Menü Schließen
Klicke hier zur PDF-Version des Beitrags!

I. Die Emp­feh­lun­gen von Deut­scher For­schungs­ge­mein­schaft und Leo­pol­di­na
Der von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft und der Deut­schen Aka­de­mie der Natur­for­scher Leo­pol­di­na ein­ge­rich­te­te Gemein­sa­me Aus­schuss zum Umgang mit sicher­heits­re­le­van­ter For­schung hat mit Stand vom 1. Novem­ber 2022 Emp­feh­lun­gen zum ver­ant­wort­li­chen Umgang mit sicher­heits­re­le­van­ter For­schung beschlossen.1 Ziel der Emp­feh­lun­gen ist die Mini­mie­rung des Risi­kos miss­bräuch­li­cher Ver­wen­dung von For­schungs­er­geb­nis­sen in sicher­heits­re­le­van­ten Berei­chen: In nahe­zu allen Wis­sen­schafts­be­rei­chen bestehe die Gefahr, dass für sich genom­men neu­tra­le oder nütz­li­che Ergeb­nis­se der For­schung durch ande­re Per­so­nen zu schäd­li­chen Zwe­cken miss­braucht wer­den. Her­aus­for­de­run­gen bestün­den ins­be­son­de­re bei wis­sen­schaft­li­chen Arbei­ten, bei denen die Mög­lich­keit besteht, dass sie Wis­sen, Pro­duk­te oder Tech­no­lo­gien her­vor­brin­gen, die unmit­tel­bar von Drit­ten miss­braucht wer­den kön­nen, um Men­schen­wür­de, Leben, Gesund­heit, Frei­heit, Eigen­tum, Umwelt oder ein fried­li­ches Zusam­men­le­ben erheb­lich zu schä­di­gen (sog. besorg­nis­er­re­gen­de sicher­heits­re­le­van­te For­schung- Dual-Use Rese­arch of Con­cern).
Als Bei­spie­le nennt der Aus­schuss die Ver­tei­di­gungs­tech­nik, in der die Mate­ri­al­for­schung und die Nano­tech­no­lo­gie zur Ent­wick­lung von Angriffs­waf­fen füh­ren kön­ne, die For­schung zu auto­nom agie­ren­den Robo­tern, die zur Kon­struk­ti­on intel­li­gen­ter Kriegs­ro­bo­ter befä­hi­gen kön­ne, die Kern­ener­gie­for­schung, die For­schung zu patho­ge­nen Mikro­or­ga­nis­men und Toxi­nen, die mög­li­cher­wei­se für neue Bio­waf­fen und für ter­ro­ris­ti­sche Anschlä­ge nutz­bar sei­en, die Ana­ly­sen in der mole­ku­la­ren Pflan­zen­genetik, die geziel­te Angrif­fe auf Saat­gut ermög­li­chen könn­ten, For­schun­gen in der Infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gie, die zur umfas­sen­den Über­wa­chung und Repres­si­on von Per­so­nen genutzt wer­den könn­ten, medi­zi­ni­sche oder neu­ro­bio­lo­gi­sche For­schun­gen, wel­che die Mani­pu­la­ti­on von Per­so­nen bis hin zu Fol­ter unter­stüt­zen könn­ten, und lin­gu­is­ti­sche For­schun­gen an Sprach­er­ken­nungs­sys­te­men, die unter Umstän­den auch für miss­bräuch­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­ons­über­wa­chung ein­setz­bar sei­en. Letzt­lich könn­ten sogar Geistes‑, Kultur‑, Sozi­al- und Ver­hal­tens­wis­sen­schaf­ten sicher­heits­re­le­van­te Ergeb­nis­se hervorbringen.2
Die Ver­pflich­tung zur Risi­ko­mi­ni­mie­rung trifft nach den Emp­feh­lun­gen nicht nur die For­schen­den und die an ihren Pro­jek­ten mit­wir­ken­den Per­so­nen selbst, son­dern auch die Ein­rich­tun­gen, an denen jene tätig sind. Die Ein­rich­tun­gen sind danach zu Sicher­heits­maß­nah­men ver­pflich­tet und haben bei miss­brauchs­ge­fähr­de­ter For­schung Mit­ar­bei­ten­de und Koope­ra­ti­ons­part­ner sorg­fäl­tig und unter Berück­sich­ti­gung ihrer Ver­läss­lich­keit und ihres Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­seins aus­zu­wäh­len. Dabei sol­len Maß­nah­men zur Risi­ko­mi­ni­mie­rung auch dar­in bestehen kön­nen, dass ein­zel­ne For­schun­gen nur in bestimm­ten Koope­ra­tio­nen durch­ge­führt wer­den und unter dem Aspekt der Risi­ko­mi­ni­mie­rung auf Part­ner oder Mit­ar­bei­ter aus bestimm­ten Staa­ten ver­zich­tet wird. Wört­lich heißt es dazu in den Emp­feh­lun­gen:
„Maß­nah­men zur Risi­ko­mi­ni­mie­rung kön­nen auch dar­in bestehen, dass ein­zel­ne For­schun­gen nur in bestimm­ten Koope­ra­tio­nen durch­ge­führt wer­den. Inter­na­tio­na­le Koope­ra­ti­on ist zwar ein Grund­prin­zip erfolg­rei­cher For­schung, im Ein­zel­fall kann sich unter dem Aspekt der Risi­ko­mi­ni­mie­rung gleich­wohl eine Ein­schrän­kung der Zusam­men­ar­beit oder ein Ver­zicht auf Part­ne­rin­nen oder Part­ner oder Mit­ar­bei­ten­de aus beMan­fred
Löwisch/Marie Ansel­ment
Beschäf­ti­gungs­ver­bot für Wis­sen­schaft­ler aus
Risi­ko­staa­ten?
1 Natio­na­le Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten Leo­pol­di­na und Deut­sche For­schungs­ge­mein­schaft (2022): Wis­sen­schafts­frei­heit und Wis­sen­schafts­ver­ant­wor­tung – Emp­feh­lun­gen zum Umgang mit sicher­heits­re­le­van­ter Forschung/Scientific Free­dom and Sci­en­ti­fic Res pon­si­bi­li­ty – Recom­men­da­ti­ons for Hand­ling of Secu­ri­ty-Rele­vant Rese­arch, 2. Aktua­li­sier­te Auf­la­ge, abruf­bar unter www.sicherheitsrelevante-forschung.org.
