I. Einleitung
§ 44 HRG regelt die Einstellungsvoraussetzungen für Hochschullehrer in einem weiter gesteckten Rahmen, Konkretisierungen hierfür finden sich in den Hochschulgesetzen der Länder.1 Die für eine Einstellung erforderliche wissenschaftliche Qualifikation kann im Wege der klassischen Habilitation erworben werden, aber auch durch gleichwertige wissenschaftliche Leistungen, die auch außerhalb der Hochschule oder im Rahmen einer Juniorprofessur erbracht worden sein können. Die für Bayern einschlägige Regelung findet sich in Art. 7 Abs. 1 HSchPG. Einen besonderen Qualifikationsweg stellt das sog. Tenure-Track-Verfahren2 dar. Hierbei erfolgt eine Berufung auf eine befristete W2 (Junior)Professur, die mit einer Ernennung in ein Beamtenverhältnis auf Zeit3, idR für sechs Jahre, einhergeht. Vor Ablauf der Befristungszeit erfolgt eine Evaluierung, bei der die bis dahin erbrachten Leistungen in Forschung und Lehre, zumeist auch das in die akademische Selbstverwaltung eingebrachte Engagement gewürdigt werden und eine Entscheidung getroffen wird, ob eine Umwandlung der Zeitprofessur in ein Lebensbeamtenverhältnis4 auf Basis einer W3 Professur erfolgt. Die Landeshochschulgesetze sehen in dieser Konstellation vor, dass es keiner Ausschreibung dieser W3 Professur bedarf.5 Die einzelnen Verfahrensschritte für den Tenure-Track legen die Hochschulen per Satzung fest. Dort finden sich u.a. Bestimmungen über die Durchführung des Evaluationsverfahrens, die dafür zuständigen Gremien, Evaluationskriterien- und Maßstäbe, Ausschreibungsmodalitäten, Mentoring oder Regelungen zur Zwischen- und Abschlussevaluation.6
Die am Verfahrenbeteiligte Universität hat im Rahmen ihres Berufungs- und Karrieresystems den Tenure-Track in ihrer Satzung zum Faculty Tenure Track, die zum 1.11.2018 in Kraft getreten ist, näher ausgestaltet.7 Diese Satzung enthält in Teil 1 Allgemeine Bestimmungen zum Berufungs- und Karrieresystem und regelt in Teil 2 den Karriereaufstieg vom Assistent Professor zum Associate Professor (Tenure-Verfahren). Teil 3 der Satzung regelt schließlich den Aufstieg zum Full Professor.
Die Entscheidung über den Karriereaufstieg zum Associate Professor – also einer W3 Professur – trifft nach dieser Satzung (§ 9 Abs. 6) das Hochschulpräsidium auf Grundlage der Voten der Evaluierungskommission (deren Besetzung im Einzelnen in der Satzung näher geregelt ist) sowie des Appointment und Tenure Board. Bewertungskategorien sind gem. § 10 Abs. 1 der Satzung „Forschung & Entwicklung“, „Akademische Lehre“ und „Akademisches Engagement“. Eine positive Evaluierung setzt nach § 10 Abs. 2 der Satzung voraus, dass exzellente Leistungen in Forschung & Entwicklung, die im internationalen Vergleich zum Spitzenfeld zählen, sowie sehr gute Leistungen in der Akademischen Lehre, die über gewöhnliche Leistungen hinaus gehen, oder exzellente Leistungen in der Akademischen Lehre sowie sehr gute Leistungen in Forschung & Entwicklung, die im internationalen Vergleich über gewöhnliche Leistungen signifikant hinausgehen, bescheinigt werden. Im Fall einer positiven Entscheidung des Hochschulpräsidiums über den Karriereaufstieg wird der Assistant Professor zum Associate Professor (unbefristete W3 Professur) ernannt. Im Falle eines negativen Evaluierungsergebnisses sieht § 9 Abs. 9 der Satzung die Gewährung einer 12-monatigen Auslaufphase („connecting package“) vor. Mit BeenFrank
Wertheimer
Weiterbeschäftigungsanspruch nach negativer Tenure-Evaluierung? *
VG München v. 16.9.2021 – M 3 E 21.4116 versus BayVGH v. 25.10.2021 – 7 CE 21.2503
- Gewidtmet meinem verehrten Lehrer, jetzigen Anwaltskollegen und vertrauten Freund Manfred Löwisch zu seinem 85. Geburtstag im März 2022
1 In diesem Beitrag verwendete Personalbegriffe – unabhängig ob in männlicher oder weiblicher Form – sind jeweils geschlechtsneutral zu verstehen.
2 Vgl. dazu allgemein: Hartmer, in Hartmer/Detmer, HSchR-Praxishandbuch, 3. Aufl. 2017, 5. Kapitel, Rn. 120 ff.
3 Möglich ist auch der Abschluss eines auf sechs Jahre befristeten Arbeitsvertrages, vgl. Art. 7 Abs. 3 HSchPG; ebenso §§ 51b Abs. 1, 51 Abs. 8 LHG.
4 Bzw. der Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages für eine Professur im Angestelltenverhältnis.
5 Z.B. Art. 18 Abs. 3 S. 3 BayHSchPG; siehe auch § 48 Abs. 1 S. 4 LHG BW.
6 Vgl. etwa Satzung und Qualitätssicherungskonzept der Universität Freiburg für Juniorprofessuren und Tenure-Track-Professuren vom 26.9.2018, siehe https://uni-freiburg.de/zuv/service/tenure/.
7 Satzung aufgrund § 13 Abs. 1 S. 2 BayHSchG v. 23.5.2006 in der Fassung vom 10.7.2018, aktualisierte Satzung nunmehr vom 15.2.2022.
Ordnung der Wissenschaft 2022, ISSN 2197–9197
1 2 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 2 ) , 1 2 1 — 1 2 8
8 Hartmer, a.a.O., 5. Kapitel, Rn. 122.
9 BayVGH vom 25.10.2021, 7 CE 21.2503, juris.
10 M 3 E 21.4116, siehe https://openjur.de/u/2361767.ppdf.
digung dieser Auslaufphase scheidet der negativ evaluierte
Hochschullehrer aus der Universität aus. Das Verfahren
zeigt, dass das Tenure-Track Modell letztlich nur
eine ungesicherte Exspektanz bedeutet.8
Hochschullehrer im Tenure-Track haben einen Anspruch
auf ein formell und materiell rechtmäßiges Evaluierungsverfahren.
