Die andauernde COVID-19-Pandemie stellt die Hochschulen weiterhin vor Herausforderungen bei der Durchführung des Online-Semesters und insbesondere bei den vor der Tür stehenden Semesterabschlussprüfungen.
Der Verein zur Förderung des deutschen und internationalen Wissenschaftsrechts veranstaltete daher am 30.10.2020 eine Tagung zu den aktuellen rechtlichen Fragestellungen zu Lehre und Prüfungen in der Corona-Zeit, bei der jedoch eine Vielzahl prüfungs- und datenschutzrechtlicher Fragestellungen offenblieben.1 Insbesondere verschiedene Details zur rechtssicheren Durchführung von Online-Prüfungen blieben noch ungeklärt. Daher veranstaltete der Verein am 15.1.2021 eine weitere Tagung, um die aufgeworfenen Fragestellungen zu diskutieren und vertiefen.
Prof. Dr. Volker Epping eröffnete die Tagung als Vorstandsmitglied des Vereins zur Förderung des deutschen und internationalen Wissenschaftsrechts und wies auf den Erfolg der letzten Veranstaltung hin. Die erneuten 200 Teilnehmenden zeigten auf, dass auch weiterhin großes Interesse am Thema bestehe.
I. Prüfungsrecht in Zeiten der Corona-Pandemie
In einem Impulsreferat setzten sich abermals Edgar Fischer (Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Berlin) und Dr. Peter Dieterich (Richter, derzeit abgeordnet zum GJPA Berlin-Brandenburg) mit der prüfungsrechtlichen Perspektive von Online-Prüfungen auseinander und beantworteten sowohl im Vorhinein eingereichte als auch während der Veranstaltung gestellte und von Prof. Dr. Ulrike Gutheil (Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg a.D.) und Dr. Michael Stückradt (Kanzler der Universität zu Köln) moderierte Fragen.2
Bei der Bewertung der prüfungsrechtlichen Zulässigkeit einer Prüfung seien neben den Vorgaben des Landeshochschulrechts und der jeweiligen Prüfungsordnung insbesondere die zugrundeliegenden Grundrechtspositionen zu beachten: Art. 3 Abs. 1 GG vermittele im Prüfungsrecht nicht bloß ein Willkürverbot i.S.d allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes, sondern verdichte sich zu einem strengen prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit.3 Da Prüfungen in Gestalt von Leistungsanforderungen den Zugang zu einem Beruf und damit Art. 12 Abs. 1 GG beschränken, bedürften sie einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.
Art. 12 Abs. 1 GG vermittele zudem einen Anspruch des Prüflings4 auf Durchführung der Prüfung. Die Prüfungen dürften daher nicht ohne weiteres bei pandemiebedingten Schwierigkeiten ihrer Durchführung ins kommende Semester geschoben werden, sondern die Hochschulen müssten im Rahmen des Möglichen Prüfungen anbieten. Es bestehe jedoch grundsätzlich kein Anspruch des Prüflings auf Durchführung der Prüfung in einer bestimmten Prüfungsart oder ‑form. Die Auswahl dieser stehe weitgehend im Organisationsermessen der Hochschule. So bestehe auch grundsätzlich kein Anspruch, die Prüfung entgegen den jeweiligen Vorgaben der Prüfungsordnung als Online- (bzw. Präsenz-)Prüfung durchzuführen, ein solcher könne sich aber im Einzelfall ergeben: Sei eine Präsenzprüfung aufgrund des Infektionsgeschehens nicht möglich, aber durch eine Online-Prüfung ersetzbar, könne sich das Ermessen der Hochschule bzgl. der Auswahl der Prüfungsform auf Null reduzieren, sodass sie zur Durchführung einer Online-Prüfung verpflichtet wäre.5 Ein Anspruch auf OnKaroline
Haake
Prüfungen in der Coronazeit – aktuelle rechtliche Fragestellungen
Bericht über die Tagung des Vereins zur Förderung des deutschen und internationalen Wissenschaftsrechts e.V. am 15.1.2021
1 Für den Tagungsbericht zur Tagung vom 30.10.2020 siehe Haake, OdW 2021, 59–64.
2 Fischer ist Herausgeber und Dieterich neuer Autor der neuen Auflage des Standardwerks Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht.
