Wie lange ist man eigentlich Nachwuchs?1 Diese Frage wirft die Debatte rund um die Neugestaltung der Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Mittelbaus regelmäßig auf. Hochschulen und Forschungseinrichtungen beschäftigen Forschende und Lehrende regelmäßig als „akademischen Nachwuchs“ bis Mitte 402 befristet. 2021 mussten sich das VG Freiburg3 und der VGH Mannheim4 mit dieser Problematik aus rechtlicher Sicht befassen. Der Antragssteller begehrte, der Antragsgegnerin, einer Universität, zu untersagen, eine Tenure-Track-Professur ‚Neuere Deutsche Literatur mit dem Schwerpunkt Interkulturelle Literaturwissenschaft‘ zu besetzen. Die Auswahlkommission der Universität hielt den promovierten, zunächst noch nicht habilitierten Antragssteller nicht mehr für einen „Nachwuchswissenschaftler in einer frühen Karrierephase“.5
Der vorliegende Beitrag will der Frage nachgehen, wie lange man auf Juniorprofessuren mit und ohne Tenure-Track berufen werden kann. Hierzu lohnt sich ein Blick zurück: Wie hat sich die Juniorprofessur entwickelt (I)? Die Tenure-Track-Professur sollte wesentliche Defizite der Juniorprofessur ausgleichen. Hier muss die gesetzgeberische Intention näher betrachtet werden (II). Dabei werden ein Konflikt der Juniorprofessur mit und ohne Tenure-Track mit wesentlichen Wertungen des WissZeitVG und eine Disparität der landesrechtlichen Konzeptionen sichtbar. Mit den Folgen hatten auch die beiden Verwaltungsgerichte zu kämpfen (III). Die Reform des WissZeitVG könnte womöglich dazu beitragen, diese Wertungswidersprüche aufzulösen (IV).
I. Entwicklung der Juniorprofessur
Will man das akademische Höchstalter zur Berufung auf eine Juniorprofessur bestimmen, muss man ihre Wurzeln verstehen. Die Juniorprofessur ist Teil einer intendierten umfassenden Umgestaltung der Hochschullandschaft.6 Es wird sich zeigen: Diese umfassende Umgestaltung hat nicht stattgefunden.
- Die Vorstellungen des Bundesgesetzgebers
Die Juniorprofessur ist eine Erfindung des Bundes. Mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes und anderer Vorschriften (5. HRGÄndG) vom 16.02.2002 sollte ein „neuer Weg zur Professur an Universitäten und gleichgestellten Hochschulen“ geschaffen werden.7 Der daraus resultierenden neuen Personalkategorie sollte ein Recht zu selbständiger ForSimon
Pschorr
Akademisches Höchstalter für die Juniorprofessur
Zur Einordnung der Juniorprofessur mit und ohne Tenure-Track in das System wissenschaftlicher
Qualifizierung
1 Die Formulierung „wissenschaftlicher Nachwuchs“ beschreibt Forschende und Lehrende, die nicht auf eine Professur berufen wurden. Er wird noch immer weithin verwendet, vgl. etwa § 72 SHSG; § 33 BbgHG; https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/wissenschaftlicher-nachwuchs/wissenschaftlicher-nachwuchs.html, zuletzt abgerufen am 06.04.2023; BeckOK Hochschulrecht Niedersachsen/Pautsch § 4 NHG Rn. 15; Epping/Epping § § 24 NHG Rn. 45; Barns tedt, Die Verantwortung der Hochschulen für den wissenschaftlichen Nachwuchs, OdW 2018, 223, 224 ff.; Sieweke, Die Rechte des wissenschaftlichen Nachwuchses im Rahmen der Promotion, JuS 2009, 283. Der Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs selbs t kritisiert dabei die Begrifflichkeit, vgl. BuWin 2021, abrufbar unter https://www.buwin.de/dateien/buwin-2021.pdf, zuletzt abgerufen am 06.04.2023, S. 62; siehe auch BuWin 2017, abrufbar unter https://www.buwin.de/dateien/buwin-2017.pdf, S. 65; zuletzt abgerufen am 06.04.2023; Döring, Wollen wir wirklich BeStI(e)n sein? Ein Plädoyer an und gegen „den wissenschaftlichen Nachwuchs“, abrufbar unter https://mittelalter.hypotheses.org/9774, zuletzt abgerufen am 06.04.2023; Wilms, Wer wächs t wohin? Zum Begriff des wissenschaftlichen Nachwuchses, abrufbar unter https://www.praefaktisch.de/wissenschaftlicher-nachwuchs/wer-waechs t‑wohin-zum-begriff-des-wissenschaftlichen-nachwuchses/, zuletzt abgerufen am 06.04.2023. Im Folgenden wird für die Statusgruppe der Beschäftigten unterhalb der Professur deshalb der neutralere Terminus „wissenschaftlicher Mittelbau“ verwendet.
2 Vgl. BuWin 2021, abrufbar unter https://www.buwin.de/dateien/buwin-2021.pdf, zuletzt abgerufen am 06.04.2023, S. 196; https://www.s tatis tik-bw.de/Presse/Pressemitteilungen/2023069
3 VG Freiburg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = BeckRS 2021, 10384.
4 VGH Mannheim, Beschluss vom 07.07.2021 – 4 S 1541/21 = BeckRS 2021, 19932.
5 VG Freiburg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = BeckRS 2021, 10384 Rn. 63.
6 Zur Konzeption Hoins, Die Juniorprofessur als Zentralfigur der Personals trukturreform an den Hochschulen, NVwZ 2003, 1343.
7 BT-Drs. 14/6853, S. 1.
Ordnung der Wissenschaft 2023, ISSN 2197–9197
1 7 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 7 3 — 1 8 0
8 BT-Drs. 14/6853, S. 1; zu den praktischen Folgen im Lehrdeputat
vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.06.2004 — 2 NB 859/04 =
NJOZ 2004, 3095, 3096.
9 BT-Drs. 14/6853, S. 14.
10 BT-Drs. 14/6853, S. 14.
11 BT-Drs. 14/6853, S. 15, 18 f.
12 BT-Drs. 14/6853, S. 16.
13 BT-Drs. 14/6853, S. 16.
14 BT-Drs. 14/6853, S. 17.
15 Dem Verfasser is t bewuss t, dass die Berufungs praxis den Begriff
geringfügig anders verwendet. Das akademische Alter wird
in Berufungsverfahren als Kenngröße der wissenschaftlichen
Leis tungen relativ zur Lebenszeit bzw. aktiven Publikationszeit
genutzt. Siehe hierzu etwa OVG Müns ter, Beschluss vom
17.01.2022 – 6 B 1512/21 = BeckRS 2022, 294 Rn. 20 ff.; VG Minden,
Beschluss vom 31.08.2021 – 4 L 265/21 = BeckRS 2021, 46261 Rn.