9 Im Rahmen von Tenure-Track Evaluierungen
sind Verfahrensfehler ebenso möglich wie in
normalen Berufungsverfahren. Zu denken ist etwa an
die Mitwirkung befangener Mitglieder in der Evaluierungskommission
oder sonstige Besetzungen, die mit
den satzungsmäßigen Vorgaben nicht korrespondieren.
Unterlaufen der Evaluierungskommission Verfahrensfehler,
die rechtserheblich sind und zur Rechtswidrigkeit
des Votums führen, kann der betroffene Hochschullehrer
eine Wiederholung des Evaluierungsverfahrens verlangen,
ggfs. muss er diese nach vorgeschaltetem Widerspruchsverfahren
gerichtlich erstreiten. In einem solchen
Fall stellt sich die Frage, ob der Hochschullehrer,
dessen Professorenverhältnis, sei es in einem zeitbefristeten
Beamtenverhältnis oder in einem befristeten Anstellungsvertrag,
endet oder er bis zu dem Zeitpunkt, zu
dem das Evaluierungsverfahren wiederholt worden ist,
Weiterbeschäftigung verlangen kann. Diese Frage kann
auch dann relevant werden, wenn die Hochschule nicht
sicherstellt, dass das Evaluierungsverfahren innerhalb
der Tenure-Befristung abgeschlossen wird.
II. Beschluss des VG München vom 16.9.202110
- Sachverhalt
Über einen Fall, der die eingangs beschriebene Problematik
zum Gegenstand hat, hatte das Verwaltungsgericht
München zu entscheiden. Es ging dort um eine
Hochschullehrerin, die auf eine W2 Professur auf Zeit
berufen wurde, die Tenure-Phase umfasste sechs Jahre
und endete am 30.9.2020. Im Jahr 2020 erfolgte die vorgesehene
Evaluierung des Karriereaufstiegs zum Associate
Professor (W3 Professur). Das Votum der 9‑köpfigen
Evaluierungskommmission zum Karrierefaufstieg fiel
mit 4 Stimmen zu 5 Enthaltungen negativ aus, da die
Professorin im Bereich Forschung & Entwicklung und in
der Akademischen Lehre „nur“ mit jeweils „sehr gut“,
aber nicht mit „exzellent“ in mindestens einem der beiden
Bereiche bewertet wurde. Nachdem auch das
Appointment und Tenure Board die Ablehnung des
Tenure-Vorschlags empfahl und eine entsprechende
Beschlussvorlage an das Präsidium formulierte, befand
das Präsidium der Universität im Juli 2020 negativ über
den Karriereaufstieg. Hierbei blieb das Präsidium auch
nach Anhörung der Professorin und stellte im September
2020 erneut die negative Tenure-Evaluierung fest.
Der von der Professorin eingelegte Widerspruch wurde
mit Bescheid vom 5.3.2021 zurückgewiesen. Ab dem
1.10.2020 befand sich die Professorin sodann in der
12-monatige Auslaufphase („connecting package“). In
dieser Phase erfolgte Ihre Beschäftigung auf Basis einer
Beamtenstelle als Akademische Oberrätin, auf die sie für
ein Jahr bis zum 30.9.2021 ernannt worden war.
Im April 2021 hatte die Professorin gegen die negative
Tenure-Evaluierung Klage beim Verwaltungsgericht
München mit dem Antrag erhoben, das Evaluierungsverfahren
zu wiederholen. Begründet wurde dies vor allem
mit Verfahrensfehlern, die Professorin äußerte ferner
Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit der Evaluierung.
In dieser Phase versuchte sie mit der Universität
eine Einigung dahingehend zu erzielen, dass ihr
Dienstverhältnis jedenfalls bis zur Wiederholung des
Evaluierungsverfahrens verlängerte werde, weil das verwaltungsgerichtliche
Verfahren bis Ende September 2021
nicht abgeschlossen sein würde und ihr im Falle eines
Ausscheidens aus der Universität ein erheblicher Karriereschaden
drohe. Die Universität lehnte eine Weiterbeschäftigung
ab, worauf die Professorin Anfang August
2021 einen Eilantrag gem. § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO beim
Verwaltungsgericht München einreichte, der Universität
vorläufig im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben,
sie ab dem 1.10.2021 weiterzubeschäftigen. Der
Hauptantrag ging dahin, eine Weiterbeschäftigung im
Angestelltenverhältnis als W2 Professorin zu erreichen,
dieser war von Hilfsanträgen begleitet, eine Weiterbeschäftigung
als Beamtin auf Zeit (A 14) bzw. als Angestellte
nach der Entgeltgruppe E 15 TV‑L zu
ermöglichen.
2 Entscheidung des Verwaltungsgerichts
Mit Beschluss vom 16.9.2021 verpflichtete das VG München
die Universität vorläufig im Wege der einstweiligen
Anordnung, die Professorin unter Beibehaltung ihres
Rechts, den Titel „Professorin“ zu führen und aller damit
verbundenen Rechte bis zum rechtskräftigen Abschluss
des Hauptsacheverfahrens in ihrem Fachgebiet weiterzubeschäftigen.
Das VG ging davon aus, dass die Professorin im Hinblick
auf ihr unmittelbar bevorstehendes Ausscheiden
aus der Universität und des damit einhergehenden Verlustes
des Titels „Professorin“ und der damit einhergehenden
Statusrechte einen Anordnungsgrund in Form
Wertheimer · Weiterbeschäftigungsanspruch nach negativer Tenure-Evaluierung ? 1 2 3
11 OVG Schleswig vom 9.2.1996, 3 L 79/95, NVwZ-RR 1996, 443. 12 7 CE 21.2503, juris.
der besonderen Dringlichkeit der begehrten einstweiligen
Anordnung glaubhaft gemacht habe.
