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Beschäf­ti­gungs­ver­bot für Wis­sen­schaft­ler aus Risi­ko­staa­ten? 131–138
Inter­dis­zi­pli­nä­re For­schung als mög­li­cher Impuls­ge­ber für eine evi­denz­ba­sier­te Regu­lie­rung – Pro­gram­ma­ti­sche Über­le­gun­gen am Bei­spiel des Urhe­ber­rechts im digi­ta­len Zeit­al­ter 139–146
Res­sort­for­schung. Eine insti­t­u­na­li­sier­te Ratio­na­li­tät im poli­tisch-guber­na­ti­ven Gefü­ge 147–160
Arbeits­zeit­er­fas­sungs­pflicht an pri­va­ten Hoch­schu­len – auch für Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren? 161–164
Social Media-Nut­zung von Hoch­schu­len vor dem Aus? Ver­fas­sungs­recht­li­che Ana­ly­se der Unter­sa­gungs­ver­fü­gung des BfDI gegen das BPA vom 17.02.2023 165–172
Aka­de­mi­sches Höchst­al­ter für die Juni­or­pro­fes­sur
Zur Ein­ord­nung der Juni­or­pro­fes­sur mit und ohne Ten­ure-Track in das Sys­tem wis­sen­schaft­li­cher Qua­li­fi­zie­rung 173–180
Man­fred Löwisch und Marie Ansel­ment
Han­nah Schmid-Petri, Ste­li­ya­na Dose­va,
Jan Schill­möl­ler und Dirk Heck­mann
A. Kata­ri­na Wei­lert
Frank Wert­hei­mer
Anne Pasch­ke
Simon Pschorr
Heft 3 / 2023
Auf­sät­ze
ISSN 2197–9197
O RDN U N G D E R WI S S E N S C HA F T ( 2 0 2 3 )
Die Kunst des Aus­drucks besit­zen 187–189
Bal­tha­sar Gra­ci­an
Aus­ge­gra­ben
ISSN 2197–9197
Bericht
Anto­nia Hage­dorn
Wis­sen­schaft und Export­kon­trol­le
Bericht über die Tagung des Ver­eins zur
För­de­rung des deut­schen und inter­na­tio­na­len
Wiss­sen­schafts­rechts e.V. am 27. April 2023
181–186
I. Die Emp­feh­lun­gen von Deut­scher For­schungs­ge­mein­schaft und Leo­pol­di­na
Der von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft und der Deut­schen Aka­de­mie der Natur­for­scher Leo­pol­di­na ein­ge­rich­te­te Gemein­sa­me Aus­schuss zum Umgang mit sicher­heits­re­le­van­ter For­schung hat mit Stand vom 1. Novem­ber 2022 Emp­feh­lun­gen zum ver­ant­wort­li­chen Umgang mit sicher­heits­re­le­van­ter For­schung beschlossen.1 Ziel der Emp­feh­lun­gen ist die Mini­mie­rung des Risi­kos miss­bräuch­li­cher Ver­wen­dung von For­schungs­er­geb­nis­sen in sicher­heits­re­le­van­ten Berei­chen: In nahe­zu allen Wis­sen­schafts­be­rei­chen bestehe die Gefahr, dass für sich genom­men neu­tra­le oder nütz­li­che Ergeb­nis­se der For­schung durch ande­re Per­so­nen zu schäd­li­chen Zwe­cken miss­braucht wer­den. Her­aus­for­de­run­gen bestün­den ins­be­son­de­re bei wis­sen­schaft­li­chen Arbei­ten, bei denen die Mög­lich­keit besteht, dass sie Wis­sen, Pro­duk­te oder Tech­no­lo­gien her­vor­brin­gen, die unmit­tel­bar von Drit­ten miss­braucht wer­den kön­nen, um Men­schen­wür­de, Leben, Gesund­heit, Frei­heit, Eigen­tum, Umwelt oder ein fried­li­ches Zusam­men­le­ben erheb­lich zu schä­di­gen (sog. besorg­nis­er­re­gen­de sicher­heits­re­le­van­te For­schung- Dual-Use Rese­arch of Con­cern).
Als Bei­spie­le nennt der Aus­schuss die Ver­tei­di­gungs­tech­nik, in der die Mate­ri­al­for­schung und die Nano­tech­no­lo­gie zur Ent­wick­lung von Angriffs­waf­fen füh­ren kön­ne, die For­schung zu auto­nom agie­ren­den Robo­tern, die zur Kon­struk­ti­on intel­li­gen­ter Kriegs­ro­bo­ter befä­hi­gen kön­ne, die Kern­ener­gie­for­schung, die For­schung zu patho­ge­nen Mikro­or­ga­nis­men und Toxi­nen, die mög­li­cher­wei­se für neue Bio­waf­fen und für ter­ro­ris­ti­sche Anschlä­ge nutz­bar sei­en, die Ana­ly­sen in der mole­ku­la­ren Pflan­zen­genetik, die geziel­te Angrif­fe auf Saat­gut ermög­li­chen könn­ten, For­schun­gen in der Infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gie, die zur umfas­sen­den Über­wa­chung und Repres­si­on von Per­so­nen genutzt wer­den könn­ten, medi­zi­ni­sche oder neu­ro­bio­lo­gi­sche For­schun­gen, wel­che die Mani­pu­la­ti­on von Per­so­nen bis hin zu Fol­ter unter­stüt­zen könn­ten, und lin­gu­is­ti­sche For­schun­gen an Sprach­er­ken­nungs­sys­te­men, die unter Umstän­den auch für miss­bräuch­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­ons­über­wa­chung ein­setz­bar sei­en. Letzt­lich könn­ten sogar Geistes‑, Kultur‑, Sozi­al- und Ver­hal­tens­wis­sen­schaf­ten sicher­heits­re­le­van­te Ergeb­nis­se hervorbringen.2
Die Ver­pflich­tung zur Risi­ko­mi­ni­mie­rung trifft nach den Emp­feh­lun­gen nicht nur die For­schen­den und die an ihren Pro­jek­ten mit­wir­ken­den Per­so­nen selbst, son­dern auch die Ein­rich­tun­gen, an denen jene tätig sind. Die Ein­rich­tun­gen sind danach zu Sicher­heits­maß­nah­men ver­pflich­tet und haben bei miss­brauchs­ge­fähr­de­ter For­schung Mit­ar­bei­ten­de und Koope­ra­ti­ons­part­ner sorg­fäl­tig und unter Berück­sich­ti­gung ihrer Ver­läss­lich­keit und ihres Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­seins aus­zu­wäh­len. Dabei sol­len Maß­nah­men zur Risi­ko­mi­ni­mie­rung auch dar­in bestehen kön­nen, dass ein­zel­ne For­schun­gen nur in bestimm­ten Koope­ra­tio­nen durch­ge­führt wer­den und unter dem Aspekt der Risi­ko­mi­ni­mie­rung auf Part­ner oder Mit­ar­bei­ter aus bestimm­ten Staa­ten ver­zich­tet wird. Wört­lich heißt es dazu in den Emp­feh­lun­gen:
„Maß­nah­men zur Risi­ko­mi­ni­mie­rung kön­nen auch dar­in bestehen, dass ein­zel­ne For­schun­gen nur in bestimm­ten Koope­ra­tio­nen durch­ge­führt wer­den. Inter­na­tio­na­le Koope­ra­ti­on ist zwar ein Grund­prin­zip erfolg­rei­cher For­schung, im Ein­zel­fall kann sich unter dem Aspekt der Risi­ko­mi­ni­mie­rung gleich­wohl eine Ein­schrän­kung der Zusam­men­ar­beit oder ein Ver­zicht auf Part­ne­rin­nen oder Part­ner oder Mit­ar­bei­ten­de aus beMan­fred
Löwisch/Marie Ansel­ment
Beschäf­ti­gungs­ver­bot für Wis­sen­schaft­ler aus
Risi­ko­staa­ten?
