Am 01.01.2022 ist das Gesetz zur Gründung der Hessi- schen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit vom 30.09.2021 in Kraft getreten.1 Dieses Gesetz bedeutet eine umfassende Reorganisation für die Polizei- und Verwaltungsausbildung im Land Hes- sen (I.). Die ehemals als Polizeibehörde2 bestehende Polizeiakademie Hessen3, das bisherige Referat Zentrale Fortbildung Hessen4 im Hessischen Ministerium des Innern und für Sport5 sowie die Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung6 sind in der Hochschule für öffent- liches Management und Sicherheit7 aufgegangen. Für die neue HöMS hat der Landesgesetzgeber eine Hochschul- organisation sui generis erdacht. Der Einfluss der Profes- soren auf die Zusammensetzung der sie vertretenden Statusgruppe in den Hochschulgremien unterschreitet das verfassungsrechtlich erforderliche Maß erheblich (III., 1.). Der Einfluss des HMdIS auf die Bestellung und Abberufung der Leitungspersonen der HöMS schränkt das hochschulische Selbstverwaltungsrecht über Gebühr ein (III., 2.). Das Kuratorium der HöMS ermöglicht in verfassungswidriger Weise Einflussnahme durch staats- nahe Akteure (III., 3.). In der Gesamtschau stehen zahl- reiche organisationsrechtliche Vorschriften des Gesetzes zur Gründung der HöMS im Widerspruch mit dem lan- desverfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungs- recht der Hochschulen (II., 2.) sowie der Wissenschafts- freiheit (II., 3.). Es ist zu erwarten, dass der Landesge- setzgeber das Organisationsrecht der HöMS – spätestens nach einer Entscheidung des Hessischen Staatsgerichts- hofs in einem laufenden Normenkontrollverfahren8 – wird modifizieren müssen. Sinnvoll erscheint im Grund- satz eine Ausgestaltung als Hochschule für angewandte Wissenschaften i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 HessHG (IV.).
- 1 GVBl. 2021, S. 622; berichtigt durch GVBl. 2021, S. 675; abwei- chend sind Art. 1 und 4 Nr. 2 des Gesetzes gemäß Art. 10 Satz 2 des Gesetzes bereits am Tag nach der Verkündung – dem 12.10.2021 – in Kraft getreten; siehe außerdem das Gesetz zur Neuregelung und Änderung hochschulrechtlicher Vorschriften und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften vom 14.12.2021, GVBl. 2021, S. 931.
- 2 § 91 Abs. 2 Nr. 2 lit. e HSOG i.d.F. vom 23.08.2018.
- 3 Im Folgenden: HPA.
4 Im Folgenden: ZFH.
5 Im Folgenden: HMdIS.
6 Im Folgenden HfPV.
7 Im Folgenden: HöMS.
I. Gründungsgeschichte der HöMS
1. Organisation der Polizei- und Verwaltungsausbildung bis zum 31.12.2021
Bis zum 31.12.2021 war die akademische und praktische Ausbildung, insbesondere der Anwärter für den Polizei- vollzugsdienst, nahezu vollständig an der HfPV als nicht-rechtsfähiger Anstalt des Landes Hessen angesie- delt.9 Die Anwärter erlangten etwa „unter Beachtung der einschlägigen Dienstvorschriften praktische Kenntnisse über Waffen, Gerät und das Schießen“10. Sie sollten „die dienstlich zugelassenen Schusswaffen sicher und schnell handhaben, treffsicher schießen sowie auftretende Stö- rungen erkennen und folgerichtig handeln können“11. In akademischer Hinsicht beinhaltete die Ausbildung z.B. das Modul S 1.2 „Polizei in Staat und Gesellschaft“, des- sen Inhalte die Verfassung und der Rechtsstaat sowie das Beamtenverhältnis waren.12 Die HPA fungierte – im Gegensatz zur HfPV als Stätte erstmaliger Ausbildung – vor allem als Fort- und Weiterbildungsstätte für die Poli- zei des Landes Hessen. Ferner war der Zentrale Polizei- psychologische Dienst an der HPA angesiedelt. Anwär- ter begegneten der HPA als Einstellungsbehörde sowie, für den Zeitraum ihrer Ausbildung, als Dienstherrin i.S.v. § 2 HBG, § 2 BeamtStG. Die ZFH war, wie die HPA, in der Fort- und Weiterbildung aktiv. Allerdings richte- ten sich die Angebote der ZFH nicht ausschließlich an die Polizei, sondern an alle Landesbediensteten. Zum Beispiel konzipierte und organisierte die ZFH die Füh- rungsfortbildung.13
Nicht nur organisatorisch, sondern auch hinsichtlich der Rechtssetzung waren die hochschulischen und poli- zeilichen Aufgaben der Aus- und Fortbildungsstätten
8 HessStGH, P.St. 2891.
9 §§ 1 Abs. 3, 2 Abs. 1 Satz 1 VerwFHG a.F. vom 28.09.2015.
10 Modulbuch für den Studiengang Bachelor of Arts „Schutzpolizei“
der HfPV vom 20.09.2016, S. 30.
11 Modulbuch für den Studiengang Bachelor of Arts „Schutzpolizei“
der HfPV vom 20.09.2016, S. 30.
12 Modulbuch für den Studiengang Bachelor of Arts „Schutzpolizei“
der HfPV vom 20.09.2016, S. 15.
13 Fortbildungskonzept 2018 für die Hessische Landesverwaltung,
Erlass vom 25.08.2017 (StAnz. 37/2017, S. 876); berichtigt durch Fortbildungskonzept 2018 für die Hessische Landesverwaltung, Erlass vom 15.09.2017 (StAnz. 40/2017, S. 951).
Samuel Weitz
Die neue Hessische Hochschule für öffentliches Ma- nagement und Sicherheit: Hochschulorganisation sui generis – auf Kosten der Wissenschaftsfreiheit
Ordnung der Wissenschaft 2023, ISSN 2197–9197
226 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2023), 225–234
von Polizei und Verwaltung im Land Hessen bis zum 31.12.2021 klar getrennt: Die Bestimmungen über die HfPV waren im VerwFHG normiert, die der HPA im HSOG und die der ZFH u.a. in einem ministeriellen Erlass14.
2. Reformbestrebungen und Gesetzentwürfe
Der politische Wille, die drei Aus- und Fortbildungsstät- ten HfPV, HPA und ZFH zusammenzuführen, wurzelt im Koalitionsvertrag zwischen der CDU Hessen und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen vom 23.12.2013 für die 19. Wahlperiode des Hessischen Landtags. Die Koali- tionspartner hatten vereinbart, „die Einbindung der Ver- waltungsfachhochschulen des Landes in das Wissen- schaftssystem [zu] stärken“15. Konkreter fassten die glei- chenKoalitionspartnerihrVorhabenimnächstenKoali- tionsvertrag vom 23.12.2018 für die 20. Wahlperiode des Hessischen Landtags: Sie „wollen […] eine[r] Verwal- tungsfachhochschule schaffen, in der auch HfPV, HPA und die Zentrale Fortbildung aufgehen“16. Mehr als sie- ben Jahre nach der erstmaligen Erwähnung in einem Koalitionsvertrag legte die hessische Landesregierung am 10.05.2021 schließlich den ersten Gesetzentwurf zur Gründung der HöMS vor.17
Mit der Gründung der HöMS hat die hessische Lan- desregierung im Wesentlichen drei Ziele verfolgt: Ers- tens sollte die Nachwuchsgewinnung für Polizei und Verwaltung gefördert werden.18 Zweitens sollten Syner- gien zwischen akademischen und praktischen Aspekten der Polizeiausbildung gehoben werden.19 Drittens beab- sichtigte die Landesregierung die Stärkung des Wissen-
14 Fortbildungskonzept 2018 für die Hessische Landesverwaltung, Erlass vom 25.08.2017 (StAnz. 37/2017, S. 876); berichtigt durch Fortbildungskonzept 2018 für die Hessische Landesverwaltung, Erlass vom 15.09.2017 (StAnz. 40/2017, S. 951).