Im Rahmen der summarischen Prüfung der Sachund
Rechtslage ging das Verwaltungsgericht ferner auch
von einem Anordnungsanspruch aus: Nach Erkenntnis
des Gerichts leide das Tenure-Verfahren an durchschlagenden
formellen Fehlern, so dass mit hoher
Wahrhscheinlichkeit von einem Erfolg der Klage im
Hauptsacheverfahren auszugehen sei.
a) Prüfungsmaßstab
Das Verwaltungsgericht führte in seiner Entscheidung
aus, dass es sich bei einem Tenure Verfahren um eine
Entfristung verbunden mit einem Karriereaufstieg
(Berufung) von einer auf 6 Jahre befristeten W2 Professsur
auf eine unbefristete W3 Professur handelt. Rechtsgrundlage
hierfür sei Art. 18 BayHSchPG über die Berufung
von Professoren, Professorinnen, Juniorprofessoren
und Juniorprofessorinnen, was das Gericht unter
Darlegung der Berufungs-Systematik im BayHSchPG
sowie der Regelungen der Satzung zum Tenure Faculty
Track begründet. Inbesondere gestalte die Tenure-Satzung
der Universität das in Art. 18 BayHSchPG geregelte
Berufungsverfahren näher aus.
b) Verfahrensfehler
Einen hauptsächlichen Verfahrensfehler sah das VG darin,
dass sich 5 von 9 Mitgliedern der Evaluierungskommission
bei der Abstimmung über das Tenure-Votum
enthalten haben. Bei der von der Kommission zu treffenden
Entscheidung handle es sich um eine Prüfungsentscheidung,
bei der Stimmenthaltungen nicht zulässig
sind; hierbei rekurrierte das Gericht auf eine ältere Entscheidung
des OVG Schleswig, das von der Unzulässigkeit
einer Stimmenthaltung bei der Abstimmung in
einem Habilitationsverfahren ausgegangen war.11 Dieser
Fehler, so das VG, sei auch beachtlich, da nicht das absolute
Mehr der Kommissionsmitglieder für ein negatives
Tenure-Votum gestimmt habe. Weitere Verfahrensfehler
sah das Verwaltungsgericht darin, dass entgegen der
Tenure-Satzung einem fakultäts- und damit fachfremden
Professor der Kommissionsvorsitz übertragen wurde.
Schließlich habe entgegen Art. 18 Abs. 5 S. 1 BayHSchPG
nicht der Senat zum Tenure-Votum Stellung
genommen, hinsichtlich der Beteiligung des sog.
Appointment und Tenure Board am Berufungsverfahren
äußerte das VG Bedenken, weil sich hierfür keine gesetzliche
Grundlage finde.
c) Weiterbeschäftigung der Professorin
Vor dem Hintergrund der festgestellten Verfahrensfehler
nahm das VG eine Interessenabwägung vor, die zugunsten
der Hochschullehrerin ausfiel: Durch ein Ausscheiden
aus der Universität würde ihre wissenschaftliche
Karriere einen nicht mehr zu behebenden Schaden u.a.
durch den Verlust von Fördermitteln, den Abbruch von
Kooperationen, den Reputationsverlust in der wissenschaftlichen
Gemeinschaft und die fehlende Kontinuität
der Forschung nehmen. Demgegenüber entstünde der
Universität der nur vergleichsweise geringe Nachteil,
eine von ihr als sehr gut bewertete Professorin weiterzubeschäftigen.
Zur Sicherung des status quo der Hochschullehrerin
hielt das Verwaltungsgericht eine „wie auch immer geartete“
Weiterbeschäftigung in ihrem Fachgebiet und deren
Statuserhalt als Professorin mit allen damit verbunden
Rechten für ausreichend. Eine Weiterbeschäftigung
in einem befristeten Beamtenverhältnis lehnte das Gericht
ab, weil die Gefahr der Begründung eines Lebenszeitbeamtenverhältnisses
dadurch entstehe und dies einer
Vorwegnahme der Hauptsache gleichkomme. Mit
möglichen Rechtsgrundlagen für die angeordnete Weiterbeschäftigung
befasste sich das Verwaltungsgericht
nur ansatzweise und verwies hierbei auf die Regelung in
Art. 8 Abs. 3a BayHSchPG, über die eine begrenzte Weiterbeschäftigung
auf 12 Monate durchaus möglich sei. - Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 25.10.202112
Auf die Beschwerde der Universität hat der Bayerische
Verwaltungsgerichtshof den Beschluss des VG München
abgeändert und den Antrag der Professorin auf vorläufige
Weiterbeschäftigung abgelehnt. Selbst im Falle einer
Rechtswidrigkeit der Tenure-Evaluierung, zu der sich
der VGH in der Entscheidung selbst nicht äußert, folge
daraus kein Anordnungsanspruch auf Weiterbeschäftigung,
eine solche sei auch aus Rechtsgründen ausgeschlossen.
a)Kein Anordnungsgrund für eine Weiterbeschäftigung
Der Verwaltungsgerichtshof hebt in seiner Entscheidung
darauf ab, dass im Tenure Track Verfahren eine Beru1
2 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 2 ) , 1 2 1 — 1 2 8
fung zum Assistant Professor der Besoldungsgruppe W2
in einem Beamtenverhältnis auf Zeit für die Dauer von 6
Jahren erfolge. Wie das Verwaltungsgericht orientiert
sich der Verwaltungsgerichtshof dabei an Art. 18 BayHSchPG.
Für die Evaluierung seien die in diesen 6 Jahren
erbrachten Leistungen relevant. Daraus schließt das
Gericht, dass eine Weiterbeschäftigung auch im Falle
einer zu wiederholenden Tenure-Evaluierung nicht
geboten und von den Regelungen des Tenure Track Verfahrens
weder direkt noch nach deren Sinn und Zweck
vorgesehen sei.
b) Fehlende Rechtsgrundlage für eine Weiterbeschäftigung
Der VGH weist ferner darauf hin, dass der Anordnungsanspruch
im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
grundsätzlich identisch sei mit dem materiellen
Anspruch, der im Hauptsacheverfahren geltend gemacht
wird. Zwar sei es gem. § 123 Abs. 1 VwGO iVm
§ 938 Abs. 1 ZPO in das freie Ermessen des Gerichts
gestellt, welche Anordnungen zur Erreichen des Zwecks,
d.h. zur Sicherung/Regelung des Rechts iSd
§ 123 Abs. 1 VwGO getroffen werden können, die Anordnung
dürfe aber dem materiellen Recht nicht widersprechen.
