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I. Wis­sen­schaft und grü­ne Trans­for­ma­ti­on: die Aus- gangsfrage

Es ist ein lan­ger Hebel, den die Euro­päi­sche Uni­on zur Errei­chung ihrer Kli­ma­zie­le ansetzt. Ein wich­ti­ger Bei- trag ist ein nach­hal­tig­keits­wirk­sa­mes Finanz­we­sen, mit dem Kapi­tal­flüs­se hin zu nach­hal­ti­gen Inves­ti­tio­nen gelenkt wer­den. Dem die­nen die EU-Nach­hal­tig­keits­re- geln. Und vor allem die neue EU Taxo­no­mie, ein Klas­si- fika­ti­ons­sys­tem für wirk­lich nach­hal­ti­ge Wirt­schaftsak- tivi­tä­ten, also ein Kri­te­ri­en­ka­ta­log, um den viel­zi­tier­ten „Green Deal“ im wirt­schaft­li­chen Bereich zu kon­kre­ti- sie­ren und umzusetzen1. Im Juni 2023 hat die Kom­mis­si- on nun die neu­en EU-Taxo­no­mie­kri­te­ri­en für Wirt- schafts­tä­tig­kei­ten genehmigt2, die wesent­li­che Bei­trä­ge zur Errei­chung von vier Umwelt­zie­len leis­ten sol­len. Damit gibt es nun end­lich Taxo­no­mie­kri­tie­ri­en für alle sechs Umwelt­zie­le der EU: Kli­ma­schutz, Anpas­sung an den Kli­ma­wan­del, nach­hal­ti­ge Nut­zung und Schutz von Was­ser- und Mee­res­res­sour­cen, Über­gang zu einer Kreis­lauf­wirt­schaft, Ver­mei­dung und Ver­rin­ge­rung von Umwelt­ver­schmut­zung und Schutz und Wie­der­hers­tel- lung von Bio­di­ver­si­tät und Öko­sys­te­men. Damit zeich- net die EU den Weg vor, mit dem sie bis 2050 der ers­te kli­ma­neu­tra­le Kon­ti­nent wer­den und die Gesell­schaft auf eine gerech­te und nach­hal­ti­ge Zukunft aus­rich­ten will. Gut abge­si­chert ist die­se grü­ne öko­no­mi­sche Trans- for­ma­ti­on, denn sie hat die Unter­stüt­zung durch das von den Euro­päe­rin­nen und Euro­pä­ern gewähl­te EU-Par­la- ment3. Und sie inte­griert die Sus­tainable Deve­lo­p­ment Goals (SDG ́s) der Ver­ein­ten Natio­nen, die in einem welt­wei­ten par­ti­zi­pa­ti­ven Pro­zess ent­wi­ckelt und 2015 ver­ab­schie­det wor­den sind.

Es steht völ­lig außer Fra­ge, dass in die­sem Umge­s­tal- tungs­pro­zess Wis­sen­schaft, For­schung und Inno­va­ti­on eine zen­tra­le Rol­le spie­len wer­den. Die Umwelt­zie­le hal-

  1. 1  Pres­se­mit­tei­lung EU „Nach­hal­ti­ges Finanz­we­sen und EU- Taxo­no­mie: Kom­mis­si­on unter­nimmt wei­te­re Schrit­te, um Geld in nach­hal­ti­ge Tätig­kei­ten zu len­ken“, 21.4.2021
  2. 2  Pres­se­mit­tei­lung EU „Nach­hal­ti­ges Finanz­we­sen: Kom­mis­si­on geht
    Ord­nung der Wis­sen­schaft 2024, ISSN 2197–9197

Mar­ti­na Schraud­ner, Elif Özmen, Hans-Hen­nig von Grün­berg
Der „Green Deal“ und die neue Ver­ant­wor­tung der Wissenschaft

ten eine Viel­zahl von Ansät­zen und mög­li­chen Bestä­ti- gungs­fel­der für die For­schung bereit, wie z.B. erneu­er­ba- re Mate­ria­li­en nach­hal­ti­ger Her­kunft oder die Ver­bes­se- rung der Recy­cling­fä­hig­keit von Pro­duk­ten, die Umstel- lung auf nach­hal­ti­ge Mobi­li­tät und Ener­gie­ver­sor­gung, die Kon­zep­tio­nie­rung einer Kreis­lauf­wirt­schaft, die Farm-to-Fork-Initia­ti­ve, ein „Null-Schad­stoff­ziel für eine schad­stoff­freie Umwelt“ oder den Erhalt von Bio­di- ver­si­tät. Oder: Man den­ke ein­mal an die Mög­lich­kei­ten bio­tech­no­lo­gisch her­ge­stell­ter Lebens­mit­tel und was das für die Tier­hal­tung mit all ihren nega­ti­ven Umwelt­aus- wir­kun­gen bedeu­ten wür­de, die damit ja auf ein Mini- mum redu­ziert wer­den könn­ten. Mög­li­cher­wei­se entste- hen zudem, z.B. durch die Nut­zung von nach­wach­sen- den Roh­stof­fen in bio­tech­no­lo­gi­schen Anwen­dun­gen, auch ganz neue Unter­neh­men in neu­ar­ti­gen, eher regio- nalen Ökosystemen.

