Überblick
I. Zur Reform der staatlichen Anerkennung und der institutionellen Akkreditierung privater Hochschulen durch den von der Kultusministerkonferenz verabschiedeten Musterparagraphen
II. Staatliche Anerkennung privater Hochschulen keine Ermessensentscheidung
III. „Angemessen“ und „Angemessenheit“ als verfassungskonforme Kriterien für Eingriffe in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG?
- Zu den Angemessenheitsregelungen im Musterparagraphen
- Zur verfassungsrechtlichen Problematik von Angemessenheitsvorbehalten bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten
a) Zur Abgrenzung- von Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit
b) Regelung wesentlicher Fragen und Maßstäbe der Hochschulgestaltung nur durch den Gesetzgeber
c) Widerspruch zur Qualitätssicherung im Europäischen Hochschulraum - Zwischenbemerkung
IV. Verfassungsrechtliche Kritik an Einzelregelungen des Musterparagraphen - Weder die Frist staatlicher Anerkennung noch das Verhältnis von Fristen und Kosten verfassungskonform geregelt
- Zum ausreichenden Zugang zu fachbezogenen Medien
- Ermöglichung eines wissenschaftlichen Diskurses durch Größe und Ausstattung der Hochschule
V. Vernachlässigung eines Grundrechtsschutzes durch Organisation und Verfahren - Exkurs zu den Vorgaben für die Organisation und Verfahren der institutionellen Akkreditierung durch den Wissenschaftsrat
- Zu den verfahrensrechtlichen Vorgaben für Verfahren institutioneller Akkreditierung
a) Zweifel an der Effektivität wissenschaftsratsinterner Rechtsschutzverfahren
b) Defizit an verwaltungsinterner Rechtskontrolle?
c) Gesetzliche Regelung des Beschwerdeverfahrens gegen Akkreditierungsentscheidungen des Wissenschaftsrates
VI. Schlussbemerkung
Private Hochschulen müssen vor ihrer im jeweiligen Landeshochschulgesetz geregelten staatlichen Anerkennung1 Verfahren institutioneller (Re-)Akkreditierung durchlaufen. Sowohl die landesrechtlichen Regelungen staatlicher Anerkennung als auch die in aller Regel dem Wissenschaftsrat übertragenen Verfahren der institutionellen Akkreditierung, waren nach Ansicht der Kultusministerkonferenz reformbedürftig. Die Kultusministerkonferenz hat daher im Februar 2020 einen in das Hochschulrecht der Bundesländer umzusetzenden Musterparagraphen für die staatliche Anerkennung und für die institutionelle Akkreditierung privater Hochschulen beschlossen2, was ein Schritt in die richtige Richtung ist. Allerdings wirft dieser unter Ausschluss der Fachöffentlichkeit erarbeitete Musterparagraph für die staatliche Anerkennung und für die institutionelle Akkreditierung privater Hochschulen einige Zweifelsfragen auf, denen im Folgenden nachgegangen wird.
I. Zur Reform der staatlichen Anerkennung und der institutionellen Akkreditierung privater Hochschulen durch den von der Kultusministerkonferenz verabschiedeten Musterparagraphen
In dieser Zeitschrift wurden wiederholt Zweifel an der Rechts- und Verfassungskonformität der vom Wissenschaftsrat durchgeführten Verfahren der institutionellen Akkreditierung geäußert.3 Einer der zentralen Kritikpunkte war, dass unterschiedliche Maßstäbe für die staatliche Anerkennung einer privaten Hochschule einerseits und für ihre institutionelle Akkreditierung durch den Wissenschaftsrat andererseits bestehen bzw. bestanden haben. Denn im jeweiligen Landeshochschulgesetz waren bislang die Anerkennungsvoraussetzungen relativ
Thomas Würtenberger
Zur Reform der staatlichen Anerkennung und der institutionellen Akkreditierung privater
Hochschulen
Herrn Alexander Krüger danke ich für eine kritische Durchsicht des Manuskripts.
1 So z. B. nach § 70 Abs. 1 S. 5 LHG BW; § 123 Abs. 3 S. 2 Berl HG; § 84 Abs. 2 S. 1 Bbg HG; § 91 Abs. 3 Hess HG; § 64 Abs. 1 S. 2 Nds HG.
2 Kultusministerkonferenz NS. 241. AK, 13.2.2020, Berlin; Beratungsunterlage RS Nr. 48/2020 vom 31.1.2020; eine Veröffentlichung dieses die Landesgesetzgebung bestimmenden Musterparagraphen ist, soweit ersichtlich, nicht erfolgt, was die im demokratischen Staat gebotene Transparenz nicht eben fördert.
3 Würtenberger, Die institutionelle Akkreditierung privater Hochschulen durch den Wissenschaftsrat: Probleme demokratischer Legitimation und rechtsstaatlicher Bindung, OdW 2020, 215 ff.; ders., Privathochschulfreiheit – auch bei der Organisation der Leitungsebene?, OdW 2019, 15 ff.; Zechlin, Institutionelle Akkreditierung von Privathochschulen und Wissenschaftsfreiheit, OdW 2018, 253 ff.
Ordnung der Wissenschaft 2021, ISSN 2197–9197
2 1 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 1 7 — 2 3 2
4 Wiss Rat Drs. 4395–15.
5 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17.2.2016 — 1 BvL 8/10
-, Rn. 51.
6 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17.2.2016 — 1 BvL 8/10
-, Rn. 1 ff.; Stucke, Der Wissenschaftsrat, in Geis (Hg.), Hochschulrecht
in Bund und Ländern, 47. Aktualisierung September
2017, Rn. 14; Geis, Das BVerfG zur Akkreditierung, OdW 2016,
193, 201; BeckOK HochschulR NRW/Birnbaum, 19. Ed. 1. 6.
2021, HG § 73 Rn. 9; VG Düsseldorf BeckRS 2020, 22454, Rn. 77
mit ausführlicher Begründung.
7 Was in einigen Bundesländern bereits geschehen ist: Baden-
Württemberg: Landeshochschulgesetz in der Fassung vom
17.12.2020, GBl. S. 1204 mit erst später in Kraft tretenden
Regelungen; Nordrhein-Westfalen: § 73 NRW HG. Vor dem
Abschluss: Hessen (https://wissenschaft.hessen.de/sites/default/
files/media/hmwk/210507_hhg_volltext_ressortabstimmung_
kabinett_i_final.pdf , abgerufen am 28.6.2021); Bayern (Bayerisches
Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, Bayerisches
Hochschulinnovationsgesetz, https://www.stmwk.bayern.de/
download/21063_HIG-Begr%C3%BCndung.pdf, abgerufen am - 6. 2021); Sa-Anh LT-Drs. 7/6675, S. 13 f.; Nds LT-Drs. 18/9392,
S. 37; S‑H LT-Drs. 19/289, S. 88.
8 Musterparagraph (Fn. 2), S. 7.
kurz und präzise geregelt. Demgegenüber hat der Wissenschaftsrat
die ihm von den zuständigen Landesministerien
übertragene institutionelle Akkreditierung privater
Hochschulen sehr ausführlich und ohne Rücksicht
auf eventuell bestehende landesgesetzliche Regelungen
in seinem „Leitfaden der institutionellen Akkreditierung
nichtstaatlicher Hochschulen“4 geregelt. Nach diesem
Leitfaden ist die vom Wissenschaftsrat eigenständig entwickelte
und in keinem Hochschulgesetz als Begriff oder
Maßstab genannte Hochschulförmigkeit Voraussetzung
für eine institutionelle Akkreditierung privater Hochschulen.
Diese Differenz im Maßstab für die staatliche Anerkennung
und für die institutionelle Akkreditierung
durch den Wissenschaftsrat hatte bisweilen zur Folge:
Privaten Hochschulen musste wegen Beachtung der gesetzlich
geregelten Anerkennungsvoraussetzungen die
staatliche Anerkennung erteilt werden, obgleich der
Wissenschaftsrat ihnen die institutionelle Akkreditierung
mangels hinreichender Hochschulförmigkeit verweigert
hatte. Erschwerend kam für diese staatlich anerkannten
privaten Hochschulen hinzu, dass der Wissenschaftsrat
seine Ablehnung der institutionellen Akkreditierung,
ohne die betroffene Hochschule zuvor
anzuhören, im Internet veröffentlicht hatte. Da der Blick
in das Internet für Viele eine wichtige Entscheidungshilfe
ist, führte die Internetveröffentlichung, sofort von Wikipedia
auf der Infoseite zu der betroffenen Hochschule
übernommen, zu einer erheblichen Rufschädigung der
staatlich anerkannten Hochschule. Denn Privathochschulen
sind, wie vom Bundesverfassungsgericht bemerkt,
„wegen der Akzeptanz der von ihnen angebotenen
Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt auf Akkreditierung
angewiesen“.5 Studierende an einer der betroffenen
Hochschulen brachen ihr Studium wegen der vom Wissenschaftsrat
publizierten negativen Akkreditierungsgutachten
ab oder zogen ihre Einschreibung zurück. Privaten
Hochschulen, denen die Reputation institutioneller
Anerkennung verweigert wird, erleiden eben erhebliche
finanzielle Verluste.
Es ist unbestritten, dass sich die Reform der institutionellen
Akkreditierung durch den Wissenschaftsrat an
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur
Programmakkreditierung zu orientieren hat.6 Ebenso
wie die Qualitätssicherungsverfahren im Bereich der
Studiengänge müssen auch die hochschulbezogenen
Qualitätssicherungsverfahren gesetzlich geregelt werden.
Denn auch mit diesen Verfahren wird in die von
Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützte Forschungs- und Lehrfreiheit
der Hochschulen und ihres wissenschaftlichen
Personals sowie auch ihrer Träger- und Betreibergesellschaften
eingegriffen.
In dem von der Kultusministerkonferenz beschlossenen
Musterparagraphen werden nicht nur einige Regelungen
getroffen, die bereits in der Akkreditierungspraxis
des Wissenschaftsrates zur Anwendung kamen, sondern
auch Regelungen, die zur rechtsstaatskonformen
Verfahrensgestaltung beitragen sollen. Erwartet wird,
dass dieser Musterparagraph bei Novellierungen des
Landeshochschulrechts in das Landesrecht umgesetzt
wird.7 Eine Publikation dieses Musterparagraphen mitsamt
seiner Begründung ist nicht ersichtlich, ein bedauerlicher
Verstoß gegen das Gebot demokratischer Transparenz.
Bei entsprechenden Änderungen der Landeshochschulgesetze
wird bisweilen freilich auf diesen
Musterparagraphen verwiesen.
