Die Meinungs- und Lehrfreiheit waren in den letzten Jahren oft Konfliktherd an vielen deutschen Hochschulen. Um dies verfassungsrechtlich, dienstrechtlich sowie wissenschaftspolitisch zu erörtern und vertiefen, veranstaltete der Verein zur Förderung des deutschen und internationalen Wissenschaftsrechts e.V. am 24.06.2021 eine online stattfindende Tagung.
Zunächst begrüßte Prof. Dr. Volker Epping, Präsident der Leibniz Universität Hannover und Vorstandsmitglied des Vereins, die knapp 60 Teilnehmenden. Die Meinungs- und Lehrfreiheit sowie ihre Ausübung und Grenzen stellen in den letzten Jahren fast jede Hochschule vor Herausforderungen und Konflikte. Auch an der Leibniz Universität Hannover haben sich in dem Zusammenhang Schwierigkeiten ergeben. Epping plädierte daher für einen offenen, vielgestaltigen Diskurs an der Hochschule, der alles, was den Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht verlässt, aushalten muss.
I. Freie Rede und Diskurs einer Hochschule ‑ was fordert das Verfassungsrecht?
Prof. Dr. Bernd Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes und Inhaber des Lehrstuhls für Staatsrecht, Völkerrecht und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität zu Köln, ging der Frage nach, welche Anforderungen das Verfassungsrecht an die freie Rede und den Diskurs in einer Hochschule stellt.
Zu unterscheiden ist dabei zwischen Wissenschaftsfreiheit, welche durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt wird, und der in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verankerten Meinungsfreiheit.
Die Wissenschaftsfreiheit wird vom Grundgesetz in Art. 5 Abs. 3 GG als vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht geschützt. Das BVerfG definiert Wissenschaft als „den nach Inhalt und Form ernsthaften und planmäßigen Versuch zur Ermittlung der Wahrheit.“1 Planmäßig ist der Versuch, wenn eine rationale und methodengeleitete Vorgehensweise an den Tag gelegt wird, die nur dann als ernsthaft betrachtet werden kann, wenn sie sich mit dem bisherigen gesicherten Erkenntnisstand hinreichend auseinandersetzt.
Krude Verschwörungstheorien fielen daher schon aus dem Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit heraus und könnten höchstens noch unter dem Schutz der Meinungsfreiheit stehen. Ansonsten seien die inneren Grenzen der Wissenschaftsfreiheit weit zu ziehen, solange ein ernsthafter und planmäßiger Versuch des Erkenntnisgewinns vorliege. Der Ausschluss anderer aus dem Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit und Bezeichnung der Forschung anderer als „Nichtwissenschaft“ würde zu einer Verengung der Wissenschaftspluralität führen und letztendlich auch einer wissenschaftlichen Diskussion über das unliebsame Thema den Boden entziehen.
Nicht jede Äußerung eines Wissenschaftlers2 müsse jedoch per se in den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit zählen. Zu unterscheiden sei hier, wenn dazwischen auch oft nur ein schmaler Grat liege, zwischen einer wissenschaftlich fundierten These und einer außerwissenschaftlichen Meinungsäußerung.3 Letztere werde höchstens durch die Meinungsfreiheit geschützt, wenn keine erwiesen oder bewusst unwahren Tatsachen behauptet werden, falle jedoch nicht in den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit.
Die Wissenschaftsfreiheit wird anders als die Meinungsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und unterliegt daher nur den für jede grundrechtlich geschützte Freiheit geltenden verfassungsimmanenten Schranken. Die in Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG normierte Pflicht zur Verfassungstreue stelle insoweit keine zusätzliche Begrenzung, sondern vielmehr eine Privilegierung der WissenschaftsKaroline
Haake
Meinungs- und Lehrfreiheit – Was müssen Hochschulen aushalten? Bericht über die Tagung des Vereins zur Förderung des deutschen und internationalen Wissenschaftsrechts e.V. am 24.06.2021
1 BVerfGE 35, 79 (112).
2 Soweit im Folgenden allein aus Gründen besserer Lesbarkeit die Form des generischen Maskulinums verwendet wird, sind stets alle Geschlechter mitumfasst.
3 Eine außerwissenschaftliche Meinungsäußerung liege regelmäßig wissenschaftlich-kompetenziell außerhalb des Fachgebiets des Wissenschaftlers und entbehre einer wissenschaftlichen Grundlage, wie etwa die Behauptung eines Physikprofessors, den Ursprung des Coronavirus‘ in einem Labor in Wuhan gefunden zu haben, dabei aber methodisch-rationale Standards der Virologie verfehlt („Laborunfall“-These).
Ordnung der Wissenschaft 2021, ISSN 2197–9197
2 5 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 5 7 — 2 6 4
4 Köttgen, Das Grundrecht der deutschen Universität, 1959.
5 Petersen, Forschung und Lehre 2017, 974 ff.
6 Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 1981.
freiheit gegenüber der beamtenrechtlichen Loyalitätspflicht
dar: Von sonstigen Beamten werde aufgrund der
in den Beamtengesetzen verankerten Loyalitätspflicht
ein aktives Eintreten für die Verfassung verlangt, während
Hochschullehrende durch Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG
lediglich daran gehindert seien, gegen die Verfassung zu
agitieren.