Hier hat For­schung also mess­ba­re Wir­kung, steht auf brei­tem gesell­schaft­li­chem Kon­sens und wird in den Tech­ni­ken und Ver­fah­ren, die dazu ange­wen­det wer­den müs­sen, in keins­ter Wei­se ein­ge­schränkt. Die Tech­no­lo- gie­of­fen­heit stößt allein an das „Do-not-harm“ Gebot der EU, also die Vor­ga­be, kei­nes der sechs Umwelt­zie­le zu ver­let­zen. Um auch sozia­le Min­dest­stan­dards ein­zu- hal­ten und die anste­hen­de Trans­for­ma­ti­on gerecht, fair und inklu­siv zu gestal­ten, erscheint zudem die Mit­wir- kung von Sozi­al- und Geis­tes­wis­sen­schaf­ten unum­gäng- lich („Green and just tran­si­ti­on“). So könn­te es bei­spiels- wei­se die Rol­le der Geis­tes­wis­sen­schaf­ten sein, „den drin­gend benö­tig­ten Kom­pass ›Mensch wer­den im 21. Jahr­hun­dert‹ zu kon­zi­pie­ren, der alle gegen­wär­ti­gen und zukünf­ti­gen Schrit­te in Rich­tung indi­vi­du­el­ler, kol­lek­ti- ver und insti­tu­tio­nel­ler Ver­än­de­run­gen struk­tu­rie­ren, ver­än­dern und aus­rich­ten kann. […] Erforscht wer­den müs­sen die Prak­ti­ken und Denk­wei­sen, die den Ein­zel- nen moti­vie­ren und in die Lage ver­set­zen, individuell

wei­te­re Schrit­te zur För­de­rung von Inves­ti­tio­nen in eine nachhaltige

Zukunft“, 13.6.2023
3 Ver­ord­nung (EU) 2020/852 des euro­päi­schen Par­la­men­tes und

des Rates vom 18. Juni 2020.

ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2024), 7–12

und kol­lek­tiv nicht-nach­hal­ti­ge Pro­duk­ti­ons- und Kon- sum­mus­ter zu überwinden.“4

Dass also Wis­sen­schaft, For­schung und Tech­nik ei- nen wesent­li­chen Bei­trag zur grü­nen Trans­for­ma­ti­on der Gesell­schaft leis­ten könn­ten, lässt sich wohl kaum bestrei­ten. Ob sie es auch sol­len oder gar müs­sen, das ist hier die Frage.

II. Zwi­schen Wis­sen­schafts­frei­heit und exter­ner Zwecksetzung

Darf sich die Wis­sen­schaft über­haupt für die sozio-öko- logi­sche Zei­ten­wen­de in die Pflicht neh­men las­sen, etwa indem sie ihre For­schungs­the­men auf „grü­ne“ Inno­va­ti- ons­fel­der abstimmt? Oder wäre das ein Ver­such der poli- tischen Regu­lie­rung und gesell­schaft­li­chen Ein­fluss­nah- me, die dem Wesen der Wis­sen­schaft zuwi­der­läuft? Das lässt sich auf zwei ver­schie­de­ne Wei­sen beant­wor­ten. Zum einen erscheint es alles ande­re als abwe­gig, Wis­sen- schaft, Gesell­schaft und Poli­tik zusam­men­zu­füh­ren und die wich­ti­ge Rol­le der Wis­sen­schaft nicht nur für wis­sen- schaft­li­che, son­dern für gesamt­ge­sell­schaft­li­che Prob- lem­la­gen zu beto­nen. Zu Erin­ne­rung: Die viel­zi­tier­te Wis­sens­ge­sell­schaft bezeich­ne­te nie nur den post­in­dust- riel­len und post­fos­si­len Struk­tur­wan­del: weg von Roh- stof­fen, Arbeit und Kapi­tal, hin zu kol­lek­ti­ver Wis­sens- pro­duk­ti­on und ‑orga­ni­sa­ti­on. Viel­mehr ist der Wis- sen­s­ge­sell­schaft eine posi­ti­ve Bewer­tung der gesell­schaft­li­chen Domi­nanz des Wis­sens – Hoff­nun­gen und Erwar­tun­gen auf gesamt­ge­sell­schaft­li­che Ver­bes­se- run­gen und Neue­run­gen – inhärent.5 Die­se Ver­bin­dung von Wis­sen, Inno­va­ti­on und Fort­schritt lässt sich gegen- wär­tig auch mit Bezug auf die grü­ne Trans­for­ma­ti­on, den Kli­ma­wan­del und sei­ne dras­ti­schen Fol­gen für das mensch­li­che Leben und die beleb­te und unbe­leb­te Natur