3 So schon in BVerfGE 37, 342.
4 Soweit im Folgenden allein aus Gründen besserer Lesbarkeit die Form des generischen Maskulinums verwendet wird, sind stets alle Geschlechter mitumfasst.
5 Da keine vollkommene Schutzpflicht vor jeglicher Gesundheitsgefahr bestehe, gehöre ein gewisses Infektionsrisiko mit dem Corona-Virus jedoch derzeit für die Gesamtbevölkerung zum allgemeinen Lebensrisiko, BVerfG, Beschlüsse v. 12.5.2020 – 1 BvR 1027/20, v. 19.5.2020 – 2BvR 483/20, v. 11.11.2020 – 1 BvR 2530/20; BGH, Beschluss v. 17.11.020 – 3 Ars 14/20.
Ordnung der Wissenschaft 2021, ISSN 2197–9197
2 0 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 1 ) , 2 0 1 — 2 0 6
6 Ablehnend OVG Niedersachsen zu Zeiten niedriger Infektionsraten
für einen Raucher, Beschluss v. 2.9.2020 – 2 ME 349/20), und
VG Bremen für einen Schüler mit chronischer Vorerkrankung,
weil die Schule genügend Sicherheitsmaßnahmen getroffen habe,
Beschluss v. 16.12.2020 – 1 V 2653/20.
7 Ablehnend VG Göttingen, Beschluss v. 27.5.2020 – 4 B 112/20;
bejahend VG Köln, Beschluss v. 17.7.2020 – 6 L 1246/20.
8 Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht müssen dabei
gesundheitliche Beeinträchtigungen, deren Ursache und die
Grundlage der ärztlichen Einschätzung konkret benennen, OVG
NRW, Beschluss v. 24.9.2020 – 13 B 1368/20; a.A. OVG Berlin-
Brandenburg, Beschluss v. 4.1.2021 – 11 S 132/20.
9 Auch bezeichnet als Prüfung in elektronischer Form oder in
elektronischer Kommunikation (§ 6 Abs. 1 Corona-Epidemie-
HochschulVO NRW), elektronische Fernprüfung (§ 2 Abs. 1
BayFeV), Prüfung in digitaler Form (§ 32 Abs. 8 BerlHG), oder
Prüfungen, die unter Einsatz elektronischer Informations- und
Kommunikationssysteme erbracht werden (Entwurf des 4. HochschulrechtsänderungsG
BW).
10 Diese werden anhand der Kompetenzen abgegrenzt, die abgefragt
werden. Eine elektronische Prüfung ist dabei kein Synonym für
eine Online-Prüfung, sondern eine eigene Prüfungsart, bei der
die Prüfungsantwort am Computer mittels eines Prüfprogramms
unmittelbar in ein Datenverarbeitungssystem der Prüfungsbehörde
eingegeben wird. Eine Online-Prüfung ist dagegen eine
Prüfung mit elektronischen Informations- und Kommunikationsmitteln,
bei der Prüfer und Prüfling sich in unterschiedlichen,
nicht offiziellen Prüfungsräumen befinden. Dabei handele es sich
grundsätzlich um keine eigene Prüfungsart, sondern nur einen
anderen Übermittlungsweg für schriftliche, mündliche oder elektronische
Prüfungen.
11 Akzeptiert von OVG Bremen, Beschluss v. 2.12.2010 – 2 A 47/08.
Dazu Haake, OdW 2021, 59 (60).