15 Koalitionsvertrag zwischen der CDU Hessen und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hessen für die 19. Wahlperiode des Hessischen Landtags vom 23.12.2013, S. 72, Rn. 3377 f.
16 Koalitionsvertrag zwischen der CDU Hessen und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hessen für die 20. Wahlperiode des Hessischen Landtags vom 23.12.2018, S. 135.
17 LT-Drs. 20/5722.
18 LT-Drs. 20/5722, S. 19. 19 LT-Drs. 20/5722, S. 19.
- 20 LT-Drs. 20/5722, S. 19.
- 21 v. Bebenburg, Gießener Allgemeine, Sorge um Freiheit der Wissen-schaft, 04.08.2021, https://www.giessener-allgemeine.de/hessen/ sorge-um- freiheit-der-wissenschaft-90902481.html [zuletzt abgerufen am 14.08.2023]; Ogorek, Legal Tribune Online, Reform der Hessischen Polizeihochschule: Mehr Wissenschaft wagen, 20.08.2021, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/reform- hochschule-fuer-polizei-und-verwaltung-hessen-gesetzentwurf- verfassungsrecht-trennung-rechtsaufsicht-fachaufsicht-selbstver- waltung/ [zuletzt abgerufen am 14.08.2023].
- 22 Ausschussvorlage INA 20/35, WKA 20/25, Stellungnahmen der Anzuhörenden zur gemeinsamen mündlichen Anhörung des
schaftssystems in Hessen.20 Dass diese hehren Ziele durch das Gesetz zur Gründung der HöMS nicht zu er- reichen sein werden, ist mehr Politikum als Rechtsfrage. Verfassungsrechtlich virulent ist vielmehr das hoch- schulorganisatorische Gefüge der HöMS.
Sowohl in den Medien21 als auch in den Stellungnahmen der Sachverständigen im Rahmen der gemeinsamen Anhörung von Innenausschuss und Ausschuss für Wis- senschaft und Kunst des Hessischen Landtags22 wurde der Gesetzentwurf vom 10.05.2021 deutlich kritisiert und vielfach als verfassungswidrig bezeichnet. Zu diesem Urteil kamen die Sachverständigen insbesondere, weil sie das hochschulische Selbstverwaltungsrecht und die Wissenschaftsfreiheit verletzt sahen.23 Infolgedessen haben die Regierungsfraktionen von CDU und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN den Gesetzentwurf vom 10.05.2021 geringfügig modifiziert und am 15.09.2021 einen entsprechenden Änderungsantrag im Hessischen Landtag eingebracht.24 Dort wurde das Gesetz zur Grün- dung der HöMS schließlich am 30.09.2021 beschlos- sen.25 Die wesentlichen Vorschriften dieses Gesetzes sind am 01.01.2022 in Kraft getreten und haben die – auch nach dem Nachjustieren qua Änderungsantrag – fundamentaler Kritik26 ausgesetzte Gründung der HöMS besiegelt.
3. Status quo
Die HöMS ist eine Hybride. Sie ist eine rechtsfähige Kör- perschaft des öffentlichen Rechts (§ 1 HessHG) und zugleich – bei Erfüllung ihrer polizeilichen Aufgaben – eine Polizeibehörde (§ 91 Abs. 2 Nr. 2 lit. e HSOG). Zum
Innenausschusses und des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst zum Entwurf der hessischen Landesregierung für ein Ge- setz zur Gründung der HöMS (LT-Drs. 20/5722), 08.07.2021 und 14.07.2021; Stenografischer Bericht INA 20/46, WKA 20/29, Öf- fentliche Anhörung des Innenausschusses und des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst zum Entwurf der hessischen Landesregie- rung für ein Gesetz zur Gründung der HöMS (LT-Drs. 20/5722), 15.07.2021.
23 Z.B. Fehling, in: Stenografischer Bericht INA 20/46, WKA 20/29, Öffentliche Anhörung des Innenausschusses und des Ausschus- ses für Wissenschaft und Kunst zum Entwurf der hessischen Landesregierung für ein Gesetz zur Gründung der HöMS (LT-Drs. 20/5722), 15.07.2021, S. 13.
24 LT-Drs. 20/6389.
25 GVBl. 2021, S. 622; berichtigt durch GVBl. 2021, S. 675; siehe auch
das Gesetz zur Neuregelung und Änderung hochschulrechtlicher Vorschriften und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften vom 14.12.2021, GVBl. 2021, S. 931.
26 Z.B. Ogorek, Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit: Verpasste Chancen, geschwächte Wissenschaft, DP 2022, 89; v. Bebenburg, Frankfurter Rundschau, Neue hessische Hochschule stößt auf massive Kritik, 01.10.2021, https://www.fr.de/ rhein-main/landespolitik/neue-hessische-hochschule-stoesst-auf- massive-kritik-91027133.html [zuletzt abgerufen am 14.08.2023].
Weitz · Die neue Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit 2 2 7
einen ist die HöMS in den Fachbereichen Polizei und Verwaltung zuständig für die Aus- und Fortbildung des Nachwuchses des gehobenen allgemeinen Verwaltungs- dienstes und des gehobenen Polizeivollzugsdienstes sowie der zur Ausbildung für den gehobenen allgemei- nen Verwaltungsdienst zugelassenen Tarifbeschäftigten des Landes, der Gemeinden, Gemeindeverbände und sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden Kör- perschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (§ 4 Abs. 5 Satz 1 HessHG). Zum anderen über- nimmt die HöMS als Auftragsangelegenheit die Zentrale Fortbildung der Beschäftigten der hessischen Landes- verwaltung (§ 101 Abs. 2 HessHG). Zu den polizeilichen Aufgaben der HöMS gemäß § 95 Abs. 2 HSOG zählen wiederum z.B. die polizeiliche Aus- und Fortbildung aller Polizeibediensteten des Landes bis auf die berufli- che Grundqualifizierung des gehobenen Dienstes sowie – ab dem 01.11.2023 – die Aus- und Fortbildung der Spe- zialeinheiten (Nr. 1). Ferner leistet die HöMS gemäß § 95 Abs. 2 HSOG polizeipsychologische Dienste (Nr. 4) und ist verantwortlich für das Nachwuchsmanagement sowie die Einstellung von Polizeianwärterinnen und ‑anwärtern (Nr. 2).
NachdemschonimGesetzgebungsverfahrenZweifel an der Vereinbarkeit des Gesetzes mit Art. 60 Abs. 1 Satz 2 und Art. 10 HessVerf aufgekommen waren, initi- ierten die Oppositionsfraktionen von SPD und FDP im Hessischen Landtag nach Inkrafttreten des Geset- zes ein abstraktes Normenkontrollverfahren gemäß Art. 132 HessVerf i.V.m. §§ 39, 40 StGHG. Sie beantrag- ten die Feststellung, dass einzelne Vorschriften, die die Organisation der HöMS betreffen, mit der HessVerf im Widerspruch stehen und nichtig sind.27 Mit einer Ent- scheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs ist im Laufe der kommenden Monate zu rechnen.
