Übersicht
I. Am Beispiel von Evalitech
II. Einstellungsvoraussetzungen, Anforderungsprofil und „erwei- terte“ Indikatorik
1. Leistungsprinzip als Maßstab
2. Gesetzliche Einstellungsvoraussetzungen 3. Herausforderungen für Indikatorik
III. Fachprinzip und Mitwirkung an der Selbstverwaltung ge- währleistet Wissenschaftsfreiheit
1. Selbstverwaltung in der Wissenschaft, Fachprinzip und Be- urteilungsspielraum
2. Mehrstufige Gremienbeteiligung und Bestenauslese, Doku- mentationsanforderungen
3. Herausforderungen für Indikatorik-Plattform bzw. KI
IV. Feststellung und Vergleich wissenschaftlicher Leistungen durch die Berufungskommission
1. Befugnis und Pflicht der Berufungskommission zum Leis- tungsvergleich
2. Risiken arithmetischer Bewertungen
3. Herausforderung an Bewertungsprozesse einer Indikatorik- plattform
V. Mitwirkungspflichten für und Datenschutz der Indikatorik- plattform
1. Regelung von Mitwirkungspflichten durch Rechtsvorschrift
2. Rechtsgrundlage und Erforderlichkeit der Indikatorikplatt- form
3. Tracking, Datenzuordnung und Bewertung
4. Zweckänderung bei außerwettbewerblicher Datennutzung
VI. Fazit
Kaum ein Bereich der durch Rechtssätze gesteuerten (und beschränkten) menschlichen Entscheidungen in der Medizin, Technik und Gesellschaft bleibt heute von
* Der Beitrag beruht auf dem Vortrag des Verf. beim 16. Hochschul- rechtstag in Erlangen am 27.09.2023 und gibt ausschließlich seine persönliche Auffassung wieder.
- 1 Forschungsbeirat der Plattform Industrie 4.0/acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Hrsg.): Neue innovations- orientierte Evaluationsmetrik im Industrie 4.0‑Umfeld auf KI- Basis, 2022, DOI: 10.48669/fb40_2022-05, Quelle: www.acatech. de/publikation/evalitech/ (zuletzt abgerufen am 03.12.2023), im Folgenden: Forschungsbericht Evalitech.
- 2 Siehe zum KI-Einsatz in der Personalauswahl auch Thalmann/ Felix, Künstliche Intelligenz in der Personalauswahl, 2021. Quelle: https://www.ams-forschungsnetzwerk.at/downloadpub/AMS_Re- port_KIuPersonalauswahl_bf_pdfua.pdf (zuletzt abgerufen am: 03.12.2023).
der Herausforderung ausgenommen, durch die Einbe- ziehung künstlicher Intelligenz schneller, nachhaltiger oder in sonstiger Beziehung besser werden zu können. Der 16. Hochschulrechtstag in Erlangen beschäftigte sich Ende September 2023 mit der Bedeutung künstlicher Intelligenz im Hochschulbereich. Ein Schwerpunkt und Gegenstand dieses Beitrags ist die (Annäherung an die) Frage, ob bei Berufungsverfahren für Professuren auto- matisierte Bewertungen durch Algorithmen (künstliche Intelligenz) eingesetzt werden können. Dafür ist eine nähere Betrachtung notwendig, wie eine Berufungskom- mission Leistungen vergleicht und Bewerber*innen aus- wählt und welche Zwecke damit erfüllt werden.
I. Am Beispiel von Evalitech
Den Anlass der Untersuchung und auch ihren Gegen- stand bildet das Projekt Evalitech, das der Forschungs- beirat der Plattform Industrie 4.0 initiierte und mit des- sen im September 2022 veröffentlichten Abschlussbe- richts1 er Impulse setzte2. Nach dem Vorwort zu diesem Bericht hatte das Projekt zu untersuchen, „inwiefern die bisherige Indikatorik für die Evaluierung wissenschaftli- cher Leistungen bei Berufungsverfahren im Bereich von Industrie 4.0 und industrieller KI durch neue Indika- toren erweitert und optimiert werden kann“3.
Nach vorangehenden Positionierungen von acatech4 suchte das Projekt zunächst nach Kriterien und Merk- malen, die einerseits im Internet anhand von Datenquel- len wie Selbstdarstellungen und Wettbewerberseiten au- tomatisiert erhoben werden können, andererseits als ge- eignet gelten sollen, die Auswahl für Professuren im Be- reich Industrie 4.0 und KI zu verbessern und Fehlberufungen zu reduzieren: Durch neuartige Indika-
3 Forschungsbericht Evalitech (Fn. 1), Vorwort S. 1.
4 acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Hrsg.):
Qualitätskriterien in den Technikwissenschaften. Empfehlungen zur Bewertung von wissenschaftlichem Erfolg. acatech POSI- TION. München, 2018. Quelle: www.acatech.de/publikation/ qualitaetskriterien-in-den-technikwissenschaften-empfehlungen- zur-bewertung-von-wissenschaftlichem-erfolg/ (zuletzt abgerufen am: 03.12.2023); sowie: Berufungen in den Technikwissenschaften. Empfehlungen zur Stärkung von Forschung und Innovati-on. aca- tech POSITION. München, 2018. Quelle: www.acatech.de/publi- kation/berufungen-in-den-technikwissenschaften-empfehlungen- zur-staerkung-von-forschung-und-innovation/ (zuletzt abgerufen am: 03.12.2023).
Klaus Herrmann
Berufungsverfahren für Professuren und künstliche Intelligenz*
Ordnung der Wissenschaft 2024, ISSN 2197–9197
26 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2024), 25–44
toren sollen auch relevante Leistungen jenseits der aka- aptierbares Indikatorikkonzept“ vorgestellt, das sich
demischen Publikationstätigkeit in diese Verfahren ein- fließen können5. Im Ergebnis wurde ein „initiales, multi- kriterielles und auf spezifische Anforderungsprofile ad-
bezieht auf „den Impact, die Erfahrung und Visibilität von Forschenden“6 und folgende Kriterien umfasst:
Oberkriterien | Kriterien | Teilkriterien |
Wissenschaft | 1. Publikationen | Zitier-Impact |
Vielzitierte Publikationen | ||
Open Access-Autorenschaften | ||
Standardwerke | ||
Anzahl der Herausgeberschaften | ||
2. Eingeladene Vorträge | Keynote Speeches | |
Fachvorträge | ||
Community | 3. Forschungsverbünde | Leitung nationaler Konsortialprojekte |
Leitung internationaler Konsortialprojekte | ||
4. Organisation von Veranstaltungen | Anzahl organisierter Konferenzen | |
Anzahl organisierter Konferenz-Tracks/Workshops | ||
5. (Inter-) Nationaler Wissensaustausch | Anzahl Auslandsaufenthalte als Gastwissenschaftler | |
Anzahl Gastgeberschaften für Auslandsaufenthalte | ||
Anzahl Gastprofessuren/-dozenturen | ||
Betreute internationale Forschungskooperationen | ||
Aus- und Weiterbildung | 6. Lehre und Qualifizierung an Hochschulen | Anzahl betreuter Doktorandinnen und Doktoranden |
Anzahl betreuter Masterarbeiten | ||
Anzahl durchgeführter Lehrveranstaltungen | ||
7. (betriebliche) Weiterbildung | Anzahl gehaltener Seminare (Seminarleitung) | |
Anzahl gehaltener Zertifikatskurse | ||
Forschungsinfrastruktur | 8. Forschungseinrichtungen | Anzahl Aufbau / Begleitung / Betreuung von Einrichtungen |
9. Daten und Plattformen | Trainingsdatensätze | |
Testumgebungen | ||
10. Open Source Software | Open Source Maintainer | |
GitHub-Bewertungen | ||
Industrie | 11. Produktentwicklungen | Anzahl Beteiligungen an Produktentwicklungen |
12. Normung, Richtlinien, Standardisierungen | Anzahl Beteiligungen an Normung, Richtlinien, Standardisierungen | |
13. Produkt- und Messepräsentationen | Anzahl gehaltener Präsentationen zu Produkten / auf Messen | |
14. Personalverantwortung | Anzahl Jahre in Führungspositionen | |
15. Eigene Qualifikationen | Zertifikate | |
Ökonomie | 16. Projekt- / Mitteleinwerbung | Eingeworbene Drittmittel (öffentlich gefördert) |
Eingeworbene Industriemittel (privatwirtschaftlich) | ||
17. Patente und Lizenzen | Angemeldete Patente | |
Einnahmen durch Patente/Lizenzen | ||
18. (Aus-) Gründungen | Anzahl geschaffene Arbeitsplätze | |
Anzahl eigene Gründungen | ||
Höhe des Umsatzes | ||
Gesellschaft | 19. Gremienarbeit | Positionen in wissenschaftlichen Akademien, Gesellschaften und Vereinen oder in Standardisierungsgremien |
20. Wissenschafts- und Innovationspreise | Wissenschafts- und Innovationspreise sowie Auszeichnungen (z. B. Leibniz-Preis und ERC-Preise) | |
21. Internet und Social Media | Aufrufstatistik Wikipedia | |
Social Media Follower (z. B. Twitter) |
5 Forschungsbericht Evalitech (o. Fn. 1), S. 4 f.
6 Forschungsbericht Evalitech (o. Fn. 1), S. 7 f.
Herrmann · Berufungsverfahren für Professuren und künstliche Intelligenz 2 7
Die neuartige Indikatorik gewährleiste nach dem For- schungsbericht eine „umfänglichere Bewertung wissen- schaftlicher Leistungen (…), als beispielsweise aus- schließlich der H‑Index als Indikator.“7 Dabei wird an die Annahme angeknüpft, dass sich die Bemessung wis- senschaftlicher Leistungen überwiegend auf diese biblio- metrischen Indizes stütze8. Entgegen dieser Befürchtung beschränken sich die Leistungsfeststellungen in den meisten Berufungsverfahren derartige nicht auf die Übernahme irgendwelcher bibliometrischer Indizes9. Jedenfalls in der gerichtlichen Kontrolle werden Anga- ben nicht als Referenz für eine „ausgewiesene wissen- schaftliche Reputation“ angesehen — inwieweit sich dar- aus Rückschlüsse auf einen Ruf bzw. ein Ansehen als Wissenschaftler ergibt, liege im Auge des jeweiligen Betrachters.10
In einem weiteren Abschnitt des Evalitech-Projekts wurde eine „Indikatorikplattform“ konzipiert und mit „Rohdaten-Ergebnissen“ für freiwillig teilnehmenden Personen (mit acatech- und Industrie 4.0‑Bezug) unter- setzt. Einzelne Bausteine betrafen die ad-hoc Metada- ten-Sammlung für jede*n Kandidat*in (1), das kontinu- ierliche Kandidat*innen-Tracking (2), die Identifikation von relevanten Wissenschaftler*innen für ‚unbekannte’ Themenfelder (3), sowie die Planung der rekursiven Ver- folgung von Verbindungen zu anderen Wissenschaftler*innen (4) sowie schließlich eines End- punktes zur manuellen / nutzerbezogenen Ergänzung (nicht-öffentlicher) Daten der Kandidat*innen. Im drit- ten Schritt wurde eine Metrik konzipiert und eine Web- anwendung entworfen, die einen Vergleich der Kandidat*innen herbeiführt: Dazu werden die mit den Teilkriterien und Kandidat*innen verknüpften Daten ei- ner besonderen Vergleichsbewertung unterzogen, wobei die Zuordnung eines Werts im Bereich zwischen 0 und 100 auf einem Vergleich aller Kandidat*innen im Eva- litech Metrik-Pool beruhen soll. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass alle Teilnehmenden hinsichtlich der Teil- kriterien in einer stetigen Relation zueinander stünden, was eine stetige Vergleichbarkeit ermögliche11. Durch Änderung von bestimmten Voreinstellungen im Sinne einer Profilierung könne die Gewichtung der Teilkriteri- en bei der Werte-Zuordnung geändert und damit eine
- 7 Forschungsbericht Evalitech (o. Fn. 1), S. 9.
- 8 Forschungsbericht Evalitech (o. Fn. 1), S. 3.
- 9 Vgl. Neukirchen/Emmrich (Hrsg.)/Büggeln/Breder/Kurlemann/Rockmann, Berufungen, Befangenheit und Bewerbungsverfah- rensanspruch, 2021, S. 59. Zu bibliometrischen Indizes siehe Böh- mann in: Leuze/Epping, Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Kommentar), 20. Lieferung, 8/2023, § 31 HG NW, Rn. 49 ff. unter Verweis auf Herb, Vermessung der Wis- senschaft, abrufbar unter www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28942/1. html (zuletzt abgerufe am: 03.12.2023); speziell zum „Hirsch-In-
dem jeweiligen Profil angepasste Reihenfolge der Kandiat*innen angezeigt werden. Die Änderung von Einstellungen an „Schiebereglern“ rücke durch automa- tisierte Neugewichtung mehr entsprechende Kandidat*innen in der Reihenfolge nach vorn.
Das in 3 Phasen durchgeführte Projekt bezweckte und erbrachte allerdings keine anwendungsbereite Webapplikation/Software noch beschäftigte es sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen von Berufungs- verfahren für Professuren an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen oder an außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Auch wenn für einzelne Wissenschaftler*innen in „mehreren Berufungsverfah- ren“ die Evalitech-Metrik erfolgreich erprobt worden sein soll, sind die „Ergebnisse des Evalitech-Einsatzes … aufgrund der Datenschutzbestimmungen“ nicht publiziert12.
II. Einstellungsvoraussetzungen, Anforderungsprofil und „erweiterte“ Indikatorik
Die erste Hürde für die im Evalitech-Projekt diskutierte Öffnung der Anforderungskriterien sind die gesetzli- chen, zum Teil für einzelne Professuren differenzierten Einstellungsvoraussetzungen und die sonstigen bei Ein- stellungen zu beachtenden Anforderungen: Geht es um die Besetzung von Professuren an staatlichen oder staat- lich anerkannten Hochschulen können die bereits bei der Einstellung geforderten Nachweise für eine wissen- schaftliche Qualifikation nicht durch praktische Erfah- rungen oder wirtschaftliche Erfolge mit neuen Techno- logien, künstlicher Intelligenz oder in sonstigen Berei- chen des digitalen Wandels in Technik und Gesellschaft ersetzt werden. Insofern hängt die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der deutschen Universitäten in For- schung, Lehre und Krankenversorgung auch davon ab, sowohl zur Profilbildung als auch zur Qualitätssicherung die Einstellungsvoraussetzungen in den Berufungsver- fahren ernsthaft und verlässlich zu prüfen13.
1. Leistungsprinzip als Maßstab
Entscheidungen zur Besetzung von Professuren unter- liegen nach der stetigen Rechtsprechung den Anforde-
dex“ Ball, B.I.T.online 4/2006, S. 309 ff. [https://www.b‑i-t-online.
de/archiv/2006–04/fach3.htm] (zuletzt abgerufen am: 03.12.2023) 10 VG Stuttgart, B. v. 13.1.2014 – 8 K 3207/13, juris, Rn. 25; siehe auch
Mehde, ZBR 2018, 373, 377.
