I. Die Empfehlungen von Deutscher Forschungsgemeinschaft und Leopoldina
Der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina eingerichtete Gemeinsame Ausschuss zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung hat mit Stand vom 1. November 2022 Empfehlungen zum verantwortlichen Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung beschlossen.1 Ziel der Empfehlungen ist die Minimierung des Risikos missbräuchlicher Verwendung von Forschungsergebnissen in sicherheitsrelevanten Bereichen: In nahezu allen Wissenschaftsbereichen bestehe die Gefahr, dass für sich genommen neutrale oder nützliche Ergebnisse der Forschung durch andere Personen zu schädlichen Zwecken missbraucht werden. Herausforderungen bestünden insbesondere bei wissenschaftlichen Arbeiten, bei denen die Möglichkeit besteht, dass sie Wissen, Produkte oder Technologien hervorbringen, die unmittelbar von Dritten missbraucht werden können, um Menschenwürde, Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Umwelt oder ein friedliches Zusammenleben erheblich zu schädigen (sog. besorgniserregende sicherheitsrelevante Forschung- Dual-Use Research of Concern).
Als Beispiele nennt der Ausschuss die Verteidigungstechnik, in der die Materialforschung und die Nanotechnologie zur Entwicklung von Angriffswaffen führen könne, die Forschung zu autonom agierenden Robotern, die zur Konstruktion intelligenter Kriegsroboter befähigen könne, die Kernenergieforschung, die Forschung zu pathogenen Mikroorganismen und Toxinen, die möglicherweise für neue Biowaffen und für terroristische Anschläge nutzbar seien, die Analysen in der molekularen Pflanzengenetik, die gezielte Angriffe auf Saatgut ermöglichen könnten, Forschungen in der Informationstechnologie, die zur umfassenden Überwachung und Repression von Personen genutzt werden könnten, medizinische oder neurobiologische Forschungen, welche die Manipulation von Personen bis hin zu Folter unterstützen könnten, und linguistische Forschungen an Spracherkennungssystemen, die unter Umständen auch für missbräuchliche Kommunikationsüberwachung einsetzbar seien. Letztlich könnten sogar Geistes‑, Kultur‑, Sozial- und Verhaltenswissenschaften sicherheitsrelevante Ergebnisse hervorbringen.2
Die Verpflichtung zur Risikominimierung trifft nach den Empfehlungen nicht nur die Forschenden und die an ihren Projekten mitwirkenden Personen selbst, sondern auch die Einrichtungen, an denen jene tätig sind. Die Einrichtungen sind danach zu Sicherheitsmaßnahmen verpflichtet und haben bei missbrauchsgefährdeter Forschung Mitarbeitende und Kooperationspartner sorgfältig und unter Berücksichtigung ihrer Verlässlichkeit und ihres Verantwortungsbewusstseins auszuwählen. Dabei sollen Maßnahmen zur Risikominimierung auch darin bestehen können, dass einzelne Forschungen nur in bestimmten Kooperationen durchgeführt werden und unter dem Aspekt der Risikominimierung auf Partner oder Mitarbeiter aus bestimmten Staaten verzichtet wird. Wörtlich heißt es dazu in den Empfehlungen:
„Maßnahmen zur Risikominimierung können auch darin bestehen, dass einzelne Forschungen nur in bestimmten Kooperationen durchgeführt werden. Internationale Kooperation ist zwar ein Grundprinzip erfolgreicher Forschung, im Einzelfall kann sich unter dem Aspekt der Risikominimierung gleichwohl eine Einschränkung der Zusammenarbeit oder ein Verzicht auf Partnerinnen oder Partner oder Mitarbeitende aus beManfred
Löwisch/Marie Anselment
Beschäftigungsverbot für Wissenschaftler aus
Risikostaaten?
1 Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und Deutsche Forschungsgemeinschaft (2022): Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung – Empfehlungen zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung/Scientific Freedom and Scientific Res ponsibility – Recommendations for Handling of Security-Relevant Research, 2. Aktualisierte Auflage, abrufbar unter www.sicherheitsrelevante-forschung.org.
2 Empfehlungen S. 9 f; hinsichtlich der Informations technologie könnte man die Gefahr umfassender sys tematischer Cyberangriffe hinzufügen, vgl. die Berichte über Hacker-Angriffe aus Nordkorea ( siehe etwa Süddeutschen Zeitung vom 07.02.2023 https://www.sueddeutsche.de/wissen/atom-un-nordkoreas-hacker‑s tehlen-rekordsummen-kim-rues tet-auf-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101–230207-99–498851).
