I. Einleitung
Entgegen der Behauptung, das Staatsexamen sei ein seit über 150 Jahren wider besseres Wissen reformresistentes Instrument zur Gängelung des juristischen Nachwuchses, ist die deutsche juristische Ausbildung, deren Qualität europa- und weltweit höchstes Ansehen genießt, oft Gegenstand von Anpassungen und Reformen gewesen. Der Deutsche Juristen-Fakultätentag (DJFT) hat diese in den letzten Jahrzehnten mehrfach angestoßen und stets intensiv begleitet.1
In den 1960er Jahren ging es um die Fächerkataloge der Prüfungsordnungen und die Vereinheitlichung der Juristenausbildung. In den 1970ern war man mit Kapazitätsproblemen und der – willkürlichen – Festsetzung des sogenannten curricularen Normwerts 1976 auf 1,5 konfrontiert. Der DJFT hat sich – leider nur zum Teil erfolgreich – um eine Erhöhung dieses Werts bemüht, doch noch heute leiden wir in besonderem Maße unter der im Verhältnis zu anderen Studiengängen schlechten Betreuungsrelation, die von einer chronischen Unterfinanzierung der Fakultäten begleitet wird. Anfang der 1990er Jahre wurden studienbegleitende Leistungskontrollen eingeführt und, im Rahmen der Bemühungen um eine Studienzeitverkürzung, der Freiversuch, der als erfolgreiches Anreizmodell gelten darf. Mitte der 1990er Jahre wurde – mit dem Versuch, die Lehre von spezifischen juristischen Bereichen an Fachhochschulen anzusiedeln – die Wissenschaftlichkeit und die Einheit des Studiums in Frage gestellt. Im Bologna-Prozess redeten manche einer Verschulung des Studiums unter riesigem bürokratischem Aufwand das Wort. Der Juristen-Fakultätentag konnte das Staatsexamen gegen die Umstellung auf das Bologna-System unter der Leitung seiner Vorsitzenden Peter Huber und Henning Radtke zusammen mit dem Bundesjustizministerium, den Justizministerien der Länder, den Vertretungen der juristischen Berufe und der Bundesfachschaft Jura erfolgreich verteidigen.2 Anfang der 2000er Jahre hat sich der DJFT für die Etablierung des Schwerpunktbereichsstudiums eingesetzt. Die sogenannten Schlüsselqualifikationen wurden 2003 im Deutschen Richtrgesetz (DRiG) aufgenommen. Letztes Jahr wurde § 5a Abs. 2 DRiG dahingehend ergänzt, dass die Vermittlung der Pflichtfächer auch in Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht und dem Unrecht der SED-Diktatur erfolgt.3 In § 5a Abs. 3 wurde explizit darauf verwiesen, dass die Inhalte des Studiums die ethischen Grundlagen des Rechts berücksichtigen und die Fähigkeit zur kritischen Reflexion des Rechts fördern sollen. Die Formulierung im Gesetz geht zum Teil auf den Vorschlag des DJFT zurück.4 Auch die Möglichkeiten der sogenannten E‑Klausur und des Teilzeitreferendariats wurden eingeführt, ebenso vor einigen Jahren eine längere Dauer der Anwaltsstation während des Referendariats. Schließlich dürfen die im Laufe der Jahre wiederholten Reduzierungen des Prüfungsstoffes nicht unerwähnt bleiben, zuletzt auf der Grundlage eines Stoffkatalogs, der 2017 von der Justizministerkonferenz gebilligt worden ist und auf einen Vorschlag des Ausschuss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung (Koordinierungsausschuss) zurückgeht, auf den der DJFT zum Teil einwirken konnte.5 Die Umsetzung in den Prüfungsordnungen der Länder dürfte mittlerweile überall abgeschlossen sein.
II. Aktuelle Herausforderungen der juristischen Ausbildung
- Dem negativen Narrativ mit Fakten entgegentreten
Seit einiger Zeit tragen Teile der Studierenden im Hinblick auf das Jura-Studium gleichwohl vermehrt UnsiTiziana
Chiusi
Themen und Perspektiven der juristischen Ausbildung*
- Der Beitrag knüpft an den Artikel an, der am 30. Juni 2022 in der F.A.Z. unter dem Titel „Ein Jodel-Diplom?“ erschienen ist.
1 Umfassend zu den Reformen bis Mitte der 1990er Jahre Knemeyer/Hadding/Lange/Walz/Werner (Hrsg.), 75 Jahre Deutscher Juristen-Fakultätentag, 2. Aufl. 1995.
2 Deutscher Juristen-Fakultätentag (Hrsg.), Der »Bologna-Prozess« und die Juristenausbildung in Deutschland, Veröffentlichungen des Deutschen Juristen-Fakultätentages, 2005/2006.
3 Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften v. 25.06.2021, BGBl. 2021, I, S. 2154.
4 Beschluss des DJFT 2018/II Nr. 4; die hier und im Folgenden nur mit „DJFT“ zitierten Beschlüsse des DJFT ab 2006 sind auf der Webseite der Interessenvertretung zugänglich.
5 Bericht des Ausschusses der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung, November 2017, abrufbar unter: https://www.djft.de/wp-content/uploads/2019/03/2017–10-02-Gesamtbericht-endg%E2%94%9C%E2%95%9Dltige-Fassung‑1.pdf (letzter Zugriff am 02.12.2022).
Ordnung der Wissenschaft 2023, ISSN 2197–9197
4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 — 1 6
6 Bundesamt für Justiz, Ausbildungsstatistik zur Juristenausbildung
über die Ergebnisse der Pflichtfachprüfung im Jahr 2019,
abrufbar unter: https://www.bundesjustizamt.de/SharedDocs/
Downloads/DE/Justizstatistik/Juristenausbildung_2019.pdf?__
blob=publicationFile&v=3 (letzter Zugriff am 02.12.2022).
7 So Heublein/Hutzsch/Schmelzer, DZHW Brief 05/2022: „Die
Entwicklung der Studienabbruchquoten in Deutschland“, S. 5
und 12; insb. auf S.12: Die Studienabbruchquote gibt danach den
Anteil der Studienanfänger eines Jahrgangs an, die ihr Erststudium
beenden, ohne einen Abschluss zu erwerben. Mit einem
„Studienabbruch“ fließen also nur Personen in die Betrachtung
ein, die durch Immatrikulation ein Erststudium an einer
deutschen Hochschule aufgenommen haben, aber das deutsche
Hochschulsystem ohne (ersten) Abschluss verlassen. Fachwechsel,
Hochschulwechsel wie auch ein erfolgloses Zweitstudium gelten
hingegen nicht als Studienabbruch. Aus diesem Grund zu Recht
kritisch Kilian, Juristenausbildung, S. 101: „wenig hilfreich“. Dieser
nennt als mögliche Hintergründe der Studienabbruchquote etwa
die im Vergleich zu anderen Studiengängen weniger starke Zugangsbeschränkung
oder dass Schulabgänger mit der Rechtswissenschaft
im Rahmen der sekundären Ausbildung, anders als mit
vielen anderen Studienfächern, nicht in Berührung gekommen
sind, vgl. S. 103 f.
8 So jedenfalls Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider, Die Ursachen
des Studienabbruchs in den Studiengängen des Staatsexamens
Jura. Eine Analyse auf Basis einer Befragung der Exmatrikulierten
vom Sommersemester 2014. DZHW-Projektbericht 2017, S. 2.
9 Von 11.176 im Jahr 2009 über 11.848 im Jahr 2013 und 14.011 im
Jahr 2016 zu zuletzt 14.278 im Jahr 2019 vgl. Bundesamt für Justiz,
Ausbildungsstatistiken zur Juristenausbildung über die Ergebnisse
der Pflichtfachprüfung, abrufbar unter: https://www.bundesjustizamt.
de/DE/Service/Justizstatistiken/Justizstatistiken_node.
html#AnkerDokument44060 (letzter Zugriff am 02.12.2022).
10 Der Tagungsband mit dem Titel „Das hundertjährige Jubiläum
des Deutschen Juristen-Fakultätentags“ ist in Vorbereitung.
cherheiten und Zweifel in die Öffentlichkeit. Der Umfang
des Prüfungsstoffs wird angeprangert und die Anforderungen
in der Ersten Juristischen Prüfung werden als zu
hoch empfunden.
Zwar zeigen die Prüfungsergebnisse, dass hohe, aber
keine unerfüllbaren Anforderungen an die Examenskandidaten
gestellt werden. Nach den Daten des Bundesministeriums
der Justiz haben im Jahr 2019 nur 3,9
Prozent der geprüften Kandidaten die Erste Juristische
Prüfung endgültig nicht bestanden.6 Die regelmäßig
durch das Bundesamt für Justiz veröffentlichten Durchfallquoten
der letzten fünf Jahre bewegen sich mit einem
durchschnittlichen Wert von 4,7 Prozent ebenfalls in einem
sehr niedrigen Bereich. Das Argument, darin seien
die Abbrecher oder diejenigen, die auf einen zweiten
Versuch (oder einen dritten, wenn der Freiversuch wahrgenommen
wurde) verzichten, nicht berücksichtigt, ist
für die Beurteilung des Schwierigkeitsgrads der Anforderungen
nicht wirklich einschlägig. Denn zum einen
liegt die Studienabbruchquote in der Rechtswissenschaft
– ungeachtet der Problematik der genauen Ermittlung
und damit Aussagekraft eines solchen Wertes – mit 35
Prozent gerade im universitären Durchschnitt.7 Zum anderen
ist die Entscheidung, nicht noch einmal anzutreten,
obwohl es möglich wäre, eine persönliche, subjektive
Wahl, der kaum ein objektivierender Charakter hinsichtlich
der „Machbarkeit“ der Prüfung zugeordnet
werden kann. Auch lassen sich die subjektiven Entscheidungen
für einen Studienabbruch nach der in diesem
Zusammenhang oft bemühten Statistik nicht auf einen
einzigen Grund zurückführen und unterscheiden sich
im Vergleich zu den anderen universitären Studiengängen
nicht wesentlich.8 Mögen manche Studierende auf
einen zweiten oder gar dritten Versuch der Ersten Juristischen
Prüfung verzichten, haben andere in einem
Zweit- oder Drittversuch Erfolg und zeigen, dass die Bewältigung
des Prüfungsdrucks möglich ist. Im Übrigen
ist die absolute Zahl der erfolgreich geprüften Rechtskandidaten
nach den veröffentlichten Statistiken der
letzten zehn Jahre sogar deutlich gestiegen.9
Das Vortragen der Erfolgs- oder Misserfolgsdaten
wird aber nicht genügen, um die Ängste und Zweifel zu
besiegen, die viele Studierende in der Prüfungsphase
und sogar schon während des Studiums entwickeln, zumal
es schwierig ist, Gefühle mit Prozentzahlen zu bekämpfen.
Es bedarf von Seiten der Fakultäten vielmehr
einer starken Antwort inhaltlicher Natur auf die Unsicherheiten
der Studierenden: Zwar werden die Prüfungsformate
der Ersten Juristischen Prüfung dem
Zweck, Fertigkeiten und Fähigkeiten der Kandidaten für
die juristischen Berufe festzustellen, grundsätzlich gut
gerecht. Es geht hier nämlich darum – was manchmal in
der Diskussion über die Schwierigkeit des Studiums und
der Prüfung ausgeblendet wird –, die fachliche Eignung
für die Ausübung von Berufen zu ermitteln, in denen oft
Entscheidungen zu treffen sind, die für die Freiheit oder
den Verlauf des Lebens von Menschen maßgeblich sein
können. Doch das bedeutet selbstverständlich nicht,
dass das Studium in mancher Hinsicht nicht verbesserungsfähig
und anpassungsbedürftig sein kann.
Diese Herausforderung, den Studierenden eine Lösung
inhaltlicher Natur bereitzustellen, hat den DJFT als
Interessenvereinigung der 44 deutschen juristischen Fakultäten
und elf deutschsprachigen Fakultäten aus Österreich,
der Schweiz und Ungarn zuletzt anlässlich seines
100-jährigen Jubiläums auf dem Juristen-Fakultätentag
in Karlsruhe im Jahr 2021 beschäftigt.10 Außerdem
wurde der folgende 101. DJFT in Saarbrücken in mehrfacherer
Hinsicht der Verbesserung des Studiums gerade
mit Blick auf die Prüfungsphase gewidmet.
Chiusi · Themen und Perspektiven der juristischen Ausbildung 5
11 DJFT 2022/1 Nr. 1.
12 DJFT 2022/1 Nr. 1.
13 Die Angebote der Mitgliedsfakultäten zur Examensvorbereitung
sind auf der Webseite des DJFT einsehbar, s. https://www.djft.de/
wp-content/uploads/2022/07/Examensangebote-der-Fakultaeten.
pdf (letzter Zugriff 02.12.2022).
14 DJFT 2022/1 Nr. 2.
15 Um nur einige zu nennen: Workshop „Fit und ohne Stress ins
Examen“ der Universität in Augsburg, Stressbewältigungskurs
in der Examensvorbereitung der Universität in Bayreuth oder
– gleichnamig – der Universität in Marburg, Stresskompetenzseminar
der Universität in Konstanz oder Workshop der Psychosozialen
Beratungsstelle der Universität in Osnabrück.
16 Ein solches Angebot existiert etwa an den Universitäten in Bielefeld,
Bochum, Münster und Trier.
Der Prüfungsdruck vor und in der ersten Staatsprüfung
ist schließlich nachvollziehbar: Innerhalb von zwei
Wochen wird eine Fülle an Wissen abgefragt und das
Ergebnis der Prüfung spielt eine wichtige Rolle für den
weiteren Verlauf der Karriere, auch wenn das Gerücht,
man bräuchte unbedingt exzellente Prüfungsergebnisse,
um eine gute berufliche Einstellung zu erreichen, durch
die aktuell günstige Marktsituation so gut wie obsolet
geworden ist und nicht dadurch wahr wird, dass es wiederholt
wird.
- Effektive
I. Einleitung
Entgegen der Behauptung, das Staatsexamen sei ein seit über 150 Jahren wider besseres Wissen reformresistentes Instrument zur Gängelung des juristischen Nachwuchses, ist die deutsche juristische Ausbildung, deren Qualität europa- und weltweit höchstes Ansehen genießt, oft Gegenstand von Anpassungen und Reformen gewesen. Der Deutsche Juristen-Fakultätentag (DJFT) hat diese in den letzten Jahrzehnten mehrfach angestoßen und stets intensiv begleitet.1
In den 1960er Jahren ging es um die Fächerkataloge der Prüfungsordnungen und die Vereinheitlichung der Juristenausbildung. In den 1970ern war man mit Kapazitätsproblemen und der – willkürlichen – Festsetzung des sogenannten curricularen Normwerts 1976 auf 1,5 konfrontiert. Der DJFT hat sich – leider nur zum Teil erfolgreich – um eine Erhöhung dieses Werts bemüht, doch noch heute leiden wir in besonderem Maße unter der im Verhältnis zu anderen Studiengängen schlechten Betreuungsrelation, die von einer chronischen Unterfinanzierung der Fakultäten begleitet wird. Anfang der 1990er Jahre wurden studienbegleitende Leistungskontrollen eingeführt und, im Rahmen der Bemühungen um eine Studienzeitverkürzung, der Freiversuch, der als erfolgreiches Anreizmodell gelten darf. Mitte der 1990er Jahre wurde – mit dem Versuch, die Lehre von spezifischen juristischen Bereichen an Fachhochschulen anzusiedeln – die Wissenschaftlichkeit und die Einheit des Studiums in Frage gestellt. Im Bologna-Prozess redeten manche einer Verschulung des Studiums unter riesigem bürokratischem Aufwand das Wort. Der Juristen-Fakultätentag konnte das Staatsexamen gegen die Umstellung auf das Bologna-System unter der Leitung seiner Vorsitzenden Peter Huber und Henning Radtke zusammen mit dem Bundesjustizministerium, den Justizministerien der Länder, den Vertretungen der juristischen Berufe und der Bundesfachschaft Jura erfolgreich verteidigen.2 Anfang der 2000er Jahre hat sich der DJFT für die Etablierung des Schwerpunktbereichsstudiums eingesetzt. Die sogenannten Schlüsselqualifikationen wurden 2003 im Deutschen Richtrgesetz (DRiG) aufgenommen. Letztes Jahr wurde § 5a Abs. 2 DRiG dahingehend ergänzt, dass die Vermittlung der Pflichtfächer auch in Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht und dem Unrecht der SED-Diktatur erfolgt.3 In § 5a Abs. 3 wurde explizit darauf verwiesen, dass die Inhalte des Studiums die ethischen Grundlagen des Rechts berücksichtigen und die Fähigkeit zur kritischen Reflexion des Rechts fördern sollen. Die Formulierung im Gesetz geht zum Teil auf den Vorschlag des DJFT zurück.4 Auch die Möglichkeiten der sogenannten E‑Klausur und des Teilzeitreferendariats wurden eingeführt, ebenso vor einigen Jahren eine längere Dauer der Anwaltsstation während des Referendariats. Schließlich dürfen die im Laufe der Jahre wiederholten Reduzierungen des Prüfungsstoffes nicht unerwähnt bleiben, zuletzt auf der Grundlage eines Stoffkatalogs, der 2017 von der Justizministerkonferenz gebilligt worden ist und auf einen Vorschlag des Ausschuss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung (Koordinierungsausschuss) zurückgeht, auf den der DJFT zum Teil einwirken konnte.5 Die Umsetzung in den Prüfungsordnungen der Länder dürfte mittlerweile überall abgeschlossen sein.
II. Aktuelle Herausforderungen der juristischen Ausbildung
- Dem negativen Narrativ mit Fakten entgegentreten
Seit einiger Zeit tragen Teile der Studierenden im Hinblick auf das Jura-Studium gleichwohl vermehrt UnsiTiziana
Chiusi
Themen und Perspektiven der juristischen Ausbildung*
- Der Beitrag knüpft an den Artikel an, der am 30. Juni 2022 in der F.A.Z. unter dem Titel „Ein Jodel-Diplom?“ erschienen ist.
1 Umfassend zu den Reformen bis Mitte der 1990er Jahre Knemeyer/Hadding/Lange/Walz/Werner (Hrsg.), 75 Jahre Deutscher Juristen-Fakultätentag, 2. Aufl. 1995.
2 Deutscher Juristen-Fakultätentag (Hrsg.), Der »Bologna-Prozess« und die Juristenausbildung in Deutschland, Veröffentlichungen des Deutschen Juristen-Fakultätentages, 2005/2006.
3 Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften v. 25.06.2021, BGBl. 2021, I, S. 2154.
4 Beschluss des DJFT 2018/II Nr. 4; die hier und im Folgenden nur mit „DJFT“ zitierten Beschlüsse des DJFT ab 2006 sind auf der Webseite der Interessenvertretung zugänglich.
5 Bericht des Ausschusses der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung, November 2017, abrufbar unter: https://www.djft.de/wp-content/uploads/2019/03/2017–10-02-Gesamtbericht-endg%E2%94%9C%E2%95%9Dltige-Fassung‑1.pdf (letzter Zugriff am 02.12.2022).
Ordnung der Wissenschaft 2023, ISSN 2197–9197
4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 — 1 6
6 Bundesamt für Justiz, Ausbildungsstatistik zur Juristenausbildung
über die Ergebnisse der Pflichtfachprüfung im Jahr 2019,
abrufbar unter: https://www.bundesjustizamt.de/SharedDocs/
Downloads/DE/Justizstatistik/Juristenausbildung_2019.pdf?__
blob=publicationFile&v=3 (letzter Zugriff am 02.12.2022).
7 So Heublein/Hutzsch/Schmelzer, DZHW Brief 05/2022: „Die
Entwicklung der Studienabbruchquoten in Deutschland“, S. 5
und 12; insb. auf S.12: Die Studienabbruchquote gibt danach den
Anteil der Studienanfänger eines Jahrgangs an, die ihr Erststudium
beenden, ohne einen Abschluss zu erwerben. Mit einem
„Studienabbruch“ fließen also nur Personen in die Betrachtung
ein, die durch Immatrikulation ein Erststudium an einer
deutschen Hochschule aufgenommen haben, aber das deutsche
Hochschulsystem ohne (ersten) Abschluss verlassen. Fachwechsel,
Hochschulwechsel wie auch ein erfolgloses Zweitstudium gelten
hingegen nicht als Studienabbruch. Aus diesem Grund zu Recht
kritisch Kilian, Juristenausbildung, S. 101: „wenig hilfreich“. Dieser
nennt als mögliche Hintergründe der Studienabbruchquote etwa
die im Vergleich zu anderen Studiengängen weniger starke Zugangsbeschränkung
oder dass Schulabgänger mit der Rechtswissenschaft
im Rahmen der sekundären Ausbildung, anders als mit
vielen anderen Studienfächern, nicht in Berührung gekommen
sind, vgl. S. 103 f.
8 So jedenfalls Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider, Die Ursachen
des Studienabbruchs in den Studiengängen des Staatsexamens
Jura. Eine Analyse auf Basis einer Befragung der Exmatrikulierten
vom Sommersemester 2014. DZHW-Projektbericht 2017, S. 2.
9 Von 11.176 im Jahr 2009 über 11.848 im Jahr 2013 und 14.011 im
Jahr 2016 zu zuletzt 14.278 im Jahr 2019 vgl. Bundesamt für Justiz,
Ausbildungsstatistiken zur Juristenausbildung über die Ergebnisse
der Pflichtfachprüfung, abrufbar unter: https://www.bundesjustizamt.
de/DE/Service/Justizstatistiken/Justizstatistiken_node.
html#AnkerDokument44060 (letzter Zugriff am 02.12.2022).
10 Der Tagungsband mit dem Titel „Das hundertjährige Jubiläum
des Deutschen Juristen-Fakultätentags“ ist in Vorbereitung.
cherheiten und Zweifel in die Öffentlichkeit. Der Umfang
des Prüfungsstoffs wird angeprangert und die Anforderungen
in der Ersten Juristischen Prüfung werden als zu
hoch empfunden.