Politische Äußerungen von Hochschullehrenden im
Hörsaal seien nicht per se verboten, solange sie sich
nicht in plumpem parteipolitischen Werben erschöpfen.
Meinungsäußerungen im inneren Zusammenhang mit
dem Lehrbetrieb seien erlaubt.
Das beamtenrechtliche Mäßigungsgebot sei jedoch
insbesondere in der Lehre einzuhalten. Grundrechtlich
geschützte Rechtspositionen anderer, insbesondere Studierender,
seien zu achten und Verstöße gegen diese seien
nicht durch die Wissenschaftsfreiheit geschützt, sondern
disziplinarrechtlich zu ahndende Dienstvergehen.
Zu beachten sei jedoch, dass die Universität als Ort der
Konfrontation zu verstehen und es zumutbar sei, dort
den Freiheitsgebrauch anderer Grundrechtsträger ertragen
zu müssen, solange keine eigenen Grundrechte verletzt
werden.
Art. 5 Abs. 3 GG gebiete es als „Grundrecht der deutschen
Universität“4, die Hochschulen als Stätten freiheitlicher
Grundrechtsausübung und freien Diskurses zu
konstruieren. Als offener Diskursraum müsse in den
Grenzen des geltenden Rechts jeder Diskursbeitrag zulässig
sein. Daher dürften Diskursteilnehmende auch
nicht ohne gesetzliche Grundlage ausgeschlossen werden.
Selbstverständlich dürfe die Hochschule nicht zur
Bühne strafbarer, volksverhetzender Parolen werden. Sei
zu erwarten, dass voraussichtlich gegen Strafvorschriften
verstoßen werde, müssen die Personen vom Diskurs
ausgeschlossen werden. In der Praxis betreffe dies insbesondere
Gastdozierende oder Politiker, die für Vorträge
eingeladen werden. Solange kein Gesetzesverstoß drohe,
sei dies grundsätzlich für Politiker aller Parteien möglich.
Kempen sah es gar als Chance an, in der Hochschule
zwischen Wissenschaft und Politik auszutauschen und
abzugleichen. Manche „populistische Verirrung“ hätte
so durch wissenschaftliche Aufklärung vielleicht vermieden
werden können.
Die Hochschulleitung müsse sich vor Hochschulangehörige
stellen, die in ihrer Freiheitsausübung von dritter
Seite eingeschränkt werden. Dies sei ihr aufgrund ihrer
grundrechtlichen Schutzpflicht sowie der beamtenrechtlichen
Fürsorgepflicht geboten.
Die Wissenschaftsfreiheit sieht Kempen derzeit in besonderer
Art und Weise bedroht, jedoch nicht durch
staatliche Akteure, sondern durch die Akteure des Wissenschaftssystems
selbst. Besonders kritisch in diesem
Zusammenhang sieht er die sog. Cancel Culture und dadurch
die Engführung des wissenschaftlichen Diskurses.
Er beobachtet als Präsident des Deutschen Hochschulverbands
eine signifikante Häufung von Fällen, in denen
Wissenschaftler sich durch Political Correctness in ihrer
Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt fühlen.5 Dies führe
zu einem schleichenden Aushöhlungsprozess der Wissenschafts-
und Meinungsfreiheit. Die verfassungsrechtlichen
Garantien helfen dabei nur begrenzt. Stattdessen
müsse dem selbstverschuldeten Verlust der Wissenschafts-
und Meinungsfreiheit mit wissenschaftlicher
Aufklärung und Lehr- und Meinungsvielfalt entgegengetreten
werden.
II. Krisenmanagement einer Hochschulleitung
Als nächstes referierte Prof. Dr. Birgitta Wolff, ehemalige
Präsidentin der Goethe-Universität Frankfurt am Main,
dazu, wie sie als Hochschulpräsidentin mit konkreten
Vorgängen und Disputen um die Lehr- und Meinungsfreiheit
umging, und sprach Empfehlungen zum diesbezüglichen
Krisenmanagement aus.
Die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit sah auch
Wolff aktuell in einem Spannungsverhältnis zur Cancel
Culture.
Angesichts der steigenden Verbreitung von Fake
News und „alternativen Fakten“ müsse der wissenschaftsgeleitete
Diskurs an den Hochschulen kultiviert
und Spielregeln des Diskurses etabliert werden. Nur so
könne es zum „zwanglosen Zwang des besseren, nicht
des lauteren Arguments“6 kommen. Und nur durch das
Plausibilisieren der eigenen Meinung mittels Argumenten
und das Sich-Stellen gegenüber Gegenargumenten
könne durch Diskurs wissenschaftlicher Fortschritt erzielt
werden. Die Hochschule nehme insofern eine wichtige
gesellschaftliche Aufgabe wahr.