  1. 4  M. Gabri­el et al., Auf dem Weg zu einer Neu­en Auf­klä­rung – Ein Plä­doy­er für zukunfts­ori­en­tier­te Geis­tes­wis­sen­schaf­ten, tran­script Ver­lag, Bie­le­feld (2022); Die Autoren plä­die­ren für „zukunfts­ori- entier­te Geis­tes­wis­sen­schaf­ten, auf deren Grund­la­ge eine Neue Auf­klä­rung ent­ste­hen kann, die von einem inter­dis­zi­pli­nä­ren und trans­sek­to­ra­len Netz­werk getra­gen wird“. Sie for­dern in Ihrem Auf­ruf, dass eine grund­le­gend neue, öko­lo­gi­sche Per­spek­ti­ve ein­ge­nom­men wird, „die den Men­schen als einen Akteur sieht, der neben ande­ren Lebe­we­sen in inter­de­pen­den­ten Öko­sys­te­men Nischen bildet.“
  2. 5  Noch immer rele­vant G. Böh­me, N. Stehr, The Know­ledge Socie­ty, The Gro­wing Impact of Sci­en­ti­fic Know­ledge on Social Rela­ti­ons (1986), St. Böschen, I. Schulz-Schaef­fer (Hrsg.), Wis­sen­schaft in der Wis­sens­ge­sell­schaft (2003), für die Rol­le des wis­sen­schaft­li- chen Wis­sens in der demo­kra­ti­schen Wis­sen­ge­sell­schaft vgl. E. Özmen, Wel­ches Wis­sen, wes­sen Mei­nung? Über die epis­te­mi- schen Hoff­nun­gen der Demo­kra­tie, in: Juli­an Nida-Rüme­lin, Andre­as Olden­bourg (Hrsg.): Nor­ma­ti­ve Kon­sti­tuen­zi­en der Demo­kra­tie (2023), i.E.
  3. 6  Tat­säch­lich kommt hier­bei auch und gera­de den Geisteswis-

akti­vie­ren. Inso­fern und in dem Maße, in dem sich moder­ne, funk­tio­nal aus­dif­fe­ren­zier­te Gesell­schaf­ten bei ihren kom­ple­xen Ver­fah­ren der Mei­nungs­bil­dung und Ent­schei­dungs­fin­dung auf (pri­mär wis­sen­schaft­li­ches) Wis­sen ver­las­sen, wer­den sie pro­spe­rie­ren – oder wenigs­tens die Kli­ma­ka­ta­stro­phe abwen­den. Auch wegen die­ser gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Erwar­tun­gen an die Wis­sen­schaft scheint es pri­ma facie völ­lig klar zu sein, dass man nicht bloß von einem mög­li­chen Bei­trag der Wis­sen­schaft, son­dern einem Impe­ra­tiv an die Wis- sen­schaf­ten spre­chen kann: Wis­sen­schaft­li­che For- schung kann – und soll­te – aktiv und expli­zit an der sozio-öko­lo­gi­schen Zei­ten­wen­de mit­wir­ken und auf die grü­ne Trans­for­ma­ti­on hin abge­stimmt werden.6 Das ist die eine der zwei mög­li­chen Antworten.

Die zwei­te Ant­wort fällt deut­lich skep­ti­scher aus, denn eine sol­che Fina­li­sie­rung der Wis­sen­schaft – und sei es zu mut­maß­lich guten Zwe­cken wie Kli­ma- und Umwelt­schutz, Nach­hal­tig­keit, Ver­ant­wor­tung und Ge- rech­tig­keit für zukünf­ti­ge Gene­ra­tio­nen – weckt den Ver­dacht, die Frei­heit der Wis­sen­schaft und For­schung zu untergraben.7 Zu dem Übel einer mög­li­chen Ein- schrän­kung und Ver­let­zung eines garan­tier­ten Grund- rechts, das, gemein­sam mit Meinungs‑, Pres­se- und Kunst­frei­heit nicht zufäl­lig zum fes­ten Bestand plu­ra­lis- tischer frei­heit­li­cher Demo­kra­tien gehört, kommt ein wei­te­res Übel hin­zu. Ohne freie, d.h. von staat­li­cher Steue­rung und Sank­tio­nie­rung unab­hän­gi­ge Wis­sen- schaft, gibt es kei­ne gute Wis­sen­schaft. Das Bun­des­ver- fas­sungs­ge­richt hat das bestechend klar for­mu­liert: da- mit sich „For­schung und Leh­re unge­hin­dert an dem Be- mühen um Wahr­heit aus­rich­ten kön­nen, ist die Wis­sen- schaft zu einem von staat­li­cher Fremd­be­stim­mung frei­en Bereich per­sön­li­cher und auto­no­mer Ver­ant­wor- tung des ein­zel­nen Wis­sen­schaft­lers erklärt worden.“8

sen­schaf­ten eine wich­ti­ge sys­te­ma­ti­sie­ren­de, inte­grie­ren­de und nor­ma­tiv-ori­en­tie­ren­de Funk­ti­on zu, vgl. M. Gabri­el et. al, Auf dem Weg zu einer Neu­en Auf­klä­rung – Ein Plä­doy­er für zu- kunfts­ori­en­tier­te Geis­tes­wis­sen­schaf­ten (2022).

7 Zu der aktu­el­len öffent­li­chen Debat­te um mut­maß­li­che Ge- fähr­dun­gen und Ver­let­zun­gen der Wis­sen­schafts­frei­heit durch Polit­sie­rung, Ideo­lo­gi­sie­rung und Mora­li­sie­rung vgl. die Bei­trä­ge in dem Schwer­punkt-Heft Aus Poli­tik und Zeit­ge­schich­te 46/2021 und in E. Özmen (Hrsg.), Wis­sen­schafts­frei­heit im Kon­flikt. Grund­la­gen, Her­aus­for­de­run­gen und Gren­zen (2021).