Zwar zeigen die Prüfungsergebnisse, dass hohe, aber
keine unerfüllbaren Anforderungen an die Examenskandidaten
gestellt werden. Nach den Daten des Bundesministeriums
der Justiz haben im Jahr 2019 nur 3,9
Prozent der geprüften Kandidaten die Erste Juristische
Prüfung endgültig nicht bestanden.6 Die regelmäßig
durch das Bundesamt für Justiz veröffentlichten Durchfallquoten
der letzten fünf Jahre bewegen sich mit einem
durchschnittlichen Wert von 4,7 Prozent ebenfalls in einem
sehr niedrigen Bereich. Das Argument, darin seien
die Abbrecher oder diejenigen, die auf einen zweiten
Versuch (oder einen dritten, wenn der Freiversuch wahrgenommen
wurde) verzichten, nicht berücksichtigt, ist
für die Beurteilung des Schwierigkeitsgrads der Anforderungen
nicht wirklich einschlägig. Denn zum einen
liegt die Studienabbruchquote in der Rechtswissenschaft
– ungeachtet der Problematik der genauen Ermittlung
und damit Aussagekraft eines solchen Wertes – mit 35
Prozent gerade im universitären Durchschnitt.7 Zum anderen
ist die Entscheidung, nicht noch einmal anzutreten,
obwohl es möglich wäre, eine persönliche, subjektive
Wahl, der kaum ein objektivierender Charakter hinsichtlich
der „Machbarkeit“ der Prüfung zugeordnet
werden kann. Auch lassen sich die subjektiven Entscheidungen
für einen Studienabbruch nach der in diesem
Zusammenhang oft bemühten Statistik nicht auf einen
einzigen Grund zurückführen und unterscheiden sich
im Vergleich zu den anderen universitären Studiengängen
nicht wesentlich.8 Mögen manche Studierende auf
einen zweiten oder gar dritten Versuch der Ersten Juristischen
Prüfung verzichten, haben andere in einem
Zweit- oder Drittversuch Erfolg und zeigen, dass die Bewältigung
des Prüfungsdrucks möglich ist. Im Übrigen
ist die absolute Zahl der erfolgreich geprüften Rechtskandidaten
nach den veröffentlichten Statistiken der
letzten zehn Jahre sogar deutlich gestiegen.9
Das Vortragen der Erfolgs- oder Misserfolgsdaten
wird aber nicht genügen, um die Ängste und Zweifel zu
besiegen, die viele Studierende in der Prüfungsphase
und sogar schon während des Studiums entwickeln, zumal
es schwierig ist, Gefühle mit Prozentzahlen zu bekämpfen.
Es bedarf von Seiten der Fakultäten vielmehr
einer starken Antwort inhaltlicher Natur auf die Unsicherheiten
der Studierenden: Zwar werden die Prüfungsformate
der Ersten Juristischen Prüfung dem
Zweck, Fertigkeiten und Fähigkeiten der Kandidaten für
die juristischen Berufe festzustellen, grundsätzlich gut
gerecht. Es geht hier nämlich darum – was manchmal in
der Diskussion über die Schwierigkeit des Studiums und
der Prüfung ausgeblendet wird –, die fachliche Eignung
für die Ausübung von Berufen zu ermitteln, in denen oft
Entscheidungen zu treffen sind, die für die Freiheit oder
den Verlauf des Lebens von Menschen maßgeblich sein
können. Doch das bedeutet selbstverständlich nicht,
dass das Studium in mancher Hinsicht nicht verbesserungsfähig
und anpassungsbedürftig sein kann.
Diese Herausforderung, den Studierenden eine Lösung
inhaltlicher Natur bereitzustellen, hat den DJFT als
Interessenvereinigung der 44 deutschen juristischen Fakultäten
und elf deutschsprachigen Fakultäten aus Österreich,
der Schweiz und Ungarn zuletzt anlässlich seines
100-jährigen Jubiläums auf dem Juristen-Fakultätentag
in Karlsruhe im Jahr 2021 beschäftigt.10 Außerdem
wurde der folgende 101. DJFT in Saarbrücken in mehrfacherer
Hinsicht der Verbesserung des Studiums gerade
mit Blick auf die Prüfungsphase gewidmet.
Chiusi · Themen und Perspektiven der juristischen Ausbildung 5
11 DJFT 2022/1 Nr. 1.
12 DJFT 2022/1 Nr. 1.
13 Die Angebote der Mitgliedsfakultäten zur Examensvorbereitung
sind auf der Webseite des DJFT einsehbar, s. https://www.djft.de/
wp-content/uploads/2022/07/Examensangebote-der-Fakultaeten.
pdf (letzter Zugriff 02.12.2022).
14 DJFT 2022/1 Nr. 2.
15 Um nur einige zu nennen: Workshop „Fit und ohne Stress ins
Examen“ der Universität in Augsburg, Stressbewältigungskurs
in der Examensvorbereitung der Universität in Bayreuth oder
– gleichnamig – der Universität in Marburg, Stresskompetenzseminar
der Universität in Konstanz oder Workshop der Psychosozialen
Beratungsstelle der Universität in Osnabrück.
16 Ein solches Angebot existiert etwa an den Universitäten in Bielefeld,
Bochum, Münster und Trier.
Der Prüfungsdruck vor und in der ersten Staatsprüfung
ist schließlich nachvollziehbar: Innerhalb von zwei
Wochen wird eine Fülle an Wissen abgefragt und das
Ergebnis der Prüfung spielt eine wichtige Rolle für den
weiteren Verlauf der Karriere, auch wenn das Gerücht,
man bräuchte unbedingt exzellente Prüfungsergebnisse,
um eine gute berufliche Einstellung zu erreichen, durch
die aktuell günstige Marktsituation so gut wie obsolet
geworden ist und nicht dadurch wahr wird, dass es wiederholt
wird.
- Effektive Examensvorbereitung durch die juristischen
Fakultäten
Um der Furcht der Studierenden vorzubeugen, könnte
man z. B. damit anfangen, dass sich diejenigen unter uns
Lehrenden, die den anwesenden Zuhörern in der ersten
Vorlesung immer noch prophezeien, ihre Zahl werde
unweigerlich und rapide wegen intellektueller Überforderung
sinken, fragen, ob dies zur Steigerung der Motivation
der Studierenden geeignet und überhaupt für den
Erfolg der Vorlesung förderlich ist. Diesen soll vielmehr
in den Vorlesungen von Beginn an das Gefühl vermittelt
werden, dass die Professorenschaft auf ihrer Seite steht,
und ihnen sämtliche nützliche Informationen zur Verfügung
stellt, um sie bestmöglich und vor allem langfristig
auf das Examen vorzubereiten. Eine gewisse Unsicherheit
entsteht bereits bei dem Besuch der Vorlesungen im
Grundstudium, wenn die Studierenden der unteren
Semester zum ersten Mal mit der juristischen Abstraktion
konfrontiert werden. Um zu vermeiden, dass sich aus
dieser Unsicherheit eine wachsende Angst vor dem Examen
entwickelt, ist es notwendig, verstärkt im Studium
Veranstaltungen anzubieten, welche die Anwendung der
Theorie aus den Vorlesungen für Klausuren und Hausarbeiten
klar werden lassen.
Aber auch nach Abschluss des Grundstudiums dürfen
die Studierenden nicht mit der Examensvorbereitung
alleine gelassen werden: Es gehört zu den Kernaufgaben
der deutschen juristischen Fakultäten, die Studierenden
für die fachlichen und methodischen Anforderungen
der Ersten Juristischen Prüfung vorzubereiten.11
Die Fakultäten haben die der Examensvorbereitung dienenden
Programme in den vergangenen Jahren trotz enger
werdender finanzieller Spielräume deutlich ausgebaut.
Denn bei ihnen ist die Examensvorbereitung in
den besten Händen: Wir wissen, was wir prüfen – und
wir reden auch darüber.12 Das inzwischen etablierte Angebot
der Fakultäten umfasst die systematische Darstellung
des relevanten Stoffes in speziellen Vorlesungen
und Kursen ebenso wie die Vermittlung von Fallbearbeitungskompetenzen
in Klausurenkursen.13 Der Deutsche
Juristen-Fakultätentag begrüßt diese vielen zusätzlichen
Angebote ausdrücklich.14
Die Qualität von universitären Repetitorien ist regelmäßig
zu überprüfen und weiterzuentwickeln; diese
kann nämlich stark variieren, nicht nur von Fakultät zu
Fakultät, sondern auch innerhalb einzelner Fachsäulen
an den Fakultäten. Das Angebot an Veranstaltungen zur
Examensvorbereitung muss aus diesem Grund ständig
verbessert werden, um den Studierenden die Sicherheit
zu geben, auch ohne ein teures kommerzielles Repetitorium
gut vorbereitet in die Prüfungen zu gehen und ihnen,
soweit es möglich ist, die übertriebene Angst davor
zu nehmen. Das kann insbesondere durch die – bereits
an vielen Fakultäten existierenden – Angebote zur
Stressbewältigung geschehen.15 Begrüßenswert sind in
diesem Zusammenhang außerdem die Hilfestellungen,
die sich gezielt an die Repetenten richten, also diejenigen,
die bereits einmal gescheitert sind.16
In den Vertiefungsveranstaltungen und in den Uni-
Repetitorien sollte dabei nicht ohne Weiteres angenommen
werden, jegliche Inhalte stellten nur eine Wiederholung
dar: Diverse Bereiche, deren Inhalte eventuell für
die Grundvorlesungen zu abstrakt waren, gilt es hier intensiv
zu bearbeiten. Der Grund dafür liegt in dem Umstand,
dass viele Studierende, aufgrund der Fülle des zu
verarbeitenden Stoffes, bei der Vorbereitung der – mittlerweile
an allen Fakultäten mehr oder weniger zu findenden
– jeweiligen Abschlussklausuren für die einzelnen
Vorlesungen während des Studiums verleitet werden,
nur die für das Bestehen der jeweiligen Klausur essentiellen
Inhalte zu lernen und zu verinnerlichen. Die
Uni-Repetitorien sollen daher konsistent und über längere
Zeiträume Kurse anbieten, in denen die Möglichkeit
besteht, sämtliche Themengebiete intensiv zu behandeln
und die Studierenden auf dem Weg zum Examen länger6
O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 — 1 6
17 Towfigh/Traxler/Glöckner, Zur Benotung in der Examensvorbereitung
und im ersten Examen. Eine empirische Analyse, Zeitschrift
für Didaktik der Rechtswissenschaft 2014, S. 8, 12 ff.
18 DJFT 2022/II Nr. 2 und 3.
19 DJFT 2022/II Nr. 4; das Thema war schon im Jahr 2019 Gegenstand
eines Beschlusses, s. DJFT 2019/III.
fristig zu begleiten, um Problemen und Schwächen
nachhaltig auf den Grund zu gehen. Ein Crashkurs von
maximal einer oder zwei Wochen reicht lediglich zur
Stoffwiederholung kurz vor dem Examen aus. Zusätzlich
sollten die Programme zur Examensvorbereitung durch
ein kontinuierliches Angebot zur Anfertigung von Examensklausuren
sowie Probeexamina mit angemessener
Korrektur auf Examensniveau unterstützt werden. Gerade
die stetige Verbesserung und Versicherung durch das
Anfertigen von Klausuren auf Examensniveau unter Examensbedingungen
kann die Sicherheit der Studierenden
für die Prüfungstage bewiesenermaßen fördern.17
Die Realisierung und Intensivierung der in den Fakultäten
schon existierenden Programme ist freilich
nicht umsonst zu haben. Die chronisch unterfinanzierten
und personell unterbesetzten juristischen Fakultäten
arbeiten schon jetzt über das sich aus den vorhandenen
Stellen ergebende Lehrdeputat hinaus. Es ist daher notwendig,
die Ausstattung der Fakultäten zu verbessern;
dafür muss die Politik sensibilisiert werden. Schon jetzt
gilt aber für die Fakultäten, gezielt und bewusst alle vorhandenen
Kräfte zu mobilisieren, um ihre Studierenden
davon zu überzeugen, dass ein erfolgreiches Examen
ohne teures, kommerzielles Repetitorium möglich ist. - Geschürte Ängste
Kommerzielle Anbieter vermitteln den Studierenden
von Beginn an, dass ihr Examen nur durch den Besuch
des kostenpflichtigen Kurses erfolgreich sein kann, weil
dort jegliche höchstrichterliche Rechtsprechung besprochen
wird, sowohl die aktuellste als auch die, die in den
letzten Jahren in den deutschlandweit geschriebenen
Examensklausuren relevant war. Dabei wird verkannt,
dass die Kenntnis der logischen und systematischen
Denkgrundlagen erforderlich und ausreichend ist, um
anhand bekannter Argumentationsstrukturen eine
Lösung auch für unerwartete Fälle abzuleiten. Die Fakultäten
sollten den Studierenden daher von Beginn an vermitteln,
dass nur die Beherrschung der dogmatischen
und systematischen Grundstrukturen der Rechtsordnung
und der juristischen Argumentationstechnik wirklich
die Lösung von Fällen, auch der unbekannten, und
daher ein erfolgreiches Examen garantieren.
Darüber hinaus sollte deutlicher hervorgehoben werden,
dass im Examen keinesfalls das „Nachbeten“ einer
Musterlösung erwartet wird, sondern die Prüfungsleistung
gerade darin besteht, innerhalb der Kürze der vorgegebenen
Zeit eine vertretbare Lösung eigenständig
und vollständig auszuformulieren. Damit ist bei der Ersten
Juristischen Staatsprüfung nicht lediglich die Fähigkeit
gefragt, umfangreiches Wissen zu reproduzieren,
sondern es geht vielmehr darum, bekannte Strukturen in
einer Transferleistung auf unbekannte Sachverhalte anzuwenden
und gleichzeitig ein solides Zeitmanagement
an den Tag zu legen. - Stärkere professorale Beteiligung an der Ersten Juristischen
Staatsprüfung
Konsequent dazu ist, dass eine angemessene Beteiligung
von Professoren und Professorinnen an Gestaltung und
Durchführung des schriftlichen und mündlichen Examens
erfolgt. Der Prüfungsstil der Universität, die
methodische Herangehensweise, die Themen sind den
Examenskandidaten aus dem Studium vertraut; Examensklausurenvorschläge
seitens der Fakultäten stellen
die Verbindung zwischen universitärer Lehre und staatlicher
Prüfung her. Auch das ist geeignet, Ängste vor
dem Examen abzubauen.18 Die Praxis diesbezüglich ist
allerdings in den Bundesländern unterschiedlich.
Grundsätzlich sind die Fakultäten regelmäßig sowohl
bei der Erstellung als auch bei der Korrektur von Examensklausuren
beteiligt und in den mündlichen Prüfungskommissionen
vertreten. Das ist aber nicht überall
und vor allem nicht in der gleichen Art und Weise
gewährleistet, sowohl was den Umfang als auch was die
Prüfungsvergütung und die Vergütung für die Erstellung
von Aufgabenvorschlägen anbelangt. Deswegen hat der
DJFT im Juni per Beschluss bekräftigt,19 dass die Bundesländer,
soweit nicht schon geschehen, die Voraussetzung
dafür schaffen sollen, Professoren und Professorinnen
eine angemessene Vergütung für die Beteiligung am
staatlichen Teil der Ersten Juristischen Prüfung zu
gewähren, um so sicherzustellen, dass auch im Pflichtteil
der Ersten Juristischen Prüfung eine hohe universitäre
Beteiligung vorherrscht. - Digitalisierung in der Lehre
In die Diskussion über die Prüfungsmodalitäten, die
konkreten Antworten auf die Zweifel der Studierenden
und die aktuellen Perspektiven der juristischen AusbilChiusi
· Themen und Perspektiven der juristischen Ausbildung 7
20 Vgl. nunmehr § 5d Abs. 6 S. 2 DRiG.
21 In den Ländern Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt
besteht die Möglichkeit bereits; in Nordrhein-Westfalen sind die
Justizprüfungsämter ab 2024 verpflichtet, die Anfertigung der
Aufsichtsarbeiten in elektronischer Form zu ermöglichen, s. § 10
Abs. 1 JAG NRW.
dung hat der DJFT auf der 101. Tagung in Saarbrücken
darüber hinaus das Thema der Digitalisierung einbezogen.
Diese ist gleich in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung:
als Medium der Lehre, als Prüfungsgegenstand
und schließlich als Prüfungsformat selbst.
Die Pandemie hat die Anwendung von digitaler Lehre
sehr beschleunigt, wenn auch aus der Not heraus, um
Lehre überhaupt zu gewährleisten. Zwar besteht Konsens
darüber, dass die digitale Lehre die Präsenzlehre
nicht ersetzen kann und soll. So liegt doch eine grundlegende
Erfahrung aus der Corona-Zeit in der Bestätigung,
dass die Universität ein Ort der Begegnung von
Lehrenden und Lernenden ist, weil die Präsenz und der
analoge Austausch im persönlichen Gespräch für beide
Seiten unverzichtbar sind und dass der Austausch unter
den Studierenden essentieller Bestandteil des universitären
Lebens ist. Doch ist zu überlegen, wie die Erfahrungen
mit den Digitalformaten als reflektierte Bestandteile
der Lehre weiterhin sinnvoll und effektiv fruchtbar gemacht
werden können, auch nach dem Ende der pandemiebedingten
Beschränkungen und zwar vor dem Hintergrund
ihrer spezifischen Eigenschaften. So erlauben
die Digitalformate zum Beispiel Interaktionsformen
(Breakout-Sessions, Umfragen, Reaktionen per Chat
oder Emoticons), die sich durchaus positiv auf den Lernprozess
auswirken können, lassen aber Ablenkung und
Vereinsamung vor dem Bildschirm zu, was weder sinnvoll
noch wünschenswert ist. Soziale Isolation und fehlender
Austausch mit „Leidensgenossen“ insbesondere
in der Examensvorbereitung drohen so gesehen, die psychische
Belastung und Prüfungsängste gar zu
verstärken.
Schon jetzt umfasst das Studium – und damit die Erste
Juristische Prüfung – selbstverständlich Normen aus
dem Pflichtbereich des Bürgerlichen Rechts, des Öffentlichen
Rechts und des Strafrechts, die mit der Digitalisierung
zu tun haben (§§ 327 ff. BGB; §§ 3a, 35a VwVfG;
§§ 202a ff., §§ 303a ff. StGB). Bei diesen wird es sicher
nicht bleiben – die Themenvielfalt, der Umfang des Prüfungsstoffs,
die Anforderungen in der Ersten Juristischen
Prüfung und damit letztlich auch der angeprangerte
Prüfungsdruck werden erneut steigen. Die Studierenden
müssen auch im Hinblick darauf vorbereitet und
optimal mit dem nötigen Wissen ausgerüstet werden. Es
geht dabei nicht um die Fähigkeit, eigene Software zu erstellen
– dafür besteht kein Bedürfnis, auf dem Markt
gibt es spezialisierte Fachkräfte – sondern etwa darum,
den Umgang mit Informationen von automatisierten
Systemen prüfend zu betrachten und die Mechanismen
bewusst zur Kenntnis zu nehmen (v. a. die Verknüpfung
von Informationen), auf deren Basis Algorithmen Entscheidungen
treffen oder vorschlagen. Die Schwerpunktbereiche
bieten im Anschluss daran die Möglichkeit,
spezielleren Digitalisierungsfragen nachzugehen.
Darüber hinaus entwickelt sich der Bereich der Ergänzung
des juristischen Studiums durch Begleit- oder Aufbaustudiengänge
als Zusatzangebote. Hier können technische
Grundlagen wie Datenorganisation, Netzstrukturen,
Fragen der IT-Sicherheit etc. vermittelt werden. Die
zu alldem notwendige Kompetenz kann, falls sie (noch)
nicht in den Fakultäten ausreichend vorhanden ist,
durch Lehrbeauftragte aus der Praxis oder – dann digital
– durch eine Vernetzung von Lehrkräften, auch aus dem
Ausland, und Blockveranstaltungen integriert werden.
Diesbezüglich ist allerdings festzuhalten, dass es sich dabei
nicht um eine regelmäßige oder gar institutionelle
Übernahme von Vorlesungen an einer Fakultät durch
Kollegen und Kolleginnen aus einer anderen Fakultät
handeln kann, sondern nur um punktuelle Erweiterung
des Angebots durch spezifische Kompetenzen: Sinnvolle,
gute digitale Lehre erfordert mehr Mittel, nicht weniger,
sie darf jedenfalls nicht als Anlass zur Reduzierung der
Gesamtzahl von Lehrstühlen missbraucht werden.
Nachdem der Bundesgesetzgeber die Möglichkeit des
Computereinsatzes in der staatlichen Pflichtfachprüfung
explizit zugelassen hat,20 haben diese schon einige Bundesländer
für die Zweite Juristische Prüfung vorgesehen.
21 Die Entscheidung über einen Einsatz liegt zwar
nicht in der Kompetenz der Fakultäten, diese werden die
Studierenden aber auch darauf entsprechend vorbereiten
müssen: Es kann nicht verlangt werden, Klausuren
während des Studiums per Hand schreiben zu müssen
und sie in der staatlichen Pflichtfachprüfung in den
Computer einzutippen. Die Anschaffung von geeigneten
Textverarbeitungsgeräten und die Bereitstellung der logistischen
Infrastruktur (Tische, Räumlichkeiten, Stromnetz
etc.) wird nicht unerhebliche Kosten und organisatorische
Maßnahmen nach sich ziehen, die sicherlich
nicht aus den alles andere als üppigen Finanzen der Fakultäten
bestritten werden können. Da auch die Justizprüfungsämter
in den Prüfungsräumlichkeiten nicht
über die nötige Ausstattung verfügen und daher auch
dort entsprechende Anschaffungskosten anfallen werden,
wird die denkbare Umstellung von handgeschriebe8
O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 — 1 6
22 Vgl. dazu Lobinger, in: Schneider, LTO Karriere v. 19.11.2019, Digitalisierung
der Juristenausbildung: „Das elektronische Examen
ist eine Verführung“, abrufbar unter: https://www.lto.de/karriere/
jura-studium/stories/detail/e‑examen-klausur-laptop-debattekoeln-
verfuehrung-zukunft (letzter Zugriff 02.12.2022).
