Übersicht
I. Hintergrund
II. Staatliche Verhaltenssteuerung
- Das „Ob“ der Förderung als politische Entscheidung im Rahmen des Rechts
- Das „Wie“ der Förderung aus der Steuerungsperspektive
a) Verschiedene Steuerungsmodi
b) Der Umfang der Offenlegung
c) Grundrechtsverhältnisse
III. Direkte Steuerung: Die Rechtspflicht zur Offenlegung von Forschungsdaten - Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern
- Vereinbarkeit mit der Wissenschaftsfreiheit
IV. Indirekte Steuerung der Förderung des Datenaustauschs - Informationsmaßnahmen und Empfehlungen
- Nennung der Datenquelle und Anerkennung für Open-Data-Praktiken
- Exklusive Open-Science-Datenbanken
- Data-Sharing als Standardeinstellung im Förderantrag mit Opt-Out-Option
- Data-Sharing als Entscheidungskriterium bei der Fördermittelvergabe
a) Grundrechtliche Relevanz
b) Steuerungswirkung
c) Notwendigkeit einer Ermächtigungsgrundlage
V. Fazit
I. Hintergrund
Die Open-Science-Bewegung verlangt zunehmend von Forschern1, dass sie ihre den publizierten Forschungsergebnissen zugrundeliegenden Daten bereitstellen und zugänglich machen. Während der Austausch solcher Daten in einigen Disziplinen – etwa in den Biowissenschaften – schon vergleichsweise weit verbreitet ist, steckt das Data-Sharing in vielen Forschungsbereichen noch in den Kinderschuhen.2 Das ist aus wissenschaftspolitischer Sicht misslich: Eine bessere Verfügbarkeit von Forschungs(roh)daten erhöht die Chance auf neue Erkenntnisse durch andere Wissenschaftler, die auf schon existierende Daten zurückgreifen können und deren Kapazitäten nicht durch langwierige neuerliche Datenerhebung gebunden werden.3 Insbesondere die SARS-CoV-2-Pandemie hat gezeigt, welches Beschleunigungspotential das Teilen von Forschungsdaten birgt: Der Austausch von Forschungsdaten trug erheblich zur schnellen Entwicklung der Impfstoffe bei.4
Data-Sharing folgt der Idee eines nachhaltigen, ressourcenschonenden Umgangs mit Fördergeldern und Forschungsdaten.5 Bereits generierte Informationen können miteinander verknüpft, im Rahmen der Anschlussforschung nachgenutzt und durch andere Forscher mittels Replikations- oder Reproduktionsstudien
Philipp Overkamp und Miriam Tormin
Staatliche Steuerungsmöglichkeiten zur
Förderung des Teilens von Forschungsdaten
1 Die im Text verwendete männliche Form umfasst als generisches Maskulin ausdrücklich alle Geschlechter.
2 Für die Biomedizin etwa ist das Teilen von Daten bereits besonders verbreitet im Unterschied zu anderen Disziplinen, vgl. Fecher/Friesike/Hebing, What drives academic data sharing?, PLOS ONE 2015,1, 13 f.; Corti/van den Eynden, The importance of managing and sharing research data, in: dies./Bishop/Woollard, Managing and Sharing Research Data 2, Auflage, 2019, S. 1, 6; Tal-Socher/Michal/Ziderman, Data sharing policies in scholarly publications, Prometheus 36/2 (2020), 116, 119 f., 129.
3 Zur Bedeutung der Daten für den wissenschaftlichen Fortschritt Tenopir et al., Data sharing, management, use, and reuse: Practices and perceptions of scientists worldwide, PLOS ONE 15/3 (2020), 1, 2, 23.
4 Bundesministerium für Finanzen, Deutscher Aufbau- und Resilienzplan, 2021, S. 335; Cassata, Here’s how it was possible to develop COVID-19 vaccines so quickly, Health Line, 11.3.2021, https://www.healthline.com/health-news/heres-how-it-was-possible-to-develop-covid-19-vaccines-so-quickly.
5 Ola, Fundamentals of open access, European Intellectual Property Law 2014, 112, 117.
Ordnung der Wissenschaft 2022, ISSN 2197–9197
4 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 3 9 — 5 4
6 Fecher/Friesike/Hebing/Linek, A reputation economy: how individual
reward considerations trump systematic arguments for open
access to data, Palgrave Communications 2017, 1, 2 f.
7 Hesselmann, Die Bestrafung wissenschaftlichen Fehlverhaltens,
2020, S. 13.
8 FitzGerald/Hurst, Implicit bias in healthcare professionals: a
systematic review, BMC Medical Ethics 2017, 1, 2 f., 14 f.; Mlinarić/
Horvat/Smolćic, Dealing with the positive publication bias: why
you should really publish your negative results, Biochem Med
2017, 1, 2, 5.
9 Springer Nature, Reporting standards and availability of data, materials,
code and protocols, 2019, https://www.nature.com/natureportfolio/
editorial-policies/reporting-standards; zum abgestuften
System von Springer Nature, 2021, https://www.springernature.
com/gp/authors/research-data-policy/research-data-policy-types;
Science Journals, Editorial policies, 2021, https://www.science.org/
content/page/science-journals-editorial-policies. Beide Verlagsgruppen
haben zudem die Statements “Sharing research data and
findings relevant to the novel coronavirus (COVID-19) outbreak”,
2020, https://wellcome.org/press-release/sharing-research-dataand-
findings-relevant-novel-coronavirus-ncov-outbreak und “On
data sharing in public health emergencies”, 2016, https://wellcome.
org/press-release/statement-data-sharing-public-healthemergencies
unterzeichnet.
10 Bill & Melinda Gates Foundation, Open Access Policy, 2020 Nr. 3,
https://www.gatesfoundation.org/about/policies-and-resources/
open-access-policy; NIH, Policy for Data Management and
Sharing, 2020, https://grants.nih.gov/grants/guide/notice-files/
NOT-OD-21–013.html; NIH, Genomic Data Sharing Policy,
https://os.od.nih.gov/wp-content/uploads/NIH_GDS_Policy.
pdf; NIH, Grants Policy Statement, I‑49, https://grants.nih.gov/
grants/policy/nihgps/nihgps.pdf; European Research Council,
Open Research Data and Data Management Plans, https://erc.
europa.eu/sites/default/files/document/file/ERC_info_document-
Open_Research_Data_and_Data_Management_Plans.pdf. Auch
in europäischen Ländern setzen sich Förderorganisationen für
Data-Sharing ein, so z.B. das britische Wellcome Trust, der United
Kingdom Research Coucnil und sein Medical Research Council
sowie die niederländische Organisation for Scientific Research
(NWO). Zur bedeutenden Rolle von Förderern in diesem Prozess
Wallach/Boyack/Ioannidis, Reproducible research practices,
transparency, and open access data in the biomedical literature,
PLOS Biology 2018, 1, 2.
11 Die Forschungsdaten müssen nach dem Prinzip „as open as
possible, as closed as necessary“ bereitgestellt werden, Europäische
Kommission, Horizon Europe, 2021, S. 39, https://ec.europa.
eu/info/funding-tenders/opportunities/docs/2021–2027/horizon/
guidance/programme-guide_horizon_en.pdf; Yotova/Knoppers,
The right to benefit from science and its implications for genomic
data sharing, European Journal of International Law 2020, 665,
671.
12 Hardwicke et al., An empirical assessment of transparency and
reproducibility-related research practices in the social sciences
(2014–2017), Royal Society Open Science 7/2 (2020), 1, 2.
13 So die Leitlinien der DFG, Leitlinien zur guten wissenschaftlichen
Praxis, 2019, Leitlinie 13, 15, 17, https://www.dfg.de/download/
pdf/foerderung/rechtliche_rahmenbedingungen/gute_wissenschaftliche_
praxis/kodex_gwp.pdf; DFG, Guidelines on the
handeling of research data, 2015, https://www.dfg.de/download/
pdf/foerderung/grundlagen_dfg_foerderung/forschungsdaten/
guidelines_research_data.pdf.
14 Grill, Tausende Studien nicht veröffentlicht, 4.7.2021, https://www.
tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/medizinische-studien-101.
html.
15 Datenstrategie der Bundesregierung, Kabinettsfassung vom
27.1.2021, insb. S. 64 ff., https://www.bundesregierung.de/resource/
blob/992814/1845634/45aee6da9554115398cc6a722aba0
8cb/datenstrategie-der-bundesregierung-download-bpa-data.
pdf?download=1.
überprüft werden,6 was dem Problem geschönter Daten
und ergebnisorientierter Forschung7 entgegenwirkt.
Dieses hängt mit dem sog. publication bias zusammen,
der beschreibt, dass ein Thema vor allem wegen seiner
guten Publikationsaussichten erforscht wird, wobei (vermeintliche)
Ausreißer mitunter außenvorgelassen werden.
So versuchen einige Wissenschaftler, Negativergebnisse
zu vermeiden, da diese seltener von Verlagen veröffentlicht
werden.8 Renommierte Fachzeitschriften wie
Nature oder Science wollen dem entgegenwirken, indem
sie das Teilen der den Publikationen zugrundeliegenden
Daten voraussetzen.9
Auch Forschungsförderorganisationen – unter anderem
die Bill & Melinda Gates Foundation, die United States
National Institutes of Health und der European Research
Council – haben eigene Data-Policies,10 in denen
sie ihren Geförderten das Teilen der Daten in einem Repositorium
vorschreiben. Das neue Förderprogramm
der Europäischen Union, Horizon Europe, verlangt ebenfalls,
die im Rahmen des geförderten Projekts generierten
Daten bereitzustellen.11
Damit der Forschungsstandort Deutschland in der
europäischen und transnationalen Forschung „wettbewerbsfähig“
bleibt, müssen die Potentiale verfügbarer
und miteinander verknüpfbarer Daten12 auch hierzulande
ausgeschöpft werden. Noch gibt es nur wenige Vorgaben
zum Data-Sharing, die über unverbindliche Empfehlungen13
hinausgehen. Es besteht erheblicher Nachholbedarf.
14 Mittlerweile ergeben sich zumindest aus der
Datenstrategie der Bundesregierung eine Reihe von
Maßnahmen, die die Vernetzung und den Ausbau von
Infrastrukturen fördern und eine „innovative und verantwortungsvolle
Datennutzung“ steigern sowie „Datenkompetenzen
erhöhen und [eine] Datenkultur etablieren“
sollen.15 Das Bundesministerium für Bildung und
Forschung hat – auch schon vor Erlass der DatenstrateOverkamp/
Tormin · Staatliche Steuerungsmöglichkeiten 4 1
16 In der „Richtlinie zur Förderung von Projekten zur Beschleunigung
der Transformation zu Open Access“ müssen die erhobenen
Daten spätestens sechs Monate nach Abschluss des Projekts
geteilt werden, Bundesanzeiger vom 17.6.2020, Punkt 6. Die
Zuwendung nach der „Richtlinie zur Förderung von Projekten
zum Thema Aktuelle und historische Dynamiken von Rechtsextremismus
und Rassismus“ wird ebenfalls von der Bereitschaft
zum Zugänglichmachen der Daten abhängig gemacht, Bundesanzeiger
vom 24.6.2021, Punkt 2. Nach der „Förderrichtlinie zur
Förderung von Forschungsprojekten zu ethischen, rechtlichen
und sozialen Aspekten der Neurowissenschaften“ vom 6.10.2021
sollen alle Originaldaten gem. Punkt 4 zugänglich und langfristig
gesichert werden.