II. Verfassungsrechtliche Grundlagen
1. Verfassung des Landes Hessen als Prüfungsmaßstab
a) Relevantes Landesverfassungsrecht
Gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 2 HessVerf haben die Univer- sitäten und staatlichen Hochschulen das Recht der Selbstverwaltung, an der die Studierenden zu beteiligen
27 HessStGH, P.St. 2891.
28 Rupp, in: Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft (FS
Unruh), 1983, S. 919, 920; Hillermann, Die Durchsetzung des Hochschulselbstverwaltungsrechts vor dem Bundesverfassungsge- richt und den Landesverfassungsgerichten, 2000, S. 57, 70.
29 Siehe Art. 28 Abs. 1 ThürVerf, Art. 107 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf, Art. 39 Abs. 1 Satz 2 RhPfVerf, Art. 33 Abs. 2 Satz 2 SaarlVerf, Art. 138 Abs. 2 Satz 2 BayVerf, Art. 32 Abs. 1 BdbgVerf.
sind. Art. 10 HessVerf garantiert die Wissenschaftsfrei- heit: Niemand darf in seinem wissenschaftlichen Schaf- fen und in der Verbreitung seiner Werke gehindert wer- den. Art. 10 HessVerf und Art. 60 Abs. 1 Satz 2 HessVerf stehen in einem engen inhaltlichen Zusammenhang: Das hochschulische Selbstverwaltungsrecht ist eine spe- zielle Ausprägung der Freiheit von Wissenschaft, For- schung und Lehre. Das Selbstverwaltungsrecht soll die- sen Freiheiten zur Entfaltung verhelfen und dient den Hochschulen zur Wahrung ihrer Autonomie.28
Dass das hochschulische Selbstverwaltungsrecht nicht als Teil der Wissenschaftsfreiheit verstanden, son- dern eigenständig im Wortlaut der Verfassung garantiert wird, ist kein hessisches Spezifikum. Mit Ausnahme der Bundesländer Berlin, Hamburg, Bremen und Schleswig- Holstein enthalten alle Landesverfassungen eine Norm, die – wie Art. 60 HessVerf – grundlegend die verfas- sungsrechtliche Stellung von Hochschulen regelt. Kon- kret das hochschulische Selbstverwaltungsrecht hat in zwölf Bundesländern ausdrücklich Verfassungsrang, z.B. gemäß Art. 20 BWVerf, Art. 138 BayVerf, Art. 5 Abs. 3 NdsVerf sowie Art. 16 NRWVerf. Die Betei- ligung der Studierenden an der hochschulischen Selbst- verwaltung schreiben neben dem Land Hessen (Art. 60 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 HessVerf) sechs weitere Bun- desländer in unterschiedlichem Umfang fest.29
b) Verhältnis von HessVerf und GG
Auf Bundesebene ist die verfassungsrechtliche Stellung von Hochschulen – anders als die Wissenschaftsfreiheit i.S.v. Art. 10 HessVerf – im Wortlaut der Verfassung nicht ausdrücklich festgeschrieben. Es existiert keine Art. 60 HessVerf unmittelbar entsprechende Norm im GG.30 Die Freiheit von Kunst und Wissenschaft sowie Forschung und Lehre ist in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nor- miert – ohne die hochschulische Perspektive auf Wissen- schaft gesondert zu adressieren. Art. 5 Abs. 3 GG enthält neben dem individuellen Wissenschaftsfreiheitsrecht allerdings auch eine objektive Wertordnung: Es handelt sich um eine „das Verhältnis von Wissenschaft, For- schung und Lehre zum Staat regelnde wertentscheiden- de Grundsatznorm“31, die somit auch die hochschulische Selbstverwaltung betrifft.32
30 Meister, in: PdK – Hessen, Verfassung des Landes Hessen, 7. Fas- sung 2020, Art. 60 Rn. 1.
31 BVerwG 25.11.1977 – VII C 25.76 – BVerwGE 55, 73, Rn. 11 ff.; vgl. auch BVerfG 29.05.1973 – 1 BvR 424/71 – BVerfGE 35, 79, Ls. 2.
32 Kempen, in: BeckOK GG, 55. Edition vom 15.05.2023, Art. 5 Rn. 188; Hillermann, Die Durchsetzung des Hochschulselbstverwal- tungsrechts vor dem Bundesverfassungsgericht und den Landes- verfassungsgerichten, 2000, S. 107 ff. m.w.N.
228 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2023), 225–234
Grundsätzlich wird Landesrecht gemäß Art. 31 GG durch Bundesrecht gebrochen. Ausnahmsweise bleiben gemäß Art. 142 GG Bestimmungen der Landesverfas- sungen insoweit in Kraft, als sie in Übereinstimmung mit Art. 1–18 GG Grundrechte gewährleisten.33 Zwar er- scheint die Gewährleistung des hochschulischen Selbst- verwaltungsrechts in den Landesverfassungen dem Bun- desverfassungsgericht „dort neben der Garantie der Wissenschaftsfreiheit als etwas Zusätzliches“34. Gleich- wohl folgert das Bundesverfassungsgericht aus Art. 5 Abs. 3 GG das verfassungsrechtliche Gebot mög- lichst freiheitlicher Strukturen an Hochschulen35 und hält für verfassungsrechtlich erforderlich, dass der Ge- setzgeber ein „hinreichendes Maß an organisatorischer Selbstbestimmung der Grundrechtsträger sicherstellt“.36 Die bundesverfassungsgerichtliche Interpretation der grundgesetzlichen Wissenschaftsfreiheit lässt den Schluss zu, dass das hochschulische Selbstverwaltungs- recht aus Art. 60 Abs. 1 Satz 2 HessVerf sämtlich Art. 5 Abs. 3 GG implizit zu entnehmen ist.37 Zwischen Art. 60 Abs. 1 Satz 2 HessVerf einerseits sowie Art. 5 Abs. 3 GG andererseits besteht folglich zwar keine Textidentität, aber das erforderliche „Mindestmaß an Homogenität“38, also Übereinstimmung i.S.v. Art. 142 GG. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 HessVerf ist vom Gel- tungsvorrang des Bundesrechts unberührt und in Kraft.39 Gleiches gilt für Art. 10 HessVerf, der in Über- stimmung mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG die Wissenschafts- freiheit gewährleistet.40
2. Art. 60 Abs. 1 HessVerf
a) Institutionelle Garantie der Hochschulen
Art. 60 Abs. 1 HessVerf stellt die Universitäten und staat- lichen Hochschulen unter den Schutz, aber auch unter die Aufsicht des Staates und räumt ihnen das Recht der
33 Zu Art. 142 GG im Kontext der HessVerf HessStGH 30.12.1981 – P.St. 880 – NJW 1982, 1381; Schrodt, Die Rechtsprechung des Hes- sischen Staatsgerichtshofs zu den Grundrechten der Hessischen Verfassung, 1984, S. 9.