Ordnung der Wissenschaft 2023, ISSN 2197–9197
1 3 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 1 — 1 3 8
3 Allgemein zur Relevanz solcher Ausfuhrbeschränkungen für
die Wissenschaft siehe den Tagungsbereicht „Wissenschaft und
Exportkontrolle“ von Antonia Hagedorn in diesem Heft S. 183 ff.
4 Callies/Ruffert/Brechmann, EUV/AEUV 6. Aufl. 2022,
Art. 45 AEUV Rn 46; Geiger/Khan/Kotzur/Kirchmair/Khan/Gerckens,
- Aufl. 2023, AEUV Art. 45 Rn 27.
5 EuGH 18.07.2017, C- 566/15, Rn. 33; Callies/Ruffert/Brechmann aaO
Rn 51.
6 Callies/Ruffert/Brechmann aaO Rn 54.
7 EuGH 06.6.2000 C ‑281/98, Rn 30 ff (Angonese); Callies/Ruffert/
Brechmann aaO Rn 54; BeckOK Migrations- und Integrationsrecht/
Dittrich, 14. Ed. 15.1.2023, AEUV Art. 45 Rn 8.
8 Callies/Ruffert/Brechmann aaO Rn 113f.
9 Callies/Ruffert/Brechmann aaO Rn 115.
stimmten Staaten oder Institutionen empfehlen. Anhaltspunkte
für Staaten, in denen ein Missbrauch bestimmter
Forschungsergebnisse zu befürchten ist, können
sich aus den nationalen und internationalen Vorschriften
oder Listen über Ausfuhrbeschränkungen
ergeben“.3
Dass der Gemeinsame Ausschuss für den Einzelfall
den Verzicht nicht nur auf Partner aus bestimmten Staaten,
sondern auch auf Mitarbeiter aus bestimmten Staaten
empfiehlt, wirft die Frage nach deren Diskriminierung
auf: Ist es zulässig, die Einstellung von Wissenschaftlern
deshalb abzulehnen, weil sie Angehörige eines
bestimmten Staates sind oder auch, ohne diese Staatsangehörigkeit
zu besitzen, aus diesem Staat kommen?
Dieser Frage wird im Folgenden nachgegangen.
II. Wissenschaftler aus Staaten der Europäischen Union - Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit
Art. 45 Abs. 1 AEUV gewährleistet innerhalb der EU die
Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Nach Absatz 2 der Vorschrift
umfasst diese Freizügigkeit die Abschaffung jeder
auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen
Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten
in Bezug auf Beschäftigung. Aus der Vorschrift folgt bei
Einstellungen grundsätzlich ein absolutes Differenzierungsverbot
aus Gründen der Staatsangehörigkeit.4 Wie
für alle Beschäftigten gilt das auch für Wissenschaftler.
Das Verbot erfasst dabei nicht nur die unmittelbare
Differenzierung wegen der Staatsangehörigkeit, sondern
auch jede andere nationale Regelung, die, wenn auch
ohne direkte Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit,
geeignet ist, den Gebrauch der Freizügigkeit
durch einen Unionbürger zu behindern oder weniger attraktiv
zu machen.5 Das verbietet es im Grundsatz auch,
sich bewerbende Unionsbürger deshalb nicht einzustellen,
weil sie zuvor in einem anderen Staat tätig gewesen
sind.
Adressat des Art. 45 AEUV und damit auch des Differenzierungsverbots
bei Einstellungen ist in erster Linie
der Mitgliedstaat als Träger öffentlicher Gewalt. Staatliche
Regelungen und andere staatliche Maßnahmen dürfen
Bürger anderer Unionsstaaten grundsätzlich nicht
schlechter stellen als Deutsche.6 Erfasst werden damit
die staatlichen Hochschulen, aber, soweit sie als Anstalten
des öffentlichen Rechts organisiert sind, auch die
Universitätsklinika.