17 Fehling/Tormin, Das Teilen von Forschungsdaten zwischen
Wissenschaftsfreiheit und guter wissenschaftlicher Praxis, WissR
2022 (im Erscheinen).
18 Das Datenschutzrecht greift nur, wenn personenbezogene Daten
verarbeitet werden, vgl. Art. 2 Abs 1 DSGVO. Bei Rohdaten der
Grundlagenforschung handelt es sich aber größtenteils nicht um
personenbezogene Daten. Das Urheberrecht ist nur einschlägig,
wenn die Daten eine gewisse schöpferische Höhe gem. § 2 Abs. 2
UrhG erreichen, z.B. nachdem sie textuell verarbeitet wurden. Bei
Rohdaten ist das gerade nicht der Fall.
19 So lag der Fall etwa beim ungarischen Hochschulgesetz, s. EuGH,
Urt. v. 6.10.2020, Az. C 66/18, Rn. 22 ff.
gie – eine Reihe von Förderrichtlinien angeordnet, die
den Geförderten vorschreiben, gewonnene Daten zu
teilen.16
Untersucht wird davon anknüpfend den im Folgenden,
welche staatlichen Möglichkeiten bestehen, Datenaustausch
Vorschub zu leisten. Dabei geht es um Steuerungsmöglichkeiten
innerhalb des nationalen Rechts. Es
kommen unterschiedliche Data-Sharing-Instrumente
des Gesetzgebers und der Wissenschaftsverwaltung in
Betracht, die sich hinsichtlich ihrer Zweckmäßigkeit sowie
der mit ihnen verbundenen (verfassungs-)rechtlichen
Herausforderungen teils erheblich unterscheiden.
Dabei wird insbesondere untersucht, wann die Eingriffsschwelle
erreicht ist. Grundrechtsdogmatische Einzelheiten
zu den verschiedenen Dimensionen der Wissenschaftsfreiheit
einschließlich der Bedeutung guter wissenschaftlicher
Praxis bleiben dabei einer anderen Publikation
vorbehalten.17
Data-Sharing im hier verstandenen Sinne meint, dass
Wissenschaftler die im Rahmen ihrer Forschung genutzten
Daten aufbereiten und zu Reproduktions‑, Replikations-
oder Anschlussforschungszwecken verfügbar machen.
Das betrifft einerseits die in der Publikation verwendeten
Daten, andererseits aber auch die „nebenbei“
erhobenen Daten, die nicht in absehbarer Zeit zur
Grundlage einer Veröffentlichung gemacht werden sollen.
Der Zugang zu den Daten kann, muss aber nicht
durch Open-Access-Formate gewährt werden. Der Beitrag
beschränkt sich auf den rechtlichen Umgang mit
Rohdaten, bei denen sich in der Regel keine datenschutzund
urheberrechtlichen Probleme ergeben.18 Derartige
Fragen werden deshalb ausgeklammert.
II. Staatliche Verhaltenssteuerung - Das „Ob“ der Förderung als politische Entscheidung
im Rahmen des Rechts
Bei der näheren Betrachtung staatlicher Steuerungsansätze
stellt sich auf abstrakter Ebene zunächst die Frage
nach dem rechtlichen Rahmen der Förderentscheidung.
Muss der Staat den Datenaustausch fördern, oder besteht
– im anderen Extrem – ein kategoriales verfassungsrechtliches
Verbot, die Forscher in Richtung eines freigiebigeren
Umgangs mit den erhobenen Datensätzen zu
lenken? Beides beraubte den Gesetzgeber seiner grundsätzlichen
Handlungsflexibilität. Jedoch bietet das übergesetzliche
Recht keinen Anlass für solch absolute
Schlüsse.
Determinierende Vorgaben des Unions- oder Völkerrechts
lassen sich nicht ausmachen. Zwar schützt
auch Art. 13 Satz 1 GRC die Freiheit der akademischen
Forschung. Dies gilt aber ausweislich des Art. 51 Abs. 1
GRC i.V.m. Art. 179 ff. AEUV nur für Organe, Einrichtungen
und sonstige Stellen der Europäischen Union
oder für nationale Institutionen bei der Durchführung
des Unionsrechts. Die erste Variante betrifft auch die
Forschungsförderorganisationen der Europäischen Union,
etwa den European Research Council, deren Handeln
nicht Gegenstand dieses Beitrags ist. Die zweite Variante
erlaubt – trotz fortbestehender Irritationen über die
Reichweite dieser Einschränkung – im Bereich des Wissenschaftsrechts
regelhaft nur dann eine Anwendung der
Charta, wenn eine wissenschaftliche Maßnahme zugleich
unionsrechtlich überformte Materien betrifft.19
Davon kann bei der noch recht vage formulierten und
4 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 3 9 — 5 4
20 Detaillierte Erklärung der Prinzipien unter Wilkinson/Dumontier/
Mons/et al., The FAIR guiding principles for scientific data
management and stewardship, Scientific Data 3 (2016), Nr.
160018.
21 Freilich ist es nach der Rechtsprechung des BVerfG grds. vorstellbar,
dass der europäische Grundrechtsschutz dann ergänzend
Berücksichtigung findet. Dass mit der Heranziehung des
europäischen Grundrechts in diesem Fall aber ein veränderter
„Grundrechtstandard“ in Form einer Schutzverstärkung durch
europäisches Recht einherginge, ist nicht ersichtlich. An den in
der Entscheidung zum Recht auf Vergessen I (E 152, 152, 180 f.)
geforderten Anhaltspunkte für ein „Mehr“ an Schutz durch Berücksichtigung
der Charta fehlt es daher gerade. Für eine aktuelle
Zusammenfassung der Geltung der Grundrechtecharta gegenüber
den Grundrechten des Grundgesetzes Pryeßlein, Grundgesetz
vs. Grundrechtecharta?, EuR 2021, 247 ff. Vgl. aber allg. dazu,
dass die in der Charta gewährleistete Wissenschaftsfreiheit bei
Einflussnahme auf die Forschungsförderung dem Grunde nach
betroffen ist, Ruffert, in: Calliess/ders., EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016,
Art. 13 GRC Rn. 12 f. 22 EGMR, Urt. v. 28. 10. 1999 (GK), Az.
28396/95 – Wille ./. Liechtenstein, Z. 8, 36 ff.; Grabenwater/Pabel,
Europäische Menschenrechtskonvention, 7. Aufl. 2021, § 23 Rn.
14.
23 Zum Vgl. der spezifischen Verbürgung von Kunst- und Wissenschaftsfreiheit
im GG mit der allg. Kommunikationsfreiheit
der EMRK Grote/Wenzel, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG
Konkordanzkommentar, 2. Aufl. 2013, Kapitel 18 Rn. 32.
24 Ruffert, Grund und Grenzen der Wissenschaftsfreiheit, VVdStRL
65 (2006), 146, 183 f.; Gärditz, in: Maunz/Dürig, 88. EL 2019, Art.
5 Abs. 3 Rn. 259.
25 Einer im Einzelfall zu einem Informationszugangsanspruch
verdichteten Förderpflicht aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zustimmend
Gärditz (Fn. 24), Art. 5 Abs. 3 Rn. 267; Hevers, Informationszugangsansprüche
des forschenden Wissenschaftlers, 2015, S. 85 ff.;
Schoch, IFG Kommentar, 2. Aufl. 2016, Einl. Rn. 71. Einen Anspruch
auf Zugang zu zu wissenschaftlichen Zwecken benötigten
Informationen aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ablehnend, BVerwGE 121,
115, 130; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung,
1992, S. 70 ff.; Gurlit, Konturen eines Informationsverwaltungsrechts,
DVBl. 2003, 1119, 1122; Starck/Paulus, in: v.
Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 489.
26 Vgl. BVerwGE 121, 115, 130.
Umsetzungsspielraum erlaubenden Verpflichtung der
Mitgliedstaaten aus Art. 10 Abs. 1 Open-Data-Richtlinie,
die offene Zugänglichkeit öffentlich finanzierter Forschungsdaten
im Sinne der FAIR-Prinzipien20 durch
„einschlägige Maßnahmen“ zu unterstützen, nicht gesprochen
werden. Jedenfalls ergibt sich bei einem deutschen
Umsetzungsakt angesichts des grundgesetzlichen
Schutzniveaus weder der Bedarf noch die rechtliche
Notwendigkeit eines Rekurses auf Art. 13 Satz 1 GRC.21
Zur Konkretisierung trägt auch die EMRK nicht bei.
Ihr weit zu verstehender Art. 10 umfasst zwar auch die
Freiheit der wissenschaftlichen (Meinungs-)Äußerung
und mithin wissenschaftliche Publikationstätigkeiten.22
Die allgemein gehaltene Kommunikationsfreiheit hat
aber einen rein abwehrrechtlichen Charakter, der keinen
staatlichen Förderauftrag beinhaltet und keine derart absoluten
Aussagen zur Wissenschaftspolitik erlaubt.23
Aus der grundgesetzlichen Wissenschaftsfreiheit des
Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ergibt sich ein Auftrag, wonach
der Staat den Betrieb der Wissenschaft grundsätzlich ermöglichen
muss, was sich unter anderem in der staatlichen
Unterhaltung und Finanzierung von Hochschulen
äußert.24 Eine pauschale Pflicht, spezifische Informationen
bereitzustellen – um nichts anderes handelt es sich
bei den gegenständlichen Datensätzen – folgt daraus
aber nicht, zumal ein unzureichender Datenaustausch
die Effizienz der Forschung an sich beeinträchtigen mag,
einer ergiebigen Forschungstätigkeit aber nicht kategorial
entgegensteht. Wenngleich in Einzelfällen ein auf
Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gestützter Informationsanspruch
individueller Wissenschaftler, die auf den Erhalt eines
Datensatzes angewiesen sind, abgeleitet wird,25 verpflichtet
das Grundrecht den Staat nicht dazu, situationsunabhängig
die Menge der allgemein verfügbaren
Forschungsdaten über den Kreis der bereits zugänglichen
Daten hinaus zu erhöhen.26
Freilich ist es der öffentlichen Hand aber auch nicht
grundsätzlich verwehrt, das Bereitstellen von Daten zu
fördern und entsprechende Instrumente zu implementieren.
Zwar kann einem staatlich erzeugten Offenlegungsdruck
die Forschungsfreiheit der Datenerheber gegenüberstehen.
Dies gilt aber zum einen ersichtlich nicht
für jeden, gegebenenfalls nur niedrigschwelligen Anreiz
zum Datenaustausch (etwa für bloße Empfehlungen).
Zum anderen lassen sich auch eingriffsintensivere Förderinstrumente,
wie ökonomische Anreize mittels Fördervorgaben,
unter Umständen rechtfertigen.
