wahren“
Ziele zu erreichen.23 - Grundgesetzlich bestimmt: Aktive Verfassungsfeindschaft
Der Terminus „politischer Extremismus“ ist gesetzlich
nicht definiert.24 Einseitig heißt es in der Begründung
zum Rechtsextremismusdatei-Gesetz (RED‑G)25 nur:
„Rechtsextremismus ist der Oberbegriff für bestimmte verfassungsfeindliche
Bestrebungen, die sich gegen die im
Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der
Menschen richten und die universelle Geltung der Menschenrechte
ablehnen. Rechtsextremisten sind Feinde des
demokratischen Verfassungsstaates“.26 § 4 Abs. 1 S. 1 c)
BVerfSchG verwendet als Synonym für politischen Extremismus
„Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung“; entsprechend rechnet das BfV in
seinen jährlich erscheinenden Verfassungsschutzberich7
2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
27 Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/
publikationen/verfassungsschutzberichte (31.1.2021).
28 BVerfG 23.10.1952 – 1 BvB 1/51, NJW 1952, 1407.
29 BVerfG 23.10.1952 – 1 BvB 1/51, NJW 1952, 1407.
30 Vgl. Maunz/Dürig/Dürig/Klein, 91. EL April 2020, GG Art. 18
Rn. 62.
31 BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, NJW 2017, 611, 619.
32 BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, NJW 2017, 611, 619 f.
33 BVerfG 23.10.1952 – 1 BvB 1/51, NJW 1952, 1407.
34 Die Begriffe freiheitlich demokratische Grundordnung und
verfassungsmäßige Ordnung sind nach allgemeiner Ansicht
inhaltsgleich, vgl. Maunz/Dürig/Dürig/Klein, 91. EL April 2020,
GG Art. 18 Rn. 57.
35 Menger, VerwArch 67 (1976), 105, 106 f.
36 So auch Ullrich, JZ 2016, 169, 172; Murswiek, NVwZ 2006, 121;
Wüstenberg, NVwZ 2008, 1078, 1079.
37 Insofern stimmen politikwissenschaftlicher und juristischer
Begriff überein, vgl. Ullrich, JZ 2016, 169 ff. m. w. N.; Murswiek,
NVwZ 2006, 121; Warg, VerwArch 99 (2008), 570, 571; Wüstenberg,
NVwZ 2008, 1078, 1079.
38 Maunz/Dürig/Dürig/Klein, 91. EL April 2020, GG Art. 18 Rn. 65.
39 BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, NJW 2017, 611.
40 Vgl. Verfassungsschutzbericht 2019, S. 91.
ten Bestrebungen von Personen(-gruppen), die sich
gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung
richten, dem politischen Extremismus zu27.
Das Grundgesetz erwähnt und betont diese „freiheitliche
demokratische Grundordnung“ als fundamentales
verfassungsrechtliches Schutzgut zwar mehrfach (in
Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2, 18 S. 1, 21 Abs. 2, 87a Abs. 4 S. 1
und 91 Abs. 1 GG), definiert sie aber nicht. Das BVerfG
beschreibt sie seit 1952 als „eine Ordnung, die unter Ausschluß
jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine
rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage
der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen
Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt.“
28 Zu diesen grundlegenden Prinzipien zählt das
BVerfG nicht sämtliche Normen und Institutionen des
Grundgesetzes, sondern nur dessen Grundprinzipien
und damit „mindestens […] die Achtung vor den im GG
konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht
der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die
Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit
der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,
die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteiensystem
und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien
mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und
Ausübung einer Opposition“29. Einfachgesetzlich findet
sich eine weitgehend identische Auflistung der verfassungsrechtlichen
Grundwerte in § 4 Abs. 2 BVerfSchG.
Diese heute allgemein anerkannte Definition30 hat das
BVerfG 2017 dahingehend präzisiert, dass die freiheitliche
demokratische Grundordnung nur „wenige, zentrale
Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat
schlechthin unentbehrlich sind“, erfasst; diese ließen
sich nicht durch Rückgriff auf Art. 79 Abs. 3 GG bestimmen.
31 Zu diesen Grundprinzipien zählen die Menschenwürde,
das Demokratieprinzip sowie der Grundsatz der
Rechtsstaatlichkeit.32 Die freiheitliche demokratische
Grundordnung ist danach „das Gegenteil des totalen Staates,
der als ausschließliche Herrschaftsmacht Menschenwürde,
Freiheit und Gleichheit ablehnt.“33
Verfassungsrechtlich ist eine extremistische Einstellung
allein jedoch nicht ausreichend, um Extremist zu
sein. Wie die erwähnten Vorschriften des Grundgesetzes
(Art. 9 Abs. 2: „sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung
[…] richten“34, Art. 18 S. 1: „zum Kampfe gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung“, Art. 21
Abs. 2: „darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische
Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“
und Abs. 3: „darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische
Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu
beseitigen“) und auch § 4 Abs. 1 S. 1 c) BVerfSchG („Bestrebungen
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“)
zeigen, muss sich die extremistische Einstellung
kumulativ in aktiven Handlungen gegen diese
Grundordnung niederschlagen.35 Verfassungsrechtlich
ist damit nur extremistisch, wer die Grundordnung des
Grundgesetzes subjektiv ablehnt und diese aktiv bekämpft.
36 Politischer Extremismus steht folglich für aktive
Verfassungsfeindschaft37. - Rechtsstaatlich gebotene Differenzierung: Demokratisch
oder extremistisch?
Damit ist eine politische Einstellung aus verfassungsrechtlicher
Sicht extremistisch, die die unverzichtbaren
„Kernelemente“38 der freiheitlich demokratischen
Grundordnung – Menschenwürde, Demokratieprinzip
und Rechtsstaatlichkeit – ablehnt. Eindeutig extremistisch
ist es etwa, wenn ein „Führerstaat“ oder eine „Diktatur
des Proletariats“ propagiert und so neben dem
Rechtsstaats- das grundgesetzliche Demokratieprinzip
im Kern negiert wird, welches neben der Volkssouveränität
die Verantwortlichkeit der Regierung, ein Mehrparteiensystem,
die Chancengleichheit der politischen
Parteien sowie das Recht auf Opposition voraussetzt39.
Und sicher rechtsextremistisch ist es, wenn Menschen
anderen Menschen (Grund-)Rechte allein wegen ihrer
biologischen bzw. ethnischen Herkunft gewähren oder
verwehren wollen.40
Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 7 3
41 Vgl. §§ 57 ff., 53 ff., 11, 15 AufenthG, §§ 8 Abs. 1 Nr. 2, 11 S. 1, 12a
StAG.
42 Wüstenberg, NVwZ 2008, 1078, 1082.
43 Wüstenberg, NVwZ 2008, 1078, 1081.
44 So auch Ullrich, JZ 2016, 169, 172.
45 BVerfG 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01, NJW 2005, 2912, 2913 f.;
BVerwG 26.6.2013 – 6 C 4/12, NVwZ 2014, 233; VGH München
22.10.2015 – 10 B 15.1609, BeckRS 2015, 55371; Murswiek,
NVwZ 2006, 121 ff.; ders., NVwZ 2004, 769, 772 ff.; ders., DVBl.
1997, 1021, 1028 ff.; Wüstenberg, NVwZ 2008, 1078, 1082; Gusy,
NVwZ 1986, 6, 7 ff. Zur Eingriffsqualität der Bezeichnung einer
Partei als „Prüffall“: VG Köln 26.2.2019 – 13 L 202/19, NVwZ 2019,
1060.
46 Bickenbach, DVBl. 2017, 149, 153; Enders, JZ 2008, 1092; Volkmann,
JZ 2010, 209, 213; ders., NJW 2010, 417.
47 Vgl. Beisel, NJW 1995, 997, 1000; Huster, NJW 1996, 487; kritisch
insoweit und für Rechtfertigungslösung: Hufen, Staatsrecht II, - Aufl. 2020, § 25 Rn. 8.
48 BVerfG 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, NJW 1994, 1779; BVerfG 9.10.1991
– 1 BvR 1555/88, NJW 1992, 1439, 1440; MüKoStGB/Schäfer, 3.
Aufl. 2017, § 130 Rn. 77.
49 Das BVerfG rechtfertigt § 130 Abs. 4 StGB als „Ausnahme vom
Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze“ damit,
dass die nationalsozialistische Schreckensherrschaft einzigartig sei
und für die BRD „eine gegenbildlich identitätsprägende Bedeutung“
habe, BVerfG 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, NJW 2010, 47.
50 Vgl. Murswiek, NVwZ 2004, 769, 772 ff.
51 Gauck, Toleranz – einfach schwer, 2019, S. 99 ff.
Nicht extremistisch sind hingegen Forderungen nach
der konsequenten Durchsetzung geltenden Rechts; deshalb
ist es etwa nicht rechtsextremistisch, wenn die konsequente
Abschiebung krimineller und vollziehbar ausreisepflichtiger41
Ausländer verlangt wird. Generell können
Ansichten, die zwar dem „Zeitgeist“ und „politischen
Grundkonsens“ widersprechen, sich aber
innerhalb des geltenden Verfassungsrahmens bewegen,
nicht als extremistisch bezeichnet werden.42 Und deshalb
ist aus Sicht des Grundgesetzes etwa der Rechtsextremismus,
bei dem sich völkisches, rassistisches oder nationalistisches
Denken zu einer fundamental verfassungswidrigen,
weil die Menschenwürde verletzenden Ideologie
verdichtet, etwas kategorial Anderes als (Rechts-)Konservatismus,
der im Einklang mit der Verfassung für eine
stärkere Betonung tradierter Werte eintritt oder die
strikte Durchsetzung von „Recht und Ordnung“ propagiert.
43 Selbst die Forderung nach einer Verfassungsänderung
ist nicht notwendig extremistisch, erachtet
Art. 79 GG eine solche unter Beachtung des änderungsfesten
Kerns der Verfassung doch ausdrücklich für zulässig.
44 Vielmehr ist die Grenze zum Extremismus erst
überschritten, wenn eine beabsichtigte Verfassungsänderung
nicht nur die Abänderung, sondern die Abschaffung
solcher zentraler „Grundwerte“ beabsichtigt, die
für die freiheitliche demokratische Grundordnung identitätsprägend
sind.
Die Unterscheidung, ob eine Äußerung nur sehr
links oder rechts oder schon extremistisch ist, kann im
Einzelfall schwierig sein. Angesichts der – rechtlich wie
tatsächlich – gravierenden Nachteile für Individuum wie
Kollektiv, welches öffentlich als „extremistisch“ gebrandmarkt
ist, ist die sorgfältige Differenzierung jedoch
rechtsstaatlich unverzichtbar.
Verfassungsrechtlich droht extremistischen Individuen
die Verwirkung ihrer (politischen) Grundrechte nach
Art. 18 GG sowie extremistischen Parteien nach Art. 21
Abs. 2, 4 GG und Vereinen nach Art. 9 Abs. 2 GG das
Verbot. Weiter bedeutet nicht erst die nachrichtendienstliche
Überwachung, sondern bereits die Erwähnung einer
Person oder Partei als extremistisch in den frei zugänglichen
Verfassungsschutzberichten einen empfindlichen
Grundrechtseingriff; denn dem Individuum oder
dem Kollektiv wird hier öffentlich vorgeworfen, die
Grundprinzipien unserer freiheitlichen Verfassungsordnung
bekämpfen und beseitigen zu wollen.45 Schließlich
sind die Strafverfolgungsbehörden aufgrund eines meinungsspezifischen
Sonderstrafrechts gegen „rechts“46
heute besonders gefordert, verdächtige Äußerungen
sorgfältig auszulegen. Nach § 130 StGB sind nämlich
nicht mehr nur Volksverhetzung (Abs. 1) und Leugnung
des Holocaust (Abs. 3) strafbar; vielmehr ist seit 2005
auch eine die Würde der Opfer verletzende Verherrlichung,
Billigung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft (Abs. 4) unter Strafe gestellt.
Während die Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 StGB als
allgemeines Gesetz Art. 5 Abs. 2 GG genügt und die nach
§ 130 Abs. 3 StGB strafbare „Auschwitzlüge“ nach zwar
nicht unumstrittener47, aber h. M.48 schon nicht vom
Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst wird, da
hier keine Meinung geäußert, sondern eine erwiesenermaßen
unwahre Tatsachenbehauptung aufgestellt wird,
sind nach § 130 Abs. 4 StGB Meinungen allein wegen ihres
Inhalts verboten49. - Zivilgesellschaft: Privatautonomie und antiradikaler
Mainstream
Gravierender noch als die drohenden rechtlichen Konsequenzen
sind für Individuum wie Kollektiv aber mitunter
die gesellschaftlichen Folgen, wenn und weil diese
als Extremisten geächtet werden.50 Wir leben heute
(glücklicherweise!) in einer demokratisch wachen und
historisch sensibilisierten medialen Öffentlichkeit, die
zumindest rechtsextremistische Aktivitäten entschieden
ablehnt.51 Zum moralisch guten Ton gehört im aufgeklärten
Bürgertum die rigorose Intoleranz jedenfalls
7 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
52 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band:
Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, S. 6.
53 Ausführlich dazu Chr. Picker, RdA 2020, 317, 328 f. m. w. N.
54 BVerfG 11.4.2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667.
55 BVerfG 27.8.2019 – 1 BvR 879/12, NJW 2019, 3769; BVerfG
11.4.2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667. Ausführlich dazu
Chr. Picker, RdA 2020, 317, 329 m. w. N.
56 Spezialgesetzlich etwa: §§ 18 ff. iVm § 33 GWB, § 36 Abs. 1 EnWG,
§ 21 Abs. 2 S. 3 LuftVG, § 22 PBefG. Daneben durch allgemeinen
zivilrechtlichen Kontrahierungszwang aus § 826 BGB, dazu
MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 218; BeckOK BGB/
Förster, 55. Ed. 1.11.2020, § 826 Rn. 232 f.; Stadler, BGB AT, 20.
Aufl. 2020, § 3 Rn. 11.
57 VG Meiningen 26.9.2019 – 2 E 1194/19 Me, AfP 2019, 555.
58 LG Rostock 4.4.2012 – 3 O 748/11 (2), 3 O 748/11, AfP 2012, 492
(„Gesinnungsextremistin“); vgl. auch LG Karlsruhe 31.5.2007 –
8 O 279/07, NJW-RR 2008, 63.
59 Näher Wüstenberg, NVwZ 2008, 1078, 1079 f.; vgl. BVerfG
19.9.2012 – 1 BvR 2979/10, NJW 2012, 3712.
60 John Stuart Mill, Über die Freiheit, 1972, S. 12.
61 DER SPIEGEL Nr. 23 vom 24.12.2020, S. 102 ff.
62 Sehr klar: Schlink, Der Preis der Enge, F.A.Z. vom 31.7.2019,
https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-der-gesellschaftliche-
mainstream-die-rechten-staerkt-16311578.html?premium
(31.1.2021); Gauck, Toleranz – einfach schwer, 2019, S. 96 f., 100,
118 f.
63 Pieroth, Bedrohte Meinungsfreiheit?, F.A.Z. vom 23.9.2019, https://
www.faz.net/aktuell/politik/standpunkt-bedrohte-meinungsfreiheit-
16967910.html?premium=0x93040edb956ee1b1f6418ebde
39f4ccf&GEPC=s5 (31.1.2021).
gegenüber rechten Intoleranten: Private sollen daher keine
Geschäftsbeziehungen mit „Rechten“ eingehen oder
unterhalten, sondern diese meiden oder gar boykottieren.
Rechtlich ist das grundsätzlich zulässig: Die Bürger
sind kraft ihrer durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Privatautonomie
berechtigt, den Vertragsschluss mit Personen
aus beliebigen, auch willkürlichen Gründen abzulehnen:
Stat pro ratione voluntas.52
Einfachgesetzlich verbietet § 19 AGG im allgemeinen
Privatrechtsverkehr weder die Benachteiligung wegen
der politischen noch wegen der Weltanschauung.53 Und
sowohl der allgemeine (Art. 3 Abs. 1 GG) als auch die
speziellen (Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG) verfassungsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsätze wirken hier auch nach
Ansicht des BVerfG allenfalls in „spezifischen Konstellationen“
54 und selbst dann nur mittelbar.55 Die Vertragsabschlussfreiheit
wird somit nur in wenigen Ausnahmefällen56
zugunsten eines Kontrahierungszwangs beschränkt.
Selbst die öffentliche Bezeichnung einer Person
als „Faschist“57 oder „Rechtsextremist“58 kann als
Werturteil über die politische Anschauung einer Person
von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt sein, ohne dass die so bezeichnete
Person nach (verfassungs-)rechtlichen Maßstäben
Extremist sein muss.59
Damit ist es Privatleuten grundsätzlich gestattet,
(echte wie vermeintliche) Extremisten im allgemeinen
Privatrechtsverkehr zu diskriminieren. Gleichwohl sind
auch die autonom, weil frei von rechtsstaatlichen (Toleranz-)
Pflichten agierenden Bürger gesellschaftspolitisch
gut beraten, die (verfassungs-)rechtlich gebotene Unterscheidung
zwischen (rechten oder linken) Demokraten
einerseits und politischen Extremisten andererseits zu
treffen und (im Rahmen des geltenden Rechts) intolerant
nur gegenüber echten Extremisten zu sein. Anderenfalls
droht ein illiberaler Mainstream, der Meinungsvielfalt
und ‑offenheit vernichtet und in eine soziale „Tyrannei
des vorherrschenden Meinens und Empfindens“
60 mündet.
Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL ist dazu offenbar
nicht in der Lage; unter der Überschrift „Wut und
Wissenschaft“61 fragte es kürzlich rhetorisch-polemisch:
„Wie rechts sind Deutschlands Wirtschaftsliberale?“ Als
Beleg dafür, dass die Professoren der Ökonomie „ziemlich
weit nach rechts“ abdriften, wurden dann nicht nur
abstruse Verschwörungstheorien eines VWL-Professors
zur Corona-Pandemie angeführt, die dieser erkennbar
fachfremd als private Meinung äußert, sondern auch die
auf eigener Forschung beruhende Kritik namhafter
Wirtschaftswissenschaftler an der Euro-Rettungspolitik
und deren Forderungen nach mehr Marktwirtschaft und
Wettbewerb. Abgesehen davon, dass sich die Äußerungen
eines Coronaleugners keiner politischen Richtung
zu- und daher nicht als „rechts“ einordnen lassen, wurde
hier nicht unterschieden, ob eine Person oder Meinung
rechtsextrem oder nur liberal-konservativ ist, sondern
pauschal als „rechts“ diffamiert. Zudem wird nicht zwischen
Personen unterschieden, die irrational als Fachfremde
private Meinungen äußern und solchen, die rational
als Fachleute Wissenschaft betreiben. - Neu: Rigider Moralismus als Gefahr für Meinungswie
Wissenschaftsfreiheit
Ein rigider Moralismus, der sich undifferenziert gegen
(vermeintlich) „rechte“, unschöne oder politisch unkorrekte
Meinungen wendet, ist inzwischen nicht nur in der
Zivilgesellschaft62, sondern gerade auch an Universitäten
zu beobachten63.
Die Grenzen der Debattenkultur sollen nicht mehr
nur Grundgesetz und einfaches Recht, sondern – weit
vorgelagert – autonome „Werte“ selbsternannter Tugendwächter
bestimmen. Entsprechend sollen nicht
mehr die – im demokratischen Rechtsstaat ausschließlich
hierzu legitimierten und fachlich versierten – staatPicker/
Reif · Mein Prof ist ein Nazi 7 5
64 https://www.hf.uni-koeln.de/data/fist/File/Stellungnahme%20
final.pdf (31.1.2021).
65 Näher dazu: https://www.zeit.de/2020/34/cancel-culture-zensurusa-
meinungsfreiheit-debattenkultur (31.1.2021).
66 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/wende-infrankfurter-
kopftuchkonferenz-raum-fuer-freie-debatte-16179391.
html (31.1.2021); https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/streitum-
kopftuch-konferenz-in-frankfurt-eskaliert-16157556.html
(31.1.2021).
67 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/club-der-vernunftmeinungsfreiheit-
an-der-uni-15410075.html (31.1.2021); vgl. zum
offenen Brief diverser Wissenschaftler gegen das Referat: https://
www.dpolg.de/fileadmin/user_upload/www_dpolg_de/pdf/2017/
Offener_Brief_gegen_Rainer_Wendt.pdf (31.1.2021).
68 https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/studenten-kritisierenherfried-
muenkler-anonym-13611258.html (31.1.2021).
69 https://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/causa-bernd-luckewir-
sind-an-der-grenze-dessen-was-eine-universitaet-leistenkann-
a‑1296433.html (31.1.2021).
70 https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/hoersaal/
hochschullehrer-beklagen-meinungsklima-an-universitaeten-
16628855.html (31.1.2021).
lichen Gerichte, sondern politische Aktivisten verbindlich
darüber befinden, ob und welche Meinungen ausgrenzend,
rassistisch, homophob oder islamophob sind.
Jüngstes Beispiel dafür ist die „Stellungnahme der Forschungsstelle
für Interkulturelle Studien“ der Universität
zu Köln vom August 202064: Auf dem Index der „menschenverachtenden
und ‑feindlichen Äußerungen“ stehen
dort Aussagen wie „Der Islam gehört nicht zu
Deutschland“ oder „Das Kopftuch ist ein Zeichen für
Unterdrückung“. Zwar halten wir diese Aussagen allein
schon aufgrund ihrer fehlenden Differenziertheit für unzutreffend.
Aber solche Äußerungen dürfen nicht im
Rahmen einer selbstanmaßenden „kritischen Rassismus-
und Diskriminierungsforschung“ als unsagbar verdammt
werden, weil sie (abhängig vom konkreten Kontext)
entweder von der Meinungs- oder von der Wissenschaftsfreiheit
geschützt und damit verfassungsrechtlich
jedenfalls sagbar sind.
Andersdenkende, die gegen die Denk- und Sprechverbote
dieser selbsternannten und demokratisch illegitimen
Moralapostel verstoßen, werden öffentlich als
„menschenfeindlich“ und bestenfalls als „umstritten“ geächtet
und sollen vom universitären und öffentlichen
Diskurs ausgeschlossen werden. Für diese zwangsweise
Exklusion hat sich neudeutsch der Terminus „Cancel
Culture“65 etabliert: Die störende, weil von der eigenen
Meinung abweichende Meinung will man nicht nur entschieden
ablehnen und ihr widersprechen (was nicht
nur verfassungskonform, sondern gesellschaftlich wie
wissenschaftlich gerade erwünscht wäre!), sondern „canceln“,
also auslöschen.