23; BeckOK Hochschulrecht Bayern/Jaburek Art. 18 BayHSchPG
Rn. 56; https://gb.uni-koeln.de/e2106/e2113/e37146/Handreichung_
akad_Alter_UzK_ger.pdf; https://www.ufz.de/export/
data/2/272592_262666_Infoblatt_Akademisches%20Alter.pdf;
https://www.tu.berlin/s tabbk/berufungen/berufungsverfahren/
akademisches-alter; https://www.uni-frankfurt.de/83947891/
FAQ_de_2020.pdf; https://www.uni-kons tanz.de/forschen/
akademische-karriereentwicklung/kons tanzer-kodex/; https://tudresden.
de/tu-dresden/universitaetskultur/diversitaet-inklusion/
ressourcen/dateien/gleichs tellung/berufungen/chancengleichheitin-
berufungsverfahren?lang=de, S. 2, jeweils zuletzt abgerufen am
06.04.2023.
16 Mit der Terminologie des Bundesgesetzgebers wird im Folgenden
die originäre Professur auf Lebenszeit als Lebenszeitprofessur
bezeichnet.
17 BT-Drs. 14/6853, S. 17.
18 Dazu nächer BT-Drs. 14/6853, S. 20 ff.
19 Geis/Krause WissZeitVG Einf. Rn. 4, 7; ErfKomm/Müller-Glöge
§ 1 WissZeitVG Rn. 4; Ascheid/Preis/Schmidt/Schmidt
§ 1 WissZeitVG Rn. 3; Boecken/Düwell/Diller/Hanau/Boemke
§ 1 WissZeitVG Rn. 1; anders aber NomosKomm-BR/Joussen
§ 1 Rn. 3; Löwisch, Die Ablösung der Befris tungsbes timmungen
des Hochschulrahmengesetzes durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz,
NZA 2007, 479; zu den Modifikationen des Anwendungsbereichs
auch Meißner, Ents tehung und Entwicklung des
Hochschulbefristungsrechts, OdW 2016, 181, 184.
20 Zu den Folgen für das Befris tungsrecht der §§ 57a ff. HRG siehe
Löwisch, Befris tungen im Hochschulbereich — Rechtslage nach
dem Urteil des BVerfG zur Juniorprofessur, NZA 2004, 1065 und
Dieterich/Preis, Das Hochschularbeitsrecht in der Verfassungsfalle?
- Erwiderung auf Löwisch, NZA 2004, 1065 ff., NZA 2004, 1241.
21 BVerfG, Urteil vom 27.07.2004 — 2 BvF 2/02 = NJW 2004, 2803.
22 BVerfG, Urteil vom 27.07.2004 — 2 BvF 2/02 = NJW 2004, 2803,
2804.
23 BVerfG, Urteil vom 27.07.2004 — 2 BvF 2/02 = NJW 2004, 2803,
2804 f.
24 BVerfG, Urteil vom 27.07.2004 — 2 BvF 2/02 = NJW 2004, 2803,
2807.
25 Janz, Aus für die Juniorprofessur?, JuS 2004, 852, 855.
26 Zur Terminologie vgl. Löwisch, Die gesetzliche Reparatur des
Hochschulbefris tungsrechts, NZA 2005, 321.
27 Bezeichnet als Beseitigung von Rechtsunsicherheiten, vgl. BT-Drs.
15/4132, S. 1; becklink 129957.
schung und Lehre8 zukommen, um „die im internationalen
Vergleich unzureichende Selbständigkeit der Postdoktorandinnen
und Postdoktoranden zu beseitigen“.9
Darüber hinaus sollte sie ein Instrument gegen die „lange
Qualifikationsdauer des wissenschaftlichen Nachwuchses“
und „das hohe Erstberufungsalter von Professorinnen
und Professoren“ sein.10 In Abkehr vom klassischen
Habilitationsmodell11 sollte die Juniorprofessur als
neue „Bewährungsphase für eine Lebenszeitprofessur“
etabliert werden.12 Die Juniorprofessur sollte nach Vorstellung
des Bundesgesetzgebers in möglichst zeitnahem
Anschluss an die Promotion angetreten werden, wobei
die Länge der Promotions- und Beschäftigungsphase vor
der Juniorprofessur insgesamt nicht mehr als sechs Jahre
betragen sollte.13 Jedoch war keine gesetzliche Altersgrenze
vorgesehen.14 Diese (Vor-)Beschäftigungszeit in
der Wissenschaft soll im Folgenden als akademisches
Alter bezeichnet werden.15 Nach einer Zwischenevaluation
im Rahmen der Juniorprofessur nach drei Jahren und
nach Ablauf von vier bis höchstens sechs Jahren sollte
eine Bewerbung auf eine Lebenszeitprofessur16 erfolgen.
17 Im gleichen Gesetz wurde der Grundstein für das
Befristungsrecht des akademischen Mittelbaus gelegt:
§§ 57a – 57b HRG aF,18 die im Regelungskern weitgehend
unmodifiziert in das WissZeitVG übernommen wurden.
19
Doch die Konzeption des Bundesgesetzgebers hielt
vor dem Bundesverfassungsgericht nicht stand. Es erklärte
die Juniorprofessur20 für mit dem Grundgesetz
unvereinbar.21 Zwar stand dem Bund zu diesem Zeitpunkt
(noch) die Rahmengesetzgebungskompetenz zur
Normierung der allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens
gem. Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a GG aF zu.
Doch überschritt der Bund diesen Kompetenztitel, weil
er nicht nur eine Rahmenvorgabe setzte, sondern den
Ländern die Möglichkeit entzog, die Sachmaterie entsprechend
den besonderen Verhältnissen des Landes zu
regeln.22 Mit seiner detaillierten Regelung des neuen
Hochschulpersonalmodells überschritt er zugleich Art.
75 Abs. 2 GG aF.23 Das Dienstrecht erwies sich für den
Bundesgesetzgeber als verfassungswidriges Mittel, um
die personelle Organisation der Hochschulen und damit
das Hochschulwesen insgesamt grundlegend umzugestalten.