34 BVerfG 29.05.1973 – 1 BvR 424/71, 1 BvR 325/72 – BVerfGE 35, 79, 120.
35 BVerfG 29.05.1973 – 1 BvR 424/71, 1 BvR 325/72 – BVerfGE 35, 79, 123 f.
36 BVerfG 20.07.2010 – 1 BvR 748/06 – BVerfGE 127, 87, 116.
37 So allgemein in Bezug auf die Landesverfassungen auch Kempen,
in: BeckOK GG, 55. Edition vom 15.05.2023, Art. 5 Rn. 192; zurückhaltender in Bezug auf NRWVerf Günther, in: Heusch/ Schönenbroicher (Hrsg.) NRWVerf, 2. Auflage 2019, Art. 16 Rn. 6; differenziert Gärditz, in: Dürig/Herzog/Scholz (Hrsg.), GG, Bd. I, 100. EL Januar 2023, Art. 5 Abs. 3 Rn. 274; a.A. wohl Hillermann, Die Durchsetzung des Hochschulselbstverwaltungsrechts vor dem
Selbstverwaltung unter Beteiligung der Studierenden ein. Art. 60 Abs. 1 Satz 1 HessVerf beinhaltet eine institu- tionelle Gewährleistung von staatlichen Hochschulen.41 Der Verfassungsgesetzgeber garantiert ihr Fortbestehen als organisatorische Institution – ohne das Fortbestehen einzelner Hochschulen individuell zuzusichern. Aus dieser institutionellen Garantie folgt ein Abwehr- recht der Hochschulen bei ungerechtfertigten Ein- griffen in ihren Rechtsbestand.42 Andererseits gibt Art. 60 Abs. 1 Satz 1 HessVerf dem Landesgesetzgeber gerade auf, wissenschaftsrelevante Gemeinwohlbelange im Hochschulsystem einer sich wandelnden Gesellschaft fortwährend neu zu definieren und in Gestalt von Orga- nisations- und Verfahrensregelungen abwägend zur Gel- tung zu bringen.43 Der Landesgesetzgeber muss die Hochschulen also – auch hinsichtlich ihrer Binnenstruk- tur – regelmäßig den Zeitbedürfnissen anpassen. Hier- bei hat der Landesgesetzgeber grundsätzlich einen gro- ßen hochschulorganisatorischen Spielraum:
„Solange der Gesetzgeber ein […] hinreichendes Maß an organisatorischer Selbstbestimmung der Grund- rechtsträger sicherstellt, ist er frei, den Wissenschafts- betrieb nach seinem Ermessen zu regeln, um die unter- schiedlichen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und die Interessen aller daran Beteiligten in Wahrneh- mung seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung in angemessenen Ausgleich zu bringen […]. Er ist dabei nicht an überkommene hochschulorganisatorische Strukturen gebunden. Er darf neue Modelle und Steu- erungstechniken entwickeln und erproben und ist so- gar verpflichtet, bisherige Organisationsformen zu be- obachten und zeitgemäß zu reformieren […]. Ihm ste- hen dabei gerade hinsichtlich der Eignung neuer Orga- nisationsformen ein Einschätzungs- und Prognosespielraum zu.“44
Bundesverfassungsgericht und den Landesverfassungsgerichten,
2000, S. 131 f.
38 BVerfG 29.01.1974 – 2 BvN 1/69 – BVerfGE 36, 342, 361.
39 Germann, in: BeckOK GG, 55. Edition vom 15.05.2023, Art. 142 Rn.
15–24.
40 Stein, in: Zinn/Stein (Begr.), Verfassung des Landes Hessen, 16.
EGL, 1999, Bd. I, Art. 10 Anm. 1; Kallert, in: PdK – Hessen, Verfas-
sung des Landes Hessen, 7. Fassung 2020, Art. 10 Rn. 1.
41 Stein, in: Zinn/Stein (Begr.), Verfassung des Landes Hessen, 16.
EGL, 1999, Bd. I, Art. 60 Anm. 2.
42 In Bezug auf die parallele Vorschrift in der NRWVerf Löwer, in:
Löwer/Tettinger (Hrsg.) NRWVerf, Art. 16 Rn. 21.
43 Fehling, Neuorganisation der Polizeihochschulen und Wissen-
schaftsfreiheit, OdW 2014, 113, 117.
44 BVerfG 20.07.2010 – 1 BvR 748/06 – BVerfGE 127, 87, Rn. 116
m.w.N.
Weitz · Die neue Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit 2 2 9
b) Hochschulisches Selbstverwaltungsrecht
Das Recht des Gesetzgebers, die Hochschul- organisation auszugestalten, endet dort, wo das hochschulische Selbstverwaltungsrecht gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 2 HessVerf beginnt. Der Begriff Selbst- verwaltungsrecht ist verfassungsrechtlich nicht allge- meingültig zu definieren.45 Selbstverwaltung im Recht ist vielmehr kontextabhängig und im Lichte des jeweili- gen Regelungszusammenhangs zu interpretieren.46 Bei Art. 60 Abs. 1 Satz 2 HessVerf handelt es sich – wegen der funktionalen Bezüge zu Forschung und Lehre – um ein auf die akademischen Angelegenheiten beschränktes Selbstverwaltungsrecht.47 Akademische Angelegenhei- ten sind solche, die zum „Kernbereich“48 des Unerlässli- chen für eine freie wissenschaftliche Betätigung der Hochschulen zählen. Hierzu zählt insbesondere das Organisationsrecht der Hochschulen. Indem der Verfas- sungsgesetzgeber den Hochschulen ihre Selbstverwal- tung zugesteht, verzichtet er auf staatseigene Wissen- schaftsverwaltung.49 Die Schwelle zur verfassungswidri- gen Wissenschaftsverwaltung ist überschritten, wenn die freie wissenschaftliche Betätigung strukturell durch das hochschulorganisatorische Gesamtgefüge gefährdet ist.50 Wegen des sensiblen Regelungsgegenstands der Wissenschaftsorganisation hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Hochschulorganisationsrechts bereits grundrechtliche Gefährdungslagen zu vermeiden.51 Eine bloß hypothetische strukturelle Gefährdung der freien wissenschaftlichen Betätigung reicht gleichwohl nicht aus, um einen Verfassungsverstoß zu begründen – schließlich wirken sich die meisten hochschulorganisa- torischen Entscheidungen zumindest mittelbar auf das wissenschaftliche Wirken aus.52
Art. 60 Abs. 1 Satz 2 HessVerf schützt alles, was aus organisatorischer Sicht unerlässlich ist, um die Wissen- schaftsfreiheit im hochschulischen Rahmen aufrechtzu- erhalten: „Die Sicherung der Wissenschaftsfreiheit durch organisatorische Regelungen verlangt […], dass die Trä- ger der Wissenschaftsfreiheit durch ihre Vertreter in
45 Im Kontext von Art. 28 Abs. 2 GG BVerwG 27.08.1976 – IV C 97.74 – BVerwGE 51, 115.
46 Gärditz, Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche Sys- tembildung, 2009, S. 392.
47 Stein, in: Zinn/Stein (Begr.), Verfassung des Landes Hessen, 16. EGL, 1999, Bd. I, Art. 60 Anm. 2; Meister, in: PdK – Hessen, Ver- fassung des Landes Hessen, 7. Fassung 2020, Art. 60 Rn. 1.