Nach Auffassung des VGH wäre das jedoch der
Fall, wenn das Gericht die Universität zur beantragten
Weiterbeschäftigung verpflichten würde.
Zur Begründung führt der VGH an, dass die beamten-
und hochschulrechtlichen Bestimmungen ein Verlängerungsverbot
der Beschäftigung als Professorin bedingen.
Die Tenure Track-Befristung ende automatisch
nach 6 Jahren, Ausnahmen seien nur im Falle des
Art. 17 Abs. 2 und 3 BayHSchPG (u.a. bei Unterbrechung
durch Elternzeit, wegen eines Stipendiums oder einer
Freistellung zur Wahrnehmung von Aufgaben einer Personal-
oder Schwerbehindertenvertretung oder einer
Frauenbeauftragten) möglich. Hierbei merkt der VGH
an, dass schon die einjährige Verlängerung im Rahmen
des „connecting package“ mit Art. 8 Abs. 2 BayHSchPG
unvereinbar gewesen sei. Auch eine Weiterbeschäftigung
als Akademische Oberrätin über den 30.9.2021 hinaus
komme nicht in Betracht, dem stehe Art. 22 Abs. 5 S. 2
Halbs. 2 BayHSchPG entgegen. Danach sei eine Verlängerung
des Dienstverhältnisses einer nach Art. 22 Abs. 5
S. 2 Halbs. 1 ernannten Akad. Oberrätin abgesehen von
den Fällen des Art. 17 Abs. 2 und 3 BayHSchPG oder eine
erneute Ernennung nicht zulässig.
Auch mit Art. 8 Abs. 3a BayHSchPG, auf den das
Verwaltungsgericht in seinem Beschluss hingewiesen
habe, sei eine Weiterbeschäftigung nicht begründbar.
Die Vorschrift trage Einschränkungen durch die Corona-
Pandemie Rechnung und sei auf die hiesige Fallgestaltung
nach Sinn und Zweck nicht anwendbar.
Schließlich hält der Verwaltungsgerichtshof auch
eine Weiterbeschäftigung in einem privatrechlichen
Dienstverhältnis nicht für möglich. Art. 8 Abs. 3 BayHSchPG
komme nur in besonderen Ausnahmefällen als
Grundlage in Betracht, etwa für eine befristete Beschäftigung,
um damit kurzfristig das Studienangebot sichern
zu können. Voraussetzung sei damit grundsätzlich ein
sich aufgrund besonderer Notwendigkeiten des Studienbetriebs
ergebender Grund, der die ausnahmsweise Begründung
eines privatrechlichen Dienstverhältnisses
rechtfertigt. Dieser ergebe sich vorliegend weder aus
dem für das Tenure Track Verfahren maßgeblichen Bayerischen
Hochschulpersonalgesetz noch aus der Tenure
Satzung der Universität. Im Übrigen stehe einer Weiterbeschäftigung
als Professorin in einem privatrechtlichen
Rechtsverhältnis nach Art. 8 Abs. 3 der Rechtsgedanke
des Art. 8 Abs. 2 S. 2 BayHSchPG entgegen, der umgangen
würde, wenn die Professorin über die höchst mögliche
Befristungsdauer von 6 Jahren weiterbeschäftigt
würde. - Bewertung der Entscheidungen
a) Rechtswidrigkeit der Tenure-Evaluierung
aa) Unzulässige Stimmenthaltung
Dem Verwaltungsgericht München ist darin zuzustimmen,
dass es das negative Tenure-Votum deshalb als verfahrensfehlerhaft
erachtet hat, weil sich 5 von 9 Kommissionsmitglieder
der Stimme enthalten haben. Soweit
ersichtlich, war die Frage des Abstimmungsverhaltens in
einer Tenure-Evaluierungskommission zuvor noch nicht
Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Bei der in der einschlägigen Tenure Track Satzung
der Universität genannten Evaluierungskommission
handelt es sich um einen Ausschuss gem. Art. 88
BayVwVfG. Deren Beschlüsse werden gem.
Art. 91 S. 1 BayVwVfG mit Stimmenmehrheit gefasst.
Dass bzgl. des Tenure Votums eine Abstimmung erforderlich
ist, belegt § 9 Abs. 3 S. 3 der Satzung, wenn dort
von stimmberechtigten Kommissionsmitgliedern die
Rede ist. Grundsätzlich ist bei Abstimmungen in AusWertheimer
· Weiterbeschäftigungsanspruch nach negativer Tenure-Evaluierung ? 1 2 5
schüssen eine Stimmenthaltung zulässig, es sei denn, ein
Ausschussverfahren ist so weitgehend einem gerichtlichen
Verfahren angeglichen, dass wie dort Stimmenthaltung
nicht in Betracht kommt. Eine solche Fallgestaltung
liegt hier nicht vor. Die Unzulässigkeit von Stimmenthaltungen
wird aber auch für Prüfungs- und Leistungsbewertungen
angenommen, sofern nichts anderes durch
Rechtsvorschrift geregelt ist. 13
aaa) In mehreren Entscheidungen hat die Rechtsprechung
Stimmenthaltungen in Habilitationsverfahren für
unzulässig erachtet mit der Folge, dass Beschlüsse des
Habilitationsausschusses, bei denen sich einzelne Mitglieder
enthalten haben, als rechtswidrig eingestuft wurden.
In diesem Zusammenhang wurde etwa ausgeführt,
dass es sich bei der Habilitationsprüfung, bei der der entsprechende
Kandidat die Fähigkeit zur selbständigen
Forschung und Lehre im Rahmen einer Hochschule
förmlich nachweist, um eine Berufszulassungsprüfung
handelt. In diesem Rahmen sind erbrachte Leistungen
des Kandidaten vom Habilitationsausschuss zu beurteilen.