24 Die Literatur erkannte umgehend, dass der
Spruch des Bundesverfassungsgerichts die grundlegende
Umstrukturierung der Hochschullandschaft beendete,
jedoch die Juniorprofessur nicht beerdigte.25
Dies besiegelte spätestens das „Reparaturgesetz“26 zur
Änderung dienst- und arbeitsrechtlicher Vorschriften
im Hochschulbereich vom 27.12.2004. Mit diesem rettete
der Bund das Konzept der Juniorprofessur,27 indem er in
den §§ 42 S. 1, 47 f. HRG nur noch die Personalkategorie
Pschorr · Akademisches Höchstalter für die Juniorprofessur 1 7 5
28 Näher BT-Drs. 15/4132, S. 13 ff.
29 BT-Drs. 15/4132, S. 14.
30 BT-Drs. 15/4132, S. 14.
31 BT-Drs. 15/4132, S. 15.
32 becklink 143916.
33 2018 waren 276 von insgesamt 1580 Juniorprofessuren Teil des
Tenure-Track-Programms, siehe BuWin 2021, abrufbar unter
https://www.buwin.de/dateien/buwin-2021.pdf, zuletzt abgerufen
am 06.04.2023, S. 93.
34 Statis tisches Bundesamt, Anzahl der Juniorprofessorinnen und
-Professoren nach Geschlecht in Deutschland in den Jahren von
2005 bis 2018, abrufbar unter https://de.s tatis ta.com/s tatis tik/
daten/s tudie/1244537/umfrage/juniorprofessorinnen-und-professoren-
nach-geschlecht/, zuletzt abgerufen am 06.04.2023.
35 Näher sowie zum hohen Frauenanteil siehe BuWin 2021, abrufbar
unter https://www.buwin.de/dateien/buwin-2021.pdf, zuletzt
abgerufen am 06.04.2023, S. 88 ff.
36 Die maßgeblichen Normen sind § 51 BWLHG; § 54 RPFHocSchG;
§ 42 SHSG; § 30 NHG; Art. 14 ff. BayHSchPersG aF bzw. Art. 63 ff.
BayHIG nF; §§ 45 f. BbgHG; § 64 S‑HHSG; §§ 101, 102a f. BerlHG;
§ 89 ThürHG; §§ 18 f. HmbHG; § 62 M‑VLHG; § 63 SächsHSFG;
§§ 40 f. LSAHSG; §§ 17 f. BremHG; §§ 36, 39 Abs. 5 f. NRWHG.
37 Diese Ausnahme soll als Überbrückungsmöglichkeit bei negativer
Evaluation dienen, vgl. BeckOK Hochschulrecht Hessen/Globuschütz
§ 70 HessHG Rn. 2. Hierfür is t sie disfunktional – is t bei
Evaluation ja bereits eine Qualifikations professur begründet.
38 Der Begriff der Juniorprofessur wurde aufgrund der Stigmatisierungswirkung
vermieden, vgl. BeckOK Hochschulrecht Hessen/
Globuschütz § 70 HessHG Rn. 2.
39 Auch hier is t die Lebenszeitprofessur gemeint. Das Gesetz soll
jedoch wörtlich wiedergegeben werden.
40 So auch § 51 Abs. 1 S. 1 BWLHG; § 42 Abs. 1 SHSG;
§ 30 Abs. 1 S. 1 NHG; Art. 63 Abs. 6 S. 1 BayPersHG;
§ 64 Abs. 1 SHSG; § 89 Abs. 1 S. 1 ThürHG.
41 So auch § 49 Abs. 2 S. 1 RPFHochSchG; § 41 Abs. 2 S. 1 BbgHG;
§ 100 Abs. 2 S. 1 BerlHG; § 15 Abs. 2 HmbHG.
42 Näher Hartmer/Detmer/Hartmer Kap. 5 Rn. 115.
43 Zu den anrechnungsfähigen Zeiten vgl. OVG Hamburg, Beschlus
vom 06.07.2005 — 1 Bs 190/05 = NVwZ-RR 2006, 186, 187.
44 So auch § 42 Abs. 4 SHSG; § 102a S. 4 BerlHG;
§ 89 Abs. 3 S. 1 ThürHG; § 18 Abs. 4 S. 1 HmbHG;
§ 63 Abs. 3 S. 1 SächsHSFG.
als solche und wenige Berufungsvoraussetzungen normierte.
28 Dennoch schien er das umfassende Reformvorhaben
nicht aufgegeben zu haben. Das zeigt sich, wenn
man die Ausführungen in den Gesetzesmaterialien zum
Regelungszweck näher betrachtet: Erneut wird die späte
Berufung auf die Lebenszeitprofessur betont.29 Neuerlich
wird ein erheblicher Verlust kluger Köpfe an den ausländischen
Wissenschaftsarbeitsmarkt beklagt.30 Anders als
2002 wurde nunmehr sogar das akademische Höchstalter
von sechs Jahren als Soll-Regelung in § 47 S. 2 HRG
aufgenommen. Dies sei durch das „Ziel der früheren
Selbständigkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses in
Forschung und Lehre gerechtfertigt“.31 Als Ausnahme
wurde auf neue Regelungen zur familien- und behindertenpolitischen
Komponente verwiesen (heute
§ 2 Abs. 5 WissZeitVG).
Die zuständige Bundesbildungsministerin Buhlmann
erklärte die Juniorprofessur zum Erfolgsmodell.32 Doch
wurden bis 2018 nur 1304 Juniorprofessuren ohne Tenure-
Track33 bundesweit etabliert – die Zahl ist rückläufig.34
In den unterschiedlichen Fachrichtungen wird unterschiedlich
oft auf die Juniorprofessur zurückgegriffen.35
- Die Konzeption der Länder
Die Bundesländer haben die Juniorprofessur in ihre
Landeshochschulgesetze aufgenommen.36 Mit der Föderalismusreform
II verlor der Bundesgesetzgeber seine
Regelungskompetenz des Hochschulrechts völlig, sodass
die Landesnormen gem. Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG fortgeltendes
Bundesrecht ablösten. Das neue Hessische Hochschulgesetz
bildet insoweit die Ausnahme. Hier ist in
§ 70 Abs. 3 ff. HessHG eine sog. Qualifikationsprofessur
vorgesehen, die nur ausnahmsweise37
(§ 70 Abs. 5 S. 1 HessHG) ohne eine sog. Entwicklungszusage
gem. § 70 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 HessGH begründet
werden darf. Obschon andere Begrifflichkeiten verwendet
werden,38 handelt es sich inhaltlich um Juniorprofessuren
mit und ohne Tenure-Track.
Aufgabe der Juniorprofessur ist es, sich durch die
selbstständige Wahrnehmung der ihrer Universität obliegenden
Aufgaben in Forschung, Kunst, Lehre und
Weiterbildung für die Berufung auf eine Professur39 an
einer Universität zu qualifizieren. So formuliert es
§ 35 Abs. 4 S. 2 NRWHG ausdrücklich.40 In anderen Bundesländern,
beispielsweise Sachsen-Anhalt, ergibt sich
dies implizit aus den Berufungsvoraussetzungen auf eine
Lebenszeitprofessur (§ 35 Abs. 3 S. 1 LSAHSG).41 In allen
Bundesländern kann man sich auf eine Lebenszeitprofessur
bewerben, auch wenn man zuvor keine Juniorprofessur
bekleidete. Dem Grunde nach haben somit alle
Bundesländer das Regelungskonzept des Bundes, auf
dem die Juniorprofessur basiert, übernommen.