Mit dem Musterparagraphen wird ein „länderübergreifendes
Gesamtgefüge der institutionellen Qualitätssicherung
bei nichtstaatlichen Hochschulen auch zur
Gewährleistung gleicher Standards bei der staatlichen
Anerkennung nichtstaatlicher Hochschulen“ auf den
Weg gebracht.8 Ziel ist dabei, das Lehr- und Forschungsniveau
der nichtstaatlichen dem der staatlichen Hochschulen
anzugleichen. Zu diesem Zweck regelt § 1 Musterparagraph
ländergemeinsame Kriterien für die staatliche
Anerkennung und für die institutionelle Akkreditierung
privater Hochschulen. § 2 Musterparagraph
normiert ebenfalls zur ländereinheitlichen Umsetzung
die Verfahren der institutionellen Akkreditierung durch
den Wissenschaftsrat.
Würtenberger · Zur Reform der staatlichen Anerkennung 2 1 9
9 Zum Beispiel § 73 Abs. 2 S. 1 NRW HG.
10 BVerfGE 7, 377.
11 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17.2.2016 — 1 BvL 8/10
-, Rn. 59.
12 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17.2.2016 — 1 BvL 8/10
-, Rn. 48; Fehling, in: BK Art. 5 Abs. 3 Rn. 132; VG Düsseldorf
BeckRS 2020, 22454, Rn. 73.
13 Zum Schutz von Gründungsinitiativen durch Art. 5 Abs. 3 GG:
Löwer, Freiheit wissenschaftlicher Forschung und Lehre, in:
Merten/Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. IV, 2011, §
99 Rn. 19 mit Nachw.; zum Schutz der Forschungs- und Lehrorganisation
durch juristische Personen des Privatrechts: Kempen,
in: Epping/Hillgruber (Hg.), BeckOK Grundgesetz, Stand: 15.8.
2020, Art. 5 GG Rn. 185.
Die landesgesetzliche Umsetzung dieses Musterparagraphen
trägt zur erforderlichen Verrechtlichung der
Verfahren staatlicher Anerkennung und institutionellen
Akkreditierung privater Hochschulen bei. Gleichwohl
besteht Anlass, auf verfassungsrechtliche Defizite der
Neuregelung der Anerkennungs- und Akkreditierungsverfahren
hinzuweisen. Diese betreffen das aus älteren
Schichten des Hochschulrechts stammende Ermessen
des zuständigen Ministeriums bei der Anerkennung privater
Hochschulen (II.), die weites Ermessen eröffnende
„Angemessenheit“ als Voraussetzung für Eingriffe in die
Freiheit von Forschung und Lehre (III.), einige verfassungsrechtlich
zweifelhafte Einzelregelungen (IV.) sowie
mangelhafte Verfahrensregelungen (V.).
II. Staatliche Anerkennung privater Hochschulen keine
Ermessensentscheidung
Nach dem Hochschulrecht der Bundesländer steht die
staatliche Anerkennung im Ermessen des zuständigen
Landesministeriums. Ein Anerkennungsermessen
besteht selbst dann, wenn alle Anerkennungsvoraussetzungen
erfüllt sind. § 1 Abs. 3 S. 1 Musterparagraph lässt
es offen, ob im Landesrecht ein Anerkennungsermessen
geregelt wird: „Die staatliche Anerkennung muss / soll /
kann erfolgen, wenn“ die dort im Einzelnen geregelten
Voraussetzungen erfüllt sind. Soweit bislang das Landesrecht
gemäß dem Musterparagraphen reformiert wurde,
ist die Variante des Anerkennungsermessens gewählt
worden.9 Verfassungsrechtliche Zweifel bei Grundrechtseingriffen
nach Ermessen bestehen offensichtlich
weder bei der Kultusministerkonferenz noch beim Landesgesetzgeber.
Im Musterparagraphen werden keine Ermessensgründe
genannt, die die Verweigerung der staatlichen Anerkennung
trotz Erfüllens der Anerkennungsvoraussetzungen
rechtfertigen könnten. Wozu also soll dieser Ermessensspielraum
dienen? Soll es etwa statthaft sein, regulierend
in den Wettbewerb zwischen staatlichen und
privaten Hochschulen um die Immatrikulation von Studierenden
einzugreifen? Oder soll eine regionale Steuerung
des Hochschulangebots erfolgen? Sollen staatliche
Anerkennungen verweigert werden dürfen, weil der lokale
Markt nach Ansicht des zuständigen Ministeriums
bereits eine derartige Kapazität an Studienplätzen erreicht
habe, dass die Neugründung einer privaten Hochschule
in diesem Bildungssegment keine hinreichende
Studierendenzahl erreiche, um sich finanziell zu tragen?
Derartige Ermessenserwägungen würden an eine Bedarfsprüfung
erinnern, die das Apothekenurteil des
Bundesverfassungsgerichts beendet hat.10
Die in § 1 Abs. 3 S. 1 Musterparagraph vorgesehene
Ermessensregel verstößt gegen den Schutz der Wissenschafts-
und Lehrfreiheit durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG.
Dessen Freiheitsbereich lässt sich nur in Konkretisierung
seiner verfassungsimmanenten Schranken begrenzen.
Diese Begrenzung kann verfassungskonform nur
durch den Gesetzgeber und auf Grund gesetzlicher Regelung,
aber nicht durch die Verwaltung erfolgen. Denn
„die mit der Qualitätssicherung verbundenen Eingriffe
in die Wissenschaftsfreiheit bedürfen nach Art. 5 Abs. 3
Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG einer hinreichenden
gesetzlichen Grundlage“. Dafür streiten das
Rechtsstaatsprinzip und das Demokratiegebot. Sie verpflichten
den Gesetzgeber dazu, die für die Grundrechtsverwirklichung
maßgeblichen Regelungen selbst auszudifferenzieren.
11 Muss der Gesetzgeber regeln, unter
welchen Voraussetzungen eine private Hochschule anzuerkennen
ist, so folgt: Eine private Hochschule ist immer
dann staatlich anzuerkennen, wenn sie die gesetzlich
geregelten Anerkennungsvoraussetzungen erfüllt.
Dabei ist von zweierlei auszugehen:
Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG schützt zum Einen nicht allein
den Hochschulbereich, sondern auch die „privatrechtlich
organisierte Wissenschaft“.12 Die Gründungsinitiativen
juristischer Personen in privatrechtlicher Rechtsform,
also etwa eines Vereins, einer GmbH, einer Aktiengesellschaft
oder Stiftung, können sich ebenso wie private
Hochschulen auf Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG berufen. Für eine
Hochschulgründerin, zum Beispiel in der Rechtsform
einer Aktiengesellschaft, ist, ebenso wie für die von ihr
zu gründende Hochschule, der Schutzbereich des Art. 5
Abs. 3 S. 1 GG eröffnet.13 Dies gilt jedenfalls dann, wenn,
wie in den meisten Fällen, mit der Hochschulgründung
2 2 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 1 7 — 2 3 2
14 BVerfG NVwZ 2010, 1285 Rn. 54 mit zahlreichen Rückverweisen;
zum Folgenden Würtenberger, Privathochschulfreiheit – Auch bei
der Organisation der Leitungsebene?, OdW 2019, S. 15, 17 f.
15 Zum Erfordernis gesetzlicher Regelungen VG Düsseldorf BeckRS
2020, 22454, Rn. 81.
16 Zur Qualitätssicherung der Lehre als verfassungsimmanente
Schranke des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG: VG Düsseldorf BeckRS 2020,
22454, Rn. 80.
17 Zu diesen Kriterien der zu sichernden Wissenschaftsadäquanz
privater Hochschulen: Gärditz, in Maunz/Dürig, Grundgesetz-
Kommentar, Werkstand: 93. EL Oktober 2020, Art. 5 Abs. 3 GG
Rn. 273 mit Nachweisen.
18 BW LT Drs. 16/1990, S. 97.
19 Anders allerdings ohne Diskussion der Statthaftigkeit von
Grundrechtseingriffen nach Verwaltungsermessen: VG Düsseldorf
BeckRS 2020, 22454, Rn. 97, 105.
besondere wissenschaftspolitische Gestaltungsformen,
besondere Konzepte von Lehre oder besondere Forschungszwecke
verfolgt werden.
Da Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zum Anderen zu den vorbehaltlos
gewährleisteten Grundrechten gehört, unterliegt
die lehr- und wissenschaftsaffine Privathochschulfreiheit
nur verfassungsimmanenten Schranken. In deren Wissenschafts-
und Lehrfreiheit kann nur „mit Rücksicht
auf kollidierendes Verfassungsrecht eingegriffen werden“.
Dies gilt ebenfalls für den Schutz der Gründungsinitiative,
die vom Träger der Hochschule ausgeht.14
Eingriffe in die die privaten Hochschulen schützende
Wissenschafts- und Lehrfreiheit sind nur aus Gründen
„der Erhaltung und Förderung der Hochschulen“ selbst
„sowie des Schutzes anderer Grundrechtsträger“ statthaft.
Statthaft sind gesetzliche Regelungen15, die einen
Raum freier Forschung und Lehre, ohne die Qualitätssicherung16
zu vernachlässigen, sowie freier Hochschulselbstverwaltung
normieren. Zu diesem Zweck hat der
Gesetzgeber, wie von Gärditz zusammengefasst, die individuelle
Freiheit in Forschung und Lehre unter anderem
durch „Ausschluss von Weisungsrechten gegenüber
Hochschullehrerinnen und ‑lehrern im wissenschaftlichen
Erkenntnis- und Erkenntnisvermittlungsprozess“
zu sichern; die gesetzliche Vorgabe für die Organisationsstruktur
muss „einen hinreichenden Einfluss der in
Forschung und Lehre Tätigen auf die wissenschaftsrelevante
Willensbildung“ sicherstellen; arbeitsrechtlich ist
zu unterbinden, dass die Weiterbeschäftigung des hauptberuflich
tätigen wissenschaftlichen Personals vom
Wohlwollen des Arbeitgebers abhängt.17 Zu berücksichtigen
ist zudem der durch Art. 12 Abs. 1 GG verbürgte
Grundrechtsschutz der Studierenden, da die privaten
Hochschulen für angewandte Wissenschaften als Ausbildungsstätten
für bestimmte Berufsfelder den Studierenden
jenes – auch im Interesse künftiger Arbeitgeber – zu
bieten haben, was eine entsprechende staatliche Hochschulausbildung
zu leisten hat.