2 Emp­feh­lun­gen S. 9 f; hin­sicht­lich der Infor­ma­ti­ons tech­no­lo­gie könn­te man die Gefahr umfas­sen­der sys tema­ti­scher Cyber­an­grif­fe hin­zu­fü­gen, vgl. die Berich­te über Hacker-Angrif­fe aus Nord­ko­rea ( sie­he etwa Süd­deut­schen Zei­tung vom 07.02.2023 https://www.sueddeutsche.de/wissen/atom-un-nordkoreas-hacker‑s teh­len-rekord­sum­men-kim-rues tet-auf-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101–230207-99–498851).
Ord­nung der Wis­sen­schaft 2023, ISSN 2197–9197
1 3 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 1 — 1 3 8
3 All­ge­mein zur Rele­vanz sol­cher Aus­fuhr­be­schrän­kun­gen für
die Wis­sen­schaft sie­he den Tagungs­be­reicht „Wis­sen­schaft und
Export­kon­trol­le“ von Anto­nia Hage­dorn in die­sem Heft S. 183 ff.
4 Callies/Ruffert/Brechmann, EUV/AEUV 6. Aufl. 2022,
Art. 45 AEUV Rn 46; Geiger/Khan/Kotzur/Kirchmair/Khan/Gerckens,

  1. Aufl. 2023, AEUV Art. 45 Rn 27.
    5 EuGH 18.07.2017, C- 566/15, Rn. 33; Callies/Ruffert/Brechmann aaO
    Rn 51.
    6 Callies/Ruffert/Brechmann aaO Rn 54.
    7 EuGH 06.6.2000 C ‑281/98, Rn 30 ff (Ango­ne­se); Callies/Ruffert/
    Brech­mann aaO Rn 54; Beck­OK Migra­ti­ons- und Integrationsrecht/
    Dittrich, 14. Ed. 15.1.2023, AEUV Art. 45 Rn 8.
    8 Callies/Ruffert/Brechmann aaO Rn 113f.
    9 Callies/Ruffert/Brechmann aaO Rn 115.
    stimm­ten Staa­ten oder Insti­tu­tio­nen emp­feh­len. Anhalts­punk­te
    für Staa­ten, in denen ein Miss­brauch bestimm­ter
    For­schungs­er­geb­nis­se zu befürch­ten ist, kön­nen
    sich aus den natio­na­len und inter­na­tio­na­len Vor­schrif­ten
    oder Lis­ten über Aus­fuhr­be­schrän­kun­gen
    ergeben“.3
    Dass der Gemein­sa­me Aus­schuss für den Ein­zel­fall
    den Ver­zicht nicht nur auf Part­ner aus bestimm­ten Staa­ten,
    son­dern auch auf Mit­ar­bei­ter aus bestimm­ten Staa­ten
    emp­fiehlt, wirft die Fra­ge nach deren Dis­kri­mi­nie­rung
    auf: Ist es zuläs­sig, die Ein­stel­lung von Wis­sen­schaft­lern
    des­halb abzu­leh­nen, weil sie Ange­hö­ri­ge eines
    bestimm­ten Staa­tes sind oder auch, ohne die­se Staats­an­ge­hö­rig­keit
    zu besit­zen, aus die­sem Staat kom­men?
    Die­ser Fra­ge wird im Fol­gen­den nach­ge­gan­gen.
    II. Wis­sen­schaft­ler aus Staa­ten der Euro­päi­schen Union
  2. Grund­satz der Arbeit­neh­mer­frei­zü­gig­keit
    Art. 45 Abs. 1 AEUV gewähr­leis­tet inner­halb der EU die
    Frei­zü­gig­keit der Arbeit­neh­mer. Nach Absatz 2 der Vor­schrift
    umfasst die­se Frei­zü­gig­keit die Abschaf­fung jeder
    auf der Staats­an­ge­hö­rig­keit beru­hen­den unter­schied­li­chen
    Behand­lung der Arbeit­neh­mer der Mit­glied­staa­ten
    in Bezug auf Beschäf­ti­gung. Aus der Vor­schrift folgt bei
    Ein­stel­lun­gen grund­sätz­lich ein abso­lu­tes Dif­fe­ren­zie­rungs­ver­bot
    aus Grün­den der Staatsangehörigkeit.4 Wie
    für alle Beschäf­tig­ten gilt das auch für Wis­sen­schaft­ler.
    Das Ver­bot erfasst dabei nicht nur die unmit­tel­ba­re
    Dif­fe­ren­zie­rung wegen der Staats­an­ge­hö­rig­keit, son­dern
    auch jede ande­re natio­na­le Rege­lung, die, wenn auch
    ohne direk­te Dis­kri­mi­nie­rung wegen der Staats­an­ge­hö­rig­keit,
    geeig­net ist, den Gebrauch der Frei­zü­gig­keit
    durch einen Uni­onbür­ger zu behin­dern oder weni­ger attrak­tiv
    zu machen.5 Das ver­bie­tet es im Grund­satz auch,
    sich bewer­ben­de Uni­ons­bür­ger des­halb nicht ein­zu­stel­len,
    weil sie zuvor in einem ande­ren Staat tätig gewe­sen
    sind.
    Adres­sat des Art. 45 AEUV und damit auch des Dif­fe­ren­zie­rungs­ver­bots
    bei Ein­stel­lun­gen ist in ers­ter Linie
    der Mit­glied­staat als Trä­ger öffent­li­cher Gewalt. Staat­li­che
    Rege­lun­gen und ande­re staat­li­che Maß­nah­men dür­fen
    Bür­ger ande­rer Uni­ons­staa­ten grund­sätz­lich nicht
    schlech­ter stel­len als Deutsche.6 Erfasst wer­den damit
    die staat­li­chen Hoch­schu­len, aber, soweit sie als Anstal­ten
    des öffent­li­chen Rechts orga­ni­siert sind, auch die
    Uni­ver­si­täts­kli­ni­ka.