Spannend wird es allerdings, wenn man die landesrechtlichen
Regelungen zum akademischen Höchstalter
betrachtet. Trotz identischer Grundkonzeption normieren
die Länder unterschiedliche Höchstvorbeschäftigungszeiten
in der Wissenschaft. In Baden-Württemberg
etwa soll42 eine Berufung auf eine Juniorprofessur
nur erfolgen, wenn aufsummierte Beschäftigungszeiten43
an deutschen Hochschulen oder wissenschaftlichen Einrichtungen
(vgl. den Verweis in § 51 Abs. 3 S. 3 BWLHG
auf § 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG) vor und nach der Promotion
sechs Jahre nicht überschreiten.44 Diese zeitliche Begrenzung
leitet Frenzel aus der Funktion als Qualifikati1
7 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 7 3 — 1 8 0
45 BeckOK Hochschulrecht Baden-Württemberg/Frenzel § 51 Rn. 14.
46 § 64 Abs. 3 S. 1 S‑HHSG.
47 § 62 Abs. 1 S. 4 M‑VLHG.
48 So auch § 45 Abs. 2 S. 1 BbgHG.
49 BayLT-Drs. 18/22504, S. 119.
50 In der Medizin neun Jahre.
51 So auch § 40 S. 2 LSAHSG.
52 § 70 Abs. 3 S. 3 Hs. 2, Abs. 4 S. 2 HessHG; § 45 Abs. 2 S. 3 BbgHG;
Art. 63 Abs. 1 S. 7 BayHIG; § 102a S. 4 Hs. 2 BerlHG;
§ 51 Abs. 3 S. 2 BWLHG, § 89 Abs. 3 S. 2 ThürHG,
§ 18 Abs. 4 S. 2 HmbHG, § 62 Abs. 1 S. 5 M‑VLHG,
§ 63 Abs. 3 S. 2 SächsHSFG und § 64 Abs. 3 S. 2 S‑HHSG jeweils
i.V.m. § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 1, 3 WissZeitVG.
53 § 42 Abs. 4 S. 2 SHSG und § 63 Abs. 3 S. 2 SächsHSFG i.V.m.
§ 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 WissZeitVG
54 § 51 Abs. 3 S. 2 BWLHG, § 64 Abs. 3 S. 2 SH-HSG,
§ 89 Abs. 3 S. 2 ThürHG, § 18 Abs. 4 S. 2 HmbHG,
§ 62 Abs. 1 S. 5 M‑VLHG, § 63 Abs. 3 S. 2 SächsHSFG und
§ 42 Abs. 4 S. 2 SHSG jeweils i.V.m. § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 4, 5 WissZeitVG.
55 Geis/Krause WissZeitVG Einf. Rn. 4.
56 Mecklenburg-Vorpommern hat dieses Sys tem im Wesentlichen
übernommen, da auch bei Ausschöpfung der Höchs tbefris tungsdauer
in der Promotions phase nach § 2 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG
noch drei Jahre Pos tdoc-Phase verbleiben, bevor die Bewerbung
auf die Juniorprofessur regelweise ges perrt is t.
57 Siehe explizit BeckOK Hochschulrecht Hessen/Globuschütz
§ 70 Rn. 2.
58 Wissenschaftsrat, Empfehlungen zu Karrierezielen und ‑wegen
an Universitäten, Drs. 400 9 ‑14, abrufbar unter https://
www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4009–14.pdf?__
blob=publicationFile&v=2, zuletzt abgerufen am 06.04.2023, S. 18.
onsstelle ab.45 In Schleswig-Holstein (sieben Jahre)46 und
in Mecklenburg-Vorpommern (neun Jahre)47 wurden
höhere Grenzen gewählt.
Bayern hat kürzlich eine vergleichbare Vorschrift
(Art. 14 S. 3 BayHSchPersG) abgeschafft und durch
Art. 63 Abs. 1 S. 5 BayHIG ersetzt. Hiernach soll auf eine
Juniorprofessur berufen werden, wessen Promotion zum
Ende der Ausschreibungspflicht nicht mehr als vier Jahre
zurückliegt.48 Auch dies wird mit der Eigenschaft der
Juniorprofessur als Qualifikationsstelle begründet.49
Hier wird also nicht auf das gesamte akademische Alter,
sondern nur auf die Länge der Postdoc-Phase zurückgegriffen.
In Rheinland-Pfalz können gem.
§ 54 Abs. 1 S. 4 RPFHochSchG sogar sechs Jahre50 seit der
Promotion vergangen sein.51
Schließlich hat Hessen ein Zwittermodell normiert.
Dort soll gem. § 70 Abs. 3 S. 3, Abs. 5 S. 2 HessHG eine
Berufung nur bis zu einem akademischen Gesamthöchstalter
von 9 Jahren und einer Postdoc-Phase von
bis zu vier Jahren erfolgen. Nur Bremen
(§ 18 Abs. 4 BremHG), Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen
haben keine ausdrückliche Regelung.
Alle Bundesländer mit akademischer Höchstaltersbegrenzung
berücksichtigen Kindererziehungszeiten explizit.
52 Einschränkungen durch Behinderung bzw. lange
Krankheit werden in einigen Landesgesetzen durch Bezugnahme
auf das WissZeitVG explizit Rechnung getragen53
und können ansonsten als Ausnahmekonstellation
in der „Soll-Regelung“ verortet werden. Schließlich bringen
einige Bundesländer auch Wehrdienst- und Gremienzeiten
in Abzug.54 Dadurch entsteht ein sog. bereinigtes
akademisches Alter. - Vergleich der landesgesetzlichen Konzeption mit dem
WissZeitVG
Unter der Lupe der Regelungsziele des Bundesgesetzgebers
2002 und 2004 wirkt das Regelungsmodell des akademischen
Höchstalters von sechs Jahren kohärent: Wie
oben skizziert sollte der Weg zur Professur umgestaltet
werden und die Juniorprofessur an die Stelle der Habilitation
treten. Die Habilitationsschrift wurde regelmäßig
während einer Beschäftigung als Postdoc auf einer Stelle
als wissenschaftlicher Mitarbeiter angefertigt. Für diese
Tätigkeit sollte ein zeitlicher Höchstrahmen von sechs
Jahren gesetzt werden (sog. Qualifikationsphase).55 Die
sechsjährige Juniorprofessur sollte der bevorzugte Qualifikationsweg
für zukünftige Lebenszeitprofessuren
sein. Damit wird ein dreistufiger Karriereaufbau vorgezeichnet:
Promotionsphase (R1), Qualifikationsphase als
wissenschaftlicher Mitarbeiter oder Juniorprofessor
(R2), Lebenszeitphase (R3).