Der somit vom Ausschuss zu fassende Beschluss ist
nur dann rechtmäßig, wenn er sich an den besonderen
Grundsätzen des Prüfungsrechts orientiert. Im Prüfungsrecht
ist eine Stimmenthaltung aber nicht zulässig.
Soweit nur ein Prüfer bestellt ist, könnte bei einer Stimmenthaltung
keine positive Prüfungsentscheidung gefällt
werden. Nichts anderes gilt dann, wenn mehrere Prüfer
bestellt sind. Der einer Mehrzahl von Prüfern erteilte
Auftrag, ein Urteil über die Leistungen des Prüflings abzugeben,
unterscheidet sich nicht von dem Auftrag eines
Alleinprüfers. Durch die Bestellung mehrerer Prüfer soll
nicht die Möglichkeit eröffnet werden, sich der Stimme
zu enthalten, weshalb jedes einzelne Prüfungsmitglied
an der Meinungsbildung mitzuwirken hat und sich nicht
der Stimme enthalten darf.14
bbb) Diese Rechtsprechung ist auch bei Abstimmungen
in den in den Hochschulgesetzen der Länder verankerten
Tenure Track-Verfahren zu beachten. Die befristete
Professur im Tenure Track stellt in den Landeshochschulgesetzen,
so auch in Bayern, einen Qualifikationsweg
dar, der zu einer Lebenszeitprofessur führen kann
und neben der klassischen Qualifikation, nämlich der
Habilitation, steht. So wie es sich bei einer Zwischenevaluation,
der sich ein Juniorprofessor (ohne Tenure Track)
unterziehen muss, um eine gesetzlich angeordnete Leistungsüberprüfung
eines Stelleninhabers handelt,15 liegt
es bei der abschließenden Evaluation eines Stelleninhabers,
dessen Professur in einem Tenure Track Verfahren
ausgestaltet ist, ebenfalls um eine Leistungsbewertung
im Sinne einer Hochschulprüfung. Die Parallele zum
Habilitationsverfahren zeigt sich bereits daran, dass der
Leistungsbewertung ein hochschulöffentlicher wissenschaftlicher
Vortrag mit anschließendem persönlichen
Interview vorausgeht.
Dass der Karriereaufstieg von einer Leistungsbewertung
– und damit einer Prüfung – abhängig ist, belegt die
hier einschlägige Satzung an mehreren Stellen. Von einer
Leistungsbewertung ist nicht nur in deren § 9 Abs. 1
(„Die Kommission bewertet die Leistungen des Assistant
Professors …“) die Rede, § 9 Abs. 3 S. 1 benennt für die
Leistungsbewertung auch verschiedene Kategorien, die
bewertet werden sollen, was in § 10 Abs. 1 der Satzung
weiter aufgegriffen wird. Die Satzung differenziert unmissverständlich:
Während Teil 1, der die allgemeinen
Bestimmungen zum Berufungs- und Karrieresystem
enthält, dort u.a. das Berufungsverfahren regelt, bestimmt
Teil 2 der Satzung den Karriereaufstieg zum Associate
Professor. Dieser ist gem. § 10 Abs. 2 der Satzung
von einer positiven Leistungsbewertung unter Vorgabe
konkreter Bewertungsstufen („exzellent“ in Verbindung
mit „sehr gut“ in den Kategorien von Forschung & Entwicklung
bzw. in der Akademischen Lehre) abhängig,
für die damit ein Mitwirken aller stimmberechtigten
Mitglieder der Evaluierungskommission zwingend ist.
ccc) In seiner Entscheidung vom 9.2.1996 hatte das
OVG Schleswig hinsichtlich des Stimmenthaltungsverbots
als Charakteristikum des materiellen Prüfungsrechts
auf die im Bundesland geltende Landesverordnung
über die Ordnung des Vorbereitungsdienstes und
die zweite Staatsprüfung für Lehrkräfte hingewiesen.
Eine entsprechende Bestimmung enthält die bayerische
Lehramtsprüfungsordnung II (LPO II) vom 28.10.2004.16
§ 3 Abs. 6 S. 2 dieser Prüfungsordnung erklärt Stimmenthaltungen
in Prüfungen für unzulässig, so dass dieser
Grundsatz auch dem bayerischen Prüfungsrecht immanent
ist. Ausnahmen vom Stimmenthaltungsverbot sind
möglich, wenn diese durch Rechtsvorschrift geregelt
sind. Weder nach der universitären Satzung zum Faculty
Tenure Track ist das der Fall noch ist für eine solche Ausnahme
einen andere Vorschrift ersichtlich.
13 Vgl. Nachweise bei Stelkens/Bonk/Sachs/Kallerhoff/Hecker, VwVfG, - Aufl. 2018, § 91 Rn. 5 mwN.
14 OVG Schleswig vom 9.2.1996, 3 L 79/95, NVwZ-RR 1996, 433;
OVG Saarlouis v. 28.10.1987, KMK-HSchR 1988, 316; OVG
Münster vom 21.11.1980, KMK-HSchR 1981, 421; OVG Münster
vom 8.9.2005, 14 A 3934/03, juris; vgl. auch VG Düsseldorf vom
11.11.2014, 27 K 1801/11, juris Rn. 74.
15 Dazu Hartmer, a.a.O., 5. Kapitel, Rn. 116; Grzeszick, in Geis:
Hochschulrecht im Freistaat Bayern, 2. Aufl. 2017, 3. Kapitel, Rn.
178.
16 GVBl. S. 428, BayRS 2038–3‑4–8‑11‑K, zuletzt geändert durch § 1
der Verordnung vom 26.2.2021, GVBl. S. 86.