Art. 45 AEUV gilt nach der Rechtsprechung des
EuGH aber auch für private Arbeitgeber, weil diese sonst
kraft ihrer Vertragsfreiheit Hindernisse für die Freizügigkeit
der Arbeitnehmer aufrichten könnten, die dem
Staat verboten wären.7 Dementsprechend erklärt
Art. 7 Abs. 4 der Freizügigkeitsverordnung
(VO [EU] 492/2011) Regelungen in Tarif- oder Einzelarbeitsverträgen
oder sonstigen Kollektivvereinbarungen
betreffend den Zugang zur Beschäftigung für nichtig, soweit
sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer
Mitgliedstatten sind, diskriminierende Bedingungen
vorsehen oder zulassen. Die Folge ist, dass auch privatrechtlich
organisierte Forschungseinrichtungen wie die
Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer Gesellschaft,
die Helmholtz Gesellschaften und die Institute der Leibniz
Gemeinschaft, die durchweg als eingetragene Vereine
organisiert sind, Wissenschaftler aus Unionsstaaten
grundsätzlich nicht wegen ihrer Staatsangehörigkeit von
einer Beschäftigung ausschließen dürfen. - Einschränkung wegen Sicherheitsrelevanz
Auch die Freizügigkeit ist nicht schrankenlos gewährleistet.
Eine erste Ausnahme konstituiert Art. 45 AEUV in
seinem Absatz 4 selbst. Danach findet die Bestimmung
keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen
Verwaltung. Unter öffentlicher Verwaltung versteht
das europäische Recht hier wie in anderen Vorschriften
freilich nur die Stellen, die unmittelbar oder mittelbar
hoheitliche Befugnisse ausüben. Die Mitgliedstaaten
dürfen nur konkrete, mit einer bestimmten Funktion
verbundene Stellen in der öffentlichen Verwaltung eigenen
Staatsangehörigen vorbehalten.8 Zu diesen zählen in
Hochschulen und staatlichen Forschungseinrichtungen
möglicherweise Leitungsfunktionen, nicht aber die
Wahrnehmung bloßer Lehr- und
Forschungstätigkeiten.9
Relevanter ist die zweite, in Art. 45 Abs. 3 AEUV enthaltene
Ausnahme, nach der die Freizügigkeit in Bezug
auf die Beschäftigung unter dem Vorbehalt der aus
Löwisch/Anselment · Beschäftigungsverbot für Wissenschaftler aus Risikostaaten? 1 3 3
10 BeckOGK/Spindler, 1.2.2023, BGB § 823 Rn 256.
11 Zum Anspruch auf Vertragsschluss als Konsequenz von
§ 249 Abs. 1 BGB siehe allgemein BGH 6. 6. 1974, II ZR 157/72, DB
1974, 1719; BAG 16. 3. 1989, 2 AZR 325/88, DB 1989, 1728.
12 Roloff/Lampe, JuS 2007, 354, 355; Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht/
Benecke, 5. Auflage 2021, § 32 Rn. 161; für eine analoge
Anwendung des § 15 Abs. 6 AGG auf das Maßregelungsverbot des
§ 612a BGB BAG 21.09.2011, 7 AZR 150/10, juris; dem BAG folgend
Horcher, RdA 2014, 93, 99.
13 Henssler/Willemsen/Kalb/Tillmanns, Arbeitsrecht Kommentar,
Art.45 AEUV, Rn 8.
14 Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft
andererseits über die Freizügigkeit.
15 Henssler/Willemsen/Kalb/Tillmanns, Arbeitsrecht Kommentar,
Art.45 AEUV, Rn 8; Erfurter Kommentar/Schlachter, Arbeitsrecht,
Art. 45 AEUV Rn 8; AR/Krebber, 10. Auflage 2021 Art. 45 AEUV
Rn 10.
Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit
gerechtfertigten Beschränkungen steht. Das Risiko
des Missbrauchs sicherheitsrelevanter Forschung ist
gewiss Gegenstand der öffentlichen Sicherheit.
Indessen genügt die allgemeine Erwägung, Angehörige
bestimmter Risikostaaten könnten sicherheitsrelevante
Forschungen auf einem oder auch mehreren Feldern
missbrauchen, nicht zur Beschränkung ihrer Freizügigkeit.
Nach Art. 27 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie
2004/38/EG darf bei Maßnahmen, welche die
Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung
und Sicherheit beschränken, ausschließlich das persönliche
Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein.