Vom Landesgesetzgeber wird das Anerkennungsermessen
bisweilen als eine besondere Form der Abwägung
zwischen kollidierenden verfassungsrechtlich geschützten
Rechtsgütern zu rechtfertigen versucht. So soll
die Ermessensentscheidung des § 70 Abs. 2 LHG BW
nach der Begründung der Landesregierung zur Neuregelung
des LHG BW Folgendem Rechnung tragen:
„Die bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen eröffnete
Ermessensentscheidung hat den durch Artikel 5
Absatz 3 Satz 1, Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 und Artikel 14
Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes geschützten Belangen
von Hochschule, Trägern und Betreibern, aber auch
der objektiven Wertentscheidung des Grundgesetzes
für eine Wissenschaftsfreiheit und eine qualitätsgeleitete
Wissenschaft sowie eine anschlussfähige Hochschulausbildung
Rechnung zu tragen“.18
Mit diesen Ermessensleitlinien versucht der Landesgesetzgeber,
die ministerielle Ermessensentscheidung
verfassungsrechtlich einzuhegen. Der verfassungsrechtlich
gebotene Grundrechtsschutz von Hochschule, Studierenden
sowie Trägern und Betreibern soll nach ministeriellem
Ermessen aus Gründen der Wissenschaftsfreiheit,
einer qualitätsgeleiteten Wissenschaft und einer anschlussfähigen
Hochschulbildung eingeschränkt werden
können.
Der Gesetzgeber kann natürlich die Privathochschulfreiheit
aus Gründen der Qualitätssicherung oder zur Sicherung
der Funktionsfähigkeit als wissenschaftliche
Hochschule in ihre verfassungslegitimen Schranken verweisen,
- wobei sich die einzelnen gesetzlichen Regelungen
der verfassungsgerichtlichen Überprüfung auf ihre
Verfassungskonformität stellen müssen. Es ist jedoch
verfassungswidrig, wenn die Ministerialverwaltung vom
Gesetzgeber den Auftrag erhält, durch eigenständige,
nicht durch gesetzliche Regelungen determinierte (Ermessens-)
Entscheidungen die verfassungsimmanenten
Schranken des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zu bestimmen.
Die Konkretisierung der verfassungsimmanenten
Schranken der Privathochschulfreiheit erfolgt nicht
nach Ermessen des zuständigen Ministeriums, sondern
allein durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber,
der durch gesetzliche Regelung nach Abwägung mit gegenläufigen
Verfassungswerten den Umfang der Privathochschulfreiheit
bestimmt. Festzuhalten ist, dass Ermessensentscheidungen
Eingriffe der Verwaltung in die
grundrechtlich geschützte Freiheit von Forschung und
Lehre einer privaten Hochschule nicht rechtfertigen
können.19
Würtenberger · Zur Reform der staatlichen Anerkennung 2 2 1
20 Zu diesem Gesetzesvorbehalt Mann, in Sachs (Hg.), Grundgesetz,
Art. 12 GG Rn. 106 ff., 109 (zur Klarheit und Bestimmtheit
berufsregelnder Gesetze).
21 § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. e Musterparagraph (Fn. 2).
22 § 1 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 lit. b Musterparagraph (Fn. 2).
23 Zu den Anforderungen des Demokratieprinzips an die Gestaltung
der Wahlperiode: Zippelius/Würtenberger, Deutsches
Staatsrecht, 33. Aufl. 2018, § 10 Rn. 23.
24 So auch Geis, in diesem Heft, OdW 2021, 211–216
25 Vgl. dazu exemplarisch: von Coelln in: ders./Haug, BeckOK
Hochschulrecht BW, 20. Edition 1.6.21, § 8 Rn. 17 f.
Soweit sich der Träger der privaten Hochschule zum
Schutz seiner beruflichen Tätigkeit auf Art. 12 Abs. 1 GG
berufen kann, gilt der Gesetzesvorbehalt des
Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG.20 Auch insoweit bedürfen Eingriffe
einer gesetzlichen Grundlage und sind Eingriffe nach
Ermessen verfassungswidrig.
III. „Angemessen“ und „Angemessenheit“ als verfassungskonforme
Kriterien für Eingriffe in
Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG?
Im Musterparagraph werden wichtige Bereiche der
Hochschulorganisation und Hochschulselbstverwaltung
unter einen Angemessenheitsvorbehalt gestellt. Nur wenn
die Grundordnung oder weiteres Satzungsrecht der privaten
Hochschule „angemessene“ Regelungen trifft,
erfüllt sie die Voraussetzungen staatlicher Anerkennung
und einer institutionellen Akkreditierung.
- Zu den Angemessenheitsregelungen im Musterparagraphen
Die im Musterparagraphen und durch Landesrecht
umzusetzenden Angemessenheitsregelungen sind von
generalklauselartiger Weite, so dass sie Willkür bei der
Erarbeitung von Akkreditierungsstellungnahmen und
bei staatlicher Anerkennung nicht ausschließen. Einige
dieser Regeln sind zudem inhaltlich nicht haltbar:
(1.) Die „akademische Selbstverwaltung (ist) unter
angemessener Berücksichtigung der verschiedenen
Beteiligten eigenverantwortlich“ zu organisieren
und zu regeln.21 Zu fragen wäre zum Beispiel: Wer
sind die verschiedenen Beteiligten an der akademischen
Selbstverwaltung, etwa auch die Doktoranden?
Soll die Einbeziehung der Doktoranden in die
akademische Selbstverwaltung „angemessen“ und
damit verpflichtend sein? Außerdem ist unklar, was
„Berücksichtigung“ bedeutet bzw. fordert.
Diese Leerformel gibt keine Antwort für die Lösung
konkreter Organisationsfragen – und ist damit fast
schon ein Freifahrtschein für Auflagen in Anerkennungs-
und Akkreditierungsverfahren oder auch für
eine Verweigerung staatlicher Anerkennung oder
Ablehnung institutioneller Akkreditierung.
(2.) „Die Inhaber akademischer Leitungsämter (werden)
in angemessenen Zeiträumen neu benannt“.22
Diese Regelung legt nicht fest, wie weit die Spanne
der angemessenen Zeiträume reichen kann. Wie
diese Frist in verfassungskonformer Weise festzulegen
ist, wird auch bei der gesetzlichen Regelung
anderer Wahlverfahren, insbesondere bei Parlaments-
und Präsidentschaftswahlen sowie bei Kommunalwahlen,
diskutiert und im Ergebnis klar geregelt.
23 Zwar bestehen zwischen demokratischen und
universitären Wahlverfahren erhebliche Unterschiede.
Gleichwohl besteht die Möglichkeit, bei Abwägung
zwischen der binnendemokratisch zu legitimierenden
Verantwortung und der erforderlichen
Zeitspanne zu effektiver Hochschulgestaltung für
einzelne Gremien und Ämter Mindest- und Höchstfristen
zu begründen und gesetzlich vorzuschreiben.
Ausgeschlossen muss sein, dass in Verfahren staatlicher
Anerkennung und institutioneller Akkreditierung
von Hochschule zu Hochschule unterschiedlich
bestimmt werden kann, was der angemessene
Zeitraum für die Ausübung eines akademischen Leitungsamtes
ist.24
Die im Musterparagraphen getroffene Angemessenheitsregelung
ist zudem innovationsfeindlich: Welche
Hochschule wagt es, an den Rand noch vertretbarer
kurzer oder langer Amtszeiten zu gehen, wenn
dies nach Einschätzung der Akkreditierungsinstitution
ein Grund für die Nichtakkreditierung sein
kann? Derzeit betragen die Amtszeiten von Rektoren
und Präsidenten in der Regel zwischen 4 und 6
Jahren. Wäre eine Amtszeit eines Rektors oder Präsidenten
von 8 Jahren nicht mehr akkreditierungsoder
genehmigungsfähig?
Die Bestimmung der „angemessenen Amtszeiten“
der Leitungsebene einer Hochschule ist ein erheblicher
Eingriff in deren Recht auf akademische Selbstverwaltung.
25 Nicht das zuständige Ministerium
oder der Wissenschaftsrat dürfen bestimmen, was
für die einzelne Hochschule angemessen ist, sondern
nur der Gesetzgeber kann diesen Gestaltungsspielraum
für private Hochschulen regeln.
(3.) Es ist sicherzustellen, „dass nach Maßgabe des
jeweiligen Landesrechts ihre Lehrangebote von
einem dem Hochschultyp angemessenen Anteil von
Hochschullehrern, die mit einem mindestens hälfti2
2 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 1 7 — 2 3 2
26 § 1 Abs. 3 Nr. 3 S. 2 lit. a Musterparagraph (Fn. 2).
27 Musterparagraph (Fn. 2), S. 11.
28 Wiss Rat Drs. 6816 – 18, S. 13 ff., 53; Wiss Rat Drs. 8071–19, S. 17,
37: Akkreditierung unter Auflagen trotz „eindeutiger Verfehlung“
der erforderlichen Zahl hauptamtlichen Lehrpersonals.
29 § 1 Abs. 3 Nr. 3 S. 2 lit. b Musterparagraph (Fn. 2).
30 § 1 Abs. 3 Nr. 3 S. 2 lit. d Musterparagraph (Fn. 2).
31 § 2 Abs. 3 S. 3 Musterparagraph (Fn. 2).
gen Anteil ihrer Arbeitskraft an der Hochschule
beschäftigt sind, sowie von einem dem Hochschultyp
angemessen Anteil von nichtprofessoralem
Lehrpersonal erbracht werden“.26 Hierzu präzisiert
die Begründung: „Die Angemessenheit richtet sich
nach Hochschultyp und fachlichem Profil der jeweiligen
Hochschule. Aus dieser Anforderung folgt
auch, dass an einer nichtstaatlichen Hochschule eine
Mindestzahl an angemessen qualifizierten Hochschullehrern
beschäftigt sein muss“.27
Diese Regelung wirft die Frage auf: Welches ist ein
dem Hochschultyp angemessener Anteil von Hochschullehrern,
die die Hochschullehre zu erbringen
haben? Welche Unterschiede gibt es insoweit zwischen
Universitäten, Hochschulen für angewandte
Wissenschaften oder Dualen Hochschulen? Und
weiter: Bei welcher Zahl von akkreditierten Studiengängen,
die von der Hochschule angeboten werden,
ist welche Mindestzahl an Hochschullehrern angemessen?
Hierzu finden sich nirgends durch demokratisch
legitimierte Organe gesetzte Richtwerte
oder konkretere Voraussetzungen, auch nicht in der
Begründung des Musterparagraphen. Dies ist
schwer verständlich. Denn in der Vergangenheit hat
gerade ein Defizit an Hochschullehrer-Stellen
immer wieder zur Ablehnung der institutionellen
Akkreditierung geführt.28 Die Mindestzahl von
Hochschullehrern, die eine Akkreditierung und
staatliche Anerkennung voraussetzt, kann nicht mit
„Angemessenheitserwägungen“ im Einzelfall festgelegt
werden. Eine derart nicht voraussehbare Anforderung
an die Ausstattung privater Hochschulen
mit Lehrpersonal verstößt auch darum gegen Art. 5
Abs. 3 S. 1 GG, weil Eingriffe in Grundrechte voraussehbar
sein müssen.