1 2 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 2 ) , 1 2 1 — 1 2 8
§ 30 Abs. 5 S. 117 der Grundordnung der Universität vom
21.7.2007 in der Fassung der Dreizehnten Änderungssatzung
vom 2.9.2021 ist jedenfalls, wie das VG München
zurecht ausgeführt hat, erkennbar allgemein gefasst und
nicht spezifisch für das Tenure Track Verfahren
gedacht.
ddd) Auf Stimmenthaltungen beruhende Verfahrensfehler
sind erheblich, wenn das Ergebnis der Prüfung
hiervon beeinflusst wird (vgl. § 46 BayLVwVfG).18
Das war vorliegend der Falll. Vorstellbar ist nämlich,
dass die Kommissionsmitglieder, die sich ihrer Stimme
enthalten haben, für eine positive Tenure-Evaluierung
gestimmt hätten, womit insgesamt ein positives Tenure
Votum zustande gekommen wäre.
eee) Dass gem. § 9 Abs. 6 der universitären Satzung
das Präsidium über den Karriereaufstieg entscheidet,
steht der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 22.9.2020
sowie des Widerspruchsbescheids vom 5.3.2021 nicht
entgegen. Da das rechtswidrige Votum der Evaluierungskommission
Grundlage für die Beschlüsse des Appointment
und Tenure Board sowie des Präsidiums war
(vgl. § 9 Abs. 6 der Satzung), war es als Grundlage für
den Beschluss des Präsidiums nicht verwertbar.19 Das
rechtswidrige Tenure-Votum der Evaluierungskommission
hat folglich die Beschlüsse des Präsidiums „infiziert“.
Wäre es, was im Bereich des Möglichen liegt, zu
einem positiven Votum der Kommission gekommen,
wäre auch ein Beschluss des Präsidiums, der den Karriereaufstieg
der Professorin bestätigte, durchaus möglich,
wenn nicht sogar wahrscheinlich gewesen.
bb) Fehlerhafte Besetzung des Kommissionssitzes:
Dem VG München ist ferner darin zuzustimmen, dass
das Tenure Verfahren auch deshalb verfahrensfehlerhaft
ist, weil die Evaluierungskommission entgegen der eigenen
Satzungsvorgabe (§ 8 Abs. 2) mit einem Vorsitzenden
aus einer anderen Fakultät besetzt worden ist. Die
Formulierung in der Satzung ist eindeutig: mit „Professorin
oder Professor der Fakultät“20 kann in Zusammenhang
mit Abs. 1 nur eine Professorin oder ein Professor
gemeint sein, der der Fakultät angehört, in der die zu
evaluierende Professur angesiedelt ist. Soweit im Widerspruchsbescheid
argumentiert wurde, Art. 18 Abs. 4
BayHSchPG enthalte keine Vorgabe, dass der Kommissionsvorsitzende
zwingend Mitglied der Fakultät sein
muss, verfängt das nicht. Dass Art. 18 Abs. 4 BayHSchPG
das nicht zwingend vorgibt, führt nicht daran vorbei,
dass sich die Universität in § 8 Abs. 2 ihrer Satzung darauf
festgelegt hat, den Kommissionsvorsitz einem Hochschullehrer
der jeweils betroffenen Fakultät zu übertragen.
Mit dem Klammerzusatz (Fach-/Strukturkompetenz)
macht die Satzung auch deutlich, dass der Vorsitzende
jedenfalls über entsprechende Fachkompetenz
verfügen soll. Wenn der Kommissionsvorsitzende aus einer
anderen Fakultät stammte, war nicht sichergestellt,
dass er über Fachkompetenz im Bereich der Professur,
deren Evaluierung anstand, verfügte. Auch dieser Verfahrensfehler
konnte sich somit auf das negative Votum
auswirken.
b) Zum Weiterbeschäftigungsanspruch
Dass das VG München in seinem Beschluss vom
16.9.2021 die Universität zur vorläufigen Weiterbeschäftigung
der Hochschullehrerin verpflichtet hat, war in der
besonderen Situation, die dem Gericht zur Entscheidung
vorlag, richtig und zu begrüßen.
aa) Hinsichtlich des nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderlichen
Anordnungsgrundes hat das Verwaltungsgericht
zutreffend erkannt, dass der betroffenen Hochschullehrerin
im Falle eines Ausscheidens aus der Universität
ein nahezu irreversibler Karriereschaden droht.
Bis das Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren
über die Wiederholung des Evaluierungsverfahrens entscheidet,
dürften zumindest einige Monate, wenn nicht
gar längere Zeit vergehen, orientiert man sich an der
durchschnittlichen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren.
Einzukalkulieren ist ferner eine etwaige zweite
Instanz in der Hauptsache, womit die Wiederholung des
Evaluierungsverfahrens, welches selbst auch eine gewisse
Zeit in Anspruch nimmt, in noch weitere Entfernung
rücken kann. In dieser – mitunter länger andauernden –
Interimsphase ist die Professorin mit schwerwiegenden
Nachteilen belastet, die das Verwaltungsgericht in seinem
Beschluss angeführt hat (u.a. Verlust von Fördermitteln,
Abbruch von Kooperationen, Reputationsverlust
in der wissenschaftlichen Gemeinschaft, fehlende
Kontinuität der Forschung; Verlust der Lehrmöglichkeit).
Diese berechtigten Erwägungen kommen in der
Argumentation des Verwaltungsgerichtshofs deutlich zu
kurz bzw. fallen letztlich gar nicht erst ins Gewicht. Rein
formal gesehen ist es zwar richtig, dass sich die für den
Karriereaufstieg durchzuführende Evaluierung nach der
gesetzlichen Ausgestaltung nur auf den 6‑Jahres-Zeitraum
bezieht, auf den die Tenure-Phase befristet war.
Wissenschaftliche Leistungen in Forschung und Lehre,
die nach diesem Zeitraum erbracht werden, spielen somit
im Regelfall für die Evaluierung zwar Rolle mehr.
17 Mehrheitsprinzip bei Abstimmungen, Stimmenthaltungen gelten
als nicht abgegeben Stimmen.
18 OVG Schleswig vom 9.2.1996, a.a.O.; OVG Münster vom
8.9.2005, a.a.O.
19 Siehe hierzu OVG Münster vom 8.9.2005, a.a.O. unter I. 6 der
Entscheidungsgründe.