Nach Art. 27 Abs. 3 muss dieses persönliche Verhalten
eine tatsächliche gegenwärtige Gefahr darstellen, die ein
Grundinteresse der Gesellschaft berührt; vom Einzelfall
losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen
sind nicht zulässig.
Ein allein auf die Staatsangehörigkeit oder die bisherige
Tätigkeit in einem bestimmten Staat abstellender
Ausschluss der Einstellung von Unionsbürgern lässt sich
mit dieser Vorgabe nicht vereinbaren. Zulässig ist ein
Ausschluss nur, wenn konkrete Umstände in der Person
des betreffenden Wissenschaftlers ein sicherheitsrelevantes
Risiko von Gewicht begründen, etwa ihre Veröffentlichungen,
ihre bisherige Tätigkeit oder auch die Zugehörigkeit
zu einer bestimmten Organisation den
Schluss nahelegen, sie neige zu einem unbegrenzten Gebrauch
auch missbrauchsanfälliger
Forschungsergebnisse. - Rechtsschutz
Art. 45 AEUV in Verbindung mit Art. 7 der Freizügigkeitsverordnung
(VO [EU] 492/2011) dienen dem Schutz
der Unionsbürger auch in Bezug auf ihre Beschäftigung.
Sie sollen gewährleisten, dass sie beim Eingehen von
Arbeitsverhältnissen nicht wegen ihrer Staatsangehörigkeit
diskriminiert werden. Als in Deutschland unmittelbar
geltende Rechtsnormen kommen ihnen damit
Schutzgesetzcharakter im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB
zu.10
Verletzt ein potenzieller Arbeitgeber Art. 45 AEUV,
verpflichtet ihn das nach Maßgabe der §§ 249ff BGB
zum Schadensersatz. Dabei gilt nach § 249 Abs. 1 BGB in
erster Linie der Grundsatz der Naturalrestitution: Kann
ein Bewerber nachweisen, dass er eingestellt worden
wäre, wenn sein Recht auf Freizügigkeit beachtet worden
wäre, hat der Anspruch auf Abschluss eines entsprechenden
Arbeitsvertrags.11
Aus § 15 Abs. 6 AGG folgt nichts Anderes. Der dort
für die Diskriminierungsfälle des AGG angeordnete
Ausschluss eines Anspruchs auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses
gilt hier entgegen der wohl
herrschenden Meinung12 nicht. § 15 AGG enthält eine
ausgewogene Gesamtregelung der schadensrechtlichen
Folgen der Verletzung eines Diskriminierungsverbots,
die in Absatz 2 insbesondere auch einen Anspruch auf
Ersatz des immateriellen Schadens umfasst. Aus dieser
kann nicht isoliert ein einzelner Teil analog angewandt
werden. Eine analoge Anwendung der ganzen Vorschrift
und damit auch des Absatzes 2 scheitert aber am Analogieverbot
des § 253 Abs. 1 BGB. - Wissenschaftler aus assoziierten Staaten
Angehörigen von Staaten des Europäischen Wirtschaftraums
(neben den Staaten der EU derzeit Island,
Norwegen und Liechtenstein) kommt nach Art. 28 des
Abkommen über den EWR vom 2.05.1992 und dessen
Anhang V vollumfängliche Freizügigkeit iSd.
Art. 45 AEUV zu.13 Für die Beschäftigung von Wissenschaftlern
aus diesen Staaten gelten deshalb die gleichen
Regeln wie für Wissenschaftler aus Staaten der EU.
Auch Schweizer Staatsangehörige genießen aufgrund
des Freizügigkeitsabkommen EU-Schweiz vom
21.06.1999 Arbeitnehmerfreizügigkeit14, so dass für sie
ebenfalls die gleichen Regeln gelten.
Das Assoziationsabkommen zwischen der Türkei
und der EWG vom 12.09.1963 billigt zusammen mit den
konkretisierenden Beschlüssen, die unmittelbar wirken,
ein Recht auf weitere Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis
zu, wenn die Beschäftigung ein Jahr ordnungsgemäß
durchgeführt wurde.15 In Art. 12 des Assoziierungsabkommens
hat die EU mit der Türkei vereinbart, schrittweise
die Freizügigkeit der Arbeitnehmer herzustellen.