Gleiches gilt für die Forderung nach Einsatz von
nichtprofessoralem Lehrpersonal. Welcher Einsatz ist
hier vom Hochschultyp her vorzusehen und damit
angemessen? Mit dieser Regelung könnten private
Hochschulen sogar gezwungen werden, wegen ihres
Hochschultyps nichtprofessorales Lehrpersonal einzusetzen.
Dabei bleibt die Freiheit der Hochschule
auf der Strecke, ihren Studierenden nach Möglichkeit
nur professorale Lehre anzubieten. Es ist verfassungsrechtlich
nicht begründbar, dass Hochschulen
dazu gezwungen werden können, einen Teil ihrer
Lehre durch nicht professorales Lehrpersonal anzubieten.
(4.) Die Hochschule muss „über eine Anzahl von
Hochschullehrern verfüg(en), die eine angemessene
Erfüllung der Aufgaben der Hochschule ermöglicht“.
29 Die Zielrichtung dieser Angemessenheitsregelung
ist unklar. Zum einen ist die Hochschule,
blickt man auf die bisherigen Regelungen, in der
Regel verpflichtet, mehr als die Hälfte ihrer Lehre
durch ihre Professorenschaft zu erfüllen. Sie ist
zudem verpflichtet, Stellen für ihre Hochschulleitung
vorzusehen. Hier lässt sich auch mit Blick auf
das zu leistende Lehrangebot genau berechnen, wie
viele Professoren und weiteres Lehrpersonal bei welcher
Zahl von Studiengängen erforderlich sind.
Warum bedarf es dann noch der unklaren Regelung,
die Anzahl der Hochschullehrer müsse die angemessene
Erfüllung der Aufgaben der Hochschule
gestatten? Gründe für diesen Rückschritt hinter bislang
klarere rechtliche Regelungen sind nicht
ersichtlich.
(5.) Die Hochschule ermöglicht „nach ihren strukturellen
Rahmenbedingungen und ihrer Mindestausstattung
eine der Wahrnehmung der Aufgaben nach
Nummer 1 angemessene und auf Dauer angelegte
Gestaltung und Durchführung des Lehr- und Studienbetriebs
sowie von Forschung, Kunstausübung
und Verwaltung …; dazu gehört insbesondere der
ausreichende Zugang zu fachbezogenen Medien“.30
Auch hier stellt sich die Frage: Was sind die Kriterien
dieser Angemessenheitsprüfung?
(6.) Die gutachterliche Stellungnahme der Akkreditierungseinrichtung
„kann die Akkreditierung oder
Reakkreditierung von der Behebung von Mängeln
innerhalb von angemessenen Fristen abhängig
machen“.31 Nicht klar ist, wer darüber entscheidet,
welche Frist angemessen ist und ob gerügte Mängel
in angemessener Frist erfolgreich behoben wurden.
Soll diese Entscheidung in der alleinigen Kompetenz
des Wissenschaftsrates liegen, ohne dass ein
internes Kontrollverfahren, wie nunmehr für die
Akkreditierungsstellungnahmen geregelt, vorgesehen
ist?
Würtenberger · Zur Reform der staatlichen Anerkennung 2 2 3
32 Zur Kritik an diesem Begriff vgl. Würtenberger, Die institutionelle
Akkreditierung privater Hochschulen durch den Wissenschaftsrat:
Probleme demokratischer Legitimation und rechtsstaatlicher
Bindung, OdW 2020, 215, 216.
33 Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 2000,
S. 454 und passim; Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, - Aufl. 2018, § 19 Rn. 20 f. mit Nachw.
34 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17.2.2016 — 1 BvL 8/10
-, Rn. 55.
35 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17.2.2016 -
1 BvL 8/10 -, Rn. 50, 53.
36 So zum Beispiel: Otting/Ziegler, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen
der Akkreditierung im Hochschulwesen, NVwZ 2016,
1064, 1066 f.
37 Mann/Immer, Rechtsprobleme der Akkreditierung von Studiengängen,
RdJB 2007, 334, 349, die das Akkreditierungswesen zu
Belangen zählen, die dem „Kernbereich“ universitärer Wissenschaft
und Lehre zuzuordnen sind.
38 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17.2.2016 — 1 BvL 8/10
-, Rn. 52. - Zur verfassungsrechtlichen Problematik von Angemessenheitsvorbehalten
bei vorbehaltlos gewährleisteten
Grundrechten
Grundrechtseingriffe, wie durch die Regelungen des
Musterparagraphen, unter den Vorbehalt ihrer Angemessenheit
zu stellen, ist keine gerade häufig anzutreffende
legistische Gestaltung. Man kann nur vermuten,
dass diese zahlreichen Angemessenheitsregelungen eine
Kontinuität der Akkreditierungsverfahren durch den
Wissenschaftsrat sichern möchten. Was dort bislang in
dessen Akkreditierungsleitlinien in rechtlich zweifelhafter
Weise unter „Hochschulförmigkeit“32 subsumiert
wurde, ist nun Gegenstand einer nach wie vor rechtlich
nicht kontrollierbaren Angemessenheitsprüfung. Denn
zwischen der vom Musterparagraphen geregelten Angemessenheitsprüfung
und einer rechtsstaatlich geordneten
Verhältnismäßigkeitsprüfung bestehen erhebliche
Unterschiede.
a) Zur Abgrenzung von Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit
In einem ersten Zugriff wird daher zwischen der klassischen
Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen
und einer angemessenen Ausgestaltung
grundrechtlicher Freiheit abgegrenzt.
In vielen Bereichen grundrechtlich geschützter Freiheit
geht es um die angemessene gesetzliche Gestaltung
des grundrechtliche Freiheit erst ermöglichenden Rechts.33
Dies gilt etwa bei der angemessenen Ausgestaltung der
Eigentumsordnung, des Vereins- und Versammlungsrechts
oder der formalen Organisation der Lehre an
Hochschulen.34 Bei dieser sog. Angemessenheits-Verhältnismäßigkeit
muss der Gesetzgeber, nicht aber die Verwaltung,
die für oder gegen eine rechtliche Regelung
sprechenden Belange ermitteln, gewichten, abwägen
und zwischen ihnen einen angemessenen Ausgleich herstellen.
Diese Angemessenheits-Verhältnismäßigkeit ist
mit dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht
identisch.
Dieses gelangt immer dann zur Anwendung, wenn
grundrechtliche Freiheit nicht nur ausgestaltet, sondern
in grundrechtliche Freiheit eingegriffen wird.
Die verfassungsrechtliche Würdigung der im Musterparagraphen
geregelten und vom Landesgesetzgeber
umzusetzenden Angemessenheitsvorbehalte ergibt, dass
der Landesgesetzgeber nicht allein eine angemessene
Privathochschulfreiheit gestaltet, sondern in teilweise
ganz erheblicher Weise in diesen Freiheitsbereich eingreift.
Es handelt sich nicht um eine angemessene gesetzliche
Ausgestaltung der Privathochschulfreiheit, sondern
es ist davon auszugehen, dass „der mit der Pflicht
zur Akkreditierung verbundene Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit
… schwer“ wiegt.35 Will man diese Feststellung
des Bundesverfassungsgerichts zur Akkreditierung
von Studiengängen auf die institutionelle Akkreditierung
von Hochschulen übertragen36 und gewichten,
so regelt der Musterparagraph eine präventive Vollkontrolle
von Forschung und Lehre an einer privaten Hochschule,
was der schwerstmögliche Eingriff in die verfassungsrechtlich
geschützte Wissenschafts- und Lehrfreiheit
ist.37 Wird doch das gesamte Forschungs- und Lehrprofil
einer Hochschule einer rechtlichen Kontrolle
unterworfen, kann mit Auflagen in die Forschungs- und
Lehrfreiheit eingegriffen werden, wird die Amtszeit der
Leitungsorgane bestimmt, wird die erforderliche Zahl
von Professuren festgelegt und werden bei Nichterfüllung
die institutionelle Akkreditierung und staatliche
Anerkennung abgelehnt. Der Zwang zur staatlichen Anerkennung
und institutionellen Akkreditierung der
Hochschule beschränkt deren Freiheit, über die Organisation
ihrer Lehrveranstaltungen, über ihre Formen akademischer
Selbstverwaltung, über die Einstellung von
Hochschulpersonal oder über ihre Literaturversorgung
zu bestimmen. Ein derartiger Genehmigungs- und „Akkreditierungsvorbehalt
ist auch ein Eingriff in die Rechte
der Lehrenden und der Fakultäten oder
Fachbereiche“.38
b) Regelung wesentlicher Fragen und Maßstäbe der
Hochschulgestaltung nur durch den Gesetzgeber
Derart schwerwiegende Eingriffe in die verfassungsrechtlich
geschützte Forschungs- und Lehrfreiheit können
nicht mit Angemessenheitsvorbehalten gerechtfertigt
werden. Denn wesentliche Entscheidungen in Akkreditierungsverfahren
muss der Gesetzgeber „unter
2 2 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 1 7 — 2 3 2
39 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17.2.2016 — 1 BvL 8/10
-, Leitsatz, Rn. 59.
40 BVerfGE 108, 52, 75.
41 BVerfGE 8, 274, 325 f.
42 Zum Folgenden Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, - Aufl. 2018, § 12 Rn. 64 und Rn. 41 mit Nachw.
43 BVerwG NVwZ 2020, 233, 238; kritisch Hufen, Verwaltungsprozessrecht, - Aufl. 2021, § 25 Rn. 38.
44 BVerfGE 83, 130, 142, 145.
45 BVerfGE 49, 89, 126 f., 145 f.
46 https://www.hrk.de/uploads/media/ESG_German_and_English_
2015.pdf (abgerufen am 9. 7. 2021), S. 32.
Beachtung der Eigenrationalität der Wissenschaft selbst
treffen“.39 Was wesentliche Entscheidungen und Entscheidungsmaßstäbe
in Verfahren der institutionellen
Akkreditierung sind, ist bereichsspezifisch zu klären. Bei
der Bestimmung des Wesentlichen sind das Gewicht des
vom Grundgesetz intendierten Freiheitsschutzes, die
Eigenart des Regelungsgegenstandes und die Besonderheiten
des zu regelnden Sachbereichs von Bedeutung.