Die tiefergehende Krise, mit welcher die Hochschulen
umzugehen haben, sei insbesondere die Negation
von wissenschaftlichem Diskurs. Die Hochschulen müssen
daher kommunikative Instrumente schaffen, um den
freien, offenen Diskurs nach wissenschaftlichen Spielregeln
zu ermöglichen.
Wolff berichtete von Fällen an der Goethe-Universität,
bei denen Krisenmanagement in Zusammenhang mit
Haake · Meinungs- und Lehrfreiheit — Was müssen Hochschulen aushalten ? 2 5 9
7 Thiel, FAZ v. 22.01.2018.
8 Kehler/Davydov, FAZ v. 08.05.2019.
9 Schmidt, FNP v. 07.04.2018.
Lehr- und Wissenschaftsfreiheit nötig war. So sei es zu
empfehlen, bei im Vorfeld bekannten stark kontroversen
Themen, die öffentlichkeitswirksam adressiert werden
sollen, die Hochschulleitung oder Pressestelle zu involvieren,
anstelle mit öffentlicher Kritik und Protest dezentral
umzugehen. Die Hochschulleitung könne in solchen
Fällen durch umfangreiche Erfahrung und
Methoden bezüglich Kommunikation und Sicherheit
hilfreich zur Seite stehen. Auf Seiten der Hochschulleitung
sei es zu empfehlen, einen Krisenstab einzurichten,
der im Umgang mit öffentlicher Kritik und medienwirksamen
Protestaktionen erfahren sei.
Eine persönliche Involvierung der Hochschulleitung
sei grundsätzlich empfehlenswert. Nach eindeutiger Positionierung
könne die Hochschulleitung das Krisenmanagement
anschließend im Einzelfall delegieren. Nicht
zuletzt bleibe dann die Hochschulleitung noch als höhere
Eskalationsstufe bestehen.
Insbesondere bei kontroversen Veranstaltungen oder
Einladung kontroverser Dozierender komme es immer
wieder zu öffentlichem Protest, Forderungen nach Absagen,
Ausladungen oder gar Entlassungen. Um solche
sich oft hochschaukelnden Situationen zu entschärfen
oder aufzulösen, müsse es sich die Hochschule zur Aufgabe
machen, der Debatte in geregelter Form eine Plattform
zu bieten. Diskurs sei schließlich erwünscht, solange
er geordnet und nach klaren wissenschaftlichen Spielregeln
ablaufe. Betont werden müsse dabei ebenfalls immer
die Bedeutung der grundrechtlich geschützten
Wissenschafts- und Meinungsfreiheit. Jeder dürfe im
Rahmen der Regeln wissenschaftsgeleiteter Diskurse an
der Hochschule sprechen, solange keine eindeutigen
verfassungsfeindlichen oder strafbaren Positionen vertreten
werden oder zu erwarten seien. Vermieden werden
müsse „Moral statt Argument“ oder Angriffe auf
Person anstelle von Gegenargumentation.
Eine Lösung in solchen Situationen könne beispielsweise
das Organisieren einer öffentlichen Podiumsdiskussion
bieten, um einen geordneten Diskurs zu initiieren
und den gegenläufigen Positionen in systematischer
und ausgewogener Form eine Plattform zu geben.7 So
könne verhindert werden, dass die Debatte aus dem Ruder
läuft. Notwendig sei dabei das Einhalten wissenschaftsgeleiteter
Spielregeln: Kein „Niederbrüllen“ der
Gegenposition, Raum für unterschiedliche Positionen
und Argumente sowie eine starke Moderation. Selbstverständlich
sollte ein solches Podium mit Vertretern diverser
inhaltlicher Positionen besetzt werden und jedem
Interessierten die Möglichkeit zur Teilnahme geboten
werden.
Bei starken Protesten und Hetzkampagnen gegen
Veranstaltungen oder Dozierende sei es zudem wichtig,
sich als Hochschulleitung vor seine Hochschulangehörigen
zu stellen, um deren Wissenschaftsfreiheit zu schützen.
8 Als effektiv erwiesen habe sich in solchen Fällen
eine schnelle Reaktion und klare Positionierung. Insbesondere
was die Pressearbeit angeht, müsse die Hochschule
nicht bloß defensiv auf Anschuldigungen reagieren,
sondern dürfe auch ruhig aktiv und offensiv
kommunizieren.
Auch zu denken sei in solchen Fällen an eine Verstärkung
und Instruktion des Sicherheitsdienstes, um die
Veranstaltung selbst als auch Veranstaltungsteilnehmende
zu schützen. Aus demselben Grund könnten ebenfalls
Absprachen mit der Polizei notwendig sein.
In solchen Fällen, in denen im Vorfeld eine sehr hitzige
und überregionale Debatte entsteht, könne durch
Übertragung der Veranstaltung im Internet oder auf
dem Campus die Teilnahme möglichst vieler Interessierter
am Diskurs sichergestellt werden. Durch die Raumplanung
könne jedoch die Sicherheit der Veranstaltung
gewährleistet bleiben: Anstelle die Veranstaltung aufgrund
ihrer Kontroversität und des großen Andrangs
immer größer werden zu lassen, könne man durch das
Abhalten der Veranstaltung in einem Raum mit begrenzter
Kapazität bei gleichzeitigem Streaming dafür sorgen,
dass die Veranstaltung nicht eskaliert.