So wurden an deutschen Hochschulen in den vergangenen
Jahren mehrfach renommierte und politisch „unverdächtige“
Wissenschaftler massiv in ihrer Wissenschaftsfreiheit
beeinträchtigt: Erwähnt sei hier nur die
Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter, die im Mai
2019 in Frankfurt die Konferenz „Das islamische Kopftuch
– Symbol der Würde oder der Unterdrückung?“
ausrichtete und damit wütende Boykottaufrufe außeruniversitärer
Gruppen auslöste. Immerhin: Diese
Konferenz fand (dennoch) statt, auch weil sich die Leitung
der Goethe-Universität wie der AStA öffentlich zur
Professorin und ihrer Konferenz bekannt hatten66. Anders
war dies aber bei einer weiteren Konferenz von Susanne
Schröter im Herbst 2017: Hier war als Vortragender
der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft
Rainer Wendt eingeladen, der kurzfristig wieder
ausgeladen werden musste, weil seine Einladung auf
scharfen, auch inneruniversitären Protest gestoßen
war.67 Verwiesen sei ferner auf den Politikwissenschaftler
Herfried Münkler an der Berliner Humboldt-Universität,
dem von (anonymen) Bloggern ohne jeglichen belastbaren
Anhaltspunkt vorgeworfen wurde, sich als
Lehrender rassistisch, sexistisch und militaristisch zu
verhalten.68 Zu nennen ist schließlich der Wirtschaftswissenschaftler
Bernd Lucke, dessen Vorlesungen nach
seiner Rückkehr an die Universität Hamburg im Wintersemester
2019/2020 (unter „Beihilfe“ des dortigen AStA)
massiv gestört wurden und deshalb abgebrochen werden
mussten – seine nachfolgenden Vorlesungen konnten
nur unter Polizeischutz stattfinden.69
Zwar wurde die Wissenschaftsfreiheit in den genannten
Fällen nicht vom Staat und seinen Hochschulen, sondern
von Privaten bedroht, die als solche nicht grundrechtsverpflichtet
sind und deshalb auch nicht das
Grundrecht „Wissenschaftsfreiheit“ verletzen können.
Aber auch diese privaten Aktivisten hindern Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler daran, von ihrer
Wissenschaftsfreiheit individuell Gebrauch zu machen.
Und zu diesen Wissenschaftsfeinden zählen eben nicht
nur „Verschwörungstheoretiker“, die gegenwärtig Virologinnen
und Virologen massiv bedrohen, und Rechte,
die Hetzkampagnen gegen Gender- und Diversitätsforscherinnen
veranstalten; sondern eben auch linke Moralisten,
die (weniger brutal und dafür umso subtiler) die
Definitions- und Diskurshoheit an Hochschulen für sich
reklamieren und diese angesichts einer politisch desinteressiert-
passiven Mehrheit oft auch durchsetzen können.
Das „Meinungsklima an Universitäten“ haben Letztgenannte
jedenfalls längst in ihrem Sinne verändert; viele
Hochschullehrer empfinden dieses laut einer aktuellen
Umfrage als intolerant und einengend.70
7 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
71 Vgl. Maunz/Dürig/Gärditz, 92. EL August 2020, GG Art. 5 Abs. 3
Rn. 269 ff.; v. Coelln, WissR 52 (2019), 3, 15 ff. Allgemein zur
Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten: Jarass in Jarass/
Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Vorb. vor Art. 1 Rn. 8; Schwabe, Die
sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, S. 65 f.; Canaris
AcP 184 (1984), 201, 225 ff. Beide Ansätze zusammenführend:
Maunz/Dürig/Langenfeld, 92. EL August 2020, GG Art. 3 Abs. 3
Rn. 82.
72 https://www.hochschulverband.de/pressemitteilung.html
(31.1.2021).
73 BVerfG 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257, 258 – Lüth.
74 Vgl. Maunz/Dürig/Gärditz, 92. EL August 2020, GG Art. 5 Abs. 3
Rn. 20 ff., 31.
75 VG Berlin 16.9.1988 – VG Disz. 12/8, NJW 1989, 1688, 1690.
76 BVerfG 17.9.2012 – 1 BvR 2979/10, NJW 2012, 3712; BVerfG
28.11.2011 – 1 BvR 917/09, NJW 2012, 1273; BVerfG 9.10.1991 –
1 BvR 1555/88, NJW 1992, 1439.
77 BVerfG 28.11.2011 – 1 BvR 917/09, NJW 2012, 1273.
78 BVerfG 28.11.2011 – 1 BvR 917/09, NJW 2012, 1273.
79 Maunz/Dürig/Grabenwarter, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 1,
Abs. 2 Rn. 68.
80 Zumindest missverständlich: BVerfG 18.2.1970 – 2 BvR 531/68,
NJW 1970, 1268, 1269: „Die Bundesrepublik Deutschland ist eine
Demokratie, deren Verfassung von ihren Bürgern eine Verteidigung
der freiheitlich-demokratischen Ordnung erwartet“; ebenso
Bezug nehmend darauf BVerwG 27.6.1983 – 1 B 73/83, DVBl.
1983, 1013, 1014. Bei der Schaffung des Grundgesetzes wurde eine
Vorschrift über die Pflicht aller Bürger zur Verfassungstreue zwar
erwogen, aber verworfen, vgl. Sattler, Die rechtliche Bedeutung
der Entscheidung für die streitbare Demokratie, 1982, S. 61 –
Fn. 116.
Der Staat und seine Hochschulen sind hier dem
Schutz der Wissenschaftsfreiheit verpflichtet71 und müssen
solch illiberalen Tendenzen daher entschieden entgegentreten.
Denn „Universitäten sind Stätten geistiger
Auseinandersetzung“72 – und keine von einem moralinsauren
Konformismus durchtränkte safe spaces; gerade
hier müssen andersdenkende Wissenschaftler und deren
Meinungen zumindest „ausgehalten“ werden. Denn
möglichst viel freie Kommunikation, Diskussion und Information
sind nicht nur für eine pluralistische Demokratie
und offene Gesellschaft „schlechthin konstituierend“ - Vielmehr sind Meinungsvielfalt und – dieser
immanent – Meinungsstreit und Meinungskampf gerade
conditio sine qua non für echte, weil freie Wissenschaft.74
Pointiert hat das VG Berlin dies wie folgt formuliert:
„Eine gemäßigte Wissenschaft könnte allzuleicht in eine
mäßige Wissenschaft umschlagen. Es gehört zur Eigengesetzlichkeit
der Wissenschaft, die unteilbare Wahrheit
kompromißlos – ohne Rücksicht auf gesellschaftliche oder
politische Akzeptanz – zu erforschen und unverfälscht
auszusprechen.“75
Wohin die ideologische Engführung der Hochschulen
und – damit zwangsläufig verbunden – wissenschaftliche
Feigheit, Angepasstheit und Opportunismus führen, haben
uns zwei Diktaturen auf deutschem Boden furchtbar
eindrucksvoll gelehrt. Ein Sprichwort lautet: „Der Teufel
kommt nie zwei Mal durch dieselbe Tür“. Wir fügen hinzu:
Aber der extremistische Teufel ist für aufgeklärte Demokraten
aufgrund seiner ideologischen Intoleranz doch
stets erkennbar. Und daher ist auch ein politisch übermotivierter
Moralismus, der für sich einen absoluten Wahrheitsanspruch
erhebt und Dritte eigenmächtig daran hindert,
ihre Grundrechte wahrzunehmen, extremistisch –
egal wie moralisch hehr seine Ziele sind.
III. Prämisse des Grundgesetzes: Freiheitlicher
und wehrhafter Rechtsstaat
Unser Verfassungsstaat begegnet der Bedrohung durch
den politischen Extremismus freiheitlich und wehrhaft:
Er gewährt den Bürgern größtmögliche grundrechtliche
Freiheiten und verteidigt seine Grundwerte erst und
auch dann nur rechtsstaatlich, wenn diese durch
Rechts(guts)verletzungen konkret bedroht sind. - Freiheitlich: Umfassender Grundrechtsschutz
Betont liberal und inhaltsneutral sind insbesondere – für
unser Thema zentral – die Meinungsfreiheit und die
Wissenschaftsfreiheit ausgestaltet.
a) Schutzbereich der Meinungsfreiheit
Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit ist nach Art. 5
Abs. 1 S. 1 GG weit: Er umfasst nach ständiger Rechtsprechung
des BVerfG alle Äußerungen, die durch das Element
der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt
sind.76 Diese unterliegen keinem inhaltlichen Vorbehalt;
es kommt also nicht darauf an, „ob sie sich als wahr oder
unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional
oder rational sind, oder ob sie als wertvoll oder wertlos,
gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden“.77 Weitergehend
hält das BVerfG fest: „Der Meinungsäußernde
ist insbesondere auch nicht gehalten, die der Verfassung
zugrunde liegenden Wertsetzungen zu teilen, da das
Grundgesetz zwar auf die Werteloyalität baut, diese aber
nicht erzwingt“.78 Damit sind sogar verfassungsfeindliche
Meinungen von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt.79
Entsprechend besteht auch keine Verfassungstreuepflicht
für jedermann.80
Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 7 7
81 Die normative Unterscheidung des Grundgesetzes zwischen (bloßer)
Meinung und wissenschaftlicher Forschung und Lehre war
nicht immer selbstverständlich. Im Parlamentarischen Rat stand
auf Grundlage des sogenannten Bergsträsser-Entwurfs zur Debatte,
die Wissenschaftsfreiheit nur als Teil der Meinungsfreiheit, nicht
aber als selbstständige Garantie zu schützen. Vgl. dazu Maunz/
Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3 Rn. 8 f.
82 BVerfG 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, NJW 1994, 1781, 1782.
83 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176.
84 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176.
85 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176.
86 BVerfG 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, NJW 1994, 1781, 1782.
87 BVerfG 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, NJW 1994, 1781, 1781.
88 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 427/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176.
89 Maunz/Dürig/Gärditz, 92. EL August 2020, GG Art. 5 Abs. 3
Rn. 32 m. w. N.
90 Maunz/Dürig/Gärditz, 92. EL August 2020, GG Art. 5 Abs. 3
Rn. 30.
91 Maunz/Dürig/Gärditz, 92. EL August 2020, GG Art. 5 Abs. 3
Rn. 31; ders., WissR 51 (2018), 5, 19, 23.
92 Gärditz, WissR 51 (2018), 5, 19.
93 Voigt, GS Jellinek, 1955, S. 259, 262.
94 Maunz/Dürig/Gärditz, 92. EL August 2020, GG Art. 5 Abs. 3
Rn. 31.
95 v. Coelln, WissR 52 (2019), 3, 6.
96 v. Coelln, WissR 52 (2019), 3, 6.
97 v. Coelln, WissR 52 (2019), 3, 8 f.
98 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1642.
b) Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit
Noch umfassender ist der Schutz durch die „vorbehaltlos“
gewährleistete Wissenschaftsfreiheit, die in Art. 5
Abs. 3 S. 1 GG gesondert81 normiert ist. Das BVerfG legt
den verfassungsrechtlichen Wissenschaftsbegriff weit
aus.82 Danach ist Wissenschaft „alles, was nach Inhalt
und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung
der Wahrheit anzusehen ist.“83 Geschützt werde keine
„bestimmte Auffassung von der Wissenschaft oder eine
bestimmte Wissenschaftstheorie“84. Dies folge „unmittelbar
aus der prinzipiellen Unabgeschlossenheit jeglicher
wissenschaftlichen Erkenntnis.“85
Und deshalb hängt ihr Schutz auch „weder von der
Richtigkeit der Methoden und Ergebnisse ab noch von der
Stichhaltigkeit der Argumentation und Beweisführung
oder der Vollständigkeit der Gesichtspunkte und Belege“,
sie „schützt daher auch Mindermeinungen sowie Forschungsansätze
und ‑ergebnisse, die sich als irrig oder fehlerhaft
erweisen. Ebenso genießt unorthodoxes oder intuitives
Vorgehen den Schutz des Grundrechts. Voraussetzung
ist nur, daß es sich dabei um Wissenschaft handelt“86.
Wissenschaft im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG ist damit
zwar von „der prinzipiellen Unvollständigkeit und Unabgeschlossenheit“
geprägt, erfordert aber eines „für sie
konstitutiven Wahrheitsbezugs“.87 Die wissenschaftliche
Betätigung – also das Auffinden von wissenschaftlichen
Erkenntnissen, deren Deutung und Weitergabe – muss
frei sein von staatlicher Ingerenz.88
c) Abgrenzung der beiden Schutzbereiche
Für unser Thema zentral ist die Frage, wie die Schutzbereiche
der beiden Grundrechte bei Äußerungen von
Wissenschaftlern voneinander abzugrenzen sind.
Bei wissenschaftlichen Äußerungen geht die Wissenschaftsfreiheit
(Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) gegenüber der allgemeinen
Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) als lex
specialis vor – und zwar unabhängig, wo und wie diese
(etwa in Presse oder Rundfunk) getroffen werden.89
Charakteristisch für Wissenschaft im Sinne von Art. 5
Abs. 3 S. 1 GG ist, dass Wissen nach den Regeln besonderer
Rationalität gewonnen und vermittelt wird oder werden
soll.90 Entsprechend zeichnet sich wissenschaftliche
Kommunikation dadurch aus, dass Aussagen fachlichrational
begründet werden.91
Demgegenüber schützt die Meinungsfreiheit jede
Äußerung, die durch subjektives Dafürhalten geprägt ist
– unabhängig von ihrem Inhalt und sei sie noch so irrational.
Die Meinungsfreiheit ist „eine Freiheit zur Irrationalität,
ein Grundrecht des Emotionalen, des Unreflektierten,
des radikalen Relativismus.“92 Insbesondere werden
keine Anforderungen an wissenschaftlich fundierte Begründungen
gestellt.93 Denn: „Teilnehmer am Meinungsstreit
kann […] jeder sein, gleich wie schlecht begründet
eine Meinung ist. Demgegenüber hängt die Teilnahme am
wissenschaftlichen Diskurs von spezifischen Rationalitätsstrukturen
der Argumentation ab, die einen hohen Grad
an fachlicher Professionalität voraussetzen.“94
Folglich ist nicht jede Äußerung eines Wissenschaftlers
durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützt: Wissenschaft
liegt nicht vor, weil sich Wissenschaftler äußern, sondern
weil sie sich wissenschaftlich äußern.95 Allgemeine politische
Äußerungen von Wissenschaftlern sind typischerweise
nicht wissenschaftlich und unterfallen daher (nur)
der Meinungsfreiheit.96 Umgekehrt verlieren Äußerungen
ihren wissenschaftlichen Charakter aber nicht dadurch,
dass sie politischen Positionen nahestehen oder
solche wissenschaftlich bewerten.97 - Wehrhaft: Grenzen grundrechtlicher Freiheiten
Freilich bekennt sich das Grundgesetz nicht nur positiv
zu seiner freiheitlichen demokratischen Grundordnung
als Werteordnung – und ist damit selbst antitotalitär und
nicht wertneutral.98
7 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
99 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1642.
100 BVerfG 17.9.2013 – 2 BvR 2436/10, 2 BvE 6/08, NVwZ 2013, 1468, - Identisch bereits BVerfG 15.12.1970 – 2 BvF 1/69, 2 BvR
629/68, 308/69, NJW 1971, 275, 277.
101 BVerfG 17.8.1956 – 1 BvB 2/51, NJW 1956, 1393; BVerfG 18.2.1970
– 2 BvR 531/68, NJW 1970, 1268. Ausführlich dazu: Schliesky, in:
Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. XII, - Aufl. 2014, § 277 sowie Becker, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.),
Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, 1992, § 167.
102 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1642; BVerfG
29.10.1975 – 2 BvE 1/75, BVerfGE 40, 287, 292: „Auftrag, die
freiheitliche demokratische Grundordnung zu wahren und zu
verteidigen.“
103 BVerfG 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, NJW 1994, 1779; kritisch insoweit
und für Rechtfertigungslösung: Hufen, Staatsrecht II, 8. Aufl.
2020, § 25 Rn. 8.
104 H. M., BVerfG 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, NJW 1994, 1779; BVerfG
9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, NJW 1992, 1439, 1440;
MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl. 2017, § 130 Rn. 77.
105 BVerfG 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257 – Lüth; BVerfG
10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92 und 1 BvR
221/92, NJW 1995, 3303; BVerfG 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93, NJW
1998, 1381; BVerfG 23.6.2004 – 1 BvQ 19/04, NJW 2004, 2814, 2815.
106 BVerfG 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257, 258 – Lüth.
107 Gärditz, WissR 51 (2018), 5.
108 Näher dazu v. Coelln, WissR 52 (2019), 3, 18.
109 T. Oppermann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des
Staatsrechts, Bd. VI, 2. Aufl. 2001, § 145 Rn. 32.; v. Coelln, WissR
52 (2019), 3, 18; Manssen, Staatsrecht II, 17. Aufl. 2020, § 17 Rn. 437.
110 Vgl. Kahl, Hochschule und Staat, 2004, S. 62.
111 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020 Rn. 72, GG Art. 5
Abs. 3 Rn. 9.
112 Abg. Bergsträsser in der 3. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen
v. 21.9.1948, abgedruckt in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv
(Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Akten
und Protokolle, Bd. 5/I, 1993, S. 54 f.
a) Grundgesetzliche Schutzmechanismen
Vielmehr trifft unsere Verfassung selbst „Vorkehrungen
gegen ihre Bedrohung, sie institutionalisiert besondere
Verfahren zur Abwehr von Angriffen auf die verfassungsmäßige
Ordnung, sie konstituiert eine wehrhafte Demokratie“ - Das Grundgesetz will so sicherstellen: „Verfassungsfeinde
sollen nicht unter Berufung auf Freiheiten, die
das Grundgesetz gewährt, die Verfassungsordnung oder
den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder
zerstören dürfen“100. Unsere Verfassung ist somit kumulativ
freiheitlich und wehrhaft.101
Zum Schutz seiner Grundordnung verpflichtet das
Grundgesetz in Art. 1 nicht nur den Staat, diese einfachgesetzlich
zu sichern und zu gewährleisten.102 Vielmehr
statuiert es in Art. 2 Abs. 1, 9 Abs. 2, 18, 20 Abs. 4, 21
Abs. 2, 79 Abs. 3, 91 und 98 Abs. 2 GG eigene Schutzmechanismen,
um Angriffe auf seine Grundordnung zu
vermeiden bzw. abzuwehren. Weiter bestimmt das
Grundgesetz für die einzelnen Grundrechte Grenzen
und Schranken – so auch für die hier im Mittelpunkt stehende
Meinungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit.
b) Schranken der Meinungsfreiheit
Der Schutz durch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1
S. 1 GG wird schon dadurch begrenzt, dass nach h. M.
erwiesenermaßen unwahre Tatsachenbehauptungen
vom Schutzbereich ausgenommen sind.103 Aus diesem
Grund ist etwa die „Auschwitzlüge“ nicht vom Schutzbereich
erfasst.104 Meinungsäußerungen können neben
Gesetzen zum Schutze der Jugend und dem Recht der
persönlichen Ehre durch allgemeine Gesetze inhaltlich
beschränkt werden. Allgemeine Gesetze sind nach der
„Kombinationsformel“ des BVerfG nur solche Gesetze,
„die sich nicht gegen die Meinungsfreiheit an sich oder
gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung richten,
die vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht
auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts
dienen“.105 Diese „meinungsneutralen“ Gesetze sind
ihrerseits im Lichte der Bedeutung der Meinungsfreiheit
zu interpretieren (Wechselwirkungstheorie) und werden
so durch die Meinungsfreiheit beschränkt.106
c) Schranken der Wissenschaftsfreiheit
Auch der grundrechtliche Schutz durch die Wissenschaftsfreiheit
ist begrenzt. Er wird – wie bei jedem Freiheitsrecht
des Grundgesetzes – durch die Definition des
geschützten Bereichs beschränkt: auf die Wissenschaft.
107 Eine besondere und ausdrücklich normierte
Grenze enthält Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG für die Lehrfreiheit;
denn nach der Verfassungstreueklausel in Art. 5 Abs. 3
S. 2 GG entbindet diese „nicht von der Treue zur Verfassung“.
Unabhängig von der (umstrittenen) dogmatischen
Einordnung108 ist sie restriktiv auszulegen und
verbietet daher nicht jede Kritik an der Verfassung109.
Dies zeigt sich deutlich anhand einer historischen Genese:
Bei Entstehung der Wissenschaftsfreiheit war die
Verfassungstreue von Hochschullehrern heftig umstritten
und eine zentrale Frage im Parlamentarischen Rat.110
Die Sorgen waren historisch begründet: Während der
Weimarer Zeit wurde die Lehrfreiheit oft dafür missbraucht,
gegen die Republik zu agitieren.111 Zum Hauptkritiker
der Wissenschaftsfreiheit wurde der hessische
Abgeordnete Ludwig Bergsträsser. Er fürchtete ein „Sonderrecht
für die Herren Professoren […], um den Staat zu
unterhöhlen“112. Seine Befürchtung war: „Es ist möglich,
daß ein Universitätslehrer seine Vorlesungen dazu benutzt,
unter dem Mäntelchen der Wissenschaft den Staat, Organe
des Staates und führende Personen des Staates anzugreifen.
Bestimmt man in der Verfassung, daß die WissenPicker/
Reif · Mein Prof ist ein Nazi 7 9
schaft, die Kunst und ihre Lehre frei sind, kann man sich
darauf stützen.“113 Deshalb wurde als Reaktion auf das
Verhalten der Hochschullehrer in der Weimarer Republik
Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG geschaffen.114
Sinn und Zweck der Norm ist damit, die „Zweckentfremdung“
des Hörsaals zur politischen Agitation zu
verhindern.115 Dies zeigt auch die häufig zitierte Begründung
von Carlo Schmid im Parlamentarischen Rat: „Es
soll verhindert werden, daß unter dem Vorwand einer wissenschaftlichen
Kritik ein Mann auf dem Katheder nichts
anderes treibt als hinterhältige Politik, indem er die Demokratie
und ihre Einrichtungen nicht kritisiert, sondern verächtlich
macht […]. Aber mir scheint es sehr nützlich zu
sein, eine eindringliche Warnung auszusprechen, eine
Warnung an solche, die versuchen sollten, die Republik
‚wissenschaftlich‘ zu unterlaufen. Die Leute, die solches
etwa vorhaben sollen, sollen genau wissen, daß die Republik
entschlossen ist, sich auch gegen Hinterhältigkeiten zu
verteidigen!“116
Darüber hinaus wird die Wissenschaftsfreiheit nach
Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zwar vorbehaltlos gewährleistet.
Gleichwohl ist der durch sie gewährleistete Schutz nicht
grenzenlos: Art. 5 Abs. 2 GG ist wegen der Spezialität des
Art. 5 Abs. 3 GG im Verhältnis zu Art. 5 Abs. 1 GG nicht
anwendbar.117 Allerdings ergeben sich Schranken der
Wissenschaftsfreiheit aus der Verfassung selbst, namentlich
in Grundrechten Dritter oder sonstigen Verfassungsgütern.