8 So der Wort­laut des ein­fluss­mäch­ti­gen Hoch­schul­ur­teils des BVerfGE 35, 79 (113). Zum Art. 5. Abs. 3 GG vgl. G. Britz, Kom- men­tie­rung zu Art. 5 Abs. 3 GG, in: Grund­ge­setz-Kom­men­tar, hrsg. von H. Drei­er (2013), K. F. Gär­ditz, Die äuße­ren und inne- ren Gren­zen der Wis­sen­schafts­frei­heit, in: Wissenschaftsrecht

– Zeit­schrift für deut­sches und euro­päi­sches Wis­sen­schafts­recht 51 (2018), 5–44, zu den phi­lo­so­phi­schen Hin­ter­grün­den E. Özmen, Epis­te­mi­sche Offen­heit als Wag­nis. Über Wis­sen­schafts­frei­heit in der Demo­kra­tie, in: Özmen 2021, a.a.O., 29–47.

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Ohne Frei­heit weni­ger gute Wis­sen­schaft — und damit wohl­mög­lich auch weni­ger gute Lösun­gen für gesell- schaft­li­che Pro­blem­la­gen. Zunächst para­dox anmu­tend ist von der Wis­sen­schaft also vor allem dann ein gesell- schaft­li­cher Nut­zen zu erwar­ten, wenn man Wis­sen- schaft und For­schung von Nütz­lich­keits­im­pe­ra­ti­ven und exter­nen Zweck­set­zun­gen freistellt.

Eine Fra­ge, zwei Ant­wor­ten: hier ein neu­er Impe­ra­tiv und das Zulas­sen exter­ner Zweck­set­zun­gen im Zei­chen der grü­nen Trans­for­ma­ti­on, dort das Bestehen auf der Auto­no­mie der Wis­sen­schaft. Man fühlt sich an die 1970er Jah­re und den Fina­li­sie­rungs­streit erin­nert. Wenn die For­schung einer Dis­zi­plin erst ein­mal in ihre letz­te, ihre post­pa­ra­dig­ma­ti­sche Pha­se gekom­men sei, so die „Fina­lis­ten“ von damals, brau­che es zusätz­li­che, von au- ßen kom­men­de Kri­te­ri­en, mit denen über die theo­re­ti- sche Rele­vanz wei­te­re For­schung ent­schie­den wer­den kön­ne. Nur so kön­ne die Wis­sen­schafts­po­li­tik For- schung ratio­nal pla­nen. Die­se For­de­run­gen gin­gen da- mals im Sturm der Empö­rung unter.9 In den 1990er Jah- ren wur­den dann viel­fäl­ti­ge pro­gram­ma­ti­sche Ver­su­che unter­nom­men, außer­epis­te­mi­sche Ansprü­che in die For­schung mit ein­zu­be­zie­hen. In den letz­ten zehn Jah- ren schließ­lich hat sich der pro­zess­ori­en­tier­te Ansatz ei- ner vor­aus­schau­en­den, refle­xi­ven, inklu­si­ven und reak­ti- ons­fä­hi­gen Tech­no­lo­gie-Gover­nan­ce durchgesetzt10. Die­ser ist in Euro­pa ins­be­son­de­re unter dem Begriff der „Respon­si­ble Rese­arch and Inno­va­ti­on“ (RRI) bekannt, einer neu­en Pro­gram­ma­tik, mit der der Gel­tungs­be­reich der wis­sen­schaft­li­chen Ver­ant­wor­tung viel wei­ter gefasst wird. Bereits der lau­fen­de For­schungs­pro­zess soll — um Inno­va­tio­nen für exter­ne Anspruchs­grup­pen auch wirk- lich rele­vant zu gestal­ten — im Hin­blick auf einen ver­ant- wortungs­be­wuss­ten Umgang mit Inno­va­tio­nen beglei­tet werden.11 Eine ähn­li­che For­de­rung, näm­lich die Aus­wir- kun­gen sei­ner For­schung beim For­schungs­de­sign mit- zuden­ken, fin­det sich in aller­ers­ten Ansät­zen auch in den „Leit­li­ni­en zur Siche­rung guter wis­sen­schaft­li­cher Pra­xis“ der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft, die für alle Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler in Deutsch­land bin­dend sind (sie­he wei­ter unten).12 Und auch die OECD sieht im par­ti­zi­pa­ti­ven Agen­da-Set­ting, in der Ko-Krea­ti­on und einer wer­te­ba­sier­ten Gestaltung

  1. 9  Für einen Über­blick über die wis­sen­schafts­in­ter­ne und beglei­ten- de öffent­li­che Debat­te A. Leen­dertz, Fina­li­sie­rung der Wis­sen- schaft: Wis­sen­schafts­theo­rie in den poli­ti­schen Deu­tungs­kämp­fen der Bon­ner Repu­blik, in: Mit­tel­weg 36 (2013), 93–121.
  2. 10  Stil­goe, J., Lock S.J. Wils­don J., Why should we pro­mo­te public enga­ge­ment with sci­ence? Rese­arch Poli­cy, 42(9), 1568–1580, 2014
  3. 11  Vgl. R. Owen, P. Mac­nagh­ten und J. Stil­goe (2012). Respon­si­ble Rese­arch and Inno­va­ti­on: From Sci­ence in Socie­ty to Sci­ence for Socie­ty, with Socie­ty. Sci­ence and Public Poli­cy 39(6), 751–760.