1 Natio­na­le Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten Leo­pol­di­na und Deut­sche For­schungs­ge­mein­schaft (2022): Wis­sen­schafts­frei­heit und Wis­sen­schafts­ver­ant­wor­tung – Emp­feh­lun­gen zum Umgang mit sicher­heits­re­le­van­ter Forschung/Scientific Free­dom and Sci­en­ti­fic Res pon­si­bi­li­ty – Recom­men­da­ti­ons for Hand­ling of Secu­ri­ty-Rele­vant Rese­arch, 2. Aktua­li­sier­te Auf­la­ge, abruf­bar unter www.sicherheitsrelevante-forschung.org.
2 Emp­feh­lun­gen S. 9 f; hin­sicht­lich der Infor­ma­ti­ons tech­no­lo­gie könn­te man die Gefahr umfas­sen­der sys tema­ti­scher Cyber­an­grif­fe hin­zu­fü­gen, vgl. die Berich­te über Hacker-Angrif­fe aus Nord­ko­rea ( sie­he etwa Süd­deut­schen Zei­tung vom 07.02.2023 https://www.sueddeutsche.de/wissen/atom-un-nordkoreas-hacker‑s teh­len-rekord­sum­men-kim-rues tet-auf-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101–230207-99–498851).
Ord­nung der Wis­sen­schaft 2023, ISSN 2197–9197
1 3 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 1 — 1 3 8
3 All­ge­mein zur Rele­vanz sol­cher Aus­fuhr­be­schrän­kun­gen für
die Wis­sen­schaft sie­he den Tagungs­be­reicht „Wis­sen­schaft und
Export­kon­trol­le“ von Anto­nia Hage­dorn in die­sem Heft S. 183 ff.
4 Callies/Ruffert/Brechmann, EUV/AEUV 6. Aufl. 2022,
Art. 45 AEUV Rn 46; Geiger/Khan/Kotzur/Kirchmair/Khan/Gerckens,

  1. Aufl. 2023, AEUV Art. 45 Rn 27.
    5 EuGH 18.07.2017, C- 566/15, Rn. 33; Callies/Ruffert/Brechmann aaO
    Rn 51.
    6 Callies/Ruffert/Brechmann aaO Rn 54.
    7 EuGH 06.6.2000 C ‑281/98, Rn 30 ff (Ango­ne­se); Callies/Ruffert/
    Brech­mann aaO Rn 54; Beck­OK Migra­ti­ons- und Integrationsrecht/
    Dittrich, 14. Ed. 15.1.2023, AEUV Art. 45 Rn 8.
    8 Callies/Ruffert/Brechmann aaO Rn 113f.
    9 Callies/Ruffert/Brechmann aaO Rn 115.
    stimm­ten Staa­ten oder Insti­tu­tio­nen emp­feh­len. Anhalts­punk­te
    für Staa­ten, in denen ein Miss­brauch bestimm­ter
    For­schungs­er­geb­nis­se zu befürch­ten ist, kön­nen
    sich aus den natio­na­len und inter­na­tio­na­len Vor­schrif­ten
    oder Lis­ten über Aus­fuhr­be­schrän­kun­gen
    ergeben“.3
    Dass der Gemein­sa­me Aus­schuss für den Ein­zel­fall
    den Ver­zicht nicht nur auf Part­ner aus bestimm­ten Staa­ten,
    son­dern auch auf Mit­ar­bei­ter aus bestimm­ten Staa­ten
    emp­fiehlt, wirft die Fra­ge nach deren Dis­kri­mi­nie­rung
    auf: Ist es zuläs­sig, die Ein­stel­lung von Wis­sen­schaft­lern
    des­halb abzu­leh­nen, weil sie Ange­hö­ri­ge eines
    bestimm­ten Staa­tes sind oder auch, ohne die­se Staats­an­ge­hö­rig­keit
    zu besit­zen, aus die­sem Staat kom­men?
    Die­ser Fra­ge wird im Fol­gen­den nach­ge­gan­gen.
    II. Wis­sen­schaft­ler aus Staa­ten der Euro­päi­schen Union
  2. Grund­satz der Arbeit­neh­mer­frei­zü­gig­keit
    Art. 45 Abs. 1 AEUV gewähr­leis­tet inner­halb der EU die
    Frei­zü­gig­keit der Arbeit­neh­mer. Nach Absatz 2 der Vor­schrift
    umfasst die­se Frei­zü­gig­keit die Abschaf­fung jeder
    auf der Staats­an­ge­hö­rig­keit beru­hen­den unter­schied­li­chen
    Behand­lung der Arbeit­neh­mer der Mit­glied­staa­ten
    in Bezug auf Beschäf­ti­gung. Aus der Vor­schrift folgt bei
    Ein­stel­lun­gen grund­sätz­lich ein abso­lu­tes Dif­fe­ren­zie­rungs­ver­bot
    aus Grün­den der Staatsangehörigkeit.4 Wie
    für alle Beschäf­tig­ten gilt das auch für Wis­sen­schaft­ler.
    Das Ver­bot erfasst dabei nicht nur die unmit­tel­ba­re
    Dif­fe­ren­zie­rung wegen der Staats­an­ge­hö­rig­keit, son­dern
    auch jede ande­re natio­na­le Rege­lung, die, wenn auch
    ohne direk­te Dis­kri­mi­nie­rung wegen der Staats­an­ge­hö­rig­keit,
    geeig­net ist, den Gebrauch der Frei­zü­gig­keit
    durch einen Uni­onbür­ger zu behin­dern oder weni­ger attrak­tiv
    zu machen.5 Das ver­bie­tet es im Grund­satz auch,
    sich bewer­ben­de Uni­ons­bür­ger des­halb nicht ein­zu­stel­len,
    weil sie zuvor in einem ande­ren Staat tätig gewe­sen
    sind.
    Adres­sat des Art. 45 AEUV und damit auch des Dif­fe­ren­zie­rungs­ver­bots
    bei Ein­stel­lun­gen ist in ers­ter Linie
    der Mit­glied­staat als Trä­ger öffent­li­cher Gewalt. Staat­li­che
    Rege­lun­gen und ande­re staat­li­che Maß­nah­men dür­fen
    Bür­ger ande­rer Uni­ons­staa­ten grund­sätz­lich nicht
    schlech­ter stel­len als Deutsche.6 Erfasst wer­den damit
    die staat­li­chen Hoch­schu­len, aber, soweit sie als Anstal­ten
    des öffent­li­chen Rechts orga­ni­siert sind, auch die
    Uni­ver­si­täts­kli­ni­ka.