118 Der Konflikt zwischen grundrechtlich
geschützter Wissenschaftsfreiheit und anderen Verfassungsgütern
muss „nach Berücksichtigung der Einheit
dieses Wertsystems durch Verfassungsauslegung gelöst
werden“119, wobei der Wissenschaftsfreiheit „nicht
schlechthin Vorrang“120 zukommt. Daher wird die Wissenschaftsfreiheit
etwa sicher bei wissenschaftlichen
Versuchen an Strafgefangenen gegen deren Willen durch
die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG begrenzt.121 - Fazit: Verfassungsimmanenter Dualismus und gebotene
Synthese
Unsere – notwendig skizzenhaften und unvollständigen
– Ausführungen sollten dies verdeutlichen: Die grundgesetzliche
Entscheidung für einen freiheitlichen und
wehrhaften Rechtsstaat ist so richtig wie alternativlos.122
Unser Rechtsstaat befindet sich wegen des verfassungsimmanenten
Dualismus von Grundrechts- und Verfassungsschutz
bei der Bekämpfung des politischen Extremismus
jedoch stets in einem Dilemma.123 Sowohl zu
viel grundrechtliche Freiheit als auch zu viel Freiheitsbegrenzung
kann zum Verlust der grundgesetzlichen Freiheit
führen.124 Der Rechtsstaat muss daher immer und
immer wieder neu abwägen, wie tolerant er sich politischen
Extremisten gegenüber verhalten muss und wie
repressiv er diese bekämpfen darf.
Grundsätzlich muss er den Bürgern so viel Freiheit
wie möglich gewähren; denn gerade weil die nationalsozialistische
Schreckensherrschaft für die grundgesetzliche
Ordnung „eine gegenbildlich identitätsprägende
Bedeutung“125 hat, ist diese so freiheitlich.126 Der
Rechtsstaat muss daher grundsätzlich „auf die Fähigkeit
der Gesamtheit der Bürger, sich mit Kritik an der Verfassung
auseinanderzusetzen und sie dadurch abzuwehren“
127 vertrauen. Erst wenn und weil Extremisten die
freiheitlich demokratische Grundordnung konkret gefährden,
darf er diese verteidigen – und auch dann nur
rechtsstaatlich.
Deshalb sind auch die verfassungsrechtlichen Schutzinstrumente
der wehrhaften Demokratie liberal konzipiert.
So zählt das Grundgesetz seine Schutzmechanismen
in den Art. 2 Abs. 1, 9 Abs. 2, 18, 20 Abs. 4, 21 Abs. 2,
79 Abs. 3, 91 und 98 Abs. 2 GG nicht nur abschließend
auf.128 Der Staat darf daher „keine weitergehenden Rechtsfolgen
als die ausdrücklich angeordneten [ableiten]“ und
113 Abg. Bergsträsser in der 3. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen
v. 21.9.1948, abgedruckt in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv
(Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Akten
und Protokolle, Bd. 5/I, 1993, S. 55.
114 Löwer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte,
Band IV, 1. Aufl. 2011, § 99 Rn. 64; Kahl, Hochschule und Staat,
2004, S. 62.
115 Vgl. Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020 Rn. 72, GG Art. 5
Abs. 3 Rn. 190 m. w. N.
116 Abg. Schmid in der 9. Sitzung des Plenums v. 6.5.1949, abgedruckt
in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische
Rat 1948–1949, Akten und Protokolle, Bd. 9, 1996, S. 449.
117 BVerfG 1.3.1978 – 1 BvR 174, 178, 191/71; 333/75, NJW 1978, 1621,
1621.
118 Siehe nur Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5
Abs. 3 Rn. 151, 170 m. w. N.
119 BVerfG 1.3.1978 – 1 BvR 174, 178, 191/71; 333/75, NJW 1978, 1621,
1622.
120 BVerfG 1.3.1978 – 1 BvR 174, 178, 191/71; 333/75, NJW 1978, 1621,
1622; Epping, ZBR 1997, 383, 392.
121 Gärditz, WissR 51 (2018), 5, 29.
122 Näher dazu Chr. Picker, RdA 2020, 317, 322 f.
123 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 324. Vgl. Schliesky, in: Isensee/Kirchhof
(Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. XII, 3. Aufl. 2014,
§ 277 Rn. 26: „Dem Prinzip wehrhafter Demokratie ist eine
gewisse Widersprüchlichkeit immanent.“; Dreier, in: GS Klein,
1977, S. 86, 97 f.
124 Dreier, in: GS Klein, 1977, S. 86, 98.
125 BVerfG 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, NJW 2010, 47.
126 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 324.
127 BVerfG 24.3.2001 – 1 BvQ 13/01, NJW 2001, 2069.
128 BVerfG 24.3.2001 – 1 BvQ 13/01, NJW 2001, 2069.
8 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
kann sich nicht „auf ungeschriebene verfassungsimmanente
Schranken als Rechtfertigung für sonstige Maßnahmen
zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“
berufen.129 Vielmehr gelten für diese Schutzmechanismen
auch hohe prozedurale wie materielle
Hürden: So können etwa nach Art. 18 GG nur die enumerativ
aufgezählten Grundrechte (S. 1) verwirkt werden130
und Verwirkung und Ausmaß dürfen ausschließlich
vom BVerfG ausgesprochen werden (S. 2). Die praktische
Bedeutung von Art. 18 GG geht denn auch gegen
null131: Jedes der bislang vier eingeleiteten Verfahren
wurde (nach jeweils mehrjähriger Verfahrensdauer)
vom BVerfG abgewiesen. Entsprechendes gilt für das
Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2, 4 GG, „die schärfste und
überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats
gegen seine organisierten Feinde“132 und konzeptionell
das „Hauptinstrument“133 der wehrhaften Demokratie
des Grundgesetzes. Auch über das Verbot einer
Partei darf nur das BVerfG befinden (Art. 21 Abs. 4 GG),
und dieses hat die materiellen Anforderungen an ein
Verbot im zweiten NPD-Verbotsverfahren 2017 weiter
verschärft: Ausreichend ist nunmehr nicht schon der
rechtsstaatlich korrekte Nachweis, dass die fragliche Partei
verfassungsfeindlich ist, wobei die Partei sich dafür
nicht nur programmatisch gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung richten, sondern diese auch
aktiv bekämpfen muss; es bedarf nunmehr weitergehend
„konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die einen Erfolg
des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung
oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichteten
Handelns zumindest möglich erscheinen lassen“.134
Entsprechendes gilt für den 2017 neu eingeführten
Art. 21 Abs. 3 GG: Zwar können danach verfassungsfeindliche
Parteien (zeitweise) von der staatlichen Finanzierung
ausgeschlossen werden, allerdings nicht verboten
und damit nicht gleich effektiv bekämpft werden.
IV. Konsequenzen für das Hochschulpersonal
Die grundgesetzliche Entscheidung für den freiheitlichen
und wehrhaften Verfassungsstaat determiniert die
Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst – und
damit auch die an staatlichen Hochschulen. - Grundsätzliches
Der Staat steht hier als Dienstherr bzw. Arbeitgeber
immer schon vor der Frage, wie er die Kollision der beiden
Grundwerte des Grundgesetzes – freiheitlich und
wehrhaft – (auf-)löst.
a) Zeithistorischer Überblick
Politischer Extremismus im öffentlichen Dienst und –
daraus resultierend – die Gefahr der „Unterwanderung“
des freiheitlichen Rechtsstaats durch seine Feinde und
dessen Zerstörung „von innen heraus“, ist ein zeitlos zentrales
Problem.135
Bereits die Weimarer Republik schuf gegen diese Bedrohung
„von innen“ Vorkehrungen.136 Durch das „Gesetz
über die Pflichten der Beamten zum Schutze der Republik“
vom 21.7.1922137 wurde in das damalige Reichsbeamtengesetz
ein § 10a neu eingefügt. Danach war der
Reichsbeamte verpflichtet, „in seiner amtlichen Tätigkeit
für die verfassungsmäßige republikanische Staatsgewalt
einzutreten“ und „alles zu unterlassen, was mit seiner Stellung
als Beamter der Republik nicht zu vereinbaren ist“.
Da aber Art. 130 Abs. 2 WRV den Beamten „die Freiheit
ihrer politischen Gesinnung und die Vereinigungsfreiheit“
gewährleistete, waren Inhalt und Grenzen der
Treuepflicht gegenüber der Republik umstritten.138
Im Jahr 1930 beschloss das preußische Staatsministerium,
„die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
und die Kommunistische Partei Deutschlands […] als Organisationen
anzusehen, deren Ziel der gewaltsame Umsturz
der bestehenden Staatsordnung ist“. Hieraus folgerte
es: „Ein Beamter, der an einer solchen Organisation teilnimmt,
sich für sie betätigt oder sie sonst unterstützt, verletzt
dadurch die aus seinem Beamtenverhältnis sich
ergebende besondere Treueverpflichtung gegenüber dem
Staate und macht sich eines Dienstvergehens schuldig.“139
Dieser Beschluss wurde hinsichtlich der NSDAP nach
dem sogenannten Preußenschlag wieder aufgehoben.
129 BVerfG 24.3.2001 – 1 BvQ 13/01, NJW 2001, 2069.
130 H. M., vgl. BVerfG 6.10.1959 – 1 BvL 118/53, NJW 1960, 29;
BVerfG 15.1.1969 – 1 BvR 438/65, NJW 1969, 742; BVerfG 8.3.1983
– 1 BvR 1078/80, NJW 1983, 1535; Wittrek, in: Dreier, GG, Bd. I, 3.
Aufl. 2013, Art. 18 Rn. 38 m. w. N.
131 Volkmann, JZ 2010, 209, 210: „ineffektiv“; Wittrek, in: Dreier, GG,
Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 18 Rn. 29: „Netto-Kampfwert gegen Null“.
132 BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, NJW 2017, 611.
133 Volkmann, JZ 2010, 209, 210.
134 BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, NJW 2017, 611.
135 Es handelt sich auch nicht um ein nationales Problem. Vielmehr
besteht diese Gefahr bei jedem freiheitlich demokratisch
organisierten Gemeinwesen, welches seine Grundwerte nicht nur
nach außen (Dritten gegenüber), sondern gerade auch nach innen
verteidigen muss, vgl. Böckenförde, in: Böckenförde/Tomuschat/
Umbach (Hrsg.), Extremisten und öffentlicher Dienst, Rechtslage
und Praxis des Zugangs zum und Entlassung aus dem öffentlichen
Dienst in Westeuropa, USA, Jugoslawien und der EG, 1981,
S. 10.
136 Näher hierzu Rudolf, in: Thiel (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie,
2003, S. 209, 214 f.
137 RGBl. 1922 I, S. 590.
138 Vgl. Battis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 11. Näher Rudolf, in: Thiel
(Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 209, 214 f.
139 Allgemeinverfügung des Preußischen Justizministers vom
9.7.1930 – I 10 237, Preußisches Justizministerialblatt 1930, S. 220.
Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 8 1
Nach dem „Adenauer-Erlass“140 von 1950 verletzte
seine Dienstpflicht, wer „als Beamter, Angestellter oder
Arbeiter im Bundesdienst an Organisationen oder Bestrebungen
gegen die freiheitlich demokratische Staatsordnung
teilnimmt, sich für sie betätigt oder sie sonst unterstützt“.
Nicht abschließend wurden 13 Organisationen
aufgezählt, in denen man als Staatsbediensteter
nicht Mitglied sein durfte. Anlass hierfür war, dass die
„Gegner der Bundesrepublik ihre Bemühungen, die freiheitliche
demokratische Grundordnung zu untergraben“,
verstärkten.
In den 1970er Jahren stand die Bekämpfung des
Linksextremismus im Mittelpunkt der sicherheitspolitischen
Agenda der damals noch jungen BRD – was angesichts
der abstrakten Bedrohung durch den kommunistischen
Ostblock und des sehr konkreten Terrors der
RAF nachvollziehbar war. Die Regierungschefs von
Bund und Ländern befürchteten, dass der öffentliche
Dienst durch (Links-)Extremisten „unterwandert“ wird
und erließen daher am 28.1.1972 einen gemeinsamen Beschluss141,
der der Öffentlichkeit als „Radikalenerlass“
oder „Extremistenbeschluss“ bekannt wurde. Dieser Beschluss
war auch eine Reaktion der Exekutive auf zunehmende
kommunistische und sozialistische Aktivitäten
an Universitäten.142 Er betonte die Pflicht zur Verfassungstreue
als Pflicht, sich positiv zur Verfassung zu bekennen,
sodass verfassungsfeindliche Bestrebungen eine
Verletzung der Dienstpflichten bedeuteten. Begründete
Zweifel an der positiven Verfassungstreue von Bewerbern
rechtfertigten deshalb im Regelfall deren
Ablehnung.143
Besonders umstritten war – neben der Frage, ob die
Mitgliedschaft eines Staatsbediensteten in einer Partei,
welche nicht vom BVerfG verboten ist, dessen Ablehnung
oder Entlassung rechtfertigen konnte – das Verfahren
der Regelanfragen bei den Verfassungsschutzämtern144:
Auf Grund dieser Regelanfrage wurden im Zeitraum
von 1972 bis 1992 rund 3,5 Millionen Bewerber für
den öffentlichen Dienst überprüft. Es kam in ca. 11.000
Fällen zu Verfahren, wobei 1.250 Personen nicht eingestellt
wurden.145 Darüber hinaus wurden rund 260 Beamte
und Angestellte im genannten Zeitraum entlassen;
besonders betroffen waren neben Lehrern (etwa 80 %)
auch Hochschullehrer (etwa 10 %).146
Das Verfahren der Regelanfrage wurde von den einzelnen
Ländern sukzessive aufgehoben und verlor so an
Bedeutung.147 Zuletzt gab es 1991 auch der Freistaat Bayern
auf148, der jedoch an dessen Stelle ein neues, eigenes
Verfahren einführte, um die Verfassungstreue im öffentlichen
Dienst zu prüfen149. Danach muss nunmehr jeder
Bewerber in einem „Fragebogen zur Prüfung der Verfassungstreue“
ausdrücklich beantworten, ob er Mitglied
oder Unterstützer einer oder mehrerer als extremistisch
oder extremistisch beeinflusster Organisation war oder
ist; die „wichtigsten extremistischen oder extremistisch
beeinflussten Organisationen“ sind dabei (nicht abschließend)
in einem Verzeichnis150 aufgezählt.
Gegenwärtig ringen Bund und Länder wieder verstärkt
mit dem Problem, wie sie den öffentlichen Dienst
frei von Verfassungsfeinden halten können. Wie unverändert
real und akut die Bedrohung durch diese ist, zeigen
nämlich zahlreiche (rechts-)extremistische Vorfälle
in den Sicherheitsbehörden im vergangenen Jahr.151 Der
Freistaat Sachsen versucht dieser Gefahr mit einer neu
geschaffenen Koordinierungsstelle für interne Extremismusabwehr
und ‑prävention zu begegnen; deren Ziel ist
es, extremistische Bestrebungen von Bediensteten des
Innenministeriums wie nachgeordneter Behörden
aufzuspüren.152
140 Beschluss der Bundesregierung zur politischen Betätigung von
Angehörigen des öffentlichen Dienstes gegen die demokratische
Grundordnung vom 19.9.1950, in: Gemeinsames Ministerialblatt
vom 20.9.1950, S. 93. Näher hierzu Rudolf, in: Thiel (Hrsg.),
Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 209, 217 ff.
141 Gemeinsamer Beschluss des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten
der Länder zu Grundsätzen über die Mitgliedschaft
von Beamten in extremen Organisationen, bekanntgegeben
in: Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen vom
29.2.1972, S. 342. Näher dazu Rudolf, in: Thiel (Hrsg.), Wehrhafte
Demokratie, 2003, S. 209, 219 ff.
142 Kunig, in: Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 33 Rn. 34; Rudolf,
in: Thiel (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 209, 220.
143 Rudolf, in: Thiel (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 209,
219.
144 Rudolf, in: Thiel (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 209, 219 f.
145 Mühldorfer, Radikalenerlass, publiziert am 16.6.2014, in:
Historisches Lexikon Bayerns, https://www.historisches-lexikonbayerns.
de/Lexikon/Radikalenerlass (31.1.2021).
146 Mühldorfer, Radikalenerlass, publiziert am 16.6.2014, in: Historisches
Lexikon Bayerns, https://www.historisches-lexikon-bayerns.
de/Lexikon/Radikalenerlass (31.1.2021).
147 Näher Rudolf, in: Thiel (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, 2003,
S. 209, 221 f.
148 Vgl. Kathke, ZBR 1992, 344, 345. Näher zur Entwicklung der
Prüfung der Verfassungstreue seit 1980: Rudolf, in: Thiel (Hrsg.),
Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 209, 222 ff.
149 Bekanntmachung über die Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen
Dienst (Verfassungstreue-Bekanntmachung – VerftöDBek)
der Bayerischen Staatsregierung vom 3.12.1991 (AllMBl. S. 895,
StAnz. Nr. 49), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom
27.9.2016 (AllMBl. S. 2138).
150 Verzeichnis extremistischer oder extremistisch beeinflusster
Organisationen (nicht abschließend), IMBek vom 29.11.2007.
151 Vgl. etwa https://www.sueddeutsche.de/politik/nrw-polizeirechtsextremismus-
chat‑1.5034926 (31.1.2021).
152 https://www.mdr.de/sachsen/koordinierungsstelle-extremismusabwehr-
sachsen-100.html (31.1.2021).
8 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
Der (zeit-)geschichtliche Rückblick macht deutlich:
Politischer Extremismus ist eine offenbar nicht auszurottende
verfassungsfeindliche Einstellung von Menschen
und damit ein zeitloses Phänomen nicht nur generell in
Staat und Gesellschaft, sondern auch im öffentlichen
Dienst der staatlichen Hochschulen; denn Letztere sind
mit ihren vielen Studierenden und Beschäftigten stets
Abbild unserer Lebenswirklichkeit: Mit der Zahl der
Studierenden (1975: 836.002; 2019: 2.891.049153) ist die
Zahl ihrer Beschäftigten deutlich gestiegen. Beschäftigten
die Hochschulen im Jahr 2010 noch 601.682 Personen154,
so waren es 2019 bereits 737.762; davon sind
406.659 dem wissenschaftlichen (und künstlerischen)
Personal und 331.103 dem nichtwissenschaftlichen (verwaltungstechnischen
und sonstigen) Personal zuzurechnen.
155 Dabei überwiegt das Personal der Universitäten
mit 578.569 Beschäftigen gegenüber dem der Kunst‑,
Fach- und Verwaltungshochschulen klar.156 Diese Zahlen
beziehen sich zwar auf alle Hochschulen unabhängig
von deren Trägerschaft, schließen also private Hochschulen
mit ein. Deren Beschäftigte machen allerdings
nur einen sehr geringen Teil aus: Im Jahr 2018 waren an
privaten Hochschulen insgesamt lediglich 18.283 Personen
beschäftigt, davon 8.147 im wissenschaftlichen und
künstlerischen Bereich, 10.136 als Verwaltungs‑, technisches
und sonstiges Personal.157 Die Beschäftigten an
staatlichen Universitäten und anderen Hochschulen bilden
so mit gut 15% einen beachtlichen Teil der rund 4,9
Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst.158
b) Konflikt: Verfassungsschutz versus Grundrechtsschutz
Der Staat befindet sich bei der Bekämpfung von politischem
Extremismus stets in einem Dilemma – und
besonders als Dienstherr und Arbeitgeber im öffentlichen
Dienst: Einerseits verpflichtet das Grundgesetz ihn
als wehrhafte Demokratie, seine Grundwerte zu erhalten
und zu schützen. Und dazu wäre der Staat nicht in der
Lage, wenn seine Bediensteten ihn und seine Grundordnung
„von innen heraus“ ablehnen und bekämpfen.
Zutreffend stellte das BVerfG daher bereits 1975 fest:
„Der freiheitliche demokratische Rechtsstaat kann und
darf sich nicht in die Hand seiner Zerstörer geben.“159
Andererseits ist der wehrhafte Staat zugleich ein liberaler,
die Grundrechte aller Bürger achtender und schützender
Rechtsstaat. Und diese Grundrechte gelten im
Rechtsstaat grundsätzlich auch für die Feinde der Freiheit.
160
Dieser verfassungsimmanente Grundkonflikt – die
Kollision der staatlichen Pflicht zum Verfassungsschutz
mit der Pflicht, den Bürgern möglichst umfassend
grundrechtliche Freiheit zu gewähren – prägt die Beschäftigungsverhältnisse
an staatlichen Universitäten
und anderen Hochschulen. Auch hier muss der Staat seine
Grundordnung einerseits vor Verfassungsfeinden
schützen und verteidigen, andererseits aber umfassend
grundrechtliche Freiheiten – und hier ganz besonders
die Wissenschaftsfreiheit – achten und schützen.
Besonders klar zeigt sich diese Ambivalenz bei den
Beamten; das BVerfG beschreibt sie wie folgt: „Der Beamte
genießt Grundrechtsschutz. Er steht zwar ‚im Staat‘
und ist deshalb mit besonderen Pflichten belastet, die ihm
dem Staat gegenüber obliegen, er ist aber zugleich Bürger,
der seine Grundrechte gegen den Staat geltend machen
kann. In ihm stoßen sich also zwei Grundentscheidungen
des Grundgesetzes: Die Garantie eines für den Staat unentbehrlichen,
ihn tragenden, verläßlichen, die freiheitliche
demokratische Grundordnung bejahenden Beamtenkörpers
[…] und die Garantie der individuellen
Freiheitsrechte“161.
Für den verbeamteten Hochschullehrer folgt aus diesem
verfassungsimmanenten Konflikt spezifisch: Er ist
als Beamter Staatsdiener, sodass ihn beamtenrechtliche
Pflichten treffen; zugleich genießt er nicht nur allgemein
als Bürger Grundrechtsschutz, vielmehr ist seine wissenschaftliche
Tätigkeit durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG besonders
(umfassend) geschützt.
153 https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/
Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/Tabellen/lrbil01.html
(31.1.2021).
154 Statistisches Bundesamt, Bildung und Kultur – Personal an Hochschulen
2019, 2020, S. 14, https://www.destatis.de/DE/Themen/
Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/
Publikationen/Downloads-Hochschulen/personal-hochschulen-
2110440197004.pdf;jsessionid=4DB1A130F514083ACD029330
4A21451E.internet8731?__blob=publicationFile (31.1.2021).
155 Statistisches Bundesamt, Bildung und Kultur – Personal an Hochschulen
2019, 2020, S. 14.
156 Statistisches Bundesamt, Bildung und Kultur – Personal an Hochschulen
2019, 2020, S. 15.