Offenen wissenschaftlichen Diskurs zu ermöglichen,
sei zwar wichtige Aufgabe der Hochschulen. Gleichzeitig
müssten Diskurs, Protest und Meinungsaustausch jedoch
in rechtlichen Grenzen ablaufen. Diese müsse die
Hochschule ebenfalls klar kommunizieren.
Auch bei der Vermietung von Räumen der Hochschule
für externe Veranstaltungen könne es Probleme
geben, wenn es sich um eine kontroverse Veranstaltung
handelt.9 Hier müssen die Hochschulen verstärkt darauf
achten, dass auch bei externen Veranstaltungen akademische
Standards sichergestellt werden. Denn hier könne
der Kontext der Hochschule eine vermeintliche Wissenschaftlichkeit
vermitteln, die möglicherweise so nicht
gegeben sei. Um weniger Überraschungen beim Vermieten
von Räumen für externe Veranstaltungen zu erleben,
biete es sich daher an, den internen Prozess zur Vergabe
von Mietverträgen klar zu definieren und für das Achten
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10 Zoske, FAZ v. 02.04.2019; dazu erschien ein Dialog zwischen
dem betroffenen Lehrbeauftragten und einer Professorin desselben
Fachbereichs, Wie lässt sich Flüchtlingspolitik humaner
gestalten?, UniReport Goethe-Universität Frankfurt am Main Nr.
3/2019 v. 29.05.2019, 4 f.
11 Battis, in Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht
– Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 87 Rn. 55.
12 Thieme, Deutsches Hochschulrecht, Rn. 701; Epping, ZBR 1997,
383 (392); Grzeszick, in: Geis (Hrsg.), HSR-BY, Kap. 3 Rn. 194 f.;
Detmer, in: Hartmer/Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht, Kap. 4 Rn.
158.
auf wissenschaftlich fragwürdige Veranstaltungen zu
sensibilisieren. Insbesondere fachwissenschaftliche Bedenken
könnten im Vorfeld besser überprüft werden.
Bei einem öffentlichen Shitstorm gegen Dozierende
wegen Äußerungen in der Presse müsse diesen die Möglichkeit
gegeben werden, zur Sache Stellung zu nehmen
und in einem wissenschaftsgeleiteten Dialog gegebenenfalls
Missverständnisse auszuräumen.10 Für die Auswahl
der Lehrbeauftragten und Dozierenden und Gestaltung
der Lehrprogramme seien jedoch nicht die Hochschulleitung,
sondern die jeweiligen Fachbereiche zuständig.
Die Vermittlung zwischen dem Lehrbeauftragten und
dem Fachbereich delegierte Wolff an eine verantwortliche
Ansprechperson.
All die von Wolff aufgezeigten Instrumente seien solche
zur Ermöglichung des Diskurses und zum Krisenmanagement
kommunikativer Art. Ein Rückfall auf
rechtliche Handlungsoptionen bleibe als Ultima Ratio
übrig, aber oft seien kommunikative, nicht rechtliche
Lösungen für Probleme der Hochschulleitung rund um
die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit notwendig.
Hilfreich dabei empfand sie die Sitzungen der einschlägigen
Gremien für die Kommunikation innerhalb
der Hochschule, den Einsatz lösungsorientierter Kommunikation
anstelle von Schuldzuweisungen und den
professionellen Einsatz von Medienarbeit.
III. Rechtliche Handlungsoptionen einer Hochschulleitung
In einem dritten Beitrag zeigte Prof. Dr. Max-Emanuel
Geis, Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs,
Direktor der Forschungsstelle für Wissenschafts- und
Hochschulrecht und Lehrstuhlinhaber für Deutsches,
Europäisches und Internationales Öffentliches Recht an
der Universität Erlangen-Nürnberg, auf, welche rechtlichen
Handlungsmöglichkeiten einer Hochschulleitung
im Einzelnen zur Verfügung stehen und welche Ausübungen
der Meinungs- und Lehrfreiheit Hochschulleitungen
aushalten müssen.
Rechtliche Instrumente seien eher als „restriktive
Rückfalloptionen“ anzusehen, in der Praxis würden vordergründig
kommunikative Mittel zur Lösung eines
Konfliktes gewählt. Gerade bei der Forderung nach der
Absage einer Veranstaltung, der Ausladung eines Dozierenden
oder gar der Entlassung eines Hochschulangehörigen
seien die rechtlichen Handlungsoptionen der
Hochschulleitung nur begrenzt.
Handlungsmöglichkeiten der Hochschulleitung bestehen
zum einen im Erteilen von dienstrechtlichen
Weisungen, daneben in der Weigerung, Räume zur Verfügung
zu stellen sowie in der Weigerung, personelle
und finanzielle Ressourcen bereitzustellen.