von Tech­no­lo­gien viel­ver­spre­chen­de Mit­tel zur Umset- zung der RRI-Grund­sät­ze. RRI Grund­sät­ze sol­len in al- len Dis­zi­pli­nen Anwen­dung fin­den, ins­be­son­de­re aber in „For­schungs­do­mä­nen nahe an Mensch und Gesell- schaft“, in der Umwelt­for­schung, Mobi­li­täts­ent­wick­lung oder Stadtplanung.13

III. Was folgt aus dem öko­lo­gi­schen Impe­ra­tiv von Hans Jonas?

Wäh­rend es hier­bei um den Umgang mit exter­nen Ansprü­chen an die Wis­sen­schaft geht, schürft die von uns ver­han­del­te Fra­ge nach der neu­en Ver­ant­wor­tung der Wis­sen­schaft im Zeit­al­ter der grü­nen Trans­for­ma­ti- on tie­fer. Man kann dabei gut anknüp­fen an älte­re Dis- kus­sio­nen um die Ver­ant­wor­tung der Wis­sen­schaft für ihre risi­ko­rei­chen tech­ni­schen Anwen­dun­gen. Dis­kus­si- onen, die schon früh in der Wis­sens­ge­sell­schaft began- nen, näm­lich mit dem Man­hat­tan Pro­jekt und der Betei- ligung von Wis­sen­schaft­lern an der Ent­wick­lung von mili­tä­ri­schen Mas­sen- bzw. Welt­ver­nich­tungs­waf­fen. Aber erst in Ver­bin­dung mit der öko­lo­gi­schen Kri­tik an dem tech­no­lo­gi­schen Impe­ra­tiv der Wis­sen­schaft nah- men die­se Dis­kus­sio­nen eine sys­te­ma­ti­sche – und mit der Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung auch eine insti­tu­tio­na­li- sier­te – Form an. Die Erkennt­nis, dass sich das Zer­stö- rungs­po­ten­ti­al der Wis­sen­schaft seit Mit­te des 20. Jahr- hun­derts dras­tisch erhöht hat­te, ließ eine nor­ma­ti­ve Ergän­zung der funk­tio­nel­len wis­sen­schaft­li­chen Selbst- kon­trol­le und Selbst­re­gu­lie­rung unum­gäng­lich ersch­ei- nen.14 Die Auto­no­mie der Wis­sen­schaft bedeu­tet näm- lich kei­nes­wegs, dass sie ethisch neu­tral oder indif­fe­rent, ohne Ver­ant­wor­tung für ihre mög­li­chen tech­ni­schen Anwen­dun­gen und gesell­schaft­li­chen Fol­gen ist. Das wird ja schon in dem Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge- richts deut­lich, das eben nicht nur die Frei­heit der Wis- sen­schaft von staat­li­cher Fremd­be­stim­mung betont, son­dern zugleich die „Ver­ant­wor­tung des ein­zel­nen Wis- sen­schaft­lers“ the­ma­ti­siert. Für die­se wis­sen­schafts­ethi- sche Debat­te steht pro­mi­nent Hans Jonas „Ver­such einer Ethik für die tech­no­lo­gi­sche Zivi­li­sa­ti­on“, der das Prin- zip Ver­ant­wor­tung zur Norm allen indi­vi­du­el­len und kol­lek­ti­ven Han­delns erklärt. Der neue ökologische

12 https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/rechtliche_rah- menbedingungen/gute_wissenschaftliche_praxis/kodex_gwp.pdf (zuletzt abge­ru­fen am 15.10.2023).

13 Vgl. S. Maa­sen, Inno­va­ti­on und Rele­vanz: For­schung im Geran- gel wider­strei­ten­der Anfor­de­run­gen. In: Com­pe­ting Know­led­ges – Wis­sen im Wider­streit 9 (2020), 123.

14 Vgl. H. Lenk, Zwi­schen Wis­sen­schaft und Ethik (1992), Ch. Hubig, Tech­nik- und Wis­sen­schafts­ethik (1995), A. Grun­wald, Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung (2022).

Schraudner/Özmen/Grünberg · Der „Green Deal“ 9

10 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2024), 7–12

Impe­ra­tiv lau­tet: „Hand­le so, dass die Wir­kun­gen dei­ner Hand­lung ver­träg­lich sind mit der Per­ma­nenz ech­ten mensch­li­chen Lebens auf Erden. Oder nega­tiv aus­ge- drückt: Hand­le so, dass die Wir­kun­gen dei­ner Hand­lung nicht zer­stö­re­risch sind für die künf­ti­ge Mög­lich­keit sol- chen Lebens.“15 Mit Blick auf die Zer­stö­rungs­po­ten­tia­le der Nukle­ar­tech­no­lo­gie war für Hans Jonas die uni­ver- sel­le Gel­tungs­kraft die­ses Impe­ra­tivs evident.