157 Statistisches Bundesamt, Bildung und Kultur – Private Hochschulen
2018, 2020, S. 14, 115 f.; https://www.destatis.de/DE/Themen/
Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/
Publikationen/Downloads-Hochschulen/personal-hochschulen-
2110440197004.pdf;jsessionid=4DB1A130F514083ACD029330
4A21451E.internet8731?__blob=publicationFile (31.1.2021).
158 https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Oeffentlicher-Dienst/
Tabellen/beschaeftigte-aufgaben.html (31.1.2021).
159 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1642.
160 Näher Chr. Picker, RdA 2020, 317, 322 f.
161 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1647; ferner
BVerfG 20.9.2007 – 2 BvR 1047/06, NVwZ 2008, 416.
Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 8 3
c) Lösung: Funktionale Differenzierung
Wie ist dieses Dilemma – Verfassungsschutz und Grundrechtsschutz
– verfassungskonform aufzulösen? Zwar
spricht Vieles auf den ersten Blick dafür, dass der Selbstschutz
des wehrhaften Verfassungsstaates vorrangig
ist162 und damit eine positive Verfassungstreuepflicht für
alle Beschäftigte an Universitäten und anderen Hochschulen
gelten muss – unabhängig davon, welche konkrete
Stellung diese innehaben und welche konkreten
Aufgaben diese ausüben.
Eine derart umfassende politische Treuepflicht aller
Hochschulbeschäftigten würde deren Grundrechte aber
auch dann einschränken, wenn ein Funktions- oder Ansehensverlust
des Staates gerade nicht zu befürchten ist.
Denn nicht jeder Beschäftigte des öffentlichen Dienstes
übt hoheitliche Tätigkeiten aus und repräsentiert und
vertritt so den Staat. Eine positive politische Treuepflicht,
die schematisch für den gesamten öffentlichen
Dienst gilt, ist daher weder geboten noch
verhältnismäßig.163
Gerade weil unser Rechtsstaat kein einseitig wehrhafter,
sondern kumulativ liberaler und wehrhafter ist, hat
er die Grundrechte seiner Beschäftigten möglichst weitgehend
zu respektieren. Verfassungsrechtlich notwendig
ist es daher, an staatlichen Universitäten und Hochschulen
zwischen Beamten und Arbeitnehmern zu
differenzieren. - Beamte
Für die staatlichen Funktionsträger, denen hoheitliche
Aufgaben und Befugnisse übertragen sind, gelten besondere
politische Treuepflichten. Zu diesen zählen Beamte,
Richter und Soldaten.164 An den Hochschulen unterliegt
daher das verbeamtete Personal einer spezifischen Verfassungstreuepflicht165
– und dazu gehören insbesondere
die ganz überwiegend166 nach § 46 HRG bzw. § 49
Abs. 1 LHG167 verbeamteten Professorinnen und Professoren.
a) Positive Verfassungstreuepflicht
Beamte müssen sich nach Ansicht des BVerfG168 und der
h. M.169 eindeutig zur freiheitlichen demokratischen
Grundordnung bekennen, sich mit dieser identifizieren
und bereit sein, für diese jederzeit aktiv einzutreten. Diese
sogenannte positive Treuepflicht gilt für sie umfassend:
Dienstlich wie außerdienstlich170 sowie unabhängig
von der Art des Beamtenverhältnisses (auf Lebenszeit,
Zeit oder Probe) und den konkreten dienstlichen
Aufgaben.171
Einfachgesetzlich ist diese Pflicht für Bundesbeamte
in § 60 Abs. 1 S. 3 BBG und für Landesbeamte wortlautidentisch
in § 33 Abs. 1 S. 3 BeamtStG positiviert: „Beamtinnen
und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten
zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung
im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren
Erhaltung eintreten.“
aa) Dogmatische Herleitung
BVerfG172 und BVerwG173 betrachten diese besondere
politische Treuepflicht als einen hergebrachten Grundsatz
des Berufsbeamtentums und leiten sie damit unmit-
162 Näher Chr. Picker, RdA 2020, 317, 324.
163 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 324.
164 Siems, DÖV 2014, 338, 339.
165 BVerfGE 31.7.1981 – 2 BvR 321/81, NJW 1981, 2683; BVerwG
22.4.1977 – VII C 17/74, NJW 1977, 1837; BVerwG 28.11.1980 – 2 C
24/78, NJW 1981, 1390; BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989,
1374; VG Berlin 29.10.2012 – VG 80 K 23.12 OL, BeckRS 2012,
60858.
166 Nach Epping, ZBR 1997, 383, 385 – Fn. 34 waren im Jahr 1997 rund
98 % der Professoren Beamte.
167 Soweit landesrechtliche Vorschriften zitiert werden, handelt es
sich um solche des Landes Baden-Württemberg.
168 Grundlegend: BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
Vgl. etwa auch BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 337/08, NJW 2008, 2568.
169 Maunz/Dürig/Badura, 92. EL August 2020, GG Art. 33 Rn. 60
m. w. N. Jüngst dazu Lorse, ZBR 2021, 1 ff.
170 BVerwG 29.10.1981 – 1 D 50/81, NJW 1982, 779; VGH Kassel
7.5.1988 – 24 DH 2498–96, NVwZ 1999, 904.
171 H. M., vgl. aus der umfangreichen Rechtsprechung: BVerfG
22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641; BVerwG 6.2.1975 – II C
68/73, NJW 1975, 1135; BVerwG 27.11.1980 – 2 C 38/79, NJW 1981,
1386; BVerwG 29.10.1981 – 1 D 50/80 (BDiszG), NVwZ 1982,
191; VGH Mannheim 13.3.2007 – 4 S 1805/06, NVwZ-RR 2008,
149; ebenso Stern, Zur Verfassungstreue der Beamten, München
1974, S. 23; zur Praxis: Runderlass des BMI v. 4.2.1993 D I 3–210
152/7; Kathke ZBR 1992, 344. A. A. und für funktionsbezogene
Bestimmung der beamtenrechtlichen Verfassungstreuepflicht:
Brosius-Gersdorf, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, 3. Aufl. (2015),
Art. 33 Rn. 107; Battis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 12, jedenfalls
zweifelnd BeckOK BeamtenR Bund/Schwarz, 20. Ed. 1.10.2020,
BBG § 7 Rn. 14.1.
172 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641; BVerfG 6.5.2008
– 2 BvR 337/08, NJW 2008, 2568.
173 BVerwG 6.2.1975 – II C 68/73, NJW 1975, 1135.
8 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
telbar aus Art. 33 Abs. 5 GG her. Zu diesen hergebrachten
Grundsätzen zählt das BVerfG den „Kernbestand von
Strukturprinzipien […], die allgemein oder doch ganz
überwiegend während eines längeren, traditionsbildenden
Zeitraums, mindestens unter der Reichsverfassung von
Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden
sind“174.
Danach ist sicher die allgemeine Treuepflicht der Beamten
ein tradierter Grundsatz des Berufsbeamtentums.
175 Ob dazu jedoch historisch auch die besondere
positive Verfassungstreuepflicht zählt, ist angesichts der
grundlegenden Staats- und Verfassungsumbrüche in der
deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts zweifelhaft.
176 Sicher kann die personenbezogene Treuepflicht
der Beamten gegenüber dem Führer während der nationalsozialistischen
Schreckensherrschaft177 nicht zur Begründung
einer Verfassungstradition herangezogen werden.
Diese Pflicht war zwar auch eine besondere, aber
eben eine besonders pervertierte. Ob zumindest die
Weimarer Reichsverfassung eine entsprechende Verfassungstradition
begründet hat, ist zweifelhaft178, weil gerade
umstritten war, inwieweit diese Verfassung eine politische
Treuepflicht für die Beamten statuierte. Art. 130
Abs. 2 WRV garantierte den Beamten nämlich auch „die
Freiheit ihrer politischen Gesinnung“, sodass Inhalt und
Grenzen der Treuepflicht umstritten waren.179
Allerdings geht es bei der hier fraglichen politischen
Treuepflicht einzig um die Treue zum Grundgesetz. Ihr
Inhalt und Umfang lassen sich deshalb nicht aus der Genese
zuvor geltender Verfassungen, sondern allein aus
dem Grundgesetz selbst bestimmen.180 Folglich muss
sich eine entsprechende Treuepflicht originär aus und
mit dem Grundgesetz begründen lassen.
Zur Begründung der positiven Verfassungstreuepflicht
von Beamten bemüht das BVerfG weiter das Verfassungsprinzip
der wehrhaften bzw. streitbaren Demokratie.
Dies überzeugt indes nur bedingt, setzt dieses
Prinzip doch gerade eine aktive Verfassungsfeindschaft
voraus181, sodass sich mit ihm lediglich eine negative,
aber gerade keine positive Verfassungstreuepflicht begründen
lässt. Erfasst wären mithin nur solche (seltenen)
Fälle, in denen Beamte aktiv „kämpferisch“ gegen
die freiheitliche demokratische Grundordnung opponieren,
nicht aber die Fälle, in denen Beamte diese nur (passiv)
ablehnen, was etwa anzunehmen ist, wenn diese
bloß Mitglied einer verfassungsfeindlichen Partei oder
Organisation sind.182 Unabhängig davon gilt das Verbot,
sich aggressiv-kämpferisch gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung zu betätigen, für alle Bürger –
und nicht spezifisch nur für Beamte.
Überzeugend lässt sich die Verfassungstreuepflicht
von Beamten mit der Funktion des Berufsbeamtentums
begründen.183 Unser Verfassungsstaat geht mit seiner
Entscheidung für die wehrhafte Demokratie eine Selbstverpflichtung
ein, seine Grundordnung zu schützen und
zu erhalten. Da er aber selbst nicht handlungsfähig ist, ist
er zwingend auf seine Beamten als ihn Repräsentierende
und für ihn Handelnde angewiesen; diesen überträgt er
insbesondere das Recht, (für ihn) hoheitliche Gewalt
und so seine „Kernfunktion“ auszuüben, Art. 33 Abs. 4
GG.184 Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung
verbietet es zwingend, „dass der Staat, dessen verfassungsmäßiges
Funktionieren auch von der freien inneren
Bindung seiner Amtsträger an die geltende Verfassung abhängt,
zur Ausübung von Staatsgewalt Bewerber zulässt
und in (Ehren-)Ämtern, die mit der Ausübung staatlicher
Gewalt verbunden sind, Bürger belässt, die die freiheitliche
demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnen
und bekämpfen“185. Für die Verfassungstreue
beim Zugang zum Beamtenverhältnis bietet entsprechend
Art. 33 Abs. 2 GG einen verfassungsrechtlichen
Anknüpfungspunkt.186
174 Ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerfG 2.12.1958 – 1 BvL
27/55, NJW 1959, 189; BVerfG 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, 2 BvR
1395/13, 2 BvR 1068/14, 2 BvR 646/15, NVwZ 2018, 1121, 1123
m. w. N.
175 BVerfG 19.9.2007 – 2 BvF 3/02, NVwZ 2007, 1396; BVerfG
15.12.1976 – 2 BvR 841/73, NJW 1977, 1189; BVerfG 17.12.1953 –
1 BvR 147/52, NJW 1954, 21; Brosius-Gersdorf in: Dreier (Hrsg.),
GG, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 33 Rn. 186 m. w. N. Ausführlich zur
historischen Entwicklung der beamtenrechtlichen Treuepflicht:
Laubinger, FS Ule, 1977, 89 ff.
176 Im Einzelnen Battis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 10 f.; ebenso
Rudolf, in: Thiel (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 209, 232
f.
177 Näher dazu: Laubinger, FS Ule, 1977, S. 89, 105 ff.; Rudolf, in: Thiel
(Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 209, 215 ff.
178 Battis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 11: „keine tragfähige Grundlage
zur Herleitung der politischen Treuepflicht“; dem zustimmend
Lorse, ZBR 2021, 1, 5; ferner Kortz/Lubig, ZBR 2006, 397, 401.
179 Näher Battis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 11.
180 Vgl. Kortz/Lubig, ZBR 2006, 397, 401.
181 Siehe oben II.2.
182 Richtig Battis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 12.
183 Ebenso Battis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 12; Menger, VerwArch
67 (1976), 105, 106 f.
184 Vgl. Menger, VerwArch 67 (1976), 105, 107.
185 BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 337/08, NJW 2008, 2568, 2569.
186 Darauf stellt maßgeblich Lorse, ZBR 2021, 1, 6 ab. Vgl. zur Verfassungstreue
als Eignungsmerkmal: Maunz/Dürig/Badura, 91.
EL April 2020, GG Art. 33 Rn. 33; BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73,
NJW 1975, 1641.
Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 8 5
bb) Verfassungskonformität
Das BVerfG hält die politische Treuepflicht der Beamten
für verfassungskonform.187 Zwar können sich auch
Beamte auf ihre Grundrechte berufen188, insbesondere
auf das Verbot der Benachteiligung wegen der politischen
Anschauung (Art. 3 Abs. 3 GG), die auch durch
Art. 33 Abs. 3 GG geschützte Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit
(Art. 4 Abs. 1 GG), sowie die Meinungsfreiheit
(Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) und Wissenschaftsfreiheit
(Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG).
Aber sie können ihre Grundrechte wegen der „Garantie
eines für den Staat unentbehrlichen, ihn tragenden,
verläßlichen, die freiheitliche demokratische Grundordnung
bejahenden Beamtenkörpers“ nur verfassungskonform
ausüben.189 Der Grundrechtsschutz darf die politische
Treuepflicht nicht zugunsten von Verfassungsfeinden
relativieren.
(1) Politische Anschauung, Art. 3 Abs. 3 GG
Das BVerfG legt in seiner grundlegenden Entscheidung
aus dem Jahr 1975 das Merkmal der „politischen
Anschauung“ äußerst restriktiv aus: Art. 3 Abs. 3 GG soll
nur das „Haben“, nicht aber das Äußern und Betätigen
einer politischen Überzeugung schützen.190 Denn die
Betätigung der politischen Gesinnung sei „eindeutig“
durch besondere Grundrechte geschützt. Weiter gelte
das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG nicht
„absolut“.191 Verboten sei nur die gezielte Benachteiligung
(oder Bevorzugung) wegen der politischen Einstellung,
nicht aber ein Nachteil, der die Folge einer ganz
anders intendierten Regelung ist. Schließlich müsse
Art. 3 Abs. 3 GG „aus dem Kontext der Verfassung“ heraus
ausgelegt werden; diese konstituiere eine „wehrhafte
Demokratie“, die über Art. 3 Abs. 3 GG nicht ihren Feinden
ausgeliefert werden dürfe.
Die beiden erstgenannten Argumente des BVerfG
überzeugen nicht: Wollte man den Schutzbereich des
Art. 3 Abs. 3 GG auf das bloße Haben einer politischen
Überzeugung beschränken, so wäre die Norm weitestgehend
sinnlos. Abgesehen davon, dass sich innere (politische)
Einstellungen von Menschen kaum rechtssicher
feststellen lassen, kann das bloße „Haben“ einer Überzeugung
in einem freiheitlichen Rechtsstaat niemals verboten
sein; vielmehr sind die Gedanken hier umfassend
„frei“192. Daher muss gerade auch die Manifestation von
politischen Anschauungen nach außen – entgegen der
Ansicht des BVerfG193 – von Art. 3 Abs. 3 GG geschützt
sein.194 Der Verweis, dass die politische Betätigung nur
von den besonderen Grundrechten geschützt sei, schafft
ein – systematisch nicht begründbares und grundrechtsdogmatisch
verfehltes – Spezialitätsverhältnis zwischen
Art. 3 Abs. 3 GG und den (vermeintlich besonderen)
Grundrechten.195 Vielmehr ist Telos des Art. 3 Abs. 3
GG, Diskriminierungen wegen der politischen Anschauung
zu verbieten – was inzwischen auch das BVerfG anerkennt196.
Und da die Ablehnung eines Bewerbers bzw.
die Entlassung eines Beamten gerade wegen dessen (extremer)
politischer Anschauung erfolgt, ist Art. 3 Abs. 3
GG hier einschlägig.197
Freilich ist diese Ungleichbehandlung von Extremisten
wegen Art. 33 Abs. 5 GG grundsätzlich gerechtfertigt.
198 Art. 3 Abs. 3 GG muss nämlich (wie jede andere
Verfassungsnorm auch) im Kontext der Verfassung ausgelegt
werden; und ein „Staat, der sich nicht selbst aufgeben
will, […] muß sicherstellen, daß in den Beamtenapparat
nicht Verfassungsfeinde eindringen.“199 Denn der
Staat ist nur dauerhaft funktionstüchtig und seinen Bürgern
gegenüber nach außen glaubwürdig, wenn er zumindest
in seinem hoheitlichen Kernbereich von Amtsträgern
repräsentiert wird, die jederzeit vorbehaltlos für
ihn eintreten. Die Benachteiligung ist auch verhältnismäßig,
da Extremisten (fast) jeden Beruf außerhalb der
Beamtenschaft ergreifen können.200
187 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
188 Insbesondere setzt die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis
die Geltung der Grundsätze nicht außer Kraft, vgl. BVerfG
14.3.1972 – 2 BvR 41/71, NJW 1972, 811; vgl. auch Battis, BBG, 5.
Aufl. 2017, § 4 Rn. 23 f.
189 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1647.
190 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1648. Dem
folgend BAG 12.3.1986 – 7 AZR 20/83, NJW 1987, 1100, 1101 und
BVerwG 7.7.2004 – 6 C 17/03, NJW 2005, 85, 88.
191 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
192 Volkmann, NJW 2010, 417, 419.
193 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641; relativierend
BVerfG 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, NJW 2010, 47.
194 So auch Stern/Becker, GG, 3. Aufl. 2019, Art. 3 Rn. 84;
ErfK/Schmidt, 21. Aufl. 2021, GG Art. 3 Rn. 74; s. ferner Sondervotum
Simon, BVerfG 8.3.1983, 1 BvR 1078/80, BVerfGE 63, 266, 304.
Inzwischen wohl auch BVerfG 14.1.2020 – 2 BvR 1333/17, NJW
2020, 1049, 1056 Rn. 116.
195 Vgl. Maunz/Dürig/Langenfeld, 91. EL April 2020, GG Art. 3
Abs. 3 Rn. 19; Stern/Becker, GG, 3. Aufl. 2019, Art. 3 Rn. 162.
196 BVerfG 28.1.1992 – 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83, 1 BvL 10/91, NJW
1992, 964, 965.
197 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 325.
198 Ebenso Maunz/Dürig/Langenfeld, 91. EL April 2020, GG Art. 3
Abs. 3 Rn. 70.
199 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1648.
200 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 325.
8 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
(2) Parteienprivileg, Art. 21 Abs. 2, 4 GG
Nach Ansicht des BVerfG201 hindert auch das Parteienprivileg
nach Art. 21 Abs. 2, 4 GG den öffentlichen
Dienstherrn nicht, die Mitgliedschaft in einer politischen
Partei, die er für verfassungsfeindlich hält, vom
BVerfG aber nicht für verfassungswidrig erklärt wurde,
als Einstellungshindernis oder Dienstvergehen zu werten.
202 Vor bloß faktischen Nachteilen, die einer betroffenen
Partei dadurch entstehen, schütze Art. 21 Abs. 2, 4
GG nicht. Es sei funktional zu differenzieren: Während
Art. 21 GG die freie politische Betätigung des Bürgers
schütze, liege „die ratio des verfassungsrechtlichen Grundsatzes,
daß dem Beamten gegenüber dem freiheitlichen
demokratischen Staat, zu dem er in ein besonders enges
Verhältnis getreten ist, eine politische Treuepflicht obliegt,
in einem anderen rechtlichen Zusammenhang“203.
Diese Argumentation überzeugt ebenfalls nur im Ergebnis,
nicht aber in der Begründung. Nach ganz h. M.
darf der Staat die politischen Ziele einer Partei auch
ohne konstitutive Verbotsentscheidung des BVerfG als
verfassungsfeindlich bezeichnen und die Mitgliedschaft
in einer solchen Partei als wesentliches Indiz dafür heranziehen,
dass die erforderliche Verfassungstreue
fehlt.204 Zwar ist dadurch – entgegen der Ansicht des
BVerfG205 und BVerwG206 – der Schutzbereich des
Art. 21 Abs. 2, 4 GG sehr wohl berührt, wonach der Staat
eine nicht vom BVerfG verbotene Partei (und insbesondere
deren Funktionäre, Mitglieder und Anhänger)
nicht in ihrer politischen Tätigkeit stören oder behindern
darf.207 In den Schutzbereich ist auch eingegriffen,
weil Art. 21 GG entweder – entgegen der h. M.208 – auch
vor faktischen Nachteilen schützt209 oder ein rechtlicher
Nachteil anzunehmen ist, wenn der Staat Bewerber wegen
ihrer Parteimitgliedschaft ablehnt bzw. Beamte deshalb
entlässt.210 Denn die Parteimitgliedschaft ist hier
wesentliches Indiz für die Beurteilung der Verfassungstreue,
sodass der Bewerber/Beamte gerade auch „wegen
seiner Zugehörigkeit“ zu dieser und nicht nur wegen seines
Gesamtverhaltens benachteiligt wird.211 Ferner
„existieren“ Parteien nur mit und durch ihr personales
Substrat. Sie sind existentiell auf ihre Funktionäre wie
Mitglieder angewiesen, sodass sie erheblich in ihrer Betätigungsfreiheit
beeinträchtigt werden, wenn Personen
ihnen nur deshalb fernbleiben, weil ihnen wegen der
Mitgliedschaft Berufe verwehrt sind.212
Aber auch hier gilt: Zumindest in seinem Kernbereich
ist der Staat auf verfassungstreue Beamte zwingend angewiesen,
weshalb die verfassungsrechtlich geschützte
Betätigungsfreiheit der Parteien und deren Mitglieder
und Funktionäre diese unverzichtbare Prüfung der Verfassungstreue
nicht konterkarieren darf. Denn der Staat
bedarf „in seiner freiheitlichen demokratischen Verfaßtheit
[…], wenn er sich nicht selbst in Frage stellen will, eines
Beamtenkörpers, der für ihn und die geltende verfassungsmäßige
Ordnung eintritt, in Krisen und Loyalitätskonflikten
ihn verteidigt, indem er die ihm übertragenen
Aufgaben getreu in Einklang mit dem Geist der Verfassung,
mit den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen
und Geboten und den geltenden Gesetzen erfüllt.“213 Und
der Eingriff in deren Betätigungsfreiheit ist insofern erträglich,
als nur einem verhältnismäßig kleinen Teil der
Bürger, den Beamten, verwehrt wird, sich für sie zu betätigen.
Folglich geht Art. 33 Abs. 5 GG dem Parteienprivileg
nach Art. 21 Abs. 2, 4 GG als verfassungsimmanente
Schranke vor.214
Die Parteimitgliedschaft ist freilich immer nur ein Indiz
und befreit den Staat nicht davon, die Verfassungs-
201 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
202 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
203 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1645.