11 Vgl. Forschungsbericht Evalitech (o. Fn. 1), S. 9.
12 Forschungsbericht Evalitech (Fn. 1), Fazit S. 15.
13 Vgl. schon Resolution des 67. DHV-Tages am 4.4.2017 – Quelle:
„Das Berufungsverfahren“ https://www.hochschulverband.de/ fileadmin/redaktion/download/pdf/resolutionen/ResolutionBeru fungsverfahren-Endfassung.pdf (zuletzt abgerufen am 03.12.2023).
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rungen der Bestenauslese – deshalb haben die Hoch- schulen die Auswahlentscheidungen nach den in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung auszurichten14. In dieser Situati- on obliegt der auswählenden Hochschule die „Klärung einer Wettbewerbssituation“, für die die wissenschaftli- chen Leistungen und fachlichen Qualifikationen ebenso einzubeziehen sind wie die Erfahrungen (z.B. im For- schungsmanagement) oder die persönliche, insbesonde- re pädagogische Eignung – hierbei haben sie größtmög- liche Vergleichbarkeit der erhobenen Daten zu gewähr- leisten15. Dabei dient Art. 33 Abs. 2 GG zum einen dem öffentlichen Interesse der bestmöglichen Besetzung des öffentlichen Dienstes. Zum anderen trägt Art. 33 Abs. 2 GG dem berechtigten Interesse der Bewerber*innen an einem angemessenen beruflichen Fortkommen dadurch Rechnung, dass er ein grund- rechtsgleiches Recht auf ermessens- und beurteilungs- fehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl begründet16.
Die Hochschulen erstellen die Berufungsvorschläge dabei regelmäßig in einem „gestuften“ Auswahlverfah- ren: Bewerber*innen, welche die allgemeinen Ernen- nungsbedingungen nicht erfüllen oder die aus sonstigen Eignungsgründen für die Ämtervergabe nicht in Be- tracht kommen, können durch eine Vorauswahlent- scheidung ausgeschlossen und müssen somit nicht mehr in den Leistungsvergleich einbezogen werden17. Dies gilt grundsätzlich auch für Bewerber, die zwingende Vorga- ben eines rechtmäßigen Anforderungsprofils nicht erfül- len18. Es steht also nicht im freien Belieben der Hoch- schule, welche Anforderungsmerkmale bewertet und mit welchen Leistungen Bewerber*innen in die Aus-
- 14 Vgl. BVerfG, B. v. 3.3.2014 — 1 BvR 3606/13, NVwZ 2014, 785 = juris, Rn. 15 ff.; BVerwG, U. v. 20.10.2016 – 2 C 30/15, Rn. 17; U. v. 9.5.1985 — 2 C 16.83, Rn. 29; VGH Mannheim, B. v. 08.12.2020 — 4 S 2583/20, Rn. 7; B. v. 27.7.2022 – 4 S 713/22, Rn. 36; VGH München, B. v. 29.8.2022 – 3 CE 22.838, Rn. 7; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 30.3.2017 – 10 S 32.16, juris, Rn. 7; OVG Bremen, B. v. 4.5.2011– 2 B 71/11, Rn. 42; OVG Hamburg, B. v. 8.7.2005 – 1 Bs 89/05,
Rn. 10; VGH Kassel, B. v. 28.11.2022 – 1 B 1620/22, Rn. 50; OVG Greifswald, B. v. 21.4.2010 – 2 M 14/10, Rn. 13; OVG Lüneburg, B. v. 24.10.2018 – 5 ME 82/18, Rn. 25; OVG Münster, B. v. 10.2.2016 — 6 B 33/16, Rn. 8; OVG Saarlouis, B. v. 13.4.2022 – 1 A 285/20, Rn. 26; OVG Bautzen, B. v. 9.7.2018 – 2 B 52/18, Rn. 12; OVG Magde-
burg, B. v. 26.4.2021 – 1 M 16/21, Rn. 7; B. v. 1.7.2014 — 1 M 58/14, Rn. 7; OVG Schleswig, B. v. 8.12.2020 – 2 MB 28/20, Rn. 6; OVG Koblenz, B. v. 6.8.2018 – 2 B 10742/18, Rn. 4; OVG Weimar, B. v. 26.6.2019 – 2 EO 292/18, Rn. 29 (Fundstellen nach juris). - 15 Siehe schon zur Funktion der dienstlichen Beurteilungen zur „Klärung einer Wettbewerbssituation“: BVerwG, U. v 18.7.2001 – 2 C 41/00, juris, Rn. 14; U. v. 27.2.2003 – 2 C 16/02, juris, Rn. 13.
- 16 BVerfG, B. v. 20.9.2016 – 2 BvR 2453/15, BVerfGE 143, 22 ff. = juris, Rn. 18.
- 17 Vgl. VGH München, B. v. 1.2.2022 – 3 CE 22.19, Rn. 8; OVG Mag- deburg, B. v. 26.4.2021 – 1 M 16/21, Rn. 31 (Fundstellen nach juris).
wahlverfahren einbezogen werden — die gleichmäßige Handhabung der Anforderungskriterien unterliegt je- denfalls der vollen gerichtlichen Kontrolle19. Dabei sind die Hochschulen während des gesamten Auswahlverfah- rens an das – zwingend vor der Ausschreibung festzule- gende – Anforderungsprofil gebunden und können die Anforderungen nicht mehr ändern20, nachdem sich die Bewerber*innen gegenüber der Hochschule offenbart haben. Auch eine ausdehnende Auslegung der Anforde- rungsmerkmale wäre unzulässig, weil sich sonst der zu- lässige Bewerberkreis erweitern könnte, ohne dass mög- liche Interessenten hiervon Kenntnis erhielten21.
Die Rechtsprechung akzeptiert Vorauswahlentschei- dungen der Hochschulen und den Ausschluss von Bewerber*innen,diezwingendnachzuweisende(konsti- tutive) Merkmale eines zulässigerweise aufgestellten An- forderungsprofils nicht erfüllen22: Eine Auswahlent- scheidung ist ebenso rechtswidrig und verletzt den Be- werbungsverfahrensanspruch von Bewerber*innen, wenn ein*e Bewerber*in rechtsfehlerhaft oder auf Grund eines unzulässigen Anforderungsmerkmals aus dem Be- werbungsverfahren ausgeschlossen wurde23 wie wenn Mitbewerbende nicht ausgeschlossen werden, obwohl sie ein zulässiges konstitutives Anforderungsmerkmal nicht erfüllen24.
„Konstitutiv“ oder zwingend sind dabei diejenigen Merkmale des Anforderungsprofils, welche unverzicht- bar vorliegen müssen und anhand objektiv überprüfba- rer Kriterien eindeutig und unschwer festzustellen sind25. Demgegenüber sind nicht konstitutive – fakultative oder deskriptive – Anforderungsmerkmale solche Qualifika- tionen, die entweder ausdrücklich nicht zwingend vor- liegen müssen (weil sie beispielsweise nur „erwünscht“
18 BVerwG, B. v. 6.4.2006 — 2 VR 2.05, juris, Rn. 7; B. v. 20.6.2013 — 2 VR 1.13, juris, Rn. 23;
19 Vgl. BVerfG, B. v. 25.11.2011 — 2 BvR 2305/11, Rn. 15 m. w. N.; BVerwG, U. v. 16.8.2001 – 2 A 3.00, BVerwGE 115, 58, 61; U. v. 26.1.2012 — 2 A 7.09, Rn. 19, B. v. 25.10.2011 — 2 VR 4.11, Rn. 17; OVG Bautzen, B. v. 28.12.2010, PersR 2011, 226; B. v. 7.2.2013 – 2 B 391/12, Rn. 12; VGH Mannheim, B. v. 7.12.2010, NVwZ-RR 2011, 290; OVG Münster, B. v. 8.10.2010 – 1 B 930/10, Rn. 26; OVG Magdeburg, B. v. 26.4.2021 – 1 M 16/21, Rn. 20 (unben. Fundstellen nach juris).
20 BVerwG, B. v. 20.6.2013 — 2 VR 1.13, juris, Rn. 32; OVG Magdeburg, B. v. 26.4.2021 – 1 M 16/21, juris, Rn. 18.
21 BVerfG, B. v. 28.2.2007 — 2 BvR 2494/06, juris, Rn. 6 ff.; OVG Magdeburg, B. v. 26.4.2021 – 1 M 16/21, juris, Rn. 22.
22 Vgl. BVerwG, U. v. 25.2.2010 — 2 C 22.09, Rn. 15; OVG Lüneburg, B. v. 24.10.2018 – 5 ME 82/18, Rn. 24 m.w.N.; VGH Kassel, B. v. 28.11.2022 – 1 B 1620/22, Rn. 51 (Fundstellen nach juris).
23 BVerwG, B. v. 20.6.2013 – 2 VR 1.13, juris, Rn. 27.
24 vgl. BVerfG, B. v. 2.10.2007 — 2 BvR 2457/04, ZBR 2008, 164; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 17.12.2007 — 4 S 44.07, juris, Rn. 2; VGH
Mannheim, B. v. 10.1.2013 – 4 S 2365/12, juris, Rn. 8, juris; OVG
Lüneburg, B. v. 24.10.2018 – 5 ME 82/18, juris.
25 OVG Schleswig, B. v. 8.12.2020 – 2 MB 28/20, juris, Rn. 13.
Herrmann · Berufungsverfahren für Professuren und künstliche Intelligenz 2 9
sind) oder deren Vorliegen nicht allein anhand objektiv überprüfbarer Fakten – bejahend oder verneinend – festgestellt werden kann. Hierunter fallen solche Merk- male, die sich erst auf der Grundlage eines persönlich- keitsbedingten, das betreffende Element des Eignungs- und Befähigungsprofils näher in den Blick nehmenden, abwägenden Werturteils erschließen26. Derartige Merk- male, die einen Wertungsspielraum eröffnen und über die der Dienstherr zunächst eine nähere Einschätzung treffen muss, können in einem Stellenbesetzungsverfah- ren nur Bedeutung erlangen für die Auswahl unter den Bewerber*innen, die das (zulässigerweise aufgestellte) konstitutive Anforderungsprofil erfüllen und deshalb zur näheren Überprüfung bzw. vergleichenden Gewich- tung ihrer*seiner im Übrigen vorliegenden Eignung in das weitere, eigentliche Auswahlverfahren einzubezie- hen sind. Unter den danach verbleibenden Bewerber*innen kann derjenigen*demjenigen der Vor- rang gebühren, die oder der spezifische Anforderungen des Dienstpostens voraussichtlich am besten erfüllt27: Die Erfüllung der konstitutiven oder der gesetzlichen Mindestanforderungen der ausgeschriebenen Stelle be- sagt zwar, dass die Bewerber*innen für diese Stelle grundsätzlich geeignet sind, mitnichten aber, dass alle Bewerber*innen hierfür auch gleich geeignet wären. Dann sind Abstufungen in der Qualifikation anhand leistungsbezogenerKriterienentscheidend28,wobeiein zunächst bestehendes Defizit in einem Bereich ausgegli- chen oder sogar ein Vorsprung begründet werden kann durch Leistungen in anderen Bereichen29. Die Beru- fungskommission darf deskriptiv gehaltene Anforde- rungskriterien auch näher konkretisieren oder gewichten30.
Die im Einzelfall schwierige Entscheidung, ob die im Anforderungsprofil aufgeführten Merkmale konstituti- ver oder lediglich fakultativer Art sind, bedarf einer (ent- sprechend § 133 BGB) am objektiven Empfängerhorizont
- 26 OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 26.3.2020 — 10 S 31.19, Rn. 16; OVG Münster, B. v. 24.7.2018 — 1 B 612/18, Rn. 31; VGH Kassel, B. v. 3.3.2016 — 1 B 1064/15, Rn. 9 f,juris.
- 27 OVG Schleswig, B. v. 8.12.2020 – 2 MB 28/20, juris, Rn. 13; OVG Magdeburg, B. v. 26.4.2021 – 1 M 16/21, juris, Rn. 20.
- 28 BVerwG, U. v. 16.8.2001 — 2 A 3.00, juris Rn. 32; VGH Mannheim, B. v. 27.7.2022 – 4 S 713/22, juris, Rn. 51.
- 29 VGH München, B. v. 5.1.2012 – 7 CE 11.1432, juris, Rn. 22.
- 30 VGH Mannheim, B. v. 27.7.2022 – 4 S 713/22, juris, Rn. 55; OVGMagdeburg, B. v. 26.4.2021 – 1 M 16/21, juris, Rn. 19.
- 31 BVerwG, U. v. 19.11.2015 — 2 A 6.13, juris, Rn. 22; B. v. 25.10.2011 — 2VR 4.11, NVwZ-RR 2012, 241 = juris, Rn. 18; B. v. 11.8.2005 — 2 B 6.05, juris, Rn. 6 ff., 11; OVG Magdeburg, B. v. 26.4.2021 – 1 M 16/21, Rn. 22; OVG Münster, U. v. 3.5. 2018 – 6 A 815/11, juris, Rn. 105.
- 32 VGH Mannheim, B. v. 8.12.2020 – 4 S 2583/20, juris, Rn. 12.
- 33 VGH Mannheim, B. v. 7.6.2005 – 4 S 838/05, juris, Rn. 9.
potentieller Bewerber orientierten Auslegung des Anfor- derungsprofils bzw. der Ausschreibung31. Gestritten wird auch um die Befugnis der Hochschulen, über die gesetz- lichen Einstellungsvoraussetzungen hinaus noch enge konstitutive Anforderungsmerkmale aufzustellen: Be- denken begegnet etwa das „konstitutive“ Kriterium ei- ner Promotion im Anforderungsprofil für eine Professo- renstelle, wenn nach dem Gesetz die besondere Befähi- gung zu wissenschaftlicher Arbeit grundsätzlich auch auf andere Weise als durch Promotion nachgewiesen werden kann32.
2. Gesetzliche Einstellungsvoraussetzungen
Der Bewertung der Hochschule unterfällt und in deren Beurteilungsspielraum steht es, neben den im Anforde- rungsprofil genannten Kriterien zur Zulassung von Bewerber*innen auch das Vorliegen der gesetzlichen Einstellungsvoraussetzungen zu prüfen. Dies gilt unab- hängig davon, ob sie von der Ausschreibung oder dem zugrunde liegenden Anforderungsprofil in Bezug genommen werden34; für ihr Verständnis ist auch nicht auf den Empfängerhorizont, sondern auf die für die Aus- legung von Normen geltenden Grundsätze abzustellen . Im Wesentlichen mit § 44 HRG vergleichbar fordern die Landeshochschulgesetze „neben den allgemeinen dienstrechtlichen Voraussetzungen“ als Einstellungsvor- aussetzungen für eine wissenschaftliche Professur grundsätzlich ein abgeschlossenes Hochschulstudium35, pädagogische Eignung36, die besondere Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit, die in der Regel durch die Qualität einer Promotion nachgewiesen wird, und darü- ber hinaus je nach den Anforderungen der Stelle zusätz- liche wissenschaftliche Leistungen oder besondere Leis- tungen bei der Anwendung oder Entwicklung wissen- schaftlicher Erkenntnisse und Methoden in einer mehrjährigen beruflichen Praxis37. Diese Einstellungsvo- raussetzungen prägen das Amt der Professor*innen hin-
34 VGH München, B. v. 29.8.2022 – 3 CE 22.838, juris, Rn. 10.
35 Vgl. zum Merkmal eines einschlägigen Hochschulstudiums im
Anforderungsprofil: VGH München, B. v. 12.5.2004 – 7 CE 04.423,
juris, Rn. 16.