23 Fünftes Gesetz zur Änderung des DRiG v. 22.11.2019, BGBl. 2019,
I, S. 1755.
24 DJFT 2022/III a.
25 DJFT 2022/III b.
26 Das erste Modell wird z. B. in Bayern, Baden-Württemberg,
Niedersachsen und Rheinland-Pfalz praktiziert, das zweite in
Schleswig-Holstein, Berlin, Hamburg, Sachsen und Thüringen. Es
fällt auf, dass in denjenigen Ländern, die eine Notenverbesserung
auf Freiversuchler beschränken, der Anteil der Freiversuchler
überdurchschnittlich groß ist (über 50 Prozent z. B. in Berlin,
Hamburg, Sachsen, Thüringen und Schleswig-Holstein), während
er in denjenigen Ländern, die die Notenverbesserung unabhängig
vom Freiversuch ermöglichen, viel geringer ist (um die 20
Prozent in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und
Rheinland-Pfalz).
27 In den Jahren von 2014 bis 2019 lag z. B. in Schleswig-Holstein
– das von der Bundesfachschaft in der Podiumsdiskussion
anlässlich der Bundesfachschaftentagung 2022 in Hamburg als
Beispiel für die restriktive Notenverbesserungsregelung angeführt
wurde – der prozentuale Anteil der Kandidaten, die endgültig
nicht bestanden haben, drei Mal über und drei Mal unter dem
bundesweiten Gesamtdurchschnitt, vgl. Bundesamt für Justiz,
Ausbildungsstatistik zur Juristenausbildung über die Ergebnisse
der Pflichtfachprüfung, jeweils abrufbar unter: https://www.
bundesjustizamt.de/DE/Service/Justizstatistiken/Justizstatistiken_
node.html#AnkerDokument44060 (letzter Zugriff 02.12.2022).
28 DJFT 2021/I; 2021/II.
29 DJFT 2021/II Nr. 1 und 2.
30 In diese Richtung geht die im letzten Jahr erfolgte Erweiterung
des § 5a Abs. 2 DRiG, nach der „…die Vermittlung der Pflichtfächer
[…] auch in Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen
Unrecht und dem Unrecht der SED-Diktatur“ erfolgt.
nen auf computergetippte Examensklausuren auch in
dieser Hinsicht zu einer Herausforderung, bei der eine
sorgfältige Kosten-Nutzenanalyse vorangehen sollte.
Dem praktischen Nutzen (etwa bessere Lesbarkeit der
Klausuren, Einfachheit und Sicherheit der Übermittlung
der Klausuren an die Landesprüfungsämter, Umgang
mit elektronischen Medien), stehen nämlich die technischen
und ökonomischen Herausforderungen sowie die
möglichen Konsequenzen für die Denkstrukturen der
Studierenden beim Verzicht auf handgeschriebene Klausuren
und Lösungsskizzen gegenüber.22 Der DJFT steht
diesbezüglich in engem Austausch mit Vertretern der
Politik, den Studierendenvertretern und den Landesjustizprüfungsämtern,
um eine bestmögliche Lösung zu
garantieren. - Freiversuchsregelungen
Auch der letzte Beschluss des jüngsten Fakultätentages
war der Optimierung der Prüfungsmodalitäten zum
Zweck des Angstabbaus gewidmet. Die 2019 erfolgte
Verlängerung der Regelstudienzeit23 erfordert eine
Anpassung der Frist zur Meldung für den Freiversuch
auf das neunte Semester, was der DJFT gefordert hat.24
Daneben hat sich die Interessenvertretung dafür ausgesprochen,
die Möglichkeit der Notenverbesserung unabhängig
vom Zeitpunkt der Meldung für den Erstversuch
vorzusehen.25 Der im Rahmen der Problematik des psychischen
Drucks von der Bundesfachschaft geäußerte
Wunsch, die in den Bundesländern noch zum Teil unterschiedlich
geregelte Frei- und Verbesserungsversuchsregelung
zu harmonisieren, wird vom DJFT unterstützt.
Den Ländern, die eine Verbesserungsmöglichkeit nur
dann zulassen, wenn ein Freiversuch absolviert wurde,
nicht aber generell nach bestandenem Erstversuch, wird
daher empfohlen, den Verbesserungsversuch auch nach
bestandenem Erstversuch vorzusehen.26 Zwar hat die
restriktivere Regelung nur einen Einfluss auf die Möglichkeit,
die Note zu verbessern, sodass keine größere
Gefahr der Abschlusslosigkeit aufgrund dieser Regelung
besteht.27 Im Ergebnis steht den Kandidaten, die den
Freiversuch wahrnehmen, nämlich in beiden Modellen
nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen ein weiterer zur
Verfügung. Doch verleitet die restriktivere Regelung die
Studierenden dazu, auch dann in das Examen zu gehen,
wenn sie sich noch nicht genügend vorbereitet fühlen
(und möglicherweise sind), was sicherlich den Druck
und den Stress erhöht und zu schlechteren Ergebnissen
führen kann. - Wissenschaftlichkeit und Internationalisierung des
Studiums
In der Perspektive der Verbesserung und Vertiefung
des Studiums hat sich der Deutsche Juristen-Fakultätentag
gerade anlässlich seines in Karlsruhe gefeierten 100.
Jubiläums mit den Themen „Grundlagenfächer in der
Ausbildung“ und „Internationalisierung des Studiums“
beschäftigt und Beschlüsse dazu gefasst.28 Dabei wurde
betont, dass die Verbindung im rechtswissenschaftlichen
Studium zwischen dogmatischen Fächern und Grundlagenfächern
sich auf „die begrifflich-systematische Erfassung
der Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit sowie die
Verknüpfung zwischen Forschung und Praxis, zwischen
Dogmatik und theoriefundierter Rechtsanwendung“
gründet. Deswegen stellen sie „einen wesentlichen Teil
des Pflichtfachstudiums“ dar und „[…] sind maßgeblich
für die Verwirklichung des wissenschaftlichen Anspruchs
der juristischen Ausbildung an der Universität
[…]“.29 Die Auseinandersetzung mit Grundlagenwissen
soll daher nicht nur in separaten Lehrveranstaltungen,
sondern auch in der Lehre der dogmatischen Fächer30
Chiusi · Themen und Perspektiven der juristischen Ausbildung 9
31 DJFT 2021/II Nr. 3.
32 DJFT 2021/I Nr. 1.
33 DJFT 2021/I Nr. 3 und 4.
34 DJFT 2021/I Nr. 5 und 6.
35 DJFT 2004/II; 2005/I; 2006/I; 2007/I; 2008/I; 2010/I; 2011/I.
36 Deutscher Juristen-Fakultätentag, Der »Bologna-Prozess«, (o.
Anm. 2).
37 S. hierzu auch u. Anm. 56 und 57.
erfolgen und sich über das gesamte Studium
erstrecken.31
Hinsichtlich der Notwendigkeit einer weiteren Internationalisierung
des Studiums wurde in Karlsruhe betont,
wie sehr „die Europäisierung und Internationalisierung
des Studiums eine Voraussetzung des beruflichen
Erfolgs zukünftiger Generationen von Juristinnen und
Juristen“ sei.32 Deswegen sollen Auslandsaufenthalte
und deren BAföG-Förderung, Sprach- und Kulturkompetenz
sowie Kenntnisse ausländischer Rechtsordnungen
als wesentlicher Teil der juristischen Ausbildung
weiter ausgebaut werden und die im Ausland erworbenen
Leistungen bei gleichwertiger wissenschaftlicher
Qualität großzügig anerkannt werden. Denn der Erwerb
vergleichender Kenntnisse anderer Rechtsordnungen
weitet den Horizont und ermöglicht ein tieferes Verständnis
des nationalen Rechts.33 Schließlich sollte eine
zweite Fremdsprache bzw. eine juristische Fachsprache
das Studium ergänzen; der DJFT hat sich verpflichtet,
sich dafür einzusetzen, dass die Erweiterung des Fremdsprachenangebots
auch in den anderen Ländern der
Union angestrebt wird.34
III. Die Diskussion über den „integrierten“ Bachelor - Grundsätzliche Fragen
Ist man der Meinung, dass dem von den Studierenden
beklagten Druck zweckmäßig mit den oben genannten
inhaltlichen Maßnahmen, die gleichzeitig eine Verbesserung
der Studienbedingungen und der Studienergebnisse
darstellen, abgeholfen werden kann, steht man
der Fokussierung der Diskussion zum Angstabbau auf
den sogenannten „integrierten Bachelor“ ziemlich ratlos
gegenüber. Die Idee, einen Abschluss aufgrund des Umstandes
zu verleihen, dass der eigentlich avisierte und gewollte
nicht geschafft wurde, mutet nicht nur vor dem
Hintergrund der traditionellen Anforderungen der juristischen
Ausbildung mindestens seltsam, sondern auch
im Hinblick auf das Regelwerk des auf Bachelor/Master
basierenden Bologna-Systems beinahe arrogant an.
Als Argument für den „integrierten Bachelor“ wird
ausgeführt, dass der Druck und die Ängste der Studierenden
verschwänden, wenn nach drei Jahren Jura-Studium
ein juristischer Bachelor erworben werden könnte.
Es wird vorgebracht, damit wäre gerade die Angst vor
der Abschlusslosigkeit, die die Studierenden besonders
unter Druck setze, gebannt, denn man hätte auf jeden
Fall, d. h. auch beim Nichtbestehen der Ersten Juristischen
Staatsprüfung, etwas in der Hand. Dabei stellt sich
unweigerlich die Frage, was das für ein Abschluss wäre,
der als Trost dafür verliehen wird, dass man den eigentlich
angestrebten nicht erreicht hat? Welche Fertigkeiten
und Kompetenzen würde er amtlich dokumentieren?
Wozu würde er qualifizieren? Und vor allem: Ist ein zusätzlicher
Abschluss überhaupt geeignet, den Prüfungsdruck
der Studierenden nachhaltig zu mindern oder
werden damit nicht mehr Probleme geschaffen als
gelöst?
Der Deutsche Juristen-Fakultätentag hat sich aus guten
Gründen mehrmals gegen die Einführung eines Bachelors
als flächendeckenden regulären Abschluss der
juristischen Ausbildung ausgesprochen.35 Im Zuge des
Bologna-Prozesses wurde bewusst darauf verzichtet, die
auf den Staatsexamina basierende juristische Ausbildung
in einen Bachelor-Master-Studiengang umzuwandeln.
Die Mitglieder der juristischen Fakultäten, d. h. Lehrende
und Lernende, zusammen mit den Justizministerien
der Länder und dem Bundesjustizministerium kämpften
gemeinsam, am Ende erfolgreich, gegen die Umstellung
des Jura-Studiums auf „Bologna“.36 Die Erfahrung der
letzten Jahre in den anderen Fakultäten, die das
„Bologna“-Modell übernommen haben, hat die Richtigkeit
der damals ausgetauschten Argumente bestätigt.
Weder ist die Mobilität der Studierenden gestiegen, noch
ist die Vergleichbarkeit der Abschlüsse einfacher geworden.
37 Aber auch das Qualifizierungspotential des drei1
0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 — 1 6
38 So z. B. Schlicht, in: Tagesspiegel, Der Master wird zum Elite
Abschluss, v. 07.02.2012, abrufbar unter https://www.tagesspiegel.
de/wissen/der-master-wird-zum-eliteabschluss-2052661.html
(letzter Zugriff 07.11.2022); Bohmann, in: Welt, Nur die Elite
macht den Master, v. 25.10.2012, abrufbar unter: https://www.welt.
de/print/welt_kompakt/article110223954/Nur-die-Elite-machtden-
Master.html (letzter Zugriff 02.12.2022); Euen, in: Deutschlandfunk,
Psychologie-Master, Die Krux mit den Studienplätzen,
v. 23.09.2014, abrufbar unter https://www.deutschlandfunk.de/
psychologie-master-die-krux-mit-den-studienplaetzen-100.html
(letzter Zugriff 07.11.2022); die Situation hat sich in den letzten
Jahren zwar verbessert, etwa Busch, in: Zeit, IST ES SCHWER,
EINEN PLATZ ZU BEKOMMEN?, v. 27.05.2016, abrufbar unter:
https://www.zeit.de/campus/2016/s2/zulassung-master-studienplaetze
(letzter Zugriff 02.12.2022), aber teilweise fehlen weiterhin
ausreichende Masterplätze, s. Spinrad, in: Süddeutsche Zeitung,
Warum in Bayern Studienplätze für Psychotherapeuten fehlen, v.
28.05.2022, abrufbar unter https://www.sueddeutsche.de/bayern/
eichstaett-psychotherapie-ausbildung-bayern‑1.5586639 (letzter
Zugriff 02.12.2022). In den letzten Jahren scheint der Bachelorabschluss
in absoluten Zahlen an Akzeptanz gewonnen zu haben,
doch verbleibt ein – in unserem Zusammenhang sehr interessanter
– relevanter Unterschied zwischen Universitäten und
Fachhochschulen: Die Quote derjenigen, die nach dem Abschluss
eines universitären Bachelors einen Masterabschluss anhängen,
liegt mit 66 Prozent weiterhin auf einem hohen Niveau (mit
Spitzenwerten von knapp 80 Prozent bei der Fächergruppe „Mathematik
und Naturwissenschaften“), während nur 29 Prozent
derjenigen, die einen Bachelor an einer Fachhochschule erworben
haben, ein Masterstudium aufnehmen, s. Statistisches Bundesamt,
Pressemitteilung Nr. 201 v. 12.05.2022, Prüfungsjahr 2019:
45 % der Bachelorabsolventinnen und ‑absolventen begannen
ein Masterstudium, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/
Presse/Pressemitteilungen/2022/05/PD22_201_213.html (letzter
Zugriff 02.12.2022).
39 Vgl. Campos Nave/Bauer, in: F.A.Z., Der Bachelor mischt den
Juristenmarkt auf, v. 12.10.2022, abrufbar unter: https://www.faz.
net/aktuell/karriere-hochschule/buero-co/der-bachelor-mischtden-
juristenmarkt-auf-18379793.html (letzter Zugriff 02.12.2022).
Dort heißt es, ein Bachelor würde in manchen spezifisch en Arbeitsmarktsituationen
besser qualifizieren als die Staatsprüfung.
Da es schon denklogisch unmöglich ist, dass das Bestehen einiger
Abschlussklausuren zusammen mit dem Erwerb einiger Scheine,
was die Voraussetzung für die Anmeldung zu der umfassenden
Ersten Staatsprüfung bildet, besser als das Bestehen dieser qualifiziert,
können die Autoren nur Bachelor-Abschlüsse mit einer
zusätzlichen, spezifisch en Qualifikation im Blick gehabt haben,
nicht den „integrierten Bachelor“. Doch könnte der flüchtige
bzw. nicht in der Thematik erfahrene Leser gerade den Eindruck
bekommen, es sei letzterer gemeint.
40 Manche der rabiaten oder gar diffamierenden Reaktionen auf
meinen F.A.Z.-Artikel vom 30.Juni 2022 basieren auch darauf,
dass mir – vielleicht auf Grund der von der Redaktion gewählten
Überschrift des online-Artikels – eine Missbilligung sämtlicher
Bachelorabschlüsse unterstellt wurde.
41 Die große Vielfalt der – wie bereits gesagt – schon jetzt existierenden
grundständigen sowie komplementären Studiengänge mit
einem Bachelor-Master-Abschluss sind ebenfalls auf der Webseite
des DJFT einsehbar, vgl. https://www.djft.de/studium/ (letzter
Zugriff 02.12.2022) unter „Studienangebote“.
42 DJFT 2007/I Nr. 6.
43 DJFT 2010/I Nr. 1.
44 Vgl. exemplarisch die Richtlinie des Prüfungsausschusses des
Bachelorstudiengangs Recht und Wirtschaft zur Anrechnung von
Kompetenzen an der Universität Bayreuth.
45 Exemplarisch hierzu § 24 Studien- und Prüfungsordnung der
Ruhr-Universität Bochum für das Studium der Rechtswissenschaft
mit Abschluss „Erste Prüfung“.
jährigen Abschlusses wurde in der Praxis relativiert, wie
die Diskussion über nicht ausreichende Master-Studienplätze
für alle Bachelorabsolventen, die auch den darauffolgenden
Master absolvieren möchten, gezeigt hat.38 - Spezialisierte Bachelor-Studiengänge an juristischen
Fakultäten
In der aktuellen Diskussion über einen universitären
„integrierten“ Bachelor als allgemeinen juristischen
Abschluss wird dieser immer wieder mit anderen Bachelorabschlüssen,
die im Umfeld der Rechtswissenschaft
existieren, in einen Topf geworfen,39 was unzutreffend
ist und für Missverständnisse sorgt.40 Neben dem Studiengang
Rechtswissenschaft, der mit der Ersten Juristischen
Prüfung abgeschlossen wird, bieten nämlich
bereits jetzt diverse juristische Fakultäten weitere komplementäre
Studiengänge und Aufbaustudiengänge an,
die den Studierenden Berufsfelder abseits der klassischen
juristischen Berufe erschließen, bzw. eine zusätzliche
Qualifikation ermöglichen.41 Der DJFT sieht das
schon lange als eine positive Entwicklung. Schon 2007
hieß es in dem entsprechenden Beschluss des DJFT: „In
der Kombination mit nicht-juristischen Inhalten (z. B.
wirtschaftswissenschaftlichen, naturwissenschaftlichen,
medienspezifischen) und gegebenenfalls mit einem entsprechenden
Master-Abschluss kann ein Bachelor mit
juristischen Inhalten, B.A., Sinn machen“.42 Diese juristischen
Bachelorstudiengänge, die für Tätigkeiten in
Unternehmen, Banken, Versicherungen etc. gedacht
sind, existieren schon an vielen juristischen Fakultäten
und stehen Interessenten mit einem solchen Berufswunsch
offen. Dazu zählen auch die Bachelor- oder Master-
Studiengänge, die eine spezifische Qualifikation in
einem ausländischen Rechtssystem in Kombination mit
dem deutschen anbieten. An diesem Modell der „pluralistischen
Ausbildung“ hält der DJFT fest.43
Übrigens ist, was in der Diskussion völlig ausgeblendet
wird, in vielen dieser bereits existierenden
Bachelorstudiengängen eine Anerkennung von
erbrachten Prüfungsleistungen auch ohne bzw. nach
einem gescheiterten Staatsexamen, ggf. durch den
jeweiligen Prüfungsausschuss der Fakultät, möglich44,so
wie umgekehrt ein Wechsel etwa von wirtschaftsjuristischen
Bachelorstudiengängen zum klassischen Studiengang
mit dem Ziel Erste Juristische Staatsprüfung zulässig
ist.45
Chiusi · Themen und Perspektiven der juristischen Ausbildung 1 1
46 Dass das keine bloße Befürchtung ist, zeigt der Appell des Dekans
der HU Berlin v. 19.05.2021, abrufbar unter: https://www.rewi.huberlin.
de/de/sp/2015/llb (letzter Zugriff 02.12.2022). Nach diesem
haben zwar alle „formal das Recht“, den Bachelor zu beantragen;
weil der Verwaltungsaufwand zur Ausstellung der Bachelorzeugnisse
aufgrund der geltenden Vorschriften erheblich ist,
„ohne dass die Fakultät dafür weitere Ressourcen zur Verfügung
gestellt bekommen kann“, wird aber darum gebeten, ein solches
Zeugnis nur im Ausnahmefall zu beantragen, damit es nicht zu
„unbeabsichtigten für alle Studierende der Fakultät nachteiligen
Folgen“ kommt, da „andere wichtige Arbeiten im Prüfungsbüro
(Prüfungskoordination, Leistungsverbuchungen, Beratungen)
verzögert oder eingeschränkt werden“.
47 In diesem Zusammenhang könnte sich dann die Frage stellen,
wie sich die Heranziehung der Leistungen des Schwerpunktbereichs
zum Erwerb des integrierten Bachelors auf die Diskussion
über die Gesamtnote der Ersten Juristischen Prüfung auswirken
wird. Gelten die Leistungen und die Ergebnisse des Schwerpunktbereichsstudiums
auch als Leistungen zum Zweck des Erwerbs
des Bachelors, würden sie zweimal verwertet werden, für die Note
des Bachelors und für die Note der Ersten Juristischen Prüfung.
Unabhängig von hochschul- und prüfungsrechtlichen Profilen,
die zu eruieren wären, könnte dies Wasser auf die Mühlen der
Gegner der Gesamtnote sein.
48 Aus manchen Gesprächen mit Studentenvertretungen gewinnt
man zum Teil den Eindruck, dass in deren Vorstellung mit dem
Bachelor eigentlich eine amtliche Form der Anerkennung der
üblicherweise auf dem Weg zum Staatsexamen bestandenen
Leistungskontrollen (Zwischenprüfungen, Abschlussklausuren,
Schwerpunktbereichsleistungen usw.) intendiert ist, ein Gesamtzeugnis
mit Vordiplom-Charakter (das übrigens zu dem Dipl.
Jur.-Titel passen würde, den so gut wie alle Fakultäten nach der
bestandenen Ersten Juristischen Prüfung verleihen) als amtliche
Zertifizierung dafür, dass man auf dem richtigen Weg zur
Staatsprüfung ist. Es fällt aber schwer zu glauben, dass ein solcher
Bachelor sui generis hochschulrechtlich möglich sein könnte und
durch die Wissenschaftsministerien ausgerechnet für die Juristen,
die sich erfolgreich gegen das Bologna-System gestemmt hatten,
durchgewunken würde.
49 § 8 Abs. 2 S. 1 Musterrechtsverordnung gemäß Art. 4 Abs. 1
– 4 Studienakkreditierungsstaatsvertrag (Beschluss der
Kultusministerkonferenz v. 07.12.2017).