12 Näheres bei Niehues/Fischer/Jeremias, Rn. 64 ff.
13 So könne etwa normiert werden, dass es zu einer Änderung des
Verfahrens kommen kann, wenn eine Entwicklung der Pandemie
bestimmte Prüfungsmodalitäten nicht mehr erlaubt.
line-Prüfung könne zudem im Einzelfall bei Zugehörigkeit
des Prüflings zu einer Risikogruppe, bei hohem Infektionsgeschehen
und einem nicht ausreichenden Hygienekonzept
entstehen.6
Sofern Studierenden die technische und/oder räumliche
Infrastruktur zur Durchführung einer Online-Prüfung
fehlt, müsse die Hochschule ggf. entsprechende
Hilfsmittel bzw. Räume zur Verfügung stellen, um dem
Grundsatz der Chancengleichheit Genüge zu tun.
Auch sei es grundsätzlich möglich, den Prüflingen
die Wahl zwischen Online- und Präsenzprüfungen zu
geben, solange die beiden Auswahloptionen vergleichbar
blieben und so die Chancengleichheit gewahrt
werde.
Ob eine Maskenpflicht für die Durchführung von
Präsenzprüfungen implementiert werden kann, sei im
Einzelfall abhängig vom Infektionsgeschehen, den räumlichen
Begebenheiten der Hochschule und den Spezifika
der jeweiligen Prüfung (z.B. Länge der Prüfung, Kontakt
zu Dritten, etc.).7 Ein Nachteilsausgleich in Form einer
Schreibzeitverlängerung o.Ä. durch die Anordnung der
Maskenpflicht sei jedoch nicht grundsätzlich angezeigt.
Ist es Prüflingen aus gesundheitlichen Gründen nicht
oder nur schwer möglich, für die Dauer der Prüfung eine
Maske zu tragen, müssten diese sich durch ein ärztliches
Attest von der Maskenpflicht befreien lassen.8
Aufgrund der Grundrechtsrelevanz sei für die wesentlichen
Verfahrensabläufe sowie die Bestimmung der
Prüfungsarten, Bewertungskriterien und Leistungsanforderungen
stets eine normative Grundlage
erforderlich.
Eine Online-Prüfung9 stelle keine eigene Prüfungsart
dar, welche explizit in der Prüfungsordnung normiert
werden muss, sondern lediglich eine Modalität der klassischen
Prüfungsarten, namentlich der schriftlichen,
mündlichen, praktischen und elektronischen Prüfung.10
Für die Durchführung einer Online-Prüfung müsse die
Prüfungsordnung der Hochschule daher grundsätzlich
nur angepasst werden, wenn die Online-Prüfung in ihrer
geplanten Durchführungsweise aus anderen Gründen
nicht von der Prüfungsordnung gedeckt wird (z.B. sofern
die von der Prüfungsordnung geforderte Hochschulöffentlichkeit
einer mündlichen Prüfung nicht gewährleistet
werden kann).
Aus Rechtssicherheitsgründen sei eine Anpassung
der Prüfungsordnung dennoch zu empfehlen, wenn
nicht schon der Landesgesetzgeber eine Änderung im
Hochschulgesetz in Hinblick auf die Online-Prüfungen
vorgenommen habe.
Ein Abweichen von der Prüfungsordnung könne
auch mit Einwilligung des Prüflings zulässig sein.11
Muss tatsächlich eine Änderung in der Prüfungsordnung
zur Durchführung von Online-Prüfungen vorgenommen
werden, sei dies grundsätzlich auch im laufenden
Semester möglich, solange sich die Prüflinge noch
rechtzeitig darauf einstellen können und die Änderung
keine Erschwerung der Prüfungen mit sich zieht.12 Um
die Änderung durch die Hochschulgremien trotz des Infektionsgeschehens
zu ermöglichen, plädierten die Referenten
für innovative Verfahren wie Online-Gremiensitzungen
oder Umlaufverfahren. Ebenfalls sei es möglich,
durch Änderung der Prüfungsordnung bereits Anpassungsbedürfnisse
für Online-Prüfungen bei höherem
Infektionsgeschehen zu antizipieren, indem etwa eine
Öffnungsklausel für abweichende Prüfungsarten oder
-formen in die Prüfungsordnung aufgenommen wird.13
Weiterhin müssten geeignete Maßnahmen getroffen
werden, um Täuschungen zu verhindern. Ein Untermaß
an Täuschungsprävention sei auch in Hinblick auf
Grundrechtspositionen der Prüflinge notwendig: Da die
Haake · Prüfungen in der Corona-Zeit- aktuelle rechtliche Fragestellungen 2 0 3
14 So sei etwa klarzustellen, dass der Kontakt und Austausch zu
Dritten untersagt sei, um eine unzulässige Zusammenarbeit der
Studierenden in Chats oder Foren zu unterbinden.