204 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1644; BVerwG
29.10.1981 – 1 D 50/81, NJW 1982, 779; BVerwG 7.7.2004 – 6 C
17/03, NJW 2005, 85, 87; BAG 31.3.1976 – 5 AZR 104/74, NJW
1976, 1708, 1709; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Bd. 2, - Aufl. 2018, GG Art. 21 Rn. 219.
205 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
206 BVerwG 7.7.2004 – 6 C 17/03, NJW 2005, 85, 87; BVerwG
29.10.1981 – 1 D 50/81, NJW 1982, 779. Nach Ansicht des BAG
31.3.1976 – 5 AZR 104/74, NJW 1976, 1708, 1710 ist das Parteienprivileg
nur in seiner „Randzone berührt“.
207 Ebenso Menger, VerwArch 67 (1976), 105, 109; Kortz/Lubig, ZBR
2006, 397, 400; dies., ZBR 2006, 412 ff.; a.A. Lindner, ZBR 2006,
402, 410 ff.
208 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641; BVerfG 29.10.1975
– 2 BvE 1/75, JZ 1976, 63; BVerfG 25.3.1981 – 2 BvE 1/79, NJW 1981,
1359; BVerwG 6.2.1975 – II C 68.73, NJW 1975, 1135.
209 So Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, GG
Art. 21 Rn. 218 ff. m. w. N. Siehe ferner Menger, VerwArch 67
(1976), 105, 108 f.; Kortz/Lubig, ZBR 2006, 397, 400; dies., ZBR
2006, 412, 413.
210 So bereits Sondervotum Rupp zu BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73,
NJW 1975, 1641, 1650: „Was anderes aber als ein […] rechtliches
Geltendmachen der Verfassungswidrigkeit ist es, wenn die Einstellungsbehörde
die Zugehörigkeit des Bewerbers zu einer nicht
verbotenen Partei zu seinem Nachteil wertet?“; Rudolf, in: Thiel
(Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 209, 234 ff.; Dreier, in:
GS Klein, 1977, S. 86, 82.
211 A. A. freilich das BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641,
1645: „Es geht nicht darum, daß der Beamte wegen seiner Zugehörigkeit
zu einer politischen Partei benachteiligt wird.“
212 Kortz/Lubig, ZBR 2006, 397, 400; Maurer, NJW 1972, 601, 603.
213 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1645.
214 BeckOK GG/Kluth, 44. Ed. 15.8.2020, Art. 21 Rn. 184.
Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 8 7
treue des Bewerbers oder Beamten umfassend zu prüfen.
215 Denn es kommt allein auf dessen Verfassungstreue
an – und nicht auf die der Partei.216 Und aus der
Verfassungsfeindlichkeit des Kollektivs kann und darf
nicht automatisch auf die fehlende Verfassungstreue des
Individuums geschlossen werden; es gibt insofern keinen
„Kollektivzurechnungsverdacht“217. Entsprechend
muss der Dienstherr personenbezogen weitere Umstände
darlegen und beweisen, wonach dem Individuum
selbst die Verfassungstreue fehlt – und umgekehrt nicht
der Beschäftigte den durch seine Parteimitgliedschaft
begründeten Verdacht der fehlenden Verfassungstreue
entkräften.218
(3) Wissenschaftsfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG
Zentral für unser Thema ist die Frage, ob und inwiefern
die positive Verfassungstreuepflicht für Beamte an
Hochschulen mit der Wissenschaftsfreiheit vereinbar ist.
Weder der persönliche noch der sachliche Schutzbereich
der Wissenschaftsfreiheit ist zwar institutionell auf
Universitäten und andere Hochschulen beschränkt; vielmehr
schützt die Wissenschaftsfreiheit jeden, der wissenschaftlich
tätig ist.219 Aber ihr Schutzbereich ist an
Hochschulen typischerweise eröffnet – persönlich besonders
für Universitätsprofessoren als „Inhaber der
Schlüsselfunktionen des wissenschaftlichen Lebens“220,
nach Ansicht des BVerfG aber auch für
Fachhochschulprofessoren221.
Die Treuepflicht eines verbeamteten Wissenschaftlers
konfligiert dann nicht mit der Wissenschaftsfreiheit,
wenn deren (sachlicher) Schutzbereich nicht eröffnet ist.
Nach der oben erwähnten Definition des BVerfG ist
Wissenschaft „alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter
planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit
anzusehen ist.“222
Insbesondere bei politischen Äußerungen eines Wissenschaftlers
ist daher zu differenzieren, ob diese (schon
oder noch) unter den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit
oder (nur) der Meinungsfreiheit fallen.223 Ein
erstes Indiz ist die äußere Form der Äußerung – vor allem
wo und wie diese getätigt wird. Veröffentlicht etwa
ein Universitätsprofessor Beiträge auf seinem privaten
Social-Media-Account, so spricht dies prima facie dafür,
dass dieser (nur) seine persönliche Meinung wiedergibt.
Anderes ist bei fachlichen Stellungnahmen auf der Internetseite
seines Lehrstuhls anzunehmen. Ein weiteres Indiz
dafür, dass die fragliche Äußerung eines Wissenschaftlers
eine wissenschaftliche ist, ist, dass diese sein
Fachgebiet betrifft.224 Äußert sich ein Wissenschaftler zu
(politischen) Themen außerhalb seines Fachgebietes,
fehlt es hingegen regelmäßig an methodisch-disziplinärer
Argumentation und damit an einem konstitutiven
Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs.225 Solche öffentlich
geäußerten Ansichten sind keine Wissenschaft, sondern
allgemeine Meinungsäußerungen im politischen
Diskurs.226 Sie unterfallen auch nicht der Lehrfreiheit227,
sondern nur der Meinungsfreiheit228. Danach ist die
Wissenschaftsfreiheit in vielen der öffentlich diskutierten
Fällen, in denen sich Wissenschaftler zu politischen
Themen geäußert haben, überhaupt nicht betroffen, sondern
nur deren Meinungsfreiheit.229
Die Wissenschaftsfreiheit ist auch dann nicht einschlägig,
wenn der Anspruch von Wissenschaftlichkeit
systematisch verfehlt wird230: „Das ist insbesondere dann
der Fall, wenn die Aktivitäten des betroffenen Hochschullehrers
nicht auf Wahrheitserkenntnis gerichtet sind, sondern
vorgefaßten Meinungen oder Ergebnissen lediglich
den Anschein wissenschaftlicher Gewinnung und Nachweislichkeit
verleihen“231. Denn dann ist Ziel der Äußerung
nicht der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn, son-
215 BAG 31.3.1976 – 5 AZR 104/74, NJW 1976, 1708, 1710; Siegel/
Hartwig, NVwZ 2017, 590, 597. Eine solche Einzelfallprüfung sah
auch der viel kritisierte „Radikalenerlass“ von 1972 vor. Näher
dazu: v. Münch, NJW 2001, 728, 729.
216 Mauer, NJW 1972, 601, 604. Insoweit trägt auch der Einwand
von Rupp zu BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1651
nicht, dass „jeder Dienstherr — möglicherweise, wie die Praxis
zeigt, auch noch von Land zu Land verschieden — nach seinem
Ermessen bis zur Grenze der Willkür in jedem einzelnen Fall inzidenter
darüber entscheidet, ob eine politische Partei nach ihren
Zielen darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung
zu beeinträchtigen oder zu beseitigen.“
217 Rieble, RdA 2012, 241, 242.
218 Für die Mitgliedschaft in der DKP: BAG 28.9.1989 – 2 AZR
317/86, NJW 1990, 1196. Für die Mitgliedschaft in der NPD: BAG
12.5.2011 – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43.
219 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176.
220 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176, 1180.
221 BVerfG 13.4.2010 – 1 BvR 216/07, NVwZ 2010, 1285.
222 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 424/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176.
223 Siehe oben III.1.c). Vgl. auch BVerwG 22.4.1977 – VII C 17/74,
NJW 1977, 1837.
224 Gärditz, WissR 51 (2018), 5, 31; v. Coelln, WissR 52 (2019), 3, 13.
Vgl. auch BVerwG 22.4.1977 – VII C 17/74, NJW 1977, 1837: „Nicht
das Lehren wissenschaftlicher Theorie, sondern die praktische
politische Betätigung steht dabei zur Debatte“. Diese „praktische
politische Betätigung fällt nicht unter Art. 5 III GG“.
225 Gärditz, WissR 51 (2018), 5, 31.
226 Vgl. Gärditz, WissR 51 (2018), 5, 31.
227 Stern/Becker, GG, 3. Aufl. 2019, Art. 5 Rn. 281; Thieme, Hochschulrecht, - Aufl. 2014, Rn. 119.
228 v. Coelln, WissR 52 (2019), 3, 6.
229 Siehe IV.2.a)bb)[4].
230 BVerfG 11.1.1994 – 1 BvR 434/87, NJW 1994, 1781, 1782.
231 BVerwG 11.12.1996 – 6 C 5/95, NJW 1997, 1996, 1997.
8 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
dern die Durchsetzung politischer Ziele.232 Deren Motiv
ist mithin nicht das wissenschaftliche Streben nach
Wahrheit, sondern die Teilnahme am politischen
Meinungskampf.233
Außerhalb von Forschung und Lehre steht Art. 5
Abs. 3 S. 1 GG daher – neben anderen beamtenrechtlichen
Pflichten – der positiven Verfassungstreuepflicht
von Beamten an Universitäten und anderen Hochschulen
nicht entgegen. Denn insoweit entspricht die grundrechtliche
Stellung deren der übrigen Beamten.234 Das
BVerfG urteilte daher zutreffend, dass die Entlassung eines
Hochschullehrers, der hochrangiger Funktionär und
Landtagsabgeordneter der NPD war und damit gegen
seine politische Treuepflicht verstoßen hatte, „nicht in
Widerspruch mit der in Art. 5 III 1 GG garantierten Freiheit
der Wissenschaft, Forschung und Lehre [steht]; denn
die Wissenschaftsfreiheit, die selbst unter dem ausdrücklichen
Vorbehalt der Verfassungstreue steht (Art. 5 III 2
GG), entbindet den Hochschullehrer nicht von der durch
Art. 33 V GG von allen Beamten geforderten politischen
Treuepflicht.“235
Ist der Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit allerdings
eröffnet, so genießt der Wissenschaftler beim Auffinden
von wissenschaftlichen Erkenntnissen, deren
Deutung und Weitergabe umfassende Freiheit.236 Art. 5
Abs. 3 S. 1 GG schützt ihn hier auch, wenn er politische
Überzeugungen äußert, sofern diese mit seiner wissenschaftlichen
Aussage untrennbar verbunden sind.237
Richtigerweise ging daher 1988 auch das VG Berlin238
davon aus, dass ein „Wissenschaftler-Interview“ vom
Schutz des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG umfasst ist. Dort gab ein
verbeamteter Fachhochschulprofessor, der in Personalunion
Privatdozent an einer Universität war, ein Interview
zu rechtspolitisch umstrittenen Sicherheitsgesetzen.
Nachdem sich dieser Professor im Interview dahingehend
geäußert hatte, dass man sich gegen ein „Abdriften
der Bundesrepublik Deutschland in den totalitären
Polizei- und Überwachungsstaat notfalls auch mit der
Knarre wehren“ könne, wurde gegen ihn ein Disziplinarverfahren
eingeleitet. Seine Äußerung unterfiel als wissenschaftliche
dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1
GG, da sich das Thema des Interviews auf seine wissenschaftliche
Arbeit bezog, er in seiner Funktion als Wissenschaftler
befragt wurde und sich als solcher geäußert
hatte. Dass seine Äußerungen politisch scharf, überspitzt
und provozierend waren, erachtete das VG Berlin zurecht
als unschädlich: Auch „engagierte“ Wissenschaft
ist frei.239
Innerhalb von Forschung und Lehre kann Art. 33
Abs. 5 GG als verfassungsimmanente Schranke die Wissenschaftsfreiheit
einschränken, sodass die politische
Treuepflicht grundsätzlich auch für verbeamtetes Hochschulpersonal
gilt.240 Freilich ist zu unterscheiden: Im
Bereich der Lehrfreiheit modifiziert Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG
die allgemeine beamtenrechtliche Verfassungstreuepflicht.
Die Norm geht Art. 33 Abs. 5 GG als lex specialis
vor und konkretisiert insoweit die politische Treuepflicht.
241 Verboten ist danach (lediglich) die Zweckentfremdung
der Lehre (bildlich gesprochen: des Hörsaals)
zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung242 – und damit regelmäßig ein Verhalten,
das schon nicht unter ihren Schutzbereich fällt.243
Von der Lehrfreiheit geschützt bleibt aber wissenschaftliche
Kritik an der Verfassung.244 Da der Umfang der
nach Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG geschuldeten Treuepflicht wesentlich
hinter der allgemeinen beamtenrechtlichen
Treuepflicht zurückbleibt245, privilegiert sie Hochschullehrer
gezielt im Funktionsbereich der Lehre. Beamtenrechtliche
Sanktionen, die unmittelbar an (vermeintlich)
verfassungsfeindliche Lehre anknüpfen, können erst
dann ergriffen werden, wenn die Grenze des Art. 5 Abs. 3
S. 2 GG überschritten ist.246
Zudem verdrängt die Wissenschaftsfreiheit Art. 33
Abs. 5 GG, soweit spezifisch wissenschaftliche Tätigkeiten
von verbeamtetem Hochschulpersonal betroffen
sind247, insbesondere von Hochschullehrern.248 Inhalte
wissenschaftlicher Tätigkeit können danach keinen Verstoß
gegen die beamtenrechtliche Verfassungstreue-
232 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3 Rn. 72.
233 Thieme, Hochschulrecht, 3. Aufl. 2014, Rn. 115.
234 Vgl. Voigt, GS Jellinek, 1955, S. 259, 263.
235 BVerfG 31.7.1981 – 2 BvR 321/81, NJW 1981, 2683, 2684.
236 BVerfG 29.5.1973 – 1 BvR 427/71 u. 325/72, NJW 1973, 1176.
237 Entsprechend zur Wissenschaftsfreiheit: BVerfG 17.7.1984 – 1 BvR
816/62, NJW 1985, 261 (262). Was für die Kunstfreiheit gilt, muss
für die verfassungsrechtlich nebeneinandergestellte Wissenschaftsfreiheit
gelten, vgl. BVerwG 7.12.1966 – V C 47/64, NJW
1967, 1483, 1486.
238 VG Berlin 16.9.1988 – VG Disz. 12/88, NJW 1989, 1688.
239 So ausdrücklich VG Berlin 16.9.1988 – VG Disz. 12/88, NJW 1989,
1688, 1689.
240 BVerfG 31.7.1981 – 2 BvR 321/81, NJW 1981, 2683, 2684; BVerwG
25.2.1971 – II C 11/70, NJW 1971, 1229; Maunz/Dürig/Gärditz, 91.
EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3 Rn. 176.
241 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3
Rn. 177, 189.
242 Siehe oben III.2.c).
243 Gärditz, WissR 51 (2018), 5, 32.
244 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3
Rn. 190 f.; Gärditz, WissR 51 (2018), 5, 36.
245 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3
Rn. 177, 189; ders., WissR 51 (2018), 5, 36.
246 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3
Rn. 177.
247 Gärditz, WissR 51 (2018), 5, 36.
248 BAG 20.2.1975 – 2 AZR 534/73, DöD 1975, 213; Maunz/Dürig/Gärditz, - EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3 Rn. 176.
Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 8 9
pflicht begründen. Anderenfalls könnten nämlich unangenehme
oder unerwünschte wissenschaftliche Inhalte
durch Disziplinarmaßnahmen gezielt „ausgeschaltet“
werden. Freie Wissenschaft lebt aber von „trial and error“
und zahllose „Lehrsätze, die gestern als wissenschaftlich
galten, sind heute als Irrtum erwiesen.“249 Das VG
Berlin erkannte daher schon damals zutreffend: „Es wäre
für die Freiheit der Wissenschaft verhängnisvoll, wenn
wissenschaftliche Überzeugungen von Hochschullehrern
in Disziplinarverfahren durch die Disziplinargerichte vom
Richtertisch aus für richtig oder falsch erklärt werden
könnten.“250
Entsprechend unterliegen Hochschullehrer bei ihrer
Forschung keiner beamtenrechtlichen Mäßigungspflicht
(§ 60 Abs. 2 BBG, § 33 Abs. 2 BeamtStG).251 Auch hier
erkannte das VG Berlin klar: „Eine gemäßigte Wissenschaft
könnte allzuleicht in eine mäßige Wissenschaft umschlagen.
Es gehört zur Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft,
die unteilbare Wahrheit kompromißlos — ohne
Rücksicht auf gesellschaftliche oder politische Akzeptanz -
zu erforschen und unverfälscht auszusprechen.“252 Und
daher war im Fall des VG Berlin auch disziplinarrechtlich
kein Dienstvergehen anzunehmen.
(4) Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 GG
Politische Meinungsäußerungen von Beamten sind
durch die allgemeine Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1
S. 1 GG geschützt. Wie oben dargelegt253, geht das
BVerfG von einem weiten und inhaltsoffenen Schutzbereich
der Meinungsfreiheit aus, sodass selbst verfassungsfeindliche
Meinungen unter ihn fallen.254 Allerdings
kann die Meinungsfreiheit der Beamten verfassungsrechtlich
zulässig durch Disziplinarmaßnahmen
beschränkt werden255: Keine Schranke der Meinungsfreiheit
ist nach Wortlaut und Systematik zwar Art. 5
Abs. 3 S. 2 GG.256 Aber die Regelungen des Beamtenund
Disziplinarrechts (zur Verfassungstreue) sind allgemeine
Gesetze im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG, die die
Meinungsfreiheit einschränken können.257 Sie sind wiederum
im Lichte von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG auszulegen.258
Zudem müssen die Disziplinarmaßnahmen im Einzelfall
verhältnismäßig sein.
Immer schon sind politische Äußerungen von Hochschullehrern
Gegenstand erregter öffentlicher Diskussion:
So kommentierte ein renommierter Juraprofessor an
der Universität Leipzig, der sich schon zuvor mit der islamfeindlichen
Pegida-Bewegung solidarisch gezeigt
hatte, einen Aufmarsch polnischer Rechtsextremer auf
seinem privaten Twitter-Account 2017 mit: „Polen: ‚Ein
weißes Europa brüderlicher Nationen.‘ Für mich ist das
ein wunderbares Ziel“259. Am folgenden Tag twitterte er
erneut privat: „Wir schulden den Afrikanern und Arabern
nichts. Sie haben ihre Kontinente durch Korruption,
Schlendrian, ungehemmte Vermehrung und Stammesund
Religionskriege zerstört und nehmen uns nun weg,
was wir mit Fleiß aufgebaut haben.“
Wir halten diese Aussagen zwar für rechtsextrem
und rassistisch, weil hier Menschen nicht nur biologistisch
als „schwarz“ und „weiß“, „Afrikaner“ und „Araber“
typisiert und klassifiziert werden, sondern weil
hiermit vor allem auch eine Überlegenheit der weißen
(europäischen) Rasse insinuiert wird. Auch ist das Bekenntnis
zum Ethnopluralismus als zentrales (hier:
„wunderbares“) Ziel rechtsextremistisch, weil es – im
Sinne der vom BfV als „gesichert rechtsextremistisch“
eingestuften260 Identitären Bewegung – den Erhalt der
ethnischen „Reinheit“ propagiert.
Dennoch sind diese Äußerungen grundrechtlich geschützt:
Sie sind zwar sicher nicht von der Wissenschaftsfreiheit
erfasst, da sie nicht nur erkennbar privat,
sondern vor allem weder wissenschaftlich fundiert noch
fachkundig sind. Es ist mithin keine spezifisch wissenschaftliche
Tätigkeit des Hochschullehrers betroffen, sodass
dieser hier seiner – auch außerdienstlich geltenden
– politischen Treuepflicht und Mäßigungspflicht als Beamter
unterliegt. Allerdings sind die fraglichen Äußerungen
von der Meinungsfreiheit geschützt, da nach Ansicht
des BVerfG auch extremistische Äußerungen unter
ihren Schutzbereich fallen.261 Die einschränkenden Regelungen
des Beamten- und Disziplinarrechts rechtferti-
249 VG Berlin 16.9.1988 – VG Disz. 12/88, NJW 1989, 1688.
250 VG Berlin 16.9.1988 – VG Disz. 12/88, NJW 1989, 1688.
251 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3
Rn. 179; ders., WissR 51 (2018), 5, 39 f.
252 VG Berlin 16.9.1988 – VG Disz. 12/8, NJW 1989, 1688, 1690.
253 Siehe oben III.1.a).
254 BVerfG 28.11.2011 – 1 BvR 917/09, NJW 2012, 1273.
255 BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 337/08, NJW 2008, 2568.
256 Maunz/Dürig/Gärditz, 91. EL April 2020, GG Art. 5 Abs. 3
Rn. 189.
257 BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 337/08, NZA 2008, 962, BVerfG
22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1647;
BeckOK GG/Schemmer, 45. Ed. 15.11.2020, Art. 5 Rn. 136.
258 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1647.
259 Vgl. etwa https://www.zeit.de/2017/49/leipziger-jura-professortwitter-
rassismus-protest (31.1.2021).
260 Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-rechtsextremismus/
zahlen-und-fakten-rechtsextremismus/identitaerebewegung-
deutschland-2019 (31.1.2021); zur Rechtmäßigkeit: VG
Berlin 12.11.2020 – 1 K 606.17, BeckRS 2020, 34341.
261 BVerfG 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, NJW 2010, 47, 48 f.; dem beipflichtend:
Maunz/Dürig/Grabenwarter, 92. EL August 2020, GG
Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 68, 73.
9 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
gen als allgemeine Gesetze im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG
Eingriffe in die Meinungsfreiheit und gelten auch für
Meinungsäußerungen über elektronische
Kommunikationsmedien.262
Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die hier fraglichen
Äußerungen außerhalb des Dienstes und erkennbar
privat getätigt wurden und die Meinungsfreiheit deshalb
weiter reicht – der Beamte ist insoweit nicht Teil des
Staates, sondern Bürger.263 Und die absolute Abwägungsgrenze
der Menschenwürde264 ist hier nicht erreicht,
da Äußerungen nach der „meinungsfreundlichen“
Rechtsprechung des BVerfG265 unter Berücksichtigung
des (politischen) Kontexts und sonstigen Umständen
grundrechtsschonend auszulegen sind. Der
twitternde Juraprofessor fühlte sich denn auch „falsch
verstanden“; der Terminus „weißes Europa“ sei für ihn
nur „eine verständliche Chiffre für die durch Christentum,
europäische Kultur und Tradition und, ja, auch dies, Menschen
weißer Hautfarbe geprägte europäische Identität“.
266 Seine Äußerungen lassen sich auch (noch) so
auslegen: Kulturbezogen und nicht biologistisch. Damit
gilt für sie die Vermutung zugunsten der freien Rede267.