50 Das Bestehen der diversen Leistungskontrollen und der Übungen
ist sinnvoll und ausreichend im Hinblick auf das Examen, verschafft
aber nicht die für die Ausübung eines juristischen Berufs
notwendigen Kompetenzen, auch dann nicht, wenn zusätzlich
eine Haus- oder Seminararbeit im Rahmen des Schwerpunktbereichstudiums
als Bachelorarbeit geschrieben werden muss.
51 Vgl. etwa Art. 17 Abs. 1 Rahmenprüfungsordnung der Universität
des Saarlandes für Bachelor- und Master-Studiengänge; auch das
ist aber nicht einheitlich geregelt. - Konsequenzen der Einführung eines „integrierten“
Bachelors
Würde man aber neben den ohnehin schon bestehenden
diversen Bachelorstudiengängen einen weiteren, flächendeckenden,
allgemeinen Bachelorstudiengang – mit
dem Ziel „Bachelor of Laws“ – in den Studiengang
Rechtswissenschaft – mit dem Ziel „Erste Juristische
Prüfung“ – implementieren, müssten, ungeachtet der
mit einer solchen „Vermischung“ zweier an sich autonomer
Studiengänge verbundenen hochschulrechtlichen
Fragen, konsequenterweise auch alle entsprechenden
Vorgaben des Modularisierungs- und Notenvergabeprozesses
sowie der Anfertigung einer Bachelorarbeit eingehalten
werden. Dies bedeute nicht nur eine zusätzliche
Belastung für die Verwaltung der Fakultäten,46 sondern
ebenso zusätzlichen Lern- und Prüfungsdruck für die
Studierenden: Die unter Studierenden verbreitete Idee,
man könne einen solchen „integrierten“ Bachelor of
Laws quasi nebenbei durch das Bestehen der „Großen
Übungen“, der vergleichsweise in Anzahl überschaubaren
und in den Modalitäten der Prüfungsdurchführung
weniger streng organisierten Abschlussklausuren des
jetzigen, auf die Staatsprüfung ausgerichteten Studiums
sowie der Ableistung einer (ohnehin kaum vergleichbaren)
Schwerpunktbereichsleistung47 erwerben, basiert
auf Unkenntnis oder mindestens Unterschätzung der
bürokratischen Anforderungen des Bachelorsystems.48
Dieses ist nämlich ein durchreguliertes, von der Erbringung
von modularisierten und regelmäßigen Studienleistungen
in Höhe von mindestens 180 ECTS-Punkten
gekennzeichnetes System.49 Diese Anforderungen gelten
für alle Fakultäten und sind normalerweise Voraussetzung
für die Akkreditierung eines jeden Bachelors, ohne
den auch kein Master möglich ist. Sie sind aber kaum
kompatibel mit der jetzigen Struktur des Jura-Studiums,
welches die Abschlussklausuren und Zwischenprüfungen
als Propädeutikum zum Examen bzw. als Kontrolle
für die Studierenden hinsichtlich ihrer eigenen Vorbereitung,
50 nicht als definitive Entscheidung über das
Erwerben eines Abschlusses begreift, und daher sich
eine gewisse Freiheit und Großzügigkeit in der Gestaltung
und Durchführung der Leistungskontrollen erlauben
kann. Trotz der Einführung von Leistungskontrollen
in unterschiedlichen Formen in beinahe allen juristischen
Fakultäten bleibt das Jura-Studium, gerade weil es
nicht in das Bologna-System integriert ist, im Vergleich
zu anderen universitären Studiengängen weniger streng
reglementiert. Auch die „großen Übungen“ sind gegenwärtig
nicht als definitive Entscheidung über das Erwerben
eines Abschlusses konzipiert und deswegen grundsätzlich
beliebig oft wiederholbar. Die Prüfungen im
Bologna-System sind dagegen in der Regel nur begrenzt
wiederholbar; das Nichtbestehen führt zum Ausschluss
vom Studium.51 Mit der flächendeckenden Einführung
eines integrierten Bachelors ginge also zum einen einher,
dass jede einzelne Prüfungsleistung in die Bildung einer
Gesamtnote einfließen würde und jede Teilleistung im
1 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 — 1 6
52 Das führte überdies zu der Frage nach einer – einheitlichen? –
Umrechnung der rechtswissenschaftlichen Klausurpunkte auf das
Notenschema in den Bachelor-Master-Studiengängen. An der
Universität des Saarlandes führen z. B. 9 Klausurpunkte „nur“ zu
einer 2,7 in der Bologna-Notenskala; ebenso an der HU Berlin.
An der Universität Bremen oder der Universität in Frankfurt
wäre es bereits eine 2,3.
53 Übrigens gehörte damit wohl die bekannte, wenn nicht vertraute
Taktik „4 gewinnt“ der Vergangenheit an.
54 Nach Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider, Die Ursachen des
Studienabbruchs in den Studiengängen des Staatsexamens Jura.
Eine Analyse auf Basis einer Befragung der Exmatrikulierten vom
Sommersemester 2014. DZHW-Projektbericht, 2017, S. 19 verlassen
56 Prozent der Jura-Studienabbrecher das Studium innerhalb
der ersten vier Semester, ein Anteil von 27 Prozent bricht das
Studium nach dem zehnten Semester ab. Damit exmatrikulieren
sich die Studienabbrecher in der Rechtswissenschaft durchschnittlich
nach 6,8 Semestern, während der universitäre Durchschnitt
bei 5,2 Semestern liegt. Als Grund für den späteren Abbruch im
Studiengang der Rechtswissenschaft vermuten die Autoren der
Studie den Umstand, dass es „an Faktoren fehlt, die einen solchen
Prozess (Entscheidungsprozess, der zum Studienabbruch führt)
beschleunigen, wie z. B. Leistungsanforderungen oder Praxiserfahrungen“,
vgl. Projektbericht, S. 23.
55 Obgleich der spätere Studienabbruch, der im Jura-Studium oft
angeprangert wird, grundsätzlich als Nachteil anzusehen ist, weil
sich damit die Zeit für ein anderes Studium und für das Ergreifen
eines anderen Berufs in die Länge zieht, bietet gerade die weniger
ausgeprägte Reglementierung des jetzigen Jura-Studiums im Vergleich
mit den Bachelorstudiengängen die Möglichkeit, länger im
Ausbildungssystem zu bleiben und daher länger die Chance ergreifen
zu können, zur erfolgreichen Staatsprüfung zu kommen.
Vgl. Mühlenweg/Sprietsma/Horstschräter (Hrsg.), Humankapitalpotenziale
der gestuften Hochschulabschlüsse in Deutschland:
Auswertungen zu Studienbeteiligung, Studienabbrüchen, Mobilität
und Eingangsselektion, 2010, die darauf hinweisen, dass ein
längerer Entscheidungsprozess „auch zusätzliche intervenierende
Möglichkeiten eröffnen, einen Studienabbruch gegebenenfalls
noch abzuwenden“ (S. 24).
56 Woisch/Willige (Hrsg.), Internationale Mobilität im Studium
2015, Ergebnisse der fünften Befragung deutscher Studierender
zur studienbezogenen Auslandsmobilität, DAAD und DZHW
Projektbericht.
57 Mühlenweg/Sprietsma/Horstschräter (Hrsg.),
Humankapitalpotenziale der gestuften Hochschulabschlüsse
in Deutschland: Auswertungen zu Studienbeteiligung,
Studienabbrüchen, Mobilität und Eingangsselektion, 2010,
S. 9 zu den MINT-Fächern; Winter, Die Revolution blieb aus:
Überblick über empirische Befunde zur Bologna-Reform in
Deutschland, in: Nickel (Hrsg.), Der Bologna Prozess aus Sicht
der Hochschulforschung, Analysen und Impulse für die Praxis,
S. 24; Nickel, Zwischen Kritik und Empirie – Wie wirksam ist
der Bologna-Prozess?, in: Nickel (Hrsg.), Der Bologna-Prozess
aus Sicht der Hochschulforschung, Analysen und Impulse für die
Praxis, S. 12.
58 Auch die Gesamtstatistiken der Studienanfänger sind auf der
Webseite des DJFT abrufbar: Die Zahlen der Studienanfänger
schwanken – freilich in universitären Vergleich immer auf
höchsten Niveau – von 13.856 im Jahrgang 2008/2009 über 15.999
im Jahrgang 2009/2010 zu 23.399 im Jahrgang 2010/2011, von
18.502 im Jahrgang 2012/2013 zu 20.225 im Jahrgang 2013/2014,
von 19.843 im Jahrgang 2014/2015 zu 21.131 im Jahrgang 2017/2018
und von 20.018 im Jahrgang 2018/2019 zu 19.831 im Jahrgang
2019/2020 sowie 19.442 im Jahrgang 2020/2021.
Zeugnis aufgeführt würde.52 Zum anderen würde
dadurch das zusätzliche Risiko geschaffen, dass das
mehrmalige Nichtbestehen früh zum Ausschluss vom
Studium führen könnte. Inwieweit hierdurch die Stressbelastung
im Studium und der Prüfungsdruck gesenkt
wäre, erschließt sich nicht.53
Das alles liegt sicher nicht im wohlverstandenen Interesse
der Studierenden; Ziel der juristischen Ausbildung
sollte kein „Aussieben“ durch strengere Reglementierung
bereits in den unteren Semestern sein;54 schließlich
gibt es genügend Studierende, die eine gewisse Zeit
brauchen, um die Denkweise, Grundstrukturen und
Techniken sowohl des Studiums als auch des Rechtsystems
zu verstehen und daher im Grundstudium noch
mäßige Ergebnisse erzielen, bis sich die Mosaiksteine zu
einem Gesamtbild zu fügen beginnen, das die Einheit
der Rechtsordnung vor dem geistigen Auge zeigt, was
sich am Ende in einer guten Examensnote niederschlägt55.
Vielmehr sollten wir immer mehr und immer
bessere Juristen und Juristinnen ausbilden, die gleichwohl
Freude am und Erfolg im Studium und in der
Staatsprüfung haben. Das gelingt nur – wie oben ausgeführt
– durch inhaltliche Maßnahmen. - Einige nicht überzeugende Argumente
Das Argument, dass ein integrierter Bachelor die internationale
Mobilität der Studierenden erleichtern würde,
ist uns bereits aus dem Bologna-Prozess bekannt. Tatsächlich
sind die Juristen und Juristinnen im Vergleich
zu anderen Studiengängen aber nicht weniger mobil, im
Gegenteil.56 Darüber hinaus zeigen statistische Erkenntnisse,
dass die Umstellung auf das Bachelor-Master-System
in anderen Studiengängen nicht zu einer Steigerung
der internationalen Mobilität beigetragen hat.57
Auch die Behauptung, die juristischen Fakultäten erreichten
zunehmend potentielle Studieninteressierte
nicht, weil diese von den Examensbedingungen abgeschreckt
würden, widerspricht der Gesamtstatistik der
Studienanfänger in der Rechtswissenschaft und lässt die
Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen
– wie des demographischen Rückgangs oder zuletzt
der Corona Pandemie – vermissen.58 Jedenfalls bleiben
Chiusi · Themen und Perspektiven der juristischen Ausbildung 1 3
59 Da das Statistische Bundesamt die Anzahl der Studierenden nur
nach Fächergruppen liefert, in denen die Rechtswissenschaft
zusammen mit den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften aufgelistet
ist, wurden die Beispiele aus den im Internet zugänglichen
Daten einzelner Universitäten, nicht alle veröffentlichen die
Studierendenzahlen, recherchiert; man beachte, dass manche
Fakultäten (z. B. die philosophisch-historisch-philologischen
oder die naturwissenschaftlichen, oder die psychologischesportwissenschaftlichen
usw.) anders als die juristischen, die im
Wesentlichen nur den Studiengang Rechtswissenschaft anbieten,
diverse Studiengänge beinhalten: Augsburg (SoSe 2022): Juristische
Fakultät: 2.883, Medizinische Fakultät: 264, Philosophisch-
Sozialwissenschaftliche Fakultät: 2.912, Philologisch-Historische
Fakultät: 4.756; Bielefeld (WiSe 2018/19): Rechtwissenschaft:
1.560, Soziologie: 1.173, technische Fakultät: 1.285, Wirtschaftswissenschaften:
781, Physik: 903; Bochum (WiSe 2021/22):
Juristische Fakultät: 4.317, Fakultät für Wirtschaftswissenschaft:
3.424, Fakultät für Sozialwissenschaft: 2.024, medizinische
Fakultät: 3.361; Erlangen (WiSe 2021/22): Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche
Fakultät: 9.683, Philosophische Fakultät
und Fachbereich Theologie: 9.241, Medizinische Fakultät: 4.245,
Naturwissenschaftliche Fakultät: 5.444; Frankfurt a. M. (WiSe
2021/22): Rechtswissenschaft: 4.597, Wirtschaftswissenschaften:
5.794, Gesellschaftswissenschaften: 4.105, Neuere Philologien:
4.393, Medizin: 4.160, Psychologie und Sportwiss.: 1.837; Frankfurt/
Oder (SoSe 2022): Juristische Fakultät: 1.480, Kulturwissenschaftliche
Fakultät: 1.317, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät:
1.433; Freiburg (SoSe 2022): Rechtswissenschaftliche Fakultät:
2.289, Theologische Fakultät: 286, Wirtschafts- u. Verhaltenswissenschaftliche
Fakultät: 2.710, Medizinische Fakultät: 4.155,
Philologische Fakultät: 1.857, Technische Fakultät: 2.215; Gießen
(SoSe 2022): Rechtswissenschaft: 2.033, Wirtschaftswissenschaft:
1.422, Anglistik: 1.086, Psychologie/Sport: 1.754, Humanmedizin:
2.725; Göttingen (WiSe 2021/22): Juristische Fakultät: 2.865, Philosophische
Fakultät: 4.633, Fakultät für Mathematik und Informatik:
1.428, Fakultät für Physik: 1.109, Fakultät für Biologie und
Psychologie: 2.687, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät: 3.980,
Fakultät für Chemie: 751, Medizinische Fakultät: 3.851; Greifswald
(SoSe 2022): Rechtswissenschaft: 1.131, Betriebswirtschaftslehre:
849, Medizin: 1.586, Geschichte: 276, Deutsch: 494, Amerikanistik:
305, Psychologie: 412; Heidelberg (SoSe 2022): Juristische
Fakultät: 2.695, Theologische Fakultät: 628, Medizinische Fakultät:
4.522, Fakultät für Verhaltens- und Empirische Kulturwissenschaften:
2.433, Fakultät für Mathematik und Informatik: 1.641;
Jena (WiSe 2019/20): Rechtswissenschaftliche Fakultät: 1.406,
Theologische Fakultät: 123, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät:
1.557, Philosophische Fakultät: 3.413, Fakultät für Sozial- und
Verhaltenswissenschaften: 3.788, Fakultät für Mathematik und
Informatik: 869, Chemisch-Geowissenschaftliche Fakultät: 1.397,
Medizinische Fakultät: 2.591; Leipzig (WiSe 2019/20): Juristenfakultät:
2.948, Theologische Fakultät: 595, Fakultät für Geschichte,
Kunst- und Orientwissenschaften: 3.019, Philologische Fakultät:
4.559, Erziehungswissenschaftliche Fakultät: 3.180, Fakultät für
Sozialwissenschaften und Philosophie: 2.647, Wirtschaftswissenschaftliche
Fakultät: 2.083, Medizinische Fakultät: 3.394, Fakultät
für Mathematik und Informatik: 2.243, Fakultät für Chemie und
Mineralogie: 909.
60 So unzutreffend iur.reform, Reformoptionen/Integrierter Bachelor/
Pro Nr. 3, abrufbar unter: https://iurreform.de/reformoptionen/
(letzter Zugriff 02.12.2022).
61 Vgl. hierzu Towfigh/Traxler/Glöckner (Hrsg.), Geschlechts- und
Herkunftseffekte bei der Benotung juristischer Staatsprüfungen,
ZDRW 2/2018, S. 115 ff.; sowie bereits dies., Zur Benotung in der
Examensvorbereitung und im ersten Examen. Eine empirische
Analyse, ZDRW 1/2014, S. 8 ff.
62 Zu den gefährlichen Auswirkungen eines solchen Abschlusses für
das System des Staatsexamens s. u. sub IV. 2.
die rechtswissenschaftlichen Fakultäten unter den studierendenstärksten
Fakultäten.59
Es ist zudem nicht der integrierte Bachelor als „Zwischenabschluss“,
der dazu geeignet ist, eine soziale und
damit chancenungleiche Selektion durch den Studiengang
Erste Juristische Prüfung zu verhindern, wie behauptet
wird.60 Die Auswirkungen der Herkunft und sozialer
Netzwerke61 im Staatsexamen werden dadurch
keineswegs angegangen, sondern drohen sogar noch
verstärkt zu werden, wenn künftig auf einen angeblich
berufsqualifizierenden dreijährigen Abschluss als Trostpflaster
verwiesen werden kann. Es ist nämlich die Gefahr
nicht zu unterschätzen, dass Studierende, die Volljuristen
werden könnten – und diese werden dringend
gebraucht – die Fokussierung auf das Ziel Staatsprüfung
verlieren und (aufgrund persönlicher, wirtschaftlicher
oder sozialer Lebensumstände) der Versuchung erliegen
könnten, sich mit dem integrierten Bachelor zufrieden
zu geben, statt weiter die Staatsprüfung anzustreben
(ggf. durch Wiederholung), in der (irrtümlichen) Auffassung,
auch damit einen für den Arbeitsmarkt attraktiven
juristischen Abschluss erworben zu haben. Erst
recht wird auch die Quote der Repetenten und damit die
Zahl derer, die in einem zweiten oder dritten Versuch
Erfolg haben könnten, sinken.
Es ist die inhaltliche Verbesserung des universitären
Studiums und der Ausbau der universitären – und damit
nichtkommerziellen – Examensvorbereitung, wie vom
DJFT vorgeschlagen, die zur Wahrung der sozialen Gerechtigkeit
des Studiums beiträgt. Der „integrierte LL.B.“
spiegelt nicht nur dem Markt, sondern auch und vor allem
den Studierenden die Illusion einer arbeitsqualifizierenden
juristischen Qualifikation vor, die eher Beschäftigungen
auf unspezialisierten Tätigkeitsebenen
mit entsprechender Bezahlung ermöglichen dürfte.
An die Notwendigkeit der sozialen Gerechtigkeit der
juristischen Ausbildung knüpft nämlich die Frage nach
den beruflichen Perspektiven an, die ein solcher „integrierter
LL.B.“ den Studierenden eröffnen würde. Erdacht
für diejenigen, die die Erste Juristische Prüfung endgültig
nicht bestanden haben, würde ein solcher Abschluss
– jedenfalls noch62 – nicht für die klassischen juristischen
Berufe wie Richter, Staatsanwalt, Notar oder
Rechtsanwalt qualifizieren. Da die Studienanfänger bereits
heute entscheiden können, ob sie den Weg des klassischen,
auf der Staatsprüfung basierten Jura-Studiums
1 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 — 1 6
63 Der Umstand, dass der DJFT zu seinem hundertjährigen Jubiläum
in Karlsruhe, der „Hauptstadt des Rechts“, in Zusammenarbeit
mit dem Bundesverfassungsgericht getagt hat, wollte als
Zeichen der für die deutsche Rechtswissenschaft typischen und
fruchtbaren Verbindung zwischen Rechtsforschung und Rechtspraxis
dienen.
64 So etwa in Frankreich und Spanien mit jeweils fünf Jahren
Studiendauer, vgl. für Spanien Real Decreto 822/2021 sowie für
Frankreich Art. L611‑1 ff. Code de l’éducation. Auch in Italien
dauert das Studium nach „Bologna“ fünf Jahre, wobei man nach
einer ursprünglichen Umstellung auf das „3+2‑System“ ziemlich
schnell zum einheitlichen Studium zurückgekehrt ist, weil die
Fülle des Stoffs, der für einen arbeitsqualifizierenden dreijährigen
Abschluss als notwendig erachtet wurde, dessen Studierbarkeit
praktisch unmöglich machte. Ein Bachelor („laurea breve“) wird
in manchen Fakultäten noch angeboten, die absolute Mehrheit
der Studierenden entscheidet sich aber für das normale
fünfjährige Studium. Ähnliches lässt sich für die Schweiz sagen:
Dort wurde die Umstellung auf das Bachelor-Master-System vor
mehr als einem Jahrzehnt insbesondere von den Gerichten und
der Anwaltschaft mit dem Argument kritisiert, die Absolventen
und Absolventinnen seien zu wenig auf die Praxis vorbereitet,
und mündete in eine inzwischen umgesetzte Studienreform, die
erhebliche strukturelle Änderungen mit sich brachte und letztlich
den Bachelor-Master-Studiengang wiederum als Einheit konzipiert
hat.
65 Zum Beispiel in Spanien nach Art. 301.3 Ley Orgánica 6/1985 für
die Richter- und Staatsanwaltschaft, nach Art. 2, 3 Ley 34/2006 für
die Anwaltschaft; in Frankreich nach Art. 14 ff., insb. Art. 17 Ordonnance
n° 58–1270 du 22 décembre 1958 portant loi organique
relative au statut de la magistrature und Décret n°72–355 du 4 mai
1972 relatif à l‘Ecole nationale de la magistrature für die Richterund
Staatsanwaltschaft sowie Art. 42 ff. Décret n°91–1197 du 27
novembre 1991 organisant la profession d‘avocat bzw. Arrêté du
17 octobre 2016 fixant le programme et les modalités de l‘examen
d‘accès au centre régional de formation professionnelle d‘avocats
für die Anwaltschaft; in Österreich nach § 26 i. V. m. § 174 RStDG
für die Richter- und Staatsanwaltschaft und §§ 1, 2, 3 Rechtsanwaltsordnung
für die Anwaltschaft.