15 VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 21.11.1978 – IX 1112/78.
16 VG Sigmaringen, Urteil v. 28.1.2020 – 4 K 5085/19, nachfolgend
VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 15.6.2020 – 9 S 1116/20,
vgl. auch § 9 Abs. 1 S. 3 BayFEV.
17 So auch VG Karlsruhe, Beschluss v. 6.10.2020 – 11 K 3691/20; VG
München, Beschluss v. 30.11.2020 – M27 E 20.4147.
18 Zu diesem Zweck empfohlen die Referenten, eine Bereitschaftsnummer
zur Meldung von technischen Störungen während der
Prüfung zur Verfügung zu stellen.
19 Schwartmann ist zudem Sachverständiger des Deutschen Hochschulverbandes
für IT- und Datenrecht und Vorsitzender der Gesellschaft
für Datenschutz und Datensicherheit (GDD) e.V. sowie
Herausgeber der datenschutzrechtlichen Kommentare Schwartmann/
Jaspers/Thüsing/Kugelmann, Heidelberger Kommentar zu
DS-GVO/BDSG und Schwartmann/Pabst, Kommentar zum LDG
NRW.
Prüfung in Art. 12 Abs. 1 GG eingreife, müsse dieser Eingriff
verhältnismäßig sein. Werde die Prüfungsleistung
der Prüflinge allein durch Täuschung oder Abschreiben
erzielt, sei die Prüfung nicht mehr zum Nachweis einer
Berufsqualifikation geeignet und stelle daher einen unverhältnismäßigen
Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG dar. Wegen
des ungerechtfertigten Vorteils täuschender Prüflinge
sei zudem die Chancengleichheit der ehrlichen Mitprüflinge
aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.
Die Hochschulen müssten daher geeignete Maßnahmen
im Rahmen des organisatorisch-technisch Möglichen
treffen. Zu empfehlen sei auch, in Online-Prüfungen
kreative Aufgabenstellungen zu wählen. Copy-Paste-
Arbeiten und reine Abschreibleistungen könnten
etwa durch vermehrte Transferaufgaben anstelle von reiner
Wissensabfrage verhindert werden. Bei Multiple
Choice-Aufgabenstellungen könnten unterschiedliche
Fragenkataloge oder eine randomisierte Reihenfolge der
Fragen gewählt werden. Denkbar sei auch die Nutzung
eines sog. Lockdown-Browsers, der während der Prüfungszeit
nur die Bearbeitung der Online-Prüfung erlaube,
nicht jedoch das Aufrufen von sonstigen Websites.
Für Täuschungsversuche trage die Hochschule die
Beweislast. Insbesondere den Täuschungsvorsatz des
Prüflings habe die Hochschule daher nachzuweisen. Gerade
bei Take-Home/Open-Book-Arbeiten sei es daher
dringend angeraten, im Vorhinein von Seiten der Hochschule
deutliche Vorgaben zu machen, welche zusätzlichen
Hilfsmittel erlaubt sind.14
Bei einer Vielzahl an identischen Lösungen sei es
Aufgabe der Hochschule, den Urheber der Originallösung
zu ermitteln. Als Anscheinsbeweis könne dafür gelten,
dass derjenige Urheber ist, der im Übrigen die deutlich
bessere Leistung erbracht hat.15 Der Urheber begehe
dabei keinen Täuschungsversuch durch das Abschreibenlassen.