20 In der aktuellen Satzung vom 15.2.2022 ist das geändert.
Wertheimer · Weiterbeschäftigungsanspruch nach negativer Tenure-Evaluierung ? 1 2 7
Der Verwaltungsgerichtshof blendet in seiner Entscheidung
aber aus, dass die Unwirksamkeit der Tenure-Evaluierung
durch die Organe der Universität dazu geführt
hat, dass die Übertragung einer Lebenszeitprofessur
nicht schon zum 1.10.2020 erfolgt ist und dieser von der
Universität herbeigeführte Schwebezustand bei Abwägung
der beiderseitigen Interessen nicht zu Lasten der
Hochschullehrerin gehen darf.
Dem ließe sich entgegen halten, dass einer Universität
die greifbare Gefahr einer im Eilverfahren erstrittenen
vorläufigen Weiterbeschäftigung stets droht, wenn
die Tenure-Evaluierung negativ ausfällt. Aus Universitätssicht
ist das kein unbeachtlicher Einwand, insbesondere
wenn zahlreiche Professuren im Tenure Track besetzt
worden sind, wie das bei vielen Universitäten der
Fall ist.21 Ist die negative Tenure Evaluierung allerdings
in einem formell rechtmäßigen Verfahren zustande gekommen,
steht nur die in engen Grenzen nachprüfbare
inhaltliche Prüfungsentscheidung in Rede; in dieser Situation
ist – ungeachtet der Frage, ob ein Anordnungsanspruch
gegeben ist – regelmäßig nicht damit zu rechnen,
dass eine einstweilige Anordnung mit einer Verpflichtung
zur Weiterbeschäftigung erlassen wird.22 Die
Universitäten haben es im Übrigen selbst in der Hand,
eine Weiterbeschäftigungsverpflichtung zu vermeiden.
Wird das Evaluierungsverfahren formell rechtmäßig
durchgeführt, muss zwar im Falle eines negativen Tenure-
Votums mit einer gerichtlichen Überprüfung gerechnet
werden, eine vorläufige Weiterbeschäftigung kann in
diesen Fällen aber nicht erstritten werden.
Das Verwaltungsgericht ist somit – in Anbetracht der
singulären Ausnahmesituation aufgrund der festgestellten
formellen Rechtswidrigkeit des Evaluierungsverfahrens
– mit gut vertretbarer Argumentation von einem
glaubhaft gemachten Anordnungsgrund ausgegangen.
Die Betrachtungsweise des Verwaltungsgerichtshofs
mag zwar, da auf die 6 Jahre befristete Tenure-Phase bezogen,
abstrakt richtig gewesen sein, wurde aber den Besonderheiten
der hier gegebenen Fallgestaltung nicht gerecht.
Ein weiterer Aspekt darf in diesem Zusammenhang
nicht unberücksichtigt gelassen werden. Wird die
Tenure-Evaluierung wiederholt, was im hier entschiedenen
Fall durchaus erst zwei Jahre nach Ablauf der Tenure-
Phase der Fall sein kann, wirft eine Beschränkung des
Evaluierungszeitraums auf die 6 Jahre Probleme auf.
Was die Hochschullehrerin gegebenfalls in der Zwischenzeit
an Forschungsleistungen erbracht und publiziert
hat, müsste von den zu beauftragenden Gutachtern
und den Mitgliedern der Evaluierungskommission ausgeblendet
werden. Auch wäre die Professorin gezwungen,
neue Forschungsrichtungen und ‑erkenntnisse in
ihrem hochschulöffentlichen Vortrag, der auch Teil der
zu wiederholenden Tenure-Evaluierung ist, unberücksichtigt
zu lassen. Die Sinnhaftigkeit einer solchen Evaluierung
darf berechtigterweise in Frage gestellt werden.
Das lässt sich zuspitzen: Soll bzw. will die Universität am
Ende einer Tenure-Track Professorin, die nach aktuellem
Stand die Voraussetzungen für den Karriereaufstieg
zur Associate Professorin erfüllen würde, diesen Aufstieg
nicht gewähren, weil diese Voraussetzungen zum
Zeitpunkt der formal rechtswidrigen Erstevaluation vermeintlich
nicht vorlagen ?
bb) Kritisch hinterfragen lässt sich auch, dass der
Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom
25.10.2021 bzgl. der beantragten vorläufigen Weiterbeschäftigung
der Professorin einen Anordnungsanspruch
verneint hat. Dem bayerischen HSchPG hätte eine vorläufige
Weiterbeschäftigung nämlich in der vorliegenden
Fallkonstellation nicht widersprochen.
Dass das Gericht wegen Art. 8 Abs. 2 S. 2 BayHSchPG
eine Verlängerung der auf 6 Jahre befristeten Professur
im Beamtenverhältnis als Rechtsgrundlage für eine vorläufige
Weiterbeschäftigung ablehnt, ist hinzunehmen.
Die Professorin hatte eine vorläufige Weiterbeschäftigung
in einem W2-Beamtenverhältnis aber auch gar
nicht beantragt. Nachvollziehbar ist auch die Auffassung
des Verwaltungsgerichtshofs, dass eine Weiterbeschäftigung
nicht auf Art. 8 Abs. 3a HSchPG gestützt werden
könne. Bei dieser Norm handelt es sich um eine Ausnahmemöglichkeit,
mit der der Landesgesetzgeber im April
2021 auf Einschränkungen, die aufgrund der Corona-
Pandemie eingetreten sind, reagiert hat. Dem VGH ist
daher zuzustimmen, dass die Regelung nach ihrem Sinn
und Zweck auf die hier vorliegende Tenure-Situation
nicht übertragbar ist.
Ein Anordnungsanspruch hätte sich aber auf
Art. 8 Abs. 3 BayHSchPG stützen lassen. Hiernach kann
in besonderen Fällen, insbesondere wenn eine befristete
Tätigkeit vorgesehen ist, ein privatrechtliches Dienstverhältnis
begründen werden. Dass das Gericht den Ausnahmecharakter
der Vorschrift hervorhebt, ist angesichts
deren Wortlauts („in besonderen Fällen“) gewiss
21 Basis hierfür ist vorallem das Tenure Track Programm des Bundes
und der Länder.