    Art. 45 AEUV gilt nach der Recht­spre­chung des
    EuGH aber auch für pri­va­te Arbeit­ge­ber, weil die­se sonst
    kraft ihrer Ver­trags­frei­heit Hin­der­nis­se für die Frei­zü­gig­keit
    der Arbeit­neh­mer auf­rich­ten könn­ten, die dem
    Staat ver­bo­ten wären.7 Dem­entspre­chend erklärt
    Art. 7 Abs. 4 der Frei­zü­gig­keits­ver­ord­nung
    (VO [EU] 492/2011) Rege­lun­gen in Tarif- oder Ein­zel­ar­beits­ver­trä­gen
    oder sons­ti­gen Kol­lek­tiv­ver­ein­ba­run­gen
    betref­fend den Zugang zur Beschäf­ti­gung für nich­tig, soweit
    sie für Arbeit­neh­mer, die Staats­an­ge­hö­ri­ge ande­rer
    Mit­glied­stat­ten sind, dis­kri­mi­nie­ren­de Bedin­gun­gen
    vor­se­hen oder zulas­sen. Die Fol­ge ist, dass auch pri­vat­recht­lich
    orga­ni­sier­te For­schungs­ein­rich­tun­gen wie die
    Max-Planck-Gesell­schaft, die Fraun­ho­fer Gesell­schaft,
    die Helm­holtz Gesell­schaf­ten und die Insti­tu­te der Leib­niz
    Gemein­schaft, die durch­weg als ein­ge­tra­ge­ne Ver­ei­ne
    orga­ni­siert sind, Wis­sen­schaft­ler aus Uni­ons­staa­ten
    grund­sätz­lich nicht wegen ihrer Staats­an­ge­hö­rig­keit von
    einer Beschäf­ti­gung aus­schlie­ßen dürfen.
  3. Ein­schrän­kung wegen Sicher­heits­re­le­vanz
    Auch die Frei­zü­gig­keit ist nicht schran­ken­los gewähr­leis­tet.
    Eine ers­te Aus­nah­me kon­sti­tu­iert Art. 45 AEUV in
    sei­nem Absatz 4 selbst. Danach fin­det die Bestim­mung
    kei­ne Anwen­dung auf die Beschäf­ti­gung in der öffent­li­chen
    Ver­wal­tung. Unter öffent­li­cher Ver­wal­tung ver­steht
    das euro­päi­sche Recht hier wie in ande­ren Vor­schrif­ten
    frei­lich nur die Stel­len, die unmit­tel­bar oder mit­tel­bar
    hoheit­li­che Befug­nis­se aus­üben. Die Mit­glied­staa­ten
    dür­fen nur kon­kre­te, mit einer bestimm­ten Funk­ti­on
    ver­bun­de­ne Stel­len in der öffent­li­chen Ver­wal­tung eige­nen
    Staats­an­ge­hö­ri­gen vorbehalten.8 Zu die­sen zäh­len in
    Hoch­schu­len und staat­li­chen For­schungs­ein­rich­tun­gen
    mög­li­cher­wei­se Lei­tungs­funk­tio­nen, nicht aber die
    Wahr­neh­mung blo­ßer Lehr- und
    Forschungstätigkeiten.9
    Rele­van­ter ist die zwei­te, in Art. 45 Abs. 3 AEUV ent­hal­te­ne
    Aus­nah­me, nach der die Frei­zü­gig­keit in Bezug
    auf die Beschäf­ti­gung unter dem Vor­be­halt der aus
    Löwisch/Anselment · Beschäf­ti­gungs­ver­bot für Wis­sen­schaft­ler aus Risi­ko­staa­ten? 1 3 3
    10 BeckOGK/Spindler, 1.2.2023, BGB § 823 Rn 256.
    11 Zum Anspruch auf Ver­trags­schluss als Kon­se­quenz von
    § 249 Abs. 1 BGB sie­he all­ge­mein BGH 6. 6. 1974, II ZR 157/72, DB
    1974, 1719; BAG 16. 3. 1989, 2 AZR 325/88, DB 1989, 1728.
    12 Roloff/Lampe, JuS 2007, 354, 355; Münch­ner Hand­buch zum Arbeitsrecht/
    Benecke, 5. Auf­la­ge 2021, § 32 Rn. 161; für eine ana­lo­ge
    Anwen­dung des § 15 Abs. 6 AGG auf das Maß­re­ge­lungs­ver­bot des
    § 612a BGB BAG 21.09.2011, 7 AZR 150/10, juris; dem BAG fol­gend
    Hor­cher, RdA 2014, 93, 99.
    13 Henssler/Willemsen/Kalb/Tillmanns, Arbeits­recht Kom­men­tar,
    Art.45 AEUV, Rn 8.
    14 Abkom­men zwi­schen der Euro­päi­schen Gemein­schaft und ihren
    Mit­glied­staa­ten einer­seits und der Schwei­ze­ri­schen Eid­ge­nos­sen­schaft
    ande­rer­seits über die Frei­zü­gig­keit.
    15 Henssler/Willemsen/Kalb/Tillmanns, Arbeits­recht Kom­men­tar,
    Art.45 AEUV, Rn 8; Erfur­ter Kommentar/Schlachter, Arbeits­recht,
    Art. 45 AEUV Rn 8; AR/Krebber, 10. Auf­la­ge 2021 Art. 45 AEUV
    Rn 10.
    Grün­den der öffent­li­chen Ord­nung, Sicher­heit und Gesund­heit
    gerecht­fer­tig­ten Beschrän­kun­gen steht. Das Risi­ko
    des Miss­brauchs sicher­heits­re­le­van­ter For­schung ist
    gewiss Gegen­stand der öffent­li­chen Sicher­heit.
    Indes­sen genügt die all­ge­mei­ne Erwä­gung, Ange­hö­ri­ge
    bestimm­ter Risi­ko­staa­ten könn­ten sicher­heits­re­le­van­te
    For­schun­gen auf einem oder auch meh­re­ren Fel­dern
    miss­brau­chen, nicht zur Beschrän­kung ihrer Frei­zü­gig­keit.
    Nach Art. 27 Abs. 2 der Frei­zü­gig­keits­richt­li­nie
    2004/38/EG darf bei Maß­nah­men, wel­che die
    Frei­zü­gig­keit aus Grün­den der öffent­li­chen Ord­nung
    und Sicher­heit beschrän­ken, aus­schließ­lich das per­sön­li­che
    Ver­hal­ten des Betrof­fe­nen aus­schlag­ge­bend sein.
    Nach Art. 27 Abs. 3 muss die­ses per­sön­li­che Ver­hal­ten
    eine tat­säch­li­che gegen­wär­ti­ge Gefahr dar­stel­len, die ein
    Grund­in­ter­es­se der Gesell­schaft berührt; vom Ein­zel­fall
    los­ge­lös­te oder auf Gene­ral­prä­ven­ti­on ver­wei­sen­de Begrün­dun­gen
    sind nicht zuläs­sig.