Diejenigen Länder,56 welche sich vom akademischen
Gesamthöchstalter gelöst haben und nur noch oder auch
die Postdoc-Phase betrachten, folgen einem anderen Regelungsmodell:
Sie orientieren sich57 an einem vierstufigen
Karriereaufbau, den der Wissenschaftsrat 2014 bewarb.
58 Auf die Promotionsphase (R1) sollte eine Postdoc-
Phase (R2) folgen, die die Evaluationsphase (R3)
vorbereitet, die schließlich in der Lebenszeitphase (R4)
enden soll. Die Juniorprofessur wird so zum Baustein
der Evaluationsphase (R3). Statt also nach der Vorstellung
des Bundesgesetzgebers von 2002 bzw. 2004 die
Laufzeit bis zur Lebenszeitprofessur zu verkürzen, verlängert
dieses System den wissenschaftlichen Karriereweg
um vier bis sechs Jahre.
Pschorr · Akademisches Höchstalter für die Juniorprofessur 1 7 7
59 Wissenschaftsrat, Empfehlungen zu Karrierezielen und ‑wegen
an Universitäten, Drs. 400 9 ‑14, abrufbar unter https://
www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4009–14.pdf?_ blob=publicationFile&v=2, zuletzt abgerufen am 06.04.2023, S. 11. 60 Näheres siehe https://www.tenuretrack.de/de/tenure-trackprogramm/ das-bund-laender-programm, zuletzt abgerufen am 06.04.2023. 61 https://www.tenuretrack.de/de/tenure-track-programm/das-bundlaender- programm, zuletzt abgerufen am 06.04.2023. 62 https://www.tenuretrack.de/de/tenure-track-programm/die-tenure- track-professur, zuletzt abgerufen am 06.04.2023. 63 Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern gemäß Artikel 91b Absatz 1 des Grundgesetzes über ein Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses vom 19.10.2016, abrufbar unter https://www.tenuretrack.de/de/dateien/ tenure-track/verwaltungsvereinbarung-wissenschaftlicher-nachwuchs- 2016.pdf, zuletzt abgerufen am 06.04.2023. 64 Zum internationalen Vorbild Kauhaus, Pos tdoc Forever: Is t das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu großzügig?, https://www.almameta. de/pos tdoc-forever-is t‑das-wissenschaftszeitvertragsgesetzzu- grosszuegig/, zuletzt abgerufen am 06.04.2023. 65 Wissenschaftsrat, Empfehlungen zu Karrierezielen und ‑wegen an Universitäten, Drs. 4009 ‑14, abrufbar unter https:// www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4009–14.pdf?_
blob=publicationFile&v=2, zuletzt abgerufen am 06.04.2023, S. 11.
66 https://www.dfg.de/foerderung/programme/einzelfoerderung/
emmy_noether/index.html, zuletzt abgerufen am 06.04.2023.
67 In Baden-Württemberg liegt das Ers tberufungsalter auf eine
Lebenszeitprofessur aktuell bei durchschnittlich 42 Jahren,
siehe unter https://www.s tatis tik-bw.de/Presse/Pressemitteilungen/
2023069, zuletzt abgerufen am 06.04.2023.
68 Siehe auch VG Freiburg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 =
BeckRS 2021, 10384 Rn. 6.
69 § 51b BWLHG; § 43 Abs. 2 S. 8 SHSG; § 55 Abs. 1 RPFHoch-
SchG; § 30 Abs. 4 S. 4 NHG; Art. 63 Abs. 4 S. 1 BayHIG;
§ 62a Abs. 1 S. 1 S‑HHSG; § 45 Abs. 2 S. 1 BbgHG; § 102c BerlHG;
§ 85 Abs. 1 S 4 Nr. 4 ThürHG; § 14 Abs. 6 Nr. 3 HmbHG;
§ 62a Abs. 1 S 1 M‑VLHG; § 59 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SächsHSFG;
§ 36 Abs. 2 S. 4 Nr. 2 LSAHSG; § 18a BremHG;
§ 38a Abs. 1 NRWHG.
II. Der Tenure-Track als „Juniorprofessur Plus“
Dieser vierstufige Karriereaufbau des Wissenschaftsrats
von 2014 sieht jedoch in der Evaluationsphase (R3) eine
weitere Modifikation vor: Den Tenure-Track. Dieser solle
eine konzeptionelle Weiterentwicklung der Juniorprofessur
sein.59 Die rechtliche Regelungsstruktur dieser
Beschäftigungsform wird im Folgenden betrachtet. - Konzeption des Tenure-Track-Programms
Auch das Instrument des Tenure-Tracks wurde durch
den Bund initiiert, allerdings mangels Kompetenz nicht
als Gesetzgeber, sondern mit dem Tenure-Track-Programm
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
2016.60 Hiermit fördert der Bund die Einrichtung
von insgesamt 1000 sog. Tenure-Track-Professuren für
insgesamt 15 Jahre. Auch dieses Programm zielt auf einen
„Kulturwandel an den deutschen Universitäten“ ab und
soll „ein[en] zusätzliche[n] Karriereweg zur Professur“
etablieren.61 Daneben spielt nunmehr aber auch die mangelnde
Sicherheit der Karriereentwicklung eine Rolle.62
Bund und Länder haben hinsichtlich der Details des
Programms eine Verwaltungsvereinbarung gem.
Art. 91b Abs. 1 GG getroffen.63 Sog. „jungen“ Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern solle nach der Präambel
dieser Vereinbarung früher als bisher eine Entscheidung
über den dauerhaften Verbleib im Wissenschaftssystem
ermöglicht werden. Die
Tenure-Track-Professur solle als eigenständiger Karriereweg
neben dem herkömmlichen Berufungsverfahren
auf eine Professur an deutschen Universitäten stärker
etabliert werden.