    Art. 45 AEUV gilt nach der Recht­spre­chung des
    EuGH aber auch für pri­va­te Arbeit­ge­ber, weil die­se sonst
    kraft ihrer Ver­trags­frei­heit Hin­der­nis­se für die Frei­zü­gig­keit
    der Arbeit­neh­mer auf­rich­ten könn­ten, die dem
    Staat ver­bo­ten wären.7 Dem­entspre­chend erklärt
    Art. 7 Abs. 4 der Frei­zü­gig­keits­ver­ord­nung
    (VO [EU] 492/2011) Rege­lun­gen in Tarif- oder Ein­zel­ar­beits­ver­trä­gen
    oder sons­ti­gen Kol­lek­tiv­ver­ein­ba­run­gen
    betref­fend den Zugang zur Beschäf­ti­gung für nich­tig, soweit
    sie für Arbeit­neh­mer, die Staats­an­ge­hö­ri­ge ande­rer
    Mit­glied­stat­ten sind, dis­kri­mi­nie­ren­de Bedin­gun­gen
    vor­se­hen oder zulas­sen. Die Fol­ge ist, dass auch pri­vat­recht­lich
    orga­ni­sier­te For­schungs­ein­rich­tun­gen wie die
    Max-Planck-Gesell­schaft, die Fraun­ho­fer Gesell­schaft,
    die Helm­holtz Gesell­schaf­ten und die Insti­tu­te der Leib­niz
    Gemein­schaft, die durch­weg als ein­ge­tra­ge­ne Ver­ei­ne
    orga­ni­siert sind, Wis­sen­schaft­ler aus Uni­ons­staa­ten
    grund­sätz­lich nicht wegen ihrer Staats­an­ge­hö­rig­keit von
    einer Beschäf­ti­gung aus­schlie­ßen dürfen.
  3. Ein­schrän­kung wegen Sicher­heits­re­le­vanz
    Auch die Frei­zü­gig­keit ist nicht schran­ken­los gewähr­leis­tet.
    Eine ers­te Aus­nah­me kon­sti­tu­iert Art. 45 AEUV in
    sei­nem Absatz 4 selbst. Danach fin­det die Bestim­mung
    kei­ne Anwen­dung auf die Beschäf­ti­gung in der öffent­li­chen
    Ver­wal­tung. Unter öffent­li­cher Ver­wal­tung ver­steht
    das euro­päi­sche Recht hier wie in ande­ren Vor­schrif­ten
    frei­lich nur die Stel­len, die unmit­tel­bar oder mit­tel­bar
    hoheit­li­che Befug­nis­se aus­üben. Die Mit­glied­staa­ten
    dür­fen nur kon­kre­te, mit einer bestimm­ten Funk­ti­on
    ver­bun­de­ne Stel­len in der öffent­li­chen Ver­wal­tung eige­nen
    Staats­an­ge­hö­ri­gen vorbehalten.8 Zu die­sen zäh­len in
    Hoch­schu­len und staat­li­chen For­schungs­ein­rich­tun­gen
    mög­li­cher­wei­se Lei­tungs­funk­tio­nen, nicht aber die
    Wahr­neh­mung blo­ßer Lehr- und
    Forschungstätigkeiten.9
    Rele­van­ter ist die zwei­te, in Art. 45 Abs. 3 AEUV ent­hal­te­ne
    Aus­nah­me, nach der die Frei­zü­gig­keit in Bezug
    auf die Beschäf­ti­gung unter dem Vor­be­halt der aus
    Löwisch/Anselment · Beschäf­ti­gungs­ver­bot für Wis­sen­schaft­ler aus Risi­ko­staa­ten? 1 3 3
    10 BeckOGK/Spindler, 1.2.2023, BGB § 823 Rn 256.
    11 Zum Anspruch auf Ver­trags­schluss als Kon­se­quenz von
    § 249 Abs. 1 BGB sie­he all­ge­mein BGH 6. 6. 1974, II ZR 157/72, DB
    1974, 1719; BAG 16. 3. 1989, 2 AZR 325/88, DB 1989, 1728.
    12 Roloff/Lampe, JuS 2007, 354, 355; Münch­ner Hand­buch zum Arbeitsrecht/
    Benecke, 5. Auf­la­ge 2021, § 32 Rn. 161; für eine ana­lo­ge
    Anwen­dung des § 15 Abs. 6 AGG auf das Maß­re­ge­lungs­ver­bot des
    § 612a BGB BAG 21.09.2011, 7 AZR 150/10, juris; dem BAG fol­gend
    Hor­cher, RdA 2014, 93, 99.
    13 Henssler/Willemsen/Kalb/Tillmanns, Arbeits­recht Kom­men­tar,
    Art.45 AEUV, Rn 8.
    14 Abkom­men zwi­schen der Euro­päi­schen Gemein­schaft und ihren
    Mit­glied­staa­ten einer­seits und der Schwei­ze­ri­schen Eid­ge­nos­sen­schaft
    ande­rer­seits über die Frei­zü­gig­keit.
    15 Henssler/Willemsen/Kalb/Tillmanns, Arbeits­recht Kom­men­tar,
    Art.45 AEUV, Rn 8; Erfur­ter Kommentar/Schlachter, Arbeits­recht,
    Art. 45 AEUV Rn 8; AR/Krebber, 10. Auf­la­ge 2021 Art. 45 AEUV
    Rn 10.
    Grün­den der öffent­li­chen Ord­nung, Sicher­heit und Gesund­heit
    gerecht­fer­tig­ten Beschrän­kun­gen steht. Das Risi­ko
    des Miss­brauchs sicher­heits­re­le­van­ter For­schung ist
    gewiss Gegen­stand der öffent­li­chen Sicher­heit.
    Indes­sen genügt die all­ge­mei­ne Erwä­gung, Ange­hö­ri­ge
    bestimm­ter Risi­ko­staa­ten könn­ten sicher­heits­re­le­van­te
    For­schun­gen auf einem oder auch meh­re­ren Fel­dern
    miss­brau­chen, nicht zur Beschrän­kung ihrer Frei­zü­gig­keit.