Je wesentlicher Entscheidungen und Entscheidungsmaßstäbe
für die staatliche Anerkennung und institutionelle
Akkreditierung sind, desto höher sind die Anforderungen
an die Normenklarheit. Die Bestimmtheitsanforderungen
„sind dann erhöht, wenn die Unsicherheit bei
der Beurteilung der Gesetzeslage … die Betätigung von
Grundrechten erschwert“.40 Insbesondere müssen Eingriffsermächtigungen
nach Inhalt, Zweck und Ausmaß
so bestimmt sein, dass die Eingriffe nachprüfbar und soweit
möglich für den Betroffenen voraussehbar und berechenbar
werden. Das folgt aus den Grundsätzen der
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der Gewaltenteilung
und aus der Forderung nach einem möglichst lückenlosen
gerichtlichen Schutz gegen Eingriffe.41
Generalklauseln sowie durch Rechtsnormen eingeräumte
Gestaltungs- und Ermessensspielräume, etwa
durch Angemessenheitsregelungen, stehen dem Gebot
der Rechtssicherheit zwar nicht generell entgegen.42 Einer
zu weit getriebenen Vergesetzlichung steht das Bedürfnis
gegenüber, die verfassungsrechtlich garantierte
Eigenständigkeit der Exekutive und die notwendige Flexibilität
des Verwaltungshandelns zu erhalten. So hat der
Wissenschaftsrat als Sachverständigenausschuss bei seinen
Stellungnahmen zur institutionellen Akkreditierung
einen wissenschaftsaffinen Einschätzungsspielraum. Seine
spezifisch wissenschaftsorientierten Bewertungen
müssen nachvollziehbar sein, unterliegen darüber hinaus
aber keiner weitergehenden rechtlichen Kontrolle. Allerdings
will die jüngste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
derartige Rücknahmen des Rechtsschutzes
nun nicht mehr anerkennen.43
Entscheidungen von Gremien, wie dem Wissenschaftsrat,
müssen sich an gesetzlichen Vorgaben orientieren.
Bei dieser gesetzlichen Rahmensetzung sind die
Anforderungen an die gesetzliche Bestimmtheit umso
höher, je stärker die Regelung in grundrechtlich geschützte
Bereiche eingreift. Bei dieser Bestimmung immanenter
Grundrechtsschranken müssen die gebotenen
gesetzlichen Regelungen und muss die gesetzliche Vorbestimmung
der Entscheidungen und damit auch die gerichtliche
Kontrollmöglichkeit in einer Art von „Gleitformel“
umso dichter sein, je stärker ein Grundrecht
durch einen Eingriff betroffen wird und je fundamentaler
das betroffene Grundrecht ist. Je belastender Grundrechtseingriffe
sind, desto stärker müssen u.a. Beurteilungsspielräume44
oder das Verwaltungsermessen45 eingeschränkt
sein (Je-desto-Formel).
Nun mag man einwenden, die Beurteilung von wissenschaftlicher
Qualität, vom Niveau akademischer Lehre
und von wissenschaftsadäquater Organisation einer
Hochschule lasse sich gesetzlich nicht näher regeln, so
dass mit Angemessenheitsregelungen gearbeitet werden
müsse. Vergleichen wir ein anderes Regelungsgefüge in
dem uns interessierenden Bereich: Die Art. 2 und 3 des
Studienakkreditierungsstaatsvertrags regeln präzise normative
Vorgaben und das Verfahren der Akkreditierung
von Studiengängen. Dies kann ein Modell für die Regelung
staatlicher Anerkennung und institutioneller Akkreditierung
privater Hochschulen sein.
c) Widerspruch zur Qualitätssicherung im Europäischen
Hochschulraum
Die hier erörterten Angemessenheitsregelungen für Eingriffe
in die Privathochschulfreiheit sind nicht vereinbar
mit den „Standards und Leitlinien für die Qualitätssicherung
im Europäischen Hochschulraum (ESG), verabschiedet
von der Konferenz der Bildungsministerinnen
und Bildungsminister in Eriwan (14./15. Mai 2015)“.
Nach diesen Standards und Leitlinien müssen Qualitätssicherungsmaßnahmen
im Hochschulbereich auf „eindeutigen,
vorab definierten und veröffentlichten Kriterien,
die konsistent angewendet werden“, beruhen.46 In
den Gesetzgebungsverfahren der Bundesländer werden
diese Vorgaben allerdings nicht hinreichend berücksichtigt. - Zwischenbemerkung
Die Angemessenheitsregelungen des Musterparagraphen
und des diesen umsetzenden Hochschulrechts verstoßen
gegen den Vorbehalt gesetzlicher Grundlage für
Eingriffe in die Forschungs- und Lehrfreiheit. Es handelt
sich nicht um die angemessene Gestaltung grundrechtliWürtenberger
· Zur Reform der staatlichen Anerkennung 2 2 5
47 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17.2.2016 — 1 BvL 8/10
-, Rn. 58 mit Rechtsprechungsnachweisen.
48 § 2 Abs. 1 S. 2 Musterparagraph (Fn. 2).
49 § 2 Abs. 3 S. 4 Musterparagraph (Fn. 2).
50 Wiss Rat Drs. 4395–15, S. 38.
51 Wiss Rat Drs. 8518–20, S. 37; Drs. 4399–15, 40; Drs. 6172–17, S.
64 f.; Drs. 8256–20. S. 53; Drs. 5423–16. S. 50; Drs. 4877–15, S. 54;
Drs. 7836–19, S. 55.
cher Freiheit durch den Gesetzgeber, sondern insbesondere
mit Blick auf die Folgen eines Verstoßes gegen diese
Angemessenheitsregelungen um schwere und tiefe Eingriffe
in die verfassungsrechtlich garantierte Privathochschulfreiheit.
IV. Verfassungsrechtliche Kritik an Einzelregelungen
des Musterparagraphen
„Eingriffe in die vorbehaltlos gewährleistete Wissenschaftsfreiheit
können zur Verfolgung eines Zieles mit
Verfassungsrang gerechtfertigt sein“.47 Diesem zentralen
Grundsatz der Grundrechtsdogmatik sowie der damit
verbundenen Abwägungsdogmatik widersprechen einige
Regelungen des Musterparagraphen. - Weder die Frist staatlicher Anerkennung noch das
Verhältnis von Fristen und Kosten verfassungskonform
geregelt
Nach dem Musterparagraphen kann das zuständige
Ministerium „in regelmäßigen Abstanden eine gutachterliche
Stellungnahme einer Akkreditierungseinrichtung
einholen, mit der das Vorliegen der in § 1 Abs. 3
genannten Kriterien bei staatlich anerkannten nichtstaatlichen
Hochschulen überprüft wird (institutionelle
Akkreditierung, Reakkreditierung)“.48 Für die Akkreditierungseinrichtung
sieht der Musterparagraph allerdings
eine andere Befristung für institutionelle Akkreditierungen
vor: „Akkreditierungen und Reakkreditierungen
werden in der Regel auf mindestens fünf Jahre
befristet“.49 Bei diesen Regelungen besteht die Gefahr,
dass die Fristen der staatlichen Anerkennung und der
institutionellen Akkreditierung durch den Wissenschaftsrat
divergieren. Gravierender als diese legistische
Ungereimtheit ist: Für die Geltung der staatlichen Anerkennung
werden keine Fristen genannt: Nach Ermessen
bestimmt das zuständige Ministerium, wie kurz oder wie
lange die regelmäßigen Akkreditierungsabstände sein
sollen.
Wenn die staatliche Anerkennung von privaten
Hochschulen zeitlich begrenzt werden soll, muss der Gesetzgeber
Mindestfristen und kann gegebenenfalls auch
Höchstfristen vorsehen. Denn die Fristsetzung für Neubeantragungen
staatlicher Anerkennung ist ein tiefer
Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Privathochschulfreiheit.
Die Hochschule muss einen umfangreichen
Bericht verfassen, der die Arbeitszeit der Professorenschaft
über Monate hinweg bindet. Derartige Kosten
für die Akkreditierung von Studiengängen beziffert
das BVerfG unter Auswertung einschlägiger Unterlagen
auf 30.000 bis 38.000 € für einen einzigen Studiengang.
Die weitaus arbeitsaufwändigere institutionelle Akkreditierung
einer privaten Hochschule verursacht deutlich
höhere interne Kosten. Mindestens 50.000 € dürften
nicht zu hoch geschätzt sein. Für die institutionelle Akkreditierung
durch den Wissenschaftsrat muss man mit
Kosten von etwa 30.000 € rechnen. Bezieht man die
Kosten der staatlichen Anerkennung mit ein, so kosten
die institutionelle Akkreditierung und die staatliche Anerkennung
zwischen 80.000 und 90.000 €. Geht man
von fünfjährigen Akkreditierungsfristen aus, so muss
die Hochschule innerhalb von 10 Jahren etwa 270.000 €
für ihre institutionelle Akkreditierung und staatliche
Anerkennung aufwenden. Hinzu kommen beträchtliche
Kosten für die Akkreditierung ihrer Studiengänge.
Wegen der tiefen Grundrechtseingriffe durch kurze
Befristungen von staatlicher Anerkennung und institutioneller
Akkreditierung einerseits und den damit verursachten
immensen Verfahrenskosten andererseits ist zu
fordern: Ähnlich wie bei der Festlegung von Fristen bei
der Akkreditierung von Studiengängen durch Gesetz
oder durch Rechtsverordnung sind die Anerkennungsund
Akkreditierungsfristen rechtlich zu regeln. Bei dieser
Regelung ist zu berücksichtigen, dass das zuständige
Ministerium Abweichungen vom Anerkennungsbescheid
mit Auflagen oder Widerruf der Anerkennung
rechtsaufsichtlich sanktionieren kann. - Zum ausreichenden Zugang zu fachbezogenen Medien
§ 1 Abs. 3 Nr. 3 lit. d Musterparagraph verlangt einen
„ausreichende(n) Zugang zu fachbezogenen Medien“.
Hiergegen ist nichts zu erinnern. Eine etwas ausführlichere
Regelung der Versorgung mit elektronisch zugänglicher
und Print-Literatur war vom Wissenschaftsrat
bereits in seinem Leitfaden für die institutionelle Akkreditierung
getroffen worden: Die Hochschule „verfügt
über einen ihrem institutionellen Anspruch und Profil
sowie den vertretenen Disziplinen angemessenen und
zeitgemäßen Bestand an wissenschaftlicher Fachliteratur
(elektronisch und/oder Printversion)“.50 Die Akkreditierungsstellungnahmen
kritisieren fast durchgehend die
Bibliotheksausstattung der zu akkreditierenden privaten
Hochschule.51 Gerügt werden der Umfang der bestehenden
Bibliothek, zu gering bemessene Bibliotheksmittel,
kein hinreichender Zugang zu Internetzeitschriften und
2 2 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 1 7 — 2 3 2
52 Wiss Rat Drs. 7497–19, S. 51.
53 Anders Wiss Rat Drs. 8257–20, S. 54.
54 Wiss Rat Drs. 7849–19, S. 32; Wiss Rat Drs. 8518–20, S. 37:
Zugang zur am gleichen Ort befindlichen Universitätsbibliothek
keine hinreichende „Bibliotheksversorgung“ der Studierenden.