    Ein allein auf die Staats­an­ge­hö­rig­keit oder die bis­he­ri­ge
    Tätig­keit in einem bestimm­ten Staat abstel­len­der
    Aus­schluss der Ein­stel­lung von Uni­ons­bür­gern lässt sich
    mit die­ser Vor­ga­be nicht ver­ein­ba­ren. Zuläs­sig ist ein
    Aus­schluss nur, wenn kon­kre­te Umstän­de in der Per­son
    des betref­fen­den Wis­sen­schaft­lers ein sicher­heits­re­le­van­tes
    Risi­ko von Gewicht begrün­den, etwa ihre Ver­öf­fent­li­chun­gen,
    ihre bis­he­ri­ge Tätig­keit oder auch die Zuge­hö­rig­keit
    zu einer bestimm­ten Orga­ni­sa­ti­on den
    Schluss nahe­le­gen, sie nei­ge zu einem unbe­grenz­ten Gebrauch
    auch miss­brauchs­an­fäl­li­ger
    For­schungs­er­geb­nis­se.
  4. Rechts­schutz
    Art. 45 AEUV in Ver­bin­dung mit Art. 7 der Frei­zü­gig­keits­ver­ord­nung
    (VO [EU] 492/2011) die­nen dem Schutz
    der Uni­ons­bür­ger auch in Bezug auf ihre Beschäf­ti­gung.
    Sie sol­len gewähr­leis­ten, dass sie beim Ein­ge­hen von
    Arbeits­ver­hält­nis­sen nicht wegen ihrer Staats­an­ge­hö­rig­keit
    dis­kri­mi­niert wer­den. Als in Deutsch­land unmit­tel­bar
    gel­ten­de Rechts­nor­men kom­men ihnen damit
    Schutz­ge­setz­cha­rak­ter im Sin­ne von § 823 Abs. 2 BGB
    zu.10
    Ver­letzt ein poten­zi­el­ler Arbeit­ge­ber Art. 45 AEUV,
    ver­pflich­tet ihn das nach Maß­ga­be der §§ 249ff BGB
    zum Scha­dens­er­satz. Dabei gilt nach § 249 Abs. 1 BGB in
    ers­ter Linie der Grund­satz der Natu­ral­resti­tu­ti­on: Kann
    ein Bewer­ber nach­wei­sen, dass er ein­ge­stellt wor­den
    wäre, wenn sein Recht auf Frei­zü­gig­keit beach­tet wor­den
    wäre, hat der Anspruch auf Abschluss eines ent­spre­chen­den
    Arbeitsvertrags.11
    Aus § 15 Abs. 6 AGG folgt nichts Ande­res. Der dort
    für die Dis­kri­mi­nie­rungs­fäl­le des AGG ange­ord­ne­te
    Aus­schluss eines Anspruchs auf Begrün­dung eines Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­ses
    gilt hier ent­ge­gen der wohl
    herr­schen­den Meinung12 nicht. § 15 AGG ent­hält eine
    aus­ge­wo­ge­ne Gesamt­re­ge­lung der scha­dens­recht­li­chen
    Fol­gen der Ver­let­zung eines Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bots,
    die in Absatz 2 ins­be­son­de­re auch einen Anspruch auf
    Ersatz des imma­te­ri­el­len Scha­dens umfasst. Aus die­ser
    kann nicht iso­liert ein ein­zel­ner Teil ana­log ange­wandt
    wer­den. Eine ana­lo­ge Anwen­dung der gan­zen Vor­schrift
    und damit auch des Absat­zes 2 schei­tert aber am Ana­lo­gie­ver­bot
    des § 253 Abs. 1 BGB.
  5. Wis­sen­schaft­ler aus asso­zi­ier­ten Staa­ten
    Ange­hö­ri­gen von Staa­ten des Euro­päi­schen Wirt­schaft­raums
    (neben den Staa­ten der EU der­zeit Island,
    Nor­we­gen und Liech­ten­stein) kommt nach Art. 28 des
    Abkom­men über den EWR vom 2.05.1992 und des­sen
    Anhang V voll­um­fäng­li­che Frei­zü­gig­keit iSd.
    Art. 45 AEUV zu.13 Für die Beschäf­ti­gung von Wis­sen­schaft­lern
    aus die­sen Staa­ten gel­ten des­halb die glei­chen
    Regeln wie für Wis­sen­schaft­ler aus Staa­ten der EU.
    Auch Schwei­zer Staats­an­ge­hö­ri­ge genie­ßen auf­grund
    des Frei­zü­gig­keits­ab­kom­men EU-Schweiz vom
    21.06.1999 Arbeitnehmerfreizügigkeit14, so dass für sie
    eben­falls die glei­chen Regeln gel­ten.
    Das Asso­zia­ti­ons­ab­kom­men zwi­schen der Tür­kei
    und der EWG vom 12.09.1963 bil­ligt zusam­men mit den
    kon­kre­ti­sie­ren­den Beschlüs­sen, die unmit­tel­bar wir­ken,
    ein Recht auf wei­te­re Arbeits- und Auf­ent­halts­er­laub­nis
    zu, wenn die Beschäf­ti­gung ein Jahr ord­nungs­ge­mäß
    durch­ge­führt wurde.15 In Art. 12 des Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­mens
    hat die EU mit der Tür­kei ver­ein­bart, schritt­wei­se
    die Frei­zü­gig­keit der Arbeit­neh­mer her­zu­stel­len.
    Vom EUGH wird dies so inter­pre­tiert, dass die ihm Rah­men
    von Art. 45 AEUV gel­ten­de Grund­sät­ze so weit wie
    1 3 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 1 — 1 3 8
    16 EuGH, 19.7.2012, C‑451/11, juris, Rn 48.
    17 Sie­he zu Art. 40 Koope­ra­ti­ons­ab­kom­men EWG-Marok­ko EUGH
    v.2.03.1999, Rs. C- 416/96, NZA 1999, 533, 537; für die Ukrai­ne
    sie­he Art. 17 des Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­men zwi­schen der Euro­päi­schen
    Uni­on und ihren Mit­glieds taa­ten einer­seits und der Ukrai­ne
    ande­rer­seits; für Alba­ni­en sie­he Sta­bi­li­sie­rungs- und Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­men
    mit Alba­ni­en.
    18 Geiger/Khan/Kotzur/Kirchmair/Khan/Gerckens, 7. Aufl. 2023,
    AEUV Art. 45 Rn. 14.
    19 Näher Geiger/Khan/Kotzur/Kirchmair/Khan/Gerckens,
  6. Aufl. 2023, AEUV Art. 45 Rn. 15 f.
    20 Schult­heiß, Auf­ent­halts­rech­te von dritts taats­an­ge­hö­ri­gen Wis­sen­schaft­lern,
    OdW 2018, 3, 4; dem­nächs t auch Cas ten­dyk OdW 2023,
    Heft 4.