    Nach Art. 27 Abs. 2 der Frei­zü­gig­keits­richt­li­nie
    2004/38/EG darf bei Maß­nah­men, wel­che die
    Frei­zü­gig­keit aus Grün­den der öffent­li­chen Ord­nung
    und Sicher­heit beschrän­ken, aus­schließ­lich das per­sön­li­che
    Ver­hal­ten des Betrof­fe­nen aus­schlag­ge­bend sein.
    Nach Art. 27 Abs. 3 muss die­ses per­sön­li­che Ver­hal­ten
    eine tat­säch­li­che gegen­wär­ti­ge Gefahr dar­stel­len, die ein
    Grund­in­ter­es­se der Gesell­schaft berührt; vom Ein­zel­fall
    los­ge­lös­te oder auf Gene­ral­prä­ven­ti­on ver­wei­sen­de Begrün­dun­gen
    sind nicht zuläs­sig.
    Ein allein auf die Staats­an­ge­hö­rig­keit oder die bis­he­ri­ge
    Tätig­keit in einem bestimm­ten Staat abstel­len­der
    Aus­schluss der Ein­stel­lung von Uni­ons­bür­gern lässt sich
    mit die­ser Vor­ga­be nicht ver­ein­ba­ren. Zuläs­sig ist ein
    Aus­schluss nur, wenn kon­kre­te Umstän­de in der Per­son
    des betref­fen­den Wis­sen­schaft­lers ein sicher­heits­re­le­van­tes
    Risi­ko von Gewicht begrün­den, etwa ihre Ver­öf­fent­li­chun­gen,
    ihre bis­he­ri­ge Tätig­keit oder auch die Zuge­hö­rig­keit
    zu einer bestimm­ten Orga­ni­sa­ti­on den
    Schluss nahe­le­gen, sie nei­ge zu einem unbe­grenz­ten Gebrauch
    auch miss­brauchs­an­fäl­li­ger
    For­schungs­er­geb­nis­se.
  4. Rechts­schutz
    Art. 45 AEUV in Ver­bin­dung mit Art. 7 der Frei­zü­gig­keits­ver­ord­nung
    (VO [EU] 492/2011) die­nen dem Schutz
    der Uni­ons­bür­ger auch in Bezug auf ihre Beschäf­ti­gung.
    Sie sol­len gewähr­leis­ten, dass sie beim Ein­ge­hen von
    Arbeits­ver­hält­nis­sen nicht wegen ihrer Staats­an­ge­hö­rig­keit
    dis­kri­mi­niert wer­den. Als in Deutsch­land unmit­tel­bar
    gel­ten­de Rechts­nor­men kom­men ihnen damit
    Schutz­ge­setz­cha­rak­ter im Sin­ne von § 823 Abs. 2 BGB
    zu.10
    Ver­letzt ein poten­zi­el­ler Arbeit­ge­ber Art. 45 AEUV,
    ver­pflich­tet ihn das nach Maß­ga­be der §§ 249ff BGB
    zum Scha­dens­er­satz. Dabei gilt nach § 249 Abs. 1 BGB in
    ers­ter Linie der Grund­satz der Natu­ral­resti­tu­ti­on: Kann
    ein Bewer­ber nach­wei­sen, dass er ein­ge­stellt wor­den
    wäre, wenn sein Recht auf Frei­zü­gig­keit beach­tet wor­den
    wäre, hat der Anspruch auf Abschluss eines ent­spre­chen­den
    Arbeitsvertrags.11
    Aus § 15 Abs. 6 AGG folgt nichts Ande­res. Der dort
    für die Dis­kri­mi­nie­rungs­fäl­le des AGG ange­ord­ne­te
    Aus­schluss eines Anspruchs auf Begrün­dung eines Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­ses
    gilt hier ent­ge­gen der wohl
    herr­schen­den Meinung12 nicht. § 15 AGG ent­hält eine
    aus­ge­wo­ge­ne Gesamt­re­ge­lung der scha­dens­recht­li­chen
    Fol­gen der Ver­let­zung eines Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bots,
    die in Absatz 2 ins­be­son­de­re auch einen Anspruch auf
    Ersatz des imma­te­ri­el­len Scha­dens umfasst. Aus die­ser
    kann nicht iso­liert ein ein­zel­ner Teil ana­log ange­wandt
    wer­den. Eine ana­lo­ge Anwen­dung der gan­zen Vor­schrift
    und damit auch des Absat­zes 2 schei­tert aber am Ana­lo­gie­ver­bot
    des § 253 Abs. 1 BGB.
  5. Wis­sen­schaft­ler aus asso­zi­ier­ten Staa­ten
    Ange­hö­ri­gen von Staa­ten des Euro­päi­schen Wirt­schaft­raums
    (neben den Staa­ten der EU der­zeit Island,
    Nor­we­gen und Liech­ten­stein) kommt nach Art. 28 des
    Abkom­men über den EWR vom 2.05.1992 und des­sen
    Anhang V voll­um­fäng­li­che Frei­zü­gig­keit iSd.
    Art. 45 AEUV zu.13 Für die Beschäf­ti­gung von Wis­sen­schaft­lern
    aus die­sen Staa­ten gel­ten des­halb die glei­chen
    Regeln wie für Wis­sen­schaft­ler aus Staa­ten der EU.
    Auch Schwei­zer Staats­an­ge­hö­ri­ge genie­ßen auf­grund
    des Frei­zü­gig­keits­ab­kom­men EU-Schweiz vom
    21.06.1999 Arbeitnehmerfreizügigkeit14, so dass für sie
    eben­falls die glei­chen Regeln gel­ten.
    Das Asso­zia­ti­ons­ab­kom­men zwi­schen der Tür­kei
    und der EWG vom 12.09.1963 bil­ligt zusam­men mit den
    kon­kre­ti­sie­ren­den Beschlüs­sen, die unmit­tel­bar wir­ken,
    ein Recht auf wei­te­re Arbeits- und Auf­ent­halts­er­laub­nis
    zu, wenn die Beschäf­ti­gung ein Jahr ord­nungs­ge­mäß
    durch­ge­führt wurde.15 In Art. 12 des Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­mens
    hat die EU mit der Tür­kei ver­ein­bart, schritt­wei­se
    die Frei­zü­gig­keit der Arbeit­neh­mer her­zu­stel­len.