22 Vgl. hierzu die Sachverhalte in OVG Schleswig-Holstein vom
16.11.2018, 2 MB 11/18, juris oder OVG Thüringen vom 30.7.2021, 2
EO 445/21, juris.
1 2 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 2 ) , 1 2 1 — 1 2 8
zutreffend. In der weiteren Begründung wird beispielhaft
auf Art. 18 Abs. 8 S. 1 BayHSchPG verwiesen, der
eine befristete Beschäftigung von Professoren im privatrechtlichen
Dienstverhältnis gestattet, um die Zeit bis
zur beabsichtigten Besetzung der Stelle zu überbrücken.
Bereits der Wortlaut von Art. 8 Abs. 3 BayHSchP verlangt
aber nicht, dass eine übergangsweise (Weiter)Beschäftigung
nur in den Fällen möglich ist, in denen das
HSchPG dies vorsieht – der Gesetzgeber hätte sonst auf
den Zusatz „insbesondere“ verzichtet. Mithin gestattet
Art. 8 Abs. 3 BayHSchPG auch eine befristete (Weiter)
Beschäftigung, wenn ein sonstiger besonderer Ausnahmefall
vorliegt. Auch zwingt der Wortlaut der Norm
nicht dazu, von einem besonderen Fall nur dann auszugehen,
wenn das Interesse der Universität betroffen ist.
Die besondere Fallkonstellation, in der sich die Hochschullehrerin
vorliegend durch die diversen Verfahrensfehler
bei der Tenure-Evaluierung befand, hätte daher
eine vorläufige Weiterbeschäftigung gerechtfertigt, letztlich
wegen des erheblichen Schadenspotenzials, das der
Professorin droht, sogar erfordert. Wäre diese Weiterbeschäftigung
in einem nach TV‑L ausgestalteten Angestelltenverhältnis
unter Wahrung der Statusrechte der
Professorin ausgestaltet worden – was diese höchst hilfsweise
beantragt hatte – hätte dies auch über die vom Verwaltungsgerichtshof
gesehene Hürde des Verlängerungsverbots
gem. Art. 8 Abs. 2 S. 2 BayHSchPG
hinweggeholfen.
Soweit der Verwaltungsgerichtshof eine Weiterbeschäftigung
als Akademische Oberrätin wegen
Art. 22 Abs. 5 S. 2 2. HS BayHSchPG verneint hat, erscheint
auch das nicht zwingend und hätte dem Gericht
eine Option eingeräumt. Systematisch ist das befristete
Weiterbeschäftigungsverbot hinter den Regelungen über
die Höchstbefristungszeiten für Akademische Räte sowie
Akademische Oberräte platziert. Da die Hochschullehrerin
im sog. „connecting package“ lediglich eine
Dienstzeit von einem Jahr als Akademische Oberrätin
hinter sich hatte, war die Höchstbefristungszeit bei Weitem
nicht ausgeschöpft.
Vor diesem Hintergrund hätte sich ein Anordnungsanspruch
begründen lassen. Hätte der Verwaltungsgerichtshof
die vom Verwaltungsgericht getroffene Anordnung
in Form einer vorläufigen Weiterbeschäftigung gehalten,
hätte dies auch rein praktisch einen nicht zu unterschätzenden
Effekt nach sich gezogen. Die
Tenure-Evaluierung wäre vermutlich rasch wiederholt
worden, womit für beide Seiten nach einem überschaubaren
Zeitraum Klarheit bestanden hätte, ob der Karriereaufstieg
auf eine W3 Professur erfolgt oder die Hochschullehrerin
im Falle einer erneut negativen Evaluierung
aus der Hochschule ausscheidet. Nunmehr hängen
beide Seiten in der „Warteschleife“, bis das Verwaltungsgericht
im Hauptsacheverfahren entschieden hat, wobei
die Nachteile eindeutig bei der Professorin liegen. Der
unsichere Zustand bringt aber auch einen Nachteil für
die Universität mit sich: Der Verwaltungsgerichtshof hat
am Ende seiner Entscheidung darauf hingewiesen, dass
die Universität im Falle des Obsiegens der Professorin sicherstellen
muss, dass eine haushaltsrechtliche Planstelle
zur Verfügung steht, um darauf gegebenenfalls die begehrte
W3 Professur führen zu können. - Fazit
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München
bedeutet insoweit Neuland, als sie – wenn auch vorab
erst im einstweiligen Rechtsschutzverfahren – klarstellt,
dass es sich bei Tenure-Evaluierungen um Prüfungsentscheidungen
handelt, auf die die Grundsätze des materiellen
Prüfungsrechts anwendbar sind. Stimmenthaltungen
sind danach unzulässig und führen zur formellen
Rechtswidrigkeit des Votums, wenn sich die Enthaltungen
tatsächlich auswirken.
Mit der vom Verwaltungsgerichtshof abgelehnten
vorläufigen Weiterbeschäftigung nach einer negativen
Tenure-Evaluierung stärkt das Gericht die Position der
Universitäten, dem vorliegenden, sicherlich extremen,
Einzelfall wird aber die Entscheidung des Verwaltungsgerichts
München besser gerecht. Die Auseinandersetzung
mit der Entscheidung zeigt auch, dass letztlich die
jeweiligen Bestimmungen der Landeshochschulgesetze
einer genauen Analyse bedürfen, ob sie bei einer solchen
oder vergleichen Konstellation eine vorläufige Weiterbeschäftigung
materiellrechtlich überhaupt zulassen.
Frank Wertheimer ist Partner der Kanzlei KRAUSS LAW
in Lahr/Schwarzwald. Zuvor war er 17 Jahre im Universitätsbereich,
davon über 10 Jahre in der Hochschulmedizin
tätig. Zu seinen Beratungsfeldern gehört im
Bereich des Arbeitsrechts auch das Hochschulrecht. Er
ist Gastmitglied der Forschungsstelle für Hochschulrecht
und Hochschularbeitsrecht an der Rechtswissenschaftlichen
Fakultät der Universität Freiburg.