55 Anders aber der „Leitfaden der institutionellen Akkreditierung
nichtstaatlicher Hochschulen, Wiss Rat 4395–15, S. 32: „Der akademische
Kern einer Hochschule, die ausschließlich Bachelorangebote
vorhält, umfasst hauptberufliche Professuren im Umfang
von grundsätzlich mindestens sechs Vollzeitäquivalenten (VZÄ)
zuzüglich Hochschulleitung“. Eine derartige einschneidende Vorgabe
für die Gestaltung einer privaten Hochschule bedarf einer
klaren gesetzlichen Grundlage.
56 So wurde etwa in der Akkreditierung der europäischen Fachhochschule
Hamburg (Euro-FH) die Empfehlung ausgesprochen,
den Präsenzanteil im Masterstudium zu erhöhen, „um den
wissenschaftlichen Diskurs und eine notwendige kritische Auseinandersetzung
mit dem Stand der Forschung in den Master-
Studiengängen (…) zu verstärken“ (Wiss Rat Drs. 3002–13, S. 13).
-publikationen sowie einen fehlenden, für die Bibliothek
zuständigen Bibliothekar bzw. eine entsprechende Stelle
mit zu geringem Deputat.52
Nicht alle Bewertungen der Literaturversorgung
wurden von den Hochschulen geteilt. Um nur einige
Kritikpunkte an den Akkreditierungsstellungnahmen zu
nennen: Es ist nicht ersichtlich, warum die Betreuung
zum Beispiel der Online-Bibliothek nicht in der Verantwortung
eines Professors der Hochschule liegen darf.53
Das durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Organisationsermessen
der Hochschule gestattet es, auch einen Professor
mit der Betreuung der Online-Bibliothek zu betrauen.
Denn ein Professor an einer privaten Hochschule für
angewandte Wissenschaften ist besser als jeder Bibliothekar
in der Lage, eigenständig darüber zu bestimmen,
welcher Online-Medien und Bücher es in seinem Bereich
oder seiner Hochschule für Forschung und Lehre
bedarf.
Soweit die Stellungnahmen des Wissenschaftsrates
von den privaten Hochschulen erwarten, mit beträchtlichen
Bibliotheksmitteln eine eigene Bibliothek aufzubauen54,
lässt sich darauf verweisen, dass die Studierenden
Zugang zu in der Nähe liegenden Universitätsbibliotheken
sowie anderen staatlichen oder kommunalen Bibliotheken
haben, was vom Wissenschaftsrat nicht immer
hinreichend bedacht wird. Für die Studierenden an privaten
Hochschulen sollten die gleichen Zugangsrechte,
auch gesicherter Zugang, wie für die Studierenden an öffentlichen
Hochschulen gewährleistet sein. Diese Gleichheit
bei der Nutzung der Bibliotheksinfrastruktur mag
man damit rechtfertigen, dass die privaten Hochschulen
mit ihren Studienplätzen den Staat im Bereich seiner
Hochschulfinanzierung entlasten. - Ermöglichung eines wissenschaftlichen Diskurses
durch Größe und Ausstattung der Hochschule
§ 1 Abs. 3 Nr. 3 lit. c Musterparagraph verlangt für die
Erfüllung der den privaten Hochschulen obliegenden
Aufgaben, dass „die Hochschule von ihrer Größe und
Ausstattung her wissenschaftlichen … Diskurs ermöglicht“.
Dass wissenschaftliche Hochschulen einen wissenschaftlichen
Diskurs zwischen ihren Studierenden
sowie zwischen den Studierenden und akademischen
Lehrern ermöglichen sollen, ist eine Binsenwahrheit.
Der wissenschaftliche Diskurs ist eben nicht hinterfragbarer
Bestandteil der Wissenschaftlichkeit von Hochschulen.
Ob überhaupt, zu welchen Themen, in welchen Formen
und in welcher Tiefe der wissenschaftliche Diskurs
stattfindet, lässt sich nur begrenzt normativ regeln. Und
ob ein wissenschaftlicher Diskurs stattfindet, lässt sich
auch kaum überprüfen. Vor allem muss der Versuch fehlgehen,
Hochschulen besonders determinierte Professuren
oder Professuren zusätzlich zur ausreichenden Abdeckung
des Lehrangebotes aufzuzwingen, damit der
wissenschaftliche Diskurs zwischen der Professorenschaft
auf mehr Köpfe zählen kann. Bietet eine private
Hochschule nur zwei Studiengänge mit dem dafür erforderlichen
Lehrpersonal an, kann nicht gefordert werden,
zur Abrundung des wissenschaftlichen Profils und Erweiterung
der Möglichkeiten hochschulinterner wissenschaftlichen
Diskussion weitere Hochschullehrer einzustellen.
55 Ein möglicherweise begrenzter hochschulinterner
wissenschaftlicher Diskurs kann durch Teilnahme
an wissenschaftlichen Tagungen, durch Forschungskooperationen,
durch Teilnahme an Drittmittelprojekten
und anderes mehr ausgeglichen werden.
Vor allem bei privaten Hochschulen mit Fernstudiengängen
hat der Wissenschaftsrat wiederholt kritisiert,
dass der Verzicht auf Präsenzlehre den Kontakt der Studierenden
untereinander verhindere, den akademischen
Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden erheblich
erschwere und einem hochschulinternen Diskurs
entgegen stehe.56 Bei dieser Kritik wird nicht hinreichend
gewürdigt, dass auch bei Fernstudiengängen alle
Studierenden die Möglichkeit haben, sich auf den zur
Kommunikation zur Verfügung stehenden Wegen an
ihre Dozenten zu wenden. Von dieser Möglichkeit zu
wissenschaftlicher Interaktion, etwa durch E‑Mail oder
Telefon, wird von den Studierenden, so berichten diese
Hochschulen, rege Gebrauch gemacht, insbesondere bei
der Anfertigung von Seminar- und Abschlussarbeiten.
Mit den guten Möglichkeiten einer zeitgemäßen Online-
Kommunikation und ‑Lehre, die durch die Hochschulen
intensiv genutzt werden können, wird eine besondere
Form von Online-Präsenzlehrveranstaltungen, etwa ein
Würtenberger · Zur Reform der staatlichen Anerkennung 2 2 7
Seminar in Form einer Video-Konferenz, ermöglicht.57
Hinzu kommt, dass den Studierenden in Fernstudiengängen
die Möglichkeit eröffnet wird, sich in Chats oder
anderen Räumen digitaler Kommunikation zu treffen.
Dies ist zwar kein voller Ersatz für die Kommunikation
der Studierenden untereinander anlässlich von Präsenzlehre.
Immerhin werden jedoch die der jungen Generation
geläufigen Formen der Kommunikation in den
Hochschulbereich eingebracht.
V. Vernachlässigung eines Grundrechtsschutzes
durch Organisation und Verfahren
Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren
ist geboten, wenn Verwaltungsbehörden ein hohes Maß
an Verfahrensverantwortung bei Entscheidungen erhalten,
die für die Grundrechtsausübung bedeutsame Fragen
betreffen. Durch Organisation und Verfahrensgestaltung
ist die Effektivität des gebotenen Grundrechtsschutzes58
zu sichern, wenn, wie vorliegend,
hochschul- und wissenschaftsaffiner Sachverstand in
Genehmigungs- und Akkreditierungsverfahren eingebracht
werden muss. So müssen die gesetzlich geregelten
Kriterien wissenschaftlicher Qualität oder wissenschaftsaffiner
Hochschulorganisation Raum für wissenschaftseigene
Beurteilungen lassen. Soweit die Eigengesetzlichkeit
von Forschung und Lehre zur Eröffnung von Beurteilungsspielräumen
zwingt, bedarf es organisatorischer
und prozeduraler Verfahrenssicherungen.59 Diese
grundrechtsschützende Organisation mitsamt dem Verfahren
ist vom Gesetzgeber und nicht durch Innenrecht
der Exekutive zu regeln.60
Die Musterparagraph-Regelungen von Organisation
und Verfahren des Wissenschaftsrates widersprechen
sowohl Vorgaben aus dem Bereich der Europäischen
Union als auch des Grundgesetzes. - Exkurs zu den Vorgaben für die Organisation und
Verfahren der institutionellen Akkreditierung durch
den Wissenschaftsrat
Der Wissenschaftsrat wurde durch das Verwaltungsabkommen,
nicht durch Staatsvertrag, zwischen Bund und
Ländern vom 5. September 1957 gegründet.61 Nach diesem
Verwaltungsabkommen wird die Behörde Wissenschaftsrat
von den Bundesländern und dem Bund als
öffentlich-rechtlichen Körperschaften, vertreten durch
ihre Regierungen, getragen. Hier lässt sich von einer
hybriden Organisationsform im Bereich der Bund-Länder
Kooperation sprechen: Der Wissenschaftsrat ist eine
gemeinsam von Bund und Ländern getragene Behörde,
die in Akkreditierungsverfahren in verbindlicher Weise
und mit Information an die Öffentlichkeit die Qualität
von Hochschulen bewertet, dabei aber keiner Rechtskontrolle
unterliegt.
Diese Konstruktion der Behörde Wissenschaftsrat
lässt sich mit dem organisationsrechtlichen Gesetzesvorbehalt62
nicht vereinbaren. Denn es bedarf immer dann
eines demokratisch legitimierten Gesetzes, wenn eine
Behörde errichtet werden soll, die durch ihr Handeln
nach außen in Grundrechte, hier von privaten Hochschulen
und deren Träger, eingreift. Da es an dem erforderlichen
Errichtungsgesetz fehlt, fehlen auch gesetzliche
Regelungen der Rechtsaufsicht und des Rechtsschutzes
gegen nach außen wirkende Maßnahmen des Wissenschaftsrates.
Hinzu kommt, dass der Wissenschaftsrat
als Verwaltungsbehörde nicht berechtigt ist, Normen zu
erlassen, die sein Akkreditierungsverfahren regeln, das
in grundrechtliche Freiheit eingreift.
Zweifelhaft ist zudem, ob die Mitwirkung des Wissenschaftsrates
an Akkreditierungsverfahren von der
Kompetenzverteilung des Grundgesetzes getragen ist.
Das Zusammenwirken von Bund und Ländern bei der
Verwaltung („Mischverwaltung“) schließt sich nach
dem den kooperativen Föderalismus regelnden Normengefüge
der Art. 83 ff., 91a und 91b GG grundsätzlich
aus.63 Die in vorliegendem Zusammenhang interessierende
Gemeinschaftsaufgabe der Forschungsförderung
und der Feststellung der Leistungsfähigkeit des deutschen
Bildungswesens im internationalen Vergleich ist
in Art. 91b GG geregelt. Ein Zusammenwirken zwischen
Bund und Ländern bei der institutionellen Akkreditierung
von privaten Hochschulen ist vom Wortlaut des
Art. 91b Abs. 1 oder Abs. 2 GG wohl kaum noch gedeckt.