    Vom EUGH wird dies so inter­pre­tiert, dass die ihm Rah­men
    von Art. 45 AEUV gel­ten­de Grund­sät­ze so weit wie
    1 3 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 1 — 1 3 8
    16 EuGH, 19.7.2012, C‑451/11, juris, Rn 48.
    17 Sie­he zu Art. 40 Koope­ra­ti­ons­ab­kom­men EWG-Marok­ko EUGH
    v.2.03.1999, Rs. C- 416/96, NZA 1999, 533, 537; für die Ukrai­ne
    sie­he Art. 17 des Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­men zwi­schen der Euro­päi­schen
    Uni­on und ihren Mit­glieds taa­ten einer­seits und der Ukrai­ne
    ande­rer­seits; für Alba­ni­en sie­he Sta­bi­li­sie­rungs- und Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­men
    mit Alba­ni­en.
    18 Geiger/Khan/Kotzur/Kirchmair/Khan/Gerckens, 7. Aufl. 2023,
    AEUV Art. 45 Rn. 14.
    19 Näher Geiger/Khan/Kotzur/Kirchmair/Khan/Gerckens,
  6. Aufl. 2023, AEUV Art. 45 Rn. 15 f.
    20 Schult­heiß, Auf­ent­halts­rech­te von dritts taats­an­ge­hö­ri­gen Wis­sen­schaft­lern,
    OdW 2018, 3, 4; dem­nächs t auch Cas ten­dyk OdW 2023,
    Heft 4.
    21 Schult­heiß, aaO OdW 2018, 3, 6.
    mög­lich auf Arbeit­neh­mer aus der Tür­kei zu über­tra­gen
    sind.16
    Ande­re Asso­zi­ie­rungs- und Koope­ra­ti­ons­ab­kom­men ent­hal­ten
    zwar hin­sicht­lich der Arbeits­be­din­gun­gen Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te
    wegen der Staats­an­ge­hö­rig­keit,
    bezie­hen die­se aber nicht auf die Zulas­sung zur Beschäf­ti­gung.
    Dies gilt etwa für die Abkom­men mit den Maghreb-
    Staa­ten und die Asso­zia­ti­ons­ab­kom­men mit Alba­ni­en
    und der Ukraine.17
    Für Arbeit­neh­mer aus dem Ver­ei­nig­ten König­reich
    gilt das Aus­tritts­ab­kom­men Groß­bri­tan­ni­ens mit der
    EU, wel­ches die Arbeit­neh­mer­frei­zü­gig­keit zwi­schen der
    EU und Groß­bri­tan­ni­en infol­ge des Brexit been­det hat.18
    Bri­ti­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge, die vor dem 31.12.2020 in der
    EU ansäs­sig waren, genie­ßen jedoch hin­sicht­lich der
    Frei­zü­gig­keit Bestandsschutz.19
    III. Wis­sen­schaft­ler aus Drittstaaten
  7. Beson­de­re Auf­ent­halts­er­laub­nis zum Zweck der For­schung
    a. Grund­sätz­li­cher Anspruch auf Ertei­lung
    Nach § 18d Absatz 1 Auf­ent­halts­ge­setz wird einem Aus­län­der
    ohne Zustim­mung der Bun­des­agen­tur für Arbeit
    eine Auf­ent­halts­er­laub­nis zum Zweck der For­schung
    erteilt, wenn er eine wirk­sa­me Auf­nah­me­ver­ein­ba­rung
    oder einen ent­spre­chen­den Ver­trag mit einer For­schungs­ein­rich­tung
    abge­schlos­sen hat, die For­schung
    betreibt. Die Vor­schrift erfasst alle in der For­schung täti­gen
    Wis­sen­schaft­ler, auch Assis­ten­ten, wis­sen­schaft­li­che
    Mit­ar­bei­ter, Post­dok­to­ran­den und Gastwissenschaftler.20
    Nach § 18 d Abs. 5 Satz 1 Auf­enthG berech­tigt die
    Auf­ent­halts­er­laub­nis zur Auf­nah­me der For­schungs­tä­tig­keit
    bei der in der Auf­nah­me­ver­ein­ba­rung bezeich­ne­ten
    For­schungs­ein­rich­tung und zur Auf­nah­me von Tätig­kei­ten
    in der Leh­re. Die Berech­ti­gung umfasst die
    Auf­nah­me der ent­spre­chen­den Erwerbs­tä­tig­keit und damit
    auch den Abschluss eines ent­spre­chen­den
    Arbeitsvertrags.21
    § 18 d Auf­enthG setzt für Wis­sen­schaft­ler die Bestim­mun­gen
    der Richt­li­nie 2016/801/EU über die Bedin­gun­gen
    für die Ein­rei­se und den Auf­ent­halt von Dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen
    zu For­schungs- oder Stu­di­en­zwe­cken, zur
    Absol­vie­rung eines Prak­ti­kums, zur Teil­nah­me an einem
    Frei­wil­li­gen­dienst, Schü­ler­aus­tausch­pro­gram­men oder
    Bil­dungs­vor­ha­ben und zur Aus­übung einer Au-pair-Tätig­keit
    um. Die­se ent­hält in ihren Arti­keln 9 und 10 nähe­re
    Richt­li­ni­en für die Zulas­sung von For­schungs­ein­rich­tun­gen
    und die Aus­ge­stal­tung der
    Auf­nah­me­ver­ein­ba­run­gen.
    b. Ver­wei­ge­rung der Auf­ent­halts­er­laub­nis wegen
    Sicher­heits­be­den­ken
    Das Auf­ent­halts­ge­setz sieht kei­ne Mög­lich­keit vor, Wis­sen­schaft­lern,
    die Ange­hö­ri­ge eines bestimm­ten Staa­tes
    sind oder aus einem bestimm­ten Staat kom­men, die Auf­ent­halts­er­laub­nis
    zu ver­wei­gern. § 19 f des Geset­zes
    erlaubt nur die Ableh­nung aus den im Ein­zel­nen auf­ge­zähl­ten
    Grün­den. In Betracht kommt ledig­lich die
    Bestim­mung des § 19 f Abs. 4 Nr. 6, nach der auch der
    von For­schern gestell­te Antrag auf Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laub­nis
    abge­lehnt wer­den kann, wenn Bewei­se
    oder kon­kre­te Anhalts­punk­te dafür bestehen, dass der
    Aus­län­der den Auf­ent­halt zu ande­ren Zwe­cken nut­zen
    wird als zu jenen, für die er die Ertei­lung der Auf­ent­halts­er­laub­nis
    bean­tragt.