Demnach ist schon das „Ob“ der staatlichen Förderung
des Datenaustauschs im Wissenschaftsbereich keine
determinierte juristische Vorgabe, sondern eine politische
Entscheidung. Den staatlichen Entscheidungsträgern
– seien es der Gesetzgeber oder staatliche Forschungsförderorganisationen
– steht insoweit ein
Gestaltungsspielraum zu. Bei der rechtlichen Kontrolle
kommt es daher auf die konkrete Art der Nutzung dieses
Spielraums an. - Das „Wie“ der Förderung aus der Steuerungsperspektive
Der Gesetzgeber hat die Wahl zwischen einer Vielzahl an
unterschiedlichen Förderinstrumenten und ‑strategien.
Dabei kann die Rechtswissenschaft aus der SteuerungsOverkamp/
Tormin · Staatliche Steuerungsmöglichkeiten 4 3
27 Allg. zur Steuerungsperspektive Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/
Schmidt-Aßmann/ders., Grundlagen des Verwaltungsrechts. Bd.
1: Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, 2. Aufl. 2012,
§ 1; Hoffmann-Riem, Modernisierung von Recht und Justiz:
Eine Herausforderung des Gewährleistungsstaates, 2001, S.
24 ff; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als
Ordnungsidee: Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen
Systembildung, 2. Aufl. 2004, S. 18 ff. Der Konzeption
gegenüber kritisch Gärditz, Die „Neue Verwaltungsrechtswissenschaft“
– Alter Wein in neuen Schläuchen?, Die Verwaltung,
Beiheft 12, 2017, 105. Dagegen Fehling, Die „neue Verwaltungsrechtswissenschaft“
– Problem oder Lösung, Die Verwaltung,
Beiheft 12, 2017, 65.
28 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle,
Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 2: Informationsordnung,
Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, 2. Aufl. 2012,
§ 27 Rn. 38.
29 Dazu sogleich unter IV.1.
30 Für den Bereich des Umweltrechts Lübbe-Wolff, Instrumente des
Umweltrechts, NVwZ 2001, 481, 483.
31 So etwa Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 5 Rn. 42 f.
32 Freilich lässt sich kein pauschaler Freiheitsvorteil indirekter Instrumente
ausmachen, vgl. für das Verhältnis ökonomischer und
ordnungsrechtlicher Steuerung insoweit Overkamp, Ökonomische
Instrumente und Ordnungsrecht, 2020, S. 148 ff.
33 Grundlegend Franzius, Die Herausbildung der Instrumente indirekter
Verhaltenssteuerung im Umweltrecht der Bundesrepublik
Deutschland, 2000, S. 120 ff.
34 Zurückgehend auf die Arbeiten von Sunstein/Thaler, Nudge,
2008; s. aus rechtswissenschaftlicher Perspektive etwa Purnhagen/
Reisch, „Nudging Germany“?, ZEuP 2016, 629 ff.; Wolff, Eine
Annäherung an das Nudge-Konzept nach Richard H. Thaler und
Cass R. Sunstein aus rechtswissenschaftlicher Sicht, RW 2015, 194
ff. Dazu unter IV.4.
35 Vgl. für eine Open-Access-Publikationspflicht Fehling, Verfassungskonforme
Ausgestaltung von DFG-Förderbedingungen zur
Open-Access-Publikation, OdW 2014, 179, 182.
perspektive27 mit einer über die dogmatische Rechtmäßigkeitskontrolle
hinausgehenden Analyse von Zusammenhängen
und Wechselwirkungen des Rechts dienen,
um zu beantworten, wie Recht gestaltend als Steuerungsinstrument
eingesetzt werden kann.28 Recht und staatliches
Handeln – gleich ob es mit Geboten, Verboten oder
bloßen Anreizen operiert – wird dabei als Form der Verhaltensbeeinflussung
begriffen, die darauf abzielt, unerwünschtes
Verhalten zu unterbinden und erwünschtes
Verhalten – hier die Bereitstellung von Forschungsrohdaten
– herbeizuführen. Im Zuge dessen müssen jene
Aspekte berücksichtigt werden, die sich einerseits auf die
rechtlichen Voraussetzungen einer Maßnahme auswirken
(„Bis zu welcher Intensität ist ein Förderanreiz noch
nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu rechtfertigen?“), andererseits
aber auch die Zweckmäßigkeit der Maßnahme
betreffen. So ist etwa ein rechtlich unverbindlicher Apell,
Daten offenzulegen, unter grundrechtlichen Gesichtspunkten
unproblematisch und nach hiesiger Auffassung
nicht einmal als Eingriff zu qualifizieren.29 Doch hinsichtlich
der Effektivität der Zielerreichung – in der Steuerungsdebatte
wird von „Treffsicherheit“ gesprochen30 –
ist eine solche Maßnahme oft kaum ergiebig, weil der
damit zusammenhängende Verhaltensanreiz nicht
besonders intensiv ausgeprägt ist. Das wiederum spricht
für eine eingriffsintensivere, gegebenenfalls sogar ordnungsrechtliche
Maßnahme. In der Sache kann der Staat
hier auf einen ganzen „Instrumentenkasten“ zurückgreifen.
a) Verschiedene Steuerungsmodi
Die steuerungsorientierte Rechtslehre unterscheidet bei
der Typisierung unterschiedlicher Instrumente grundlegend
zwischen direkter und indirekter Steuerung.31
Trotz Abgrenzungsschwierigkeiten im Detail lässt sich
die direkte Verhaltenssteuerung als unmittelbar und
imperativ geltender Verhaltensbefehl verstehen, der sein
Regelungsziel zwar typischerweise treffsicher erreicht,
aber aus Sicht der Adressaten auch von erheblicher Eingriffsintensität
geprägt ist.32 Dem steht die heterogene
Gruppe indirekter Instrumente gegenüber, die sich als
informationelle, finanzielle oder organisatorische Anreizinstrumente33
verstehen lassen oder sich – in Form des
Nudgings34 – verhaltenspsychologischer Erkenntnisse
zur Steuerung bedienen.
Eine direkte Steuerung liegt etwa vor, wenn eine
Rechtspflicht zur Offenlegung von Forschungsdaten
Wissenschaftler mit den Mitteln des Ordnungsrechts
zwänge, Rohdaten aus einem Projekt freizugeben. Eine
solch einschneidende, imperative Lösung wird vor allem
aus Gründen der juristischen Maßstabsbildung näher
betrachtet (III.). Sie ist – das sei vorweggenommen – von
einigen Sonderfällen abgesehen kaum realistisch.35
Deutlich wahrscheinlicher ist eine indirekte Steuerung,
die Anreize zur Offenlegung der Daten schafft, ohne ein
entgegengesetztes Verhalten zu verbieten. Maßgebliches
Scharnier für eine solche Form der Verhaltensbeeinflussung
ist die Forschungsförderung. Daran anknüpfend
kann beispielsweise die Gewährung von Fördergeldern
mit dem Zugänglichmachen von Forschungsrohdaten
verbunden werden.
b) Der Umfang der Offenlegung
Vor der Wahl eines konkreten Instrumentes muss allerdings
die Vorfrage beantwortet werden, welche Daten
überhaupt geteilt werden sollen. Betrifft das Data-Sharing
nur die Informationen, die bereits in eine Veröffentlichung
eingeflossen sind, oder wird ein weitergehender
Ansatz gewählt, bei dem sämtliche erhobene Daten
adressiert werden ? Der erste Fall würde die Forscher
4 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 3 9 — 5 4
36 Einer aktuellen Studie zufolge werde der IKT-Sektor seinen
Strombedarf bis 2030 um 50% erhöhen, ein beachtlicher Anteil
davon entfalle auf Rechenzentren, Simon, EU-Beamter: „Kein
Green Deal ohne digitale Technik, EURACTIV 3.11.2021, https://
www.euractiv.de/section/digitale-agenda/news/eu-beamterkein-
green-deal-ohne-digitale-technik/?_ga=2.98753371.
st477181870.1636376769–703534485.1601626179.
37 Gärditz, (Fn. 24), Art. 5 Abs. 3 Rn. 266 ff.; s. auch IV.3.
38 Es ist nicht eindeutig geklärt, ob die Industrieforschung in den
Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG fällt (s. Britz, in: Dreier, GGKommentar,
Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 5 III (Wissenschaft) Rn. 22
m.w.N.). Überzeugend ist es aber, jedenfalls jene Tätigkeiten auszuklammern,
die nicht auf die „Eigengesetzlichkeit der Wissenserzeugung“,
sondern auf ökonomische Marktvorteile jenseits des
Wissenschaftsbetriebes abzielt, s. Trute, Die Forschung zwischen
grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung,
1994, S. 106 f.; anders aber etwa Ruffert (Fn. 24), S. 158 f.
39 Fehling (Fn. 35), S. 180.
40 Fehling (Fn. 35), S. 193.
41 Zur Doppelrolle der DFG Fehling, in: Kahl/Waldhoff/Walter,
Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 110. Lfg. 2004, Art.
5 Abs. 3 Rn. 141; Fehling (Fn. 35), S. 193. Einschränkend zum
Grundrechtsschutz Classen, Wissenschaftsfreiheit außerhalb der
Hochschule, 1994, S. 256 f.: „Doch ist dieser Schutz gegenständlich
auf solche Entscheidungen beschränkt, die unmittelbar mit
der grundrechtlichen Funktion der Einrichtungen zusammenhängen.“
42 Fehling (Fn. 41), Art. 5 Abs. 3 Rn. 19.
geringer belasten, weil sie weniger Daten aufbereiten
und bereitstellen müssten. Dann aber bliebe zum einen
das Problem geschönter Datensätze bestehen, da die
Datenvorauswahl des Forschers maßgeblich für den
Umfang der Offenlegung bleibt. Zum anderen können
gerade auch diese Daten Zweitnutzer bei deren
Anschlussforschung unterstützen, beispielsweise wenn
sie einen Versuch nachbilden wollen. Im Sinne eines
größtmöglichen wissenschaftlichen Fortschritts sollten
daher möglichst alle potentiell relevanten Daten offengelegt
werden. Deshalb geht der Beitrag im Folgenden von
einem derart weitgehenden Ansatz des Data-Sharing
aus. Das soll jedoch nicht unterschlagen, dass auch eine
verhaltenere Förderpolitik möglich ist. Dafür könnte
neben der geringeren Belastung der Forscher auch der
erhebliche technische Aufwand und Speicherbedarf
streiten, der mittelbar wiederum Umweltbelastungen
verursacht.36
Ferner bedarf es einer Entscheidung darüber, wem
die geteilten Daten überhaupt zugänglich sein sollen.
Auch hier gibt es verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten,
die von Restricted-Access-Modellen (etwa beschränkt
auf die jeweilige Disziplin oder die Scientific
Community) bis hin zu einer Bereitstellung für die breite
Öffentlichkeit in einem Open-Access Repositorium
reichen. Der aus dem Förderauftrag der Wissenschaftsfreiheit
erwachsende Informationszugangsanspruch von
Wissenschaftlern gebietet dabei zumindest einen Zugang
für jene, die ein wissenschaftliches Nutzungsinteresse
plausibilisieren können.37 Dagegen ist eine Beschränkung
des Zugangs für jene, die sich nicht auf die
Wissenschaftsfreiheit berufen können, unproblematisch.
