Folgende Grundsätze sind bey Censurierung der Bücher und Handschriften handzuhaben. Bey der Beurtheilung der Bücher und Handschriften muß vor Allem genau unterschieden werden:
A. Zwischen Werken, welche ihr Inhalt und die Behandlung des Gegenstandes, nur für Gelehrte und den Wissenschaften sich widmende Menschen bestimmt; und
B. Zwischen Broschüren, Volksschriften, Unterhaltungsbüchern und den Erzeugnissen des Witzes.
Diese Grundsätze gelten nicht nur für gedruckte Schriften und Werke, sondern auch für Handschriften. Auch hat die Censur jedes zugelassene Werk vor einer neuen Auflage, worüber erst die Bewilligung zum Drucke angesucht wird, zu behandeln, und das Reimprimatur nur in dem Falle zu ertheilen, wenn ein solches Buch in Rücksicht auf die Zeiten und Umstände, und die verschärften Censur-Vorschriften keinem Anstande unterliegt.
Zu einem so genannten gelehrten Werk qualifiziert nicht der Umfang des Buches, sondern die Wichtigkeit und Beschaffenheit des behandelten Gegenstandes, und die Art der Behandlung.
Die gelehrten Werke theilen sich in zwei Classen:
a) In die erste Classe gehören jene Schriften, welche durch neue Entdeckungen, durch eine bündige und lichtvolle Darstellung, durch die Auffindung neuer Ansichten und so weiter sich auszeichnen.
b) In die zweyte, die saft- und marklosen Compilationen und Wiederholungen des hundertmahl Gesagten u. dgl.
Die Werke der ersten Art sollen mit der größten Nachsicht behandelt, und ohne äußerst wichtigen Gründen nicht verbothen werden. Ist eine Beschränkung nöthig, so soll man selbe nicht öffentlich ankündigen.
Werke, in denen die Staatsverwaltung im Ganzen oder in einzelnen Zweigen gewürdigt, die Fehler und Mißgriffe aufgedeckt, Verbesserungen angedeutet, Mittel und Wege zur Erringung eines Vortheils angezeigt, vergangene Ereignisse aufgehellt werden u.s.w. sollen, ohne hinglängliche andere Gründe nicht verbothen werden, wären auch die Grundsätze und Ansichten des Autors nicht jene der Staatsverwaltung.
Nur müssen Schriften der Art mit Würde und Bescheidenheit, und mit Vermeidung aller eigentlichen und anzüglichen Persönlichkeiten, abgefaßt seyn, auch sonst nichts gegen Religion, nichts Sitten- und Staatsverderbliches enthalten.
Schriften, welche das höchste Staatsoberhaupt und dessen Dynastie oder auch fremde Staatsverwaltungen angreifen, deren Tendenz dahin geht, Mißvergnügen und Unruhen zu verbreiten, das Band zwischen Unterthanen und Fürsten locker zu machen, die christliche, oder vorzüglich die katholische Religion zu untergraben, die Sittlichkeit zu verderben, den Aberglauben zu befördern, Bücher, welche den Socinianismus, Deismus, Materialismus predigen, endlich Schmähschriften aller Art, sind so wenig geeignet, das Glück Einzelner und das Wohl des Ganzen zu erhöhen, als sie selbes vielmehr vom Grunde aus zerstören, und können daher so wenig auf Nachsicht, als Meuchelmord auf Duldung, Anspruch machen. Sie sind nach der Strenge der bisher bestehenden Vorschriften zu behandeln.
Alle Schriften, welche öffentliche … Gesetze und Anordnungen kritisieren und tadeln, sind ganz dem Verbothe zu unterziehen; weil durch Verbreitung solcher Schriften die Folgsamkeit des Unterthans geschwächt, und die Vollziehung der … Verordnungen erschwert wird.
Zensurvorschriften im Vormärz 1
1 Graf von Barth-Barthenheim, System der österreichischen administrativen Polizey, 1. Band 1829, S. 102 f.
Ordnung der Wissenschaft 2022, ISSN 2197–9197
1 4 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 2 2 ) , 1 4 5 — 1 4 6
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