Nun ist das Zer­stö­rungs- und Welt­ver­nich­tungs­po- ten­ti­al durch den men­schen­ge­mach­ten Kli­ma­wan­del nicht gerin­ger, so dass sich fra­gen lässt – und das ist un- sere Fra­ge hier! – ob die­ser öko­lo­gi­sche Impe­ra­tiv von Hans Jonas sich nicht nur als Pflicht zur Ent­hal­tung von bestimm­ten For­schun­gen und Tech­no­lo­gien ver­ste­hen lässt, son­dern posi­tiv gewen­det wer­den kann zu einem Mit­wir­kungs- und Gestal­tungs­auf­trag an die Wis­sen- schaft. Wie aber könn­te ein wis­sen­schafts­ethi­scher Ko- dex aus­se­hen, der die Wis­sen­schaft zur Betei­li­gung an der grü­nen Trans­for­ma­ti­on anhält und sie so in den Dienst des dau­er­haf­ten Woh­le der Men­schen und einer gerech­ten nach­hal­ti­gen Gesell­schaft stellt? Wie könn­ten die Gefah­ren einer Fina­li­sie­rung der frei­en Wis­sen­schaft ver­mie­den und zugleich eine neue Ver­ant­wor­tung der Wis­sen­schaft für die grü­ne Trans­for­ma­ti­on bestimmt wer­den? Wäre nicht eine ethi­sche Selbst­ver­pflich­tung – eine „Groß­zü­gig­keit im Diens­te des Men­schen“, also eine Groß­zü­gig­keit bei der Nut­zung der Wis­sen­schafts­frei- heit, wie es der Nobel­preis­trä­ger André Cour­nand in sei- nem scientist’s code einst vor­ge­schla­gen hat16 – eine be- den­kens­wer­te Mög­lich­keit, Frei­heit und Ver­ant­wor­tung der Wis­sen­schaft zusam­men­zu­füh­ren? Wir fin­den schon.

IV. Welt­ver­ste­hen und Welt­ge­stal­ten: der Auf­trag und die Ein­heit der Wissenschaft

Die Wis­sen­schaft hat zwei distink­te Grund­rich­tun­gen, die zurück­ge­hen auf ihre zwei Auf­trä­ge: Welt­ver­ste­hen und Weltgestalten,17 mit zwei dazu­ge­hö­ri­gen, grund- sätz­lich ver­schie­de­nen Qua­li­täts­dis­kur­sen: Exzel­lenz ver­sus Relevanz18. Hier der Blick auf inner­wis­sen­schaft- liche Aner­ken­nung (Exzel­lenz), dort der Blick auf gesell- schaft­li­che Aner­ken­nung (Rele­vanz). Hier ein wesent- lich auf das Ver­ste­hen gerich­te­tes, exzel­len­tes Wis­sen (Grund­la­gen), dort ein öko­no­misch ver­wert­ba­res und/

15 H. Jonas, Das Prin­zip Ver­ant­wor­tung. Ver­such einer Ethik für die tech­no­lo­gi­sche Zivi­li­sa­ti­on (1979), 36.

16 A. Cour­nand, M. Mey­er, The Scientist’s Code, in: Miner­va 14 (1976), S. 79–96.

17 P. Stroh­schnei­der, Zur Poli­tik der Trans­for­ma­ti­ven Wis­sen­schaft. In: Die Ver­fas­sung des Poli­ti­schen: Fest­schrift für Hans Vorländer

oder gesell­schaft­lich rele­van­tes, mög­lichst par­ti­zi­pa­tiv gewon­ne­nes und nor­ma­tiv akzep­ta­bles Wis­sen (Anwen- dung)19. Die­se cha­rak­te­ris­ti­sche „Zwei­sei­ten­form von Wissenschaft“20 wird durch­aus von der Poli­tik gespie- gelt, die ja via Finan­zie­rung und För­de­rung die Ent­wick- lungs­rich­tung der Wis­sen­schaft wesent­lich mit­be­stimmt. Da gibt sie zum einen der Wis­sen­schaft im Ver­trau­en auf ihre sys­tem­ei­ge­nen Ver­teil­pro­ze­du­ren zweck­un­ge­bun- dene Finanz­mit­tel, man den­ke etwa an das Bud­get der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft oder die Grund­mit- tel, die eine Uni­ver­si­tät erhält. Und da gibt es ande­rer- seits die zweck­ge­bun­de­nen Mit­tel, z.B. die der öffent­li- chen För­der­ge­ber (BMBF, EU) mit ihren the­ma­tisch ein- gegrenz­ten Pro­gram­men und den vor­ab defi­nier­ten För­der­zie­len, über die die Wis­sen­schaft dann für die Lösung kon­kre­ter Pro­ble­me in den Dienst genom­men und auf rele­van­tes Wis­sen hin geeicht wird.

In wel­chem rela­ti­ven Ver­hält­nis die unge­bun­de­nen zu den gebun­de­nen Mit­teln ste­hen, ist aller­dings kei­ne rein wis­sen­schaft­li­che, son­dern eine poli­ti­sche Entsch­ei- dung. Ja, die Wis­sen­schaft ist auto­nom – und eben dar- um ist ihre Finan­zie­rung eine gesamt­ge­sell­schaft­li­che Auf­ga­be. Aber es ist der Poli­tik nicht unter­sagt – kei­ne Ein­schrän­kung der Auto­no­mie der Wis­sen­schaft! – über die Mit­tel­ver­tei­lung die wei­te­re Ent­wick­lung der Wis- sen­schaft zu steu­ern. Was soll dann aber die For­de­rung nach einer Selbst­ver­pflich­tung zum Mit­tun im Sin­ne ei- nes André Cour­nand, wenn die Wis­sen­schaft ja doch am (mehr oder weni­ger kur­zen) Zügel der öffent­li­chen Fi- nan­zen geführt wird?