Allerdings soll nach jüngerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
ein Zusammenwirken von Bund
und Ländern auch ohne verfassungsrechtliche Ermäch-
57 Vgl. dazu auch unter Hinweis auf die Wissenschaftlichkeit der
Online-Lehre anlässlich der Covid-Pandemie Fehling, Reine
Online-Hochschullehre: Möglichkeiten und Grenzen im Lichte
von Ausbildungsauftrag, Lehrfreiheit und Datenschutz, OdW
2021, 137, 140 ff.
58 Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 33. Aufl. 2018, §
17 Rn. 41 f. mit Nachw.
59 VG Düsseldorf BeckRS 2020, 22454, Rn. 82
60 Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 33. Aufl. 2018, §
17 Rn. 42; VG Düsseldorf BeckRS 2020, 22454, Rn. 82.
61 https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/Verwaltungsabkommen.
pdf?__blob=publicationFile&v=2
62 Vgl. Jarass/Pieroth/Jarass, Grundgesetz, 16. Aufl. 2020, Art.
20 GG Rn. 76; Jarass/Pieroth/Pieroth, aaO, Art. 86 GG Rn. 2
a; Dreier/Schulze-Fielitz, Grundgesetz, 3. Aufl. 2015, Art. 20
(Rechtsstaat) Rn. 125; von Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann,
Grundgesetz, 7. Aufl. 2018, Art. 20 GG Rn. 283.
63 Vgl. Maunz/Dürig/Schwarz, Grundgesetz, 94. EL Januar 2021,
Art. 91b GG Rn. 9; Maunz/Dürig/Ibler, Grundgesetz, 94. EL
Januar 2021, Art. 87 GG Rn. 195 jeweils mit Nachweisen.
2 2 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 1 7 — 2 3 2
tigung unter zwei Voraussetzungen zulässig sein: Es
muss ein „besonderer sachlicher Grund“ vorliegen und
sich um eine „eng umgrenzte Verwaltungsagenda“ handeln.
64 Beides mag man bei der institutionellen Akkreditierung
von privaten Hochschulen durch den Wissenschaftsrat
bejahen können.
Die Organisation des Wissenschaftsrates steht allerdings
kaum in Einklang mit den Vorgaben der „Standards
und Leitlinien für die Qualitätssicherung im Europäischen
Hochschulraum (ESG)“.65 Hier wird eine strikte
Unabhängigkeit der Akkreditierungsinstitutionen, unter
anderem von den staatlichen Regierungen, gefordert.
Eine Akkreditierungsinstitution, die von Bund und Ländern,
jeweils repräsentiert von ihren Regierungen, getragen
ist und deren Mitglieder zum Teil von den Regierungen
des Bundes und der Länder entsandt bzw. auf deren
Vorschlag berufen werden66, dürfte kaum die geforderte
organisatorische Distanz zum staatlichen Bereich
besitzen.
Die Aufgabe des Wissenschaftsrates, die Leistungen
privater Hochschule im Rahmen der Akkreditierung zu
evaluieren, führt zu der in allen Evaluierungsverfahren
gestellten Frage: Wer evaluiert die Evaluierenden? Dies
kann eine Fremd- und Selbstevaluation sein. Eine Evaluierung
der Tätigkeit des Wissenschaftsrates hat über lange
Zeit hinweg nicht mehr stattgefunden. Auch dies widerspricht
den Standards und Leitlinien für die Qualitätssicherung
im Europäischen Hochschulraum (ESG).
Die dortigen Vorgaben fordern, dass der Wissenschaftsrat
sich selbst evaluiert. Er muss Verfahren für seine interne
Qualitätssicherung regeln, auf seiner Website veröffentlichen
und praktizieren.67 Wenn der Wissenschaftsrat
die von der Europäischen Union näher geregelten
Anforderungen an seine interne
Qualitätssicherung umsetzen würde, wäre dies ein wichtiger
Beitrag zu einer grundrechtsschonenden Gestaltung
dessen Akkreditierungsverfahren. Nicht unerwähnt
kann bleiben, dass sich der Wissenschaftsrat nach
den Vorgaben der Europäischen Union alle fünf Jahre einer
Fremdevaluation unterziehen soll.68 - Zu den verfahrensrechtlichen Vorgaben für Verfahren
institutioneller Akkreditierung
In seiner Akkreditierungsentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht
präzise vorgeschrieben, wie Akkreditierungsverfahren
im Bereich von Forschung und Lehre
an Hochschulen zu gestalten sind. Es geht davon aus,
dass der Gesetzgeber zur Qualitätssicherung von Forschung
und Lehre keine detaillierten Vorgaben machen
könne.69 Denn der Gesetzgeber dürfe nicht in die grundrechtlich
geschützte Eigenständigkeit und Eigenrationalität
von Forschung und Lehre eingreifen.
„Kriterien der Bewertung wissenschaftlicher Qualität, an
die der Gesetzgeber Folgen knüpft, müssen (daher, vom
Verfasser ergänzt) Raum für wissenschaftseigene Orientierungen
lassen. Daher ist die Wissenschaftsfreiheit
durch den Gesetzgeber in Systemen der Qualitätskontrolle
jedenfalls prozedural und organisatorisch zu sichern;
neben dem Abwehrrecht gegen punktuelle und
personenbezogene Eingriffe steht auch hier eine Garantie
hinreichender Teilhabe der Wissenschaft selbst, die
vor wissenschaftsinadäquaten Entscheidungen sowohl
innerhalb der Hochschulen wie auch durch Dritte, im
Wissenschaftssystem mit Entscheidungsbefugnissen
ausgestattete Akteure schützt“.
Die damit geforderte Prozeduralisierung des Schutzes
von Forschung und Lehre ist folgenreich. Vom Bundesverfassungsgericht
wird gefordert:
(1.) Bei „wertenden grundrechtsrelevanten Entscheidungen“
muss durch Gesetz geregelt werden, „wer
diese zu treffen hat und wie das Verfahren ausgestaltet
ist“.
(2.) Für die Qualitätssicherung muss gesetzlich ein
Gesamtgefüge geschaffen werden, „in dem Entscheidungsbefugnisse
und Mitwirkungsrechte, Einflussnahme,
Information und Kontrolle so ausgestaltet
sind“, dass Gefahren für die Freiheit der Lehre
auszuschließen sind.
(3.) „Zur Vermeidung wissenschaftsinadäquater Steuerungspotentiale
ist eine angemessene Beteiligung
64 BVerfGE 119, 331, 366; Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus
im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hg.), Handbuch des
Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 126 Rn. 188 ff., 194.
65 Standards und Leitlinien für die Qualitätssicherung im Europäischen
Hochschulraum (ESG), https://www.hrk.de/uploads/
media/ESG_German_and_English_2015.pdf (abgerufen am 9. 7.
2021), S. 36 f.
66 https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/Verwaltungsabkommen.
pdf?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen am 9. 7.
2021), Art. 4 Abs. 2 und 3.
67 Standards und Leitlinien für die Qualitätssicherung im Europäischen
Hochschulraum (ESG), https://www.hrk.de/uploads/
media/ESG_German_and_English_2015.pdf (abgerufen am 9. 7.
2021), S. 39.
68 Standards und Leitlinien für die Qualitätssicherung im Europäischen
Hochschulraum (ESG), https://www.hrk.de/uploads/
media/ESG_German_and_English_2015.pdf (abgerufen am 9. 7.
2021), S. 40.
69 Die folgenden Zitate aus BVerfG, Beschluss des Ersten Senats
vom 17. Februar 2016 — 1 BvL 8/10 -, Rn. 60 mit Nachw. zur
verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung.
Würtenberger · Zur Reform der staatlichen Anerkennung 2 2 9
der Wissenschaft insbesondere an der Festlegung
der Bewertungskriterien unabdingbar. Das gilt erst
recht, wenn Bewertungskriterien hochschulextern
festgesetzt werden, da damit ein erhöhtes Risiko der
Vernachlässigung wissenschaftsadäquater Belange
einhergeht, und wenn die Hochschulangehörigen
auf die externe Bewertung angewiesen sind“.70
(4.) Dass die Bewertungskriterien in den verschiedenen
Disziplinen differieren können und müssen,
muss in Akkreditierungsverfahren beachtet werden.
Auch sind Öffnungs- und Experimentierklauseln
für innovative Gestaltungen von Forschung und
Lehre vorzusehen.
Der Musterparagraph ist insofern ein Schritt in die
richtige Richtung, als das bislang rechtsstaatlich problematische
Akkreditierungsverfahren des Wissenschaftsrates
jedenfalls zum Teil reformiert wird.
a) Zweifel an der Effektivität wissenschaftsratsinterner
Rechtsschutzverfahren
Nachdem bislang das Verfahren der institutionellen
Akkreditierung vom Wissenschaftsrat ohne jegliche
Rechtsgrundlage durchgeführt wurde, regelt nun § 2
Abs. 2 Musterparagraph einige Eckpunkte für das Verfahren
institutioneller Akkreditierung. Der Antrag auf
institutionelle Akkreditierung wird nicht von der Hochschule,
sondern von dem für die staatliche Anerkennung
zuständigen Ministerium gestellt. Dieses entscheidet
nach Ermessen darüber, welche Einrichtung mit der
Akkreditierung betraut wird. Die vom zuständigen
Ministerium beauftragte Akkreditierungseinrichtung
setzt eine Gutachterkommission ein, die „mehrheitlich
mit externen, unabhängigen, fachlich einschlägig qualifizierten
Hochschullehrern besetzt sein (muss), darunter
mindestens ein professorales Mitglied einer nichtstaatlichen
Hochschule, sowie mit einem studentischen Mitglied
(S. 3). Zu dem von der Akkreditierungseinrichtung
vorgelegten Gutachten können die nichtstaatliche Hochschule,
ihre Trägereinrichtung, ihr Betreiber sowie das
Land, welches das Gutachten einholt, Stellung nehmen.
Dieses den Hochschulen und ihren Betreibern sowie
Trägern bislang vom Wissenschaftsrat nicht eingeräumte
Recht zur Stellungnahme ist vom Rechtsstaatsprinzip
und auch nach den Leitlinien der Europäischen Union71
geboten. Sie erfolgt bereits vor der abschließenden Entscheidung
über die Akkreditierung (S. 4).
Für etwaige Streitfälle richtet die Akkreditierungseinrichtung
eine interne Beschwerdestelle ein, die mit
drei externen Wissenschaftlern besetzt ist. Außerdem regelt
die Akkreditierungseinrichtung das Verfahren und
die Fristen (S. 5). Nicht geregelt ist die Qualifikation der
drei externen Wissenschaftler. Um im Bereich des Wissenschaftsrates
das nötige Mindestmaß an rechtsstaatlichem
Verfahren, wie es in Art. 20 Abs. 3 GG vorausgesetzt
wird72, zu gewährleisten, muss ein Rechtswissenschaftler
mit der Befähigung zum Richteramt und mit
Erfahrung im Hochschulrecht an den internen Beschwerdeverfahren
beteiligt sein.