Vom EUGH wird dies so interpretiert, dass die ihm Rahmen
von Art. 45 AEUV geltende Grundsätze so weit wie
1 3 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 1 — 1 3 8
16 EuGH, 19.7.2012, C‑451/11, juris, Rn 48.
17 Siehe zu Art. 40 Kooperationsabkommen EWG-Marokko EUGH
v.2.03.1999, Rs. C- 416/96, NZA 1999, 533, 537; für die Ukraine
siehe Art. 17 des Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen
Union und ihren Mitglieds taaten einerseits und der Ukraine
andererseits; für Albanien siehe Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen
mit Albanien.
18 Geiger/Khan/Kotzur/Kirchmair/Khan/Gerckens, 7. Aufl. 2023,
AEUV Art. 45 Rn. 14.
19 Näher Geiger/Khan/Kotzur/Kirchmair/Khan/Gerckens, - Aufl. 2023, AEUV Art. 45 Rn. 15 f.
20 Schultheiß, Aufenthaltsrechte von dritts taatsangehörigen Wissenschaftlern,
OdW 2018, 3, 4; demnächs t auch Cas tendyk OdW 2023,
Heft 4.
21 Schultheiß, aaO OdW 2018, 3, 6.
möglich auf Arbeitnehmer aus der Türkei zu übertragen
sind.16
Andere Assoziierungs- und Kooperationsabkommen enthalten
zwar hinsichtlich der Arbeitsbedingungen Diskriminierungsverbote
wegen der Staatsangehörigkeit,
beziehen diese aber nicht auf die Zulassung zur Beschäftigung.
Dies gilt etwa für die Abkommen mit den Maghreb-
Staaten und die Assoziationsabkommen mit Albanien
und der Ukraine.17
Für Arbeitnehmer aus dem Vereinigten Königreich
gilt das Austrittsabkommen Großbritanniens mit der
EU, welches die Arbeitnehmerfreizügigkeit zwischen der
EU und Großbritannien infolge des Brexit beendet hat.18
Britische Staatsangehörige, die vor dem 31.12.2020 in der
EU ansässig waren, genießen jedoch hinsichtlich der
Freizügigkeit Bestandsschutz.19
III. Wissenschaftler aus Drittstaaten - Besondere Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Forschung
a. Grundsätzlicher Anspruch auf Erteilung
Nach § 18d Absatz 1 Aufenthaltsgesetz wird einem Ausländer
ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit
eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Forschung
erteilt, wenn er eine wirksame Aufnahmevereinbarung
oder einen entsprechenden Vertrag mit einer Forschungseinrichtung
abgeschlossen hat, die Forschung
betreibt. Die Vorschrift erfasst alle in der Forschung tätigen
Wissenschaftler, auch Assistenten, wissenschaftliche
Mitarbeiter, Postdoktoranden und Gastwissenschaftler.20
Nach § 18 d Abs. 5 Satz 1 AufenthG berechtigt die
Aufenthaltserlaubnis zur Aufnahme der Forschungstätigkeit
bei der in der Aufnahmevereinbarung bezeichneten
Forschungseinrichtung und zur Aufnahme von Tätigkeiten
in der Lehre. Die Berechtigung umfasst die
Aufnahme der entsprechenden Erwerbstätigkeit und damit
auch den Abschluss eines entsprechenden
Arbeitsvertrags.21
§ 18 d AufenthG setzt für Wissenschaftler die Bestimmungen
der Richtlinie 2016/801/EU über die Bedingungen
für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen
zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur
Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem
Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder
Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit
um. Diese enthält in ihren Artikeln 9 und 10 nähere
Richtlinien für die Zulassung von Forschungseinrichtungen
und die Ausgestaltung der
Aufnahmevereinbarungen.
b. Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis wegen
Sicherheitsbedenken
Das Aufenthaltsgesetz sieht keine Möglichkeit vor, Wissenschaftlern,
die Angehörige eines bestimmten Staates
sind oder aus einem bestimmten Staat kommen, die Aufenthaltserlaubnis
zu verweigern. § 19 f des Gesetzes
erlaubt nur die Ablehnung aus den im Einzelnen aufgezählten
Gründen. In Betracht kommt lediglich die
Bestimmung des § 19 f Abs. 4 Nr. 6, nach der auch der
von Forschern gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
abgelehnt werden kann, wenn Beweise
oder konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der
Ausländer den Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen
wird als zu jenen, für die er die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis
beantragt.