Die Idee lautete also scheinbar: Die Tenure-Track-
Professur solle neben die bereits eingeführten Instrumente
Postdoc-Phase im gem. § 2 Abs. 1 S. 2 WissZeitVG
befristeten Arbeitsverhältnis und Juniorprofessur ohne
Tenure-Track treten. Dies deutete darauf hin, die Tenure-
Track-Professur sei der Qualifikationsphase (R2) in
einem dreistufigen Karriereaufbau zuzuordnen. In eine
andere Richtung weist jedoch bereits § 4 Abs. 1 der Verwaltungsvereinbarung,
die ein Hausberufungsverbot als
Soll-Vorschrift regelt. Demnach sollen Beschäftigte die
Universität wechseln oder zwei Jahre außerhalb der Promotionshochschule
tätig gewesen sein, bevor sie sich auf
eine hiesige Tenure-Track-Professur bewerben. Ansonsten
ist im fünften Spiegelstrich von § 4 Abs. 1 der Verwaltungsvereinbarung
nur von einer „frühen Karrierephase“
die Rede. Des Weiteren sollten gem. § 4 Abs. 2 S. 1 der
Verwaltungsvereinbarung Beschäftigte berücksichtigt
werden, die bereits auf einem anderen Qualifizierungspfad
unterwegs seien. Blickt man in den vorbildgebenden
Bericht des Wissenschaftsrats, wird die Tenure-
Track-Professur der Evaluationsphase (R3) zugeordnet
und soll auf eine bis zu vierjährige64 Postdoc-Phase (R2)
folgen.65 An dieser Karrierestruktur orientiert sich auch
das Emmy-Noether-Programm der DFG.66 Das heißt im
Ergebnis: bis zu 6+4+6 = 16 Jahre bis zur Berufung auf
die Lebenszeitprofessur;67 deutlich länger als der Bundesgesetzgeber
2002 und 2004 zu normieren
beabsichtigte. - Landesrechtliche Umsetzung
Bundesgesetzlich oder in einer Verwaltungsvereinbarung
verankert ist diese Karrierestruktur nicht.68 Ein
Blick in die Landesgesetze zeigt: Die Konzeption bildet
sich im Recht nur teilweise ab. Zwar ist die Tenure-
Track-Professur in allen Landeshochschulgesetzen geregelt69
– in Hessen unter dem Namen Qualifikationspro1
7 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 7 3 — 1 8 0
70 Ausnahmsweise W2-Professuren, zB gem.
§ 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 RPFHochSchG in Rheinland-Pfalz und gem.
§ 62a Abs. 1 S. 1 S‑HHSG in Schleswig-Hols tein.
71 So auch § 18a Abs. 3 BremHG.
72 Zur Übertragung der Voraussetzungen der Juniorprofessur auf die
Tenure-Track-Professur auch BeckOK Hochschulrecht Nordrhein-
Wes tfalen/Pernice-Warnke § 36 Rn. 24; offen lassend Hartmer/
Dettmer/Hartmer Kap. 5 Rn. 113.
73 Zu den fehlenden Regelungen in Bremen, Niedersachsen und
Nordrhein-Wes tfalen s.o.
74 VG Freiburg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = BeckRS
2021, 10384.
75 Wobei das akademische Alter des Bewerbers während des langwierigen
Besetzungsverfahrens deutlich angewachsen war VG
Freiburg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = BeckRS 2021,
10384 Rn. 57.
76 VG Freiburg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = BeckRS
2021, 10384 Rn. 49.
77 VG Freiburg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = BeckRS
2021, 10384 Rn. 51.
78 Siehe BWLT-Drs. 16/3248, S. 41.
79 VG Freiburg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = BeckRS
2021, 10384 Rn. 30.
80 VG Freiburg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = BeckRS
2021, 10384 Rn. 6 f.
fessur gem. § 70 Abs. 3 HessHG. Allerdings hat das akademische
Höchstalter für die Tenure-Track-Professur
nur in Brandenburg eine Sonderregelung gefunden. Hier
kann man sich gem. § 45 Abs. 2 S. 2 BbgHG bis zu sechs
Beschäftigungsjahre, also zwei Jahre länger als nach der
Konzeption des Wissenschaftsrats, nach der Promotion
auf eine solche Stelle bewerben.
In den anderen Bundesländern sind Tenure-Track-
Professuren im Regelfall70 Juniorprofessuren mit Zusage
einer späteren Übernahme auf eine Lebenszeitprofessur,
sofern eine Evaluation positiv ausfällt. In Baden-Württemberg
wird in § 51b Abs. 1 S. 1 BWLHG dezidiert auf
§ 51 LHG verwiesen. In Rheinland-Pfalz wird ausdrücklich
das akademische Höchstalter für Juniorprofessuren
gem. § 54 Abs. 1 S. 4 RPFHochSchG in Bezug genommen.
71 Das bedeutet: Das akademische Höchstalter der
Juniorprofessur begrenzt unmittelbar auch den Bewerberkreis
der Tenure-Track-Professur.72 In Bayern, Brandenburg,
Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und
Rheinland-Pfalz korrespondiert dieses mit dem vierstufigen
Karrieremodell.73 In den anderen Bundesländern
nicht. Mithin hat sich dort das Konzept des Wissenschaftsrats
nicht normativ niedergeschlagen. Vielmehr
wird ein dem Grundsatz dreistufiger Karriereaufbau und
zugleich das Tenure-Track-Modell verfolgt, wobei letzteres
der Logik des vierstufigen Karriereaufbaus folgt.
III. Akademisches Höchstalter zur Berufung auf die
Tenure-Track-Professur nach der verwaltungsrechtlichen
Judikatur
Das VG Freiburg74 musste in Anwendung dieses widersprüchlichen
Landesrechts über den Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung eines erfolglosen Bewerbers
um eine Tenure-Track-Professur an der Universität
Freiburg entscheiden. Der Antrag hatte erstinstanzlich
Erfolg.
Der Bewerber blickte zum Entscheidungszeitpunkt75
auf eine Vorbeschäftigungszeit von 11 Jahren zurück, wobei
das Gericht offen lassen konnte, ob dieses akademische
Alter nach § 51 Abs. 3 S. 2, 3 BWLHG i.V.m.
§ 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 1, 3–5 WissZeitVG zu korrigieren war.76
Jedenfalls überschritt der Bewerber das akademische
Höchstalter von sechs Jahren deutlich. Dennoch hielt
das Gericht den Bewerber nicht grundsätzlich für ungeeignet.