36 Siehe VGH Mannheim, B. v. 7.6.2005 – 4 S 838/05, juris, Rn. 7:
Für den in der Regel erforderlichen Nachweis von Erfahrungen
in der Lehre oder Ausbildung genüge eine 30-minütige Probe- lehrveranstaltung nicht, wenn der Bewerber abgesehen von einer lange zurückliegenden Leitung studentischer Arbeitsgemeinschaf- ten an einer Universität lediglich nebenamtliche Lehrtätigkeiten außerhalb der Hochschule aufzuweisen habe.
37 Für den Nachweis einer berufspraktischen Tätigkeit bei der Anwendung oder Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden komme es nicht auf eine profilierte Tätigkeit im Bereich der ausgeschriebenen Professur an, vgl. OVG Münster, B. v. 29.9.2006 – 6 B 1703/06, juris, Rn. 19.
30 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2024), 25–44
sichtlich seiner Wertigkeit und Einordnung in das Besol- dungsgefüge38 sowie seine Unterscheidung innerhalb der Mitgliedergruppen an der Hochschule39. Auch neue Steuerungsentscheidungen der Gesetzgeber – etwa zum Zugang zur Juniorprofessur (mit Tenure Track)40 – knüpfen an die Unterschiede der Qualifikationsanforde- rungen an41.
Besondere Bedeutung kommt bei Universitätsprofes- suren der Einstellungsvoraussetzung zu, dass „zusätzli- che wissenschaftlicher Leistungen“ nachgewiesen wer- den müssen. Dabei haben die meisten Länder aus der Gesetzgebung des Bundes übernommen42, dass für die Besetzung einer Professur erforderlichen zusätzlichen wissenschaftlichen Leistungen umfassend im Beru- fungsverfahren bewertet werden (§ 44 Abs. 2 S. 4 HRG). Auch für diese Beurteilung soll der Berufungskommissi- on ein Bewertungsspielraum zustehen43, den auch die Hochschulleitung44 oder das im Berufungsverfahren mitwirkende staatliche Hochschulministerium45 nicht an sich ziehen dürfe – dies trage auch der verfassungsrecht- lichen Anforderung Rechnung, dass gegen den Willen der Hochschullehrenden keine Berufung erfolgen dürfe46.
Obwohl die Hochschulgesetze nur unvollständig re- geln, welche zusätzlichen wissenschaftlichen Leistung nachgewiesen werden müssen, besteht inzwischen Klar- heit darüber, dass die für eine Universitätsprofessur und die damit eröffnete selbständige Forschungstätigkeit in Betracht kommenden Personen bereits (durch ihre zu- sätzlichen Leistungen) als Wissenschaftler ausgewiesen und in Forschung und Lehre erfahren sein müssen47. All- gemein beschreiben die Hochschulgesetze zwar (z.B. § 36 Abs. 1 Nr. 4 HG NW), dass „diese Leistungen im Rahmen einer Juniorprofessur, einer Habilitation oder einer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin oder
- 38 VGH Kassel, B. v. 30.11.2021 – 1 A 2704/20, juris, Rn. 126 ff.; B. v. 27.1.2022 – 1 A 2704/20, juris, Rn. 343 unter Verweis auf BVerfG, U. v. 14.2.2012 — 2 BvL 4/10, juris Rn. 172 ff.; OVG Wei-mar, U. v. 23.8.2016 – 2 KO 333/14, juris, Rn. 57.
- 39 BVerfG, B. v. 1.3.1978 – 1 BvR 333/75, BVerfGE 47, 327 ff. = juris, Rn. 207 ff.
- 40 Vgl. § 102a S. 1 Nr. 3 a.E. BerlHG, wonach “im Zeitpunkt der Berufung die nach § 100 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 Buchstabe a vorgesehenen zusätzlichen wissenschaftlichen Leistungen noch nicht vorliegen“ dürfen.
- 41 Siehe zum Ausschluss habilitierter Privatdozenten aus einem Berufungsverfahren auf eine mit W1/W3 besoldete Tenure-Track- Juniorprofessur: VGH Mannheim, B. v. 7.7.2021 – 4 S 1541/21, juris; a.A. Herrmann, F&L 3/2020, S. 218.
- 42 Siehe zur Verfassungswidrigkeit der Bundesregelung zur Junior- professur: BVerfG, U. v. 27.7.2004 – 2 BvF 2/02, BVerfGE 111, 226 ff.
- 43 OVG Münster, B. v. 28.11.2006 – 6 B 2091/06, juris, Rn. 11; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 17.12.2007 – 4 S 44.07, juris, Rn. 3 zur Anwendung einer Ausnahmebefugnis hinsichtlich des Absehens
als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Hochschule oder einer außeruniversitären Forschungseinrichtung oder im Rahmen einer wissenschaftlichen Tätigkeit in Wirtschaft, Verwaltung oder in einem anderen gesell- schaftlichenBereichimIn-oderAuslanderbracht“sein müssen. Die erbrachten Leistungen dürfen dabei aber mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Zuordnung der Professuren zur Personalkategorie der Hochschullehrenden (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 i.V.m Art. 3 Abs. 1 GG) nicht hinter den gesetzlich benannten Anforderungen (Habilitation, Bewährung als Juniorpro- fessor) zurückbleiben, sie müssen dem Inhalt nach „ha- bilitationsadäquat“ bzw. „habilitationsäquivalent“ sein48: Für die Übertragung von Dienstaufgaben einer Univer- sitätsprofessur auf Professor*innen einer angegliederten ehemaligen Fachhochschule könnten die zusätzlichen wissenschaftlichen Leistungen auch in der anwendungs- bezogenen Forschung erbracht worden sein. Entspre- chend der von ihm bislang wahrgenommenen Tätigkeit werde von Fachhochschulprofessor*innen nicht ver- langt, dass sie*er Grundlagenforschung betrieben und den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis insofern vorangebracht hat. Die angewandten bzw. anwendungs- orientierten wissenschaftlichen Leistungen mit konkre- tem Bezug zu praktischen Fragestellungen müssten aber über rein berufspraktische Tätigkeiten hinausgehen, um als Wissenschaft im Sinne der Gewinnung gesicherter Erkenntnis anerkannt zu werden49.
3. Herausforderungen für Indikatorik
Die bisher vorliegende Aufzählung einzelner Teilkriteri- en in der Evalitech-Indikatorik wäre – unabhängig von der Fachnähe zur Digitalwirtschaft und Industrie 4.0 sowie für KI-Professuren – noch nicht geeignet, in die bestehenden Maßstäbe für Auswahlentscheidungen für
vom Vorliegen einer regelmäßig geforderten Promotion.
44 VGH Mannheim, B. v. 1.7.2022 – 4 S 483/22, juris, Rn. 5.
45 OVG Lüneburg, B. v. 2.5.2019 – 5 ME 68/19, juris, Rn. 28 ff.
46 BVerfG, B. v. 5.2.2020 — 1 BvR 1586/14, juris, Rn. 23.
47 Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 2. Aufl. 1986, Rn. 444: „nur
als Stellen für bewährte Wissenschaftler gedacht“; siehe auch Wissenschaftsrat, Empfehlungen zu Karrierezielen und ‑wegen an Universitäten, 2014, Drs. 4009–14, Quelle: https://www.wissen- schaftsrat.de/download/archiv/4009–14.pdf (zuletzt abgerufen am: 03.12.2023); siehe zur zunehmend verlangten Forschungserfahrung Kleimann/In der Smitten/Klawitter, F&L 2015, 644.
48 Ebenso Gärditz, WissR 58 (2022), 288, 298 m.w.N.
49 OVG Lüneburg, U. v. 24.3.2022 – 2 LB 210/20, juris, Rn. 55 f. zu
§ 5 S. 1 FusionsG Lüneburg; siehe schon zur Anforderung der einer Habilitation gleichwertigen wissenschaftlichen Leistungen: BVerwG, B. v. 23.9.1988 – 7 B 18/88, juris, Rn. 6; siehe aber OVG Weimar, B. v. 26.6.2019 – 2 EO 292/18, juris, Rn. 31: die Kurzformel von „habilitationsadäquaten Leistungen“ verleite zu Missverständ- nissen.
Herrmann · Berufungsverfahren für Professuren und künstliche Intelligenz 3 1
Professuren an staatlichen Hochschulen übernommen zu werden50. Bisher ist nicht erkennbar, wie die Bewer- tungsmatrix oder die Indikatorikplattform sicherstellt, dass die gesetzlichen Einstellungsvoraussetzungen und sonstige konstitutive Anforderungen eingehalten wer- den (müssen). Dabei müssen die hierfür maßgeblichen Teilkriterien identifiziert bzw. nachgeschärft werden. Außerdem muss gewährleistet werden, dass ihre Nicht- erfüllung nicht durch Leistungen in anderen Teilkriteri- en „ausgeglichen“ werden kann.
Dem muss eine wissenschaftspolitische Diskussion zugrunde liegen, welche Merkmale Auskunft zur Leis- tungsfähigkeit und Eignung für eine W3-Universitäts- professur im Bereich der Industrie 4.0, der Technikwis- senschaften oder sonstiger Forschungsbereiche mit Be- zug zur Digitalisierung geben. Bloß berufspraktische Er- fahrungen (Erzeugen von Software-Werkzeugen, Bereitstellung kuratierter Datensätze, Benchmark-Test) können dabei nicht in wissenschaftliche Leistungen „umgemünzt“ werden51. Diese Diskussion und die zu- sätzliche Frage, welche Fähigkeiten bzw. Befähigungen für diese Professuren eigentlich nötig sind, sollte die Chancen berücksichtigen, die sich bereits heute aus Dif- ferenzierung der akademischen Funktionen und Karrie- restufen ergeben. Das Bitkom-Impulspapier zur Beset- zung der 100 KI-Professuren aus der KI-Strategie der Bunderegierung fordert etwa, die Hochschulgesetze zu reformieren und ihre Interpretation zu flexibilisieren52. Wie die vorhandenen Modelle und Karrierewege für das Ziel zu nutzen oder verbessern sind53, die Gruppe der Nachwuchswissenschaftler*innen, aus denen Personen für diese Professuren oder für Professuren im Ausland rekrutiert werden können, zu vergrößern, die Qualifika- tionszeiten zu verkürzen oder die Durchlässigkeit zwi- schen Positionen in der Wissenschaft und Wirtschaft zu verbessern, muss noch untersucht werden. Schließlich muss auch in der Stellenausschreibung der Professur of- fengelegt werden, welche nichtwissenschaftlichen Leis- tungskriterien im Berufungsverfahren geprüft und be- wertet werden – andernfalls wäre ihre Berücksichtigung ausgeschlossen54.
- 50 Nichts anderes gilt für private Hochschulen, bei denen durch die Ausgestaltung der Anerkennungsvoraussetzungen (zB § 72 Abs. 2 Nr. 7 HG NW) oder einen individuellen Vorbehalt der staatlichen Zustimmung zur Übertragung einer Professur die Einhaltung der Einstellungsvoraussetzungen und eine Berufung in einem „trans- parenten, wissenschaftlichen Standards entsprechenden Verfahren unter maßgeblicher Mitwirkung der hauptberuflich Lehrenden der Hochschule unter Beteiligung auswärtiger Gutachterinnen und Gutachter“ abgesichert wird (vgl. etwa Art. 102 Abs. 3 BayHSchIG, § 72 Abs. 2 HSchG BW [Anzeige mit Untersagungsbefugnis], § 123 Abs. 6 S. 2 BerlHG; § 73a Abs. 4 HG NW).
- 51 Siehe zum Umgang mit fachlicher Berufserfahrung und dem be-
Der hinter der Indikatorik des Evalitech-Projekts ste- hende Wunsch nach einer Vereinheitlichung der Anfor- derungen an Bewerbende um Professuren kann durch- aus diskutiert werden: Die in den Landeshochschulge- setzen verstreuten und uneinheitlich geregelten Einstel- lungsvoraussetzungen könnten – ohne den gewünschten „Wettbewerb“ unter den Bundesländern und innerdeut- schen Hochschulen zu gefährden – harmonisiert wer- den. Bisher ist die „Kleinstaaterei“ mit dem Nachteil al- ler hiesigen Hochschulen verbunden, dass für internati- onale Nachwuchskräfte Chancen und Berufswege in der Wissenschaft schwer einsehbar und kaum planbar sind. Jedenfalls wäre an die Landesgesetzgeber die Erwartung zu richten, Berufungsverfahren klarer und strukturierter auszugestalten. Zum Beispiel muss die Rechtsfrage, wer bzw. welche Gremien auf welcher Ebene die zu betrach- tenden Leistungen bzw. Bewertungskriterien festlegen – um etwa die Besonderheiten der Fachdisziplinen zu wahren und die Wissenschaftler*innen und Hochschu- len zu beteiligen –, vom Gesetzgeber entschieden wer- den55. Folgefragen, ob etwa Auswertungsprofile (wie beim Evalitech-Projekt die Optionen „Wissenschaftler“, „Entrepreneur“ oder „Influencer“) vorgegeben oder alle Gewichtungsvorgaben der Berufungskommission vor- behalten werden könnten, ließen sich hingegen dezent- ral durch Berufungsordnungen ausgestalten. Natürlich können sich auch schon heute alle Hochschulen aufge- fordert fühlen, die Qualität ihrer Berufungsverfahren selbst zu evaluieren und die Wirksamkeit zu untersu- chen, die ihre zugrunde gelegten Kriterien für den Erfolg der Besetzungsentscheidung und die Entwicklung des jeweiligen Fachgebiets durch die oder den Berufene(n) hatten.
III. Fachprinzip und Mitwirkung an der Selbstver- waltung gewährleistet Wissenschaftsfreiheit
Das Berufungsverfahren für die Hochschullehrenden bestimmt die eigentlichen Träger der freien Forschung und Lehre innerhalb der Hochschule. Wegen der Bedeu- tung für die Struktur der Fakultät und der Hochschule
ruflichen Anwendungswissen Gärditz, WissR 58 (2022), 288, 317 f. 52 Vgl. Huber/Huth/Alsabah, in Bitkom e.V. (Hrsg.), KI-Forschung
in Deutschland – Der schwere Weg zu 100 neuen KI-Profes- suren, 2020, S. 11 Quelle: https://www.bitkom.org/sites/main/ files/2020–07/200731_impulspapier_ki-forschung.pdf (zuletzt abgerufen am: 03.12.2023).
53 Siehe Wissenschaftsrat, Empfehlungen zu Karrierezielen und ‑wegen an den Universitäten (o. Fn. 47).
54 Gärditz, WissR 58 (2022), 288, 321.
55 Siehe bereits zu den Anforderungen an Akkreditierung von Studi-
enprogrammen und Studiengängen (BVerfG, B. v. 17.2.2016 – 1 BvL 8/10) Herrmann, WissR 49 (2016), 1, 18 ff.