48 Statt vieler BVerfG 29.05.1973 – 1 BvR 424/71, 1 BvR 325/72 – BVerfGE 35, 79.
49 Stein, in: Zinn/Stein (Begr.), Verfassung des Landes Hessen, 16. EGL, 1999, Bd. I, Art. 60, Anm. 3.
50 Fehling, Neuorganisation der Polizeihochschulen und Wissen- schaftsfreiheit, OdW 2014, 113, 117.
Hochschulorganen Gefährdungen der Wissenschafts- freiheit abwehren und ihre fachliche Kompetenz zur Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit in die Univer- sitäteinbringenkönnen.DerGesetzgebermussdaher ein hinreichendes Niveau der Partizipation der Grund- rechtsträger gewährleisten.“53 Ergänzend schreibt Art. 60 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 HessVerf die Beteilung der Studie- renden an der hochschulischen Selbstverwaltung vor.
3. Art. 10 HessVerf
Gemäß Art. 10 HessVerf darf niemand in seinem wissen- schaftlichen oder künstlerischen Schaffen und in der Verbreitung seiner Werke gehindert werden. Angesichts der Pluralität und Revidierbarkeit der Ergebnisse wis- senschaftlicher Bemühungen sowie der Prozesshaftigkeit der individuellen und kollektiven Anstrengungen der Erkenntnisgewinnung und ‑vermittlung sperrt sich der Begriff der Wissenschaft gegen eine einfache Definiti- on.54
Obwohl es sich bei Art. 10 HessVerf – ebenso wie bei Art. 60 Abs. 1 Satz 2 HessVerf – um eigenständige lan- desverfassungsrechtliche Gewährleistungen handelt, die einer autonomen Interpretation durch den Hessischen Staatsgerichtshof unterliegen, können für die Kon- kretisierung der verbürgten Rechte die zu Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG entwickelten bundesverfassungs- gerichtlichen Grundsätze zumindest als Auslegungshil- fen herangezogen werden.55 Somit ist Wissenschaft jede Tätigkeit, die nach Inhalt und Form als ernsthafter plan- mäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzuse- hen ist.56 Im Freiraum der Wissenschaft
„herrscht absolute Freiheit von jeder Ingerenz öffentli- cher Gewalt. In diesen Freiheitsraum fallen vor allem die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhen- den Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen bei dem Auffinden von Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe. Jeder, der in Wissenschaft, Forschung und Lehre tätig ist, hat […] ein Recht auf Abwehr jeder staatlichen Einwirkung auf den Prozeß der Gewinnung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Da-
51 BVerfG 26.10.2004 – 1 BvR 927/00 – BVerfGE 111, 333.
52 BVerfG 26.10.2004 – 1 BvR 927/00 – BVerfGE 111, 333; BVerfG
29.05.1973 – 1 BvR 424/71, 1 BvR 325/72 – BVerfGE 35, 79.
53 BVerfG 20.07.2010 – 1 BvR 748/06 – BVerfGE 127, 87.
54 Kallert, in: PdK – Hessen, Verfassung des Landes Hessen, 7. Fas-
sung 2020, Art. 10 Rn. 1 f.
55 In diese Richtung Schmidt, in: Meyer/Stolleis (Hrsg.), Hessisches
Staats- und Verwaltungsrecht, 2. Auflage 1986, S. 20, S. 46 f.; Schrodt, Die Rechtsprechung des Hessischen Staatsgerichtshofs zu den Grundrechten der Hessischen Verfassung, 1984, S. 7.
56 BVerfG 29.05.1973 – 1 BvR 424/71, 1 BvR 325/72 – BVerfGE 35, 79, 113.
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mit sich Forschung und Lehre ungehindert an dem Be- mühen um Wahrheit als ‚etwas noch nicht ganz Ge- fundenes und nie ganz Aufzufindendes‘ (Wilhelm von Humboldt) ausrichten können, ist die Wissenschaft zu einem von staatlicher Fremdbestimmung freien Be- reich persönlicher und autonomer Verantwortung des einzelnen Wissenschaftlers erklärt worden. Damit ist zugleich gesagt, daß [die Wissenschaftsfreiheit] nicht eine bestimmte Auffassung von der Wissenschaft oder eine bestimmte Wissenschaftstheorie schützen will.“57
III. Hochschulorganisation der HöMS
Die Zusammenlegung von HfPV, HPA und ZFH zur HöMS vermengt hochschulische und polizeibehördliche Organisationsstrukturen in verfassungswidriger Weise. Mit der Einrichtung der HöMS als besonderer Hochschule für angewandte Wissenschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 HessHG) hat der Gesetzgeber einen Fremdkörper im HessHG geschaffen. Im Einzelnen stehen einige Vorschriften über die organisatori- sche Ausgestaltung der HöMS im Widerspruch zum hochschulischen Selbstverwaltungsrecht (Art. 60 Abs. 1 S. 2 HessVerf) und zur Wissenschaftsfrei- heit (Art. 10 HessVerf). Im Folgenden werden exempla- risch drei Verfassungsverstöße des Gesetzes zur Grün- dung der HöMS untersucht.
1. Zusammensetzung der Statusgruppe der Professoren
Für die Zusammensetzung der hochschulischen Status- gruppen für die Wahl ihrer Vertretung in den Selbstver- waltungsgremien hat das Bundesverfassungsgericht einen spezifischen Maßstab entwickelt: „Soweit grup- penmäßig zusammengesetzte Kollegialorgane über Angelegenheiten zu befinden haben, die Forschung und Lehre unmittelbar betreffen, müssen folgende Grundsät- ze beachtet werden: a) Die Gruppe der Hochschullehrer muss homogen, d.h. nach Unterscheidungsmerkmalen zusammengesetzt sein, die sie gegen andere Gruppen eindeutig abgrenzen […].“58
An der HöMS gilt gemäß § 104 Abs. 2 HessHG für die Wahl ihrer Vertretung in den Gremien § 37 Abs. 3 HessHG entsprechend mit der Maßgabe, dass die Gruppe nach § 37 Abs. 3 Nr. 1 HessHG (Profes- sorengruppe) von den Professoren und Hochschuldo- zenten gebildet wird. Die Anforderungen an die akade-
57 BVerfG 29.05.1973 – 1 BvR 424/71, 1 BvR 325/72 – BVerfGE 35, 79, 113.
58 BVerfG 29.05.1973 – 1 BvR 424/71, 1 BvR 325/72 – BVerfGE 35, 79, Ls. 8; grundlegend zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- richts zu den Maßstäben einer grundgesetzkonformen Hoch-
mische Qualifikation von Hochschuldozenten sind in § 111 Abs. 6 Satz 1–2 HessHG normiert: „Hochschuldo- zentinnen und Hochschuldozenten müssen neben den beamtenrechtlichen Voraussetzungen grundsätzlich ein ihren Lehraufgaben entsprechendes Hochschulstudium, pädagogische Eignung und eine einschlägige berufs- praktische Tätigkeit nachweisen. An die Stelle des abge- schlossenen Hochschulstudiums können berufsprakti- sche Tätigkeiten treten, wenn sie Kenntnisse und Erfah- rungen vermittelt haben, die die Bewerber auf ihrem Fachgebiet befähigen, eine Lehrtätigkeit auszuüben, die derjenigen von Lehrkräften mit abgeschlossenem Hoch- schulstudium entspricht.“ Die Mindestvoraussetzungen für die Einstellung als Professor sind gemäß § 68 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 HessHG „ein abgeschlosse- nes Hochschulstudium, die für die Erfüllung der Aufga- ben nach § 67 Abs. 1 [HessHG] erforderliche Befähigung zu wissenschaftlicher oder künstlerischer Arbeit und die dafür erforderliche pädagogische Eignung. Als Nachweis der Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit gilt in der Regel die Qualität der Promotion; darüber hinaus wer- den nach den Anforderungen der Stelle verlangt: 1. zu- sätzliche wissenschaftliche Leistungen oder 2. besondere Leistungen bei der Anwendung oder Entwicklung wis- senschaftlicher Erkenntnisse und Methoden in einer mindestens fünfjährigen beruflichen Praxis, von der mindestens drei Jahre außerhalb des Hochschulbereichs ausgeübt worden sein müssen.“
Die Gegenüberstellung von Hochschuldozenten und Professoren zeigt, dass das HessHG signifikant niedrige- re Anforderungen an die akademische Qualifikation von Hochschuldozenten stellt. Insbesondere müssen Hoch- schuldozenten nicht über einen Nachweis der wissen- schaftlichen Befähigung verfügen und können sogar ein Hochschulstudium durch Praxiserfahrung ersetzen. Ne- ben den Einstellungsvoraussetzungen unterscheiden sich auch die hochschulpolitischen Interessen von Pro- fessoren einerseits und Hochschuldozenten andererseits erheblich. § 104 Abs. 2 HessHG bildet somit eine äußerst heterogene Statusgruppe der Professoren, die den verfas- sungsrechtlichen Anforderungen59 nicht genügt.