Das Gericht nahm an, das Tenure-Track-Verfahren
sei als systemische Ausnahme von der Soll-Regelung
des akademischen Höchstalters anzusehen.77
Dem ist nicht zu folgen. Wie gezeigt, hat Baden-
Württemberg zwar das Tenure-Track-Programm, jedoch
nicht die Wertungen des Wissenschaftsrats in das Gesetz
implementiert. Stattdessen verweist die Sonderregelung
des § 51b Abs. 1 S. 1 BWLHG dezidiert auf § 51 LHG. Hätte
der Landesgesetzgeber für das Tenure-Track-Verfahren
ein von § 51 BWLHG abweichendes akademisches
Höchstalter regeln wollen, so hätte er dies in
§ 51b BWLHG verankert oder jedenfalls den Verweis
eingegrenzt. Dies ist nicht der Fall. Durch die Verankerung
der Tenure-Track-Professur im Gesetz kann auch
nicht von einer Ausnahmekonstellation gesprochen werden
– vielmehr handelt es sich um einen Standardfall der
Besetzung einer Juniorprofessur. Schließlich bestehen
auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Landesgesetzgeber
die Regelungsproblematik übersehen hat, es sich
mithin um eine planwidrige überschießende Regelung
handelte.78
Sodann fragte sich das Verwaltungsgericht, ob der
Bewerber habe ausscheiden müssen, weil er kein „Nachwuchswissenschaftler
in einer frühen Karrierephase“
sei.79 Aus diesem Grunde hatte die Berufungskommission
den zunächst auf Platz eins eingeordneten Bewerber
formal ausgeschieden.80 Dabei war dieses Kriterium
nicht Teil des Ausschreibungstextes gewesen – dort war
nur von „hochqualifizierten NachwuchswissenschaftlePschorr
· Akademisches Höchstalter für die Juniorprofessur 1 7 9
81 VG Freiburg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = BeckRS
2021, 10384 Rn. 4.
82 VG Freiburg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = BeckRS
2021, 10384 Rn. 33.
83 VG Freiburg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = BeckRS
2021, 10384 Rn. 42.
84 VG Freiburg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = BeckRS
2021, 10384 Rn. 45.
85 VGH Mannheim, Beschluss vom 07.07.2021 – 4 S 1541/21 = BeckRS
2021, 19932 Rn. 9.
86 VGH Mannheim, Beschluss vom 07.07.2021 – 4 S 1541/21 = BeckRS
2021, 19932 Rn. 9 f.
87 VGH Mannheim, Beschluss vom 07.07.2021 – 4 S 1541/21 = BeckRS
2021, 19932 Rn. 11.
88 aA Herrmann, Kein Tenure Track wegen „Überqualifikation“,
Forschung & Lehre 2020, 218, 219 f., verkennend, dass der Wissenschaftsrat
nur aktuell qualifizierenden, nicht aber qualifizierten
Wissenschaftlern einen zusätzlichen Weg zur Professur eröffnen
wollte – ungeachtet der Nicht-Berücksichtigungsfähigkeit dieser
Wertungen mangels Umsetzungswille des Gesetzgebers. So wohl
auch BeckOK Hochschulrecht Nordrhein-Wes tfalen/Pernice-
Warnke § 36 Rn. 18; widers prüchlich Hartmer/Dettmer/Hartmer
Kap. 5 Rn. 113.
89 VGH Mannheim, Beschluss vom 01.07.2022 – 4 S 483/22 = BeckRS
2022, 17418 Rn. 5, bezugnehmend auf BVerfG, Beschluss vom
05.02.2020 – 1 BvR 1586/14 = NVwZ 2020, 1829, 1831 Rn. 23.
90 In diese Richtung auch Hartmer/Dettmer/Hartmer Kap. 5 Rn. 113.
91 Nicht aufgelös t bei Hartmer/Dettmer/Hartmer Kap. 5 Rn. 113.
rinnen und ‑wissenschaftlern“ die Rede.81 Auch auf die
Verwaltungsvereinbarung zum Bund-Länder-Programm
war nicht verwiesen worden.82 Das Verwaltungsgericht
hielt dieses Kriterium schließlich nicht für geeignet,
weil die daraus resultierenden Anforderungen an
die Bewerbung nicht konkretisierbar seien.83
Insofern ist dem Gericht zuzustimmen. Wie lange die
„frühe Karrierephase“ dauert, ist mangels gesetzlicher
Konzipierung einer Karrierephase vor der Tenure-Track-
Professur (R2) in Baden-Württemberg nicht aufgrund
eines konturierten Gesetzgeberwillens bestimmbar. Die
Überlegungen des Wissenschaftsrats können mangels
demokratischer Legitimation nicht herangezogen werden,
zumal es an einem gesetzlichen Anker fehlt, zu dessen
Auslegung sie herangezogen werden könnten.
Schließlich konstatierte das Verwaltungsgericht,
auch der Begriff des „Nachwuchswissenschaftlers“ könne
nicht bestimmt werden, sodass auch dieser nicht als
formales Ausschlusskriterium geeignet sei.84 Dem allerdings
widersprach der Verwaltungsgerichtshof. Dieser
stellte fest, dass der Bewerber wegen seiner zwischenzeitlichen
Habilitation nicht mehr im Rahmen des Tenure-
Track-Programms förderfähig und nicht mehr „auf
dem Karriereweg zur Professur“ i.S.d. § 4 Abs. 2 der Verwaltungsvereinbarung
zum Bund-Länder-Programm
war, sondern diesen vielmehr abgeschlossen habe.85 Mit
der Berufungsfähigkeit sei der Bewerber kein Adressat
des Tenure-Track-Programms mehr.86 Dies werde dadurch
bestätigt, dass die Tenure-Track-Professur landesrechtlich
eine Juniorprofessur sei, zu deren Aufgaben es
gehöre, sich zu qualifizieren.87 Deshalb musste sich der
Verwaltungsgerichtshof zur Anwendung des
§ 51 Abs. 3 S. 1 LHG nicht äußern.
Während das erstere Argument des Verwaltungsgerichtshofs
mangels klarer Verankerung der Anforderungen
des Tenure-Track-Programms in der Ausschreibung
nicht verfängt, greift der zweite Begründungsansatz. Die
Juniorprofessur ist nach der Konzeption des Gesetzgebers
Baustein der Qualifikationsphase (R2). Die Juniorprofessur
auch für die Lebenszeitphase im dreistufigen
Karriereaufbau (R3) zu öffnen, widerspricht diesem Gesetzgeberwillen.
Durch das Qualifizierungsziel findet
dieser Gesetzgeberwille auch einen Anker im Gesetzestext.
Mithin scheiden habilitierte Personen aus dem Bewerberkreis
um die Juniorprofessur mit und ohne Tenure-
Track aus.88 Gleiches gilt für Personen, die habilitationsäquivalente
Leistungen erbracht haben. Dies ist allerdings
dahingehend unglücklich, als bei der Bewertung,
ob solche vorliegen, einer Berufungskommission ein erheblicher
Einschätzungsspielraum zukommt.89 Um
Art. 33 Abs. 2 GG Rechnung zu tragen, können deswegen
nur evident berufungsfähige Personen ausscheiden.90
Habilitierende sind noch auf dem Karriereweg zur Professur
und deshalb geeignete Bewerber.91
IV. Vereinheitlichungsimpuls durch die Reform des
WissZeitVG
Wie gezeigt korrespondiert die landesrechtliche Ausgestaltung
der Juniorprofessur mit Tenure-Track in vielen
Bundesländern nicht mit dem zugrundeliegenden vierstufigen
Karriereaufbau. Dies verursacht Auslegungskonflikte
und Rechtsunsicherheit in Berufungsverfahren.