    21 Schult­heiß, aaO OdW 2018, 3, 6.
    mög­lich auf Arbeit­neh­mer aus der Tür­kei zu über­tra­gen
    sind.16
    Ande­re Asso­zi­ie­rungs- und Koope­ra­ti­ons­ab­kom­men ent­hal­ten
    zwar hin­sicht­lich der Arbeits­be­din­gun­gen Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te
    wegen der Staats­an­ge­hö­rig­keit,
    bezie­hen die­se aber nicht auf die Zulas­sung zur Beschäf­ti­gung.
    Dies gilt etwa für die Abkom­men mit den Maghreb-
    Staa­ten und die Asso­zia­ti­ons­ab­kom­men mit Alba­ni­en
    und der Ukraine.17
    Für Arbeit­neh­mer aus dem Ver­ei­nig­ten König­reich
    gilt das Aus­tritts­ab­kom­men Groß­bri­tan­ni­ens mit der
    EU, wel­ches die Arbeit­neh­mer­frei­zü­gig­keit zwi­schen der
    EU und Groß­bri­tan­ni­en infol­ge des Brexit been­det hat.18
    Bri­ti­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge, die vor dem 31.12.2020 in der
    EU ansäs­sig waren, genie­ßen jedoch hin­sicht­lich der
    Frei­zü­gig­keit Bestandsschutz.19
    III. Wis­sen­schaft­ler aus Drittstaaten
  7. Beson­de­re Auf­ent­halts­er­laub­nis zum Zweck der For­schung
    a. Grund­sätz­li­cher Anspruch auf Ertei­lung
    Nach § 18d Absatz 1 Auf­ent­halts­ge­setz wird einem Aus­län­der
    ohne Zustim­mung der Bun­des­agen­tur für Arbeit
    eine Auf­ent­halts­er­laub­nis zum Zweck der For­schung
    erteilt, wenn er eine wirk­sa­me Auf­nah­me­ver­ein­ba­rung
    oder einen ent­spre­chen­den Ver­trag mit einer For­schungs­ein­rich­tung
    abge­schlos­sen hat, die For­schung
    betreibt. Die Vor­schrift erfasst alle in der For­schung täti­gen
    Wis­sen­schaft­ler, auch Assis­ten­ten, wis­sen­schaft­li­che
    Mit­ar­bei­ter, Post­dok­to­ran­den und Gastwissenschaftler.20
    Nach § 18 d Abs. 5 Satz 1 Auf­enthG berech­tigt die
    Auf­ent­halts­er­laub­nis zur Auf­nah­me der For­schungs­tä­tig­keit
    bei der in der Auf­nah­me­ver­ein­ba­rung bezeich­ne­ten
    For­schungs­ein­rich­tung und zur Auf­nah­me von Tätig­kei­ten
    in der Leh­re. Die Berech­ti­gung umfasst die
    Auf­nah­me der ent­spre­chen­den Erwerbs­tä­tig­keit und damit
    auch den Abschluss eines ent­spre­chen­den
    Arbeitsvertrags.21
    § 18 d Auf­enthG setzt für Wis­sen­schaft­ler die Bestim­mun­gen
    der Richt­li­nie 2016/801/EU über die Bedin­gun­gen
    für die Ein­rei­se und den Auf­ent­halt von Dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen
    zu For­schungs- oder Stu­di­en­zwe­cken, zur
    Absol­vie­rung eines Prak­ti­kums, zur Teil­nah­me an einem
    Frei­wil­li­gen­dienst, Schü­ler­aus­tausch­pro­gram­men oder
    Bil­dungs­vor­ha­ben und zur Aus­übung einer Au-pair-Tätig­keit
    um. Die­se ent­hält in ihren Arti­keln 9 und 10 nähe­re
    Richt­li­ni­en für die Zulas­sung von For­schungs­ein­rich­tun­gen
    und die Aus­ge­stal­tung der
    Auf­nah­me­ver­ein­ba­run­gen.
    b. Ver­wei­ge­rung der Auf­ent­halts­er­laub­nis wegen
    Sicher­heits­be­den­ken
    Das Auf­ent­halts­ge­setz sieht kei­ne Mög­lich­keit vor, Wis­sen­schaft­lern,
    die Ange­hö­ri­ge eines bestimm­ten Staa­tes
    sind oder aus einem bestimm­ten Staat kom­men, die Auf­ent­halts­er­laub­nis
    zu ver­wei­gern. § 19 f des Geset­zes
    erlaubt nur die Ableh­nung aus den im Ein­zel­nen auf­ge­zähl­ten
    Grün­den. In Betracht kommt ledig­lich die
    Bestim­mung des § 19 f Abs. 4 Nr. 6, nach der auch der
    von For­schern gestell­te Antrag auf Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laub­nis
    abge­lehnt wer­den kann, wenn Bewei­se
    oder kon­kre­te Anhalts­punk­te dafür bestehen, dass der
    Aus­län­der den Auf­ent­halt zu ande­ren Zwe­cken nut­zen
    wird als zu jenen, für die er die Ertei­lung der Auf­ent­halts­er­laub­nis
    bean­tragt.
    Dass ein Aus­län­der die ihm mit der Auf­ent­halts­er­laub­nis
    ermög­lich­te For­schungs­tä­tig­keit zum Miss­brauch
    sicher­heits­re­le­van­ter For­schungs­er­geb­nis­se
    nutzt, ist auf­ent­halts­recht­lich gewiss zweck­wid­rig. Die
    Ableh­nung auch wegen die­ser Gefahr setzt nach der
    Vor­schrift aber Bewei­se oder kon­kre­te Anhalts­punk­te dafür
    vor­aus, dass in der Per­son des betref­fen­den For­schers
    eine sol­che Gefahr besteht.
    Aus den Bestim­mun­gen der Richt­li­nie 2016/801/EU
    ergibt sich nichts Ande­res. Nach deren Art. 7 Abs. 6 ist
    Dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen, die als Bedro­hung für die öffent­li­che
    Ord­nung, Sicher­heit und Gesund­heit ange­se­hen
    wer­den, die Zulas­sung zu ver­wei­gern. Aber auch das gilt
    Löwisch/Anselment · Beschäf­ti­gungs­ver­bot für Wis­sen­schaft­ler aus Risi­ko­staa­ten? 1 3 5
    22 Schult­heiß aaO OdW 2018, 3, 5.
    23 BVerfG 10. 5. 1988, 1 BvR 1166/85, BVerfGE 78, 179, 197.
    24 All­ge­mein zur Pro­ble­ma­tik der abschlie­ßen­den Sta­tu­ie­rung von
    Dis­kri­mi­nie­rungs­merk­ma­len jetzt Hülya Erbil, Mög­lich­kei­ten und
    Gren­zen eines pos tka­te­go­ria­len Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­rechts in:
    Picker/Gräf, Funk­tio­na­li­tät und Effek­tu­ie­rung des Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­rechts,
    2023, S. 42 f.
    25 BVerfG 7. 2. 2012, 1 BvL 17/07, Rn 46.
    wie bei allen Ableh­nungs­grün­den nach Art. 20 Abs. 1 lit. f
    nur, wenn der Mit­glied­staat Bewei­se oder ernst­haf­te und
    sach­li­che Anhalts­punk­te dafür hat, dass der Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge
    sei­nen Auf­ent­halt zu ande­ren Zwe­cken nut­zen
    wür­de als jene, für die er die Zulas­sung bean­tragt.