Für eine Sanktionierung dieser unzulässigen
Beeinflussung der Prüfung sei daher eine eigene Rechtsgrundlage
in der Prüfungsordnung erforderlich.
Der Toilettengang dürfe während der Online-Prüfung
nicht untersagt werden, um Täuschungen zu
verhindern.
Die Täuschungskontrolle müsse jedoch auch nicht so
weit gehen, dass Täuschungen komplett unterbunden
werden. Da Täuschungsversuche auch bei Präsenzprüfungen
nicht vollständig unmöglich gemacht werden
könnten oder müssten, müsse dies auch bei Online-Prüfungen
nicht gewährleistet werden. Die Hochschule
müsse nur geeignete Maßnahmen treffen, um Täuschungsmöglichkeiten
zu erschweren.
In besonderem Maße könnten bei Online-Prüfungen
auch Störungen auftreten. Die Hochschule treffe bei Fehlern
im Prüfungsverfahren die Beweislast dafür, dass die
Störung nicht in ihrer Verantwortungssphäre lag.16 Liege
der Fehler bei der Hochschule, müsse die Prüfung unterbrochen,
die Störung beseitigt und die Prüfung anschließend
fortgesetzt werden, wobei ggf. ein Ausgleich für die
Störung gewährt werden müsse. Sei Abhilfe nicht oder
nicht rechtzeitig möglich, sei die Prüfung abzubrechen
und zu wiederholen. Fiktive Leistungen dürften bei Störungen
oder Prüfungsverschiebungen nicht bewertet
werden.17
Gleichzeitig gelte aber für technische Störungen wie
auch für andere Störungen im Prüfungsverfahren die
unverzügliche Rügeobliegenheit für den Prüfling, ansonsten
könne sich dieser nicht mehr auf die Beachtlichkeit
des Fehlers berufen.18 Praktisch zu empfehlen sei
den Hochschulen die Durchführung eines Funktionstests
mit dem Prüfling sowie klare Vorgaben zu den technischen
Voraussetzungen der Online-Prüfung zu machen,
um Rügen vorzubeugen. Der Prüfling sei zudem
zur Mitwirkung an der Aufklärung des Fehlers
verpflichtet.
II. Datenschutz in Zeiten der Corona-Pandemie
Im nächsten Impulsvortrag setzte sich Prof. Dr. Rolf
Schwartmann (Technische Hochschule Köln und Leiter
der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht) mit den
datenschutzrechtlichen Fragestellungen rund um
Online-Prüfungen auseinander.19
Gem. Art. 6 Abs. 3 DSGVO sowie aufgrund des mit
der Datenverarbeitung einhergehenden Eingriffs in das
Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Prüflings sei für
Online-Prüfungen eine Rechtsgrundlage erforderlich
und müsse ggf. in der Prüfungsordnung oder im jeweiligen
Landeshochschulgesetz geschaffen werden.
2 0 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 1 ) , 2 0 1 — 2 0 6
20 Grund dafür sei das im Juli 2020 ergangene „Schrems II“ Urteil
des EuGH, in dem das EU-US-„Privacy Shield“, welches den
Transfer personenbezogener Daten aus der EU an US-amerikanische
Unternehmen (u.a. Zoom, Microsoft) zu kommerziellen
Zwecken ermöglichte, für ungültig erklärt wurde. Laut Rspr. des
BVerwG dürfen Datenschutzaufsichtsbehörden dann einschreiten.
Schwartmann sah jedoch ein pauschales Verbot bestimmter
Tools ohne konkrete Untersagungsverfügung als problematisch
an.
21 A.A. Hoeren/Fischer/Albrecht, Gutachten zur datenschutzrechtlichen
Zulässigkeit von Überwachungsfunktionen bei Online-
Klausuren.