    Dass ein Aus­län­der die ihm mit der Auf­ent­halts­er­laub­nis
    ermög­lich­te For­schungs­tä­tig­keit zum Miss­brauch
    sicher­heits­re­le­van­ter For­schungs­er­geb­nis­se
    nutzt, ist auf­ent­halts­recht­lich gewiss zweck­wid­rig. Die
    Ableh­nung auch wegen die­ser Gefahr setzt nach der
    Vor­schrift aber Bewei­se oder kon­kre­te Anhalts­punk­te dafür
    vor­aus, dass in der Per­son des betref­fen­den For­schers
    eine sol­che Gefahr besteht.
    Aus den Bestim­mun­gen der Richt­li­nie 2016/801/EU
    ergibt sich nichts Ande­res. Nach deren Art. 7 Abs. 6 ist
    Dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen, die als Bedro­hung für die öffent­li­che
    Ord­nung, Sicher­heit und Gesund­heit ange­se­hen
    wer­den, die Zulas­sung zu ver­wei­gern. Aber auch das gilt
    Löwisch/Anselment · Beschäf­ti­gungs­ver­bot für Wis­sen­schaft­ler aus Risi­ko­staa­ten? 1 3 5
    22 Schult­heiß aaO OdW 2018, 3, 5.
    23 BVerfG 10. 5. 1988, 1 BvR 1166/85, BVerfGE 78, 179, 197.
    24 All­ge­mein zur Pro­ble­ma­tik der abschlie­ßen­den Sta­tu­ie­rung von
    Dis­kri­mi­nie­rungs­merk­ma­len jetzt Hülya Erbil, Mög­lich­kei­ten und
    Gren­zen eines pos tka­te­go­ria­len Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­rechts in:
    Picker/Gräf, Funk­tio­na­li­tät und Effek­tu­ie­rung des Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­rechts,
    2023, S. 42 f.
    25 BVerfG 7. 2. 2012, 1 BvL 17/07, Rn 46.
    wie bei allen Ableh­nungs­grün­den nach Art. 20 Abs. 1 lit. f
    nur, wenn der Mit­glied­staat Bewei­se oder ernst­haf­te und
    sach­li­che Anhalts­punk­te dafür hat, dass der Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge
    sei­nen Auf­ent­halt zu ande­ren Zwe­cken nut­zen
    wür­de als jene, für die er die Zulas­sung bean­tragt.
    Auch muss nach Art. 20 Abs. 4 die­se wie jede ande­re
    Ent­schei­dung, einen Antrag abzu­leh­nen, die kon­kre­ten
    Umstän­de des Ein­zel­falls berück­sich­ti­gen und den
    Grund­satz der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit ein­hal­ten.
    Auch dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge Wis­sen­schaft­ler kön­nen
    des­halb nicht allein wegen ihrer Staats­an­ge­hö­rig­keit
    oder ihrer bis­he­ri­gen Tätig­keit in einem bestimm­ten
    Staat von einer Beschäf­ti­gung an einer deut­schen Hoch­schu­le
    oder For­schungs­ein­rich­tung aus­ge­schlos­sen wer­den.
    Mög­lich ist der Aus­schluss im Wege der Ableh­nung
    der Auf­ent­halts­er­laub­nis nur, wenn kon­kre­te Umstän­de
    in ihrer Per­son ein sicher­heits­re­le­van­tes Risi­ko von Gewicht
    begrün­den.
    c. Rechts­schutz
    Die Ableh­nung der Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laub­nis
    stellt einen Ver­wal­tungs­akt dar, gegen den sich der
    Betrof­fe­ne mit den ein­schlä­gi­gen ver­wal­tungs­ver­fah­rens­recht­li­chen
    und ver­wal­tungs­ge­richt­li­chen Mit­teln
    zur Wehr set­zen kann. Das Auf­ent­halts­ge­setz ent­hält
    hier­für in sei­nen §§ 77 bis 85 eine Rei­he von Sondervorschriften.
  8. Ableh­nung durch Hoch­schu­le oder For­schungs­ein­rich­tung
    a. Staat­li­che Hoch­schu­len und öffent­lich-recht­li­che Ein­rich­tun­gen
    Um eine Auf­ent­halts­er­laub­nis zum Zweck der For­schung
    in Deutsch­land zu erhal­ten, muss der Wis­sen­schaft­ler
    nach § 18d Abs. 1 Nr. 1 Auf­enthG über eine Auf­nah­me­ver­ein­ba­rung
    oder einen ent­spre­chen­den Ver­trag
    mit einer deut­schen Hoch­schu­le oder For­schungs­ein­rich­tung
    verfügen.22 Das führt zu der Fra­ge, ob Hoch­schu­len
    und For­schungs­ein­rich­tun­gen, den Emp­feh­lun­gen
    des Gemein­sa­men Aus­schus­ses fol­gend, selbst die
    Beschäf­ti­gung von Dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen allein wegen
    deren Staats­an­ge­hö­rig­keit oder wegen deren bis­he­ri­gen
    Tätig­keit in einem bestimm­ten Staat ableh­nen kön­nen.
    Die Fra­ge ist zu ver­nei­nen.