32 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2024), 25–44
sowie wegen der möglichen Auswirkungen in den Auf- gabenbereichen des vorhandenen Hochschulpersonals kommt diesen Verfahren besondere Bedeutung zu: Sach- fremde Einflüsse bei der Auswahl der Hochschullehren- den können unmittelbare Gefahren für eine freie Aus- übung von wissenschaftlicher Lehre und Forschung mit sich bringen. Die Berufung von Professorinnen und Pro- fessoren sowie Juniorprofessorinnen und Juniorprofes- soren ist deshalb nach der Rechtsprechung des Bundes- verfassungsgerichts mit der Garantie der Wissenschafts- freiheit besonders eng verknüpft56.
Die Unterstützungsvorstellungen aus dem Evalitech- Projekt lassen noch nicht erkennen bzw. es bedarf im Hinblick auf KI-Anwendungen weiterer Diskussionen, wie die inhaltlich zu verstehende Beteiligung der Hoch- schullehrenden gesichert wird.
1. Selbstverwaltung in der Wissenschaft, Fachprinzip und Beurteilungsspielraum
Zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit besteht die Ver- pflichtung des Gesetzgebers, eine inhaltliche Mitwir- kung der Hochschullehrenden an den Berufungsverfah- ren (mit Durchsetzungsmacht) sicherzustellen. Regel- mäßig ist dabei vorgesehen, dass der Fakultätsrat zur Vorbereitung des Berufungsvorschlags einen Berufungs- ausschuss oder eine Kommission einsetzt, die bzw. der eine Empfehlung für den Fakultätsrat oder unmittelbar für die berufende Stelle erarbeitet und in dem die Profes- soren und Professorinnen über die Mehrheit der Stim- men verfügen. Diese Beteiligung der Professorinnen und Professoren aus der Fakultät und mit Nähe zum Berufungsgebiet diene gleichzeitig der Sicherung des Fachprinzips. Der Empfehlung der Berufungskommissi- on komme in der Praxis auch entscheidende Bedeutung zu57. Beabsichtige etwa die Hochschulleitung, vom Beru- fungsvorschlag der Berufungskommission abzuweichen, liegt darin eine Durchbrechung der fachlichen Einschät- zungsprärogative der betreffenden Fakultätsmitglieder. Die Hochschulleitung soll sich somit über die fachliche Einschätzungsprärogative des Berufungsausschusses nur hinwegsetzen können, wenn sie sachliche Gründe vor- bringen kann.58
- 56 BVerfG, B. v. 20.7.2010 – 1 BvR 748/06, BVerfGE 127, 87 ff. = juris, Rn. 107, unter Bezug auf U. v. 29.5.1973 – 1 BvR 424/71, BVerfGE 35, 79, 133. Auf internationale Aspekte kann hier nicht eingegangen werden, siehe aber Schmidt/Arnold/Rüde, Berufungsverfahren im internationalen Vergleich, CHE-Arbeitspapier Nr. 53 (2004).
- 57 Vgl. Gärditz, WissR 58 (2022), 288, 297 m.w.N.; Beaucamp/Seifert, WissR 44 (2011), 24, 38 m.w.N.
- 58 BayVerfGH, E. v. 7.5.2008 — 19-VII-06, NVwZ 2009, S. 177, 182 = juris, Rn. 121 (unter Verweis auf BVerfG, U. v. 29.5.1973 – 1
Die Feststellung, ob und welche Bewerbende für die zu besetzende Professorenstelle geeignet sind, trifft die Hochschule. Die Rechtsprechung verteidigt zugunsten der Hochschule dabei eine verfassungsrechtlich ge- schützte Beurteilungskompetenz über die Qualifikation der Bewerber*innen für eine Professur. Die Gerichte dürfen eine Auswahlentscheidung deshalb nur darauf- hin prüfen, ob sie verfahrensfehlerfrei zustande gekom- men und ob der Beurteilungsspielraum überschritten worden ist, etwa weil die Beurteilung der wissenschaftli- chen Eignung und der notwendigen Lehrbefähigung er- sichtlich auf der Verkennung von Tatsachen oder auf sachfremden Erwägungen beruht59. Dadurch wird gleichzeitig die Einwirkung anderer staatlicher Stellen in den Prozess der „Selbsterneuerung“ der Hochschulkor- poration im Lichte der Vorgaben von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG begrenzt60. Der Beurteilungsspiel- raum bei Leistungsbewertungen stellt zwar eine Ein- schränkung der Gewährleistung effektiven Rechtsschut- zes gegen Akte der staatlichen Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG) dar, wonach nicht nur der Zugang zur gerichtlichen Kontrolle beansprucht werden kann, sondern – so das Bundesverfassungsgericht – eine in rechtlicher und tat- sächlicher Hinsicht vollständige Überprüfung des ange- fochtenen Verwaltungsakts oder der behördlichen Handlung ohne Bindung an die im Verwaltungsverfah- ren getroffenen Feststellungen und Wertungen der Be- hörde61. Die Gewährleistung gerichtlichen Rechtsschut- zes darf aber nur beschränkt werden, wenn dem Schutz des Leistungsprinzips gem. Art. 33 Abs. 2 GG, der Grundrechte der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) durch hinrei- chende Verfahrensvorkehrungen und eine fachkundige Besetzung des Auswahlgremiums Rechnung getragen wird62.
Dafür muss die Berufungskommission mit dem höchstmöglichen Sachverstand ausgestattet sein für die Einschätzung der Qualifikation der Bewerber*innen. Zwar müssen die Mitglieder der Kommission nicht zwangsläufig demselben Fach oder derselben Fachrich- tung angehören – das wäre angesichts des breit gefächer- ten Zuschnitts vieler Fachbereiche und der interdiszipli-
BvR 424/71, BVerfGE 35, 79, 134; B. v. 26.6.1979 – 1 BvR 290/79, BVerfGE 51, 369, 381; siehe schon OVG Lüneburg, B. v. 5.9.1996 – 5 M 7708/95, NdsVBl. 1996, 293; Detmer, WissR 1995, 1, 8 ff.
59 Ausf. Pernice-Warnke, WissR 47 (2014), 371, 374.
60 BVerwG, U. v. 20.10.2016 – 2 C 30.15, juris, Rn. 20; OVG Koblenz,
B. v. 3.3.2022 – 2 B 10062/22.OVG, juris, Rn. 9.
61 Vgl. BVerfG, B. v. 17.04.1991 – 1 BvR 419/81, BVerfGE 84, 34 ff. =
juris, Rn. 46.
62 Pernice-Warnke, WissR 47 (2014), 371, 379 ff.
Herrmann · Berufungsverfahren für Professuren und künstliche Intelligenz 3 3
nären Ausrichtung zahlreicher ausgeschriebener Stellen kaum realisierbar. Jedoch muss die fachliche Qualifikati- on der Bewerber*innen entweder unter Zuhilfenahme des Sachverstandes von Mitgliedern der Kommission selbst oder mittels Einholung auswärtiger Gutachten festgestellt werden63. Im Zusammenhang mit Habilitati- onsentscheidungen hat das Bundesverwaltungsgericht für die sachkundige Beurteilung, ob eine wesentliche Förderung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in dem Habilitationsfach vorliegt, deshalb die Auswahl und Be- stellung von Personen gefordert, die über einen hinrei- chenden Überblick über den fachwissenschaftlichen Er- kenntnisstand in den betroffenen Fachgebieten verfü- gen. Jedenfalls müsse vom Fachbereichsrat oder der Ha- bilitationskommission durch entsprechende Auswahl der Gutachter dafür Sorge getragen werden, dass die fachliche Thematik der Habilitationsschrift umfassend abgedeckt, d.h. insgesamt einer sachkundigen Nachprü- fung unterzogen wird64. Dass diese Anforderungen nicht gelten sollen, wenn im Berufungsverfahren die Einstel- lungsvoraussetzungen und das Vorliegen zusätzlicher wissenschaftlicher Leistungen (und nicht die Habilitati- on in einem gesonderten Prüfungsverfahren) geprüft werden, wäre angesichts des Grundrechtsbezug der Leis- tungsbewertung kaum zu rechtfertigen. Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts haben die Verwaltungsge- richte zur Gewährung eines Beurteilungsspielraums – jedenfalls auf substantiierte Rügen hin – auch zu prüfen, ob das jeweilige Leistungsbewertungs- bzw. Prüfungs- verfahren eine sachkundige und fachlich korrekte Leis- tungsbewertung gewährleistet hat65.
Für die Anwendung automatisierter Verfahren im Zusammenhang mit Berufungsverfahren besteht die Hürde, dass das Entscheidungsgremium über einen Be- rufungsvorschlag deshalb mehrheitlich mit Professorin- nen und Professoren besetzt sein muss, weil diesen eine inhaltliche Mitwirkung an der Prüfung und Bewertung der wissenschaftlichen Leistungen sowie der Prognose ihrer Eignung und Befähigung für eine Professur verfas- sungsrechtlich und einfachgesetzlich zusteht. Hier kommt hinzu, dass die Ausgestaltung der Leistungsbe- wertung beim Zugang zum Professorenberuf – also je- denfalls bei der Prüfung der gesetzlichen Einstellungsvo- raussetzungen — verfassungsrechtlichen Anforderungen
- 63 VGH Mannheim, B. v. 27.7.2022 – 4 S 713/22, juris, Rn. 18.
- 64 vgl. BVerwG, U. v. 16.3.1994 – 6 C 1/93, BVerwGE 95, 237 ff. = juris,Rn. 31.
- 65 vgl. BVerfG, B. v. 4.11.2010 – 1 BvR 3398/08, BVerfGK 18, 158 ff. =juris, Rn. 54; B. v. 16.1.1995 — 1 BvR 1505/94, NVwZ 1995, S. 469,470.
- 66 Vgl. BVerfG, B. v. 16.1.1995 — 1 BvR 1505/94, NVwZ 1995, 469, 470;BVerwG, U. v. 16.3.1994 — 6 C 1.93, BVerwGE 95, 237, 243 f.; B. v.
genügen muss: Bei berufsbezogenen Prüfungen hat je- der, der eine am Prüfungsmaßstab zu messende Leistung zu bewerten hat, die Leistung persönlich, unmittelbar und vollständig zur Kenntnis zu nehmen und eine selb- ständige,eigenverantwortlicheBewertungsentscheidung zu treffen66, so als wenn jedem Mitglied einer Prüfungs- kommission selbst die abschließende Bewertung der Prüfungsleistung obliege67.
An die Verwaltungstätigkeit der Berufungskommis- sion werden auch nach der amtshaftungsrechtlichen Rechtsprechung hohe Anforderungen gestellt. Danach muss jeder Amtsträger die zur Führung seines Amtes notwendigen Rechts- und Verwaltungskenntnisse besit- zen oder sich verschaffen. Er ist bei der Gesetzesausle- gung und Rechtsanwendung verpflichtet, die Gesetzes- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und danach aufgrund vernünftiger Überlegun- gen sich eine Rechtsmeinung zu bilden68. Vor ihrer Ent- scheidung haben die Mitglieder der Berufungskommis- sion den Sachverhalt im Rahmen des Zumutbaren so umfassend zu erforschen, dass die Beurteilungs- und Entscheidungsgrundlage nicht in wesentlichen Punkten zum Nachteil des Betroffenen unvollständig bleibt69. Da- bei kann sich niemand dadurch entlasten, dass er sich auf die Zuschreibung arithmetischer Leistungsbewer- tungen oder einen von einer externen Stelle vorgenom- menen Leistungsvergleich verlassen hat.
2. Mehrstufige Gremienbeteiligung und Bestenauslese, Dokumentationsanforderungen
Auch im Hinblick auf Art. 33 Abs. 2 GG begegnet es kei- nen Bedenken und entspricht den meisten Hochschul- gesetzen, wenn eine Hochschule die maßgebliche Ent- scheidung über die Vergabe des Statusamts einer*eines Professor*in durch Gremien vorbereiten lässt, sofern diese vorbereitenden Schritte — wie etwa die Bestim- mung der zu einem Probevortrag einzuladenden Bewerber*innen oder die Bewertung dieser Probevor- träge — ihrerseits den verfahrensrechtlichen Anforderun- gen des Art. 33 Abs. 2 GG genügen70 und die formellen und materiellen Vorschriften für das Berufungsverfah- ren gewahrt werden71. Diese mehrstufige Ausgestaltung des Auswahlprozesses macht es erforderlich, dass auf
19.5.2016 — 6 B 1.16, juris, Rn. 12; U. v. 28.10.2020 – 6 C 8/19, BVer-
wGE 170, 1 ff. = juris, Rn. 18.
67 BVerwG, U. v 16.3.1994 – 6 C 1/93, BVerwGE 95, 237 ff. = juris, Rn.
27.
68 BGH, U. v. 10.2.2011 – III ZR 37/10, BGHZ 188, 302 ff., Rn. 13. 69 BGH, U. v. 19.5.1988 — III ZR 32/87, juris, Rn. 12 m.w.N.
70 BVerwG, U. v. 20.10.2016 – 2 C 30/15, juris, Rn. 21.
71 Neukirchen/Emmrich u.a., a.a.O., S. 53.
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jeder Ebene mit hoher Rationalität gearbeitet werden muss: Jedenfalls führt nach der Rechtsprechung ein Mangel bei der Beschlussfassung der Berufungskommis- sion über den Berufungsvorschlag, der für die Auswahl nach dem Leistungsprinzip relevant ist, grundsätzlich auch zur Fehlerhaftigkeit der Entscheidungen weiterer Hochschulgremien in den nachfolgenden Verfahrens- stufen72.
Dass die Bewertungsgrundlagen der entscheidenden Stelle vollständig zur Kenntnis gelangt sind und bei nachfolgenden Verfahrensschritten Beachtung fanden, muss durch eine schriftliche Dokumentation der Aus- wahlerwägungen nachgewiesen werden (verfahrensbe- gleitende Absicherung des Art. 33 Abs. 2 GG). Erst durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahler- wägungen – deren Kenntnis sich die*der unterlegene Bewerber*in gegebenenfalls durch Akteneinsicht ver- schaffen kann – werden auch Mitbewerbende in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden zu können, ob die Entscheidung der Hochschule hingenommen wird oder ob die faire und chancengleiche Behandlung der Bewerbung angezweifelt und gerichtlicher Rechtsschutz nachgesucht werden muss. Darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen73. Diese Anforderungen sind auch auf das Berufungsverfahren zur Besetzung ei- ner Professorenstelle anwendbar74.
Danach müssen die Verfahrensschritte und Erwä- gungen der beteiligten Organe bei der (Vor-) Auswahl für die Berufungsempfehlung schriftlich dokumentiert sein. Die Einbeziehung automatisierter Unterstützungen oder einer Bewertungsplattform unterliegt diesen An- forderungen ebenso. Deshalb sind die Umstände der Leistungsbewertung durch die Vergleichsplattform offen zu legen, z.B. die in den automatisierten Leistungsver- gleich (für jedes einzelne Teilkriterium) einbezogenen Kandidat*innen und deren dabei betrachtete Leistun- gen, und den Gremien auf weiteren Verfahrensstufen vorzulegen. Das widerspräche aber offensichtlich der Zielrichtung der Vergleichsplattform, anstelle einer Ein- zelbetrachtung verschiedener Publikationen und Um- stände aus dem Wissenschaftsleben der Bewerbenden eine natürlich Zahl als „Bewertung“ zu setzen und damit die Komplexität zu reduzieren.