Verfassungsrechtlich zweifelhaft ist, die Regelung des
Verfahrens völlig in die Hand der Akkreditierungseinrichtung
zu legen. Soll es wirklich statthaft sein, eine
Verhandlung in mündlicher Form über die Einwände
der Hochschule auszuschließen? Dient die Anhörung
doch dem Schutz subjektiver Rechte und ist Ausprägung
des verfahrensrechtlichen Grundrechtsschutzes.73 Um
nur ein Beispiel zu nennen: Soweit der Landesgesetzgeber
Verfahren vor den Stadt- oder Kreisrechtsausschüssen
geregelt hat74, ist aus Gründen effektiven Rechtsschutzes
eine mündliche Verhandlung vorgesehen.
Nach § 2 Abs. 2 S. 6 Musterparagraph setzt „die abschließende
Entscheidung über die Akkreditierung …
die Zustimmung zumindest eines mehrheitlich mit externen
Hochschullehrern besetzen Gremiums der Akkreditierungseinrichtung
voraus“. Welches Gremium
mit dieser abschließenden Entscheidung betraut wird,
ist nicht vorgeschrieben. Ist dies ein neues Gremium,
über dessen Zusammensetzung der Wissenschaftsrat
nach Ermessen entscheidet?
Außerdem muss die kritische Frage gestellt werden:
Hat die Entscheidung der internen Beschwerdestelle keine
Bindungswirkung für die abschließende Entscheidung
über die institutionelle Akkreditierung? Kann das interne
Beschwerdeverfahren nichts weiter als ein Verfahrensbaustein
sein, der nicht präjudiziell für die abschließende
Entscheidung ist?
70 Zur angemessenen Beteiligung der Wissenschaft an der Festlegung
der Bewertungskriterien: VG Düsseldorf BeckRS 2020,
22454, Rn. 82.
71 Standards und Leitlinien für die Qualitätssicherung im Europäischen
Hochschulraum (ESG), https://www.hrk.de/uploads/
media/ESG_German_and_English_2015.pdf (abgerufen am 9.7.
2021), S. 33: „Es erhöht die sachliche Richtigkeit des Berichts,
wenn die Hochschule vor dessen Fertigstellung Gelegenheit
erhält, auf sachliche Fehler hinzuweisen“, eine Aufforderung, die
vom Wissenschaftsrat bislang negiert wurde. Gleiches gilt für die
Vorgaben für Beschwerdeverfahren (aaO S. 34), die vom Wissenschaftsrat
ebenfalls nicht beachtet wurden.
72 Vgl. zu den Anforderungen nur Stelkens/Bonk/Sachs/Schmitz,
VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 9 Rn. 49 ff. mit Nachweisen.
73 Schoch/Schneider/Schneider, VwVfG, Grundwerk Juli 2020, § 28
Rn. 5 mit Nachweisen.
74 Vgl. § 16 Abs. 2 RP Landesgesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung
(AGVwGO).
2 3 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 1 7 — 2 3 2
b) Defizit an verwaltungsinterner Rechtskontrolle?
Der Musterparagraph lässt es offen, wer über Rechtsbehelfe
gegen Akkreditierungsstellungnahmen des Wissenschaftsrates
entscheidet. Der normale Beschwerdeweg
geht an den Rechtsträger, der die Rechts- oder Fachaufsicht
über den Wissenschaftsrat führt. Für die Behörde
Wissenschaftsrat sind jedoch weder rechts- noch fachaufsichtliche
Regelungen ersichtlich.75 Dies widerspricht
an sich dem Verfassungsprinzip, dass das Veraltungshandeln
grundsätzlich einer Rechtsaufsicht unterliegt.
Nur so kann die rechtliche Bindung der Verwaltung, wie
vom Rechtsstaatsprinzip geboten, gesichert werden.
Außerdem wird bei einem Verzicht auf die Rechtsaufsicht
„die parlamentarische Lenkungs- und Kontrollmöglichkeit
sowie die Verantwortlichkeit und somit die
Effektivität der demokratischen Legitimation reduziert“.76
Man kann allerdings keine ausnahmslose Staatsaufsicht
über alle dezentralen Verwaltungsträger einfordern.77
Soweit es, wie bei Akkreditierungsverfahren, um wissenschaftsaffine
Stellungnahmen in Verfahren der Entscheidungsfindung
geht, lassen sich Ausnahmen von der
Rechtsaufsicht rechtfertigen. Da die Ablehnung der institutionellen
Akkreditierung nicht präjudiziell für die
Verweigerung der staatlichen Anerkennung ist, mag
man es für verfassungsrechtlich statthaft erachten, den
Wissenschaftsrat in einem aufsichts- und damit ministerialfreien
Raum78 zu belassen.
Bei aufsichts- und ministerialfreien Räumen sind die
hierdurch entstandenen Rechtsstaats- und Demokratiedefizite
nach Möglichkeit zu kompensieren79, was durch
Verfahren effektiver interner Rechtskontrolle gelingen
kann. Zudem sollte Rechtssicherheit durch eine Regelung
gestiftet werden, ob Klagen gegen den Wissenschaftsrat
als Behörde oder gegen dessen Rechtsträger
Bund und Länder zu richten sind. Naheliegend ist, wie in
Art. 3 Abs. 7 Studiengangsakkreditierungsstaatsvertrag80,
eine explizite Regelung des verwaltungsgerichtlichen
Rechtsschutzes.
c) Gesetzliche Regelung des Beschwerdeverfahrens
gegen Akkreditierungsentscheidungen des Wissenschaftsrates
Bei der landesgesetzlichen Umsetzung des Musterparagraphen
gibt es zwei Modelle der Regelung von
Beschwerdeverfahren gegen Akkreditierungsentscheidungen
des Wissenschaftsrates: Zum einen wird der
diesbezügliche Text des Musterparagraphen ohne weitere
verfahrensrechtliche Sicherungen in das Landesrecht
übernommen. Zum anderen wird das Beschwerdeverfahren
im Wissenschaftsrecht eigenständig durch landesrechtliche
Verordnung geregelt. Eine solche Verordnungsermächtigung
findet sich in § 72 Abs. 4 NRW HG:
„Zur Sicherung der Qualität in Studium, Forschung und
Lehre sowie der Grundrechte des Trägers der Hochschule,
deren staatliche Anerkennung beantragt ist oder die
staatlich anerkannt ist, regelt das Ministerium das Nähere
zum Verfahren der Konzeptprüfung, der institutionellen
Akkreditierung … durch Rechtsverordnung. In der
Rechtsverordnung sind insbesondere Regelungen zu
treffen über - die Mitwirkung des Trägers der Hochschule in den
Verfahren nach Satz 1, - die mehrheitlich mit externen, unabhängigen, fachlich
einschlägig qualifizierten Hochschullehrerinnen
und Hochschullehrern besetzte Gutachterkommission
des Wissenschaftsrates oder der vergleichbaren,
vom Ministerium benannten Einrichtung, - die Rechte der Hochschule und ihres Trägers betreffend
die Gelegenheit, vor der abschließenden Entscheidung
in den Verfahren nach Satz 1 Stellung zu
nehmen, - die Einrichtung einer der Beilegung von Streitfällen
dienenden internen Beschwerdestelle des Wissenschaftsrates
oder der vergleichbaren, vom Ministerium
benannten Einrichtung, - die Zustimmung zumindest eines mehrheitlich mit
externen Hochschullehrerinnen und Hochschulleh-
75 Im Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern über die
Errichtung eines Wissenschaftsrates in der ab 1.1.2008 geltenden
Fassung finden sich keine Regelungen der Rechtsaufsicht.
76 Grzeszick, in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: - EL Oktober 2020, Art. 20 GG Rn. 198.
77 Krebs, Verwaltungsorganisation, in Isensee/Kirchhof (Hg.),
Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 108 Rn. 46;
Schröder, Grundfragen der Aufsicht in der öffentlichen Verwaltung,
JuS 1986, 371 ff.; Wolfgang Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S.
472 ff.
78 Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 33. Aufl. 2018, §
42 Rn. 12 ff. mit Nachw.
79 Grzeszick, in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: - EL Oktober 2020, Art. 20 GG Rn. 200.
80 https://www.akkreditierungsrat.de/sites/default/files/downloads/
2019/Studienakkreditierungsstaatsvertrag.pdf (abgerufen
am 9. 7. 2021).
Würtenberger · Zur Reform der staatlichen Anerkennung 2 3 1
rern besetzen Gremiums des Wissenschaftsrates
oder der vergleichbaren, vom Ministerium Einrichtung
als Voraussetzung für die abschließende Entscheidung
in den Verfahren nach Satz 1…..“.
Durch diese Regelung wird den Anforderungen der
verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung Rechnung getragen,
dass, wie soeben zitiert, die „Wissenschaftsfreiheit
durch den Gesetzgeber in Systemen der Qualitätskontrolle
jedenfalls prozedural und organisatorisch zu
sichern“ sei. Bemerkenswert an dieser Regelung ist, dass
der Landesgesetzgeber nunmehr für sich die Kompetenz
in Anspruch nimmt, das Verfahren der Bund-Länder-
Behörde Wissenschaftsrat in allen Einzelheiten zu
regeln.
VI. Schlussbemerkung
Trotz bisweilen geäußerter Detailkritik ist es eine bemerkenswerte
und gewichtige Leistung des Wissenschaftsrates,
den wachsenden Markt der privaten Hochschulen
auf die Achtung der Werte und Leitideen einer wissenschaftsorientierten
Hochschulorganisation zu verpflichten.
Dass dabei „aufsichtlich“ zu handeln ist, gehört zu
den Selbstverständlichkeiten von Marktregulierungen.
Für das Verhältnis von Staat zu Hochschule wird allerdings
auch ein hochschulfreundliches Verhalten gefordert.
81 Dass der Musterparagraph Anreize für ein hochschulfreundliches
Verhalten des Wissenschaftsrates oder
der zuständigen Ministerien geben würde, kann man
kaum sehen. Wünschenswert wäre die Institutionalisierung
eines Dialogs mit den Hochschulen, der auf eine
Optimierung ihrer Fähigkeiten in Forschung und Lehre
zielt.
Thomas Würtenberger ist Professor an der Albert-Ludwigs-
Universität Freiburg und Leiter der Forschungsstelle
für Hochschulrecht und Hochschularbeitsrecht
81 Gärditz, in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: - EL Oktober 2020, Art. 5 Abs. 3 GG Rn. 156
2 3 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 1 7 — 2 3 2