    Lehn­ten staat­li­chen Hoch­schu­len, Uni­ver­si­täts­kli­ni­ka
    oder öffent­lich-recht­lich organ­sier­te For­schungs­ein­rich­tun­gen
    die Beschäf­ti­gung dritt­staats­an­ge­hö­ri­ger
    Wis­sen­schaft­ler allein aus die­sen Grün­den ab, ver­letz­te
    das deren Grund­rech­te aus Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3 S. 1
    und Art. 3 Abs. 1. S. 1 GG:
    Zwar kön­nen sich die dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen Wis­sen­schaft­ler
    nicht auf die Deut­schen vor­be­hal­te­nen Grund­rech­te
    des glei­chen Zugangs zum öffent­li­chen Dienst
    nach Art. 33 Abs.2 GG und der Berufs­frei­heit nach Art.
    12 GG beru­fen. Ihnen kommt aber für ihre recht­li­che Befug­nis,
    in Deutsch­land tätig zu wer­den, der dem Rechts­staats­prin­zip
    imma­nen­te Vor­be­halt des Geset­zes zu
    Gute, des­sen Beach­tung auch der Aus­län­der über
    Art. 2 Abs. 1 GG ver­lan­gen kann. Der Vor­be­halt des Geset­zes
    ver­bie­tet es, eine so gra­vie­ren­de Beein­träch­ti­gung
    der Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit wie sie die Ver­wei­ge­rung
    der Beschäf­ti­gung aus Grün­den der Staats­an­ge­hö­rig­keit
    oder wegen der bis­he­ri­gen Tätig­keit im Aus­land
    dar­stellt, ohne gesetz­li­che Grund­la­ge vorzunehmen.23
    Dies gilt für eine Beein­träch­ti­gung der Wis­sen­schafts­frei­heit
    des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG eben­so. Eine ent­spre­chen­de
    gesetz­li­che Grund­la­ge fehlt, weil wie dar­ge­stellt,
    das Auf­enthG eine Ver­wei­ge­rung der Auf­ent­halts­er­laub­nis
    und damit einer Beschäf­ti­gung allein aus die­sen
    Grün­den gera­de nicht vor­sieht.
    Auch gehört die Staats­an­ge­hö­rig­keit zwar nicht zu
    den unzu­läs­si­gen Dif­fe­ren­zie­rungs­merk­ma­len des
    Art. 3 Abs. 3 GG und des AGG.24 Doch dür­fen nach dem
    all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG Aus­län­der
    wegen der Staats­an­ge­hö­rig­keit nicht will­kür­lich, das
    heißt ohne Vor­lie­gen eines legi­ti­men sach­li­chen Grun­des,
    benach­tei­ligt werden.25 Ein sol­cher legi­ti­me­re Grund
    fehlt ange­sichts der Tat­sa­che, dass der Gesetz­ge­ber im
    Auf­ent­halts­ge­setz selbst zum Aus­druck bringt, dass nur
    1 3 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 1 — 1 3 8
    26 BVerfG 05.08.1994, 1 BVR 1402/89 Rn 21 f, juris; mit umfas­sen­den
    Nach­wei­sen Staudinger/Oechsler,2021, § 826 Rn 579 ff; HK-BGB/
    Ans­gar Stau­din­ger, 11. Aufl. 2021, BGB § 826 Rn 18.
    27 BGH vom 02.12.1974, BGHZ 63,282, 287; Gru­ne­wald, Ver­eins­auf­nah­me
    und Kon­tra­hie­rungs­zwang, AcP 182, 81, 192 ff.
    28 Staudinger/Oechsler, 2021, § 826 BGB Rn 587.
    29 Zur Leis tungs­funk­ti­on der Grund­rech­te sie­he Jarass/Pieroth/Jarass,
    GG 17. Aufl. 2022, Vor­bem. vor Art. 1 Rn 4 ff.
    in der betref­fen­den Per­son lie­gen­de Grün­de eine Ableh­nung
    recht­fer­ti­gen.
    b. Pri­vat­recht­lich orga­ni­sier­te Hoch­schu­len und For­schungs­ein­rich­tun­gen
    Als Arbeit­ge­ber genie­ßen pri­vat­recht­lich orga­ni­sier­te
    Hoch­schu­len und For­schungs­ein­rich­tun­gen nach
    § 105 Satz 1 GewO hin­sicht­lich des Abschlus­ses von
    Arbeits­ver­trä­gen grund­sätz­lich Ver­trags­frei­heit. Das gilt
    auch für die Ein­stel­lung von Wis­sen­schaft­lern. Mit wel­chen
    Per­so­nen sie Arbeits­ver­trä­ge als Wis­sen­schaft­ler
    abschlie­ßen, unter­liegt grund­sätz­lich ihrer frei­en Ent­schei­dung.
    Die­se Frei­heit ist zwar durch die Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te
    des AGG gesetz­lich ein­ge­schränkt. Zu
    den Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­ten zählt die unter­schied­li­che
    Behand­lung wegen einer bestimm­ten Staats­an­ge­hö­rig­keit
    oder wegen der vor­he­ri­gen Tätig­keit in einem
    bestimm­ten Staat nicht.
    In Recht­spre­chung und Lite­ra­tur ist aber aner­kannt,
    dass die Wei­ge­rung, mit bestimm­ten Per­so­nen Ver­trä­ge
    abzu­schlie­ßen eine sit­ten­wid­ri­ge Schä­di­gung im Sin­ne
    von § 826 BGB dar­stel­len kann mit der Fol­ge, dass auch
    ohne Bestehen einer ent­spre­chen­den gesetz­li­chen Rege­lung
    die Abschluss­frei­heit ein­ge­schränkt ist. Vor­aus­set­zung
    dafür ist auf der einen Sei­te eine beson­de­re Macht­po­si­ti­on
    der den Ver­trags­schluss ver­wei­gern­den poten­zi­el­len
    Ver­trags­par­tei und auf der ande­ren Sei­te ein beson­de­res
    Schutz­in­ter­es­se der den Ver­trags­schluss
    begeh­ren­den poten­zi­el­len Vertragspartei.26
    Vom Vor­lie­gen einer beson­de­ren Macht­po­si­ti­on wird
    dabei ins­be­son­de­re dort aus­ge­gan­gen, wo Pri­va­te Leis­tun­gen
    ver­ge­ben, wel­chen ihnen von der öffent­li­chen
    Hand zur Ver­fü­gung gestellt werden.27 Ein beson­de­res
    Schutz­in­ter­es­se des abge­lehn­ten Ver­trags­part­ners besteht
    vor allem dort, wo die Abschluss­ver­wei­ge­rung ein
    grund­recht­li­ches Schutz­gut betrifft.28
    Bei­des kommt hier in Betracht. Die gro­ßen pri­vat­recht­lich
    orga­ni­sier­ten For­schungs­ein­rich­tun­gen Max-
    Planck-Gesell­schaft, Fraun­ho­fer Gesell­schaft, Helm­holtz
    Gesell­schaf­ten und Insti­tu­te der Leib­niz Gemein­schaft
    erhal­ten in erheb­li­chem Umfang staat­li­che Mit­tel zur
    För­de­rung von Wis­sen­schaft und For­schung. Die­se die­nen
    auch dem Zweck, Wis­sen­schaft­ler zu beschäf­ti­gen
    und sol­len so zugleich im Sin­ne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG
    deren per­sön­li­che wis­sen­schaft­li­che Ent­wick­lung för­dern.