Folglich sind seine Äußerungen insgesamt von der Meinungsfreiheit
gedeckt – wovon offenbar auch das sächsische
Wissenschaftsministerium ausgegangen ist, welches
von (disziplinar-)rechtlichen Maßnahmen abgesehen
hat.
Ein weiterer, schon oben kurz angesprochener, aktueller
Fall ist dieser: Ein wissenschaftlich angesehener
Professor der Volkswirtschaftslehre an der Gottfried
Wilhelm Leibniz Universität Hannover leugnet öffentlich
die Gefährlichkeit von Covid-19, bezeichnet die
staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-
Pandemie als totalitär und vergleicht sie mit der nationalsozialistischen
Machtergreifung („Das hier ist
1933“).268
Zwar ist es nicht nur grotesk, sondern dumm und gefährlich,
wenn man vorübergehende und pandemiebedingte
Restriktionen in der freiheitlichen BRD mit den
totalitären Maßnahmen der nationalsozialistischen
Machtergreifung gleichsetzt und so das Unrecht der NSDiktatur
relativiert. Gleichwohl sind solche Vergleiche
nicht extremistisch und als Werturteile (und damit als
Meinungen und nicht etwa unwahre Tatsachenbehauptungen)
von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt. Unabhängig
davon dürfte die „Entschuldigung“ des fraglichen Hochschullehrers
nicht zu widerlegen sein, er habe „niemals
Parallelen zur nationalsozialistischen Diktatur gezogen“,
sondern sich auf „Gefahren wie in der Spätphase der
Weimarer Republik“269 bezogen. Somit konnten auch
hier von Senat, Präsidium und Hochschulrat der Leibniz
Universität Hannover keine (disziplinar-)rechtlichen
Maßnahmen ergriffen werden.270
cc) Völker- und europarechtliche Konformität
Beschäftigungsverhältnisse werden zunehmend durch
internationales und europäisches Recht überlagert,
sodass sich die Frage stellt, ob die aktive Verfassungstreuepflicht
von Beamten völker- und europarechtskonform
ist. Nicht nachgegangen wird der Vereinbarkeit mit
dem ILO-Übereinkommen Nr. 111 über Diskriminierung
in Beschäftigung und Beruf.271
(1) Meinungsfreiheit, Art. 10, 14 EMRK
Anders als private Arbeitgeber ist der Staat unmittelbar
an die Vorgaben der EMRK gebunden; die Angehörigen
des öffentlichen Diensts können sich darauf auch persönlich
berufen.272 Art. 10 Abs. 1 EMRK schützt das
Recht auf freie Meinungsäußerung. Den Begriff der Meinung
legt der EGMR – ähnlich wie das BVerfG – weit aus
und schränkt diesen weder aufgrund des Inhalts der
Äußerung noch aufgrund deren Modalitäten ein.273
Gleichwohl verneinte der EGMR 1986 in zwei Entscheidungen
einen Eingriff in Art. 10 Abs. 1 EMRK: In
seiner Glasenapp-Entscheidung274 meinte er, dass die
Entlassung einer Gymnasiallehrerin als Beamtin auf
262 Maunz/Dürig/Grabenwarter, 92. EL August 2020, GG Art. 5
Abs. 1, Abs. 2 Rn. 155.
263 Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 5 Rn. 98; BeckOK
GG/Schemmer, 45. Ed. 15.11.2020, Art. 5 Rn. 142.
264 Maunz/Dürig/Grabenwarter, 92. EL August 2020, GG Art. 5
Abs. 1, Abs. 2 Rn. 158.
265 Ständige Rspr., BVerfG 24.1.2018 – 1 BvR 2465/13, NJW 2018,
770, 771; BVerfG 28.3.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001;
BVerfG 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92 u.
1 BvR 221/92, NJW 1995, 3303.
266 Zitiert nach https://www.zeit.de/2017/49/leipziger-jura-professortwitter-
rassismus-protest/ (31.1.2021).
267 Ständige Rechtsprechung seit BVerfG 15.1.1958 – 1 BvR 400/57,
NJW 1958, 257 – Lüth, vgl. Maunz/Dürig/Grabenwarter, 90. EL
Februar 2020, GG Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 52.
268 Vgl. etwa https://www.spiegel.de/start/stefan-homburg-studierende-
in-hannover-wehren-sich-gegen-corona-aeusserungen-a-
1a536f1b-2182–45d8-ae96-55684c00f844 (31.1.2021); https://www.
sueddeutsche.de/wirtschaft/professor-homburg-leibniz-universitaet-
hannover-corona‑1.4917681 (31.1.2021).
269 https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/professor-homburgleibniz-
universitaet-hannover-corona‑1.4917681 (31.1.2021).
270 Vgl. https://www.uni-hannover.de/de/universitaet/aktuelles/
online-aktuell/details/news/gemeinsame-stellungnahme-dessenates-
des-praesidiums-und-des-hochschulrates-der-gottfriedwilhelm-
le/ (31.1.2021).
271 BGBl. II 1962, 97 ff. Ausführlich zu dieser Frage: Rudolf, in: Thiel
(Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 209, 239 ff.
272 EuArbRK/Schubert, 3. Aufl. 2020, EMRK Art. 10 Rn. 4 m. w. N.
273 Vgl. EuArbRK/Schubert, 3. Aufl. 2020, EMRK Art. 10 Rn. 6.
274 EGMR 28.8.1986 – 4/1984/76/120 – Glasenapp, NJW 1986, 3005.
Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 9 1
Probe wegen ihrer politischen Aktivitäten für die DKP
nicht deren nach Art. 10 Abs. 1 EMRK geschützte Meinungsfreiheit
berühre, sondern lediglich den von der
Konvention nicht geschützten Zugang zum öffentlichen
Dienst betreffe. Entsprechend urteilte der EGMR in seiner
Kosiek-Entscheidung275: Dort war ein Fachhochschuldozent
für Mathematik trotz achtjähriger Tätigkeit
für die NPD zunächst zum Beamten auf Probe ernannt
worden, nach Prüfung seiner Verfassungstreue im Zuge
seiner Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit aber ein
Jahr später entlassen worden. Auch hier meinte der
EGMR, dass die staatliche Maßnahme nur die (nicht geschützte)
Einstellung in den öffentlichen Dienst betreffe.
Diese formalistische Abgrenzung des EGMR überzeugt
nicht, erfolgten doch in beiden Fällen beamtenrechtliche
Repressionen gerade wegen der politischen Meinung der
Beamten.276
Zutreffend anders entschied der EGMR 1995 im Fall
Vogt277: Dort war eine auf Lebenszeit verbeamtete Lehrerin
aufgrund ihrer außerdienstlichen Tätigkeiten für die
DKP und ihrer Weigerung, sich von dieser zu distanzieren,
entlassen worden. Hier bejahte der EGMR einen
Eingriff in den Schutzbereich von Art. 10 Abs. 1 EMRK,
da es – anders als in den beiden vorgenannten Fällen –
nicht um den Zugang zum öffentlichen Dienst gehe.278
Die Entlassung sei schwerpunktmäßig wegen der politischen
Meinung der Beamtin erfolgt – daher sei nicht
(nur) deren Berufs‑, sondern vor allem deren Meinungsfreiheit
betroffen.
Ein solcher Eingriff kann aber grundsätzlich nach
Art. 10 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sein. Die beamtenrechtlichen
Vorschriften, welche die politische Treuepflicht
statuieren sowie die gefestigte Rechtsprechung
von BVerfG und BVerwG, stellen nämlich eine hinreichend
gesetzliche Grundlage dar.279 Weiter erkennt auch
der EGMR die politische Treuepflicht von Beamten als
legitimes Ziel im Sinne von Art. 10 Abs. 2 EMRK an.280
Er begründet dies mit den historischen Erfahrungen
Deutschlands in der Weimarer Republik, der NS-Herrschaft281
und der DDR282. Schließlich ist die Maßnahme
(hier: Entlassung) zur Gewährleistung der Verfassungstreuepflicht
in einer demokratischen Gesellschaft regelmäßig
unentbehrlich – also verhältnismäßig. Im konkreten
Fall hielt der EGMR die Entlassung der Gymnasiallehrerin
zwar für unverhältnismäßig, weil von ihr als
Deutsch- und Französischlehrerin keine gesteigerten Sicherheitsrisiken
ausgingen. Notwendig waren vielmehr
konkrete Pflichtverletzungen (etwa die politische Indoktrination
der Schüler) – und diese lagen nicht vor.283
Richtigerweise erachtete der EGMR aber die Entlassung
eines Gymnasiallehrers wegen ehrenamtlicher und
hauptamtlicher Aktivitäten in der SED gerade deshalb
für verhältnismäßig, weil dieser einen seiner Schüler gezielt
zur Bespitzelung politisch Andersdenkender missbraucht
hatte.284
Auch ein Eingriff in die nach Art. 11 EMRK geschützte
Vereinigungsfreiheit ist gerechtfertigt, wenn ein Beamter
wegen seiner Parteimitgliedschaft entlassen wird:
Hier gelten die Erwägungen zur Meinungsfreiheit entsprechend,
da Art. 11 Abs. 2 EMRK nahezu identische
Rechtfertigungsanforderungen wie Art. 10 Abs. 2 EMRK
konstituiert.285 Schließlich ist auch das (vom EGMR nur
selten geprüfte286) akzessorische Diskriminierungsverbot
nach Art. 14 EMRK (i.V.m. Art. 10 oder Art. 11
EMRK) nicht verletzt. Zwar schließt die fehlende Verletzung
der Freiheitsrechte nach Art. 10 oder Art. 11 EMRK
das Diskriminierungsverbot nach Art. 14 EMRK nicht
aus.287 Allerdings ist die Ungleichbehandlung von Extremisten
entsprechend gerechtfertigt.
Die Wissenschaftsfreiheit wird hingegen von der
EMRK nicht eigens geschützt; vielmehr wird sie, die das
Recht zur wissenschaftlichen Publikation und Lehre umfasst288,
von Art. 10 EMRK ungeschrieben mitgeschützt.
(2) Politische Anschauung, Art. 21 Abs. 1 GRCh
Der politischen Treuepflicht von Beamten steht auch
Art. 21 Abs. 1 GRCh nicht entgegen.289 Die Norm verbietet
nach ihrem Wortlaut zwar Diskriminierungen (neben
275 EGMR 28.8.1986 – 5/1984/77/121 – Kosiek, NJW 1986, 3007.
276 Zutreffend Rudolf, in: Thiel (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, 2003,
S. 209, 246.
277 EGMR 26.9.1995 – 7/1994/454/535 – Vogt, NJW 1996, 375.
278 EGMR 26.9.1995 – 7/1994/454/535 – Vogt, NJW 1996, 375.
279 EGMR 26.9.1995 – 7/1994/454/535 – Vogt, NJW 1996, 375.
280 EGMR 26.9.1995 – 7/1994/454/535 – Vogt, NJW 1996, 375; vgl.
Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, - Aufl. 2016, § 23 Rn. 31. Aufgrund der Singularität der Rechtslage
in Deutschland künftig zweifelnd: Lorse, ZBR 2021, 1, 5.
281 EGMR 26.9.1995 – 7/1994/454/535 – Vogt, NJW 1996, 375.
282 EGMR 22.11.2001 – 39799/98 – Volkmer/Deutschland, NJW 2002,
3087.
283 EGMR 26.9.1995 – 7/1994/454/535 – Vogt, NJW 1996, 375.
284 EGMR 22.11.2001 – 39799/98 – Volkmer/Deutschland,
NJW 2002, 3087.
285 Entsprechend stellte der EGMR im Fall Vogt (EGMR 26.9.1995
– 7/1994/454/535, NJW 1996, 375) fest, dass neben Art. 10 EMRK
auch Art. 11 EGMR verletzt sei. Umgekehrt rechtfertigte die
Mitgliedschaft und vor allem Tätigkeiten in der SED (EGMR
22.11.2001 – 39799/98 – Volkmer/Deutschland, NJW 2002, 3087)
den Eingriff in Art. 10 EMRK und damit auch in Art. 11 EMRK.
286 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, - Aufl. 2016, § 26 Rn. 2.
287 EGMR 20.5.1999 – 25390/94 – Rekvényi/Ungarn, NVwZ 2000,
421.
288 EuArbRK/Schubert, 3. Aufl. 2020, EMRK Art. 10 Rn. 13.
289 Vgl. VGH Mannheim 13.3.2007 – 4 S 1805/06, NVwZ-RR 2008,
149, 150.
9 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
fast allem!) insbesondere wegen der politischen
Anschauung. Fraglich ist aber, inwiefern der Staat als
Dienstherr bei der politischen Treuepflicht seiner Beamten
daran gebunden ist. Nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Var. 2
GRCh gilt die Charta für die Mitgliedsstaaten ‚‚ausschließlich
bei der Durchführung des Rechts der Union“.
Nach der umstrittenen, vom BVerfG scharf kritisierten290
Åkerberg Fransson-Entscheidung des EuGH soll es ausreichen,
dass „eine nationale Rechtsvorschrift in den Geltungsbereich
des Unionsrechts fällt“291. Nach nunmehr
gefestigter Rechtsprechung des EuGH ist maßgeblich, ob
eine mitgliedstaatliche Regelung die Durchführung von
Unionsrecht bezweckt und ob es für diesen Bereich eine
unionsrechtliche Regelung gibt, die spezifisch ist oder
diesen beeinflussen kann.292 Bei den beamtenrechtlichen
Vorschriften zur aktiven Verfassungstreuepflicht
wird kein Unionsrecht durchgeführt. Die BRD handelt
insoweit nicht funktionell für die Union, was unter anderem
ein Grund der Bindung der Mitgliedstaaten an die
Unionsgrundrechte ist.293
Bei Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst ist der
Anwendungsbereich nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GRCh
zwar eröffnet, da das Individualarbeitsrecht weitgehend
durch Richtlinien unionsrechtlich determiniert ist.294 Jedoch
ist fraglich, ob Art. 21 Abs. 1 GRCh ein eigenständiges
Diskriminierungsverbot wegen der politischen Anschauung
für Arbeitsverhältnisse begründen kann. Dem
widerspricht Art. 19 Abs. 1 AEUV, der keinen generellen,
sondern lediglich einen punktuellen und differenzierten
Diskriminierungsschutz vorsieht und die politische Anschauung
dabei bewusst ausnimmt. Diesen primärrechtlichen
Vorgaben ist auch der Richtliniengeber gefolgt,
der ein weiteres auf die „politische Anschauung“ bezogenes
Diskriminierungsverbot (im Gegensatz zur Weltanschauung)
für das europäische Sekundärrecht bewusst
abgelehnt hat.295
Will man für den öffentlichen Dienst anders entscheiden
und öffentliche Arbeitgeber unmittelbar an die
primärrechtlichen Diskriminierungsverbote des Art. 21
Abs. 1 GRCh binden, so können diese jedenfalls nicht
absolut gelten; vielmehr kann die Ungleichbehandlung
von extremistischen Beamten und Arbeitnehmern nach
Art. 52 Abs. 1 GRCh (und damit entsprechend zu unseren
Ausführungen zu Art. 10 Abs. 2 EMRK) gerechtfertigt
sein.
b) Rechtliche Konsequenzen
Im Folgenden sollen die rechtlichen Konsequenzen aufgezeigt
werden, wenn Beamte ihre – auch einfachgesetzlich
positivierte – Verfassungstreuepflicht verletzen.
aa) Zugang
Die Verfassungstreue des Bewerbers ist zwingende Voraussetzung
für den Zugang zu jedem Beamtenverhältnis
– also auch für Beamtenverhältnisse auf Widerruf, Probe
oder Zeit. § 7 Abs. 1 Nr. 2 BBG bestimmt für Bundesbeamte
und § 7 Abs. 1 Nr. 2 BeamtStG wortgleich für Landesbeamte,
dass in das Beamtenverhältnis nur berufen
werden darf, „wer die Gewähr dafür bietet, jederzeit für
die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne
des Grundgesetzes einzutreten“296.
Dies gilt auch für die Ernennung zum Beamten an
Hochschulen – insbesondere für die Verbeamtung von
Professoren (§ 44 HRG und § 47 Abs. 1 LHG)297, die im
Regelfall zu Beamten auf Lebenszeit ernannt werden
(§ 49 Abs. 1 LHG); ferner für die Verbeamtung von Juniorprofessoren
(§ 51 Abs. 2 S. 1 LHG) und für die von –
seit 2018 neu geschaffenen298 – Tenure-Track-Professoren
(§ 51b LHG), die regelmäßig zu Beamten auf Zeit ernannt
werden (§ 51 Abs. 7 S. 1 LHG). Positive Verfassungstreue
schulden schließlich die akademischen
Mitarbeiter, soweit diese zum Beamten (auf Zeit) ernannt
werden (§ 52 Abs. 1, 4 LHG).
Die Einstellungsbehörde muss deshalb bei der Einstellung
eines Bewerbers prognostisch entscheiden, ob
dieser bis zum Ende seines Beamtenverhältnisses seiner
Pflicht zur Verfassungstreue gerecht werden wird.299 Ein
Verstoß gegen die einfachgesetzliche Verfassungstreuepflicht
führt nicht dazu, dass die Ernennung zum Beamten
unwirksam ist. Diese muss zurückgenommen werden,
wenn bei der Einstellung arglistig über die Verfassungstreue
getäuscht wurde, §§ 14 Abs. 1 Nr. 1 BBG, 12
Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG300; dies ist etwa der Fall, wenn der
290 BVerfG 24.3.2013 – 1 BvR 1215/07, NJW 2013, 1499; vgl. ferner
Thym, NVwZ 2013, 889 ff.
291 EuGH 26.2.2013 – C‑617/10 Rn. 21 – Åkerberg Fransson.
292 Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2020, 1022, 1023 m. w. N.
293 Kainer, NZA 2018, 894, 898.
294 Vgl. Hartmann, EuZA 2019, 24, 35; Kainer, NZA 2018, 894, 899.
295 Näher dazu Chr. Picker, RdA 2021, 33, 41 f.
296 Gleiche Anforderungen gelten für die Berufung in das Richterverhältnis
(§ 9 Nr. 2 DRiG) und in das Dienstverhältnis eines
Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit (§ 37 Abs. 1 Nr. 2 SG).
297 Die Normen verknüpfen die besonderen mit den allgemeinen
dienstrechtlichen Einstellungsvoraussetzungen deshalb, da § 45
LHG, der zwar die allgemeinen geltenden Normen für anwendbar
erklärt, sich lediglich auf bereits eingestellte bzw. ernannte
Hochschullehrer bezieht, BeckOK HochschulR BW/Frenzel, 18.
Ed. 1.11.2019, LHG § 47 Rn. 6.
298 Gesetz zur Weiterentwicklung des Hochschulrechts vom 13.3.2018,
GBl. vom 29.3.2018, S. 85.
299 BVerwG 27.11.1980 – 2 C 38/79, NJW 1981, 1368.
300 Battis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 7 Rn. 29.
Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 9 3
Bewerber die – bei Beamten generell zulässige301 – Frage
nach der Mitgliedschaft in (einer bestimmten302!) extremistischen
Partei oder Organisation oder sonstigen Verbindung
zu solchen vorsätzlich wahrheitswidrig
beantwortet.
bb) Bestand
Die politische Treuepflicht besteht als Dienstpflicht während
der Dauer des Beamtenverhältnisses fort, was § 60
Abs. 1 S. 3 BBG für Bundesbeamte und § 33 Abs. 1 S. 3
BeamtStG für Landesbeamte einfachgesetzlich bestimmt.
Ein Beamter, der gegen die politische Treuepflicht verstößt,
verletzt deshalb seine Dienstpflicht303. Das Dienstvergehen
wird nach den Disziplinargesetzen verfolgt.
Diese Dienstpflicht trifft auch verbeamtetes Hochschulpersonal,
worauf § 45 Abs. 1 LHG deklaratorisch304 hinweist.
(1) Schwacher Bestandsschutz: Beamte auf Widerruf
und Probe
Kaum Bestandsschutz genießen Beamte auf Widerruf:
Diese können jederzeit aus sachlichem Grund entlassen
werden (§ 37 Abs. 1 S. 1 BBG für Bundesbeamte, § 23
Abs. 4 S. 1 BeamtStG für Landesbeamte). Für einen solchen
sachlichen Grund bedarf es nicht des konkreten
Nachweises, dass der Beamte gegen die politische Treuepflicht
schuldhaft verstoßen hat.305 Es genügt vielmehr
die berechtigte Überzeugung des Dienstherrn, dass der
Beamte nicht die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die
freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten.
306
Diese Überzeugung sollte vom Dienstherrn aufgrund
einer aktiven Betätigung des Beamten für eine verfassungsfeindliche
Partei gewonnen werden. Ob allein die
(passive) Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen
Partei als (sachlicher) Grund ausreicht, ist fraglich: Dafür
spricht, dass der Bestandsschutz beim Beamten auf
Widerruf bewusst schwach ausgestaltet und seine Entlassung
hier nicht willkürlich ist, da sie auf dem begründeten
Verdacht seiner extremistischen Einstellung und
daraus resultierend berechtigten Zweifeln an seiner Verfassungstreue
beruht. Dagegen spricht, dass die Parteimitgliedschaft
immer nur ein Indiz ist und den Staat
nicht davon befreit, die Verfassungstreue jedes Beamten
selbst zu prüfen. Denn es kommt allein auf dessen Verfassungstreue
an – und nicht auf die der Partei.307
Nur schwachen Bestandsschutz genießen zudem Beamte
auf Probe. Zu solchen können etwa Professoren im
Fall der Erstberufung ernannt werden (§ 50 Abs. 1 LHG).
Beamte auf Probe können (neben den allgemeinen Entlassungstatbeständen)
vor allem entlassen werden, wenn
sie sich in der Probezeit (etwa wegen Eignung, Befähigung
oder fachlicher Leistung) nicht bewährt haben
(§ 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BBG für Bundesbeamte, § 23 Abs. 3
S. 1 Nr. 2 BeamtStG für Landesbeamte).308 Zur erforderlichen
Bewährung zählt die Gewähr der Verfassungstreue.