    Auch muss nach Art. 20 Abs. 4 die­se wie jede ande­re
    Ent­schei­dung, einen Antrag abzu­leh­nen, die kon­kre­ten
    Umstän­de des Ein­zel­falls berück­sich­ti­gen und den
    Grund­satz der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit ein­hal­ten.
    Auch dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge Wis­sen­schaft­ler kön­nen
    des­halb nicht allein wegen ihrer Staats­an­ge­hö­rig­keit
    oder ihrer bis­he­ri­gen Tätig­keit in einem bestimm­ten
    Staat von einer Beschäf­ti­gung an einer deut­schen Hoch­schu­le
    oder For­schungs­ein­rich­tung aus­ge­schlos­sen wer­den.
    Mög­lich ist der Aus­schluss im Wege der Ableh­nung
    der Auf­ent­halts­er­laub­nis nur, wenn kon­kre­te Umstän­de
    in ihrer Per­son ein sicher­heits­re­le­van­tes Risi­ko von Gewicht
    begrün­den.
    c. Rechts­schutz
    Die Ableh­nung der Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laub­nis
    stellt einen Ver­wal­tungs­akt dar, gegen den sich der
    Betrof­fe­ne mit den ein­schlä­gi­gen ver­wal­tungs­ver­fah­rens­recht­li­chen
    und ver­wal­tungs­ge­richt­li­chen Mit­teln
    zur Wehr set­zen kann. Das Auf­ent­halts­ge­setz ent­hält
    hier­für in sei­nen §§ 77 bis 85 eine Rei­he von Sondervorschriften.
  8. Ableh­nung durch Hoch­schu­le oder For­schungs­ein­rich­tung
    a. Staat­li­che Hoch­schu­len und öffent­lich-recht­li­che Ein­rich­tun­gen
    Um eine Auf­ent­halts­er­laub­nis zum Zweck der For­schung
    in Deutsch­land zu erhal­ten, muss der Wis­sen­schaft­ler
    nach § 18d Abs. 1 Nr. 1 Auf­enthG über eine Auf­nah­me­ver­ein­ba­rung
    oder einen ent­spre­chen­den Ver­trag
    mit einer deut­schen Hoch­schu­le oder For­schungs­ein­rich­tung
    verfügen.22 Das führt zu der Fra­ge, ob Hoch­schu­len
    und For­schungs­ein­rich­tun­gen, den Emp­feh­lun­gen
    des Gemein­sa­men Aus­schus­ses fol­gend, selbst die
    Beschäf­ti­gung von Dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen allein wegen
    deren Staats­an­ge­hö­rig­keit oder wegen deren bis­he­ri­gen
    Tätig­keit in einem bestimm­ten Staat ableh­nen kön­nen.
    Die Fra­ge ist zu ver­nei­nen.
    Lehn­ten staat­li­chen Hoch­schu­len, Uni­ver­si­täts­kli­ni­ka
    oder öffent­lich-recht­lich organ­sier­te For­schungs­ein­rich­tun­gen
    die Beschäf­ti­gung dritt­staats­an­ge­hö­ri­ger
    Wis­sen­schaft­ler allein aus die­sen Grün­den ab, ver­letz­te
    das deren Grund­rech­te aus Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3 S. 1
    und Art. 3 Abs. 1. S. 1 GG:
    Zwar kön­nen sich die dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen Wis­sen­schaft­ler
    nicht auf die Deut­schen vor­be­hal­te­nen Grund­rech­te
    des glei­chen Zugangs zum öffent­li­chen Dienst
    nach Art. 33 Abs.2 GG und der Berufs­frei­heit nach Art.
    12 GG beru­fen. Ihnen kommt aber für ihre recht­li­che Befug­nis,
    in Deutsch­land tätig zu wer­den, der dem Rechts­staats­prin­zip
    imma­nen­te Vor­be­halt des Geset­zes zu
    Gute, des­sen Beach­tung auch der Aus­län­der über
    Art. 2 Abs. 1 GG ver­lan­gen kann. Der Vor­be­halt des Geset­zes
    ver­bie­tet es, eine so gra­vie­ren­de Beein­träch­ti­gung
    der Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit wie sie die Ver­wei­ge­rung
    der Beschäf­ti­gung aus Grün­den der Staats­an­ge­hö­rig­keit
    oder wegen der bis­he­ri­gen Tätig­keit im Aus­land
    dar­stellt, ohne gesetz­li­che Grund­la­ge vorzunehmen.23
    Dies gilt für eine Beein­träch­ti­gung der Wis­sen­schafts­frei­heit
    des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG eben­so. Eine ent­spre­chen­de
    gesetz­li­che Grund­la­ge fehlt, weil wie dar­ge­stellt,
    das Auf­enthG eine Ver­wei­ge­rung der Auf­ent­halts­er­laub­nis
    und damit einer Beschäf­ti­gung allein aus die­sen
    Grün­den gera­de nicht vor­sieht.
    Auch gehört die Staats­an­ge­hö­rig­keit zwar nicht zu
    den unzu­läs­si­gen Dif­fe­ren­zie­rungs­merk­ma­len des
    Art. 3 Abs. 3 GG und des AGG.24 Doch dür­fen nach dem
    all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG Aus­län­der
    wegen der Staats­an­ge­hö­rig­keit nicht will­kür­lich, das
    heißt ohne Vor­lie­gen eines legi­ti­men sach­li­chen Grun­des,
    benach­tei­ligt werden.25 Ein sol­cher legi­ti­me­re Grund
    fehlt ange­sichts der Tat­sa­che, dass der Gesetz­ge­ber im
    Auf­ent­halts­ge­setz selbst zum Aus­druck bringt, dass nur
    1 3 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 1 — 1 3 8
    26 BVerfG 05.08.1994, 1 BVR 1402/89 Rn 21 f, juris; mit umfas­sen­den
    Nach­wei­sen Staudinger/Oechsler,2021, § 826 Rn 579 ff; HK-BGB/
    Ans­gar Stau­din­ger, 11. Aufl. 2021, BGB § 826 Rn 18.
    27 BGH vom 02.12.1974, BGHZ 63,282, 287; Gru­ne­wald, Ver­eins­auf­nah­me
    und Kon­tra­hie­rungs­zwang, AcP 182, 81, 192 ff.