Auch der Ausschluss der Industrieforschung vom Datenzugang
dürfte rechtlich nicht zu beanstanden sein.38
c) Grundrechtsverhältnisse
Bei Erlass eines Gesetzes, das sich unmittelbar an die
Forschenden richtet, entsteht ein klassisches zweipoliges
Grundrechtsverhältnis zwischen dem grundrechtsverpflichteten
Staat und den grundrechtsberechtigten
Adressaten. Ein mehrpoliges Verhältnis kann sich dagegen
bei der Einschaltung von Förderorganisationen
ergeben: Entweder indem diese Organisationen selbstständig
Vorgaben an die Forscher machen, die sich um
Fördermittel bewerben, oder aber, indem der Gesetzgeber
den Förderorganisationen ein gewisses Vergabeprocedere
vorschreibt.
Die unmittelbar staatliche Forschungsförderung, wie
sie seitens der Bundes- und Landesministerien betrieben
wird, unterfällt Art. 1 Abs. 3 GG. Bei der Verteilung von
Fördergeldern ist daher die Wissenschaftsfreiheit der
Antragsteller zu beachten. Diese sind die unmittelbaren
Steuerungsadressaten im zweipoligen
Grundrechtsverhältnis.
Davon zu unterscheiden sind semi-staatliche Forschungsförderorganisationen39
wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft
(DFG). Aufgrund der engen Verschränkung
solcher privatrechtlich organisierter Vereine
mit der staatlichen Sphäre – unter anderem sind ihre
Mitglieder staatlich finanzierte Forschungseinrichtungen
und die aufgewendeten Fördermittel stammen zum
Großteil aus den Staatshaushalten – muss auch ihre
Grundrechtsbindung bejaht werden.40 Wenn sich also
die DFG autonom entscheidet, entsprechende Vorgaben
zu machen, hat sie die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3
GG zu achten. Die Wissenschaftsfreiheit der Forscher
bleibt der entscheidende Maßstab. Dagegen ändert sich
die Tektonik der grundrechtlichen Belastung, wenn die
DFG nur anderweitige staatliche Vorgaben, etwa ein entsprechendes
Fördergesetz, umsetzt. Als „verlängerter
Arm der Wissenschaft“ gilt sie nicht nur als grundrechtsverpflichtete
Einrichtung, sondern zugleich auch als Trägerin
des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit, das sodann
in die Prüfung einbezogen werden muss.41 Hier offenbart
sich eine für die Wissenschaftsfreiheit typische
„janusköpfige Grundrechtssituation“.42
Overkamp/Tormin · Staatliche Steuerungsmöglichkeiten 4 5
43 Zur Abgrenzung privater und staatlicher Forschungsförderung
Classen (Fn. 41), S. 139 ff.
44 Sog. horizontale Kumulationen, bei denen ein Gesetz die Freiheitssphären
verschiedener Akteure betrifft, sind der rechtsstaatliche
„Normalfall“ (s. Lee, Umweltrechtlicher Instrumentenmix
und kumulative Grundrechtseinwirkungen, 2013, S. 97). Bei der
Grundrechtsprüfung ist regelhaft die individuelle Wirkungstiefe
und nicht ‑breite der Betroffenheit maßgeblich. Ausnahmen ergeben
sich aber bspw. im Bereich der massenhaften und anlasslosen
Datenerhebung, BVerfGE 120, 378, 430.
45 Dazu unter IV.5.b.
46 Sachs, in: ders., Grundgesetz, 9. Aufl. 2021, Vorbemerkung zu
Abschnitt I Rn. 79.
47 Vgl. Overkamp (Fn. 32), S. 148 ff.
48 Starck (Rn. 25), Art. 1 Rn. 265 m.w.N.
49 Dazu allg. Kment, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik
Deutschland, 16. Aufl. 2020, Art. 72 Rn. 15 ff.
50 BVerfGE 106, 62, 144.
51 Uhle, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 76. EL 2015, Art. 72 Rn. 142.
Kein grundrechtliches Problem zeitigt es, wenn die
nicht dem Art. 1 Abs. 3 GG unterfallenden und nicht an
Grundrechte gebundenen privaten43 Förderer sich entschließen,
auf eigene Initiative Veröffentlichungsvorgaben
zu machen. Eine mit der Steuerung semi-staatlicher
Förderorganisationen vergleichbare doppelte Grundrechtsbetroffenheit
ergibt sich dagegen, wenn ein Gesetz
entsprechend auf staatsferne, rein private Förderorganisationen
einwirkt. Auch in diesem Fall stehen die Förderorganisationen
als unmittelbar und direkt gesteuerte
Adressaten neben den mittelbar gesteuerten Forschern.
Obgleich in vielen Fällen also nicht nur die Grundrechte
der Forscher, sondern zugleich auch die Wissenschaftsfreiheit
der Förderorganisationen betroffen sind,
ist in der Regel die Rechtsposition der Wissenschaftler
maßgeblich. Schließlich wiegt der Eingriff in die ureigene
Forschungstätigkeit typischerweise schwerer als die
(mittelbare) Beeinträchtigung eines Finanzierungsanliegens.
Auch führt die grundrechtliche Betroffenheit verschiedenartiger
Akteure durch eine staatliche Maßnahme
nur in – hier nicht einschlägigen – Sonderfällen zu
einer beachtlichen Kumulationswirkung, welche die
Rechtfertigungsanforderungen erhöht.44 Das schließt
nicht aus, dass auch die Rechte der Forschungsförderorganisationen
im Kontext der Data-Sharing-Förderung
Wirkung entfalten. Etwa ist eine semi-staatliche Förderorganisation
in Ausübung ihrer grundrechtlich verbürgten
Autonomie nicht im vergleichbaren Maß auf die
Existenz einer Ermächtigungsgrundlage angewiesen,
wie das für nicht-grundrechtsberechtigte Verwaltungsstellen
gilt.45
III. Direkte Steuerung: Die Rechtspflicht zur Offenlegung
von Forschungsdaten
Die Grundrechtsdogmatik orientiert sich noch immer
am klassischen Grundrechtseingriff durch Ge- und Verbote.
46 Nur in solchen Fällen lässt sich die für die Überprüfung
des Eingriffs und der Verhältnismäßigkeit der
Maßnahme entscheidende Wirkungsintensität typischerweise
klar und eindeutig abschätzen, wohingegen
die durch Anreizinstrumente verursachte Steuerungswirkung
diffuser und in ihrer Wirkweise schwerer zu
antizipieren ist. Die Überprüfung eines hypothetischen
ordnungsrechtlichen Gebots dient insoweit auch als Orientierungspunkt
für die rechtliche Bewertung (niedrigschwelliger
wirkender) Anreize.47 Mit anderen Worten:
Der klassische Eingriff wird zum Maßstab der indirekten
Steuerung.48 Deshalb soll die Betrachtung einzelner Instrumente
mit Ausführung zur direkten Steuerung beginnen:
Wäre also ein hypothetisches Gesetz rechtmäßig,
das Wissenschaftlern pauschal vorschreibt, alle im Rahmen
eines Forschungsprojektes erhobenen Rohdaten
mit der Öffentlichkeit zu teilen? - Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern
Vorausgeschickt sei, dass die Kompetenz für eine solche
Regelung bei den Ländern läge. Es handelt sich beim
einschlägigen Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG („Förderung der
wissenschaftlichen Forschung“) um einen Fall der Erforderlichkeitskompetenz.
49 Dabei ist die Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse gemäß
Art. 72 Abs. 2 Var. 1 GG nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts nur einschlägig, „wenn sich
die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik
in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge
beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben
oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet“
50 – was ersichtlich nicht den Austausch von Forschungsdaten
betrifft. Die zweite Tatbestandsvariante,
die Wahrung der Rechtseinheit, ist nur betroffen, wenn
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass andernfalls die
Funktionsfähigkeit des Rechtsraums gefährdet ist.51
Art. 72 Abs. 2 GG schafft gerade keine umfassende Bundeskompetenz
zur Angleichung des Rechts. Zuletzt ist
auch die Wahrung der Wirtschaftseinheit nach Var. 3
ersichtlich nicht einschlägig. Es zeigt sich, dass – trotz
der oben benannten Bemühungen des Bundes – die Länder
bei einer gesetzlichen Regelung der steuernde Akteur
wären. Schon daraus ergibt sich, dass eine bundeseinheitliche,
verwaltungsrechtliche Steuerung über die
Anpassung von Forschungsfördermodalitäten (semi-)
staatlicher Organisationen wahrscheinlicher ist: Letztlich
dürften die Länder kein Interesse daran haben, den
4 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 3 9 — 5 4
52 Vgl. allg. zur wichtigen Rolle von Förderern Wallach/Boyack/
Ioannidis (Fn. 10), S. 2.
53 BVerfGE 90, 1, 11; Fehling (Fn. 41), Art. 5 Abs. 3 Rn. 19; Gärditz
(Fn. 24), Art. 5 Abs. 3 Rn. 47.
54 BVerfGE 35, 79, 112 f.; 47, 327, 367 f.; 90, 1, 12; BVerwGE 102, 304,
307 f.; Wendt, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz. Bd. 1, 7. Aufl.
2021, Art. 5 Rn. 103.
55 Fehling (Fn. 41), Art. 5 Abs. 3 Rn. Wissenschaftsfreiheit 74; Jarass
(Fn. 49), Art. 5 Rn. 138.
56 Britz (Fn. 38), Wissenschaftsfreiheit Art. 5 III (Wissenschaft) Rn.
26; Gärditz (Fn. 24), Art. 5 Abs. 3 Rn. 103, 113; a.A. wohl Dickert,
Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S. 271 ff.; dagegen
wiederum Rieble, in: Reuß/ders., Autorschaft als Werkherrschaft,
2010, S. 29, 53 f.
57 BVerfGE 93, 85, 95; vgl. Britz (Fn. 38), Art. 5 Abs. 3 Rn. 72.
58 Dabei sollten auch die gute wissenschaftliche Praxis und sog.
Community-Standards berücksichtigt werden, dazu ausführlich
Fehling/Tormin (Fn. 17), insb. unter III.
59 Schmitt Glaeser, Die Freiheit der Forschung, WissR 7 (1974), 107,
122 ff.; Hailbronner, Forschungsreglementierung und Grundgesetz,
WissR 13 (1980), 212, 234 f.; Fehling (Fn. 41), Art. 5 Abs.
3 Wissenschaftsfreiheit Rn. 45; von der Decken, in: Schmidt-
Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, Grundgesetz, 14. Aufl. 2018, Art. 5
Rn. 47.
60 Das entspricht auch den der Tierversuchsrichtlinie 2010/63/EU
zugrundeliegenden Erwägungen, s. Cornils, Reform des Europäischen
Tierversuchsrechts, 2011, S. 7 ff., 21 ff.
eigenen Forschungsstandort durch föderal begrenzte,
strikte Vorgaben zu schwächen.52 - Vereinbarkeit mit der Wissenschaftsfreiheit
Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantiert als subjektives Abwehrrecht53
einen Bereich abseits staatlicher Einflussnahme,
in dem selbstverantwortlich und autonom wissenschaftliche
Erkenntnisse erlangt und verbreitet werden können.