    Ihnen den Zugang zu die­ser För­de­rung ledig­lich
    wegen ihrer Staats­an­ge­hö­rig­keit oder ihrer bis­he­ri­gen
    Tätig­keit in einem ande­ren Staat zu ver­wei­gern, wäre
    will­kür­lich. Legi­tim ist eine sol­che Ver­wei­ge­rung nur,
    wenn kon­kre­te in ihrer Per­son lie­gen­de Grün­de die Ableh­nung
    recht­fer­ti­gen.
    Auch hier setzt des­halb die Ableh­nung aus Sicher­heits­grün­den
    den Nach­weis vor­aus, dass gera­de ihre Beschäf­ti­gung
    aus in ihrer Per­son lie­gen­den Grün­den ein
    sicher­heits­re­le­van­tes Risi­ko dar­stellt.
    c. Rechts­schutz
    Staat­li­che Hoch­schu­len und öffent­lich-recht­li­che Ein­rich­tun­gen
    sind unmit­tel­bar an die Grund­rech­te gebun­den.
    Wer­den Bewer­ber um eine Stel­le an einer staat­li­chen
    Hoch­schu­le, einem öffent­lich-recht­lich orga­ni­sier­ten
    Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum oder einer
    öffent­lich-recht­li­chen For­schungs­ein­rich­tung allein
    wegen ihrer Staats­an­ge­hö­rig­keit oder ihrer vor­he­ri­gen
    Beschäf­ti­gung in einem bestimm­ten Staat abge­lehnt,
    kön­nen sie, gestützt auf die Leis­tungs­funk­ti­on ihrer
    Grund­rech­te aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 und
    Art. 3 Abs. 1 GG nach Maß­ga­be der sonst für die betref­fen­de
    Stel­le zu erfül­len­den Vor­aus­set­zun­gen und zu
    beach­ten­den Ver­fah­rens­schrit­te Ein­stel­lung ver­lan­gen
    und arbeits­ge­richt­lich durchsetzen.29
    Bewer­bern, wel­che von einer pri­vat­recht­lich orga­ni­sier­ten
    For­schungs­ein­rich­tung oder Hoch­schu­le zu Unrecht
    allein wegen ihrer Staats­an­ge­hö­rig­keit oder ihrer
    vor­he­ri­gen Beschäf­ti­gung in einem bestimm­ten Staat
    nicht ein­ge­stellt wor­den sind, haben, wie unter b dar­ge­legt,
    Anspruch auf Scha­dens­er­satz nach § 826 BGB.
    Auch die­ser führt nach § 249 Abs. 1 BGB zum Anspruch
    auf Abschluss eines ent­spre­chen­den Arbeits­ver­trags.
    Auch die­sem Anspruch steht § 15 Abs. 6 AGG nicht im
    Wege (sie­he oben unter II 3).
    IV. Ergeb­nis
    Wis­sen­schaft­lern aus Sicher­heits­grün­den die Beschäf­ti­gung
    an staat­li­chen oder pri­va­ten Hoch­schu­len,
    Löwisch/Anselment · Beschäf­ti­gungs­ver­bot für Wis­sen­schaft­ler aus Risi­ko­staa­ten? 1 3 7
    an staat­li­chen oder pri­vat­recht­lich orga­ni­sier­ten For­schungs­ein­rich­tun­gen
    oder an Uni­ver­si­täts­kli­ni­ka allein
    wegen ihrer Staats­an­ge­hö­rig­keit oder ihrer bis­he­ri­gen
    Tätig­keit in einem bestimm­ten Staat zu ver­wei­gern, ist
    recht­lich nicht halt­bar.
    Bei Wis­sen­schaft­lern aus Staa­ten der EU steht dem
    die durch Art. 45 AEUV gewähr­leis­te­te Arbeit­neh­mer­frei­zü­gig­keit
    ent­ge­gen. Wis­sen­schaft­ler aus Dritt­staa­ten
    haben Anspruch auf Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laub­nis
    zum Zweck der For­schung und kön­nen sich gegen­über
    Hoch­schu­len und For­schungs­ein­rich­tun­gen auf
    ihre Grund­rech­te aus Art. 2 Abs. 1 und
    Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG beru­fen.
    Zuläs­sig ist die Ableh­nung eines Wis­sen­schaft­lers
    nur dann, wenn kon­kre­te, in sei­ner Per­son lie­gen­de Umstän­de
    ein sicher­heits­re­le­van­tes Risi­ko von Gewicht begrün­den,
    etwa sei­ne Ver­öf­fent­li­chun­gen, die bis­her aus­ge­üb­te
    Tätig­keit oder auch die Zuge­hö­rig­keit zu einer
    bestimm­ten Orga­ni­sa­ti­on nahe­le­gen, er nei­ge zu einem
    unbe­grenz­ten Gebrauch auch miss­brauchs­an­fäl­li­ger
    For­schungs­er­geb­nis­se.
    Man­fred Löwisch ist Pro­fes­sor an der Albert-Lud­wigs-
    Universität Frei­burg und Lei­ter der For­schungs­stel­le
    für Hoch­schul­recht und Hoch­schul­ar­beits­recht. Marie
    Ansel­ment ist dort wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin.
    1 3 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 1 — 1 3 8