    28 Staudinger/Oechsler, 2021, § 826 BGB Rn 587.
    29 Zur Leis tungs­funk­ti­on der Grund­rech­te sie­he Jarass/Pieroth/Jarass,
    GG 17. Aufl. 2022, Vor­bem. vor Art. 1 Rn 4 ff.
    in der betref­fen­den Per­son lie­gen­de Grün­de eine Ableh­nung
    recht­fer­ti­gen.
    b. Pri­vat­recht­lich orga­ni­sier­te Hoch­schu­len und For­schungs­ein­rich­tun­gen
    Als Arbeit­ge­ber genie­ßen pri­vat­recht­lich orga­ni­sier­te
    Hoch­schu­len und For­schungs­ein­rich­tun­gen nach
    § 105 Satz 1 GewO hin­sicht­lich des Abschlus­ses von
    Arbeits­ver­trä­gen grund­sätz­lich Ver­trags­frei­heit. Das gilt
    auch für die Ein­stel­lung von Wis­sen­schaft­lern. Mit wel­chen
    Per­so­nen sie Arbeits­ver­trä­ge als Wis­sen­schaft­ler
    abschlie­ßen, unter­liegt grund­sätz­lich ihrer frei­en Ent­schei­dung.
    Die­se Frei­heit ist zwar durch die Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te
    des AGG gesetz­lich ein­ge­schränkt. Zu
    den Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­ten zählt die unter­schied­li­che
    Behand­lung wegen einer bestimm­ten Staats­an­ge­hö­rig­keit
    oder wegen der vor­he­ri­gen Tätig­keit in einem
    bestimm­ten Staat nicht.
    In Recht­spre­chung und Lite­ra­tur ist aber aner­kannt,
    dass die Wei­ge­rung, mit bestimm­ten Per­so­nen Ver­trä­ge
    abzu­schlie­ßen eine sit­ten­wid­ri­ge Schä­di­gung im Sin­ne
    von § 826 BGB dar­stel­len kann mit der Fol­ge, dass auch
    ohne Bestehen einer ent­spre­chen­den gesetz­li­chen Rege­lung
    die Abschluss­frei­heit ein­ge­schränkt ist. Vor­aus­set­zung
    dafür ist auf der einen Sei­te eine beson­de­re Macht­po­si­ti­on
    der den Ver­trags­schluss ver­wei­gern­den poten­zi­el­len
    Ver­trags­par­tei und auf der ande­ren Sei­te ein beson­de­res
    Schutz­in­ter­es­se der den Ver­trags­schluss
    begeh­ren­den poten­zi­el­len Vertragspartei.26
    Vom Vor­lie­gen einer beson­de­ren Macht­po­si­ti­on wird
    dabei ins­be­son­de­re dort aus­ge­gan­gen, wo Pri­va­te Leis­tun­gen
    ver­ge­ben, wel­chen ihnen von der öffent­li­chen
    Hand zur Ver­fü­gung gestellt werden.27 Ein beson­de­res
    Schutz­in­ter­es­se des abge­lehn­ten Ver­trags­part­ners besteht
    vor allem dort, wo die Abschluss­ver­wei­ge­rung ein
    grund­recht­li­ches Schutz­gut betrifft.28
    Bei­des kommt hier in Betracht. Die gro­ßen pri­vat­recht­lich
    orga­ni­sier­ten For­schungs­ein­rich­tun­gen Max-
    Planck-Gesell­schaft, Fraun­ho­fer Gesell­schaft, Helm­holtz
    Gesell­schaf­ten und Insti­tu­te der Leib­niz Gemein­schaft
    erhal­ten in erheb­li­chem Umfang staat­li­che Mit­tel zur
    För­de­rung von Wis­sen­schaft und For­schung. Die­se die­nen
    auch dem Zweck, Wis­sen­schaft­ler zu beschäf­ti­gen
    und sol­len so zugleich im Sin­ne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG
    deren per­sön­li­che wis­sen­schaft­li­che Ent­wick­lung för­dern.
    Ihnen den Zugang zu die­ser För­de­rung ledig­lich
    wegen ihrer Staats­an­ge­hö­rig­keit oder ihrer bis­he­ri­gen
    Tätig­keit in einem ande­ren Staat zu ver­wei­gern, wäre
    will­kür­lich. Legi­tim ist eine sol­che Ver­wei­ge­rung nur,
    wenn kon­kre­te in ihrer Per­son lie­gen­de Grün­de die Ableh­nung
    recht­fer­ti­gen.
    Auch hier setzt des­halb die Ableh­nung aus Sicher­heits­grün­den
    den Nach­weis vor­aus, dass gera­de ihre Beschäf­ti­gung
    aus in ihrer Per­son lie­gen­den Grün­den ein
    sicher­heits­re­le­van­tes Risi­ko dar­stellt.
    c. Rechts­schutz
    Staat­li­che Hoch­schu­len und öffent­lich-recht­li­che Ein­rich­tun­gen
    sind unmit­tel­bar an die Grund­rech­te gebun­den.
    Wer­den Bewer­ber um eine Stel­le an einer staat­li­chen
    Hoch­schu­le, einem öffent­lich-recht­lich orga­ni­sier­ten
    Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum oder einer
    öffent­lich-recht­li­chen For­schungs­ein­rich­tung allein
    wegen ihrer Staats­an­ge­hö­rig­keit oder ihrer vor­he­ri­gen
    Beschäf­ti­gung in einem bestimm­ten Staat abge­lehnt,
    kön­nen sie, gestützt auf die Leis­tungs­funk­ti­on ihrer
    Grund­rech­te aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 und
    Art. 3 Abs. 1 GG nach Maß­ga­be der sonst für die betref­fen­de
    Stel­le zu erfül­len­den Vor­aus­set­zun­gen und zu
    beach­ten­den Ver­fah­rens­schrit­te Ein­stel­lung ver­lan­gen
    und arbeits­ge­richt­lich durchsetzen.29
    Bewer­bern, wel­che von einer pri­vat­recht­lich orga­ni­sier­ten
    For­schungs­ein­rich­tung oder Hoch­schu­le zu Unrecht
    allein wegen ihrer Staats­an­ge­hö­rig­keit oder ihrer
    vor­he­ri­gen Beschäf­ti­gung in einem bestimm­ten Staat
    nicht ein­ge­stellt wor­den sind, haben, wie unter b dar­ge­legt,
    Anspruch auf Scha­dens­er­satz nach § 826 BGB.
    Auch die­ser führt nach § 249 Abs. 1 BGB zum Anspruch
    auf Abschluss eines ent­spre­chen­den Arbeits­ver­trags.
    Auch die­sem Anspruch steht § 15 Abs. 6 AGG nicht im
    Wege (sie­he oben unter II 3).
    IV. Ergeb­nis
    Wis­sen­schaft­lern aus Sicher­heits­grün­den die Beschäf­ti­gung
    an staat­li­chen oder pri­va­ten Hoch­schu­len,
    Löwisch/Anselment · Beschäf­ti­gungs­ver­bot für Wis­sen­schaft­ler aus Risi­ko­staa­ten? 1 3 7
    an staat­li­chen oder pri­vat­recht­lich orga­ni­sier­ten For­schungs­ein­rich­tun­gen
    oder an Uni­ver­si­täts­kli­ni­ka allein
    wegen ihrer Staats­an­ge­hö­rig­keit oder ihrer bis­he­ri­gen
    Tätig­keit in einem bestimm­ten Staat zu ver­wei­gern, ist
    recht­lich nicht halt­bar.