Unse­re Ant­wort ist: Weil eine sol­che Selbst­ver­pf­lich- tung am Ende die Wis­sen­schafts­auto­no­mie stärkt. Und weil die Wis­sen­schaft damit in eige­ner Regie und als Gan­zes auf einen drän­gen­den Ver­än­de­rungs­im­puls der Welt reagiert. Täte sie es nicht, wür­de sie nicht aus eige- ner Kraft, aus eige­nem Wil­len und als Gan­zes auf die neue, auf die mensch­heits­ge­fähr­den­de Lage reagie­ren, so lie­fe sie – dann ganz von außen gesteu­ert — Gefahr, end- gül­tig und dau­er­haft in ihre zwei Tei­le zu zer­fal­len: in eine auf exter­ne Zwe­cke gerich­te­te, anwen­dungs- und lö- sungs­ori­en­tier­te, den Rele­vanz­er­war­tun­gen der Gesell- schaft ent­spre­chen­de Wis­sen­schaft auf der einen Sei­te und eine von dem Welt­ge­sche­hen ent­kop­pel­te, ganz dem Ver­ste­hen gewid­me­te, grund­la­gen­ori­en­tier­te und sich auto­nom ihre Zie­le set­zen­de, aber von der Gesellschaft

(2014), 175–192.
18 S. Maa­sen, Inno­va­ti­on und Rele­vanz: For­schung im Gerangel

wider­strei­ten­der Anfor­de­run­gen. In: Com­pe­ting Knowledges–

Wis­sen im Wider­streit 9 (2020), 123. 19 Vgl. S. Maa­sen (2020)
20 Vgl. P. Stroh­schnei­der (2014)

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als kaum rele­vant erach­te­te Wis­sen­schaft auf der ande- ren Sei­te. Das darf nicht pas­sie­ren. Wis­sen­schaft wird (noch) als Gan­zes von der Gesell­schaft wahr­ge­nom­men, aner­kannt, ver­stan­den und genutzt – und ein sol­ches Gan­zes soll sie blei­ben; auch um ihrer gesamt­ge­sell- schaft­li­chen Aner­ken­nung willen.

Wür­de sich die Wis­sen­schaft von sich aus in die Pflicht neh­men, aktiv an der grü­nen Trans­for­ma­ti­on mit­zu­wir­ken, so wäre ein Dop­pel­tes erreicht: nie­mand könn­te einer­seits die rele­van­te Anwen­dung von Wis­sen- schaft aus dem Sys­tem inner­wis­sen­schaft­li­cher Aner- ken­nung und ande­rer­seits die rein erkennt­nis­ori­en­tier- ten Wis­sen­schaf­ten aus dem Sys­tem gesell­schaft­li­cher Aner­ken­nung her­aus­drän­gen. Trotz ihrer natür­li­chen Zwei­sei­ten­form von Welt­ver­ste­hen und Welt­ge­stal­ten muss es einer wahr­haft auto­no­men Wis­sen­schaft ein An- lie­gen sein, sich einer gro­ßen neu­en Auf­ga­be als Gan­zes zu ver­schrei­ben. Hier­in aber liegt der eigent­li­che Kern der neu­en Ver­ant­wor­tung der Wissenschaft.

V. Die gro­ßen Wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­tio­nen zur Nachhaltigkeit

Die gro­ßen deut­schen Wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­tio­nen befas­sen sich nicht expli­zit mit der hier ver­han­del­ten wis­sen­schafts­ethi­schen Fra­ge, posi­tio­nie­ren sich aber in Pro­gramm und Mis­si­on zum The­ma Nach­hal­tig­keit. Nicht über­ra­schend bezieht die Helm­holtz Gemein- schaft in ihrem Mis­si­on State­ment („Nach­hal­ti­ge For- schung gestal­tet Zukunft“) am deut­lichs­ten Position21: „Auf­trag der Helm­holtz-Gemein­schaft ist For­schung, die wesent­lich dazu bei­trägt, gro­ße und drän­gen­de Fra- gen von Wis­sen­schaft, Gesell­schaft und Wirt­schaft zu beant­wor­ten. […] Die Arbeit der Helm­holtz-Gemein- schaft zielt dar­auf, die Lebens­grund­la­gen des Men­schen lang­fris­tig zu sichern […].“22 Die Fra­ge, ob es in der Wis­sen­schaft eine ethi­sche Pflicht zum Mit­wir­ken bei der Befor­schung der drän­gends­ten Zukunfts­fra­gen gibt, wird also in einer Gemein­schaft, die sich schon in Pro- gramm und Mis­si­on genau dazu ver­pflich­tet, kol­lek­tiv beant­wor­tet. Und auch die Fraun­ho­fer Gesell­schaft hat einen ähn­li­chen Auf­trag und fin­det daher eben­so zu einer sol­chen kol­lek­ti­ven Ant­wort, wenn sie sich zu dem

  1. 21  https://www.helmholtz.de/ueber-uns/wer-wir-sind/mission/
  2. 22  Die­ser Anspruch wird auch in der „Helm­holtz Sus­taina­bi­li­ty Chall­enge” erkenn­bar, die sich an trans­dis­zi­pli­nä­re For­scher- teams wen­det und zum Nach­den­ken über nach­hal­ti­ge Wert-schöp­fungs­ket­ten und eine Kreis­lauf­wirt­schaft auf­for­dert. https://www.helmholtz.de/forschung/aktuelle-ausschreibungen
  3. 23  https://www.fraunhofer.de/de/ueber-fraunhofer/corporate-res-ponsibility/governance/leitbild.html