54 Es obliegt dem Wissenschaftler, wann er welche
Daten in welchem Umfang wem wie verfügbar macht.55
Spiegelbildlich schützt die negative Publikationsfreiheit
das Recht, Erkenntnisse inklusive der hier gegenständlichen
Rohdaten gerade nicht bereitstellen zu müssen.56
Eine Pflicht zum Offenlegen von Daten berührt diese
negative Publikationsfreiheit der Forscher. Ebenso sind
die geschützte Forschungsarbeit und damit die allgemeine
Wissenschaftsfreiheit betroffen: Die Rohdaten müssen
in der Regel erst einmal so aufbereitet werden, dass
sie geteilt und weitergenutzt werden können. Ohne den
Ausgleich entstehender finanzieller Kosten und weitere
(technische oder rechtliche) Unterstützung entsteht ein
zusätzlicher freiheitsbelastender Mehraufwand, der
selbst dann als Eingriff wirkt, wenn die Entscheidung
über das Datenteilen dem Forschenden an sich gleichgültig
ist.
Auf der anderen Seite streiten eine Reihe legitimer
Zwecke für eine solche Maßnahme: Die objektiv-rechtliche
Komponente der Wissenschaftsfreiheit selbst verlangt
vom Staat, für einen funktionsfähigen und effizienten
Wissenschaftsbetrieb zu sorgen.57 Der Staat hat Rahmenbedingungen
zu schaffen, die innovative Forschung
ermöglichen,58 wobei er innerhalb seiner Einschätzungsprärogative
eigenständig Entwicklungen anstoßen
kann, die nach seiner Auffassung der Effizienz der Wissenschaft
in der Bundesrepublik zugutekommen.59 Dazu
zählt auch vermehrtes Data-Sharing.
Daneben kommt je nach Einzelfall auch anderen
Verfassungsbestimmungen Bedeutung zu: Der Austausch
von Daten aus der medizinischen Grundlagenforschung
kann der Schutzflicht für Leben und Gesundheit
des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG entsprechen.
Weiterhin kann der Staatszielbestimmung des Art. 20a
GG Rechnung getragen, insbesondere wenn im Bereich
des Tierschutzes Ergebnisse aus Tierversuchen infolge
der Datenfreigabe wiederholt genutzt und neue Experimente
auf Kosten des Tierwohls vermieden werden
können.60
Trotz dieser Argumente ist zumindest eine pauschale
Pflicht zur Offenlegung von Forschungsdaten nicht mit
der Verfassung in Einklang zu bringen. Letztlich ist der
Schutz der freien Entfaltung der Wissenschaftler vor
übermäßiger staatlicher Einflussnahme auf den Modus
ihrer Betätigung von erheblicher Bedeutung. Demgegenüber
mag das Teilen von Forschungsdaten zwar Effizienzgewinne
mit sich bringen und ist aus einer wissenschaftspolitischen
Perspektive wünschenswert. Doch
mitnichten wäre ohne staatliche Intervention zugunsten
eines vermehrten Austauschs von Daten die Funktionalität
des Wissenschaftsbetriebs an sich gefährdet. Zum
einen funktioniert der Forschungsbetrieb auch ohne
staatliche Bemühungen in diese Richtung und zum anderen
werden Forschungsdaten zunehmend auch aus
privater Initiative heraus geteilt. Die zur Rechtfertigung
heranzuziehende objektiv-rechtliche Dimension der
Wissenschaftsfreiheit kann daher kaum so weit reichen,
dass sie gegenüber der abwehrrechtlichen Komponente
in Form der negativen Publikationsfreiheit überwiegt.
Anderes mag allenfalls in Einzelfällen gelten, in denen
ganz bestimmte Daten in Rede stehen und erhebliche
negative Konsequenzen drohen, wenn diese nicht
geteilt werden. Denkbar ist eine solche Ausnahmekonstellation
unter der Prämisse des Tierschutzes etwa für
aus Tierversuchen gewonnenen Daten; ferner sind vor
dem Hintergrund der Erfahrungen der Corona-Pandemie
auch Offenlegungspflichten zugunsten dringender
Gesundheitsforschung vorstellbar. Dabei liegt es nahe,
Overkamp/Tormin · Staatliche Steuerungsmöglichkeiten 4 7
61 Dabei handelt es sich um eine gemeinwohlorientierte Aufopferung,
für die – unter weiteren Voraussetzungen – Entschädigungspflichten
bestehen können, s. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, - Aufl. 2013, S. 124 ff., 140 f.
62 Auch solche Maßnahmen können sich aber als Grundrechtseingriff
darstellen, für den es dann u.U. – wegen des Vorbehalts des
Gesetzes – einer gesetzlichen Grundlage bedarf. S. dazu Fehling
(Fn. 35), S. 200; sowie unter IV.5.c.
63 Das geschieht einerseits auf den offiziellen Webseiten, andererseits
bei eigens initiierten Vorträgen und Workshops: Deutsche
Initiative für Netzwerkinformation, Datenmanagementpläne
zwischen Vorgaben der Förderer und Forschungspraxis, 18.3.2021;
European Open Science Cloud, Symposium, 15.–17.6.2021; Harvard
University, The open data assistance program, https://projects.
iq.harvard.edu/odap/benefits-sharing-data; Kompetenznetzwerk
FDM an den Thüringer Hochschulen, Thüringer FDM-Tage:
Datendokumentation, 21.–25.6.2021; Nationale Forschungsdaten
Infrastruktur, InfraTalk, 3.5.2021; SPARC et al., Open Science
FAIR, 20.–23.9.2021; Universität Heidelberg, E‑Science-Tage: Share
your research data, 4.–5.3.2021.
64 Schuppert, in: Schliesky et al., FS Schmidt-Jortzig, 2011, S. 291,
295; Wolff (Fn. 34), S. 209.
65 Wolff (Fn. 34), S. 209. Dazu allg. Gusy, in: GVwR II (Fn. 28), § 23.
66 Vgl. BVerfGE 105, 252, 273; 105, 279; 303; Lenski, Staatliches Informationshandeln
als Grundrechtseingriff, ZJS 2008, 13, 14 f. Allg.
zum erweiterten Eingriffsbegriff Albers, Faktische Grundrechtsbeeinträchtigung
als Schutzbereichsproblem, DVBl. 1996, 23 ff.;
Starck (Rn. 25), Art. 1 Rn. 265 m.w.N.
67 Selbiges gilt auch, wenn die informierende Einrichtung nichtstaatlich
ist, aber auf Veranlassung einer staatlichen Stelle tätig
wird, s. BVerwG, NJW 2006, 1303, 1304.
68 So wurde auch in dem Glykol-Beschluss argumentiert, der
hervorhob, dass Informationshandeln den Bürgern Orientierung
biete und sie zur sachgerechten Bewältigung eines bestehenden
Missstandes befähige, BVerfGE 105, 252 ff; Gusy, in: GVwR II (Fn.
28), § 23 Rn. 101.
69 Vgl. allg. zur Grundrechtsrelevanz staatlichen Informationshandelns
Voßkuhle/Kaiser, Informationshandeln des Staates, JuS
2018, 343; Wolff (Fn. 34), S. 217.
70 Schmitt Glaeser (Fn. 59), S. 122 ff.; Kimminich, Das Veröffentlichungsrecht
des Wissenschaftlers, WissR 18 (1985), 116, 133;
Fehling (Fn. 41), Art. 5 Abs. 3 Wissenschaftsfreiheit Rn. 45.
71 Voßkuhle/Kaiser (Fn. 69), S. 343; Wolff (Fn. 34), S. 217.
72 Vgl. zur Prangerwirkung im Lebensmittelsektor Monsees, Behördliches
Informationshandeln im Lebensmittelbereich, S. 223 ff.
die Forscher zumindest in notstandähnlichen Aufopferungssituationen
für die entstehenden Mehrkosten und
den Aufwand, der mit der Aufbereitung und Bereitstellung
der Daten einhergeht, zu entschädigen.61
IV. Indirekte Steuerung der Förderung des Datenaustauschs
Während ordnungsrechtliche Verpflichtungen also nur
in Ausnahmefällen einen rechtmäßigen Beitrag zur Förderung
des Teilens von Forschungsdaten leisten können,
sind eine Reihe indirekt wirkender Maßnahmen denkbar
und wahrscheinlicher. Im Gegensatz zum vorstehend
benannten Gesetz handelt es sich ganz überwiegend
um Instrumente, die schon mittels Verwaltungshandelns,
vor allem durch Maßnahmen der
Forschungsförderorganisationen, implementier- und
durchsetzbar sind.62 - Informationsmaßnahmen und Empfehlungen
Um die Bereitschaft Forschender zum Teilen ihrer Daten
zu erhöhen, klären Förderorganisationen sowie Forschungseinrichtungen
zunehmend über die Vorteile von
Data-Sharing auf.63 Soweit die Informationen und Empfehlungen
von einer staatlichen oder dem Staat zurechenbaren
Stelle ausgehen, handelt es sich um eine Form
indirekter Steuerung, wobei sich die Steuerungswirkung
verstärkt, wenn die Ansprache und Empfehlung an einzelne
Wissenschaftler individualisiert stattfindet. Zum
einen sind die Adressaten der Materie gegenüber dann
aufmerksamer, zum anderen erhöht Personalisierung
den individuell empfundenen sozialen Druck.64
Verfolgt die öffentliche Hand mit der Bereitstellung
von Informationen das konkrete Ziel, Data-Sharing in
der Wissenschaft zu fördern, handelt es sich um informationelle
Verhaltenssteuerung.65 Das gilt auch, wenn
die Information mit Empfehlungen und/oder Werturteilen
einhergeht. Eine Beeinträchtigung der Wissenschaftsfreiheit
in Form eines Grundrechtseingriffs durch
diese Art der Steuerung ist allerdings erst dann gegeben,
wenn sich das hoheitliche Informationshandeln dem
Staat zurechenbar negativ auf den Schutzbereich auswirkt.
66 Das dürfte in aller Regel zu verneinen sein: Die
Wissenschaftsfreiheit ist jedenfalls dann nicht tangiert,
wenn die zuständige staatliche67 Einrichtung faktenorientiert
objektiv-nachvollziehbare Informationen unverzerrt
ermittelt. Eine solche Informationstätigkeit kann es
dem Empfänger mitunter überhaupt erst ermöglichen,
eine fundierte, auf einer erweiterten Informationsgrundlage
basierende Entscheidung zu treffen.68
Doch auch wenn es sich um eine wertende Empfehlung
ohne weitergehenden Informationsgehalt handelt,
liegt nicht per se ein Eingriff vor. Es ist nicht schon
schädlich, wenn der Staat ein spezifisches Verhalten als
wünschenswert bezeichnet.69 Das gilt auch im Bereich
der Forschungsförderung, wo der Staat solche Prioritäten
setzen darf, für die sich sachliche Gründe anführen
lassen.70 Grundrechte werden in der Regel erst tangiert,
wenn damit auch eine (stigmatisierende) Herabsetzung
jener Adressaten einhergeht, die der Verhaltensempfehlung
nicht nachkommen.71 Das kann sich aus der Art ergeben,
wie die Informationen vermittelt werden, beispielsweise
wenn eine öffentliche Erwähnung mit Prangerwirkung
stattfindet.72 Auch staatliches Handeln, das
4 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 3 9 — 5 4
einen sogenannten Chilling-Effect auslöst, wäre dahingehend
bedenklich:73 Dabei entsteht bei den Wissenschaftlern
der Eindruck, die Nicht-Befolgung der Empfehlungen
verhindere eine Förderung. All dies scheint
im hiesigen Fall jedoch eher fernliegend, wobei die Verhinderung
des Chilling-Effects wiederum eine Herausforderung
für die staatliche Kommunikation gegenüber
der Wissenschaft ist, die Empfehlungen und Informationen
aus Gründen der Transparenz deutlich von rechtlichen
Pflichten abzugrenzen.