22 So aber in § 6 BayFEV und § 4 FernprüfDV Hessen vorgesehen
und auch im Entwurf des 4. HochschulrechtsänderungG
BW geplant. Erst recht unzulässig sei die in diesen Regelungen
normierte Aufzeichnung der Fernklausur bei mangelndem Aufsichtspersonal.
Die Datenverarbeitung sei dabei zulässig, wenn ein
Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 DSGVO i.V.m. dem
jeweiligen Landesdatenschutzgesetz vorliege, etwa weil
die Hochschule mit der Prüfung eine Rechtspflicht gegenüber
den Prüflingen erfülle oder die Datenverarbeitung
zur Aufgabenerfüllung der Hochschule erforderlich
sei, Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. c), e) DSGVO. Ist dies der
Fall, sei eine Einwilligung des Prüflings gem.
Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a), Art. 7 DSGVO nicht mehr erforderlich.
Die Erlaubnistatbestände des
Art. 6 Abs. 1 lit. c), e) DSGVO seien zudem rechtssicherer
als die Einwilligung, welche freiwillig sein müsse und
jederzeit widerruflich sei.
Als nächstes überprüfte der Referent noch einmal in
Hinblick auf das aktuelle Pandemiegeschehen, inwieweit
die verschiedenen Formen der Online-Prüfung datenschutzrechtlich
zulässig sind. Da sich durch die Pandemie
für Hausarbeiten nur wenig ändere, könnten diese
weiterhin wie gewohnt stattfinden. Auch Take-Home/
Open-Book-Ausarbeitungen, welche prüfungsrechtlich
eine Hausarbeit darstellen, da sie ohne Aufsicht unter
Verfügbarkeit von Hilfsmitteln stattfinden, seien datenschutzrechtlich
unproblematisch.
Mündliche Online-Prüfungen per Videokonferenz
seien ebenfalls datenschutzrechtskonform, da die Abnahme
der Prüfung per Videokonferenz erforderlich sei.
Das könne auch für Präsentationen und praktische
Übungen gelten. Ohne Wahrnehmung der Mimik und
Gestik des Prüflings sei eine mündliche Prüfung nicht
durchführbar. Die Aufzeichnung der Prüfung sei jedoch
nicht erforderlich und daher unzulässig.
Das verwendete Tool für die Videokonferenz sollte
dabei von der Hochschule bestimmt werden. Hochschullehrer
sollten schon aus dienstrechtlichen Gründen
die Tools verwenden, welche die Hochschule vorgibt.
Zwar seien Alleingänge aufgrund der Lehr- und Weisungsfreiheit
grundsätzlich gestattet. In diesem Fall seien
die Lehrenden jedoch allein für datenschutzrechtliche
Verstöße verantwortlich.