Dass ein Ausländer die ihm mit der Aufenthaltserlaubnis
ermöglichte Forschungstätigkeit zum Missbrauch
sicherheitsrelevanter Forschungsergebnisse
nutzt, ist aufenthaltsrechtlich gewiss zweckwidrig. Die
Ablehnung auch wegen dieser Gefahr setzt nach der
Vorschrift aber Beweise oder konkrete Anhaltspunkte dafür
voraus, dass in der Person des betreffenden Forschers
eine solche Gefahr besteht.
Aus den Bestimmungen der Richtlinie 2016/801/EU
ergibt sich nichts Anderes. Nach deren Art. 7 Abs. 6 ist
Drittstaatsangehörigen, die als Bedrohung für die öffentliche
Ordnung, Sicherheit und Gesundheit angesehen
werden, die Zulassung zu verweigern. Aber auch das gilt
Löwisch/Anselment · Beschäftigungsverbot für Wissenschaftler aus Risikostaaten? 1 3 5
22 Schultheiß aaO OdW 2018, 3, 5.
23 BVerfG 10. 5. 1988, 1 BvR 1166/85, BVerfGE 78, 179, 197.
24 Allgemein zur Problematik der abschließenden Statuierung von
Diskriminierungsmerkmalen jetzt Hülya Erbil, Möglichkeiten und
Grenzen eines pos tkategorialen Antidiskriminierungsrechts in:
Picker/Gräf, Funktionalität und Effektuierung des Antidiskriminierungsrechts,
2023, S. 42 f.
25 BVerfG 7. 2. 2012, 1 BvL 17/07, Rn 46.
wie bei allen Ablehnungsgründen nach Art. 20 Abs. 1 lit. f
nur, wenn der Mitgliedstaat Beweise oder ernsthafte und
sachliche Anhaltspunkte dafür hat, dass der Drittstaatsangehörige
seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen
würde als jene, für die er die Zulassung beantragt.
Auch muss nach Art. 20 Abs. 4 diese wie jede andere
Entscheidung, einen Antrag abzulehnen, die konkreten
Umstände des Einzelfalls berücksichtigen und den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einhalten.
Auch drittstaatsangehörige Wissenschaftler können
deshalb nicht allein wegen ihrer Staatsangehörigkeit
oder ihrer bisherigen Tätigkeit in einem bestimmten
Staat von einer Beschäftigung an einer deutschen Hochschule
oder Forschungseinrichtung ausgeschlossen werden.
Möglich ist der Ausschluss im Wege der Ablehnung
der Aufenthaltserlaubnis nur, wenn konkrete Umstände
in ihrer Person ein sicherheitsrelevantes Risiko von Gewicht
begründen.
c. Rechtsschutz
Die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
stellt einen Verwaltungsakt dar, gegen den sich der
Betroffene mit den einschlägigen verwaltungsverfahrensrechtlichen
und verwaltungsgerichtlichen Mitteln
zur Wehr setzen kann. Das Aufenthaltsgesetz enthält
hierfür in seinen §§ 77 bis 85 eine Reihe von Sondervorschriften. - Ablehnung durch Hochschule oder Forschungseinrichtung
a. Staatliche Hochschulen und öffentlich-rechtliche Einrichtungen
Um eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Forschung
in Deutschland zu erhalten, muss der Wissenschaftler
nach § 18d Abs. 1 Nr. 1 AufenthG über eine Aufnahmevereinbarung
oder einen entsprechenden Vertrag
mit einer deutschen Hochschule oder Forschungseinrichtung
verfügen.22 Das führt zu der Frage, ob Hochschulen
und Forschungseinrichtungen, den Empfehlungen
des Gemeinsamen Ausschusses folgend, selbst die
Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen allein wegen
deren Staatsangehörigkeit oder wegen deren bisherigen
Tätigkeit in einem bestimmten Staat ablehnen können.
Die Frage ist zu verneinen.
Lehnten staatlichen Hochschulen, Universitätsklinika
oder öffentlich-rechtlich organsierte Forschungseinrichtungen
die Beschäftigung drittstaatsangehöriger
Wissenschaftler allein aus diesen Gründen ab, verletzte
das deren Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3 S. 1
und Art. 3 Abs. 1. S. 1 GG:
Zwar können sich die drittstaatsangehörigen Wissenschaftler
nicht auf die Deutschen vorbehaltenen Grundrechte
des gleichen Zugangs zum öffentlichen Dienst
nach Art. 33 Abs.2 GG und der Berufsfreiheit nach Art.