- 72 OVG Weimar, B. v. 26.6.2019 – 2 EO 292/18, juris, Rn. 35.
- 73 BVerfG, B. v. 25.11.2015 – 2 BvR 1461/15, juris; B.v. 9.7.2007 – 2 BvR 206/07, juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 1.2.2017 – 7 CE 16.1989, BeckRS2017, 102331 Rn. 12; OVG NW, B. v. 27.4.2017 – 6 A 277/16, NVwZ- RR 2017, 794 Rn. 4.
3. Herausforderungen für Indikatorik-Plattform bzw. KI
Für den Einsatz künstlicher Intelligenz bei der verglei- chenden Bewertung wissenschaftlicher Leistungen sollte das Evalitech-Projekt nur Möglichkeiten einer Arbeits- weise demonstrieren. Eine einsatzfähige Software gibt es noch nicht. Das bedeutet nicht, dass die Diskussion über folgende Fragen aufgeschoben werden muss.
Bei der Werbung mit Effektivitätsvorsprüngen und der fachlichen Verbesserung des Leistungsvergleichs muss beachtet werden, dass die zum Schutz der Wissen- schaftsfreiheit gebotene Mitwirkung der Hochschulleh- renden nicht auf eine „Kenntnisgabe“ von Entscheidun- gen und Zwischenbewertungen durch irgendeine han- delnde Instanz, sondern auf eine inhaltliche Mitwirkung gerichtet ist. Die Erarbeitung von Leistungsbewertungen in einem gegenüber der Berufungskommission abge- schlossenen bzw. verdeckten Bewertungsalgorithmus würde die Teilentscheidungen aus dem zuständigen Gre- mium herausnehmen, wodurch die Mitwirkungsbefug- nis nicht nur faktisch ausgehöhlt, sondern auf die Hin- nahme der automatisierten Leistungsbewertungen be- schnitten wird. Dabei bliebe es dem Gesetzgeber vorbe- halten, durch eine Ausgestaltung des KI-Einsatzes bei Leistungsbewertungen im Zusammenhang mit Beru- fungsentscheidungen sicherzustellen, dass eine materiel- le Mitwirkung der Hochschullehrenden gewährleistet bleibt.
Im Hinblick auf die Reproduzierbarkeit und Doku- mentation der Bewertungen aus der Berufungskommis- sion gibt es weitere Anforderungen in einem mehrstufi- gen Auswahlverfahren. So muss die Berufungskommis- sion den Verfahrensstoff auf- und vorbereiten sowie ih- ren Besetzungsvorschlags (aus mehreren Personen in einer bestimmten Reihenfolge) nachvollziehbar und un- ter Wahrung der spezifischen Besonderheiten der Fach- disziplinen begründen. Hinzu kommen verfahrens- rechtliche Komplikationen wie Sonder- oder Minder- heitsvoten75, die Erfassung einer „Hochschullehrermehr- heit“ oder schlichtweg die Einbeziehung von Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragen, Schwerbehinderten- oder Diversitätsverantwortlichen. Bei einer rein arithmeti- schen Zusammensetzung von Bewertungen für einzelne Teilkriterien, deren Vergleich angeblich „objektive“– also bei gleichen Rahmenbedingungen stets wiederher-
74 vgl. OVG Münster, B. v. 10.2.2016 – 6 B 33/16, NVwZ 2016, 868 = juris, Rn. 7; VGH München, B. v. 1.2.2017 – 7 CE 16.1989, juris, Rn. 13; OVG Schleswig, B. v. 22.8.2018 – 2 MB 16.16, juris, Rn. 9 f.
75 Siehe Löwisch/Tarantino, OdW 2014, 11 ff.
Herrmann · Berufungsverfahren für Professuren und künstliche Intelligenz 3 5
stellbare – Ergebnisse erbringt, bedürfte es solcher Absi- cherungen nicht mehr. Die Reproduzierbarkeit inner- halb der Anwendung im konkreten Berufungsverfahren steht allerdings in Zweifel, wenn ein Vergleichsmaßstab aus einer Vergleichsgruppe gebildet und die Bewertung aus einer stetigen Relation von Personen ermittelt wird, die alle bei der Plattform angemeldeten Wissenschaftler*innen umfasst, jedoch nur die Bewer- benden im konkreten Berufungsverfahren mit ihren tat- sächlichen Leistungen bekannt werden.
Schließlich bleibt die Diskussion über einen KI-Ein- satz die Antwort schuldig, wie eine sach- und fachkundi- ge Bewertung durch die Bewertungsalgorithmen ge- währleistet wird. Wenn die Mitglieder der Berufungs- kommission über die Leistungen der Bewerbenden dis- kutieren, muss jedes Mitglied für seine Einschätzung und Prioritäten gegenüber den anderen Diskussionsteil- nehmern fachliche Verantwortung übernehmen. Dabei werden Fehleinschätzungen durch Instrumente wie Wi- derspruchs- und Nachfragemöglichkeiten aufgeklärt, die Kontrolle erfolgt durch Überzeugungsbildung und schließlich Entscheidungsmechanismen wie zB. Mehr- heitsquoren oder Minderheitsvoten. Diesen flexiblen Entscheidungsbedingungen und der personalisierten Fachkundeanforderung (z.B. Mehrheit der Hochschul- lehrenden) können auch komplexe und spezialwissen- schaftliche Bewertungen anvertraut werden, ob etwa die Leistungen von Bewerbenden (rückblickend) einen Fortschritt für die Wissenschaft erbracht haben oder ob durch die wissenschaftlichen Tätigkeiten ein For- schungs- oder jedenfalls Themenschwerpunkt aufgebaut werden konnte. Derartige Diskussionen und Vergewis- serungen sind dem Vergleich auf einer anonymisierten Plattform fremd, solange einzelne Argumente in den Teilkriterien nicht fachwissenschaftlich wertend, son- dern nur messend miteinander verglichen werden.
IV. Feststellung und Vergleich wissenschaftlicher Leistungen durch die Berufungskommission
Die Aufgabe einer Berufungskommission besteht im wertenden Leistungsvergleich76. Wenn man es so beschreibt, dass die Bewerbenden nach dem „Hirsch- Index“ ihrer Publikationen gegenübergestellt würden, entsteht ein unrealistisches Zerrbild.
- 76 Siehe dazu die Empfehlungen des Wissenschaftsrats vom 20.5.2005 (Drs. 6709–05), S. 30 f.
- 77 Vgl. BVerfG, B. v. 4.7.2018 – 2 BvR 1207/18, juris, Rn. 9, unter Verweis auf BVerfG, B. v. 20.4.2004 – 1 BvR 838/01, BVerfGE 110, 304, 332; B. v. 16.12.2015 – 2 BvR 1958/13, BVerfGE 141, 56, 79; Rn. 58 m.w.N.
- 78 BVerfG, B. v. 5.9.2007 – 2 BvR 1855/07, BVerfGK 12, 106 ff. = juris,
1. Befugnis und Pflicht der Berufungskommission zum Leistungsvergleich
Eine Auswahlentscheidung weist immer prognostische Elemente und damit Unsicherheiten auf, ob die zugrun- de gelegten Annahmen (z.B. zum Vorhandensein und zur Entfaltung eines Leistungspotentials) zutreffen. In der Rechtsprechung wird deshalb gefordert, dass der Vergleich der Bewerbenden im Rahmen einer Auswahl- entscheidung vor allem anhand (aktueller) dienstlicher Beurteilungen zu erfolgen hat77. Diese Beurteilungen für zurückliegende Leistungen dienen als Grundlage für am Leistungsprinzip orientierte Entscheidungen über die Verwendung und das dienstliche Fortkommen78. Anders als bei Auswahlentscheidungen aufgrund von dienstli- chen Beurteilungen muss die Berufungskommission die Entscheidungsgrundlage für die Auswahlentscheidung für eine Professur oder Juniorprofessur in einem weitge- hend formalisierten Prozess erst selbst herstellen: anhand von Bewerbungsunterlagen unter Einbeziehung der angegebenen Publikationen, sowie unter Einholung einzelner oder vergleichender Gutachten externer sach- verständiger Wissenschaftler*innen79. Die Berufungs- kommission kann aber auch eine Lehrprobe oder einen Fachvortrag im Rahmen einer Anhörung vor dem Lehr- körper oder den Mitgliedern der Hochschule verlangen sowie Lehrveranstaltungen der Bewerbenden an ihrem Tätigkeitsort besuchen80. Und gleichzeitig zur Vervoll- ständigung der Bewertungsgrundlage für die weiter betrachteten Bewerber*innen bewertet die Berufungs- kommission diese Leistungsnachweise in einem diskur- siven Prozess. Bei beiden Aufgaben bewegen sich die Berufungskommission und die weiteren beteiligten Gre- mien in einer durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verfassungs- rechtlich geschützten Beurteilungskompetenz hinsicht- lich der Qualifikation für eine Hochschullehrerstelle81. Dieser besonders weite Beurteilungsspielraum schließt die Befugnis der Berufungskommission ein, die Stärken und Schwächen der einzelnen Bewerber*innen zu gewichten, wobei die Kommission aufgrund des eigenen und des durch Gutachten hinzugezogenen Sachver- stands für die Einschätzung der Qualifikation der Bewerber*innen eine wissenschaftsadäquate Entschei- dungsfindung gewährleisten soll und kann. Anders als bei einer Leistungsmessung und Addition von Ergebnis-
Rn. 9; siehe bereits zu den Anforderungen an die Vergleichbarkeit dienstlicher Beurteilungen: BVerfG, B. v. 17.2.2017 – 2 BvR 1558/16, juris, Rn. 10.
79 Siehe zum vergleichenden Begutachtung Neukirchen/Emmrich, a.a.O., S. 62 f.
80 Thieme, Deutsches Hochschulrecht, a.a.O, Rn. 449.
81 OVG Münster, U. v. 3.5.2018 – 6 A 815/11, juris, Rn. 140.
36 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2024), 25–44
sen schließt der weite Spielraum bei der Leistungsbewer- tung die Möglichkeit ein, die Eignung eines Kandidaten schon aufgrund wahrgenommener Defizite in einzelnen Bereichen als im Vergleich mit anderen Bewerbern schwächer zu qualifizieren82.
DabeischließtwederArt.33Abs.2GGnochdieWis- senschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) es aus, dass die Be- rufungskommission ihrer Leistungsbewertung auch ex- terne Leistungseinschätzungen zugrunde legt – vielmehr ist das der Regelfall, wenn etwa Publikationen in Zeit- schriften mit Peer-Review (Leistungseinschätzung der Peers), Förderentscheidungen von Zuwendungsgebern (EU-Grants, insb. bei kompetitiven Verfahren wie z.B. der DFG) oder Berufungen auf vergleichbare Professu- ren an anderen Hochschulen einbezogen und mitbe- rücksichtigt werden müssen. Systematisch wird dem Dienstherrn (und der eingesetzten Berufungskommissi- on) Ermessen zugestanden zur Ausgestaltung des Aus- wahlprozesses im Rahmen der verbindlichen Regelun- gen, z.B. in einer Berufungsordnung oder im Landeshochschulgesetz.
Das gilt vor allem für die Einbeziehung vergleichen- der oder einzelbetrachtender Gutachten externer Sach- verständiger. Diese sind nach den meisten Hochschulge- setzen und Berufungsordnungen von der Berufungs- kommission bei der Bildung einer Rangfolge ihrer Beru- fungsempfehlung „zu berücksichtigen“. Diese Gutachten sollen als Entscheidungshilfe und ‑grundlage die Leis- tungsbewertung rationalisieren und objektiver machen: Dazu sollen die beauftragten Gutachter ihr Gutachten möglichst unvoreingenommen und jedenfalls ohne Ein- flussnahme der am Berufungsverfahren beteiligten Ent- scheidungsträger, der Bewerber selbst oder sonstiger Personen, die am Ausgang des Auswahlverfahrens ein Interesse haben können, erstellen83. Gleichwohl sind die Gutachten für die Berufungskommission nicht „bin- dend“ bzw. müssen nicht in ihren Reihenfolgevorschlä- gen (zumal diese selten einheitlich ausfallen) übernom- men werden – vielmehr muss die Berufungskommission zu einem eigenständigen Ergebnis unter Würdigung der gesamten Erkenntnisgrundlagen kommen. Die von den Gutachten vorgeschlagene Reihenfolge der Listenkandi- daten muss sie nur unter sachlichen Kriterien bei ihrer Entscheidungsfindung würdigen84.
Grundsätzlichen Bedenken bestehen ebenfalls nicht, wenn die Berufungskommission organisatorische Un- terstützung und fachliche Beratung durch Externe ein-
- 82 So OVG Münster, B. v. 20.4.2020 — 6 B 1700/19, juris, Rn. 35 ff.
- 83 Vgl. VGH Mannheim, B. v. 27.07.2022 – 4 S 713/22, Rn. 53; VGHMünchen, B. v. 11.08.2010 – 7 CE 10.1160, Rn. 33.
bezieht. Dabei war bei anderen Wahlgremien (zB. kom- munaler Selbstverwaltungskörperschaften) umstritten, wie Auswahlgremien mit den von externen Fachbera- tern erstellten Ranglisten und bereitgestellten Informati- onen umzugehen hatten. Inzwischen formulieren die Verwaltungsgerichte auch hierzu rechtliche Anforde- rungen und beanstanden es, wenn die auswählende Stel- le dem Dritten den Leistungsvergleich maßgeblich über- lassen und die Auswahlentscheidung aus der Hand gege- ben hat85. Ebenso wie der Dienstherr die ihm zustehende Beurteilungsbefugnis nicht auf Außenstehende übertra- gen darf, ist es der auswählenden Stelle verwehrt, das Er- gebnis einer anderweitigen (externen) Eignungsfeststel- lung „blindlings“ zu übernehmen. Die hierzu ergangene Rechtsprechung formuliert hohe Anforderungen, wenn die auswählende Stelle sich das „Ergebnis“ einer extern erfolgten Eignungsbeurteilung — in kritischer Auseinan- dersetzung — zu eigen machen und dieses anschließend als Beitrag zu ihrem eigenen umfassenden Eignungsur- teil verwerten möchte. Dazu muss die vom externen Dienstleister vorgenommene Vorauswahl (1.) aussage- kräftige und valide, am Anforderungsprofil orientierte Erkenntnisse über die Eignung der Bewerber*innen er- möglichen, (2.) die Chancengleichheit der Bewer- ber*innen gewährleisten; das Verfahren muss nach sei- ner formalen und inhaltlichen Gestaltung allen Kandidat*innen Gelegenheit zur Darstellung ihrer Befä- higung und Eignung bieten, eine hinreichende Ver- gleichbarkeit der Ergebnisse sicherstellen und jedenfalls in Grundzügen dokumentiert werden und (3.) aus Rechtsschutzgründen nachprüfbar ausgestaltet sein.