Letztlich sind die naheliegenden Formen informationeller
Steuerung zugunsten von mehr Data-Sharing aus
Sicht der Wissenschaftler grundrechtlich unproblematisch
und greifen typischerweise nicht einmal in die Wissenschaftsfreiheit
ein. Einer Ermächtigungsgrundlage
für entsprechende Maßnahmen bedarf es deshalb in aller
Regel nicht.74 - Nennung der Datenquelle und Anerkennung für
Open-Data-Praktiken
Auch die zu erwartende öffentliche Anerkennung kann
die Adressaten zu einem bestimmten Verhalten motivieren.
75 So dürfte die namentliche Benennung als Datenerheber
für die Wissenschaftler wünschenswert sein und
mithin als Anreiz für Data-Sharing wirken. Dies kann
sich auch der Staat zunutze machen, indem er die Angabe
der Quelle von durch Dritte generierte Daten zur Förderbedingung
oder gar zur imperativen Rechtspflicht76
erklärt. Ob hier aber tatsächlich nennenswerte Steuerungspotenziale
liegen, ob also bislang ein erheblicher
Teil der Wissenschaftler entgegen den Grundsätzen wissenschaftlicher
Redlichkeit Daten ohne Quellenangabe
zweitverwertet, darf bezweifelt werden. Auch wirken
Peer-Review-Verfahren schon als internes Korrektiv.
Größeres Steuerungspotenzial dürften Ansätze haben,
die auf eine Steigerung der öffentlichen und/oder
wissenschaftsinternen Anerkennung für die Praxis des
Data-Sharing abzielen. Dies kann beispielsweise durch
die Stiftung von Auszeichnungen und Ehrentitel für besonderes
Open-Science-Engagement erreicht werden.
Derartige Anreize vermitteln Wertschätzung,77 steigern
die Reputation und beeinflussen so das Verständnis der
Scientific Community von guter wissenschaftlicher Praxis.
Förderorganisationen und Forschungseinrichtungen
könnten zum Beispiel von ihnen geförderte Wissenschaftler,
die bereits besonders vorbildlich Daten teilen,
auf ihrer Webseite hervorheben oder mit einem Open-
Data-Award auszeichnen. Zudem kann ein Open-Science-
Siegel die Data-Sharing-Mindeststandards einhaltenden
Forschungsprojekte als solche ausweisen.
Als Grundlage des Ganzen ist ein Open-Science-
Score denkbar, der unter anderem nachweist, in welchem
Maße eine Person bisher Daten bereitgestellt hat.78
All diese Ansätze sind als Formen reiner Leistungsgewährung
grundrechtlich regelhaft unproblematisch, solange
sie nicht mit einer Herabsetzung derer einhergehen,
die keine oder wenige Daten teilen.
Problematisch wäre es in diesem Kontext unter Umständen,
wenn der Open-Science-Score in einem Ranking
öffentlich zugänglich ist. Dann könnte es zu der
vorstehend erwähnten Prangerwirkung kommen, die
die staatliche informationelle Verhaltenssteuerung in einen
Grundrechtseingriff umschlagen lässt, der dann gerechtfertigt
können werden muss (wobei es freilich auf
die Belastungsintensität der ganz konkreten Maßnahme
ankommt). Dies kann vermieden werden, indem die
Wissenschaftler frei entscheiden können, ob sie überhaupt
in dem Score gelistet werden. Ebenso ist es möglich,
nur die Spitzenplätze des Rankings zu
veröffentlichen. - Exklusive Open-Science-Datenbanken
Eine deutlich weitergehende Möglichkeit der Privilegierung
derjenigen Wissenschaftler, die zum Teilen von
Forschungsdaten bereit sind, läge in der Bereitstellung
von „Open-Science-Datenbanken“, die Forschungsdaten
speichern, wobei nur diejenigen Zugang zu den Informationen
erhielten, die selbst offen mit ihren Forschungsdaten
umgehen. Dabei sind verschiedene Ausgestaltungen
möglich: So kann etwa auf den vorstehend
benannten Open-Science-Score zurückgegriffen werden,
der auf das Data-Sharing Verhalten im Allgemeinen
rekurriert. Um Nachweisprobleme im Einzelfall zu verhindern,
könnte aber auch verlangt werden, dass Wissenschaftler
die von ihnen erhobenen Daten just in dieser
Datenbank bereitstellen. Letzteres vergrößerte die
73 Das BVerfG spricht dabei u.a. von Einschüchterungseffekten
E 115, 166, 188; 125, 260, 332.
74 BVerfGE 105, 252 ff.; Gusy, Neutralität staatlicher Öffentlichkeitsarbeit,
NVwZ 2015, 700, 701.
75 Sacksofsky (Fn. 28), § 40 Rn. 7.
76 Für ein Gesetz hätten wiederum die Länder die Kompetenz, s.
III.1.
77 Vgl. Sacksofsky (Fn. 28), § 40 Rn. 25.
78 Der Score müsste den Grad der wissenschaftlichen Erfahrung
berücksichtigen und ob der Betroffene in einem Bereich arbeitet,
in dem Data-Sharing üblich, sinnvoll und rechtlich zulässig ist.
Der Score ließe sich versuchsweise in Rechenschaftsberichten
und als eines von mehreren Kriterien – bei der Bewilligung von
Forschungsförderanträgen einführen, etwa. Die Bedeutung des
Open-Science-Scores für Auswahlentscheidungen könnte sukzessive
erhöht werden, müsste aber nachrangig bleiben gegenüber
originären Forschungsleistungen.
Overkamp/Tormin · Staatliche Steuerungsmöglichkeiten 4 9
angebotene Menge an Daten und erhöhte so die Anreizwirkung.
Die Einrichtung und Organisation einer solchen
nach dem do-ut-des-Prinzip funktionierenden, exklusiven
Datenbank von staatlicher Seite, die groß genug ist,
um für Forscher attraktiv zu sein, dürfte indes kaum mit
der Wissenschaftsfreiheit vereinbar sein. Es handelt sich
dabei um eine Steuerung mit erheblicher Eingriffstiefe.
Denn hierbei würde der Staat im ureigensten und im
Lichte der Wissenschaftsfreiheit hochsensiblen Bereich
der Forschungstätigkeit selbst differenzieren und letztlich
gezielt jene diskriminieren, die – aus welchen Gründen
auch immer – nicht zum Teilen ihrer Daten bereit
sind. Das Beschränken des Zugangs zu ohnehin schon
vorhandenen und aufbereiteten Daten hätte faktisch einen
Sanktionscharakter. Dabei besteht ein Unterschied
zu (den noch zu thematisierenden) unterstützenden finanziellen
Anreizen für jene, die ihre Daten teilen: Forschungsfördergelder
sind ohnehin nur begrenzt vorhanden
und können nicht an alle ausgeschüttet werden. Der
Zugang zu den Daten würde dagegen künstlich verknappt.
Zwar mag argumentiert werden, es handele sich
nicht um ohnehin frei verfügbare Daten, sondern um
solche, die sich in einem Repositorium befinden, das eigens
für Forscher eingerichtet wurde, die ihre Daten
auch selbst teilen. Das lässt aber die aus Art. 5 Abs. 3 GG
erwachsende Förderdimension außer Acht, die auch die
Bereitstellung wissenschaftlicher Infrastrukturen und
den Informationszugang erfasst.79 Der Staat ist danach
grundsätzlich verpflichtet, die in einem von ihm betriebenen
Repositorium gesammelten Daten gegenüber
Wissenschaftlern offenzulegen; eine abweichende Praxis
ist zumindest rechtfertigungsbedürftig.80 Dem staatlichen
und grundrechtsgebundenen Betreiber der Datenbanken
wäre es ein Leichtes, der Forschung im Allgemeinen
durch den Zugang zu den aufbereiteten Daten
Vorschub zu leisten. Der Nachteil, den die Forscher mit
erschwertem Zugang zu Daten gegenüber anderen Forschern
hätten, ist dabei nicht mit der objektiv-rechtlichen
Komponente der Wissenschaftsfreiheit zu begründen,
sondern schadete im Gegenteil eher der Funktionsfähigkeit
des Wissenschaftssystems.81 Sollte die Datenbank
ein Erfolg und der Zugang zu dieser eines Tages
unverzichtbar sein, um überhaupt im jeweiligen Bereich
zu forschen, könnten Wissenschaftler sogar einer faktischen
Offenlegungspflicht ausgesetzt sein, da andernfalls
eine sinnvolle Forschungstätigkeit unmöglich wird.82
Eine solche Wirkung ist aber, wie unter III. gezeigt, in ihrer
Pauschalität nicht mit der Forschungsfreiheit in Einklang
zu bringen.
Das verbietet freilich nicht jede steuernde Differenzierung.
Angesichts des Anreizpotentials scheint eine
Mittellösung erwägenswert: Das Open-Science-Repositorium
könnte Nutzern, die selbst Daten teilen, bevorzugt
und weniger bürokratisch Zugriff gewähren. Ihnen
könnten beispielsweise Extradienste angeboten werden
wie ein Recherche-Tool, das auch auf thematisch ähnliche
Informationen hinweist. Den Nutzern, die selbst
kein Data-Sharing betreiben, blieben solche Angebote
verwehrt.83 - Data-Sharing als Standardeinstellung im Förderantrag
mit Opt-Out-Option
Denkbar ist auch eine Klausel im (elektronischen) Formular
für den Förderantrag, die vorschreibt, erhobene
Rohdaten zu teilen, aber durch ein Opt-Out abbedungen
werden kann. Dabei muss der Geförderte Auskunft
geben, warum er seine Daten nicht teilen wird. Verlangt
würde hierbei ein formales „comply or explain“, ohne
dass die inhaltliche Überzeugungskraft der Erklärung
überprüft wird.84 Sofern dies von (semi-)staatlichen Förderorganisationen
praktiziert, oder aber privaten gesetzlich
vorgeschrieben wird, handelt es sich um indirekte
Verhaltenslenkung der öffentlichen Hand in Form des
Nudgings.
Eine solche verhaltensökonomische Steuerung implementiert
keine Rechtspflicht, sondern macht sich den
„Status-quo-Bias“ zunutze.85 Danach bevorzugen För-
79 Vgl. Gärditz (Fn. 24), Art. 5 Abs. 3 Rn. 266 ff.
80 Mayen, Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers
gegenüber dem Staat, 1992, S. 136 ff.; Greb, Der Anspruch der
Wissenschaft auf Überlassung und Nutzung (steuer-)statistischer
Daten, Die Verwaltung 44 (2011), 563, 568.