12 GG berufen. Ihnen kommt aber für ihre rechtliche Befugnis,
in Deutschland tätig zu werden, der dem Rechtsstaatsprinzip
immanente Vorbehalt des Gesetzes zu
Gute, dessen Beachtung auch der Ausländer über
Art. 2 Abs. 1 GG verlangen kann. Der Vorbehalt des Gesetzes
verbietet es, eine so gravierende Beeinträchtigung
der Entfaltung der Persönlichkeit wie sie die Verweigerung
der Beschäftigung aus Gründen der Staatsangehörigkeit
oder wegen der bisherigen Tätigkeit im Ausland
darstellt, ohne gesetzliche Grundlage vorzunehmen.23
Dies gilt für eine Beeinträchtigung der Wissenschaftsfreiheit
des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ebenso. Eine entsprechende
gesetzliche Grundlage fehlt, weil wie dargestellt,
das AufenthG eine Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis
und damit einer Beschäftigung allein aus diesen
Gründen gerade nicht vorsieht.
Auch gehört die Staatsangehörigkeit zwar nicht zu
den unzulässigen Differenzierungsmerkmalen des
Art. 3 Abs. 3 GG und des AGG.24 Doch dürfen nach dem
allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG Ausländer
wegen der Staatsangehörigkeit nicht willkürlich, das
heißt ohne Vorliegen eines legitimen sachlichen Grundes,
benachteiligt werden.25 Ein solcher legitimere Grund
fehlt angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber im
Aufenthaltsgesetz selbst zum Ausdruck bringt, dass nur
1 3 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 1 — 1 3 8
26 BVerfG 05.08.1994, 1 BVR 1402/89 Rn 21 f, juris; mit umfassenden
Nachweisen Staudinger/Oechsler,2021, § 826 Rn 579 ff; HK-BGB/
Ansgar Staudinger, 11. Aufl. 2021, BGB § 826 Rn 18.
27 BGH vom 02.12.1974, BGHZ 63,282, 287; Grunewald, Vereinsaufnahme
und Kontrahierungszwang, AcP 182, 81, 192 ff.
28 Staudinger/Oechsler, 2021, § 826 BGB Rn 587.
29 Zur Leis tungsfunktion der Grundrechte siehe Jarass/Pieroth/Jarass,
GG 17. Aufl. 2022, Vorbem. vor Art. 1 Rn 4 ff.
in der betreffenden Person liegende Gründe eine Ablehnung
rechtfertigen.
b. Privatrechtlich organisierte Hochschulen und Forschungseinrichtungen
Als Arbeitgeber genießen privatrechtlich organisierte
Hochschulen und Forschungseinrichtungen nach
§ 105 Satz 1 GewO hinsichtlich des Abschlusses von
Arbeitsverträgen grundsätzlich Vertragsfreiheit. Das gilt
auch für die Einstellung von Wissenschaftlern. Mit welchen
Personen sie Arbeitsverträge als Wissenschaftler
abschließen, unterliegt grundsätzlich ihrer freien Entscheidung.
Diese Freiheit ist zwar durch die Diskriminierungsverbote
des AGG gesetzlich eingeschränkt. Zu
den Diskriminierungsverboten zählt die unterschiedliche
Behandlung wegen einer bestimmten Staatsangehörigkeit
oder wegen der vorherigen Tätigkeit in einem
bestimmten Staat nicht.
In Rechtsprechung und Literatur ist aber anerkannt,
dass die Weigerung, mit bestimmten Personen Verträge
abzuschließen eine sittenwidrige Schädigung im Sinne
von § 826 BGB darstellen kann mit der Folge, dass auch
ohne Bestehen einer entsprechenden gesetzlichen Regelung
die Abschlussfreiheit eingeschränkt ist. Voraussetzung
dafür ist auf der einen Seite eine besondere Machtposition
der den Vertragsschluss verweigernden potenziellen
Vertragspartei und auf der anderen Seite ein besonderes
Schutzinteresse der den Vertragsschluss
begehrenden potenziellen Vertragspartei.26
Vom Vorliegen einer besonderen Machtposition wird
dabei insbesondere dort ausgegangen, wo Private Leistungen
vergeben, welchen ihnen von der öffentlichen
Hand zur Verfügung gestellt werden.27 Ein besonderes
Schutzinteresse des abgelehnten Vertragspartners besteht
vor allem dort, wo die Abschlussverweigerung ein
grundrechtliches Schutzgut betrifft.28
Beides kommt hier in Betracht. Die großen privatrechtlich
organisierten Forschungseinrichtungen Max-
Planck-Gesellschaft, Fraunhofer Gesellschaft, Helmholtz
Gesellschaften und Institute der Leibniz Gemeinschaft
erhalten in erheblichem Umfang staatliche Mittel zur
Förderung von Wissenschaft und Forschung. Diese dienen
auch dem Zweck, Wissenschaftler zu beschäftigen
und sollen so zugleich im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG
deren persönliche wissenschaftliche Entwicklung fördern.