Bei allen Unterschieden, die zwischen der Idee einer automatisierten kriteriendifferenzierten Leistungsbe- wertung und der vielfältigen Unterstützung durch ein Personalberatungsunternehmen bestehen, lassen sich daraus Anforderungen an die Handhabung der Eig- nungsbewertung durch eine Berufungskommission ab- leiten: Das Bewertungsergebnis der Indikatorikplatt- form könnte als externe Einschätzung einer nicht auf Fachkunde und Erfahrungen, sondern auf Wahrschein- lichkeiten beruhenden Eignungseinschätzung gleich- wohl die Diskussion bereichern, wenn die Berufungs- kommission für die Entscheidung und den Leistungs- vergleich verantwortlich bleibt. Jeder Ansatz, dass die Bewertungen der Plattform vorrangig oder „vorzugs- würdig“ sind, würde hingegen die fachkundige Bewer- tung der Berufungskommission in Frage stellen.
84 VGH Kassel, B. v. 28.11.2022 – 1 B 1620/22, juris, Rn. 98.
85 Hierzu und zu Folgendem: OVG Münster, B. v. 16.11.2021 – 6 B
1176/21, juris, Rn. 57 ff.
Herrmann · Berufungsverfahren für Professuren und künstliche Intelligenz 3 7
2. Risiken arithmetischer Bewertungen
Besondere Risiken sind damit verbunden, beim Ver- gleich wissenschaftlicher Leistungen auf arithmetische Zuordnungen abzustellen oder auf Teilleistungsbewer- tungen, die nicht in einem rechtsförmig ausgestalteten Prüfungsverfahren entstanden sind. Die Aufgabe der Berufungskommission schließt ja die Leistungsfeststel- lung ein, für die — bei Laufbahnbeamt*innen — ein dienst- rechtliches Beurteilungsverfahren oder – wie bei der Habilitation – das Prüfungsverfahren einer Hochschule vorgesehen sind. Für die wissenschaftlichen Leistungen von Bewerbenden um Professuren liegen keine dienstli- chen Beurteilungen mit Einzelleistungsbewertungen und Gesamtnoten wie bei Laufbahnbeamt*innen vor86, ihr beruflicher Werdegang wird nicht durch dienstliche Beurteilungen und Beförderungen, sondern durch Be- rufungen bestimmt87. Deshalb wird von der Berufungs- kommission eine umfassende Würdigung der bisherigen wissenschaftlichen Leistungen verlangt, die Auskunft über das Leistungsvermögen der Bewerber*innen gibt88.
Sicherlich unterfällt es dabei dem Verfahrensermes- sen der Hochschule, das durch die Berufungsordnungen ausgestaltet und von den Hochschulgesetzen beschränkt wird, inwieweit Typisierungen, Bewertungsstufen oder andere wertende Kennzeichnungen von Leistungsunter- schieden bzw. ‑reihenfolgen beschrieben werden89. Die eingesetzten Bewertungssysteme müssen aber ihrerseits leistungsgerecht sein und den Anforderungen an Art. 33 Abs. 2 GG genügen: Nur wenn die Umstände der Leistungserbringung bei den Bewerber*innen im We- sentlichen vergleichbar und die Leistungsbewertung in der Person eines Vorgesetzten vereinheitlicht wird, wenn also eine wertende Betrachtung der Leistungsbewertun- gen nicht mehr erforderlich ist, kann der Leistungsver- gleich ausnahmsweise auf einen Vergleich von Punktbe- wertungen zurückgeführt werden. Zudem bedarf es ei- ner ausdrücklichen Rechtsgrundlage, ohne die rechneri- sche Ermittlungen bei Leistungsbewertungen schlichtweg unzulässig sind90. Das gilt aber nicht nur für die Arithmetisierung dienstlicher Leistungsbewertun-
- 86 OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 30.3.2017 – 10 S 32.16, juris, Rn. 7.
- 87 VGH Mannheim, B. v. 8.12.2020 – 4 S 2583/20, juris, Rn. 6.
- 88 BVerwG, U. v. 20.10.2016 – 2 C 30/15, juris, Rn. 23.
- 89 Siehe VG Greifswald, U. v. 26.9.2019 – 6 A 1212/18 HGW, juris,Rn. 28, zur Leistungsbewertung für die Vergabe von Leistungs- bezügen: „Es ist in erster Linie Sache der Beklagten, Bewertungs- maßstäbe festzusetzen und dementsprechend auch die Instru- mente zur Ermittlung quantifizierbarer und damit vergleichbarer Leistungen auszuwählen.“
- 90 BVerwG, U. v. 21.3.2007 – 2 C 2/06, juris, Rn. 14; ebs. OVG Lü- neburg, B. v. 9.5.2008 – 5 ME 5/08, juris, Rn. 28 – zum Vergleich
gen, sondern ist auch für die hochschulische Bewer- tungsbefugnis bei Prüfungsleistungen bekannt: Auf- grund des Gesetzesvorbehalts für berufsbezogene Prü- fungen (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) sind Regelungen über das Verfahren der Bewertung der Prüfungsleistungen und die Notenvergabe rechtssatzmäßig festzulegen. Da- bei müssen die Regelungen dem prüfungsrechtlichen Gebot der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG) genügen, also dafür Sorge tragen, dass für alle Teilnehmer vergleichbarer Prüfungen so weit wie möglich gleiche Prüfungsbedingungen und Bewertungs- maßstäbe gelten. Auch das Prüfungsverfahren muss glei- che Erfolgschancen gewährleisten, d.h. für Form und Verlauf der Prüfungen müssen einheitliche Regeln gel- ten, die auch einheitlich angewandt werden91.
Weil bisher jedwede gesetzliche Regelung zur auto- matisierten Bewertungsbefugnis bei wissenschaftlichen Leistungen in Berufungsverfahren fehlt, genügt der oben beschriebene Bewertungsvorgang aus dem Evalitech- Projekt diesen Anforderungen nicht: Normative Vorga- ben wurden für die Leistungsbewertung der Indikatorik- plattform auch nicht diskutiert. Dass es Berufungsver- fahren im Hochschulbereich und vor allem in den tech- nischen Fächern geben mag, in denen zur vergleichenden Bewertung der wissenschaftlichen Leistungen auch gern Notendurchschnitte oder Punktesummen verwendet werden, macht den Mangel nicht wett. Für die Punktezu- ordnung im genannten Wertebereich müssten die Teil- kriterien und jeweiligen – in den Fachdisziplinen wohl auch unterschiedlichen – Bewertungsmaßstäbe ausge- staltet sein. Wie die Vergleichbarkeit von wissenschaftli- chen Publikationen untereinander (schon nach äußeren Merkmalen des Veröffentlichungsprozesses: Fremdspra- chigkeit, Peer-Review, Autorengruppen) gewährleistet werden kann oder – durch Wahl derselben Zählweise oder ‑einheit – gegenüber Leistungen in anderen Teilkri- terien, bedürfte einer Ausgestaltung jedenfalls auf der Ebene der Berufungsordnung. Wie bei berufsbezogenen Prüfungen müssen Einzelheiten der Leistungsbewertung aber nicht unmittelbar durch den Gesetzgeber geregelt werden92.
dienstl. Beurteilungen. Nach BVerwG, U. v. 7.7.2021 – 2 C 2/21, BVerwGE 173, 81 ff. = juris, Rn. 31 ff., 34 müssen wenigstens das Beurteilungssystem (Regel- oder bloße Anlassbeurteilungen) und die Vorgabe der Bildung des abschließenden Gesamturteils unter Würdigung aller Einzelmerkmale einfachgesetzlich ausgestaltet sein.
91 Vgl. BVerfG, B. v. 17.4.1991 — 1 BvR 419/81 u. 213/83, BVerfGE 84, 34, 52; BVerwG, U. v. 10.4.2019 — 6 C 19.18, BVerwGE 165, 202 = juris, Rn. 11 f.; U. v. 28.10.2020 – 6 C 8/19, BVerw-GE 170, 1 ff. = juris, Rn. 21.
92 BVerwG, B. v. 6.3.1998 – 6 B 9/98, juris, Rn. 6.
38 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2024), 25–44
3. Herausforderung an Bewertungsprozesse einer Indi- katorikplattform
So sinnvoll es sein mag, in die Eignungsprognose zusätz- liche Merkmale von den 41 Teilkriterien (Evalitech) ein- zubeziehen, begegnet die automatisierte Leistungs- bewertung und Wertezuordnung zum Wertebereich 0 — 100 erheblichen Bedenken. Schon die Zulässigkeit und Plausibilität arithmetischer Bewertung beim Vergleich wissenschaftlicher Leistungen ist offen. Sowohl der Bewertungsvorgang (unter Einbeziehung von Leistun- gen dritter Personen, die sich nicht beworben haben,) als auch die Herstellung von Vergleichbarkeit der bewerte- ten wissenschaftlichen und sonstigen Leistungen in den 41 Teilkriterien müsste wenigstens in einer Berufungs- satzung der Hochschule ausgestaltet werden. Außerdem müsste klargestellt und abgesichert werden, welche Leis- tungen zur Erfüllung der Einstellungsvoraussetzungen vorliegen müssen.
Organisatorisch müssten die Hochschulen Vorkeh- rungen treffen, dass jedweder Bewertungsvorgang für ei- nen Leistungsvergleich in einer dauerhaften und berech- tigungsgeschützten Dokumentationsdatei gesichert wird, um für die Diskussion in der Berufungskommissi- on, in den weiteren Verfahrensstufen und für eine ge- richtliche Nachprüfung bereitzustehen. Außerdem be- darf es auch fachlicher Weiterbildungen und Vorausset- zungen, damit die Mitglieder der Berufungskommission überhaupt in die Lage versetzt werden, die Bewertungs- vorgänge nachvollziehen und durch eine „kritische Aus- einandersetzung“ mit den Bewertungsergebnissen ihrer Bewertungsverantwortung gerecht werden können.
V. Mitwirkungspflichten für und Datenschutz der Indikatorikplattform
Schließlich stehen der Einrichtung einer (verfahrensun- abhängigen) Indikatorikplattform heute Schutzregelun- gen des Verwaltungs- bzw. Datenschutzrechts entgegen, die erst durch Gesetzesänderungen angepasst bzw. gelo- ckert werden müssten.
Nach dem Ergebnisbericht des Evalitech-Projekts be- ruht die Idee einer KI-gestützten Indikatorikplattform auf automatisierten Datenerhebungen für die einbezoge- nen Kandidat*innen, die gestützt wird auf folgende Datenverarbeitungen:
– ad-hoc Metadaten-Sammlung je Kandidat*in,
– kontinuierliches Kandidatinnen- und Kandidaten-
93 Forschungsbericht Evalitech (o. Fn. 1), S. 9.
94 BVerwG, U. v. 20.10.2016 – 2 C 30/15, juris, Rn. 24.
Tracking,
– Identifikation von relevanten Wissenschaftler*innen
für ‚unbekannte’ Themenfelder,
– rekursive Verfolgung von Verbindungen zu anderen
Wissenschaftler*innen,
– Ergänzung von (nicht-öffentlichen) Daten durch die
Nutzer*innen selbst93.
Sowohl die Duldung der ad-hoc- wie der kontinuier- lichen Datenerhebung oder die Verknüpfung mit anderen Daten („unbekannte Themenfelder“, „Verbin- dung zu anderen Wissenschaftler*innen“) bedarf dabei einer ausdrücklichen und freiwilligen Einwilligung der*des einbezogenen Wissenschaftler*in gem. Art. 6 Abs. 1 S. 1 Buchst. a DSGVO. Die Ergänzung der nicht-öffentlichen Daten bedarf darüber hinaus zusätzli- cher Handlungen (Veranlassung, Mitwirkung oder Dul- dung der Datenverarbeitung) der Wissenschaftler*in. Um die Plattform ziel- und zweckgerecht anhand der aktuellen und vollständigen Vergleichsgrundlagen arbei- ten zu lassen, ist sie jedenfalls konzeptionell auf kontinu- ierliche Datenerhebungen während der gesamten Schaf- fens- und Schöpfungstätigkeit von Wissenschaftler*innen ausgelegt.
1. Regelung von Mitwirkungspflichten durch Rechtsvor- schrift
Damit bedarf die Indikatorikplattform schon deshalb einer normativen Rechtsgrundlage, weil die einbezoge- nen Wissenschaftler*innen zur Schaffung einer Ver- gleichsgrundlage dadurch beitragen müssten, der Ver- wendung ihrer Daten zuzustimmen oder gar ihre Daten selbst bereitzustellen. Das Ermessen der Hochschule zur Gestaltung der Auswahl bei der Besetzung einer Profes- sur schließt es ein, Daten und Angaben von den Bewerber*innen nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Kenntnis zu nehmen94. Zugrunde legen müssen sie aber nur die freiwillig von den Bewerber*innen darge- stellten Leistungen und Tatsachen95. Für eine Pflicht der Bewerber*innen, darüber hinaus ihre Leistungen konti- nuierlich in eine Vergleichsplattform einzutragen, bedürfte es wenigstens einer Satzungsregelung, z.B. in der Berufungsordnung.
Das ergibt sich aus § 26 Abs. 2 VwVfG – die Vor- schrift (S. 1 u. 2) legt eine allgemeine Mitwirkungspflicht der Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens fest – in ei- nem Berufungsverfahren der Hochschule sollen die Be- werbenden danach „insbesondere ihnen bekannte Tatsa- chen und Beweismittel angeben“. Die behördliche Auf-
95 Keine Ermittlungspflicht der Hochschule – vgl. VGH München, B. v. 16.3.1998 — 7 ZE 97.3696, juris, Rn. 25; OVG Koblenz, B.
Herrmann · Berufungsverfahren für Professuren und künstliche Intelligenz 3 9
klärungspflicht der Hochschulen wird durch die Erfül- lung von Mitwirkungsobliegenheiten der Bewerber*innen wirksam und zugleich begrenzt. Darü- ber hinausgehende Pflichten der Beteiligten, bei der Er- mittlung des Sachverhalts mitzuwirken, z.B. durch per- sönliches Erscheinen96 oder eine Aussage, bestehen nach Satz 3 aber nur, soweit sie durch Rechtsvorschrift beson- ders vorgesehen sind . Dazu bedarf es einer abstraktge- nerellen Regelung in Form eines Gesetzes, einer Verord- nung oder einer Satzung der Hochschule. Einem Erlass der Hochschulleitung oder des Ministeriums kommt als innerdienstliche Verwaltungsvorschrift keine Rechts- normqualität zu97, gleiches gilt für Empfehlungen von Fach- oder Wissenschaftsfördergesellschaften.
Hier muss allerdings nicht vertieft werden, dass das Verwaltungsrecht bei Berufungsverfahren wiederum zahlreiche „Unschärfen“ kennt und jedenfalls Mitwir- kungsobliegenheiten der Bewerber*innen aufstellt, de- ren Versäumung ihnen bei der Rechtsverfolgung entge- gengehalten und zum Nachteil gereichen kann. Dem- nach bestehe etwa eine Befugnis der Berufungskommis- sion zur Fristsetzung mit Ausschlussfolge aus dem „Sinn und Zweck der Rechtsvorschriften, die das Berufungs- verfahren ausgestalten.“98 Ein weiteres Beispiel ist die Übertragung der (prüfungsrechtlichen und regelmäßig in Prüfungsordnungen ausdrücklich ausgestalteten) Mitwirkungspflicht, bekannte Ablehnungsgründe (für eine Besorgnis der Befangenheit) ohne schuldhaftes Zö- gern zu rügen, auf das Berufungsverfahren99. Schließlich ist noch an die Obliegenheiten beim Rechtsschutz zu er- innern, die von der Rechtsprechung aus dem (einzuge- henden) Beamtenverhältnis als Dienst- und Treuever- hältnis abgeleitet werden100.