Besonders problematisch ist die Vertretung der Professorengruppe i.S.v. § 37 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 104 Abs. 2 HessHG im Senat, dem Herzstück der akademischen Selbstverwaltung. Gemäß § 42 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 HessHG sind neun Mitglieder der
schulorganisation Würtenberger, Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Hochschulleitung im Landeshochschulgesetz von Baden-Württemberg, OdW 2016, 1, 2 ff.
59 BVerfG 29.05.1973 – 1 BvR 424/71, 1 BvR 325/72 – BVerfGE 35, 79, Ls. 8.
Weitz · Die neue Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit 2 3 1
Professorengruppe im Senat vertreten, die dort die Mehrheit bilden. Der Senat nimmt wichtige Aufgaben der hochschulischen Selbstverwaltung wahr: Er berät in Angelegenheiten von Forschung, Lehre und Studium, die die gesamte Hochschule betreffen und von grund- sätzlicher Bedeutung sind (§ 42 Abs. 1 Satz 1 HessHG). Ferner überwacht der Senat die Geschäftsführung des Präsidiums (§ 42 Abs. 1 Satz 2 HessHG) und ist zuständig für die Beschlussfassung über die Grundord- nung im Einvernehmen mit dem Präsidium (§ 42 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Var. 1 HessHG). Dass die Profes- soren – gegenüber den Hochschuldozenten in Unterzahl – bei der Vertretung im Senat benachteiligt werden, war durch die Rechtssetzung des Gesetzes zur Gründung der HöMS vorgezeichnet. § 104 Abs. 2 HessHG verhindert, dass die Professoren der HöMS autonom an Entschei- dungen über Forschungs- und Lehrfragen in verfas- sungsrechtlich gebotener Weise partizipieren können. Die Gefahr der Unterrepräsentation hat sich im Senat der HöMS längst realisiert: Die neunköpfige Professo- rengruppe im Senat besteht gegenwärtig aus sieben Hochschuldozenten und zwei Professoren im engeren Sinne.
Zweifelsohne sollte die verfassungswidrige Status- gruppenbildung nicht schlicht durch höhere Anforde- rungen an die Qualifikationen von Hochschuldozenten aufgelöst werden. Wer Anwärtern für den gehobenen Polizeivollzugsdienst einen adäquaten Schusswaffenge- brauch beibringt, muss keine Habilitation über Waffen oder Schusstechnik verfasst haben. Die Anwärterausbil- dung darf nicht ohne Ansehen der Praxiserfordernisse verwissenschaftlicht werden. In Einklang mit der Verfas- sung müssen die Statusgruppen von Professoren und Hochschuldozenten aber unbedingt getrennt voneinan- der gebildet werden.
2. Ministerieller Einfluss auf die Bestellung und Abbe- rufung der Leitungspersonen
Zur Mitwirkung der hochschulischen Selbstverwal- tungsorgane an der Bestellung und Abberufung von Lei- tungspersonenhatdasBundesverfassungsgerichtausge- führt: „[Das] Recht eines plural zusammengesetzten Vertretungsorgans zur Bestellung und auch zur Abberu- fung von Leitungspersonen [ist] ein zentrales und effek- tives Einfluss- und Kontrollinstrument der wissenschaft- lich Tätigen auf die Organisation. Je höher Ausmaß und Gewicht der den Leitungspersonen zustehenden Befug- nisse sind, desto eher muss die Möglichkeit gegeben
60 BVerfG 24.06.2014 – 1 BvR 3217/07 – BVerfGE 136, 338, 365.
sein, sich selbstbestimmt von diesen zu trennen. Je mehr, je grundlegender und je substantieller wissenschaftsrele- vante personelle und sachliche Entscheidungsbefugnisse dem kollegialen Selbstverwaltungsorgan entzogen und einem Leitungsorgan zugewiesen werden, desto stärker muss im Gegenzug die Mitwirkung des Selbstverwal- tungsorgans an der Bestellung und Abberufung dieses Leitungsorgans und an dessen Entscheidungen ausge- staltet sein. Der Gesetzgeber muss diesen Zusammen- hang durchgängig berücksichtigen.“60
a) Präsident
Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 HessHG wird ein Hochschul- präsident grundsätzlich durch den Senat gewählt. Für den Präsidenten der HöMS hat der Gesetzgeber hinge- gen ein eigenes Verfahren erdacht: Der Präsident der HöMS wird nach öffentlicher Ausschreibung der Stelle durch das HMdIS aufgrund einer Vorschlagsliste bestellt (§ 107 Abs. 2 Satz 1 HessHG). Die Vorschlagsliste soll drei Namen enthalten (§ 107 Abs. 2 Satz 4 HessHG) und wird von Senat und Kuratorium gemeinsam erstellt (§ 107 Abs. 2 Satz 3 HessHG). Angelehnt an § 48 Abs. 5 HessHG bilden Senat und Kuratorium eine paritätisch besetzte Findungskommission.61 Die von der Findungskommission erstellte Vorschlagsliste bedarf der Zustimmung von Senat und Kuratorium. Das HMdIS kann bei der Bestellung des Präsidenten von der vorgeschlagenen Reihenfolge abweichen (§ 107 Abs. 2 Satz 5 HessHG) – Leitlinien für diese Ermes- sensentscheidung enthält die Norm nicht. § 107 Abs. 2 Satz 6–7 HessHG legt nahe, dass das HMdIS die Vorschlagsliste sogar in Gänze abweisen kann: Kommt es aufgrund der Vorschlagsliste nicht zu einer Bestellung durch das HMdIS, so ist eine neue Vor- schlagsliste vorzulegen. Wird in angemessener Frist kei- ne neue Vorschlagsliste vorgelegt oder kommt es auf- grund der zweiten Vorschlagsliste nicht zu einer Bestel- lung, wird der Präsident nach Anhörung des Senats einseitig vom HMdIS bestellt (§ 107 Abs. 2 Satz 7 HessHG). Auch die Abberufung des Präsidenten „aus wichtigem Grund“ (§ 107 Abs. 4 Satz 1 HessHG) erfolgt ausschließlich durch das HMdIS sowie lediglich im Benehmen mit dem Senat (§ 107 Abs. 4 Satz 2 HessHG). Eine Abberufung auf einen Antrag aus der Mitte des Senats hin ist nur möglich, wenn das Kuratorium diesem Antrag vor Durchführung der Beschlussfassung über die Abberufung zugestimmt hat (§ 107 Abs. 4 Satz 3 HessHG). In der Gesamtschau
61 LT-Drs. 20/5722, S. 27.
232 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2023), 225–234
sind die Hochschulorgane in die Bestellung und Abberu- fung des Präsidenten nur marginal eingebunden. Die Position des HMdIS ist wesentlich machtvoller als die des Senats.