Ihnen den Zugang zu dieser Förderung lediglich
wegen ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrer bisherigen
Tätigkeit in einem anderen Staat zu verweigern, wäre
willkürlich. Legitim ist eine solche Verweigerung nur,
wenn konkrete in ihrer Person liegende Gründe die Ablehnung
rechtfertigen.
Auch hier setzt deshalb die Ablehnung aus Sicherheitsgründen
den Nachweis voraus, dass gerade ihre Beschäftigung
aus in ihrer Person liegenden Gründen ein
sicherheitsrelevantes Risiko darstellt.
c. Rechtsschutz
Staatliche Hochschulen und öffentlich-rechtliche Einrichtungen
sind unmittelbar an die Grundrechte gebunden.
Werden Bewerber um eine Stelle an einer staatlichen
Hochschule, einem öffentlich-rechtlich organisierten
Universitätsklinikum oder einer
öffentlich-rechtlichen Forschungseinrichtung allein
wegen ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrer vorherigen
Beschäftigung in einem bestimmten Staat abgelehnt,
können sie, gestützt auf die Leistungsfunktion ihrer
Grundrechte aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 und
Art. 3 Abs. 1 GG nach Maßgabe der sonst für die betreffende
Stelle zu erfüllenden Voraussetzungen und zu
beachtenden Verfahrensschritte Einstellung verlangen
und arbeitsgerichtlich durchsetzen.29
Bewerbern, welche von einer privatrechtlich organisierten
Forschungseinrichtung oder Hochschule zu Unrecht
allein wegen ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrer
vorherigen Beschäftigung in einem bestimmten Staat
nicht eingestellt worden sind, haben, wie unter b dargelegt,
Anspruch auf Schadensersatz nach § 826 BGB.
Auch dieser führt nach § 249 Abs. 1 BGB zum Anspruch
auf Abschluss eines entsprechenden Arbeitsvertrags.
Auch diesem Anspruch steht § 15 Abs. 6 AGG nicht im
Wege (siehe oben unter II 3).
IV. Ergebnis
Wissenschaftlern aus Sicherheitsgründen die Beschäftigung
an staatlichen oder privaten Hochschulen,
Löwisch/Anselment · Beschäftigungsverbot für Wissenschaftler aus Risikostaaten? 1 3 7
an staatlichen oder privatrechtlich organisierten Forschungseinrichtungen
oder an Universitätsklinika allein
wegen ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrer bisherigen
Tätigkeit in einem bestimmten Staat zu verweigern, ist
rechtlich nicht haltbar.
Bei Wissenschaftlern aus Staaten der EU steht dem
die durch Art. 45 AEUV gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit
entgegen. Wissenschaftler aus Drittstaaten
haben Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
zum Zweck der Forschung und können sich gegenüber
Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf
ihre Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und
Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG berufen.
Zulässig ist die Ablehnung eines Wissenschaftlers
nur dann, wenn konkrete, in seiner Person liegende Umstände
ein sicherheitsrelevantes Risiko von Gewicht begründen,
etwa seine Veröffentlichungen, die bisher ausgeübte
Tätigkeit oder auch die Zugehörigkeit zu einer
bestimmten Organisation nahelegen, er neige zu einem
unbegrenzten Gebrauch auch missbrauchsanfälliger
Forschungsergebnisse.
Manfred Löwisch ist Professor an der Albert-Ludwigs-
Universität Freiburg und Leiter der Forschungsstelle
für Hochschulrecht und Hochschularbeitsrecht. Marie
Anselment ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin.
1 3 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 1 — 1 3 8