309 Bei der Entscheidung über die Übernahme in
das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit muss sich die Bewährungsbeurteilung
des Beamten auf Probe daher auch
darauf erstrecken, ob dieser die Gewähr dafür bietet, jederzeit
für die freiheitliche demokratische Grundordnung
einzutreten310, was ausschließlich anhand seines
Verhaltens während der laufbahnrechtlichen Probezeit
festzustellen ist.311
Im Rahmen dieser individuell vorzunehmenden Eignungsbeurteilung
ist insbesondere die Mitgliedschaft in
einer verfassungsfeindlichen, aber vom BVerfG (noch)
nicht verbotenen Partei ein Indiz dafür, dass es an der erforderlichen
Verfassungstreue fehlt.312 Nicht bewährt
haben sich jedenfalls Beamte auf Probe, die sich aktiv für
eine solche Partei betätigen: Entlassen werden konnte
deshalb ein Fachhochschulprofessor, der sich als hochrangiger
Funktionär und Mitglied der NPD von dieser
„nicht nur nicht distanziert, seine Parteimitgliedschaft
auch nicht nur als passive Zugehörigkeit aufgefaßt“, sondern
„sich mit der hier angesprochenen, rechtlich bedeutsamen
‚Parteilinie‘ vielmehr identifiziert“313 hatte. Insgesamt
gilt damit, was das BVerfG bereits 1975 festgestellt
hatte: „Bei Beamten auf Probe und bei Beamten auf Widerruf
rechtfertigt ein solches Dienstvergehen regelmäßig
die Entlassung aus dem Amt.“314
301 VGH München 24.11.2005 – 15 BV 03.3017, BeckRS 2005, 17706.
302 Rieble, RdA 2012, 241.
303 So ausdrücklich: BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641,
1642.
304 BeckOK HochschulR BW/Frenzel, 17. Ed. 1.11.2019, LHG
§ 45 Rn. 7.
305 BVerwG 9.6.1981 – 2 C 48.78, ZBR 1982, 81.
306 BVerwG 9.6.1981 – 2 C 48.78, ZBR 1982, 81.
307 Siehe oben IV.2.a)bb)[2].
308 Entsprechendes gilt auch für Richter nach § 22 DRiG.
309 BVerwG 28.4.1983 – 2 C 89/81, BeckRS 1983, 2883; BeckOK BeamtenR
Bund/Sauerland, 20. Ed. 1.4.2020, BeamtStG § 23 Rn. 57;
Schick, NVwZ 1982, 161, 165.
310 BVerfG 31.7.1981 – 2 BvR 321/81, NJW 1981, 2683.
311 BeckOK BeamtenR Bund/Sauerland, 20. Ed. 1.4.2020, BBG § 34
Rn. 18 m. w. N.
312 BVerfG 31.7.1981 – 2 BvR 321/81, NJW 1981, 2683.
313 BVerfG 31.7.1981 – 2 BvR 321/81, NJW 1981, 2683.
314 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
9 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
Unabhängig von der Übernahme in das Beamtenverhältnis
auf Lebenszeit ist die Gewähr der Verfassungstreue
bei Beamten auf Probe relevant, da diese auch wegen
eines Dienstvergehens entlassen werden können,
das bei Beamten auf Lebenszeit mindestens zur Kürzung
der Dienstbezüge geführt hätte (§ 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BBG
i.V.m. § 8 BDG für Bundesbeamte, § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 1
BeamtStG i.V.m. § 29 LDG für Landesbeamte).315 Es bedarf
eines schuldhaft begangenen, schwerwiegenden
Dienstvergehens, was wir bei den Lebenszeitbeamten
näher erörtern.
(2) Starker Bestandsschutz: Beamte auf (Lebens-)Zeit
Starken Bestandsschutz genießen Beamte auf Lebenszeit.
Insbesondere Professoren an Universitäten und Hochschulen
werden im Regelfall auf Lebenszeit ernannt.
Diesen Schutz haben auch Beamte auf Zeit (§ 6 Abs. 2
BBG, § 6 BeamtStG) – beispielweise Juniorprofessoren,
Tenure-Track-Professoren und solche Professoren, die
in Ausnahmefällen zu Beamten auf Zeit ernannt wurden
(§ 50 Abs. 2 LHG).
Beamte auf (Lebens-)Zeit können aus dem Beamtenverhältnis
nur dann entfernt werden, wenn sie ein
Dienstvergehen begangen haben, also schuldhaft eine
konkrete Pflicht verletzt haben (§ 77 Abs. 1 S. 1 BBG für
Bundesbeamte, § 47 Abs. 1 S. 1 BeamtStG für Landesbeamte).
Die politische Treuepflicht ist eine Amtspflicht
der Beamten.316 Daher besteht die Pflichtverletzung
nicht in der mangelnden Verfassungsgewähr, sondern in
der nachgewiesenen schuldhaften Verletzung der Verfassungstreuepflicht.
317 Nach der Rechtsprechung des
BVerfG deckt sich die disziplinarrechtlich zu ahndende
Treuepflichtverletzung inhaltlich nicht mit der verfassungsrechtlichen
Treuepflicht, da erstere „ein Minimum
an Gewicht und an Evidenz der Pflichtverletzung“318 voraussetzt;
die Pflichtverletzung kann ferner nicht nur in
einem Handeln, sondern auch in einem Unterlassen liegen,
etwa „wenn der Vorgesetzte oder Dienstvorgesetzte
verfassungsfeindliche Umtriebe innerhalb seines Verantwortungsbereichs
geflissentlich übersieht und geschehen
läßt“319.
Dagegen ist das „bloße Haben einer Überzeugung und
die bloße Mitteilung, daß man diese habe, […] niemals
eine Verletzung der Treuepflicht“, sondern erst dann,
wenn „der Beamte aus seiner politischen Überzeugung
Folgerungen für seine Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen
Ordnung der Bundesrepublik Deutschland,
für die Art der Erfüllung seiner Dienstpflichten, für den
Umgang mit seinen Mitarbeitern oder für politische Aktivitäten
im Sinne seiner politischen Überzeugung zieht.“320
Da die politische Treuepflicht des Beamten funktional
die Grundlage des Beamtenverhältnisses betrifft, ist sie
nach Ansicht der Rechtsprechung stets eine innerdienstliche
Pflichtverletzung (§ 77 Abs. 1 S. 1 BBG bzw. § 47
Abs. 1 S. 1 BeamtStG); auf die besonderen Voraussetzungen,
unter denen ein außerdienstliches Fehlverhalten
eine Pflichtverletzung darstellt (§ 77 Abs. 1 S. 2 BBG bzw.
§ 47 Abs. 1 S. 2 BeamtStG), kommt es daher nicht an.321
Soweit die Verfassungstreuepflicht schuldhaft verletzt
wurde, liegt ein Dienstvergehen vor, das nach den
Disziplinargesetzen geahndet wird (§ 77 Abs. 3 BBG
i.V.m. den Regeln des BDG für Bundesbeamte, § 47
Abs. 3 BeamtStG i.V.m. den Regeln des LDG für Landesbeamte).
Mögliche Disziplinarmaßnahmen sind nach
§ 5 BDG bzw. § 25 LDG Verweis, Geldbuße, Kürzung der
Bezüge, Zurückstufung und Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
Die Entfernung kommt nur bei schweren
Dienstvergehen in Betracht (§ 13 Abs. 2 BDG, § 26 Abs. 2
LDG).
Die Rechtsprechung hat einen Pflichtverstoß bei solchen
Beamten angenommen und deren Entfernung als
disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme für verhältnismäßig
erachtet, die sich aktiv für eine Organisation
(hier: DKP) eingesetzt haben, deren Ziele mit der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes
unvereinbar sind, und diese Pflichtverletzung
beharrlich fortsetzen wollten.322 Denn hier fehlt es an
der – für die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses konstitutiven
– Vertrauensgrundlage, stellt der Beamte doch
seine Treue zu einer verfassungsfeindlichen Partei beharrlich
über die von ihm geschuldete Treue zur Verfassung.
Das Beamtenverhältnis endet dann mit der Entfernung
aus dem Dienst als Ergebnis des Disziplinarverfahrens
(§ 10 Abs. 1 S. 1 BDG bzw. § 31 Abs. 1 LDG). Eine
passive Mitgliedschaft eines Lebenszeitbeamten in einer
verfassungsfeindlichen Partei ist zwar ein Indiz für die
fehlende Verfassungstreue323, rechtfertigt jedoch für sich
allein keine Entlassung.
315 Vgl. Schick, NVwZ 1982, 161, 165.
316 Grigoleit, in: Battis, BBG, 5. Aufl. 2017, § 77 Rn. 13.
317 BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 337/08, NZA 2008, 962, 965 f.; BVerfG
22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641.
318 BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 337/08, NZA 2008, 962, 966; BVerfG
22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1643.
319 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1643.
320 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1643.
321 BVerwG 1.2.1989 – 1 D 2/86 (BDiszG), NJW 1989, 2554; BVerwG
29.10.1981 – 1 D 50/81 (BDiszG), NJW 1982, 779, 784.
322 BVerwG 1.2.1989 – 1 D 2/86 (BDiszG), NJW 1989, 2554; BVerwG
29.10.1981 – 1 D 50/81 (BDiszG), NJW 1982, 779.
323 Siehe oben IV.2.a)bb)[2].
Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 9 5
Das Beamtenverhältnis (aller Beamten) endet darüber
hinaus kraft Gesetzes – also ohne Disziplinarverfahren
–, sofern ein Beamter seine Beamtenrechte verliert
(§ 41 BBG für Bundesbeamte, § 24 BeamtStG für Landesbeamte).
Dies ist neben der kaum relevanten Grundrechtsverwirkung
der Fall, wenn ein Beamter wegen einer
vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens
einem Jahr oder staatsgefährdenden Straftaten324
zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs
Monaten strafrechtlich verurteilt wird.
Frühere Beamte bzw. Ruhestandsbeamte treffen zwar
keine Dienstpflichten mehr. Dennoch wird bei Ruhestandsbeamten
oder früheren Beamten mit Versorgungsbezügen
ein Dienstvergehen fingiert („gilt es als
Dienstvergehen“, § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 BBG für Bundesbeamte,
§ 47 Abs. 2 S. 1 BeamtStG, für Landesbeamte),
wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigen
oder an Bestrebungen teilnehmen, die darauf abzielen,
den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik zu
beeinträchtigen. Nach Ansicht des BVerfG325 sind dafür
feindselige Aktivitäten erforderlich; insbesondere „Meinungsäußerungen
können, müssen aber nicht in jedem
Fall den Charakter von solchen Aktivitäten feindseliger
Art haben. Solange sie sich darin erschöpfen, im Vertrauen
auf die Überzeugungskraft des Arguments Kritik an bestehenden
Zuständen zu üben oder bestehende rechtliche
Regelungen in Gesetzen oder in der Verfassung in dem dafür
vorgesehenen verfassungsrechtlichen Verfahren zu ändern,
erfüllen sie nicht die genannten Tatbestände eines
Dienstvergehens. […] Dagegen stellen Agitationen, die die
freiheitliche demokratische Grundordnung herabsetzen,
verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und Institutionen
diffamieren und zum Bruch geltender Gesetze auffordern,
Betätigungen gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung dar.“ Das ist verfassungsrechtlich geboten:
Frühere Beamte bzw. Ruhestandsbeamte sind nicht
mehr für den Staat „aktiv“ tätig, sodass deren Grundrechte
stärker wiegen. Sanktioniert werden kann ein
Dienstvergehen bei Ruhestandsbeamten (nur noch) mit
der Kürzung oder vollständigen Aberkennung des Ruhegehalts
(§ 5 Abs. 2 BDG bzw. § 25 Abs. 2 LDG).
Bei sonstigen früheren Beamten gibt es diese Fiktion
nicht, da die einschlägigen Normen diese nicht nennen
(§ 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 BBG für Bundesbeamte, § 47
Abs. 2 S. 2 BeamtStG für Landesbeamte).
cc) Fazit: Abgestuftes Schutzniveau
Die verfassungsrechtlich geforderte politische Treuepflicht
ist einfachgesetzlich konkretisiert und als solche
zwingende Voraussetzung für den Zugang zum Beamtenverhältnis
– auch für Beamte an Hochschulen. Die
einschlägigen Regelungen setzen hierfür zwingend die
Verfassungstreue der Bewerber voraus, weil für die
Beendigung des Beamtenverhältnisses regelmäßig hohe
Hürden bestehen.326 Das Beamtenrecht stellt durch die
hohen Zulassungsanforderungen für alle Beamtenverhältnisse
die Verfassungstreue der Bewerber sicher und
beschränkt sich nicht darauf, repressiv die Verletzung
durch Beamte disziplinarisch zu ahnden.
Unsere Ausführungen zur Beendigung des Beamtenverhältnisses
nach den einschlägigen Normen des Beamtenrechts
bleiben notwendigerweise skizzenhaft und unvollständig.
Sie zeigen aber dies: Das Beamtenrecht verfolgt
ein abgestuftes Schutzkonzept und trägt auf diese
Weise einfachgesetzlich den Grundrechten und besonders
dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung. Dadurch
wird auch die Frage um die – von der h. M. abgelehnte
– funktionsbezogenen Verfassungstreuepflicht
für Beamte relativiert. Denn der Bestandsschutz der Beamten
wird umso stärker, je länger das Beamtenverhältnis
besteht und ist von der Art des Beamtenverhältnisses
abhängig: Stark ist der Bestandsschutz für Beamte auf
Lebenszeit (oder Zeit) ausgestaltet, die nur aufgrund eines
konkret begangenen Dienstvergehens aus dem Beamtenverhältnis
entfernt werden können. Schwach ist er
hingegen für Beamte auf Probe: Diese können entlassen
werden, wenn sie sich mangels Verfassungstreue nicht
bewährt haben. Kaum Schutz genießen schließlich Beamte
auf Widerruf: Sie können jederzeit entlassen werden.
Als sachlicher Grund reicht bereits die Überzeugung
des Dienstherrn aus, dass der Beamte nicht die Gewähr
der Verfassungstreue bietet. - Arbeitnehmer
Das BVerfG bemerkte in seiner Grundsatzentscheidung
von 1975 obiter dictum, dass auch Arbeitnehmer im
öffentlichen Dienst politische Loyalität schulden: „Auch
sie dürfen nicht den Staat, in dessen Dienst sie stehen, und
seine Verfassungsordnung angreifen.“327
324 Ausführlich zu staatsgefährdenden Straftaten: Reich BeamtStG, - Aufl. 2018, BeamtStG § 24 Rn. 5 ff.
325 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1643.
326 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1643.
327 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1643.
9 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
a) H. M.: Funktionstheorie
Daher sehen die einschlägigen Tarifverträge eine politische
Treuepflicht auch für Arbeitnehmer im öffentlichen
Dienst vor: So müssen sich nach § 3 Abs. 1 S. 2 TV‑L
(sowie nach dem mittlerweile aufgehobenen328 § 8 Abs. 1
S. 2 BAT) alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst
„durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen
Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen.“
Diese tarifvertragliche Pflicht gilt auch für Arbeitnehmer
an staatlichen Hochschulen (§ 3 Abs. 1 S. 2 TV‑L
i.V.m. der Sonderregelung Nr. 2 für Beschäftigte an
Hochschulen und Forschungseinrichtungen); die
Arbeitsverträge nehmen darauf Bezug. Funktional differenzierend
bestimmt hingegen § 41 S. 2 TVöD BT‑V:
„Beschäftigte des Bundes und anderer Arbeitgeber, in
deren Aufgabenbereichen auch hoheitliche Tätigkeiten
wahrgenommen werden, müssen sich durch ihr gesamtes
Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung
im Sinne des Grundgesetzes bekennen.“
Fraglich sind jedoch Inhalt und Umfang der geschuldeten
Verfassungstreue. Nach h. M. gilt die positive Verfassungstreuepflicht
von Beamten nicht für alle anderen
Angehörigen des öffentlichen Diensts. Vielmehr folgt sie
der sogenannten Funktionstheorie des BAG, welches in
ständiger Rechtsprechung329 das Maß der politischen
Treuepflicht funktional nach Stellung und Aufgabenkreis
des jeweiligen Angestellten im öffentlichen Dienst bestimmt:
Geschuldet ist „diejenige politische Loyalität, die
für die funktionsgerechte Amtsausübung unverzichtbar
ist.“330 Die Arbeitnehmer an Hochschulen schulden daher
funktionsbezogen Treue – abhängig von ihrer Stellung
und ihren arbeitsvertraglichen Aufgaben.331
Diese politische Treuepflicht für Arbeitnehmer im
öffentlichen Dienst kann nicht mit Art. 33 Abs. 5 GG begründet
werden, da dieser nur für Beamte gilt. Vielmehr
ist die politische Treuepflicht aus der erforderlichen
„Eignung“ nach Art. 33 Abs. 2 GG herzuleiten.332 Dies ist
auch dann verfassungskonform, wenn das „Höchstmaß“
an Verfassungstreue geschuldet wird: Funktional „staatstragende“
Arbeitnehmer können sich zwar auch auf ihre
Grundrechte berufen; diese werden aber durch ihre besondere
Verfassungstreuepflicht begrenzt. Der Exklusion
extremistischer Arbeitnehmer stehen weder der spezielle
Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 3 GG noch deren
Freiheitsrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 21 Abs. 2, 4
GG noch Art. 10, 11 EMRK333 entgegen. Die Mitgliedschaft
in einer verfassungsfeindlichen Partei ist allerdings
auch hier nur ein Indiz für fehlende Verfassungstreue,
welches für sich allein regelmäßig noch keinen
Eignungsmangel begründen kann.334
Die im Wege praktischer Konkordanz bestimmte
„Eignung“ im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG determiniert
die Auslegung der genannten Tarifbestimmungen: Während
§ 41 S. 2 TVöD BTV verfassungskonform innerhalb
der Arbeitnehmerschaft des öffentlichen Diensts differenziert
(soweit „in deren Aufgabenbereichen auch hoheitliche
Tätigkeiten wahrgenommen werden“), verlangt
§ 3 Abs. 1 S. 2 TV‑L (wie der frühere, wortlautidentische
§ 8 Abs. 1 S. 2 BAT), dass sich alle Beschäftigten „durch
ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen
Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen“
müssen. Dieser zu weite Wortlaut ist verfassungskonform
im Sinne der Funktionstheorie zu reduzieren.335
b) Beschäftigte mit hoheitlichen Aufgaben: Positive Verfassungstreuepflicht
Arbeitnehmer schulden somit positive Verfassungstreue,
wenn sie nach ihrer Stellung und ihren Aufgaben beamtengleich
hoheitlich tätig sind. Zwar besteht zwischen
solchen Beschäftigten und dem Staat kein besonderes
öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis, son-
328 Er wurde für Angestellte des Bundes und der Kommunen zum
1.10.2005 durch den TVöD ersetzt, für Angestellte der Länder
zum 1.11.2006 durch den TV‑L. Er gilt nunmehr auch nicht mehr
in Hessen, denn dort findet seit dem 1.1.2010 der Tarifvertrag
für den Öffentlichen Dienst des Landes Hessen Anwendung.
Entsprechendes gilt für Berlin: Dort wurde der TV‑L bis Januar
2011 sukzessive eingeführt.
329 Vgl. nur BAG 12.5.2011 – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43; BAG
6.9.2012 – 2 AZR 372/11, NZA-RR 2013, 441. Rechtsvergleichend
stimmt die Funktionstheorie des BAG mit der überwiegenden
Ansicht im vergleichbaren Ausland überein, vgl. Tomuschat,
in: Böckenförde/Tomuschat/Umbach (Hrsg.), Extremisten und
öffentlicher Dienst, Rechtslage und Praxis des Zugangs zum und
Entlassung aus dem öffentlichen Dienst in Westeuropa, USA,
Jugoslawien und der EG, 1981, S. 647 ff.
330 BAG 12.5.2011 – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43. Die Funktionstheorie
überträgt das BAG auf das Fragerecht des Arbeitgebers
im öffentlichen Dienst. Fragen nach der Verfassungstreue eines
Bewerbers sind nur zulässig, soweit den Bewerber künftig eine
solche politische Treuepflicht funktional trifft, vgl. BAG 12.5.2011
– 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43; BAG 5.8.1982 – 2 AZR 3/80 –,
juris. Vgl. zum Fragerecht des privaten Arbeitgebers zur politischen
Anschauung: Chr. Picker, RdA 2021, 33, 40.
331 Vgl. BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374.
332 BVerfG 17.12.1953 – 1 BVR 323/51, NJW 1954, 27; BAG 31.3.1976 – 5
AZR 104/74, NJW 1976, 1708, 1709.
333 EGMR 22.11.2001 – 39799/98, NJW 2002, 3087; EGMR 26.9.1993 –
7/1994/454/535, NJW 1996, 375.
334 BAG 31.3.1976 – 5 AZR 104/74, NJW 1976, 1708, 1710.
335 Entsprechend zur Vorläuferregelung des § 8 Abs. 1 S. 2 BAT: BAG
31.3.1976 – 5 AZR 104/74, NJW 1976, 1708, 1709.
Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 9 7
dern (nur) ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis.
Gleichwohl kann die – aufgrund des beamtenverfassungsrechtlichen
Funktionsvorbehalts nach Art. 33
Abs. 4 GG ohnehin zweifelhafte – ‚‚Flucht ins private
Arbeitsrecht‘‘ das Maß an geschuldeter politischer Treue
nicht herabsetzen.336 Denn das Treuepflichtmaß
bestimmt sich gerade nicht statusbezogen (als Beamter
oder Arbeitnehmer), sondern funktionsbezogen nach
Stellung und Aufgaben.
Positive Verfassungstreue schulden folglich solche
Beschäftigte an Hochschulen, die beamtenadäquat tätig
werden, also hoheitlich handeln und in dieser Funktion
den Staat repräsentieren. Auch bei ihnen ist die Mitgliedschaft
in einer Partei, die verfassungsfeindliche Ziele
verfolgt, ein Indiz, dass sie die politische Treuepflicht
nicht erfüllen können.337 Für privatrechtlich beschäftigte
Hochschullehrer normiert dies § 49 Abs. 2 S. 4 LHG,
der die beamtenrechtlichen Normen zur Verfassungstreue
(§§ 7 Abs. 1 Nr. 2, 33 Abs. 1 S. 3 BeamtStG) für entsprechend
anwendbar erklärt.
Dieser Gleichlauf an politischer Treuepflicht muss
vor allem für alle Hochschullehrer gelten – unabhängig
davon, ob diese Beamte oder Arbeitnehmer sind. Positive
Verfassungstreue schulden daher auch Juniorprofessoren,
wenn diese nicht zum Beamten ernannt werden
(§ 51 Abs. 8 LHG). Hochschullehrer üben ständig hoheitliche
Befugnisse aus338: Ihnen obliegen zunächst Prüfungsbefugnisse.
Zu nennen sind Hochschulprüfungen,
etwa Vor- und Zwischenprüfungen, Bachelor und Masterarbeiten,
aber auch Promotionen und Habilitationen.
Sie entscheiden dabei meist über die Prüfungsform und
die Prüfungsaufgaben.339 Daneben wirken Hochschullehrer
regelmäßig als Prüfer in Staatsprüfungen (z.B.