66 In Spanien gem. Art. 4.3, 6 Ley 34/2006; in Frankreich gem.
wählen möchten oder sich lieber in einen spezialisierten
Bachelor-Master-Studiengang an einer Universität bzw.
in einen Bachelor of Laws-Studiengang einer Fachhochschule
einschreiben und so die Möglichkeit haben, einen
Abschluss – ggf., bei den spezialisierten universitären
Bachelors, auf dem Weg zum Staatsexamen – zu erwerben,
besteht aus universitärer Sicht kein Grund, hier ein
Konkurrenzverhältnis entstehen zu lassen. Mit der flächendeckenden
Einführung eines unspezialisierten integrierten
Bachelor of Laws an Universitäten würden diese
mit dem bereits bestehenden breiten Angebot von juristisch
orientierten Bachelor-Studiengängen an Fachhochschulen
konkurrieren, ohne dass sich hierfür ein Bedürfnis
auf dem Markt erkennen lässt. Darüber hinaus ist anzunehmen,
dass gerade die spezialisierten universitären
Bachelors von einem integrierten Bachelor Konkurrenz
bekämen.
IV. Zur Bedeutung der deutschen juristischen
Ausbildung - Eigenschaften und Funktion
Das Ideal des sog. Volljuristen, der die wissenschaftliche
Phase an der Universität und die Praxisphase im Referendariat
durchlaufen hat, der für alle Juristen und Juristinnen
einheitliche Weg, ist in Europa keineswegs der
Regelfall. Gerade aber die von diesem Modell gesicherte
Qualität der deutschen Juristenausbildung stellt eine
essentielle Voraussetzung für den wirtschaftlichen und
rechtsstaatlichen Erfolg der Bundesrepublik dar.
Es ist für die nicht (nur) in Deutschland ausgebildete
Beobachterin immer wieder überraschend, festzustellen,
wie wenig bei der Analyse und Beurteilung der juristischen
Ausbildung der Zusammenhang zwischen der
Ausbildung und ihren Auswirkungen auf die deutsche
Wirtschaft und Gesellschaft durch die seit Jahrzehnten
von ihr hervorgebrachten Juristen und Juristinnen, die
in der Verwaltung, den Gerichten und weiteren Organen
der Rechtspflege tätig sind, gewürdigt wird. Dabei würde
z. B. für die Beurteilung der Qualität der medizinischen
Versorgung niemand die Bedeutung der medizinischen
Ausbildung bestreiten.
Der Rekurs auf Gerichte und ihre Fähigkeit, Prozesse
innerhalb absehbarer Zeit und unter Wahrung der Rechte
der Parteien zu Ende zu führen sowie die Verlässlichkeit
der Verwaltung im Vergleich zu anderen Ländern
sind ein Vertrauensbeweis in den Rechtsstaat, der den
Zusammenhalt innerhalb der deutschen Gesellschaft erheblich
prägt. Die juristische Ausbildung mit ihrem
Charakteristikum der Verbindung zwischen Rechtsforschung
und Rechtspraxis stellt einen großen Standortvorteil
dar, denn der juristische Diskurs auf Augenhöhe
unter den Beteiligten stärkt die Rechtssicherheit gleichermaßen
wie die Rechtsstaatlichkeit.63
In anderen europäischen Rechtsordnungen basiert
das Studium auf einzelnen Leistungen, die innerhalb von
vier oder – nach „Bologna“ – fünf Jahren64 in den diversen
Fächern erbracht werden und deren Noten insgesamt
zum Abschluss führen. Typische Konsequenz dieser
Studienorganisation ist, dass am Ende des Studiums
weitestgehend vergessen ist, was am Anfang gelernt wurde.
Da aber selbstverständlich auch in diesen Ausbildungssystemen
das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung
gilt, können die klassischen juristischen Berufe erst
ausgeübt werden, wenn man eine – nicht einheitlich
vom Staat, sondern von dem jeweiligen juristischen Berufsstand
organisierte – Prüfung bestanden hat, in der
alle Fächer, schriftlich und mündlich, abgefragt werden.
65 Der Unterschied zur deutschen juristischen Ausbildung
liegt also darin, dass in Deutschland schon die
Chiusi · Themen und Perspektiven der juristischen Ausbildung 1 5
Art. 58 Arrêté du 17 octobre 2016 fixant le programme et les
modalités de l‘examen d‘accès au centre régional de formation
professionnelle d‘avocats; in Österreich gem. § 2 Rechtsanwaltsordnung.
67 Ausschuss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister
zur Koordinierung der Juristenausbildung, Bericht
über Möglichkeiten und Konsequenzen einer Bachelor-Master-
Struktur anhand unterschiedlicher Modelle einschließlich der
berufspraktischen Phase unter Berücksichtigung des entwickelten
Diskussionsmodells eines Spartenvorbereitungsdienstes,
v. 31.03.2011, KOA-Bericht 2011 (Bologna).
68 Zumal die Existenz eines Bachelor-Abschlusses zur Fortsetzung
des Jura-Studiums auch Studierende veranlassen könnte, die
heute im dritten oder vierten Semester aufgrund der gemachten
Erfahrungen zum Schluss kommen, dass das Jura-Studium ihnen
doch nicht gefällt und sich daher anderen Fächern mit besserem
Erfolg und größerer Zufriedenheit zuwenden.
69 Schließlich ist dem Bologna-System immanent, dass einem
Universität mit ihrem wissenschaftlichen Anspruch zusammen
mit den Landesprüfungsämtern für eine einheitliche
Prüfung zuständig ist.
Zusätzlich zu dem universitären Abschluss muss in
den anderen europäischen Ländern anschließend ein
meist zweijähriges – nicht vom Staat finanziertes – Praktikum
oder ein selbst zu finanzierender Vorbereitungskurs
in einem der juristischen Berufe absolviert werden,
66 an dessen Ende ein Examen zu bestehen ist. Anders
als die deutsche Zweite Juristische Prüfung qualifiziert
dieses aber nur für den jeweiligen juristischen Beruf
und wird von dem entsprechenden Berufsstand organisiert
und an dessen Marktbedarf ausgerichtet. Das ist die
notwendige Konsequenz der Überlassung der juristischen
Ausbildung (vor allem für die Anwaltschaft) an
den jeweiligen Berufsstand. Die ebenfalls schon in der
Vergangenheit geführte Diskussion über die „Spartenausbildung“
hat die Schwäche einer solchen Ausbildung
gezeigt:67 Die „gleiche Augenhöhe“ zwischen Richter,
Staatsanwalt und Rechtsanwalt, die typisch für die deutschen
Juristen und Juristinnen ist, würde verloren gehen.
Das gegenseitige Verständnis der juristischen Berufe,
welches sich daraus ergibt, dass jeder Jurist für eine gewisse
Zeit auch die Arbeitserfahrung desjenigen, der
ihm jetzt gegenübersteht, gemacht hat, wäre nicht mehr
vorhanden. Auch der Wechsel von einem juristischen
Beruf in einen anderen wäre, wenn überhaupt praktisch
noch möglich, jedenfalls erheblich erschwert. Sicherlich
würde der Staat Kosten sparen, würde er nur den eigenen
Nachwuchs ausbilden. Diesem Argument, das in der
Vergangenheit manchmal vorgebracht wurde, sollte aber
nicht mehr Gewicht beigemessen werden als den inhaltlichen
Gründen, die gegen eine „Spartenausbildung“
und eine Überlassung der Ausbildung an die Berufsstände
sprechen.
Die deutsche juristische Ausbildung unterscheidet
sich von derjenigen im europäischen Ausland also nicht,
wie häufig behauptet, durch ihre Dauer, sondern vor allem
durch das Ideal des Volljuristen und die Tatsache,
dass das Referendariat vom Staat finanziert wird. Damit
hat die juristische Ausbildung in Deutschland einen
stark sozial integrierenden und demokratisierenden
Charakter, den es zu bewahren und nicht aufs Spiel zu
setzen gilt. - Gefährdung des Staatsexamens
Trotz Beteuerung des Gegenteils würde die Einführung
des integrierten Bachelors eine grundlegende Gefahr für
das System des juristischen Staatsexamens und damit für
das Ideal des Volljuristen darstellen. Die Zahl derjenigen,
die nur einen integrierten Bachelor besitzen würden
und daher keinen Zugang zu den reglementierten juristischen
Berufe hätten, würde in wenigen Jahren – aus
den oben diskutierten Gründen – prozentual beachtlicher
sein als die Anzahl derjenigen, die das Examen heute
definitiv nicht bestehen.68 Es ist anzunehmen, dass alle
diese Bachelor-Absolventen durch politischen oder
sogar juristischen Druck versuchen werden, sich mit
ihrem Abschluss mindestens durch Öffnung des Rechtsberatungsmarkts
eine attraktivere Arbeitsperspektive zu
verschaffen; für den Staatsdienst wird es vermutlich einfacher
sein, am Staatsexamen als Voraussetzung festzuhalten.
Das würde zu einer Aufweichung der Zugangsvoraussetzungen
in diesem Bereich führen. Die Konsequenz,
minderqualifizierte Absolventen in der
Anwaltschaft, wäre vor dem Hintergrund des durch das
Scheitern bei der Staatsprüfung bewiesenen Mangels an
ausreichenden Rechtskenntnissen gegenüber dem
Rechtsrat suchenden Bürger nicht zu verantworten.
Überhaupt besteht, angesichts des Umstandes, dass in
wenigen Jahren viele Juristen und Juristinnen (die sogenannten
Baby-Boomer) in Rente gehen werden, die
Gefahr, dass die Idee aufkommt, die regulierten juristischen
Berufe für die Absolventen mit einem integrierten
Bachelor zu öffnen. Gerade diejenigen, die heute sagen,
der integrierte Bachelor will und wird das Staatsexamen
nicht in Frage stellen, werden dann erklären, es lohne
sich nicht, beim Staatsexamen zu bleiben, wenn schon
1 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 — 1 6
Bachelorstudiengang ein Masterstudiengang folgt. Es ist daher
durchaus naheliegend, dass einem allgemeinen Bachelor of Laws
ein allgemeiner Master of Laws folgen wird. Der Abschluss Erste
Juristische Prüfung wird aber mit der ebenfalls bestehenden
möglichen Beantragung des akademischen Titels eines Dipl. Jur.,
gegenwärtig mit einem Master äquivalent bewertet. Umgekehrt
wird man argumentieren können, dass ein von einer juristischen
Fakultät verliehen Master of Laws-Titel, der einem Bachelor of
Laws folgt, dem Abschluss der Ersten Juristischen Prüfung äquivalent
sei.
ein berufsqualifizierender juristischer Abschluss verliehen
wird.69 In der Tat ist es wenig glaubhaft, dass zwei
grundverschiedene Systeme – das auf den Bachelor/
Master gerichtete und daher auf vielen einzelnen Prüfungen,
die zum Abschluss führen, basierende und das
auf die Staatsprüfung gerichtete und daher auf dem
Modell des Einheitsjuristen basierende – auf Dauer
nebeneinander koexistieren können: Wer den flächendeckenden
Bachelor fordert, wird Bologna bekommen.
Respice finem: Der „integrierte LL.B.“ kann aus diesem
Grund der Einstieg in den Ausstieg aus dem Staatsexamen
werden.
V. Schlusswort
Ziel der deutschen juristischen Ausbildung ist, die angehenden
Juristen und Juristinnen zum kritischen Denken
zu erziehen, zur reflektierten Erfassung des juristischen
Systems zu führen und zur konsequenten, logischen und
nachvollziehbaren Anwendung von Normen und Prinzipien
auszubilden. Das erfolgreiche Absolvieren der
Staatsexamina soll das unter Beweis stellen, denn die
Studierenden von heute werden auch künftig eine zentrale
Rolle für den demokratischen Zusammenhalt der
Gesellschaft einnehmen und oft schwierige, folgenträchtige
Entscheidungen treffen müssen.
Die Diskussion über den Prüfungsdruck und den
Angstabbau während des Studiums ist ernst zu nehmen
und muss intensiv geführt werden. Deswegen hat der
DJFT in seinen beiden letzten Versammlungen nochmals
Probleme der juristischen Ausbildung identifiziert,
Perspektiven diskutiert und Lösungen beschlossen, die
durch die Verbesserung der Studienbedingungen nicht
nur in der Lage sind, jenen Ängsten und jenem Druck
entgegenzutreten, sondern auch den hohen Anforderungen
und aktuellen Aufgaben der Ausbildung Rechnung
zu tragen und diese weiterhin in die Lage versetzen, die
Erwartungen von Staat und Gesellschaft verantwortungsvoll
zu erfüllen.
Dem Prüfungsdruck und den Ängsten der Studierenden
allein mit der Einführung eines zusätzlichen Bachelor-
Abschlusses zu begegnen, greift zu kurz, verkennt
die Herausforderungen der juristischen Ausbildung und
droht mehr Probleme zu schaffen als zu lösen. Es bleibt
zu hoffen, dass sich die Diskussion, die in die breite (juristische)
Öffentlichkeit zu tragen mir gelungen ist, von
der Fixierung auf den integrierten Bachelor löst und uns
ermöglicht, gemeinsam Verbesserungen im aktuellen
System zu erreichen, um so weiterhin die Qualität der
deutschen Juristenausbildung aufrecht zu erhalten.
Prof. Dr. Dr. h. c. Tiziana Chiusi ist nach Forschungsund
Lehrtätigkeit an den Universitäten Padua, Rom,
München und Tübingen seit 2001 Inhaberhin des Lehrstuhls
für Zivilrecht, Römisches Recht und Europäische
Rechtsvergleichung an der Universität des Saarlandes
und seit 2019 Direktorin des dortigen Instituts für
Europäisches Recht. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen
im Bürgerlichen Recht, Römischen Recht und in
der Rechtsvergleichung. Sie ist u. a. Mitherausgeberin
des Corpus der Römischen Rechtsquellen zur antiken
Sklaverei der Mainzer Akademie der Wissenschaften,
Kommentatorin im Staudinger-Kommentar und seit
2020 Vorsitzende des DJFT.
- durch die juristischen
Fakultäten
Um der Furcht der Studierenden vorzubeugen, könnte
man z. B. damit anfangen, dass sich diejenigen unter uns
Lehrenden, die den anwesenden Zuhörern in der ersten
Vorlesung immer noch prophezeien, ihre Zahl werde
unweigerlich und rapide wegen intellektueller Überforderung
sinken, fragen, ob dies zur Steigerung der Motivation
der Studierenden geeignet und überhaupt für den
Erfolg der Vorlesung förderlich ist. Diesen soll vielmehr
in den Vorlesungen von Beginn an das Gefühl vermittelt
werden, dass die Professorenschaft auf ihrer Seite steht,
und ihnen sämtliche nützliche Informationen zur Verfügung
stellt, um sie bestmöglich und vor allem langfristig
auf das Examen vorzubereiten. Eine gewisse Unsicherheit
entsteht bereits bei dem Besuch der Vorlesungen im
Grundstudium, wenn die Studierenden der unteren
Semester zum ersten Mal mit der juristischen Abstraktion
konfrontiert werden. Um zu vermeiden, dass sich aus
dieser Unsicherheit eine wachsende Angst vor dem Examen
entwickelt, ist es notwendig, verstärkt im Studium
Veranstaltungen anzubieten, welche die Anwendung der
Theorie aus den Vorlesungen für Klausuren und Hausarbeiten
klar werden lassen.
Aber auch nach Abschluss des Grundstudiums dürfen
die Studierenden nicht mit der Examensvorbereitung
alleine gelassen werden: Es gehört zu den Kernaufgaben
der deutschen juristischen Fakultäten, die Studierenden
für die fachlichen und methodischen Anforderungen
der Ersten Juristischen Prüfung vorzubereiten.11
Die Fakultäten haben die der Examensvorbereitung dienenden
Programme in den vergangenen Jahren trotz enger
werdender finanzieller Spielräume deutlich ausgebaut.
Denn bei ihnen ist die Examensvorbereitung in
den besten Händen: Wir wissen, was wir prüfen – und
wir reden auch darüber.12 Das inzwischen etablierte Angebot
der Fakultäten umfasst die systematische Darstellung
des relevanten Stoffes in speziellen Vorlesungen
und Kursen ebenso wie die Vermittlung von Fallbearbeitungskompetenzen
in Klausurenkursen.13 Der Deutsche
Juristen-Fakultätentag begrüßt diese vielen zusätzlichen
Angebote ausdrücklich.14
Die Qualität von universitären Repetitorien ist regelmäßig
zu überprüfen und weiterzuentwickeln; diese
kann nämlich stark variieren, nicht nur von Fakultät zu
Fakultät, sondern auch innerhalb einzelner Fachsäulen
an den Fakultäten. Das Angebot an Veranstaltungen zur
Examensvorbereitung muss aus diesem Grund ständig
verbessert werden, um den Studierenden die Sicherheit
zu geben, auch ohne ein teures kommerzielles Repetitorium
gut vorbereitet in die Prüfungen zu gehen und ihnen,
soweit es möglich ist, die übertriebene Angst davor
zu nehmen. Das kann insbesondere durch die – bereits
an vielen Fakultäten existierenden – Angebote zur
Stressbewältigung geschehen.15 Begrüßenswert sind in
diesem Zusammenhang außerdem die Hilfestellungen,
die sich gezielt an die Repetenten richten, also diejenigen,
die bereits einmal gescheitert sind.16
In den Vertiefungsveranstaltungen und in den Uni-
Repetitorien sollte dabei nicht ohne Weiteres angenommen
werden, jegliche Inhalte stellten nur eine Wiederholung
dar: Diverse Bereiche, deren Inhalte eventuell für
die Grundvorlesungen zu abstrakt waren, gilt es hier intensiv
zu bearbeiten. Der Grund dafür liegt in dem Umstand,
dass viele Studierende, aufgrund der Fülle des zu
verarbeitenden Stoffes, bei der Vorbereitung der – mittlerweile
an allen Fakultäten mehr oder weniger zu findenden
– jeweiligen Abschlussklausuren für die einzelnen
Vorlesungen während des Studiums verleitet werden,
nur die für das Bestehen der jeweiligen Klausur essentiellen
Inhalte zu lernen und zu verinnerlichen. Die
Uni-Repetitorien sollen daher konsistent und über längere
Zeiträume Kurse anbieten, in denen die Möglichkeit
besteht, sämtliche Themengebiete intensiv zu behandeln
und die Studierenden auf dem Weg zum Examen länger6
O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 — 1 6
17 Towfigh/Traxler/Glöckner, Zur Benotung in der Examensvorbereitung
und im ersten Examen. Eine empirische Analyse, Zeitschrift
für Didaktik der Rechtswissenschaft 2014, S. 8, 12 ff.
18 DJFT 2022/II Nr. 2 und 3.
19 DJFT 2022/II Nr. 4; das Thema war schon im Jahr 2019 Gegenstand
eines Beschlusses, s. DJFT 2019/III.
fristig zu begleiten, um Problemen und Schwächen
nachhaltig auf den Grund zu gehen. Ein Crashkurs von
maximal einer oder zwei Wochen reicht lediglich zur
Stoffwiederholung kurz vor dem Examen aus. Zusätzlich
sollten die Programme zur Examensvorbereitung durch
ein kontinuierliches Angebot zur Anfertigung von Examensklausuren
sowie Probeexamina mit angemessener
Korrektur auf Examensniveau unterstützt werden. Gerade
die stetige Verbesserung und Versicherung durch das
Anfertigen von Klausuren auf Examensniveau unter Examensbedingungen
kann die Sicherheit der Studierenden
für die Prüfungstage bewiesenermaßen fördern.17
Die Realisierung und Intensivierung der in den Fakultäten
schon existierenden Programme ist freilich
nicht umsonst zu haben. Die chronisch unterfinanzierten
und personell unterbesetzten juristischen Fakultäten
arbeiten schon jetzt über das sich aus den vorhandenen
Stellen ergebende Lehrdeputat hinaus. Es ist daher notwendig,
die Ausstattung der Fakultäten zu verbessern;
dafür muss die Politik sensibilisiert werden. Schon jetzt
gilt aber für die Fakultäten, gezielt und bewusst alle vorhandenen
Kräfte zu mobilisieren, um ihre Studierenden
davon zu überzeugen, dass ein erfolgreiches Examen
ohne teures, kommerzielles Repetitorium möglich ist. - Geschürte Ängste
Kommerzielle Anbieter vermitteln den Studierenden
von Beginn an, dass ihr Examen nur durch den Besuch
des kostenpflichtigen Kurses erfolgreich sein kann, weil
dort jegliche höchstrichterliche Rechtsprechung besprochen
wird, sowohl die aktuellste als auch die, die in den
letzten Jahren in den deutschlandweit geschriebenen
Examensklausuren relevant war. Dabei wird verkannt,
dass die Kenntnis der logischen und systematischen
Denkgrundlagen erforderlich und ausreichend ist, um
anhand bekannter Argumentationsstrukturen eine
Lösung auch für unerwartete Fälle abzuleiten. Die Fakultäten
sollten den Studierenden daher von Beginn an vermitteln,
dass nur die Beherrschung der dogmatischen
und systematischen Grundstrukturen der Rechtsordnung
und der juristischen Argumentationstechnik wirklich
die Lösung von Fällen, auch der unbekannten, und
daher ein erfolgreiches Examen garantieren.
Darüber hinaus sollte deutlicher hervorgehoben werden,
dass im Examen keinesfalls das „Nachbeten“ einer
Musterlösung erwartet wird, sondern die Prüfungsleistung
gerade darin besteht, innerhalb der Kürze der vorgegebenen
Zeit eine vertretbare Lösung eigenständig
und vollständig auszuformulieren. Damit ist bei der Ersten
Juristischen Staatsprüfung nicht lediglich die Fähigkeit
gefragt, umfangreiches Wissen zu reproduzieren,
sondern es geht vielmehr darum, bekannte Strukturen in
einer Transferleistung auf unbekannte Sachverhalte anzuwenden
und gleichzeitig ein solides Zeitmanagement
an den Tag zu legen. - Stärkere professorale Beteiligung an der Ersten Juristischen
Staatsprüfung
Konsequent dazu ist, dass eine angemessene Beteiligung
von Professoren und Professorinnen an Gestaltung und
Durchführung des schriftlichen und mündlichen Examens
erfolgt. Der Prüfungsstil der Universität, die
methodische Herangehensweise, die Themen sind den
Examenskandidaten aus dem Studium vertraut; Examensklausurenvorschläge
seitens der Fakultäten stellen
die Verbindung zwischen universitärer Lehre und staatlicher
Prüfung her. Auch das ist geeignet, Ängste vor
dem Examen abzubauen.18 Die Praxis diesbezüglich ist
allerdings in den Bundesländern unterschiedlich.