2. Rechtsgrundlage und Erforderlichkeit der Indikato- rikplattform
Als Datenverarbeitung i.S. Art. 4 Nr. 2 DSGVO bedarf bereits die Sammlung von persönlichen Leistungsnach- weisen (Veröffentlichungen, Arbeitsproben, Lehrevalu- ationen usw.) und anderen personenbezogenen Daten
v. 6.8.2018 — 2 B 10742/18, juris, Rn. 29; OVG Magdeburg, B. v. 26.4.2021 – 1 M 16/21, juris, Rn. 32; siehe zur „Ermittlungspflicht“ hinsichtlich der charakterlichen Eignung, insbesondere zum Um- gang mit Anhaltspunkten für Eignungsdefizite: Gärditz, WissR 58 (2022), 288, 326 ff.
- 96 Vgl. OVG Hamburg, B. v. 11.12.2000 — 2 Bs 306/00, juris, Rn. 18.
- 97 Vgl. VG Oldenburg, U. v. 24.1.1986 — 2 OS A 19/85, juris; OVGLüneburg, U. v. 24.11.2015 — 5 LB 83/15, juris, Rn. 49; B. v. 23.12.2004 – 8 ME 169/04, juris, Rn. 13 (zur Teilnahme an einer ärztlichen Untersuchung).
- 98 VG München, B. v. 19.3.2004 – M 3 E 04.611, juris, Rn. 35.
- 99 VGH München, B. v. 1.2.2022 – 3 CE 22.19, juris, Rn. 5; VGHMannheim, B. v. 27.7.2022 – 4 S 713/22, juris, Rn. 23.
(vgl. Art. 4 Nr. 1 DSGVO) in einer Bewerberdatenbank – um rechtmäßig und beanstandungsfrei durchgeführt werden zu können – einer ausdrücklichen und freiwilli- gen Einwilligung der jeweils betroffenen Personen gem. Art. 6 Abs. 1 S. 1 Buchst. a) i.V.m. Art. 7 DSGVO101. Diese müsste von den Bewerber*innen unter Berücksichti- gung der Anforderungen aus Art. 7 Abs. 2 und 4 DSGVO bzw. § 26 Abs. 2 BDSG gesondert in Schriftform einge- holt werden – die in einer Bewerbung konkludent ent- haltene Offenbarungsbereitschaft, die in der Bewerbung enthaltenen Informationen auch anderen Bewer- ber*innen zu vermitteln102, genügt dafür nicht. Als Einwilligung kann allerdings auch die Preisgabe perso- nenbezogener Daten auf öffentlich zugänglichen social- media-Kanälen gelten, jedenfalls soll die Erhebung beruflicher Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen unter Wahrung der Zweckbindung zulässig sein103. Unge- achtet der jederzeitigen Widerruflichkeit der Einwilli- gung erscheint eine Indikatorikplattform kaum auf der Grundlage von Einwilligungen der betroffenen Wissenschaftler*innen realisierbar – jedenfalls stünden die Vergleichsergebnisse stets unter der Einschränkung bzw. dem Vorbehalt, dass nur die freiwillig bereitgestell- ten oder öffentlich zugänglichen wissenschaftlichen Leistungen miteinander verglichen worden sind.
Deshalb dient als Rechtsgrundlage für die Verarbei- tung der von den Bewerber*innen bereitgestellten Daten Art. 88 Abs. 1 DSGVO i.V.m. § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG. Da- nach dürfen personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Entscheidung über die Be- gründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung oder zur Ausübung oder Erfüllung der sich aus einem Gesetz oder einem Ta- rifvertrag, einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung (Kollektivvereinbarung) ergebenden Rechte und Pflich- ten der Interessenvertretung der Beschäftigten erforder- lich ist104. Bei der Erforderlichkeit wird ein sehr enger Maßstab für die Zulässigkeit der Verwendung von Be-
100 BVerwG, U. v. 15.6.2018 – 2 C 19/17, Rn. 28; OVG Münster, U. v. 17.6.2019 – 6 A 1133/17, juris, Rn. 123.
101 Zöll, in: Taeger/Gabel, DSGVO — BDSG – TTDSG, 4. Auflage 2022, § 26 BDSG, Rn. 35.
102 vgl. Rudisile, in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 43. EL August 2022, § 99 VwGO, Rn. 20 m.w.N.; BVerwG, U. v. 04.08.1975 — VI C 30/72, NJW 1976, 204; VG Hannover, U. v. 20.2.2023 – 10 A 1101/22, juris, Rn. 37.
103 Zöll, in: Taeger/Gabel, DSGVO — BDSG – TTDSG, 4. Auflage 2022, § 26 BDSG, Rn. 31.
104 VG Hannover, U. v. 9.2.2023 – 10 A 6199/20, juris, Rn. 50 zum Verhältnis zu anderen Rechts-grundlagen aus der DSGVO.
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schäftigtendaten durch Arbeitgeber angelegt und ver- langt, dass er diese Informationen vernünftigerweise be- nötigt – die bloße Nützlichkeit legitimiert eine Verarbei- tung hingegen nicht. Außerdem muss eine erforderliche Datenverarbeitung auf einer Interessenabwägung beru- hen, in der das berechtigte, billigenswerte und schutz- würdige Interesse des Arbeitgebers an der Verwendung bestimmter Daten das Interesse von Beschäftigten am Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte überwiegt. Neben der Geeignetheit der Datenverarbeitung zur Verwirklichung des vom Arbeitgeber verfolgten Zwecks darf es keine milderen, daher das Recht auf Schutz personenbezoge- ner Daten weniger beeinträchtigende Mittel geben. Schließlich ist zu prüfen, ob die Datenverarbeitung an- gemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne) zum ver- folgten Zweck ist, wobei hierzu die in Art. 5 Abs. 1 DSG VO enthaltenen Grundsätze zu beachten sind, wie insbeson- dere die Beschränkung auf festgelegte, eindeutige und le- gitime Zwecke der Verarbeitung nach lit. b) oder die Da- tenminimierung nach lit. c) der Vorschrift105. Bereits Art. 25 DSGVO enthält die Verpflichtung des Verantwortli- chen, selbst bei einer zulässigen Datenverarbeitung tech- nische und organisatorische Maßnahmen zur Begren- zung der Verarbeitung zu treffen. Diese Verpflichtung gilt für die Menge der erhobenen personenbezogenen Daten, den Umfang ihrer Verarbeitung, ihre Speicher- frist und ihre Zugänglichkeit. Auf die Ansprüche der Be- troffenen auf Informationen und Herausgabe (Art. 13 ff. DSGVO) sowie die Berichtigung und Löschung (Art. 16 ff. DSGVO) und auf das jederzeitige Widerrufsrecht (Art. 21 DSGVO) wird aus Gründen der Vollständigkeit verwiesen.
Dass die im Evalitech-Projekt skizzierte Indikatorik- Plattform auf die erforderliche Erhebung von Beschäf- tigtendaten begrenzt wäre, kann bisher nicht festgestellt werden. Die in 41 Teilkriterien aufgeteilten beruflichen und wissenschaftlichen Leistungen der Bewerber*innen sollen danach zunächst einmal unbeschränkt erhoben und bewertet werden. Eine Gewichtung und gar ein Ver- zicht auf die Untersuchungen einzelner, für eine be- stimmte Professur nachrangiger Teilkriterien würde dem Ansatz des Projekts widersprechen oder ist jeden- falls bisher nicht auf die Gewährung der Zielerreichung untersucht worden, die durch einen Vergleich bibliome- trischer Indizes der Publikationen entstehenden Reihen- folgen durch Einbeziehung zusätzlicher Leistungsmerk- male abzuändern. Was bisher fehlt, ist die datenschutz- rechtliche Hinterfragung der 41 Teilkriterien daraufhin, ob sie für die Entscheidung über eine konkrete Stellen-
105 VG Hannover, U. v. 9.2.2023 – 10 A 6199/20, juris, Rn. 54 f.
besetzung benötigt werden – nur weil sie technisch er- fasst und gemessen werden können, heißt es also nicht, dass die personenbezogenen Daten erhoben und verar- beitet werden dürfen.
Um in einer Erprobung die Bedeutung und Aussage- kraft einzelner Teilkriterien und ihr Verhältnis unterein- ander näher zu untersuchen, könnte der Einsatz von Kri- terienbündeln zunächst in bestehenden Beschäftigungs- verhältnissen und den dabei anstehenden Leistungsbe- wertungen erwogen werden. In Betracht käme einmal die Bewährungsfeststellung bei Juniorprofessuren. Hier- bei könnte durch Hochschulsatzung eine Leistungserfas- sung und ‑darstellung in einer Bewertungsplattform vorgeschrieben werden, bei der als Maßstab zugleich die Leistungsanforderungen aus der anfänglichen Zielver- einbarung hinterlegt sind — für die*den Juniorprofes- sor*in hätte das den Vorteil einer – möglicherweise ver- bindlichen, jedenfalls informativen — Rückmeldung über die Erfüllung der Leistungsanforderungen. Weil die Be- währungsfeststellung bei der Juniorprofessur aber eine Berufszugangsprüfung darstellt, müsste die abschließen- de Bewertung ohnehin einem sachkundig besetzten Gremium vorbehalten bleiben106, das aber auf breitere Bewertungsgrundlagen oder jedenfalls einen struktu- rierteren Selbstbericht über die zurückliegende wissen- schaftliche Tätigkeit zurückgreifen könnte. Eine Platt- formlösung zur Erfassung und Darstellung der wissen- schaftlichen Leistungen könnte ferner im Zusammen- hang mit der Gewährung von Leistungsbezügen erwogen werden: Die Potentiale des Einsatzes einer solchen Sammlung dürfte allerdings eher für Dienstherrn bzw. den Besoldungsgesetzgeber interessant sein, um Grund- lagen für eine Anpassung zu haben und auf einen Rück- gang der wissenschaftlichen Leistungen bzw. Leistungs- fähigkeit reagieren zu können. In beiden Beispielen wür- de es sich aber nur um die automatisierte Aufbereitung und Visualisierung der von den Beschäftigten angegebe- nen bzw. bereitgestellten Daten handeln.
3. Tracking, Datenzuordnung und Bewertung
Zusätzliche Anforderungen bestehen für das „Tracking“ der Kandidat*innen, also die automatisierte kontinuier- liche Suche nach Leistungen oder Erwähnungen der Per- son in elektronisch verfügbaren Quellen. Auch die auto- matisierte Verknüpfung „unbekannter“ Themenfelder zu einzelnen Kandidat*innen, also die Zuordnung neuer Merkmale zu einer bestimmten Person, kollidiert ebenso wie die Suche nach und die Verfolgung von Verbindun- gen zu anderen Wissenschaftler*innen als Verarbeitung
106 OVG Magdeburg, U. v. 19.3.2008 – 3 L 18/07, juris.
Herrmann · Berufungsverfahren für Professuren und künstliche Intelligenz 4 1
personenbezogener Daten besonderen Schutzregeln. Schließlich ist die von der Bewertungsplattform zu leis- tende „Bewertung“ wissenschaftlicher Leistungen, also die Zuordnung einer Wertzahl oder eines Platzes in einer Kandidatenreihenfolge eine automatisierte Datenverar- beitung derzeit kaum rechtmäßig.
Diese Funktionen zielen nicht mehr auf eine bloße Darstellung, sondern bereits auf eine Entscheidung ab, d.h. auf eine automatisierte Bewertung von Persönlich- keitsmerkmalen107. Konkret handelt es sich um Varianten von Profiling – nach Art. 4 Nr. 4 DSGVO handelt es sich dabei um die automatisierte Verarbeitung personenbe- zogener Daten zu dem Zweck, bestimmte persönliche Aspekte, die sich auf eine natürliche Person beziehen, zu bewerten108. Dies wird offensichtlich durch die verglei- chenden Zuordnung von Punktzahlen aus dem Wertbe- reich 0–100 erfüllt. Es gilt aber auch für die Zuordnung neuer Leistungsumstände (Veröffentlichungen, Konfe- renzteilnahmen bzw. sonstiger Leistungen im Sinne der Teilkriterien) beim „kontinuierlichen Träcking“ sowie „unbekannter“ Themen zu einer Person wie für die Festlegung einer „Verbindung“ zwischen Wissenschaftler*innen. Mit diesen Funktionen sind au- tomatisierte Ergänzungen der Profile von Bewerber*innen vorgesehen, also automatisierte Ent- scheidungen über die mit einzelnen Personen verknüpf- ten Merkmale. Art. 22 Abs. 1 DSGVO sieht dazu ein all- gemeines Verbot der automatisierten Entscheidung vor und postuliert: „Die betroffene Person hat das Recht, nicht einer ausschließlich auf einer automatisierten Ver- arbeitung – einschl. Profiling – beruhenden Entschei- dung unterworfen zu werden, die ihr gegenüber rechtli- che Wirkung entfaltet (…).“ Art. 22 Abs. 1 DSGVO be- schränkt das Verbot auf Vorgänge, auf deren gesamten Entscheidungsfindungsprozess und dessen Ergebnis kei- ne natürlichen Personen inhaltlich eingewirkt hat109. Die verantwortliche Stelle könnte dem Verbot dadurch aus-
- 107 Kamlah in: Plath, DSGVO/BDSG/TTDSG, 4. Auflage 2023, Art. 22 DSGVO, Rn. 1; Taeger in: Taeger/Gabel, DSGVO — BDSG — TT- DSG, 4. Aufl. 2022, Art. 22 DSGVO, Rn. 25.
- 108 Taeger in: Taeger/Gabel, DSGVO — BDSG — TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 22 DSGVO, Rn. 40.
- 109 Hoeren/Niehoff, RW 1/2018, S. 47, 53; Atzert in: Schwartmann/ Jaspers/Thüsing/Kugelmann, DS-GVO/BDSG, Artikel 22 DSGVO, Rn. 75
- 110 Atzert in: Schwartmann/Jaspers/Thüsing/Kugelmann, DS-GVO/ BDSG, Artikel 22 DSGVO, Rn. 75.
- 111 Hoeren/Niehoff, RW 1/2018, S. 47, 53.
- 112 Buschbacher/Weber/Burchardt, in: DFKI/Bitkom e.V. (Hrsg.):Künstliche Intelligenz — Wirtschaftliche Bedeutung, gesellschaft- liche Herausforderungen, menschliche Verantwortung (2022),
S. 89 Quelle: https://www.dfki.de/fileadmin/user_upload/ import/9744_171012-KI-Gipfelpapier-online.pdf (zuletzt abgerufen
weichen, dass verfahrenstechnisch ausnahmslos eine menschliche Letztentscheidung vorgesehen wird, wobei es keine bloße „pro forma“- Mitwirkung110 sein darf: Die menschliche Einwirkung auf den Entscheidungsprozess muss sich inhaltlich mit der Entscheidung auseinander- setzen und über die bloße Zustimmung hinausgehen111.