Zuständig für dienstrechtliche Weisungen, etwa die
Weisung an einen Hochschullehrenden, Vorträge oder
Veranstaltungen abzusagen oder Gastredende auszuladen,
sei der Vorgesetzte des Beamten i.S.d. § 3 Abs. 3
BeamtStG. Der Präsident der Hochschule sei zwar
Dienstvorgesetzter des Hochschullehrenden i.S.d. § 3
Abs. 2 BeamtStG, egal, ob die Hochschule oder das jeweilige
Bundesland Dienstherr oder Dienstherrin ist.11
Allerdings haben Hochschullehrende keinen Vorgesetzten
nach § 3 Abs. 3 BeamtStG, da diese ihr Amt nach § 43
HRG bzw. den entsprechenden Landeshochschulgesetzen
selbstständig und daher grundsätzlich weisungsfrei
ausüben.12 Punktuelle Ausnahmen von der Weisungsfreiheit
müssten gesetzlich geregelt sein und bestehen
nur im Bereich staatlicher Aufgaben oder zur Sicherstellung
des Lehrangebots, wie etwa in der Weisung an den
Hochschullehrenden, eine Vorlesung zu halten.
Der gesetzliche Ausschluss der Weisungsrechte gelte
auch für den Dienstvorgesetzten. Die Hochschulleitung
sei daher grundsätzlich nicht zu inhaltlichen Weisungen
berechtigt, die in die durch die Wissenschaftsfreiheit geschützte
Forschung und Lehre des Hochschullehrenden
eingreifen. Dienstrechtliche Maßnahmen der Hochschulleitung
gegenüber Hochschullehrenden seien beschränkt
auf statusverändernde Maßnahmen wie die Ernennung,
Versetzung, Zuweisung oder das Einleiten eines
Disziplinarverfahren.
Die Behandlung brisanter, politisch aufgeladener
Themen sowie die Einladung von auswärtigen Wissenschaftlern
oder Politikern, die umstrittenen Einrichtungen
oder Parteien angehören, um mit ihnen einen – unter
Umständen auch hochkontroversen – wissenschaftsgeleiteten
Diskurs zu führen, seien Aufgabe der Hochschulen
und der einzelnen Wissenschaftler, und daher
grundsätzlich dem Zugriff durch den dienstvorgesetzten
Präsidenten ausgeschlossen. Dies sei nur dann nicht der
Fall, wenn zu erwarten sei, dass durch die Einladung
Haake · Meinungs- und Lehrfreiheit — Was müssen Hochschulen aushalten ? 2 6 1
13 Geis bezeichnet dies als die „sehenden-Auges-Theorie“, wonach
die Hochschulleitung nicht „sehenden Auges“ ein Vergehen
abwarten müsse, um einzuschreiten.
14 Z.B. im Fall der Wiederaufnahme des Lehrbetriebs durch Bernd
Lucke an der Universität Hamburg.
15 Als Behördenleiter sei demnach der Präsident für die Abwehr
von Gefahren für die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt zuständig,
VGH Mannheim, DÖV 1974, 751; OVG Lüneburg, NJW
1975, 136; Thieme, Hochschulrecht, Rn. 583; Stober, in: Wolff/
Bachof/Stober/Kluth, VerwR I, § 32 Rn. 31; Sandberger, LHG BW,
§ 17 Rn. 8.
16 Den Anspruch verglich Geis mit dem Anspruch auf Nutzung
kommunaler Einrichtungen.
oder den eigenen Vortrag ein Dienstvergehen begangen
werde.13 Eine Weisung in Form eines präventiven Verbots
der Veranstaltung sei dann dienstrechtlich möglich.
Dies sei jedoch im Gleichklang zur Schranke des
Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG nur dann der Fall, wenn die Veranstaltung
oder der Vortrag selbst verfassungsfeindliche
Inhalte verbreite, nicht aber, wenn der Vortrag verfassungsfeindliche
Inhalte lediglich thematisiere und sich
mit diesen auseinandergesetzt werde oder auch „problematische“
Redner eingeladen werden, um ihnen argumentativ
und wissenschaftsbasiert Paroli zu bieten.
Die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht des Dienstherrn
gebiete, dass der Präsident sich vor die Hochschullehrenden
zu stellen habe. Diese Pflicht werde verletzt,
wenn der Präsident sich nicht bloß inhaltlich vom
Hochschullehrenden oder dessen Aussagen distanziere,
sondern diesem öffentlich seine Loyalität abspricht. Als
Grundsatz des Berufsbeamtentums genieße die beamtenrechtliche
Fürsorgepflicht den verfassungsrechtlichen
Schutz des Art. 33 Abs. 5 GG und könne dazu führen,
dass die Hochschulleitung zum Schutz seiner Hochschullehrenden
zur Heranziehung der Polizei verpflichtet
sei.14
Für angestellte Hochschullehrende gelte die Selbstständigkeitsgarantie
gleichermaßen, das Direktionsrechts
des Arbeitgebers (je nach Landeshochschulrecht
entweder das Land oder die Hochschule) sei gleichermaßen
eingeschränkt wie das dienstrechtliche Weisungsrecht
für Beamte.