Grundsätzlich sind die Fakultäten regelmäßig sowohl
bei der Erstellung als auch bei der Korrektur von Examensklausuren
beteiligt und in den mündlichen Prüfungskommissionen
vertreten. Das ist aber nicht überall
und vor allem nicht in der gleichen Art und Weise
gewährleistet, sowohl was den Umfang als auch was die
Prüfungsvergütung und die Vergütung für die Erstellung
von Aufgabenvorschlägen anbelangt. Deswegen hat der
DJFT im Juni per Beschluss bekräftigt,19 dass die Bundesländer,
soweit nicht schon geschehen, die Voraussetzung
dafür schaffen sollen, Professoren und Professorinnen
eine angemessene Vergütung für die Beteiligung am
staatlichen Teil der Ersten Juristischen Prüfung zu
gewähren, um so sicherzustellen, dass auch im Pflichtteil
der Ersten Juristischen Prüfung eine hohe universitäre
Beteiligung vorherrscht. - Digitalisierung in der Lehre
In die Diskussion über die Prüfungsmodalitäten, die
konkreten Antworten auf die Zweifel der Studierenden
und die aktuellen Perspektiven der juristischen AusbilChiusi
· Themen und Perspektiven der juristischen Ausbildung 7
20 Vgl. nunmehr § 5d Abs. 6 S. 2 DRiG.
21 In den Ländern Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt
besteht die Möglichkeit bereits; in Nordrhein-Westfalen sind die
Justizprüfungsämter ab 2024 verpflichtet, die Anfertigung der
Aufsichtsarbeiten in elektronischer Form zu ermöglichen, s. § 10
Abs. 1 JAG NRW.
dung hat der DJFT auf der 101. Tagung in Saarbrücken
darüber hinaus das Thema der Digitalisierung einbezogen.
Diese ist gleich in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung:
als Medium der Lehre, als Prüfungsgegenstand
und schließlich als Prüfungsformat selbst.
Die Pandemie hat die Anwendung von digitaler Lehre
sehr beschleunigt, wenn auch aus der Not heraus, um
Lehre überhaupt zu gewährleisten. Zwar besteht Konsens
darüber, dass die digitale Lehre die Präsenzlehre
nicht ersetzen kann und soll. So liegt doch eine grundlegende
Erfahrung aus der Corona-Zeit in der Bestätigung,
dass die Universität ein Ort der Begegnung von
Lehrenden und Lernenden ist, weil die Präsenz und der
analoge Austausch im persönlichen Gespräch für beide
Seiten unverzichtbar sind und dass der Austausch unter
den Studierenden essentieller Bestandteil des universitären
Lebens ist. Doch ist zu überlegen, wie die Erfahrungen
mit den Digitalformaten als reflektierte Bestandteile
der Lehre weiterhin sinnvoll und effektiv fruchtbar gemacht
werden können, auch nach dem Ende der pandemiebedingten
Beschränkungen und zwar vor dem Hintergrund
ihrer spezifischen Eigenschaften. So erlauben
die Digitalformate zum Beispiel Interaktionsformen
(Breakout-Sessions, Umfragen, Reaktionen per Chat
oder Emoticons), die sich durchaus positiv auf den Lernprozess
auswirken können, lassen aber Ablenkung und
Vereinsamung vor dem Bildschirm zu, was weder sinnvoll
noch wünschenswert ist. Soziale Isolation und fehlender
Austausch mit „Leidensgenossen“ insbesondere
in der Examensvorbereitung drohen so gesehen, die psychische
Belastung und Prüfungsängste gar zu
verstärken.
Schon jetzt umfasst das Studium – und damit die Erste
Juristische Prüfung – selbstverständlich Normen aus
dem Pflichtbereich des Bürgerlichen Rechts, des Öffentlichen
Rechts und des Strafrechts, die mit der Digitalisierung
zu tun haben (§§ 327 ff. BGB; §§ 3a, 35a VwVfG;
§§ 202a ff., §§ 303a ff. StGB). Bei diesen wird es sicher
nicht bleiben – die Themenvielfalt, der Umfang des Prüfungsstoffs,
die Anforderungen in der Ersten Juristischen
Prüfung und damit letztlich auch der angeprangerte
Prüfungsdruck werden erneut steigen. Die Studierenden
müssen auch im Hinblick darauf vorbereitet und
optimal mit dem nötigen Wissen ausgerüstet werden. Es
geht dabei nicht um die Fähigkeit, eigene Software zu erstellen
– dafür besteht kein Bedürfnis, auf dem Markt
gibt es spezialisierte Fachkräfte – sondern etwa darum,
den Umgang mit Informationen von automatisierten
Systemen prüfend zu betrachten und die Mechanismen
bewusst zur Kenntnis zu nehmen (v. a. die Verknüpfung
von Informationen), auf deren Basis Algorithmen Entscheidungen
treffen oder vorschlagen. Die Schwerpunktbereiche
bieten im Anschluss daran die Möglichkeit,
spezielleren Digitalisierungsfragen nachzugehen.
Darüber hinaus entwickelt sich der Bereich der Ergänzung
des juristischen Studiums durch Begleit- oder Aufbaustudiengänge
als Zusatzangebote. Hier können technische
Grundlagen wie Datenorganisation, Netzstrukturen,
Fragen der IT-Sicherheit etc. vermittelt werden. Die
zu alldem notwendige Kompetenz kann, falls sie (noch)
nicht in den Fakultäten ausreichend vorhanden ist,
durch Lehrbeauftragte aus der Praxis oder – dann digital
– durch eine Vernetzung von Lehrkräften, auch aus dem
Ausland, und Blockveranstaltungen integriert werden.
Diesbezüglich ist allerdings festzuhalten, dass es sich dabei
nicht um eine regelmäßige oder gar institutionelle
Übernahme von Vorlesungen an einer Fakultät durch
Kollegen und Kolleginnen aus einer anderen Fakultät
handeln kann, sondern nur um punktuelle Erweiterung
des Angebots durch spezifische Kompetenzen: Sinnvolle,
gute digitale Lehre erfordert mehr Mittel, nicht weniger,
sie darf jedenfalls nicht als Anlass zur Reduzierung der
Gesamtzahl von Lehrstühlen missbraucht werden.
Nachdem der Bundesgesetzgeber die Möglichkeit des
Computereinsatzes in der staatlichen Pflichtfachprüfung
explizit zugelassen hat,20 haben diese schon einige Bundesländer
für die Zweite Juristische Prüfung vorgesehen.
21 Die Entscheidung über einen Einsatz liegt zwar
nicht in der Kompetenz der Fakultäten, diese werden die
Studierenden aber auch darauf entsprechend vorbereiten
müssen: Es kann nicht verlangt werden, Klausuren
während des Studiums per Hand schreiben zu müssen
und sie in der staatlichen Pflichtfachprüfung in den
Computer einzutippen. Die Anschaffung von geeigneten
Textverarbeitungsgeräten und die Bereitstellung der logistischen
Infrastruktur (Tische, Räumlichkeiten, Stromnetz
etc.) wird nicht unerhebliche Kosten und organisatorische
Maßnahmen nach sich ziehen, die sicherlich
nicht aus den alles andere als üppigen Finanzen der Fakultäten
bestritten werden können. Da auch die Justizprüfungsämter
in den Prüfungsräumlichkeiten nicht
über die nötige Ausstattung verfügen und daher auch
dort entsprechende Anschaffungskosten anfallen werden,
wird die denkbare Umstellung von handgeschriebe8
O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 — 1 6
22 Vgl. dazu Lobinger, in: Schneider, LTO Karriere v. 19.11.2019, Digitalisierung
der Juristenausbildung: „Das elektronische Examen
ist eine Verführung“, abrufbar unter: https://www.lto.de/karriere/
jura-studium/stories/detail/e‑examen-klausur-laptop-debattekoeln-
verfuehrung-zukunft (letzter Zugriff 02.12.2022).
23 Fünftes Gesetz zur Änderung des DRiG v. 22.11.2019, BGBl. 2019,
I, S. 1755.
24 DJFT 2022/III a.
25 DJFT 2022/III b.
26 Das erste Modell wird z. B. in Bayern, Baden-Württemberg,
Niedersachsen und Rheinland-Pfalz praktiziert, das zweite in
Schleswig-Holstein, Berlin, Hamburg, Sachsen und Thüringen. Es
fällt auf, dass in denjenigen Ländern, die eine Notenverbesserung
auf Freiversuchler beschränken, der Anteil der Freiversuchler
überdurchschnittlich groß ist (über 50 Prozent z. B. in Berlin,
Hamburg, Sachsen, Thüringen und Schleswig-Holstein), während
er in denjenigen Ländern, die die Notenverbesserung unabhängig
vom Freiversuch ermöglichen, viel geringer ist (um die 20
Prozent in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und
Rheinland-Pfalz).
27 In den Jahren von 2014 bis 2019 lag z. B. in Schleswig-Holstein
– das von der Bundesfachschaft in der Podiumsdiskussion
anlässlich der Bundesfachschaftentagung 2022 in Hamburg als
Beispiel für die restriktive Notenverbesserungsregelung angeführt
wurde – der prozentuale Anteil der Kandidaten, die endgültig
nicht bestanden haben, drei Mal über und drei Mal unter dem
bundesweiten Gesamtdurchschnitt, vgl. Bundesamt für Justiz,
Ausbildungsstatistik zur Juristenausbildung über die Ergebnisse
der Pflichtfachprüfung, jeweils abrufbar unter: https://www.
bundesjustizamt.de/DE/Service/Justizstatistiken/Justizstatistiken_
node.html#AnkerDokument44060 (letzter Zugriff 02.12.2022).
28 DJFT 2021/I; 2021/II.
29 DJFT 2021/II Nr. 1 und 2.
30 In diese Richtung geht die im letzten Jahr erfolgte Erweiterung
des § 5a Abs. 2 DRiG, nach der „…die Vermittlung der Pflichtfächer
[…] auch in Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen
Unrecht und dem Unrecht der SED-Diktatur“ erfolgt.
nen auf computergetippte Examensklausuren auch in
dieser Hinsicht zu einer Herausforderung, bei der eine
sorgfältige Kosten-Nutzenanalyse vorangehen sollte.
Dem praktischen Nutzen (etwa bessere Lesbarkeit der
Klausuren, Einfachheit und Sicherheit der Übermittlung
der Klausuren an die Landesprüfungsämter, Umgang
mit elektronischen Medien), stehen nämlich die technischen
und ökonomischen Herausforderungen sowie die
möglichen Konsequenzen für die Denkstrukturen der
Studierenden beim Verzicht auf handgeschriebene Klausuren
und Lösungsskizzen gegenüber.22 Der DJFT steht
diesbezüglich in engem Austausch mit Vertretern der
Politik, den Studierendenvertretern und den Landesjustizprüfungsämtern,
um eine bestmögliche Lösung zu
garantieren. - Freiversuchsregelungen
Auch der letzte Beschluss des jüngsten Fakultätentages
war der Optimierung der Prüfungsmodalitäten zum
Zweck des Angstabbaus gewidmet. Die 2019 erfolgte
Verlängerung der Regelstudienzeit23 erfordert eine
Anpassung der Frist zur Meldung für den Freiversuch
auf das neunte Semester, was der DJFT gefordert hat.24
Daneben hat sich die Interessenvertretung dafür ausgesprochen,
die Möglichkeit der Notenverbesserung unabhängig
vom Zeitpunkt der Meldung für den Erstversuch
vorzusehen.25 Der im Rahmen der Problematik des psychischen
Drucks von der Bundesfachschaft geäußerte
Wunsch, die in den Bundesländern noch zum Teil unterschiedlich
geregelte Frei- und Verbesserungsversuchsregelung
zu harmonisieren, wird vom DJFT unterstützt.
Den Ländern, die eine Verbesserungsmöglichkeit nur
dann zulassen, wenn ein Freiversuch absolviert wurde,
nicht aber generell nach bestandenem Erstversuch, wird
daher empfohlen, den Verbesserungsversuch auch nach
bestandenem Erstversuch vorzusehen.26 Zwar hat die
restriktivere Regelung nur einen Einfluss auf die Möglichkeit,
die Note zu verbessern, sodass keine größere
Gefahr der Abschlusslosigkeit aufgrund dieser Regelung
besteht.27 Im Ergebnis steht den Kandidaten, die den
Freiversuch wahrnehmen, nämlich in beiden Modellen
nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen ein weiterer zur
Verfügung. Doch verleitet die restriktivere Regelung die
Studierenden dazu, auch dann in das Examen zu gehen,
wenn sie sich noch nicht genügend vorbereitet fühlen
(und möglicherweise sind), was sicherlich den Druck
und den Stress erhöht und zu schlechteren Ergebnissen
führen kann. - Wissenschaftlichkeit und Internationalisierung des
Studiums
In der Perspektive der Verbesserung und Vertiefung
des Studiums hat sich der Deutsche Juristen-Fakultätentag
gerade anlässlich seines in Karlsruhe gefeierten 100.
Jubiläums mit den Themen „Grundlagenfächer in der
Ausbildung“ und „Internationalisierung des Studiums“
beschäftigt und Beschlüsse dazu gefasst.28 Dabei wurde
betont, dass die Verbindung im rechtswissenschaftlichen
Studium zwischen dogmatischen Fächern und Grundlagenfächern
sich auf „die begrifflich-systematische Erfassung
der Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit sowie die
Verknüpfung zwischen Forschung und Praxis, zwischen
Dogmatik und theoriefundierter Rechtsanwendung“
gründet. Deswegen stellen sie „einen wesentlichen Teil
des Pflichtfachstudiums“ dar und „[…] sind maßgeblich
für die Verwirklichung des wissenschaftlichen Anspruchs
der juristischen Ausbildung an der Universität
[…]“.29 Die Auseinandersetzung mit Grundlagenwissen
soll daher nicht nur in separaten Lehrveranstaltungen,
sondern auch in der Lehre der dogmatischen Fächer30
Chiusi · Themen und Perspektiven der juristischen Ausbildung 9
31 DJFT 2021/II Nr. 3.
32 DJFT 2021/I Nr. 1.
33 DJFT 2021/I Nr. 3 und 4.
34 DJFT 2021/I Nr. 5 und 6.
35 DJFT 2004/II; 2005/I; 2006/I; 2007/I; 2008/I; 2010/I; 2011/I.
36 Deutscher Juristen-Fakultätentag, Der »Bologna-Prozess«, (o.
Anm. 2).
37 S. hierzu auch u. Anm. 56 und 57.
erfolgen und sich über das gesamte Studium
erstrecken.31
Hinsichtlich der Notwendigkeit einer weiteren Internationalisierung
des Studiums wurde in Karlsruhe betont,
wie sehr „die Europäisierung und Internationalisierung
des Studiums eine Voraussetzung des beruflichen
Erfolgs zukünftiger Generationen von Juristinnen und
Juristen“ sei.32 Deswegen sollen Auslandsaufenthalte
und deren BAföG-Förderung, Sprach- und Kulturkompetenz
sowie Kenntnisse ausländischer Rechtsordnungen
als wesentlicher Teil der juristischen Ausbildung
weiter ausgebaut werden und die im Ausland erworbenen
Leistungen bei gleichwertiger wissenschaftlicher
Qualität großzügig anerkannt werden. Denn der Erwerb
vergleichender Kenntnisse anderer Rechtsordnungen
weitet den Horizont und ermöglicht ein tieferes Verständnis
des nationalen Rechts.33 Schließlich sollte eine
zweite Fremdsprache bzw. eine juristische Fachsprache
das Studium ergänzen; der DJFT hat sich verpflichtet,
sich dafür einzusetzen, dass die Erweiterung des Fremdsprachenangebots
auch in den anderen Ländern der
Union angestrebt wird.34
III. Die Diskussion über den „integrierten“ Bachelor - Grundsätzliche Fragen
Ist man der Meinung, dass dem von den Studierenden
beklagten Druck zweckmäßig mit den oben genannten
inhaltlichen Maßnahmen, die gleichzeitig eine Verbesserung
der Studienbedingungen und der Studienergebnisse
darstellen, abgeholfen werden kann, steht man
der Fokussierung der Diskussion zum Angstabbau auf
den sogenannten „integrierten Bachelor“ ziemlich ratlos
gegenüber. Die Idee, einen Abschluss aufgrund des Umstandes
zu verleihen, dass der eigentlich avisierte und gewollte
nicht geschafft wurde, mutet nicht nur vor dem
Hintergrund der traditionellen Anforderungen der juristischen
Ausbildung mindestens seltsam, sondern auch
im Hinblick auf das Regelwerk des auf Bachelor/Master
basierenden Bologna-Systems beinahe arrogant an.
Als Argument für den „integrierten Bachelor“ wird
ausgeführt, dass der Druck und die Ängste der Studierenden
verschwänden, wenn nach drei Jahren Jura-Studium
ein juristischer Bachelor erworben werden könnte.
Es wird vorgebracht, damit wäre gerade die Angst vor
der Abschlusslosigkeit, die die Studierenden besonders
unter Druck setze, gebannt, denn man hätte auf jeden
Fall, d. h. auch beim Nichtbestehen der Ersten Juristischen
Staatsprüfung, etwas in der Hand. Dabei stellt sich
unweigerlich die Frage, was das für ein Abschluss wäre,
der als Trost dafür verliehen wird, dass man den eigentlich
angestrebten nicht erreicht hat? Welche Fertigkeiten
und Kompetenzen würde er amtlich dokumentieren?
Wozu würde er qualifizieren? Und vor allem: Ist ein zusätzlicher
Abschluss überhaupt geeignet, den Prüfungsdruck
der Studierenden nachhaltig zu mindern oder
werden damit nicht mehr Probleme geschaffen als
gelöst?
Der Deutsche Juristen-Fakultätentag hat sich aus guten
Gründen mehrmals gegen die Einführung eines Bachelors
als flächendeckenden regulären Abschluss der
juristischen Ausbildung ausgesprochen.35 Im Zuge des
Bologna-Prozesses wurde bewusst darauf verzichtet, die
auf den Staatsexamina basierende juristische Ausbildung
in einen Bachelor-Master-Studiengang umzuwandeln.
Die Mitglieder der juristischen Fakultäten, d. h. Lehrende
und Lernende, zusammen mit den Justizministerien
der Länder und dem Bundesjustizministerium kämpften
gemeinsam, am Ende erfolgreich, gegen die Umstellung
des Jura-Studiums auf „Bologna“.36 Die Erfahrung der
letzten Jahre in den anderen Fakultäten, die das
„Bologna“-Modell übernommen haben, hat die Richtigkeit
der damals ausgetauschten Argumente bestätigt.
Weder ist die Mobilität der Studierenden gestiegen, noch
ist die Vergleichbarkeit der Abschlüsse einfacher geworden.
37 Aber auch das Qualifizierungspotential des drei1
0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 — 1 6
38 So z. B. Schlicht, in: Tagesspiegel, Der Master wird zum Elite
Abschluss, v. 07.02.2012, abrufbar unter https://www.tagesspiegel.
de/wissen/der-master-wird-zum-eliteabschluss-2052661.html
(letzter Zugriff 07.11.2022); Bohmann, in: Welt, Nur die Elite
macht den Master, v. 25.10.2012, abrufbar unter: https://www.welt.
de/print/welt_kompakt/article110223954/Nur-die-Elite-machtden-
Master.html (letzter Zugriff 02.12.2022); Euen, in: Deutschlandfunk,
Psychologie-Master, Die Krux mit den Studienplätzen,
v. 23.09.2014, abrufbar unter https://www.deutschlandfunk.de/
psychologie-master-die-krux-mit-den-studienplaetzen-100.html
(letzter Zugriff 07.11.2022); die Situation hat sich in den letzten
Jahren zwar verbessert, etwa Busch, in: Zeit, IST ES SCHWER,
EINEN PLATZ ZU BEKOMMEN?, v. 27.05.2016, abrufbar unter:
https://www.zeit.de/campus/2016/s2/zulassung-master-studienplaetze
(letzter Zugriff 02.12.2022), aber teilweise fehlen weiterhin
ausreichende Masterplätze, s. Spinrad, in: Süddeutsche Zeitung,
Warum in Bayern Studienplätze für Psychotherapeuten fehlen, v.
28.05.2022, abrufbar unter https://www.sueddeutsche.de/bayern/
eichstaett-psychotherapie-ausbildung-bayern‑1.5586639 (letzter
Zugriff 02.12.2022). In den letzten Jahren scheint der Bachelorabschluss
in absoluten Zahlen an Akzeptanz gewonnen zu haben,
doch verbleibt ein – in unserem Zusammenhang sehr interessanter
– relevanter Unterschied zwischen Universitäten und
Fachhochschulen: Die Quote derjenigen, die nach dem Abschluss
eines universitären Bachelors einen Masterabschluss anhängen,
liegt mit 66 Prozent weiterhin auf einem hohen Niveau (mit
Spitzenwerten von knapp 80 Prozent bei der Fächergruppe „Mathematik
und Naturwissenschaften“), während nur 29 Prozent
derjenigen, die einen Bachelor an einer Fachhochschule erworben
haben, ein Masterstudium aufnehmen, s. Statistisches Bundesamt,
Pressemitteilung Nr. 201 v. 12.05.2022, Prüfungsjahr 2019:
45 % der Bachelorabsolventinnen und ‑absolventen begannen
ein Masterstudium, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/
Presse/Pressemitteilungen/2022/05/PD22_201_213.html (letzter
Zugriff 02.12.2022).