In den Bundesländern, die diese Problematik adressierten,
passt die Juniorprofessur ohne Tenure-Track
jedoch nicht mehr zum dreistufigen Karriereaufbau, der
den befristungsrechtlichen Regelungen des WissZeitVG
zugrundeliegt. Die Juniorprofessur schafft mithin in
allen Bundesländern Friktionen im Karriereaufbau.
Angesichts dessen zeichnet sich eine Tendenz an den
Hochschulen ab, die Regelungen zum akademischen
Gesamthöchstalter oder zur Beschäftigungsdauer nach
der Promotion schlicht zu ignorieren und die Juniorprofessur
als Karriereoption nach Ausschöpfung der
Höchstbefristungsdauer nach § 2 Abs. 1 S. 2 WissZeitVG
zu sehen. Das führt entgegen des Gesetzgeberwillens
1 8 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 7 3 — 1 8 0
92 Vgl. zu den Eckpunkten der bisher geplanten Reform https://
www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/de/2023/230317-wisszeitvg.
pdf?__blob=publicationFile&v=1, zuletzt abgerufen am
06.04.2023.
93 Siehe hierzu Pschorr, Ein Kompromiss, der seinen Namen verdient,
abrufbar unter https://www.jmwiarda.de/2023/03/28/einkompromiss-
der-seinen-namen-verdient/, zuletzt abgerufen am
06.04.2023.
94 Zwar wird nicht übersehen, dass die Juniorprofessur als Alternative
zur Habilitation konzipiert war. In der Berufungs praxis
wird das erfolgreich evaluierte Durchlaufen der Juniorprofessur
jedoch noch nicht allgemein als habilitationsäquivalente Leis tung
anerkannt, weshalb noch immer „zur Sicherheit“ in dieser Phase
habilitiert wird.
95 Darüber hinaus könnte angedacht werden, auch ein akademisches
Höchs talter für die Bewerbung auf die Entwicklungs phase zu
normieren, um Bewerbungen aus dem Ausland bzw. von Pos tdocs,
die nach einer die Orientierungs phase überschreitenden Auslandsphase
mit Wettbewerbsvorteilen zurückkehren. Dies kann allerdings
Auswirkungen auf die Durchlässigkeit der Karrierepfade
untereinander haben. Insoweit is t Beschäftigtenflexibilität gegen
Egalität bei der Stellenbesetzung abzuwägen.
nicht zu einer schnelleren und transparenteren Wissenschaftskarriere,
sondern zur Zuordnung von Wissenschaftlern
zum Mittelbau bis in das fünften Lebensjahrzehnt.
Möglicherweise könnte die Reform des WissZeitVG92
einen Impuls zur Vereinheitlichung der Karrierewege in
allen Bundesländern setzen. Hier ist das sog. Anschlusszusagemodell
in Diskussion.93 Dieses sieht in seiner Variante
als „Drei-Phasen-Modell“ eine maximal zweijährige
Orientierungsphase vor. Hierauf soll eine Entwicklungsphase
folgen, die (wie die Tenure-Track-Professur)
bei positiver Evaluation anhand einer Ziel- und Leistungsvereinbarung
auf eine unbefristete Beschäftigung
führen soll. Unterschied: Hier wird eine Beschäftigung
im akademischen Mittelbau angestrebt, während die
Tenure-Track-Professur auf eine Lebenszeitprofessur
führt. Mit diesem Modell wird ein verlässlicher Karrierepfad
nach der Promotion angestrebt, um die nachhaltige
Prekarisierung Promovierter durch Kettenbefristungen
zu bekämpfen. Dasselbe Ziel verfolgt die
Tenure-Track-Professur.
Anschlusszusagemodell, sowie Juniorprofessur ohne
und mit Tenure-Track können in einem kohärenten Karrieremodell
vereinbart werden: Versteht man die Orientierungsphase
i.S.d. Anschlusszusagemodells als Postdoc-
Phase (R2), könnte die Tenure-Track-Professur der
„schnelle“ Weg zur Lebenszeitprofessur (Evaluationsphase
R3) für risikobereite Bewerber darstellen, während
das Durchlaufen der Entwicklungsphase (i.S.d. Evaluationsphase
R3) von denjenigen favorisiert werden könnte,
die nicht unbedingt eine Professur anstreben oder den
Weg der klassischen Habilitation beschreiten wollen. Die
Juniorprofessur ohne Tenure-Track könnte schließlich
für diejenigen verbleiben, die erwarten, eine Habilitation94
oder habilitationsäquivalente Leistungen in sechs
Jahren erbringen zu können bzw. keine dauerhafte Beschäftigung
in der Wissenschaft anstreben. Es ergäbe
sich mithin ein „Drei-Pfade-Karrieremodell“ nach der
Promotion.
Schlüssig wird dieses „Drei-Pfade-Karrieremodell“,
wenn die Landesgesetzgeber das akademische Höchstalter
zur Bewerbung auf eine Juniorprofessur parallel zu
den Phasen des Anschlusszusagemodells normierten.95
Das bedeutete: Auf eine Juniorprofessur solle sich bewerben
können, wer ein bereinigtes akademisches
Höchstalter von maximal acht Jahren aufweist. Nach der
Orientierungsphase stehen sodann drei Wege offen: Von
der Juniorprofessur (1) mit und (2) ohne Tenure-Track
unmittelbar auf die Lebenszeitprofessur („up or out“)
und (3) über die Entwicklungsphase auf eine entfristete
Stelle im akademischen Mittelbau, von der aus man sich
auf eine Führungsposition in Wissenschaft und Forschung
– einschließlich der Lebenszeitprofessur – bewerben
kann. Dieses neue Karrieremodell würde eine
Selbstverständlichkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts
auch im Wissenschaftssystem etablieren: Nicht alle wollen
Führungskraft werden und trotzdem auf sicherer Beschäftigungsgrundlage
mit ihrem Fleiß und ihrem
Know-How zum Erfolg des Arbeitgebers beitragen.
Simon Pschorr ist Staatsanwalt und Abgeordneter
Praktiker an der Universität Konstanz. Er lehrt und promoviert
im Strafrecht. Darüber hinaus forscht er im
Hochschularbeitsrecht.