24 https://www.fraunhofer-zukunftsstiftung.de/

fol­gen­den Leit­satz bekennt23: „Wir tra­gen durch unse­re For­schung zu einer nach­hal­ti­gen Ent­wick­lung im Sin­ne einer öko­lo­gisch intak­ten, öko­no­misch erfolg­rei­chen und sozi­al aus­ge­wo­ge­nen Welt bei. Die­ser Ver­ant­wor- tung füh­len wir uns ver­pflich­tet.“ Am wei­tes­ten bei die- ser Selbst­ver­pflich­tung geht aller­dings die Fraun­ho­fer- Zukunfts­stif­tung, wenn sie schreibt24: „Wir unter­stüt­zen und gestal­ten die Trans­for­ma­ti­on zu einer nach­hal­ti­gen Wirt­schafts- und Lebens­wei­se. […] Unse­re För­de­rung ermög­licht die Ent­wick­lung von Pro­duk­ten, Dienst­leis- tun­gen und Geschäfts­mo­del­len, die einen wich­ti­gen Bei- trag zur Lösung glo­ba­ler Her­aus­for­de­run­gen leis­ten. Dabei ori­en­tie­ren wir uns ver­stärkt am Leit­be­griff der »Nach­hal­ti­gen Ent­wick­lung« sowie den Sus­tainable- Deve­lo­p­ment-Goals der Ver­ein­ten Natio­nen (SDGs).“

Schaut man hin­ge­gen in die „Leit­li­ni­en zur Siche- rung guter wis­sen­schaft­li­cher Pra­xis“, braucht es viel gu- ten Wil­len, um aus der Leit­li­nie 9 zum For­schungs­de­sign abzu­le­sen, dass man bei der Wahl sei­nes For­schungs­the- mas auch beach­ten soll­te, was als drän­gen­de Fra­ge wirk- lich ansteht25: „Die Iden­ti­fi­ka­ti­on rele­van­ter und gee­ig- neter For­schungs­fra­gen setzt sorg­fäl­ti­ge Recher­che nach bereits öffent­lich zugäng­lich gemach­ten For­schungs­leis- tun­gen vor­aus.“ In ihren Emp­feh­lun­gen „Ver­an­ke­rung des Nach­hal­tig­keits­ge­dan­kes im DFG-För­der­han­deln“ geht die DFG aller­dings einen erheb­li­chen Schritt wei­ter, indem sie in allen För­der­for­ma­ten die Refle­xi­on über Nach­hal­tig­keits­aspek­te im For­schungs­pro­zess ver­pf­lich- tend integriert.26 Die Mis­sio­nen der Leib­niz­ge­mein- schaft27 und der Max-Planck Gesellschaft28 durch­sucht man hin­sicht­lich der hier ver­han­del­ten Fra­gen vergeblich.

Anläss­lich des 70. Jah­res­tags des Inkraft­tre­tens des Grund­ge­set­zes im Jahr 2019 hat die Alli­anz der Wis­sen- schafts­or­ga­ni­sa­tio­nen ein The­sen­pa­pier zum Grund- recht der Wis­sen­schafts­frei­heit vorgelegt.29 Dies wäre ein guter Moment gewe­sen, um auf die aus der Frei­heit resul­tie­ren­de Ver­ant­wor­tung der Wis­sen­schaft näher ein­zu­ge­hen. „Das vor­lie­gen­de Memo­ran­dum ver­steht sich als Selbst­ver­pflich­tung der Wis­sen­schaft in Deutsch- land, die Frei­heit der Wis­sen­schaft zu schüt­zen, sich ge- gen ihre Beschrän­kun­gen zur Wehr zu set­zen und sie für künf­ti­ge Her­aus­for­de­run­gen zu stär­ken.“ Der Schutz der

25 Vgl. Fuß­no­te 12
26 https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/grundlagen_the-

men/nachhaltigkeit/empfehlungen.pdf
27 https://www.leibniz-gemeinschaft.de/ueber-uns/ueber-die-leib-

niz-gemein­schaft
28 https://www.ip.mpg.de/de/das-institut/mission-statement.html 29 https://wissenschaftsfreiheit.de/abschlussmemorandum-der-

kampagne/

Schraudner/Özmen/Grünberg · Der „Green Deal“ 1 1

12 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 1 (2024), 7–12

Wis­sen­schafts­frei­heit steht aller­dings in die­sem Papier im Vor­der­grund, wäh­rend die damit ein­her­ge­hen­den Pflich­ten und Ver­ant­wort­lich­kei­ten der Wis­sen­schaft nur in Ansät­zen aus­ge­führt wer­den. Ein Über­ar­bei­ten der Wis­sen­schafts­ethik im Sin­ne von Cour­nand wird nicht diskutiert.

Mar­ti­na Schraud­ner ist Pro­fes­so­rin an der TU Ber­lin und aka­de­mi­sche Lei­te­rin des dor­ti­gen Fraun­ho­fer Cen­ter for Respon­si­ble Rese­arch and Innovation.

Elif Özmen besetzt eine Pro­fes­sur für Prak­ti­sche Phi- loso­phie an der Uni­ver­si­tät Gießen.

Hans Hen­nig von Grün­berg ist Pro­fes­sor für Wis­sens- und Tech­no­lo­gie­trans­fer an der Uni­ver­si­tät Potsdam.