39 Vgl. Campos Nave/Bauer, in: F.A.Z., Der Bachelor mischt den
Juristenmarkt auf, v. 12.10.2022, abrufbar unter: https://www.faz.
net/aktuell/karriere-hochschule/buero-co/der-bachelor-mischtden-
juristenmarkt-auf-18379793.html (letzter Zugriff 02.12.2022).
Dort heißt es, ein Bachelor würde in manchen spezifisch en Arbeitsmarktsituationen
besser qualifizieren als die Staatsprüfung.
Da es schon denklogisch unmöglich ist, dass das Bestehen einiger
Abschlussklausuren zusammen mit dem Erwerb einiger Scheine,
was die Voraussetzung für die Anmeldung zu der umfassenden
Ersten Staatsprüfung bildet, besser als das Bestehen dieser qualifiziert,
können die Autoren nur Bachelor-Abschlüsse mit einer
zusätzlichen, spezifisch en Qualifikation im Blick gehabt haben,
nicht den „integrierten Bachelor“. Doch könnte der flüchtige
bzw. nicht in der Thematik erfahrene Leser gerade den Eindruck
bekommen, es sei letzterer gemeint.
40 Manche der rabiaten oder gar diffamierenden Reaktionen auf
meinen F.A.Z.-Artikel vom 30.Juni 2022 basieren auch darauf,
dass mir – vielleicht auf Grund der von der Redaktion gewählten
Überschrift des online-Artikels – eine Missbilligung sämtlicher
Bachelorabschlüsse unterstellt wurde.
41 Die große Vielfalt der – wie bereits gesagt – schon jetzt existierenden
grundständigen sowie komplementären Studiengänge mit
einem Bachelor-Master-Abschluss sind ebenfalls auf der Webseite
des DJFT einsehbar, vgl. https://www.djft.de/studium/ (letzter
Zugriff 02.12.2022) unter „Studienangebote“.
42 DJFT 2007/I Nr. 6.
43 DJFT 2010/I Nr. 1.
44 Vgl. exemplarisch die Richtlinie des Prüfungsausschusses des
Bachelorstudiengangs Recht und Wirtschaft zur Anrechnung von
Kompetenzen an der Universität Bayreuth.
45 Exemplarisch hierzu § 24 Studien- und Prüfungsordnung der
Ruhr-Universität Bochum für das Studium der Rechtswissenschaft
mit Abschluss „Erste Prüfung“.
jährigen Abschlusses wurde in der Praxis relativiert, wie
die Diskussion über nicht ausreichende Master-Studienplätze
für alle Bachelorabsolventen, die auch den darauffolgenden
Master absolvieren möchten, gezeigt hat.38 - Spezialisierte Bachelor-Studiengänge an juristischen
Fakultäten
In der aktuellen Diskussion über einen universitären
„integrierten“ Bachelor als allgemeinen juristischen
Abschluss wird dieser immer wieder mit anderen Bachelorabschlüssen,
die im Umfeld der Rechtswissenschaft
existieren, in einen Topf geworfen,39 was unzutreffend
ist und für Missverständnisse sorgt.40 Neben dem Studiengang
Rechtswissenschaft, der mit der Ersten Juristischen
Prüfung abgeschlossen wird, bieten nämlich
bereits jetzt diverse juristische Fakultäten weitere komplementäre
Studiengänge und Aufbaustudiengänge an,
die den Studierenden Berufsfelder abseits der klassischen
juristischen Berufe erschließen, bzw. eine zusätzliche
Qualifikation ermöglichen.41 Der DJFT sieht das
schon lange als eine positive Entwicklung. Schon 2007
hieß es in dem entsprechenden Beschluss des DJFT: „In
der Kombination mit nicht-juristischen Inhalten (z. B.
wirtschaftswissenschaftlichen, naturwissenschaftlichen,
medienspezifischen) und gegebenenfalls mit einem entsprechenden
Master-Abschluss kann ein Bachelor mit
juristischen Inhalten, B.A., Sinn machen“.42 Diese juristischen
Bachelorstudiengänge, die für Tätigkeiten in
Unternehmen, Banken, Versicherungen etc. gedacht
sind, existieren schon an vielen juristischen Fakultäten
und stehen Interessenten mit einem solchen Berufswunsch
offen. Dazu zählen auch die Bachelor- oder Master-
Studiengänge, die eine spezifische Qualifikation in
einem ausländischen Rechtssystem in Kombination mit
dem deutschen anbieten. An diesem Modell der „pluralistischen
Ausbildung“ hält der DJFT fest.43
Übrigens ist, was in der Diskussion völlig ausgeblendet
wird, in vielen dieser bereits existierenden
Bachelorstudiengängen eine Anerkennung von
erbrachten Prüfungsleistungen auch ohne bzw. nach
einem gescheiterten Staatsexamen, ggf. durch den
jeweiligen Prüfungsausschuss der Fakultät, möglich44,so
wie umgekehrt ein Wechsel etwa von wirtschaftsjuristischen
Bachelorstudiengängen zum klassischen Studiengang
mit dem Ziel Erste Juristische Staatsprüfung zulässig
ist.45
Chiusi · Themen und Perspektiven der juristischen Ausbildung 1 1
46 Dass das keine bloße Befürchtung ist, zeigt der Appell des Dekans
der HU Berlin v. 19.05.2021, abrufbar unter: https://www.rewi.huberlin.
de/de/sp/2015/llb (letzter Zugriff 02.12.2022). Nach diesem
haben zwar alle „formal das Recht“, den Bachelor zu beantragen;
weil der Verwaltungsaufwand zur Ausstellung der Bachelorzeugnisse
aufgrund der geltenden Vorschriften erheblich ist,
„ohne dass die Fakultät dafür weitere Ressourcen zur Verfügung
gestellt bekommen kann“, wird aber darum gebeten, ein solches
Zeugnis nur im Ausnahmefall zu beantragen, damit es nicht zu
„unbeabsichtigten für alle Studierende der Fakultät nachteiligen
Folgen“ kommt, da „andere wichtige Arbeiten im Prüfungsbüro
(Prüfungskoordination, Leistungsverbuchungen, Beratungen)
verzögert oder eingeschränkt werden“.
47 In diesem Zusammenhang könnte sich dann die Frage stellen,
wie sich die Heranziehung der Leistungen des Schwerpunktbereichs
zum Erwerb des integrierten Bachelors auf die Diskussion
über die Gesamtnote der Ersten Juristischen Prüfung auswirken
wird. Gelten die Leistungen und die Ergebnisse des Schwerpunktbereichsstudiums
auch als Leistungen zum Zweck des Erwerbs
des Bachelors, würden sie zweimal verwertet werden, für die Note
des Bachelors und für die Note der Ersten Juristischen Prüfung.
Unabhängig von hochschul- und prüfungsrechtlichen Profilen,
die zu eruieren wären, könnte dies Wasser auf die Mühlen der
Gegner der Gesamtnote sein.
48 Aus manchen Gesprächen mit Studentenvertretungen gewinnt
man zum Teil den Eindruck, dass in deren Vorstellung mit dem
Bachelor eigentlich eine amtliche Form der Anerkennung der
üblicherweise auf dem Weg zum Staatsexamen bestandenen
Leistungskontrollen (Zwischenprüfungen, Abschlussklausuren,
Schwerpunktbereichsleistungen usw.) intendiert ist, ein Gesamtzeugnis
mit Vordiplom-Charakter (das übrigens zu dem Dipl.
Jur.-Titel passen würde, den so gut wie alle Fakultäten nach der
bestandenen Ersten Juristischen Prüfung verleihen) als amtliche
Zertifizierung dafür, dass man auf dem richtigen Weg zur
Staatsprüfung ist. Es fällt aber schwer zu glauben, dass ein solcher
Bachelor sui generis hochschulrechtlich möglich sein könnte und
durch die Wissenschaftsministerien ausgerechnet für die Juristen,
die sich erfolgreich gegen das Bologna-System gestemmt hatten,
durchgewunken würde.
49 § 8 Abs. 2 S. 1 Musterrechtsverordnung gemäß Art. 4 Abs. 1
– 4 Studienakkreditierungsstaatsvertrag (Beschluss der
Kultusministerkonferenz v. 07.12.2017).
50 Das Bestehen der diversen Leistungskontrollen und der Übungen
ist sinnvoll und ausreichend im Hinblick auf das Examen, verschafft
aber nicht die für die Ausübung eines juristischen Berufs
notwendigen Kompetenzen, auch dann nicht, wenn zusätzlich
eine Haus- oder Seminararbeit im Rahmen des Schwerpunktbereichstudiums
als Bachelorarbeit geschrieben werden muss.
51 Vgl. etwa Art. 17 Abs. 1 Rahmenprüfungsordnung der Universität
des Saarlandes für Bachelor- und Master-Studiengänge; auch das
ist aber nicht einheitlich geregelt. - Konsequenzen der Einführung eines „integrierten“
Bachelors
Würde man aber neben den ohnehin schon bestehenden
diversen Bachelorstudiengängen einen weiteren, flächendeckenden,
allgemeinen Bachelorstudiengang – mit
dem Ziel „Bachelor of Laws“ – in den Studiengang
Rechtswissenschaft – mit dem Ziel „Erste Juristische
Prüfung“ – implementieren, müssten, ungeachtet der
mit einer solchen „Vermischung“ zweier an sich autonomer
Studiengänge verbundenen hochschulrechtlichen
Fragen, konsequenterweise auch alle entsprechenden
Vorgaben des Modularisierungs- und Notenvergabeprozesses
sowie der Anfertigung einer Bachelorarbeit eingehalten
werden. Dies bedeute nicht nur eine zusätzliche
Belastung für die Verwaltung der Fakultäten,46 sondern
ebenso zusätzlichen Lern- und Prüfungsdruck für die
Studierenden: Die unter Studierenden verbreitete Idee,
man könne einen solchen „integrierten“ Bachelor of
Laws quasi nebenbei durch das Bestehen der „Großen
Übungen“, der vergleichsweise in Anzahl überschaubaren
und in den Modalitäten der Prüfungsdurchführung
weniger streng organisierten Abschlussklausuren des
jetzigen, auf die Staatsprüfung ausgerichteten Studiums
sowie der Ableistung einer (ohnehin kaum vergleichbaren)
Schwerpunktbereichsleistung47 erwerben, basiert
auf Unkenntnis oder mindestens Unterschätzung der
bürokratischen Anforderungen des Bachelorsystems.48
Dieses ist nämlich ein durchreguliertes, von der Erbringung
von modularisierten und regelmäßigen Studienleistungen
in Höhe von mindestens 180 ECTS-Punkten
gekennzeichnetes System.49 Diese Anforderungen gelten
für alle Fakultäten und sind normalerweise Voraussetzung
für die Akkreditierung eines jeden Bachelors, ohne
den auch kein Master möglich ist. Sie sind aber kaum
kompatibel mit der jetzigen Struktur des Jura-Studiums,
welches die Abschlussklausuren und Zwischenprüfungen
als Propädeutikum zum Examen bzw. als Kontrolle
für die Studierenden hinsichtlich ihrer eigenen Vorbereitung,
50 nicht als definitive Entscheidung über das
Erwerben eines Abschlusses begreift, und daher sich
eine gewisse Freiheit und Großzügigkeit in der Gestaltung
und Durchführung der Leistungskontrollen erlauben
kann. Trotz der Einführung von Leistungskontrollen
in unterschiedlichen Formen in beinahe allen juristischen
Fakultäten bleibt das Jura-Studium, gerade weil es
nicht in das Bologna-System integriert ist, im Vergleich
zu anderen universitären Studiengängen weniger streng
reglementiert. Auch die „großen Übungen“ sind gegenwärtig
nicht als definitive Entscheidung über das Erwerben
eines Abschlusses konzipiert und deswegen grundsätzlich
beliebig oft wiederholbar. Die Prüfungen im
Bologna-System sind dagegen in der Regel nur begrenzt
wiederholbar; das Nichtbestehen führt zum Ausschluss
vom Studium.51 Mit der flächendeckenden Einführung
eines integrierten Bachelors ginge also zum einen einher,
dass jede einzelne Prüfungsleistung in die Bildung einer
Gesamtnote einfließen würde und jede Teilleistung im
1 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 — 1 6
52 Das führte überdies zu der Frage nach einer – einheitlichen? –
Umrechnung der rechtswissenschaftlichen Klausurpunkte auf das
Notenschema in den Bachelor-Master-Studiengängen. An der
Universität des Saarlandes führen z. B. 9 Klausurpunkte „nur“ zu
einer 2,7 in der Bologna-Notenskala; ebenso an der HU Berlin.
An der Universität Bremen oder der Universität in Frankfurt
wäre es bereits eine 2,3.
53 Übrigens gehörte damit wohl die bekannte, wenn nicht vertraute
Taktik „4 gewinnt“ der Vergangenheit an.
54 Nach Heublein/Hutzsch/Kracke/Schneider, Die Ursachen des
Studienabbruchs in den Studiengängen des Staatsexamens Jura.
Eine Analyse auf Basis einer Befragung der Exmatrikulierten vom
Sommersemester 2014. DZHW-Projektbericht, 2017, S. 19 verlassen
56 Prozent der Jura-Studienabbrecher das Studium innerhalb
der ersten vier Semester, ein Anteil von 27 Prozent bricht das
Studium nach dem zehnten Semester ab. Damit exmatrikulieren
sich die Studienabbrecher in der Rechtswissenschaft durchschnittlich
nach 6,8 Semestern, während der universitäre Durchschnitt
bei 5,2 Semestern liegt. Als Grund für den späteren Abbruch im
Studiengang der Rechtswissenschaft vermuten die Autoren der
Studie den Umstand, dass es „an Faktoren fehlt, die einen solchen
Prozess (Entscheidungsprozess, der zum Studienabbruch führt)
beschleunigen, wie z. B. Leistungsanforderungen oder Praxiserfahrungen“,
vgl. Projektbericht, S. 23.
55 Obgleich der spätere Studienabbruch, der im Jura-Studium oft
angeprangert wird, grundsätzlich als Nachteil anzusehen ist, weil
sich damit die Zeit für ein anderes Studium und für das Ergreifen
eines anderen Berufs in die Länge zieht, bietet gerade die weniger
ausgeprägte Reglementierung des jetzigen Jura-Studiums im Vergleich
mit den Bachelorstudiengängen die Möglichkeit, länger im
Ausbildungssystem zu bleiben und daher länger die Chance ergreifen
zu können, zur erfolgreichen Staatsprüfung zu kommen.
Vgl. Mühlenweg/Sprietsma/Horstschräter (Hrsg.), Humankapitalpotenziale
der gestuften Hochschulabschlüsse in Deutschland:
Auswertungen zu Studienbeteiligung, Studienabbrüchen, Mobilität
und Eingangsselektion, 2010, die darauf hinweisen, dass ein
längerer Entscheidungsprozess „auch zusätzliche intervenierende
Möglichkeiten eröffnen, einen Studienabbruch gegebenenfalls
noch abzuwenden“ (S. 24).
56 Woisch/Willige (Hrsg.), Internationale Mobilität im Studium
2015, Ergebnisse der fünften Befragung deutscher Studierender
zur studienbezogenen Auslandsmobilität, DAAD und DZHW
Projektbericht.
57 Mühlenweg/Sprietsma/Horstschräter (Hrsg.),
Humankapitalpotenziale der gestuften Hochschulabschlüsse
in Deutschland: Auswertungen zu Studienbeteiligung,
Studienabbrüchen, Mobilität und Eingangsselektion, 2010,
S. 9 zu den MINT-Fächern; Winter, Die Revolution blieb aus:
Überblick über empirische Befunde zur Bologna-Reform in
Deutschland, in: Nickel (Hrsg.), Der Bologna Prozess aus Sicht
der Hochschulforschung, Analysen und Impulse für die Praxis,
S. 24; Nickel, Zwischen Kritik und Empirie – Wie wirksam ist
der Bologna-Prozess?, in: Nickel (Hrsg.), Der Bologna-Prozess
aus Sicht der Hochschulforschung, Analysen und Impulse für die
Praxis, S. 12.
58 Auch die Gesamtstatistiken der Studienanfänger sind auf der
Webseite des DJFT abrufbar: Die Zahlen der Studienanfänger
schwanken – freilich in universitären Vergleich immer auf
höchsten Niveau – von 13.856 im Jahrgang 2008/2009 über 15.999
im Jahrgang 2009/2010 zu 23.399 im Jahrgang 2010/2011, von
18.502 im Jahrgang 2012/2013 zu 20.225 im Jahrgang 2013/2014,
von 19.843 im Jahrgang 2014/2015 zu 21.131 im Jahrgang 2017/2018
und von 20.018 im Jahrgang 2018/2019 zu 19.831 im Jahrgang
2019/2020 sowie 19.442 im Jahrgang 2020/2021.
Zeugnis aufgeführt würde.52 Zum anderen würde
dadurch das zusätzliche Risiko geschaffen, dass das
mehrmalige Nichtbestehen früh zum Ausschluss vom
Studium führen könnte. Inwieweit hierdurch die Stressbelastung
im Studium und der Prüfungsdruck gesenkt
wäre, erschließt sich nicht.53
Das alles liegt sicher nicht im wohlverstandenen Interesse
der Studierenden; Ziel der juristischen Ausbildung
sollte kein „Aussieben“ durch strengere Reglementierung
bereits in den unteren Semestern sein;54 schließlich
gibt es genügend Studierende, die eine gewisse Zeit
brauchen, um die Denkweise, Grundstrukturen und
Techniken sowohl des Studiums als auch des Rechtsystems
zu verstehen und daher im Grundstudium noch
mäßige Ergebnisse erzielen, bis sich die Mosaiksteine zu
einem Gesamtbild zu fügen beginnen, das die Einheit
der Rechtsordnung vor dem geistigen Auge zeigt, was
sich am Ende in einer guten Examensnote niederschlägt55.
Vielmehr sollten wir immer mehr und immer
bessere Juristen und Juristinnen ausbilden, die gleichwohl
Freude am und Erfolg im Studium und in der
Staatsprüfung haben. Das gelingt nur – wie oben ausgeführt
– durch inhaltliche Maßnahmen. - Einige nicht überzeugende Argumente
Das Argument, dass ein integrierter Bachelor die internationale
Mobilität der Studierenden erleichtern würde,
ist uns bereits aus dem Bologna-Prozess bekannt. Tatsächlich
sind die Juristen und Juristinnen im Vergleich
zu anderen Studiengängen aber nicht weniger mobil, im
Gegenteil.56 Darüber hinaus zeigen statistische Erkenntnisse,
dass die Umstellung auf das Bachelor-Master-System
in anderen Studiengängen nicht zu einer Steigerung
der internationalen Mobilität beigetragen hat.57
Auch die Behauptung, die juristischen Fakultäten erreichten
zunehmend potentielle Studieninteressierte
nicht, weil diese von den Examensbedingungen abgeschreckt
würden, widerspricht der Gesamtstatistik der
Studienanfänger in der Rechtswissenschaft und lässt die
Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen
– wie des demographischen Rückgangs oder zuletzt
der Corona Pandemie – vermissen.58 Jedenfalls bleiben
Chiusi · Themen und Perspektiven der juristischen Ausbildung 1 3
59 Da das Statistische Bundesamt die Anzahl der Studierenden nur
nach Fächergruppen liefert, in denen die Rechtswissenschaft
zusammen mit den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften aufgelistet
ist, wurden die Beispiele aus den im Internet zugänglichen
Daten einzelner Universitäten, nicht alle veröffentlichen die
Studierendenzahlen, recherchiert; man beachte, dass manche
Fakultäten (z. B. die philosophisch-historisch-philologischen
oder die naturwissenschaftlichen, oder die psychologischesportwissenschaftlichen
usw.) anders als die juristischen, die im
Wesentlichen nur den Studiengang Rechtswissenschaft anbieten,
diverse Studiengänge beinhalten: Augsburg (SoSe 2022): Juristische
Fakultät: 2.883, Medizinische Fakultät: 264, Philosophisch-
Sozialwissenschaftliche Fakultät: 2.912, Philologisch-Historische
Fakultät: 4.756; Bielefeld (WiSe 2018/19): Rechtwissenschaft:
1.560, Soziologie: 1.173, technische Fakultät: 1.285, Wirtschaftswissenschaften:
781, Physik: 903; Bochum (WiSe 2021/22):
Juristische Fakultät: 4.317, Fakultät für Wirtschaftswissenschaft:
3.424, Fakultät für Sozialwissenschaft: 2.024, medizinische
Fakultät: 3.361; Erlangen (WiSe 2021/22): Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche
Fakultät: 9.683, Philosophische Fakultät
und Fachbereich Theologie: 9.241, Medizinische Fakultät: 4.245,
Naturwissenschaftliche Fakultät: 5.444; Frankfurt a. M. (WiSe
2021/22): Rechtswissenschaft: 4.597, Wirtschaftswissenschaften:
5.794, Gesellschaftswissenschaften: 4.105, Neuere Philologien:
4.393, Medizin: 4.160, Psychologie und Sportwiss.: 1.837; Frankfurt/
Oder (SoSe 2022): Juristische Fakultät: 1.480, Kulturwissenschaftliche
Fakultät: 1.317, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät:
1.433; Freiburg (SoSe 2022): Rechtswissenschaftliche Fakultät:
2.289, Theologische Fakultät: 286, Wirtschafts- u. Verhaltenswissenschaftliche
Fakultät: 2.710, Medizinische Fakultät: 4.155,
Philologische Fakultät: 1.857, Technische Fakultät: 2.215; Gießen
(SoSe 2022): Rechtswissenschaft: 2.033, Wirtschaftswissenschaft:
1.422, Anglistik: 1.086, Psychologie/Sport: 1.754, Humanmedizin:
2.725; Göttingen (WiSe 2021/22): Juristische Fakultät: 2.865, Philosophische
Fakultät: 4.633, Fakultät für Mathematik und Informatik:
1.428, Fakultät für Physik: 1.109, Fakultät für Biologie und
Psychologie: 2.687, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät: 3.980,
Fakultät für Chemie: 751, Medizinische Fakultät: 3.851; Greifswald
(SoSe 2022): Rechtswissenschaft: 1.131, Betriebswirtschaftslehre:
849, Medizin: 1.586, Geschichte: 276, Deutsch: 494, Amerikanistik:
305, Psychologie: 412; Heidelberg (SoSe 2022): Juristische
Fakultät: 2.695, Theologische Fakultät: 628, Medizinische Fakultät:
4.522, Fakultät für Verhaltens- und Empirische Kulturwissenschaften:
2.433, Fakultät für Mathematik und Informatik: 1.641;
Jena (WiSe 2019/20): Rechtswissenschaftliche Fakultät: 1.406,
Theologische Fakultät: 123, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät:
1.557, Philosophische Fakultät: 3.413, Fakultät für Sozial- und
Verhaltenswissenschaften: 3.788, Fakultät für Mathematik und
Informatik: 869, Chemisch-Geowissenschaftliche Fakultät: 1.397,
Medizinische Fakultät: 2.591; Leipzig (WiSe 2019/20): Juristenfakultät:
2.948, Theologische Fakultät: 595, Fakultät für Geschichte,
Kunst- und Orientwissenschaften: 3.019, Philologische Fakultät:
4.559, Erziehungswissenschaftliche Fakultät: 3.180, Fakultät für
Sozialwissenschaften und Philosophie: 2.647, Wirtschaftswissenschaftliche
Fakultät: 2.083, Medizinische Fakultät: 3.394, Fakultät
für Mathematik und Informatik: 2.243, Fakultät für Chemie und
Mineralogie: 909.