Welche Tools datenschutzrechtlich sicher sind, sei
auch unter den Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder
noch uneinig. Um Rechtsstreitigkeiten mit den Datenschutzaufsichtsbehörden
zu vermeiden, sei die Hochschule
nur sicher, wenn sie Tools europäischer Anbieter
wähle, bei denen jeglicher Datentransfer in sogenannte
unsichere Drittstaaten wie die USA ausgeschlossen ist.20
Fernklausuren, also die Anfertigung einer schriftlichen
Arbeit unter Videoaufsicht (Proctoring), seien jedoch
nicht mit dem Datenschutzrecht konform.21 Da die
Open-Book-Arbeit als schriftliche Arbeit ein milderes
Mittel darstelle, seien Klausuren unter Videoaufsicht
nicht zur Durchführung einer schriftlichen Online-Prüfung
erforderlich. Die Datenverarbeitung bei der Videoüberwachung
sei daher nicht nach
Art. 6 Abs. 1 lit, c), e) DSGVO erlaubt. Auch eine Einwilligung
überwinde dies nicht. Zum einen sei diese jederzeit
widerruflich. Andererseits müsse die Einwilligung
gem. Art. 7 Abs. 4 DSGVO freiwillig erfolgen. Von einer
freiwilligen Entscheidung für die Videoaufsicht könne
selbst bei einer Wahlmöglichkeit der Studierenden zwischen
einer Präsenzklausur und Fernklausur mit Proctoring
nicht ausgegangen werden, wenn die Prüflinge aufgrund
der Pandemie Kontakte scheuen. Schließlich sei
Videoüberwachung zur Verhinderung von Täuschungsversuchen
ungeeignet. Studierende könnten sich unter
dem Tisch per Messenger vor laufender Kamera in
Gruppen austauschen, oder beim Verlassen des Raumes
zu vorgegebenen Toilettenbesuchen. Daran ändere auch
nichts, wenn die jeweilige Prüfungsordnung oder der
Landesgesetzgeber durch eine Verordnung die Fernklausur
unter Videoaufsicht oder sogar den Mitschnitt und
die Speicherung der Klausur normiere. Ein Verstoß gegen
die höherrangige DSGVO lasse sich daraus nicht legitimieren.
Auch in den Bundesländern, in denen eine
Verordnung Proctoring gestatte, ließen sich also keine
rechtssicheren Fernklausuren durchführen22, zumal es
im strengen Lockdown schon an der Möglichkeit eines
alternativen Präsenztermins fehle.
Schwartmann plädierte daher weiterhin für Take-
Home/Open-Book-Ausarbeitungen, die ohne Aufsicht
auskommen. Um Täuschungsversuche zu verhindern,
könne eine handschriftliche Abgabe verlangt und nur
ein eng begrenzter Zeitraum zur Bearbeitung zur Verfügung
gestellt werden. Vorher sei eine kurze Identitätsauthentifizierung
per Video möglich.
Zur Organisation der Korrektur empfahl Schwartmann,
die online abgelegten Prüfungen in den Prüfungsämtern
oder Fakultäten der Hochschule zu samHaake
· Prüfungen in der Corona-Zeit- aktuelle rechtliche Fragestellungen 2 0 5
23 So VG Gelsenkirchen, Urteil v. 27.4.2020 — 20 K 6392/18.
meln, die Arbeiten auszudrucken und den Korrektoren
zuzusenden. Zwar sei es auch möglich, die Arbeiten digital
zu verteilen und zu speichern, jedoch warnte Schwartmann
davor, dies ohne ein belastbares Datenschutzrecht
durchzuführen. Im Streitfall müsse die Hochschule zudem
eine körperliche Prüfungsakte vorlegen. Dies sei bei
digital gespeicherten Arbeiten und Korrekturen problematischer
und wenig erprobt.
III. Diskussion
Was das Verhältnis von Datenschutzrecht und Prüfungsrecht
angeht, so waren sich Schwartmann und Fischer/
Dieterich einig, dass sich ein datenschutzrechtlicher Verstoß
meist nicht auf die Prüfung als solche auswirke,
sodass kein erheblicher Fehler im Prüfungsverfahren
vorliege. Entscheidend sei dabei nach § 46 VwVfG (analog,
wenn die Prüfung nicht mit einem Verwaltungsakt
endet), ob der datenschutzrechtliche Verstoß das Ergebnis
der Prüfung beeinflusst habe. Schwartmann wies
darauf hin, dass ein datenschutzrechtlicher Verstoß
trotzdem zu einer vermeidbaren Ermittlung der Datenschutzaufsichtsbehörde
führen würde und daher ein
unnötiges Risiko darstelle. Auch der datenschutzrechtliche
Auskunftsanspruch des Prüflings aus Art. 15 Abs. 3,
Art. 12 Abs. 5 S. 1 DSGVO i.V.m. dem jeweiligen Landesdatenschutzgesetz
auf Einsicht in Prüfungsunterlagen
zeige, dass sich das Datenschutzrecht durchaus auf das
Prüfungsrecht auswirken könne.23
Uneinigkeit herrschte bei den Referenten bezüglich
der Zulässigkeit der Fernklausur, die unter Videoaufsicht
angefertigt wird. Schwartmann sah die Täuschungsanfälligkeit
von Open Book-Arbeiten mit den geeigneten
präventiven Maßnahmen als gering an. Datenschutzrechtlich
sei die Open-Book-Arbeit zudem ein milderes
Mittel zur Fernklausur mit Videoaufsicht, sodass letztere
nicht zur Durchführung der Prüfung gem.