Dabei hätte es kaum Bedeutung, wenn die Beru- fungskommission sich weiterhin zur Vorbereitung eines Berufungsvorschlags mit den von der Bewertungsplatt- form vorgeschlagenen Bewerber*innen auseinandersetzt und diese etwa zur Anhörung oder zum Vorstellungsge- spräch einlädt sowie externe und ggf. vergleichende Gut- achten einholt, bevor sie final über eine Berufungsemp- fehlung beschließt. Auch die Beratung und Abstimmung des Fakultätsrates über eine Berufungsvorschlag, Prü- fung des Berufungsvorschlags durch die Hochschullei- tung bzw. das staatliche Ministerium bei Erteilung des Rufes, und die kontinuierliche Überwachung der Ernen- nungsvoraussetzungen noch während der Berufungs- verhandlungen bis zur Ernennung oder Vertragsunter- zeichnung mit der*dem ausgewählten Bewerber*in wür- den nicht sicherstellen, dass eine inhaltliche menschli- che Einwirkung auf die Entscheidung über die Bewerbungen in jedem Fall gewährleistet ist. Das liegt zum einen daran, dass bei Entscheidungsprozessen Ent- scheidungsvorschläge, die für sich eine rationale Vorbe- reitung und Begründung beanspruchen (auch wenn sie wie bei der KI auf statistischen Korrelationen beruhen), zur Verantwortungsverlagerung weg von der menschli- chen inhaltlichen Einwirkung und Auseinandersetzung hin zur „Plausibilitätsprüfung“ oder gar zum bloßen „Abnicken“ einladen112. Deshalb erfordert die Verlage- rung des kognitiven Anteils an Entscheidungsprozessen in die KI eine bewusste Ausgestaltung, Aufmerksamkeit und Sicherstellung menschlicher Einwirkung.113 Zum an- deren – und das ist schon ein aktueller Missstand – feh- len in den Berufungsverfahren oft Dokumentationen für
am: 03.12.2023). Siehe zu Vorbehalten in Unternehmen, die KI- Tools zur Personalauswahl einsetzen, insbesondere zur Abnahme der Zufriedenheit mit dem Auswahlprozess Thalmann/Felix, Künstliche Intelligenz in der Personalauswahl, 2021, S. 13 ff. Quelle: s.o. Fußnote 2 (zuletzt abgerufen am: 03.12.2023); siehe auch zur Wirkung von KI-Tools zur Reduzierung von Diskriminierung: Fleck/Rounding/Özgül, Künstliche Intelligenz in der Personalaus- wahl, 2022, S. 3 Quelle: https://www.denkfabrik-bmas.de/filead- min/Downloads/Publikationen/Kuenstliche-Intelligenz-in-der- Personalauswahl.pdf (zuletzt abgerufen am 03.12.2023); Müthlein in: Zilkens/Gollan, Datenschutz in der Kommunalverwaltung, Kapitel 8 Beschäftigtendatenschutz, Rn. 999.
113 Buschbacher/Weber/Burchardt, in: DFKI/Bitkom e.V. (Hrsg.): Künstliche Intelligenz — Wirtschaftliche Bedeutung, gesellschaftli- che Herausforderungen, menschliche Verantwortung 2022, S. 86.
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Entscheidungen betreffend die Bewerbungen unterlege- ner, nicht ausgewählter Bewerber*innen114. In vielen Hochschulen ist es zudem Usus, dass lediglich die Beru- fungsempfehlungen der Berufungskommission und die Bewerbungsunterlagen der Listenplatzierten den ande- ren Hochschulgremien zugeleitet werden. Damit wird nicht nur die o.g. Anforderung einer vollständigen Be- scheidung aller Bewerbungen und Begründung der Aus- wahlentscheidung hinsichtlich der nicht vorgeschlage- nen Personen verfehlt. Anderen Hochschulgremien, un- terlegenen Bewerber*innen und den Gerichten bleibt eine Bestätigung bzw. Kontrolle der Auswahlentschei- dung verwehrt, wenn sich die Dokumentation einseitig auf die Erkenntnisse beschränkt, die über die ausgewähl- ten Bewerber*innen gewonnen worden sind, ohne den Eignungs- und Leistungsvergleich zu den nicht ausge- wählten Bewerber*innen nachvollziehbar zu machen115. Unter Fortschreibung der heutigen Entscheidungs- und Begründungsgepflogenheiten bestünde die Gefahr, dass Bewerber*innen von der durch ausschließlich automati- sierte Bewertungen vorbereiteten Entscheidung der Be- rufungskommission, andere Kandidat*innen näher zu betrachten, (negativ) betroffen werden, ohne dass die ab- weisende Aussage von der menschlichen inhaltlichen Einwirkung auf den Entscheidungsprozess umfasst wäre. Gleichwohl erfahren die betroffenen Bewerber*innen auch bei der im Evalitech-Projekt skizzierten Bewer- tungsplattform nicht, ob überhaupt – und, wenn ja, wann — eine menschliche Einwirkung auf den Entschei- dungsprozess über ihre Bewerbung stattfand, ob die zu- grunde gelegten wissenschaftlichen und beruflichen Leistungen zutreffend erfasst waren und ob die Bewer- tungen diskriminierungsfrei und nach einheitlichen Maßstäben zugewiesen worden sind – dafür müssten sie Einblick in die Algorithmen, jedenfalls die Bewertungs- ergebnisse und zugrunde gelegten personenbezogenen Merkmale haben.
Durch eine Einwilligung des Betroffenen (sofern er die Verarbeitung zum Zwecke der Entscheidung kennt) kann jedenfalls gem. Art. 22 Abs. 2 Buchst. c) DSGVO wiederum eine Ausnahme vom Verbot eröffnet werden. Für den Einsatz dieser Funktionen bei der Besetzung von Professuren ist jedoch vor allem die Ausnahme in Art. 22 Abs. 2 Buchst. b DSGVO interessant, wonach die Mitgliedstaaten durch Rechtsvorschriften automatisierte
- 114 Vgl. zu den Anforderungen: VGH München, B. v. 6.2.1998 – 7 CE 97.3209, juris, Rn. 30; Neukirchen/Emmrich ua., a.a.O., S. 58.
- 115 OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 1.3.2016 – 4 N 59.14, juris, Rn. 14.
- 116 Taeger in: Taeger/Gabel, DSGVO — BDSG — TTDSG, 4. Aufl. 2022,Art. 22 DSGVO, Rn. 55.
- 117 Pautsch in: Pautsch/Hoffmann, VwVfG, 2. Auflage 2021, § 35a, Rn.9; einschr. U./Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl.
Entscheidungen erlauben dürfen, neben den Gesetzen im formellen Sinn (Parlamentsgesetze des Bundes oder der Länder) sind mit diesem Begriff auch Satzungen ein- geschlossen116. Allerdings hat der Bund mit § 35a VwVfG den Erlass eines Verwaltungsakts durch vollständig au- tomatische Einrichtungen nur zugelassen, wenn dies durch Gesetz, Verordnung oder Satzung vorgesehen ist und weder ein Beurteilungsspielraum (auf der Sachver- haltsebene) noch ein Ermessen (auf der Rechtsfolgensei- te) besteht117. Demnach scheidet sowohl die (ausschließ- lich automatisierte) Feststellung als auch die Bewertung von Leistungen für die Besetzung einer Professur aus dem Anwendungsbereich der deutschen Öffnungsklau- sel aus, weil in beiden Bereichen umfangreiche und ver- fassungsrechtlich geschützte Bewertungsspielräume der Berufungskommission bzw. der Hochschule bestehen. Ausdrücklich verbietet schließlich § 114 Abs. 4 BBG, be- amtenrechtliche Entscheidungen ausschließlich auf eine automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten zu stützen, die der Bewertung einzelner Persönlichkeits- merkmale dient. Auch bei einer elektronischen Perso- nalaktenführung müssen deshalb Entscheidungen – auch zu Stellenbesetzungen118 –, die auf umfassenden in- dividuellen Würdigungen der aus Personalakten resul- tierenden Ergebnissen beruhen, durch natürliche Personen getroffen werden119 und dürfen nicht durch au- tomatisiert erstellte Datenbankauswertungen ersetzt werden120.
4. Zweckänderung bei außerwettbewerblicher Daten- nutzung
Zuletzt bedarf der im Evalitech-Projekt beschriebene Vorgang besonderer Aufmerksamkeit, dass die Leis- tungsbewertung der Bewertungsplattformvollzogen wird „auf Basis aller Kandidaten, die sich im Evalitech Metrik-Pool befanden“. Die kontinuierliche Verarbei- tung personenbezogener Daten ohne ein bestehendes Beschäftigungs- und Bewerbungsverhältnis wäre ohne ausdrückliche Einwilligung der Betroffenen schon unzu- lässig. Eine Rechtsvorschrift zur Einrichtung einer per- manenten Vergleichsplattform oder eine sonstige Rechtsgrundlage für eine solche Dauerbewertung gibt es nicht. Weil bisher keine Korrektur- und Ergänzungsvor- behalte zugunsten der einbezogenen Wissenschaftler*innen vorgesehen sind, dürften auch
2022, § 35a Rn. 41.
118 Schwarz, in: BeckOK BeamtenR Bund, 30. Ed. 15.7.2023, BBG § 114
Rn. 6.1.
119 Zum Vorstehenden: Taeger in: Taeger/Gabel, DSGVO — BDSG -
TTDSG, 4. Aufl. 2022, Art. 22 DSGVO, Rn. 57 ff.
120 Vgl. Gesetzentwurf der BReg, BT-Drucks. 16/7076, S. 127 d. Begr.
Herrmann · Berufungsverfahren für Professuren und künstliche Intelligenz 4 3
die Vergleichsergebnisse der Bewertungsplattform unplausibel sein. Dass dabei die Voraussetzungen für eine zulässige Zweckänderung gewahrt sein könnten (Art. 6 Abs. 4 DSGVO), erscheint unwahrscheinlich. Welche Schutzmaßnahmen (teilweise Löschungen, Ano- nymisierung etc.) vorgesehen oder vorzusehen wären, wurde im Evalitech-Projekt nicht untersucht.
VI. Fazit
Das Evalitech-Projekt steht stellvertretend für aktuelle Überlegungen, die Personalauswahl bei der Besetzung von Professuren durch Instrumente künstlicher Intelli- genz zu unterstützen. Evalitech weist dabei die Beson- derheit auf, dass für Professuren mit Bezug zur Digitali- sierung und Industrie 4.0 eine besondere Indikatorik entworfen und empfohlen wird. Dieser spezifische und innovative Kriterienkatalog, der zur Einstellung „besse- rer“ Personen für diese Professuren führen soll, steht in einem Spannungsverhältnis zu den gesetzlichen Einstel- lungsvoraussetzungen und sonstigen, im Anforderungs- profil festgehaltenen konstitutiven Anforderungsmerk- malen. Unter Bezugnahme auf den Gleichbehandlungs- grundsatz und den Bewerbungsverfahrensanspruch können Bewerber*innen verlangen, dass die Hochschu- le nur Bewerbungen von Personen berücksichtigt, die diese Kriterien auch erfüllen. Dazu muss die Evalitech- Indikatorik nachgebessert werden.
Der Einsatz künstlicher Intelligenz berührt bei den Berufungsverfahren zur Besetzung von Professuren die inhaltliche Mitwirkung von Professor*innen. Die Durch- setzungsfähigkeit der Gruppe der Hochschullehrenden in Berufungskommission steht unter einem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Zugleich sichert und er- fordert die Mitwirkung der Hochschullehrenden die notwendige fachkundige Besetzung der Berufungskom- mission. Die inhaltliche Entscheidungsbefugnis der Be- rufungskommission über die fachliche Eignung der Be- werbenden wird wiederum verfassungsrechtlich gegen die Einwirkung von Leitungs- und staatlichen Instanzen geschützt. Damit korrespondiert eine inhaltliche Mit- wirkungsverantwortung der Mitglieder der Berufungs- kommission, die ihnen auch als drittschützende Amts- pflicht obliegt. Zum Schutz der Grundrechte der Bewer- benden haben die Hochschulen dabei eine Dokumenta- tion der Verfahrensschritte und Auswahlerwägungen sicherzustellen, die alle am Berufungsverfahren beteilig- ten Hochschulorgane, die Bewerbenden und schließlich auch zur Kontrolle eingeschaltete Gerichte in die Lage versetzen muss, die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zu prüfen sowie die Leistungs- und Eignungsbewertungen
verifizierbar zu machen. Die inhaltliche Leistungs- und Eignungsbewertung kann demnach nicht aus der Beru- fungskommission auf eine Bewertungsplattform ausge- lagert werden; das gilt für die Listenplatzierten und alle anderen Bewerbenden.
Der Berufungskommission steht für die Zusammen- stellung der zu vergleichenden wissenschaftlichen und beruflichen Leistungen der Bewerber*innen ein Beurtei- lungsspielraum zu. Wenn sie diese Leistungen einer Be- wertung unterzieht, kommt ihr hinsichtlich der Abstu- fungen im Eignungsurteil abermals ein weites Ermessen zu. Dabei hat die Berufungskommission zwar auch ex- terne Leistungsbewertungen zu berücksichtigen, wie es z.B. für externe (vergleichende) Gutachten oft vorge- schrieben wird. Dabei unterliegt sie aber keinen Bindun- gen. Für den Vergleich der heterogenen Leistungen von Wissenschaftler*innen sind arithmetische Vergleichsbe- trachtungen und Punktesysteme keine Lösung. Wie Be- wertungsvorschläge von KI-Tools im Berufungsverfah- ren unter diesen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden können, wurde auch im Evalitech-Projekt nicht untersucht.
Letztlich bestehen gegen die Anwendung automati- sierter Datenverarbeitung zu Bewertung persönlicher Leistungsmerkmale vielfältige und tiefgreifende daten- schutzrechtliche Bedenken. Ob die im Evalitech-Projekt vorgeschlagenen Bewertungsplattform ausschließlich auf freiwilligen Angaben realisiert werden kann, wurde nicht untersucht, sondern dahingehend beantwortet, dass automatisierte Zuordnungen weiterer Merkmale (kontinuierliches „tracking“ bei wissenschaftlichen Ver- öffentlichungen und anderen beruflichen Leistungen, Verknüpfung von Personen mit „unbekannten Themen“ und Beziehungsmerkmalen zu anderen Wissenschaft- ler*innen) ohne Kenntnis und Korrekturmöglichkeit der Betroffenen vorgesehen sind. Da bisher keine Rechtsvor- schrift die automatisierte Datenverarbeitung im Be- schäftigungskontext zulässt, muss für die Evalitech-Be- wertungsplattform und andere KI-Instrumente erst noch geklärt werden, wie die verfassungsrechtlich gefor- derte inhaltliche Entscheidung der Berufungskommissi- on und ihrer Mitglieder geschützt und unterstützt wird.
Klaus Herrmann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Dombert Rechtsanwälte PartmbB Potsdam sowie Honorarprofessor für Verwaltungs- recht und Wirtschaftsverwaltungsrecht an der Bran- denburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus- Senftenberg und Lehrbeauftragter der M.-Luther-Uni- versität Halle-Wittenberg sowie der Technischen Universität Berlin.
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