81 Selbst wenn man eine solche Datenbank implementieren wollte,
müsste jedenfalls berücksichtigt werden, dass es Forschende gibt,
die nicht bereitstellungsfähige Daten erheben, weil ihrer Erhebung
etwa ein gesetzliches Verbot entgegensteht oder weil ihre
öffentliche Bereitstellung offenkundig ohne verallgemeinerungsfähigen
Mehrwert ist. Auch gibt es Nachwuchswissenschaftler,
die bislang noch keine Möglichkeit hatten, Daten verfügbar zu
machen. In der Praxis dürfte es schwierig sein, ein entsprechend
differenzierendes Zugangssystem umzusetzen.
82 Vgl. Berg, Informationelle Selbstbestimmung und Forschungsfreiheit,
CR 1988, 234, 237: „Zugangsverweigerung führt zu einem
objektiven und absoluten Verbot freier, unabhängiger Forschung“;
differenzierend Mayen (Fn. 80), S. 132 ff.
83 Vergleichbar ist das mit Apps, die ein kostenloses Basisangebot
haben und den zahlenden Nutzern zusätzliche Leistungen anbieten.
84 Stellte man Anforderungen an die Rechtfertigung, käme dies
einer Förderbedingung gleich, dazu unter IV.5.
85 Thaler/Sunstein (Fn. 34), S. 55 unter Verweis auf Samuelson/
Zeckhauser, Status quo bias in decision making, Journal of Risk
and Uncertainty 1 (1988), 7 ff. S. auch Korobkin, in: Sunstein,
Behavioral law and economics, 2000, S. 116, 118 ff.; Kahneman/
Knetsch/Thaler, Anomalies: The endowment effect, loss aversion,
and status quo bias, The Journal of Economic Perspectives, 5/1
(1991), 193, 197 ff.
5 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 3 9 — 5 4
deranwärter, bei der bestehenden Vertragsklausel zu
bleiben, um vorerst keinen Aufwand mit der Erklärung
zu haben. Die langfristigen Mehrbelastungen, die beim
Data-Sharing auf sie zukommen, treten dabei in den
Hintergrund. Zudem setzt die Standardklausel an die
Veränderungsträgheit der Wissenschaftler an und beeinflusst
ihr intuitives Entscheiden.86 Darüber hinaus erzeugt
eine voreingestellte Klausel zum Datenteilen sozialen
Druck. Die Antragstellenden werden womöglich annehmen,
die Vorgaben bilden den Standard guter wissenschaftlicher
Praxis ab und die Förderorganisation
erwarte von ihnen, diesen einzuhalten.
Freilich ist die Treffsicherheit einer solchen Maßnahme
mit einigen Unsicherheiten behaftet. Sollen die eigenen
Forschungsdaten öffentlich geteilt werden, könnte
das Gefühl überwiegen, exklusive Zugriffsrechte zu verlieren.
Zudem ist es für die Antragsteller regelmäßig bedeutend
einfacher, begründet von der Voreinstellung abzuweichen
als die Daten und Metadaten aufzubereiten,
und zugänglich zu machen.
Eine Data-Sharing-Voreinstellung greift nicht
zwangsläufig in Grundrechte ein.87 Der Antragsteller
kann frei entscheiden, ob er den Antrag mit oder ohne
die Verpflichtung zum Teilen der Daten einreicht. Hängt
die Förderzusage ersichtlich nicht von der Entscheidung
ab und werden Gründe wie schierer Unwille zum Teilen
der Daten akzeptiert, ist das Instrument als rein formale
Opt-Out-Option grundrechtlich unproblematisch und
entspricht in seiner Wirkung annähernd einer bloßen
Empfehlung, die regelhaft keinen Eingriff darstellt. Etwas
anderes kann sich bei erheblichem Begründungsaufwand
des Antragsstellers ergeben. Dann wird es sich
aber nicht mehr um Nudging handeln. Stattdessen wird
die Überzeugungskraft der Rechtfertigung wird zur Förderbedingung,
dazu sogleich. Das Nudging selbst zeitigt
dagegen erst rechtsstaatliche Bedenken, wenn der Staat
die Forscher bewusst darüber im Unklaren lässt, ob sich
ihre Entscheidung auf die Förderung auswirkt. In diesem
Fall kann ein abschreckender oder einschüchternder
Effekt entstehen, der eine freie Entscheidung vereitelt
und zumindest einen Grundrechtseingriff
darstellt.88 - Data-Sharing als Entscheidungskriterium bei der Fördermittelvergabe
Einen wirkmächtigen Steuerungsansatz, der etwa bei
den angesprochenen Förderrichtlinien des BMBF
genutzt wird,89 bietet die Fördermittelvergabe selbst.
Grundsätzlich kommen zwei verschiedene Herangehensweisen
in Betracht: Zum einen könnte eine Förderorganisation
die finanzielle Förderung davon abhängig
machen, dass der Geförderte erklärt, er werde die im
Rahmen des Projektes erhobenen Daten zugänglich
machen oder andernfalls begründet darlegt, warum er
die Daten nicht teilen kann.90 Zum anderen kann sich
die Steuerung auch auf vergangenes Verhalten beziehen.
Dann würde die bisherige Data-Sharing-Praxis des
Antragstellers bei der Förderentscheidung berücksichtigt.
Der bereits angesprochene Open-Science-Score
kann auch hier die Vergleichbarkeit herstellen.
a) Grundrechtliche Relevanz
Geht die Berücksichtigung des Open-Data-Verhaltens
bei der Fördermittelvergabe auf eine staatliche Intervention
– etwa die Entscheidung einer grundrechtsgebundenen
Förderorganisation – zurück, handelt es sich um
indirekte, ökonomische Steuerung über finanzielle
Anreize. Wer dem Verhaltensanreiz folgt und seine
Daten teilt, hat die Chance auf einen finanziellen Vorteil,
der sich wiederum auf die eigene Forschung auswirkt. In
der Sache ist das ein unterstützender Anreiz, da es um
die Gewährung finanzieller Vorteile geht. Letztlich kann
aber auch in dem Nicht-Erhalt eines markt- bzw. branchenüblichen
Vorteils eine erhebliche Belastung für die
wissenschaftliche Entscheidungsfreiheit der Adressaten
liegen.91 Dies ist – wenngleich es intuitiv naheliegen mag
– nicht pauschal mit Fällen staatlicher Subventionsgewährung
zu vergleichen, welche nach verbreiteter
Ansicht grundsätzlich keinen Eingriff in die Berufsfreiheit
derjenigen darstellt, die nicht mit einer Subvention
bedacht wurden.92 Das liegt an der überragenden Relevanz
der Forschungsförderung in kostenintensiven Disziplinen.
Denn das Ausbleiben von Fördergeldern verwehrt
es einem Forscher oft, ein Projekt überhaupt zu
86 O’Hara, Grundrechtsschutz vor psychisch vermittelter Steuerung,
AöR 145 (2020), 135, 140.
87 Eine – wie grds. bei der Grundrechtsprüfung gebotene – differenzierte
Betrachtung scheint vorzugswürdig, Wolff (Fn. 34), S.
214 f. Nach a.A. wird z.T. angenommen, Standardeinstellungen
tangierten stets jedenfalls die allg. Handlungsfreiheit, van Aaken,
Constitutional limits to paternalistic nudging in Germany, Verf-
Blog, 7.1.2015, https://verfassungsblog.de/constitutional-limitspaternalistic-
nudging-germany/.
88 Vgl. BVerfGE 115, 166, 188; 125, 260, 335.
89 S. Fn. 16. Auch internationale Förderorganisationen nutzen dieses
Instrument, so geschehen im Förderprogramm der Europäischen
Kommission (Fn. 11), S. 39, bei der Bill & Melinda Gates Foundation
(Fn. 10), OA-Policy 2020, Nr. 4 und den NIH (zu exemplarischen
Policies Fn. 10).
90 Bzgl. der Begründung, warum Daten nicht geteilt werden, kann
es dann einen beispielhaften oder aber abschließenden Katalog
an Rechtfertigungsgründen geben.
91 Vgl. Sacksofsky (Fn. 28), § 40 Rn. 79 ff.
92 Manssen (Fn. 25), Art. 12 Rn. 100.
Overkamp/Tormin · Staatliche Steuerungsmöglichkeiten 5 1
realisieren. Dadurch wird der Kern der von
Art. 5 Abs. 3 GG geschützten Forschungstätigkeit tangiert.
Wenn aber die grundrechtlich relevante Tätigkeit
selbst gefährdet ist, liegt ein Grundrechtseingriff vor,93
dessen Intensität (und mithin die Möglichkeit grundrechtlicher
Rechtfertigung) wiederum vom Einzelfall
abhängt: Je stärker der Open-Science-Score oder ein vergleichbares
Kriterium bei der Fördermittelvergabe
berücksichtigt wird, desto weitgehender schränkt das die
Wissenschaftsfreiheit ein. Ist mangelndes Data-Sharing
ein Ausschlusskriterium für die Förderzusage, entfaltet
die Regelung möglicherweise sogar eine Gebotswirkung,
wonach Forschern faktisch keine Wahl bleibt, erhobene
Daten zu teilen (es sei denn, sie geben die Forschungstätigkeit
selbst auf).94
Das gilt jedenfalls, wenn der Forscher auf die konkreten
Drittmittel angewiesen ist. Hierbei kommt es darauf
an, welcher Maßstab an das „darauf angewiesen sein“ gelegt
wird: Ist die Förderung erforderlich, um in der hochrangigen
(Exzellenz-)Forschung mitzuspielen, oder
bloß, um überhaupt sinnvoll forschen zu können? Die
erste Ausgestaltung dürfte regelmäßig grundrechtskonform
sein. Denn grundsätzlich ist eine Differenzierung
nach leistungsorientierten Kriterien bei der Drittmittelvergabe
zulässig.95 Vorstellbar ist es dann auch, das Engagement
eines Wissenschaftlers für die Scientific Community
in Form von Data-Sharing als ein Exzellenzkriterium
heranzuziehen. Dies schlägt aber in eine verbotsgleiche
Maßnahme und mithin einen Grundrechtsverstoß
um, wenn auch die basale Forschungstätigkeit ohne Fördergelder
kaum möglich ist und mithin ein „faktischer
Zwang“96 zur Teilnahme am Verfahren der Mittelvergabe
entsteht. Das dürfte insbesondere in Disziplinen der
Fall sein, die (vor allem für Experimente) auf erhebliche
finanzielle Ausstattung angewiesen sind. Zudem spielt es
eine Rolle, inwieweit in der jeweiligen Disziplin die Förderung
durch eine Institution wie die DFG reputationsfördernd
wirkt und ob Ausweichmöglichkeiten auf andere
staatliche oder private, wenngleich weniger renommierte
Förderer verbleiben.97 Erst wenn die Aufnahme
und Finanzierung der Forschungstätigkeit an sich durch
die Berücksichtigung von Data-Sharing-Kriterien merklich
erschwert wird, ist die Eingriffsschwelle
überschritten.
Auch bei fehlender Ausweichmöglichkeit ist es aber
unter Umständen nicht einmal als Eingriff zu qualifizieren,
wenn die Bereitschaft zur Offenlegung nur als eines
von vielen Kriterien berücksichtigt wird. Maßgeblich ist
dann, wie relevant das Data-Sharing für eine Förderzusage
ist. Sofern an das bisherige Verhalten angeknüpft
wird, sollte es jedenfalls transparent formulierte Ausnahmen
geben, falls es sich beispielsweise um sensible
Daten handelt, die aus Geheimhaltungsgründen nicht
geteilt worden sind. Auch für Nachwuchswissenschaftler,
denen eine Offenlegung von Daten mangels Erfahrung
bisher nicht möglich war, müssen Ausnahmen gelten.