Art. 6 Abs. 1 lit, c), e) DSGVO erforderlich sei.
Fischer und Dieterich sahen die Open-Book-Arbeit
jedoch nicht als Ersatz zur Präsenzklausur an, sondern
lediglich als Aliud, da aufgrund der Verfügbarkeit von
Hilfsmitteln andere Kompetenzen abgefragt würden
und die Klausur per Definition eine „Aufsichtsarbeit“
darstelle. Nur die Fernklausur unter Videoaufsicht könne
daher eine in der Prüfungsordnung vorgeschriebene
Präsenzklausur ersetzen. In manchen Fachrichtungen
seien Open-Book-Ausarbeitungen nicht geeignet, um
die Kompetenzen zu prüfen, welche mit der Präsenzklausur
abgefragt werden sollten.
Epping merkte als Präsident der Leibniz Universität
Hannover an, dass es aus Sicht der Hochschulen insbesondere
wichtig sei, den Prüfungsanspruch gegenüber
den Studierenden zu erfüllen und den Massenbetrieb zu
gewährleisten. Irgendeine Form der Online-Prüfung
müsse daher in jedem Fall durchgeführt werden. Eine
hundertprozentige datenschutz- und prüfungsrechtliche
Rechtssicherheit bestehe dabei jedoch noch nicht, da zu
vielen Einzelfragen und insbesondere zu den Rechtsfragen
um die Fernklausuren noch keine gerichtlichen Entscheidungen
vorliegen, an denen man sich orientieren
könne. Bis dahin müssten Prüfungsrecht und Datenschutzrecht
so gut wie möglich in Übereinstimmung gebracht
werden.
IV. Resümee und Ausblick
Das aktuelle Infektionsgeschehen legt nahe, dass nicht
nur die unmittelbar bevorstehenden Semesterabschlussklausuren,
sondern auch das kommende Sommersemester
online stattfinden werden. Die Hochschulen sollten
daher alle möglichen Maßnahmen treffen, um Online-
Prüfungen zu ermöglichen. In manchen Fällen muss
dazu zunächst die Prüfungsordnung der Hochschule
angepasst werden. Ist die Online-Prüfung konform mit
der Prüfungsordnung, muss sie zudem noch in Vereinbarkeit
mit dem Datenschutzrecht und weiteren prüfungsrechtlichen
Grundsätzen durchgeführt werden.
Die Online-Prüfungen bieten dabei in Einzelfragen zu
Täuschungen, technischen Störungen und zur Abwicklung
der Korrektur andere Schwierigkeiten als Präsenzprüfungen,
auf welche die Hochschulen vorbereitet sein
sollten.
Mangels Rechtsprechung zu vielen offenen Fragen
kann eine hundertprozentige Rechtssicherheit wohl aber
aktuell noch nicht gewährleistet werden. Umstritten ist
insbesondere noch die Zulässigkeit von Fernklausuren
mittels Videoaufsicht.
Epping regte daher an, nach Ablauf eines halben Jahres
eine Anschlussveranstaltung anzusetzen, weil dann
eine Menge Rechtsprechung zu aktuell noch offen gebliebenen
Rechtsfragen zu erwarten sei, was auf große
Zustimmung traf.
Karoline Haake ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Institut für Internationales Recht, Lehrstuhl für
Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der
Leibniz Universität Hannover tätig.
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