60 So unzutreffend iur.reform, Reformoptionen/Integrierter Bachelor/
Pro Nr. 3, abrufbar unter: https://iurreform.de/reformoptionen/
(letzter Zugriff 02.12.2022).
61 Vgl. hierzu Towfigh/Traxler/Glöckner (Hrsg.), Geschlechts- und
Herkunftseffekte bei der Benotung juristischer Staatsprüfungen,
ZDRW 2/2018, S. 115 ff.; sowie bereits dies., Zur Benotung in der
Examensvorbereitung und im ersten Examen. Eine empirische
Analyse, ZDRW 1/2014, S. 8 ff.
62 Zu den gefährlichen Auswirkungen eines solchen Abschlusses für
das System des Staatsexamens s. u. sub IV. 2.
die rechtswissenschaftlichen Fakultäten unter den studierendenstärksten
Fakultäten.59
Es ist zudem nicht der integrierte Bachelor als „Zwischenabschluss“,
der dazu geeignet ist, eine soziale und
damit chancenungleiche Selektion durch den Studiengang
Erste Juristische Prüfung zu verhindern, wie behauptet
wird.60 Die Auswirkungen der Herkunft und sozialer
Netzwerke61 im Staatsexamen werden dadurch
keineswegs angegangen, sondern drohen sogar noch
verstärkt zu werden, wenn künftig auf einen angeblich
berufsqualifizierenden dreijährigen Abschluss als Trostpflaster
verwiesen werden kann. Es ist nämlich die Gefahr
nicht zu unterschätzen, dass Studierende, die Volljuristen
werden könnten – und diese werden dringend
gebraucht – die Fokussierung auf das Ziel Staatsprüfung
verlieren und (aufgrund persönlicher, wirtschaftlicher
oder sozialer Lebensumstände) der Versuchung erliegen
könnten, sich mit dem integrierten Bachelor zufrieden
zu geben, statt weiter die Staatsprüfung anzustreben
(ggf. durch Wiederholung), in der (irrtümlichen) Auffassung,
auch damit einen für den Arbeitsmarkt attraktiven
juristischen Abschluss erworben zu haben. Erst
recht wird auch die Quote der Repetenten und damit die
Zahl derer, die in einem zweiten oder dritten Versuch
Erfolg haben könnten, sinken.
Es ist die inhaltliche Verbesserung des universitären
Studiums und der Ausbau der universitären – und damit
nichtkommerziellen – Examensvorbereitung, wie vom
DJFT vorgeschlagen, die zur Wahrung der sozialen Gerechtigkeit
des Studiums beiträgt. Der „integrierte LL.B.“
spiegelt nicht nur dem Markt, sondern auch und vor allem
den Studierenden die Illusion einer arbeitsqualifizierenden
juristischen Qualifikation vor, die eher Beschäftigungen
auf unspezialisierten Tätigkeitsebenen
mit entsprechender Bezahlung ermöglichen dürfte.
An die Notwendigkeit der sozialen Gerechtigkeit der
juristischen Ausbildung knüpft nämlich die Frage nach
den beruflichen Perspektiven an, die ein solcher „integrierter
LL.B.“ den Studierenden eröffnen würde. Erdacht
für diejenigen, die die Erste Juristische Prüfung endgültig
nicht bestanden haben, würde ein solcher Abschluss
– jedenfalls noch62 – nicht für die klassischen juristischen
Berufe wie Richter, Staatsanwalt, Notar oder
Rechtsanwalt qualifizieren. Da die Studienanfänger bereits
heute entscheiden können, ob sie den Weg des klassischen,
auf der Staatsprüfung basierten Jura-Studiums
1 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 — 1 6
63 Der Umstand, dass der DJFT zu seinem hundertjährigen Jubiläum
in Karlsruhe, der „Hauptstadt des Rechts“, in Zusammenarbeit
mit dem Bundesverfassungsgericht getagt hat, wollte als
Zeichen der für die deutsche Rechtswissenschaft typischen und
fruchtbaren Verbindung zwischen Rechtsforschung und Rechtspraxis
dienen.
64 So etwa in Frankreich und Spanien mit jeweils fünf Jahren
Studiendauer, vgl. für Spanien Real Decreto 822/2021 sowie für
Frankreich Art. L611‑1 ff. Code de l’éducation. Auch in Italien
dauert das Studium nach „Bologna“ fünf Jahre, wobei man nach
einer ursprünglichen Umstellung auf das „3+2‑System“ ziemlich
schnell zum einheitlichen Studium zurückgekehrt ist, weil die
Fülle des Stoffs, der für einen arbeitsqualifizierenden dreijährigen
Abschluss als notwendig erachtet wurde, dessen Studierbarkeit
praktisch unmöglich machte. Ein Bachelor („laurea breve“) wird
in manchen Fakultäten noch angeboten, die absolute Mehrheit
der Studierenden entscheidet sich aber für das normale
fünfjährige Studium. Ähnliches lässt sich für die Schweiz sagen:
Dort wurde die Umstellung auf das Bachelor-Master-System vor
mehr als einem Jahrzehnt insbesondere von den Gerichten und
der Anwaltschaft mit dem Argument kritisiert, die Absolventen
und Absolventinnen seien zu wenig auf die Praxis vorbereitet,
und mündete in eine inzwischen umgesetzte Studienreform, die
erhebliche strukturelle Änderungen mit sich brachte und letztlich
den Bachelor-Master-Studiengang wiederum als Einheit konzipiert
hat.
65 Zum Beispiel in Spanien nach Art. 301.3 Ley Orgánica 6/1985 für
die Richter- und Staatsanwaltschaft, nach Art. 2, 3 Ley 34/2006 für
die Anwaltschaft; in Frankreich nach Art. 14 ff., insb. Art. 17 Ordonnance
n° 58–1270 du 22 décembre 1958 portant loi organique
relative au statut de la magistrature und Décret n°72–355 du 4 mai
1972 relatif à l‘Ecole nationale de la magistrature für die Richterund
Staatsanwaltschaft sowie Art. 42 ff. Décret n°91–1197 du 27
novembre 1991 organisant la profession d‘avocat bzw. Arrêté du
17 octobre 2016 fixant le programme et les modalités de l‘examen
d‘accès au centre régional de formation professionnelle d‘avocats
für die Anwaltschaft; in Österreich nach § 26 i. V. m. § 174 RStDG
für die Richter- und Staatsanwaltschaft und §§ 1, 2, 3 Rechtsanwaltsordnung
für die Anwaltschaft.
66 In Spanien gem. Art. 4.3, 6 Ley 34/2006; in Frankreich gem.
wählen möchten oder sich lieber in einen spezialisierten
Bachelor-Master-Studiengang an einer Universität bzw.
in einen Bachelor of Laws-Studiengang einer Fachhochschule
einschreiben und so die Möglichkeit haben, einen
Abschluss – ggf., bei den spezialisierten universitären
Bachelors, auf dem Weg zum Staatsexamen – zu erwerben,
besteht aus universitärer Sicht kein Grund, hier ein
Konkurrenzverhältnis entstehen zu lassen. Mit der flächendeckenden
Einführung eines unspezialisierten integrierten
Bachelor of Laws an Universitäten würden diese
mit dem bereits bestehenden breiten Angebot von juristisch
orientierten Bachelor-Studiengängen an Fachhochschulen
konkurrieren, ohne dass sich hierfür ein Bedürfnis
auf dem Markt erkennen lässt. Darüber hinaus ist anzunehmen,
dass gerade die spezialisierten universitären
Bachelors von einem integrierten Bachelor Konkurrenz
bekämen.
IV. Zur Bedeutung der deutschen juristischen
Ausbildung - Eigenschaften und Funktion
Das Ideal des sog. Volljuristen, der die wissenschaftliche
Phase an der Universität und die Praxisphase im Referendariat
durchlaufen hat, der für alle Juristen und Juristinnen
einheitliche Weg, ist in Europa keineswegs der
Regelfall. Gerade aber die von diesem Modell gesicherte
Qualität der deutschen Juristenausbildung stellt eine
essentielle Voraussetzung für den wirtschaftlichen und
rechtsstaatlichen Erfolg der Bundesrepublik dar.
Es ist für die nicht (nur) in Deutschland ausgebildete
Beobachterin immer wieder überraschend, festzustellen,
wie wenig bei der Analyse und Beurteilung der juristischen
Ausbildung der Zusammenhang zwischen der
Ausbildung und ihren Auswirkungen auf die deutsche
Wirtschaft und Gesellschaft durch die seit Jahrzehnten
von ihr hervorgebrachten Juristen und Juristinnen, die
in der Verwaltung, den Gerichten und weiteren Organen
der Rechtspflege tätig sind, gewürdigt wird. Dabei würde
z. B. für die Beurteilung der Qualität der medizinischen
Versorgung niemand die Bedeutung der medizinischen
Ausbildung bestreiten.
Der Rekurs auf Gerichte und ihre Fähigkeit, Prozesse
innerhalb absehbarer Zeit und unter Wahrung der Rechte
der Parteien zu Ende zu führen sowie die Verlässlichkeit
der Verwaltung im Vergleich zu anderen Ländern
sind ein Vertrauensbeweis in den Rechtsstaat, der den
Zusammenhalt innerhalb der deutschen Gesellschaft erheblich
prägt. Die juristische Ausbildung mit ihrem
Charakteristikum der Verbindung zwischen Rechtsforschung
und Rechtspraxis stellt einen großen Standortvorteil
dar, denn der juristische Diskurs auf Augenhöhe
unter den Beteiligten stärkt die Rechtssicherheit gleichermaßen
wie die Rechtsstaatlichkeit.63
In anderen europäischen Rechtsordnungen basiert
das Studium auf einzelnen Leistungen, die innerhalb von
vier oder – nach „Bologna“ – fünf Jahren64 in den diversen
Fächern erbracht werden und deren Noten insgesamt
zum Abschluss führen. Typische Konsequenz dieser
Studienorganisation ist, dass am Ende des Studiums
weitestgehend vergessen ist, was am Anfang gelernt wurde.
Da aber selbstverständlich auch in diesen Ausbildungssystemen
das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung
gilt, können die klassischen juristischen Berufe erst
ausgeübt werden, wenn man eine – nicht einheitlich
vom Staat, sondern von dem jeweiligen juristischen Berufsstand
organisierte – Prüfung bestanden hat, in der
alle Fächer, schriftlich und mündlich, abgefragt werden.
65 Der Unterschied zur deutschen juristischen Ausbildung
liegt also darin, dass in Deutschland schon die
Chiusi · Themen und Perspektiven der juristischen Ausbildung 1 5
Art. 58 Arrêté du 17 octobre 2016 fixant le programme et les
modalités de l‘examen d‘accès au centre régional de formation
professionnelle d‘avocats; in Österreich gem. § 2 Rechtsanwaltsordnung.
67 Ausschuss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister
zur Koordinierung der Juristenausbildung, Bericht
über Möglichkeiten und Konsequenzen einer Bachelor-Master-
Struktur anhand unterschiedlicher Modelle einschließlich der
berufspraktischen Phase unter Berücksichtigung des entwickelten
Diskussionsmodells eines Spartenvorbereitungsdienstes,
v. 31.03.2011, KOA-Bericht 2011 (Bologna).
68 Zumal die Existenz eines Bachelor-Abschlusses zur Fortsetzung
des Jura-Studiums auch Studierende veranlassen könnte, die
heute im dritten oder vierten Semester aufgrund der gemachten
Erfahrungen zum Schluss kommen, dass das Jura-Studium ihnen
doch nicht gefällt und sich daher anderen Fächern mit besserem
Erfolg und größerer Zufriedenheit zuwenden.
69 Schließlich ist dem Bologna-System immanent, dass einem
Universität mit ihrem wissenschaftlichen Anspruch zusammen
mit den Landesprüfungsämtern für eine einheitliche
Prüfung zuständig ist.
Zusätzlich zu dem universitären Abschluss muss in
den anderen europäischen Ländern anschließend ein
meist zweijähriges – nicht vom Staat finanziertes – Praktikum
oder ein selbst zu finanzierender Vorbereitungskurs
in einem der juristischen Berufe absolviert werden,
66 an dessen Ende ein Examen zu bestehen ist. Anders
als die deutsche Zweite Juristische Prüfung qualifiziert
dieses aber nur für den jeweiligen juristischen Beruf
und wird von dem entsprechenden Berufsstand organisiert
und an dessen Marktbedarf ausgerichtet. Das ist die
notwendige Konsequenz der Überlassung der juristischen
Ausbildung (vor allem für die Anwaltschaft) an
den jeweiligen Berufsstand. Die ebenfalls schon in der
Vergangenheit geführte Diskussion über die „Spartenausbildung“
hat die Schwäche einer solchen Ausbildung
gezeigt:67 Die „gleiche Augenhöhe“ zwischen Richter,
Staatsanwalt und Rechtsanwalt, die typisch für die deutschen
Juristen und Juristinnen ist, würde verloren gehen.
Das gegenseitige Verständnis der juristischen Berufe,
welches sich daraus ergibt, dass jeder Jurist für eine gewisse
Zeit auch die Arbeitserfahrung desjenigen, der
ihm jetzt gegenübersteht, gemacht hat, wäre nicht mehr
vorhanden. Auch der Wechsel von einem juristischen
Beruf in einen anderen wäre, wenn überhaupt praktisch
noch möglich, jedenfalls erheblich erschwert. Sicherlich
würde der Staat Kosten sparen, würde er nur den eigenen
Nachwuchs ausbilden. Diesem Argument, das in der
Vergangenheit manchmal vorgebracht wurde, sollte aber
nicht mehr Gewicht beigemessen werden als den inhaltlichen
Gründen, die gegen eine „Spartenausbildung“
und eine Überlassung der Ausbildung an die Berufsstände
sprechen.
Die deutsche juristische Ausbildung unterscheidet
sich von derjenigen im europäischen Ausland also nicht,
wie häufig behauptet, durch ihre Dauer, sondern vor allem
durch das Ideal des Volljuristen und die Tatsache,
dass das Referendariat vom Staat finanziert wird. Damit
hat die juristische Ausbildung in Deutschland einen
stark sozial integrierenden und demokratisierenden
Charakter, den es zu bewahren und nicht aufs Spiel zu
setzen gilt. - Gefährdung des Staatsexamens
Trotz Beteuerung des Gegenteils würde die Einführung
des integrierten Bachelors eine grundlegende Gefahr für
das System des juristischen Staatsexamens und damit für
das Ideal des Volljuristen darstellen. Die Zahl derjenigen,
die nur einen integrierten Bachelor besitzen würden
und daher keinen Zugang zu den reglementierten juristischen
Berufe hätten, würde in wenigen Jahren – aus
den oben diskutierten Gründen – prozentual beachtlicher
sein als die Anzahl derjenigen, die das Examen heute
definitiv nicht bestehen.68 Es ist anzunehmen, dass alle
diese Bachelor-Absolventen durch politischen oder
sogar juristischen Druck versuchen werden, sich mit
ihrem Abschluss mindestens durch Öffnung des Rechtsberatungsmarkts
eine attraktivere Arbeitsperspektive zu
verschaffen; für den Staatsdienst wird es vermutlich einfacher
sein, am Staatsexamen als Voraussetzung festzuhalten.
Das würde zu einer Aufweichung der Zugangsvoraussetzungen
in diesem Bereich führen. Die Konsequenz,
minderqualifizierte Absolventen in der
Anwaltschaft, wäre vor dem Hintergrund des durch das
Scheitern bei der Staatsprüfung bewiesenen Mangels an
ausreichenden Rechtskenntnissen gegenüber dem
Rechtsrat suchenden Bürger nicht zu verantworten.
Überhaupt besteht, angesichts des Umstandes, dass in
wenigen Jahren viele Juristen und Juristinnen (die sogenannten
Baby-Boomer) in Rente gehen werden, die
Gefahr, dass die Idee aufkommt, die regulierten juristischen
Berufe für die Absolventen mit einem integrierten
Bachelor zu öffnen. Gerade diejenigen, die heute sagen,
der integrierte Bachelor will und wird das Staatsexamen
nicht in Frage stellen, werden dann erklären, es lohne
sich nicht, beim Staatsexamen zu bleiben, wenn schon
1 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 1 ( 2 0 2 3 ) , 3 — 1 6
Bachelorstudiengang ein Masterstudiengang folgt. Es ist daher
durchaus naheliegend, dass einem allgemeinen Bachelor of Laws
ein allgemeiner Master of Laws folgen wird. Der Abschluss Erste
Juristische Prüfung wird aber mit der ebenfalls bestehenden
möglichen Beantragung des akademischen Titels eines Dipl. Jur.,
gegenwärtig mit einem Master äquivalent bewertet. Umgekehrt
wird man argumentieren können, dass ein von einer juristischen
Fakultät verliehen Master of Laws-Titel, der einem Bachelor of
Laws folgt, dem Abschluss der Ersten Juristischen Prüfung äquivalent
sei.
ein berufsqualifizierender juristischer Abschluss verliehen
wird.69 In der Tat ist es wenig glaubhaft, dass zwei
grundverschiedene Systeme – das auf den Bachelor/
Master gerichtete und daher auf vielen einzelnen Prüfungen,
die zum Abschluss führen, basierende und das
auf die Staatsprüfung gerichtete und daher auf dem
Modell des Einheitsjuristen basierende – auf Dauer
nebeneinander koexistieren können: Wer den flächendeckenden
Bachelor fordert, wird Bologna bekommen.
Respice finem: Der „integrierte LL.B.“ kann aus diesem
Grund der Einstieg in den Ausstieg aus dem Staatsexamen
werden.
V. Schlusswort
Ziel der deutschen juristischen Ausbildung ist, die angehenden
Juristen und Juristinnen zum kritischen Denken
zu erziehen, zur reflektierten Erfassung des juristischen
Systems zu führen und zur konsequenten, logischen und
nachvollziehbaren Anwendung von Normen und Prinzipien
auszubilden. Das erfolgreiche Absolvieren der
Staatsexamina soll das unter Beweis stellen, denn die
Studierenden von heute werden auch künftig eine zentrale
Rolle für den demokratischen Zusammenhalt der
Gesellschaft einnehmen und oft schwierige, folgenträchtige
Entscheidungen treffen müssen.
Die Diskussion über den Prüfungsdruck und den
Angstabbau während des Studiums ist ernst zu nehmen
und muss intensiv geführt werden. Deswegen hat der
DJFT in seinen beiden letzten Versammlungen nochmals
Probleme der juristischen Ausbildung identifiziert,
Perspektiven diskutiert und Lösungen beschlossen, die
durch die Verbesserung der Studienbedingungen nicht
nur in der Lage sind, jenen Ängsten und jenem Druck
entgegenzutreten, sondern auch den hohen Anforderungen
und aktuellen Aufgaben der Ausbildung Rechnung
zu tragen und diese weiterhin in die Lage versetzen, die
Erwartungen von Staat und Gesellschaft verantwortungsvoll
zu erfüllen.
Dem Prüfungsdruck und den Ängsten der Studierenden
allein mit der Einführung eines zusätzlichen Bachelor-
Abschlusses zu begegnen, greift zu kurz, verkennt
die Herausforderungen der juristischen Ausbildung und
droht mehr Probleme zu schaffen als zu lösen. Es bleibt
zu hoffen, dass sich die Diskussion, die in die breite (juristische)
Öffentlichkeit zu tragen mir gelungen ist, von
der Fixierung auf den integrierten Bachelor löst und uns
ermöglicht, gemeinsam Verbesserungen im aktuellen
System zu erreichen, um so weiterhin die Qualität der
deutschen Juristenausbildung aufrecht zu erhalten.
Prof. Dr. Dr. h. c. Tiziana Chiusi ist nach Forschungsund
Lehrtätigkeit an den Universitäten Padua, Rom,
München und Tübingen seit 2001 Inhaberhin des Lehrstuhls
für Zivilrecht, Römisches Recht und Europäische
Rechtsvergleichung an der Universität des Saarlandes
und seit 2019 Direktorin des dortigen Instituts für
Europäisches Recht. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen
im Bürgerlichen Recht, Römischen Recht und in
der Rechtsvergleichung. Sie ist u. a. Mitherausgeberin
des Corpus der Römischen Rechtsquellen zur antiken
Sklaverei der Mainzer Akademie der Wissenschaften,
Kommentatorin im Staudinger-Kommentar und seit
2020 Vorsitzende des DJFT.