Wollen Hochschullehrende gegen eine dienstrechtliche
Weisung vorgehen, sei dagegen nach § 54 BeamtStG
entweder ein Widerspruch oder eine Anfechtungsklage
statthaft. Angestellte müssen gegen eine arbeitsrechtliche
Weisung mit einer zivilrechtlichen Leistungs- oder
Feststellungsklage vor dem Arbeitsgericht vorgehen.
Eine weitere Handlungsmöglichkeit der Hochschulleitung
gegen eine Veranstaltung oder Einladung eines
Gastredners wäre die Weigerung, bestimmte Räumlichkeiten
zur Verfügung zu stellen. Diese Möglichkeit folge
aus dem Hausrecht des Präsidenten. Die Rechtsgrundlage
für dieses ergebe sich entweder schon aus dem Hochschulgesetz
des Landes (z.B. § 17 Abs. 8 LHG BW) oder
werde zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich hergeleitet.
Zivilrechtliche Rechtsgrundlage für das Hausrecht könne
die (ggf. analoge) Anwendung der Besitzstörungsansprüche
(§§ 1004, 903 BGB) sein. Öffentlich-rechtlich
werde das Hausrecht aus der Anstaltsgewalt des Behördenleiters
hergeleitet.15
Die Ausübung des Hausrechts durch den Präsidenten
müsse jedoch zweckgebunden erfolgen, um Forschung
und Lehre zu ermöglichen: Es müsse eine Gefahr für öffentliche
Sicherheit und Ordnung vorliegen. Allein die
geistige Auseinandersetzung mit radikalen oder umstrittenen
Meinungen sei – zumal im Zentrum einer Hochschule
– keine Gefahr im polizeirechtlichen Sinne, da
kein unmittelbarer Schadenseintritt zu erwarten sei. Anders
sei dies lediglich, wenn zu erwarten sei, dass die
Veranstaltung Gewalt in Form von Tumulten und Schlägereien
auslöse und daher unfriedlich zu werden droht.
Eine Gefahr könne im Einzelfall auch bestehen, wenn
Anhaltspunkte vorliegen, dass der Redner durch seinen
Auftritt oder Äußerungen Straftaten begeht.
Aus der Erfüllung hochschulischer Aufgaben der
Wissenschaftler (z.B. Vorträge und Diskussionen zu veranstalten)
folge im Gegenzug auch ein Anspruch auf
Nutzung der vorhandenen Räume im Rahmen der Verfügbarkeit.
16 Solange ein Raum frei sei und keine anderen
Gründe entgegenstehen, müsse die Nutzung der
Räumlichkeit daher gewährt werden. Eine Verweigerung
der Zurverfügungstellung aus politischen Gründen
oder zur Wahrung des guten Rufs sei nicht zulässig.
Weiterhin könne die Hochschulleitung als Kollegium
versuchen, kontroverse Veranstaltungen zu verhindern,
indem deren Finanzierung verweigert wird. Regelmäßig
liege die Kompetenz zum Vollzug des Haushaltsplans
der Universität bei der Hochschulleitung. In diese Kompetenz
sei ebenfalls die Finanzierung von Veranstaltung
erfasst sowie die Möglichkeit, die Dekanate oder Fakultäten
anzuweisen, keine Mittel für eine Veranstaltung
vorzusehen.
Entstehen durch die Veranstaltung jedoch gar keine
Kosten für die Hochschule, könne deren Finanzierung
selbstverständlich auch nicht verweigert werden. Ebenfalls
keine Durchsetzungskraft habe die Verweigerung
der Finanzierung zudem, wenn die Hochschule bereits
im Vorfeld rechtswirksame (Honorar-)Verträge beispielsweise
mit Gastrednern abgeschlossen habe, die als
rechtswirksame Verpflichtungen einzuhalten seien.
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IV. Podiumsdiskussion
An der am Nachmittag stattfindenden Podiumsdiskussion
nahmen Prof. Dr. Jörg Baberowski, Lehrstuhlinhaber
für die Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität
zu Berlin, Prof. Dr. Susanne Menzel-Riedl, Präsidentin
der Universität Osnabrück, Dr. Oliver Grundei,
Staatssekretär für Wissenschaft und Kultur im Ministerium
für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes
Schleswig-Holstein und Prof. Dr. Andreas Fisahn, Lehrstuhlinhaber
für Öffentliches Recht, Umwelt- und Technikrecht
sowie Rechtstheorie an der Universität Bielefeld
teil. Moderiert wurde die Diskussion von Heike Schmoll,
Redakteurin der FAZ im gesamten Bereich der Bildungsund
Schulpolitik.
Zunächst berichtete Prof. Dr. Susanne Menzel-Riedl
von einem Konflikt an der Universität Osnabrück nach
der Einladung eines kontroversen Gastredners im Historischen
Seminar. In diesem Rahmen wurden mehrere
Forderungen – sowohl durch den AStA, Teile der Studierendenschaft
als auch Teile des historischen Kollegiums
– an die Hochschulleitung nach der Absage der Veranstaltung
und Ausladung des Gastredners herangetragen.