Vor dem Hintergrund des bundesverfassungsgericht- lichen Prüfungsmaßstabs62 werden die geringen Mitwir- kungsmöglichkeiten des kollegialen Selbstverwaltungs- organs virulent, weil der Präsident in der Organisation der HöMS eine elementare Rolle innehat. Er ist gemäß § 42 Abs. 7 HessHG Vorsitzender des Senats, verfügt über die Richtlinienkompetenz (§ 43 Abs. 3 Satz 1 HessHG) und hat das Vorschlagsrecht für die Vizepräsidenten (§ 46 Abs. 1 HessHG). Darüber hinaus ist der Präsident Dienstvorgesetzter des Hoch- schulpersonals (§ 44 Abs. 1 Satz 2 HessHG) und hat er- heblichen Einfluss auf die Wahl und Abwahl der Dekane (§ 51 Abs. 3 Satz 2 und 5 HessHG). In der Gesamt- schau wird der Präsident unter lediglich marginaler Be- teiligung der hochschulischen Selbstverwaltungs- organe bestellt und abberufen, obwohl er substantielle wissenschaftsrelevante personelle und sachliche Entscheidungsbefugnisse innehat. Folglich ist § 107 Abs. 2 und 4 HessHG mit dem hochschulischen Selbstverwaltungsrecht gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 2 HessVerf nicht vereinbar.
b) Kanzler
Gemäß § 109 Satz 2 HessHG wird der Kanzler der HöMS, ein Beamter auf Lebenszeit, im Benehmen mit dem Senat auf Vorschlag des Präsidenten der HöMS von dem für das Dienstrecht zuständigen Ministerium, dem HMdIS, bestellt. Beim Benehmenserfordernis handelt es sich lediglich um eine geringfügige Beteiligung des Senats. Statt einer Willensübereinstimmung wird ledig- lich eine Anhörung gefordert, die dem Senat die Gele- genheit gibt, seine Vorstellungen in das Verfahren einzu- bringen.63 Die geringe Mitwirkung des Senats bei der Bestellung des Kanzlers kann auch der in § 109 Satz 2 HessHG vorgeschriebene „Vorschlag […] des Präsidenten“ als Ausgangspunkt der Kanzlerbestellung nicht ausgleichen – schließlich wird auch der Präsident unter maßgeblichem Einfluss des HMdIS bestellt. Fraglich ist, ob § 109 Satz 2 HessHG wegen des überpro- portionalen Einflusses des HMdIS auf die Bestellung des Kanzlers verfassungswidrig ist. Zentrale Aufgabe des Kanzlers ist die Leitung der Hochschul- verwaltung nach den Richtlinien des Präsidiums (§ 47 Abs. 1 Satz 1 HessHG). Ferner ist der Kanzler gemäß
- 62 BVerfG 24.06.2014 – 1 BvR 3217/07 – BVerfGE 136, 338, 365.
- 63 In einem anderen Kontext zum Benehmenserfordernis BVerwG
§ 47 Abs. 1 Satz 2 HessHG Beauftragter für den Haushalt, gehört dem Präsidium an (§ 43 Abs. 2 HessHG) und ist insoweit für alle Angelegenheiten zuständig, die nicht durch das Gesetz einem anderen Organ übertragen sind. Die Aufgaben des Kanzlers sind zwar sehr bedeutsam, betreffen jedoch tendenziell wissenschaftsferne Hoch- schulbereiche. Im Ergebnis verschafft § 109 Satz 2 HessHG dem HMdIS in bedenklicher Weise Einfluss auf die Besetzung einer wichtigen Position. Den verfassungs- rechtlichen Anforderungen dürfte die Norm jedoch – isoliert vom hochschulorganisatorischen Gesamtgefüge betrachtet – noch genügen.
3. Zusammensetzung des Kuratoriums
Üblicherweise wird an staatlichen Hochschulen im Land Hessen ein Hochschulrat i.S.v. § 48 HessHG gebildet. Er hat die Aufgabe, die Hochschule bei ihrer Entwicklung zu begleiten, die in der Berufswelt an die Hochschule bestehenden Erwartungen zu artikulieren und die Nut- zung wissenschaftlicher Erkenntnisse und künstleri- scher Leistungen zu fördern (§ 48 Abs. 1 Satz 1 HessHG). Konkret gibt der Hochschulrat etwa Empfehlungen zur Studiengangsplanung (§ 48 Abs. 2 Nr. 1 HessHG) und zu den Evaluationsverfahren (§ 48 Abs. 2 Nr. 2 HessHG). Er nimmt z.B. Stellung zum Entwurf der Grundordnung (§ 48 Abs. 3 Nr. 1 HessHG) sowie zum Rechenschaftsbe- richt des Präsidiums und zu den Lehr- und Forschungs- berichten (§ 48 Abs. 3 Nr. 2 HessHG). Einem Hochschul- rat gehören gemäß § 48 Abs. 6 Satz 1 HessHG bis zu zehn Persönlichkeiten aus dem Bereich der Wirtschaft, der beruflichen Praxis und dem Bereich der Wissenschaft oder Kunst an. Die Mitglieder werden jeweils zur Hälfte vom Präsidium im Benehmen mit dem Senat und vom Ministerium im Benehmen mit der Hochschule benannt (§ 48 Abs. 7 Satz 2 HessHG).
An der HöMS hingegen wird gemäß § 110 Abs. 1 HessHG ein Kuratorium gebildet, das zu al- len wichtigen und grundsätzlichen Angelegenheiten zu hören ist. Zentrale Aufgabe des Kuratoriums ist die Überwachung der Geschäftsführung des Präsidiums un- ter Einbeziehung der Stellungnahme des Senats (§ 110 Abs. 5 Nr. 1 HessHG). Darüber hinaus begleitet das Kuratorium die HöMS bei ihrer Entwicklung und gibt Empfehlungen zu den Evaluationsverfahren und Ziel- vereinbarungen ab (§ 110 Abs. 5 Nr. 3 und 5 HessHG). Das Kuratorium der HöMS hat 16 Mitglieder (§ 110 Abs. 2 HessHG): Unmittelbar vonseiten des Lan- des werden zwei Vertreter des HMdIS, ein Vertreter des
29.04.1993 – 7 A 2/92 – NVwZ 1993, 890, 891.