Letztlich braucht eine solche Veränderung der wissenschaftlichen
Kultur im Umgang mit Daten Zeit.
Übergangsfristen können Wissenschaftlern ermöglichen,
ihr Verhalten entsprechend anzupassen, bevor die
Relevanz dieses Verhaltens zu einem zunehmend wichtigeren
Entscheidungskriterium bei der Förderung wird.
Wegen dieser Schwierigkeiten dürfte fürs Erste aber ohnehin
eine Herangehensweise vorzugswürdig sein, die
nur auf die Offenlegung der im konkret zu fördernden
Projekt generierten Daten abzielt und damit nicht an
vergangenes, sondern an zukünftiges Verhalten anknüpft.
Auch in diesem Fall ist das im Lichte der Wissenschaftsfreiheit
legitime Interesse des Betroffenen zu achten,
Rohdaten vorrangig für eigene Forschungszwecke
nutzen zu können. Dem lässt sich durch Karenzfristen98
Rechnung tragen, sei es generell oder bei begründeter
Darlegung eines Anschlussnutzungsinteresses.
b) Steuerungswirkung
Der Nutzung von Data-Sharing als Ausschlusskriterium
steht also zumindest in den Fällen, in denen eine faktische
Zwangswirkung erzeugt wird, regelhaft die Wissenschaftsfreiheit
entgegen. Wird es hingegen als ein „weiches“
Evaluationskriterium unter vielen berücksichtigt,
dessen Fehlen durch das Vorliegen weiterer Voraussetzungen
aufgewogen werden kann, mag das zwar nicht
93 Das gilt auch im Subventionsrecht, wo die Eingriffsschwelle nach
einhelliger Auffassung jedenfalls bei sog. Erdrosselungssubventionen
erreicht wird, vgl. BVerwGE 30, 191, 197; Jarass, Kommunale
Wirtschaftsunternehmen und Verfassungsrecht, DÖV 2002, 489,
493 f. In einem vergleichbaren Kontext von „eingriffsähnlicher
Wirkung“ sprechend: Fehling (Fn. 35), S. 194 ff.
94 Vgl. Rieble (Fn. 56), S. 43; Fehling (Fn. 35), S. 195; s. zur Rechtmäßigkeit
eines solchen Gebots III.
95 BVerfGE 111, 333, 359. Eine Grundausstattung muss dagegen stets
gewährleistet sein, ebd., 362.
96 Begriff in diesem Kontext bei Sieweke, Die Verfassungswidrigkeit
der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder,
DÖV 2011, 435, 437.
97 Näher dazu Fehling (Fn. 35), S. 195 f.; bei einer Open-Access-
Publikationspflicht in DFG-Förderbedingungen – wegen deren
überragender Bedeutung für die Wissenschaftsfinanzierung –
von einem „mittelbaren Publikationszwang“ ausgehend, Rieble
(Fn. 56), S. 43.
98 Dazu schon „Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für
Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht zur Anfrage des Bundesministeriums
der Justiz“ vom 20. Februar 2013, Rn. 46. Zur
Nutzung von Karenzfristen bei Open-Access-Publikationsrechten
und ‑pflichten vgl. § 38 Abs. 4 UrhG (insoweit freilich mit etwas
anderer Zielsetzung).
5 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 3 9 — 5 4
die gleiche Steuerungswirkung haben. Es ist aber durchaus
ein noch immer beachtlicher Effekt zu erwarten.
Einerseits wird schon durch den bloßen Fakt der Berücksichtigung
die Data-Sharing-Praxis öffentlich aufgewertet
und anerkannt. Andererseits werden so jedenfalls
jene, die dem Data-Sharing indifferent gegenüberstehen,
aber gleichzeitig erhebliches Interesse an der finanziellen
Förderung ihrer Forschungstätigkeit haben, zum Teilen
der Daten veranlasst, um ihrem Förderantrag bestmögliche
Chancen zu verschaffen.
Das gilt umso mehr, wenn die Förderung zugleich die
finanziellen Mittel beinhaltet, welche die Aufbereitung
und Bereitstellung der Daten benötigen, und die Förderorganisation
administrative Unterstützung anbietet. In
diesem Fall hat der Wissenschaftler, der keine grundlegenden
Bedenken gegenüber einer Open-Data Praxis
hat, oft keine nachteiligen Folgen zu befürchten, welche
die Steuerungswirkung konterkarieren könnten. Anderes
kann sich aber beispielsweise ergeben, wenn der Forscher
ein Interesse daran hat, die von ihm erhobenen
Daten exklusiv zu Anschlussforschungszwecken zu
nutzen.
c) Notwendigkeit einer Ermächtigungsgrundlage
Ob es einer expliziten Ermächtigungsgrundlage bedarf,
hängt wiederum von der Intensität des Eingriffs,99 mithin
von der Relevanz der Offenlegungsbereitschaft für
die Förderentscheidung ab. Zwar zählt die Leistungsverwaltung
und somit auch die Forschungsförderung
grundsätzlich nicht zu den vom Vorbehalt des Gesetzes
erfassten Regelungsbereichen.100 Anderes gilt aber, wenn
die Auswahlkriterien selbst der staatlichen Verhaltenssteuerung
dienen sollen und dabei grundrechtsrelevante
Bereiche tangieren. In diesen Fällen stellt die Leistungsgewährung
insbesondere für jene, die sich dem Verhaltensanreiz
nicht beugen, einen Grundrechtseingriff
dar.101 Das dürfte jedenfalls zu bejahen sein, wenn die
Bereitschaft zum Data-Sharing im Zuge des Auswahlprozesses
einen potenziell ausschlaggebenden Charakter
erlangt, der droht, einzelne Wissenschaftler von der Förderung
in Gänze auszuschließen. Besondere Maßstäbe
sind aber anzulegen, wenn das Förderangebot von einer
Organisation wie der DFG ausgeht, die sich selbst auf die
Wissenschaftsfreiheit berufen kann. In derartigen Fällen
muss berücksichtigt werden, dass die grundrechtlich
verbürgte Freiheit weitergehende Einschränkungen
ermöglicht als sie für nicht grundrechtsberechtigte Verwaltung
gelten.102 Mithin ist eine eigenmächtige Entscheidung
einer semi-staatlichen Förderorganisation,
das Data-Sharing-Verhalten als Evaluationskriterium
heranzuziehen, (freilich in den benannten grundrechtlichen
Grenzen), auch ohne explizite gesetzliche Ermächtigung
zulässig.
V. Fazit
Der Zugang zu Forschungsrohdaten spielt eine entscheidende
Rolle bei der wissenschaftlichen Qualitätssicherung
gerade, auch durch Replikationsstudien sowie der
Ermöglichung von Anschlussforschung. Da über Ländergrenzen
hinweg geforscht wird und die Kultur des
Austausches von Forschungsdaten in Deutschland noch
wenig ausgeprägt ist, gibt es zwar keine rechtliche Handlungspflicht,
wohl aber ein praktisches Bedürfnis für
staatliche Förderung der Offenlegung von Daten.
Nimmt man eine rechtswissenschaftliche (Steuerungs-)
Perspektive ein und fragt nach dem staatlichen
„Instrumentenkasten“, wird offenbar, dass Förderorganisationen
als „Geldgeber“ der Wissenschaft eine entscheidende
Rolle zukommen dürfte.103 Dabei können sie zunächst
informierend und ermutigend auf die Wissenschaftler
einwirken. Jedoch wird eine informationelle
Steuerung kaum ausreichen, um Data-Sharing in dem
erwünschten Maße voranzutreiben. Selbiges gilt für weitere
Maßnahmen, etwa Auszeichnungen, die lediglich
darauf abzielen, die Akzeptanz und Reputationswirkung
des Teilens von Daten zu erhöhen. Effizienter und im
Vergleich zu (grundrechtlich problematischen) ordnungsrechtlichen
Instrumenten zugleich deutlich flexibler
ist eine Form der ökonomischen Anreizsteuerung: So
können bisherige Datensharing-Bemühungen oder die
zukünftige Datensharing-Bereitschaft des Förderanwärters
bei der Vergabe von Forschungsmitteln als Evaluationskriterien
berücksichtigt werden. Die mit dem Grad
der jeweiligen Gewichtung einhergehende Steuerungsintensität
kann hier niedrigschwellig angesetzt werden.
Gleichzeitig ist der Steuerungsimpuls insbesondere gegenüber
jenen, die dem Data-Sharing nicht per se ableh-
99 BVerfGE 49, 89, 127; 98, 218, 252.
100 S. aber zur Ausdehnung des Gesetzesvorbehalts auf Bereiche
jenseits der Eingriffsverwaltung Maurer/Waldhoff, Allgemeines
Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 6 Rn. 11.
101 BVerwGE 90. 112, 126; zur Förderung von Presseorganen s. OVG
Berlin, NJW 1975, 1940.
102 Fehling (Fn. 35), S. 200; einschränkend Trute (Fn. 38), S. 687 f.,
wonach aber zumindest die Ausgestaltung des Verfahrens der
Fördermittelvergabe weitgehend der autonomen Entscheidung
der DFG überlassen werden kann.
103 Corti/van den Eynden (Fn. 2), S. 9; Neylon, Case study: indigenous
knowledge and data sharing, Research Ideas and Outcomes
2017, 1, 5; ders., Compliance culture or culture change?, Research
Ideas and Outcomes 2017, 1, 12.
Overkamp/Tormin · Staatliche Steuerungsmöglichkeiten 5 3
nend gegenüberstehen, erheblich. Eine extensive Berücksichtigung
im Zuge der Auswahlentscheidung, die
ablehnende Wissenschaftler faktisch von staatlicher Förderung
ausschließt, ist dagegen – ebenso wie eine imperative
Offenlegungspflicht – grundrechtlich nur in Ausnahmefällen
zu rechtfertigen. Auch andere Instrumente,
wie Standard-Klauseln in Förderbedingungen oder spezifische
Datenbanken der Open-Data-Community, sind
vorstellbar, zeitigen aber entweder im Hinblick auf ihre
Zweck- oder aber Rechtmäßigkeit weitergehende
Probleme.
Diese juristischen Erkenntnisse können naturgemäß
nur den Rahmen der Forschungspolitik definieren. Um
beurteilen zu können, welche Strategien und konkreten
Maßnahmen sinnvoll sind (mit welchem „Bild“ dieser
Rahmen also zu füllen ist), müssen andere Disziplinen
wie die Sozialwissenschaften, die Verhaltensökonomie
und die Ethik zu Rate gezogen werden. Der rechtliche
Blick auf die Materie jedenfalls offenbart weite instrumentelle
Spielräume.
Dr. Philipp Overkamp ist Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter
der Bucerius Law School.
Miriam Tormin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Lehrstuhl für Öffentliches Recht bei Prof. Michael Fehling,
LL.M. (Berkeley), Bucerius Law School, für das Forschungsprojekt
„Datablic“.
5 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 2 ) , 3 9 — 5 4