Gleichzeitig sei im Kollegium ebenfalls ein Konflikt entstanden.
Den Absageforderungen sei sie als Präsidentin
der Universität entgegengetreten. Die Schwierigkeit habe
zudem darin bestanden, dass der Konflikt hauptsächlich
über das Internet und soziale Medien ausgetragen worden
sei und kaum persönlichen Ansprache oder Kommunikation
stattgefunden haben.
Menzel-Riedl betonte in diesem Rahmen, dass die
Wissenschafts- und Meinungsfreiheit zu achten seien
und eine Absage nur bei Missachtung der Verfassung
oder strafrechtlich relevanten Aussagen in Betracht
komme. Eine Verstrickung in fachliche Details sei als
Hochschulleitung auch nicht notwendig. Sie habe dabei
ähnlich wie Prof. Dr. Birgitta Wolff auf klare Kommunikation
nach außen und klare Absprachen innerhalb der
Hochschulleitung Wert gelegt. Wichtig sei dabei als
Hochschulleitung die Differenzierung zwischen interner
Kommunikation und der Kommunikation nach außen.
Prof. Dr. Andreas Fisahn merkte an, dass Proteste gegen
Veranstaltungen durch Studierende oder Kollegen
sowie die Organisation von Gegenveranstaltungen
grundsätzlich nicht problematisch sein müssen, sondern
gerade als Ausdruck der Wissenschafts- bzw. Meinungsfreiheit
einen grundsätzlich wünschenswerten wissenschaftlichen
Diskurs herbeiführen können. Dies sei jedoch
nicht der Fall beim Unterdrücken oder Verweigern
abweichender Meinungen, Forschung oder Lehre wie
etwa das Verbannen von Büchern aus der Universität.
Prof. Dr. Jörg Baberowski berichtete von den wiederholten
Angriffen auf seine Forschung, Lehre und sein
Privatleben durch eine studentische Splittergruppe an
der Universität. So wurden aufgrund seiner Forschung
zu osteuropäischen Diktaturen immer wieder Boykottaufrufe
und Falschinformationen in Umlauf gebracht,
Projekte und Vorträge sabotiert, sogar Mordaufrufe
im Internet sowie durch Plakate und Flugblätter in
Berlin verbreitet. Eine tatsächliche Auseinandersetzung
mit seiner Forschung erfolge jedoch kaum. Andere Wissenschaftler
distanzieren sich jedoch ebenfalls, um nicht
ebenfalls Ziel ähnlicher Angriffe zu werden. Nach einer
Weile bleibe auf diese Weise „etwas hängen“. Die Hochschulleitung
habe sich dabei jedoch nicht vor
Baberowski gestellt und diesen öffentlich verteidigt.
Dr. Oliver Grundei äußerte dazu seine Einschätzung
aus Sicht eines Wissenschaftsministeriums als Aufsichtsbehörde
der Hochschulleitung. Die Hochschulautonomie
sei zwar von großer Bedeutung, sodass ein Einschreiten
des Wissenschaftsministeriums bei „Cancel“-
Forderungen (nach Entlassungen, Absagen, Ausladungen)
nur bei einem hohen Eskalationsgrad in Betracht
käme. Im Falle Baberowskis könne das zuständige Ministerium
jedoch zumindest einen Hinweis an die Hochschulleitung
über die Bedeutung der beamtenrechtlichen
Fürsorgepflicht und die Rechtsauffassung des Landes
geben, um auf diesem informellen Weg keine Aufsichtsmaßnahme
ergreifen zu müssen. Viele
Hochschulleitungen seien durch „Cancel“-Forderungen
überfordert und müssten sich klar machen, welche
Pflichten sie als Hochschulleitung trifft sowie welche
Reichweite die Wissenschaftsfreiheit der Hochschullehrenden
zukommt, um diese verteidigen können.
Baberowski nannte zudem die sozialen Medien als
zentrales Problem des Konflikts. Ohne soziale Medien
müssten Angriffe persönlich stattfinden. Im Internet
könnten Angriffe und Hetzkampagnen jedoch anonym
ausgeführt werden. So könnten Personen mobilisiert
und erreicht werden, die ihn und seine Auffassungen,
Forschung und Lehre nicht kennen. Ohne persönlichen
Kontakt bestehe mehr Eskalationspotential und weniger
Mäßigung.
Laut Menzel-Riedl könne sich ein Konflikt in den sozialen
Medien schneller hochschaukeln und eine Eigendynamik
entwickeln. Dadurch ginge es oft mehr um
Frontenbildung als um die Fortführung eines wissenschaftlichen
Diskurses.
Haake · Meinungs- und Lehrfreiheit — Was müssen Hochschulen aushalten ? 2 6 3
Fisahn sah soziale Medien nicht als Sonderproblem
der Hochschulen, sondern als allgemeines Problem der
Strafverfolgung anonymer Beleidigungen oder strafbaren
Handlungen im Internet an. Zunächst sei es erstmal
nicht schlecht, wenn Studierenden mehr Möglichkeiten
geboten werden, sich auszutauschen und zu organisieren.