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Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, drei Vertreter der übrigen Ministerien und ein Vertreter des Hessischen Bereitschaftspolizeipräsidiums in das Kuratorium entsandt. Dem stehen gegenüber: Je ein Ver- treter der drei kommunalen Spitzenverbände, des Lan- deswohlfahrtsverbands, des Hessischen Verwaltungs- schulverbands, des Landesbezirks Hessen des Deutschen Gewerkschaftsbunds sowie des Landesverbands Hessen des Deutschen Beamtenbunds und zwei Vertreter aus dem Bereich der Wissenschaft. Mithin sind sieben der 16 Kuratoriumsmitglieder der unmittelbaren Staatsverwal- tung zuzurechnen und einem Weisungsrecht des Landes Hessen unterworfen. Die Mitwirkung des Senats der HöMS an der Bestellung und Abberufung der Kuratori- umsmitglieder ist demgegenüber sehr schwach ausge- prägt. Besonders virulent wird diese staatsnahe Zusam- mensetzung des Kuratoriums wegen seiner Stellung als Überwachungsgremium der Geschäftsführung des Prä- sidiums. Anders als ein Hochschulrat i.S.v. § 48 HessHG hat das Kuratorium der HöMS nicht in erster Linie bera- tende Funktion: Der Hochschulrat „gibt Empfehlungen“ (§ 48 Abs. 2 HessHG) und „nimmt Stellung“ (§ 48 Abs. 3 HessHG); das Kuratorium überwacht. In der Gesamtschau der systemwidrigen Kompetenzen des Ku- ratoriums und seiner staatsnahen personellen Aufstel- lung, wird die teilweise Verfassungswidrigkeit von § 110 HessHG deutlich.
IV. Ausblick
Mit der Gründung der HöMS wollte der Landesgesetz- geber „etwas Besonderes schaffen“64 – das ist ihm zwei- fellos gelungen. Eine „Hochschule aus einem ‚Guss‘“65 sollte es sein, „Aus‑, Fort- und Weiterbildung ‚aus einer Hand‘“66. Dass bei einem derartigen Vermengen polizei- licher und hochschulischer Strukturen das Wissen- schaftsfreiheitsrecht und das hochschulische Selbstver- waltungsrecht strukturell gefährdet sind, dürfte im Gesetzgebungsverfahren auf der Hand gelegen haben. Bei der Rechtssetzung, insbesondere der §§ 99–114 HessHG, hat die hessische Landesregierung die skizzierten Risiken nicht hinreichend abgefedert. Das Gesetz zur Gründung der HöMS verschafft dem HMdIS zahlreiche unmittelbare und mittelbare Ein- griffsbefugnisse in die Hochschulorganisation, die mit den landesverfassungsrechtlichen Leitlinien im Wider- spruch stehen.
Nicht zuletzt wegen der nahenden Landtagswahl in
64 Beuth im Rahmen seiner zusammenfassenden mündlichen Dar- stellung des Vortrags der Landesregierung als Verfahrensbeteiligte am 12.07.2023 in HessStGH, P.St. 2891.
Hessen am 08.10.2023 ist nicht damit zu rechnen, dass der Gesetzgeber das Organisationsrecht der HöMS als- bald novellieren wird. Wahrscheinlich wird der Gesetz- geber die Entscheidung des Hessischen Staatsgerichts- hofs im laufenden Normenkontrollverfahren67 abwar- ten. Der Verlauf der mündlichen Verhandlung dieses Normenkontrollverfahrens am 12.07.2023 bietet Grund zur Annahme, dass der Hessische Staatsgerichtshof die Verfassungsmäßigkeit einiger Vorschriften zur Hoch- schulorganisation der HöMS zumindest bezweifelt. Es ist zu erwarten, dass der Gesetzgeber die Organisation seiner Polizei- und Verwaltungsausbildung abermals wird reformieren müssen.
Der Gesetzgeber täte gut daran, die Entscheidung für eine Hochschulorganisation sui generis zu revidieren. Zweifelsohne handelt es sich bei einer Hochschule des Landes, die u.a. den Nachwuchs des gehobenen allge- meinen Verwaltungsdienstes und des gehobenen Poli- zeivollzugsdienstes ausbildet, um eine Hochschule mit speziellen Anforderungen. Die gegenwärtige Organisati- onsform sui generis rechtfertigen diese speziellen Anfor- derungen jedoch nicht. Vielmehr gewähren die herge- brachten Hochschulformen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1–3 HessHG) ein stabiles wie geeignetes Fundament für eine verfas- sungskonforme Ausgestaltung der HöMS, die ausrei- chenden Nährboden für eine autonome Fortentwick- lung der Polizei- und Verwaltungsausbildung in Hessen bietet.
Konkret sollte die HöMS als Hochschule für ange- wandte Wissenschaften i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 HessHG ausgestaltet werden. Die entsprechende Hochschulorga- nisation würde das Selbstverwaltungsrecht der HöMS garantieren und die Wissenschaftsfreiheit wahren. Das nachvollziehbare Bedürfnis des HMdIS, im Einzelnen bestimmte Inhalte der Modulbücher der Studiengänge für Polizei und Verwaltung zu beeinflussen, könnte ebenso befriedigt werden. Hierfür bedarf es keiner grundlegenden Reorganisation der Hochschule. Es ge- nügen vielmehr einzelne, wenige Sondervorschriften, die für Entscheidungen über bestimmte Inhalte der Mo- dulbücher der Studiengänge für Polizei und Verwaltung ein Einvernehmen mit dem HMdIS voraussetzen. Statt der gegenwärtigen §§ 99–114 HessHG würden deutlich weniger Sondervorschriften genügen, deren inhaltliche Abweichung vom Leitbild des § 2 Abs. 1 Nr. 3 HessHG in der Gesamtschau so gering wäre, dass die HöMS als Hochschule für angewandte Wissenschaft klassifiziert werden könnte. So würden sowohl die verfassungsrecht-
65 LT-Drs. 20/5722, S. 19. 66 LT-Drs. 20/5722, S. 19. 67 HessStGH, P.St. 2891.
234 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2023), 225–234
lichen Vorgaben gewahrt als auch berechtigte ministeri- elle Interessen verwirklicht.
Im Übrigen würde eine solche Organisation der HöMS – im Sinne der Gesetzbegründung vom 10.05.202168 – das Wissenschaftssystem in Hessen stär- ken. Eine Abkehr von den zahlreichen strukturellen Ausnahmeregelungen in §§ 99–114 HessHG würde die Wissenschaftlichkeit der HöMS grundlegend fördern. Ergänzend sollte der Gesetzgeber das akademische Per- sonal der HöMS quantitativ und qualitativ aufwerten. Wenn der Gesetzgeber das Wissenschaftssystem wirk- lich stärken möchte, braucht es nicht zuletzt einen leis- tungsstarken akademischen Mittelbau. Um dem speziel- len Ausbildungsauftrag einer Hochschule für Polizei und Verwaltung gerecht zu werden, könnte der Mittelbau – mehr als anderswo – mit ergänzenden Lehrverpflichtun- gen betraut werden. Neben der Autonomie des Lehrkör- pers würde dies auch die Nachwuchsausbildung des ge-
hobenen allgemeinen Verwaltungsdienstes und des ge- hobenen Polizeivollzugsdienstes stärken. Die Aus- und Fortbildung von Polizei und Verwaltung ist der Schlüssel für eine anpassungsfähige und leistungsstarke Organisa- tion – deshalb hat sie eine echte Aufwertung verdient.
Samuel Weitz ist Doktorand an der Universität zu Köln. Von Juli 2021 bis März 2023 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Öffentliches Recht und Ver- waltungslehre der Universität zu Köln. Er ist Lehrbe- auftragter für Staatsorganisationsrecht mit Verfas- sungsprozessrecht. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Verfassungsrecht, das Hochschulrecht sowie das Sportverbandsrecht.
68 LT-Drs. 20/5722, S. 19.