Erste juristische Prüfung) mit.340 Die Bewertung dieser
Prüfungsleistungen durch einen Hochschullehrer hat
Auswirkungen auf den Studienverlauf, den Zugang zur
Staatsprüfung oder Berufseinstieg, bei Promotionsleistungen
nicht zuletzt aufgrund des erlangten akademischen
Titels, dessen Missbrauch nach § 132a Abs. 1 Nr. 1
StGB strafbar ist. Diese Befugnisse sind vor allem im
Hinblick auf grundrechtlich geschützte Ausbildungsinteressen
der Studierenden relevant; unabhängig davon,
ob diese durch Art. 12 GG341 oder Art. 5 Abs. 3 GG342 geschützt
sind. Insbesondere durch berufsbezogene Prüfungen
ist Art. 12 GG in besonderem Maße berührt.343
Die beamtengleiche hoheitliche Tätigkeit lässt sich
allerdings nicht nur an Prüfungsbefugnissen festmachen.
Vielmehr ist sie auch mit der Lehrtätigkeit als hoheitlicher
Tätigkeit zu begründen.344 Zumindest faktisch
besteht in der BRD für viele Bereiche ein Ausbildungsmonopol
des Staates. Studierende müssen Lehrveranstaltungen
von Hochschullehrern besuchen und sind
diesen so „ausgeliefert“. Und diese bestimmen (kraft ihrer
Lehrfreiheit), welchen Lehrstoff sie vortragen und
welcher prüfungsrelevant ist.345 Diese gestalten damit
unmittelbar die Ausbildung der Studierenden und damit
auch deren (berufliche) Zukunft.346 Wegen ihrer Prüfungsbefugnis
und Lehrtätigkeit werden angestellte
Hochschullehrer beamtengleich hoheitlich tätig.
Positive Verfassungstreue schulden ferner wissenschaftliche
Mitarbeiter, wenn und weil diese hoheitlich
tätig werden.347 So nahm das BAG348 1982 an, dass an die
politische Treuepflicht eines wissenschaftlichen Mitarbeiters,
zu dessen Dienstaufgaben auch Lehrtätigkeiten
gehörten, die gleichen Anforderungen wie an einen Beamten
zu stellen sind. Das Gericht begründete dies maßgeblich
mit einem Vergleich zu Lehrern: Studierende seien
zwar nicht in gleichem Maß politisch beeinflussbar
wie Schüler, gleichwohl sei deren Persönlichkeitsbildung
keineswegs abgeschlossen. Sie neigen – so das BAG – „zu
emotionaler, unkontrollierter Übernahme politischer Verhaltensmuster
und sind in verstärktem Maße Milieu- und
Gruppeneinflüssen ausgesetzt“349. Diese Begründung
überzeugt: Regelmäßig gehört zu den wissenschaftlichen
Dienstleistungen von wissenschaftlichen Mitarbeitern
auch die selbstständige350 Wahrnehmung von Aufgaben
in der Lehre (§ 52 Abs. 1 S. 2 LHG).
Allerdings gilt hier entsprechend: Die wissenschaftliche
Tätigkeit von angestellten Beschäftigten an Hochschulen
ist durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verfassungsrechtlich
besonders geschützt. Diese ist zwar nicht mit Art. 33
Abs. 5 GG, dafür aber mit Art. 33 Abs. 2 GG im Wege
336 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 326.
337 Vgl. BAG 5.8.1982 – 2 AZR 3/80 –, juris.
338 Vgl. Epping, ZBR 1997, 383, 386; Thieme, DÖV 2000, 502, 503;
Hartmer, WissR 31 (1998), 152 ff.
339 Thieme, DÖV 2000, 502.
340 Vgl. Thieme, DÖV 2000, 502.
341 H. M., vgl. etwa Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020,
Art. 12 Rn. 109 ff.
342 So etwa Sachs/Bethge, 8. Aufl. 2018, GG Art. 5 Rn. 208.
343 Vgl. BVerfG 17.4.1991 – 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83, NJW 1991,
2005; BVerfG 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84, 1 BvR 138/87, NJW 1991,
2008.
344 Thieme, DÖV 2000, 502, 503. A.A. Hartmer, WissR 31 (1998), 152,
161; Fink, DÖV 1999, 980, 982.
345 Thieme, DÖV 2000, 502, 503.
346 Determann, NVwZ 2000, 1346, 1348.
347 BAG 5.8.1982 – 2 AZR 3/80 –, juris; für wissenschaftliche Assistenten:
LAG Berlin 16.1.1978 – 9 Sa 77/77, AP Nr. 4 zu Art. 33
Abs. 2 GG.
348 BAG 5.8.1982 – 2 AZR 3/80 –, juris.
349 BAG 5.8.1982 – 2 AZR 3/80 –, juris.
350 BeckOK HochschulR BW/Frenzel, 18. Ed. 1.11.2019, LHG § 52
Rn. 13.
9 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 1 ) , 6 9 — 1 0 2
praktischer Konkordanz in Ausgleich zu bringen. Unseres
Erachtens müssen für Hochschulbeschäftigte mit hoheitlichen
Aufgaben die für Beamten geltenden Grundsätze
erst recht gelten; denn sie befinden sich in keinem
Beamtenverhältnis, sondern nur in einem privatrechtlichen
Arbeitsverhältnis. Soweit Beschäftigte selbstständig
als Lehrende tätig werden und sich auf die Lehrfreiheit
berufen können, muss auch für sie die Privilegierung des
Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG gelten. Die Verfassungstreueklausel
ist deshalb nicht nur für privatrechtlich angestellte
Hochschullehrer einschlägig351, sondern auch für sonstige
angestellte Beschäftigte, die eigenständig lehren. Und
weiter muss im Übrigen ebenso gelten: Spezifisch wissenschaftliche
Tätigkeit kann niemals einen Treuepflichtverstoß
begründen.
c) Beschäftigte ohne hoheitliche Aufgaben: Negative
Loyalitätspflicht
Beschäftigte an Hochschulen (etwa studentische Hilfskräfte)
ohne hoheitliche Aufgaben schulden hingegen
nur einfache politische Treue352: Sie müssen sich nicht
positiv zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung
bekennen, nicht mit dieser identifizieren und entsprechend
nicht bereit sein, für diese jederzeit aktiv einzutreten.
Vielmehr erfüllen sie ihre einfache Verfassungstreuepflicht
regelmäßig schon dadurch, dass sie
„die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht aktiv
bekämpf[en]“ – also weder selbst aktiv verfassungsfeindliche
Ziele verfolgen noch darauf abzielen, Verfassung
und Staat „zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich
zu machen.“353 Die einfache politische Treuepflicht lässt
sich folglich auch als negative Treuepflicht bezeichnen:
Geschuldet ist nur das ‚‚Fehlen“ verfassungsfeindlicher
Betätigung, dies allerdings auch außerdienstlich.354
Dieser Befund ist so rechtspolitisch überzeugend wie
verfassungsrechtlich geboten: Zwar ist es aus Sicht des
Staats erstrebenswert, dass er insgesamt nur über Beschäftigte
verfügt, die seine Werte uneingeschränkt teilen
und dafür vorbehaltlos auch aktiv eintreten. Denn
dadurch wird seine Funktionsfähigkeit und Glaubwürdigkeit
nach außen gestärkt – auch an Universitäten und
Hochschulen. Zudem machen Arbeitnehmer mit rund
60 % der Beschäftigten im öffentlichen Dienst den Großteil
aus.355 Das würde jedoch den Grundrechten der Beschäftigten
nicht gerecht, denn diese würden so „unnötig
und unverhältnismäßig eingeschränkt.“356 Solche Arbeitnehmer,
die gegenüber dem Staat nicht nur in einem privatrechtlichen
Austauschverhältnis und damit in keinem
öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen,
sondern vor allem auch keine hoheitlichen Tätigkeiten
wahrnehmen, handeln nämlich funktional weder
für den Staat noch repräsentieren sie diesen.357 Und die
von ihnen ausgehende Gefahr ist regelmäßig insoweit
überschaubar, als dass sie – anders als Beamte oder beamtengleich
tätige Arbeitnehmer – mangels entsprechender
hoheitlicher Aufgaben oder Stellung kaum Gelegenheit
haben, die Integrität des Staates nachhaltig zu
beschädigen.
d) Kündigungsrechtliche Konsequenzen
Verfügen Arbeitnehmer nicht über die jeweils erforderliche
– positive oder negative – Verfassungstreue, können
sie entlassen werden358. Der Arbeitgeber kann solchen
Arbeitnehmern personen- oder verhaltensbedingt kündigen.
359 Dabei setzt eine verhaltensbedingte Kündigung
nach ständiger Rechtsprechung des BAG eine konkrete
Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses voraus, d.h.
eine erhebliche Störung im Leistungs- und Vertrauensbereich
oder innerhalb der Betriebsgemeinschaft, und
diese muss dem Arbeitnehmer zudem individuell vorwerfbar
sein.360 Eine personenbedingte Kündigung setzt
voraus, dass der Arbeitnehmer die erforderliche Eignung
oder Fähigkeit nicht (mehr) besitzt, um die
geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.361
Beide Kündigungsgründe müssen voneinander unterschieden
und abgegrenzt werden, wenn ein Arbeitnehmer
wegen (angeblich) fehlender Verfassungstreue
gekündigt wird. Regelmäßig handelt es sich dabei um
eine verhaltensbedingte Kündigung; denn dem Arbeitnehmer
wird wegen einer – erwiesenen und nicht etwa
351 Maunz/Dürig/Gärditz, 92. EL August 2020, GG Art. 5 Abs. 3
Rn. 189.
352 BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641; BAG 12.5.2011
– 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43.
353 BAG 12.5.2011 – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43, 45. Zuvor schon
BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641; BAG 5.8.1982 –
2 AZR 1136/79, NJW 1983, 779.
354 Näher zu Inhalt und Umfang der Pflicht zu „einfacher“ Verfassungstreue
zwei jüngere Urteile des BAG: BAG 12.5.2011 – 2 AZR
479/09, NZA-RR 2012, 43; BAG 6.9.2012 – 2 AZR 372/11, NZARR
2013, 441. Eingehend dazu: Chr. Picker, RdA 2020, 317, 326.
355 https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/sozialesituation-
in-deutschland/61714/oeffentlicher-dienst (31.1.2021).
356 BAG 12.5.2011 – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43; BAG 31.3.1976 –
5 AZR 104/74, NJW 1976, 1708, 1709.
357 Chr. Picker, RdA 2020, 317, 326.
358 So schon BVerfG 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, NJW 1975, 1641, 1644.
359 BAG 12.5.2011 – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43.
360 BAG 6.9.2012 – 2 AZR 372/11, NZA-RR 2013, 441; BAG 12.5.2011 –
2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43 m. w. N.
361 BAG 21.4.2016 – 2 AZR 609/15, NZA 2016, 941; BAG 10.4.2014 – 2
AZR 812/12, NZA 2014, 653; ErfK/Oetker, 21. Aufl. 2021, KSchG §
1 Rn. 98 ff.
Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 9 9
nur vermuteten – vorwerfbaren Treuepflichtverletzung
gekündigt, was eindeutig als verhaltensbedingt einzuordnen
ist.362 Zu klären ist dann, ob bei einem außerdienstlichen
Verhalten eine konkrete Störung im personalen
Vertrauensbereich vorliegen muss oder ob es ausreichend
ist, dass eine solche nur wahrscheinlich ist.363
Eine personenbedingte Kündigung aufgrund eines Eignungsmangels
kommt hingegen in Betracht, wenn begründete
Zweifel an der (jeweils erforderlichen positiven
oder negativen!) Verfassungstreue des Arbeitnehmers
bestehen.364
Diese Abgrenzung veranschaulicht eine neuere Entscheidung
des LAG Thüringen365: Der Arbeitnehmer
war als Schichtleiter in der autorisierten Stelle beim Landeskriminalamt
beschäftigt. Im Rahmen privater Beiträge
in sozialen Medien im Internet äußerte er sich fremdenfeindlich
und beleidigte andere „Diskussionsteilnehmer“.
Deshalb kündigte das Land ihm fristlos. Wegen
der rassistischen und beleidigenden Äußerungen im Internet
kam eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht,
da es sich insoweit um eine vorwerfbare Pflichtverletzung
des Arbeitnehmers handelt. Diese wäre im
konkreten Fall aber vom Arbeitgeber abzumahnen gewesen.
Da der Arbeitnehmer aber bei einem IT-Dauerdienst
arbeitete, der vor allem für alle IT-Systeme der Polizei
tätig war, kam im konkreten Fall auch eine personenbedingte
Kündigung in Frage; diese aber nicht wegen
der „Diskussionsbeiträge“ auf Facebook, sondern wegen
seiner rassistischen Einstellung, die ihn – angesichts der
Verfügungsmacht über sicherheitspolitisch hochsensible
Daten – als Schichtleiter des IT-Dauerdienstes ungeeignet
machte. - Annex: Lehrbeauftragte
Lehrbeauftragte stehen regelmäßig in einem öffentlichrechtlichen
Dienstverhältnis mit dem Land.366 Auch
wenn privatrechtliche Rechtsverhältnisse geschlossen
werden, sind Lehrbeauftragte nur ganz ausnahmsweise
Arbeitnehmer.367 Fraglich ist, welche politische Treue
von diesen geschuldet ist.
Der 7. Senat des BVerwG folgte der Funktionstheorie
des BAG für Lehrbeauftragte an Hochschulen zunächst
nicht. Denn von Lehrbeauftragten sei „das gleiche Maß
an Verfassungstreue“ zu verlangen, „wie es von einem Beamten
zu fordern ist.“368 Die Gleichstellung aller Lehrbeauftragten
mit Beamten sei mit deren Aufgaben zu begründen:
Die Lehrtätigkeit entspreche der des hauptamtlichen
Hochschullehrers; der Sache nach gehe „es
beim Lehrbeauftragten wie bei dem beamteten Hochschullehrer
um die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben.“369
Aufgrund der für einen Lehrbeauftragten geforderten
Eignung nach Art. 33 Abs. 2 GG könnten die beamtenrechtlichen
Vorschriften zur Verfassungstreue auf Lehrbeauftragte
entsprechend angewandt werden.370
Im Jahr 1989 schwenkte der 7. Senat des BVerwG aber
auf die Linie des BAG ein: Die „für Beamtenverhältnisse
zwingende Forderung nach Verfassungstreue unterschiedslos
auf alle Lehrauftragsverhältnisse“ auszudehnen, verletze
Art. 33 Abs. 2 GG.371 Hierauf könnten sich Lehrbeauftragte
berufen, unabhängig davon, ob der Lehrauftrag
landesrechtlich als privatrechtliches oder öffentlichrechtliches
Rechtsverhältnis vollzogen wird, da sich die
Lehraufträge selbst dann in einem öffentlichen Amt vollziehen,
wenn keine hoheitliche Aufgaben wahrgenommen
werden.372 Überspannt würden die Eignungsvoraussetzungen
nach Art. 33 Abs. 2 GG bei einer Gleichsetzung
aller Lehrbeauftragten mit den verbeamteten
Hochschullehrern aus zwei Gründen: Erstens seien Begründung
und Beendigung der Rechtsverhältnisse nicht
vergleichbar; Lehraufträge würden nämlich nur semesterweise
erteilt und begründeten deshalb keine dem Beamtenverhältnis
vergleichbaren Bindungen. Zweitens
seien Lehraufträge „zu unterschiedlich und zu vielgestaltig,
als daß sie hinsichtlich der politischen Eignung von
Lehrauftragsbewerbern stets nur demjenigen zu übertragen
wären, der in seiner Person den gesteigerten Anforderungen
des Beamtenrechts entspricht.“373 Im Ergebnis lasse
sich das „abstrahierende Verlangen nach beamtengleicher
Verfassungstreue aller Lehrbeauftragten […] nicht
länger mit der Begründung rechtfertigen, die Institution
362 Näher Chr. Picker, RdA 2020, 317, 327.
363 Dazu Preis/Stoffels, RdA 1996, 210, 221.
364 BAG 20.7.1989 – 2 AZR 114/87, NJW 1990, 597.
365 LAG Thüringen 14.11.2018 – 6 Sa 204/18, BeckRS 2018, 44972.
Diese wurde vom BAG bestätigt, BAG 27.6.2019 – 2 AZR 28/19,
NZA 2019, 1343.
366 So insbesondere in Baden-Württemberg, vgl. § 56 Abs. 2 S. 2 Hs. 1
LHG. Es handelt sich dabei zwischenzeitlich um den Regelfall,
Löwisch/Wertheimer, in: Hartmer/Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht, - Aufl. 2017, S. 564.
367 Etwa wenn Unterrichtsgegenstand und Arbeitszeit im Einzelnen
vorgegeben werden, vgl. BAG 19.11.1997 – 5 AZR 21/97, NZA 1998,
595.
367 BVerwG 22.4.1977 – VII C 17.74, NJW 1977, 1837; ebenso unter
Berufung darauf OVG Berlin 18.9.1980 – 3 B 6.79 –, juris.
369 BVerwG 22.4.1977 – VII C 17.74, NJW 1977, 1837.
370 BVerwG 22.4.1977 – VII C 17.74, NJW 1977, 1837.
371 BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374.
372 BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374, 1375.
373 BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374.
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des Lehrbeauftragten diene im Lehrbetrieb der Hochschulen
wesentlich der Ergänzung des hauptamtlich erteilten
Unterrichts durch den beamteten Hochschullehrer, so daß
sich dessen gesteigerte Verfassungstreuepflicht auch auf
den Lehrbeauftragten erstrecke.“374
Insbesondere das zuletzt genannte Argument überzeugt:
Lehraufträge, die zur Ergänzung des Lehrangebots
erteilt werden (§ 56 Abs. 1 S. 1 LHG), sind im Einzelfall
sehr unterschiedlich ausgestaltet. Sie können in den
grundrechtssensiblen Bereich der Studierenden weit hineinreichen,
soweit mit ihnen die Bewertung von Prüfungsleistung
einhergeht – müssen dies aber nicht.375
Lehrbeauftragte können nach Aufgaben und Funktion
nicht nur auf den weiteren Studienverlauf oder die
Staatsprüfung Einfluss nehmen (etwa weil die Bewertung
einer Abschlussklausur zur Beendigung des Studiums
führt), sondern auch für den Berufseinstieg. Sie
nehmen hoheitliche Aufgaben aber nicht als ständige
Aufgabe wahr.376 Nur dann (und nicht generell!) werden
Lehrbeauftragte adäquat zu Hochschullehrern tätig und
handeln so funktionell für den Staat.
Im Ergebnis gilt für Lehrbeauftragte an Universitäten
und anderen Hochschulen die Formel des BAG entsprechend:
Geschuldet ist nur diejenige politische Loyalität,
die für die funktionsgerechte Ausübung des erteilten
Lehrauftrags unverzichtbar ist.
V. Zusammenfassung - Politischer Extremismus bedeutet aktive Verfassungsfeindschaft.
Als zeitloses Übel prägt er unsere Vergangenheit
und bedroht unsere freiheitlich verfasste
Rechts- und Gesellschaftsordnung der Gegenwart –
auch an Hochschulen. - Unser Verfassungsstaat steckt aufgrund der grundgesetzlichen
Entscheidung, freiheitlich und wehrhaft zu
sein, bei der Bekämpfung des politischen Extremismus
stets in einem Dilemma: Einerseits muss er die Grundrechte
der Bürger umfassend schützen; andererseits ist er
verfassungsrechtlich verpflichtet, seine freiheitliche demokratische
Grundordnung zu erhalten und zu schützen.
Dieser Dualismus ist dahingehend aufzulösen, dass
der Staat den Bürgern möglichst umfassende grundrechtliche
Freiheit gewährt und seine Grundwerte erst
und auch dann nur rechtsstaatlich verteidigt, wenn diese
konkret bedroht sind. - Dieser verfassungsimmanente Dualismus determiniert
die Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen
Dienst – und damit auch die an staatlichen Hochschulen.
Grundrechtsfreundlich ist er hier dahingehend aufzulösen,
dass der Staat von seinen Beschäftigten zwar
grundsätzlich Verfassungstreue verlangen kann, aber
nicht von allen in gleichem Maß. - Zu positiver Verfassungstreue sind Beamte an
Hochschulen verpflichtet – dienstlich wie außerdienstlich
und unabhängig von ihrer Aufgabe und Funktion.
Das ist nicht nur verfassungskonform, sondern auch völker-
und europarechtlich zulässig. Dem steht insbesondere
die Wissenschaftsfreiheit nicht entgegen: Regelmäßig
sind (politisch motivierte) extremistische Äußerungen
schon verfassungsrechtlich keine Wissenschaft und
(nur) von der allgemeinen Meinungsfreiheit nach Art. 5
Abs. 1 S. 1 GG geschützt. - Innerhalb des Schutzbereichs der Wissenschaftsfreiheit
wird die beamtenrechtliche politische Treuepflicht
im Funktionsbereich der Lehre durch die Verfassungstreueklausel
nach Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG überlagert.
Verboten ist danach (nur), den Hörsaal zur politischen
Agitation zu missbrauchen. Erst wenn und weil ein Verstoß
gegen Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG vorliegt, kann dies
Grundlage beamtenrechtlicher Disziplinarmaßnahmen
sein. Im Übrigen kann Art. 33 Abs. 5 GG die Wissenschaftsfreiheit
als verfassungsimmanente Schranke zwar
begrenzen. Kein Verstoß gegen die positive Verfassungstreuepflicht
(und auch nicht gegen die Mäßigungspflicht)
liegt jedoch vor, wenn spezifisch wissenschaftliche
Tätigkeiten betroffen sind. So kann etwa ein verbeamteter
Hochschullehrer nicht wegen der Inhalte oder
Ergebnisse seiner Forschung disziplinarrechtlich verfolgt
werden. - Daneben schulden auch Arbeitnehmer an staatlichen
Hochschulen dem Staat politische Treue jedoch
nur diejenige politische Loyalität, die für die funktionsgerechte
Amtsausübung unverzichtbar ist. Funktionsbezogen
muss daher differenziert werden: Wissenschaftliches
Personal, das beamtengleich hoheitlich tätig wird, insbe-
374 BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374.
375 BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374, 1375.
376 BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374.
377 BVerwG 19.1.1989 – 7 C 89/87, NJW 1989, 1374.
378 Vgl. Kimminich, JZ 1989, 439, 440.
379 BVerwG 29.8.1975 – VII C 60/72, NJW 1976, 437; BAG 15.4.1982 –
2 AZR 1111/79, NVwZ 1983, 248.
Picker/Reif · Mein Prof ist ein Nazi 1 0 1
sondere vergleichbar zu Hochschullehrern, trifft wie die
Beamten die Pflicht zur positiven Verfassungstreue. Beschäftigte,
die keine hoheitlichen Befugnisse und Aufgaben
ausüben, trifft hingegen (nur) die Pflicht zur einfachen
politischen Treue. Sie genügen dieser negativ bereits
dadurch, dass sie sich nicht aktiv verfassungsfeindlich
betätigen.
Prof. Dr. Christian Picker ist Inhaber des Lehrstuhls für
Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Unternehmensrecht
an der Universität Konstanz, Sebastian Reif ist
wissenschaftlicher Mitarbeiter ebendort.
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