„Cancel“-Forderungen und damit die Weigerung,
sich mit gegenläufigen Auffassungen auseinanderzusetzen,
seien zudem kein neues Phänomen an den Hochschulen.
Das Internet und die soziale Medien bieten lediglich
mehr Möglichkeiten dazu.
Dem widersprach Kempen, dass die sozialen Medien
ganz neue Möglichkeiten des Meinungskampfes bieten,
aber eben auch ein „Hinrichten“ Anderer in der Öffentlichkeit
ohne rechtliche Mittel zur Gegenwehr ermöglichen.
Dem sei ein Entgegentreten mittels Regulation des
Internets nicht möglich, sondern nur mit Bildung und
Aufklärung. Fisahn erkannte an, dass Missbrauchsmöglichkeiten
für Hetzkampagnen und Diskriminierungen
im Internet bestehen.
Baberowski betonte, dass die Wirkung der sozialen
Medien nicht zu unterschätzen sei und eine andere Dimension
als beispielsweise negative Berichterstattung in
der Presse habe, da Beiträge im Internet nie in Vergessenheit
gerieten.
Fisahn stellte die Frage nach den Grenzen des Schutzbereichs
der Wissenschaftsfreiheit. Er fragte sich, ob die
Grenzen der Meinungsfreiheit – erwiesen oder bewusst
unwahre Tatsachenbehauptungen wie etwa die Leugnung
des Holocaust – als „Unwahrheit“ auch auf den
Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit zu übertragen
seien.
Prof. Dr. Christian von Coelln, Lehrstuhlinhaber für
Staats- und Verwaltungsrecht sowie Wissenschaftsrecht
und Medienrecht an der Universität Köln, merkte an,
dass bereits die Eingrenzung der Meinungsfreiheit auf
Schutzbereichsebene nicht unumstritten sei. Er habe Bedenken,
ob es angesichts der strukturellen Unabgeschlossenheit
des wissenschaftlichen Prozesses überhaupt
etwas erwiesenermaßen falsches geben könne, das
nicht immer wieder neu ergründet, in Frage gestellt und
so zum Zentrum der Forschung und Lehre gemacht werden
dürfe. Zumindest sollte eine Eingrenzung des
Schutzbereichs und damit das Absprechen der Wissenschaftlichkeit
sehr restriktiv erfolgen.
Geis ergänzte, es sei für den Schutz durch die Wissenschaftsfreiheit
nicht entscheidend, ob falsche Tatsachen
zu Grunde gelegt werden, da diese nur ein Stein auf dem
Weg zur wissenschaftlichen Erkenntnis seien, sondern
nur relevant, ob wider besseren Wissens „Fake News“ als
Basis der Forschung und Lehre genutzt werden, um
falsch in den wissenschaftlichen Diskurs einzugreifen
und diesen zu beschädigen.
V. Resümee
Auch wenn privat jedem frei steht, sich mit anderen Meinungen
als der eigenen nicht beschäftigen zu wollen, ist
die Verweigerung der Auseinandersetzung mit missliebiger
Forschung und Lehre in der Wissenschaft, insbesondere
im Kontext der Hochschule nicht möglich. Alle
Tagungsmitglieder waren sich einig, dass die Universität
stattdessen Stätte für freien und offenen Diskurs sein
muss und sachlichen, wissenschaftsgeleiteten Diskurs
nicht scheuen darf.
Auch die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit bestehen
jedoch nicht grenzenlos. Den Boden des verfassungsrechtlichen
Schutzes verlassen insbesondere verfassungsfeindliche
oder strafrechtlich relevante Äußerungen.
Höchstens in solchen Fällen käme auch das Absagen
einer Veranstaltung oder Ausladen eines
Gastredners in Betracht, wobei den Hochschulleitungen
jedoch rechtlich begrenzte Mittel zur Verfügung stehen.
Insbesondere für Hochschulleitungen, die regelmäßig
mit Absage- oder gar Entlassungsforderungen konfrontiert
werden, ist es hilfreich, den rechtlichen Handlungsrahmen
sowie die rechtlichen Verpflichtungen ihres
Amtes zu kennen. Zudem konnte die Tagung Kommunikationsstrategien
vermitteln, um Eskalationen zu
vermeiden und einen geregelten wissenschaftlichen Diskurs
zu ermöglichen.
Wo viele Forschung und Lehre betreiben und Personen
mit vielen verschiedenen Meinungen aufeinandertreffen,
werden immer wieder Konflikte entstehen. Die
Problematik wird Hochschulen daher auch in Zukunft
noch beschäftigen, wobei ihnen die Ergebnisse der Tagung
und Erfahrungen der Referenten als Anleitung dienen
können.
Karoline Haake ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Institut für Internationales Recht, Lehrstuhl für
Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der
Leibniz Universität Hannover tätig.
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