    Bei Wis­sen­schaft­lern aus Staa­ten der EU steht dem
    die durch Art. 45 AEUV gewähr­leis­te­te Arbeit­neh­mer­frei­zü­gig­keit
    ent­ge­gen. Wis­sen­schaft­ler aus Dritt­staa­ten
    haben Anspruch auf Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laub­nis
    zum Zweck der For­schung und kön­nen sich gegen­über
    Hoch­schu­len und For­schungs­ein­rich­tun­gen auf
    ihre Grund­rech­te aus Art. 2 Abs. 1 und
    Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG beru­fen.
    Zuläs­sig ist die Ableh­nung eines Wis­sen­schaft­lers
    nur dann, wenn kon­kre­te, in sei­ner Per­son lie­gen­de Umstän­de
    ein sicher­heits­re­le­van­tes Risi­ko von Gewicht begrün­den,
    etwa sei­ne Ver­öf­fent­li­chun­gen, die bis­her aus­ge­üb­te
    Tätig­keit oder auch die Zuge­hö­rig­keit zu einer
    bestimm­ten Orga­ni­sa­ti­on nahe­le­gen, er nei­ge zu einem
    unbe­grenz­ten Gebrauch auch miss­brauchs­an­fäl­li­ger
    For­schungs­er­geb­nis­se.
    Man­fred Löwisch ist Pro­fes­sor an der Albert-Lud­wigs-
    Universität Frei­burg und Lei­ter der For­schungs­stel­le
    für Hoch­schul­recht und Hoch­schul­ar­beits­recht. Marie
    Ansel­ment ist dort wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin.
    1 3 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 1 — 1 3 8
    I. Ein­lei­tung
    Die Digi­ta­li­sie­rung und die damit ver­bun­de­nen neu­en Kommunikations‑, Pro­duk­ti­ons- und Ver­viel­fäl­ti­gungs­mög­lich­kei­ten stel­len auch die Wis­sen­schaft vor Her­aus­for­de­run­gen. Auf­grund der leicht zugäng­li­chen Fül­le an Infor­ma­tio­nen und der viel­fäl­ti­gen Ver­ar­bei­tungs­mög­lich­kei­ten, haben sich die Rol­len von Konsument:innen und Nutzer:innen mit denen der Produzent:innen von Inhal­ten ver­mischt: In Online-Umge­bun­gen kann jede/r ver­gleichs­wei­se ein­fach Inhal­te gene­rie­ren, neu zusam­men­stel­len und publizieren.1
    Dies führt dazu, dass sich durch die digi­ta­len Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten tra­di­tio­nel­le Pro­zes­se der Wis­sens­ge­ne­se, ‑prü­fung und ‑ver­brei­tung grund­le­gend verändern.2 Gera­de in der Pro­duk­ti­on von neu­em Wis­sen haben urhe­ber­recht­li­che Fra­gen eine gro­ße Rele­vanz, die durch neue Prak­ti­ken in digi­ta­le Umge­bun­gen vor Her­aus­for­de­run­gen gestellt wer­den. Vor allem durch platt­form­ku­ra­tier­te Inhal­te erge­ben sich Fra­gen dahin­ge­hend, wer „Wis­sen, Wahr­heit und Ratio­na­li­tät im öffent­li­chen Dis­kurs für sich bean­spru­chen kann“3– was durch die nicht immer ein­deu­tig iden­ti­fi­zier­ba­ren Urheber:innen von Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­duk­ten und das Ver­wi­schen vor­mals rela­tiv klar getrenn­ter Rol­len in Online-Umge­bun­gen zusätz­lich erschwert wird.
    Vor die­sem Hin­ter­grund sind zahl­rei­che Her­aus­for­de­run­gen für das Urhe­ber­recht ent­stan­den. Ins­be­son­de­re haben die Rechts­in­ha­ber, zu denen auch Hoch­schu­len und ein­zel­ne Wissenschaftler:innen zäh­len, in einer Welt, in der Inhal­te von jedem ohne gro­ße Kos­ten erstellt, ver­brei­tet und rezi­piert wer­den kön­nen, ihre Ver­fü­gungs­ge­walt über die Wer­ke verloren.4 Hier­zu haben nicht nur File­sha­ring-Diens­te bei­getra­gen, deren Geschäfts­mo­del­le die deut­sche und euro­päi­sche Recht­spre­chung in den ver­gan­ge­nen Jah­ren inten­siv beschäf­tigt haben,5 son­dern ins­be­son­de­re in den letz­ten Jah­ren auch die „Platt­for­mi­sie­rung“ des Inter­nets. Gro­ße Medi­en­in­ter­me­diä­re wie zum Bei­spiel „You­tube“ spie­len nicht nur eine zen­tra­le Rol­le bei der Ver­brei­tung von urhe­ber­recht­lich geschütz­ten Inhal­ten, sie wer­den gleich­sam auch zum Nor­men­set­zer für das Urhe­ber­recht. Im Rah­men von pri­va­ten Richt­li­ni­en und geschützt von Haf­tungs­pri­vi­le­gi­en wie sie im US-ame­ri­ka­ni­schen Digi­tal Mill­en­ni­um Copy­right Act, der euro­päi­schen E‑Com­mer­ce-Richt­li­nie und nun auch im Digi­tal Ser­vices Act vor­ge­se­hen sind,6 bestim­men sie den Umfang und die Anwen­dung des Urhe­ber­rechts in einem gro­ßen Teil des digi­ta­len Ökosystems.7 Die­se Ent­wick­lun­gen und auch die Dis­kus­si­on über die Ver­ant­wort­lich­keit der Medi­en­in­ter­me­diä­re für die auf ihren Platt­for­men began­ge­nen Urhe­ber­rechts­ver­let­zun­gen hat dazu geführt, dass das Urhe­ber­recht schon seit den 1990er Jah­ren die Speer­spit­ze der digi­ta­len Rechts­durch­set­zung bildet.8 So nimmt die algo­rith­mi­sche Fil­te­rung von Inhal­ten und die auto­ma­ti­sier­te Suche nach Urhe­ber­rechts­ver­let­zun­gen zu. Pro­ble­me bei der algo­rith­mi­schen Rechts­durch­set­zung — vor allem die man­geln­de Fähig­keit der Algo­rith­men
    Han­nah Schmid-Petri, Ste­li­ya­na Dose­va, Jan Schill­möl­ler, Dirk Heck­mann
    Inter­dis­zi­pli­nä­re For­schung als mög­li­cher Impuls­ge­ber für eine evi­denz­ba­sier­te Regu­lie­rung – Pro­gram­ma­ti­sche Über­le­gun­gen am Bei­spiel des Urhe­ber­rechts im
    digi­ta­len Zeit­al­ter
    1 Bruns, Blogs, Wiki­pe­dia, Second Life, and bey­ond: From pro­duc­tion to pro­du­sa­ge, Peter Lang, 2008.
    2 Neu­ber­ger/­Wein­gar­t/­Fähn­rich/­Fe­cher/­Schä­fer/­Schmid-Petri/­Wag­ner, Der digi­ta­le Wan­del der Wis­sen­schafts­kom­mu­ni­ka­ti­on. Wis­sen­schafts­po­li­tik im Dia­log, eine Schrif­ten­rei­he der Ber­lin-Bran­den­bur­gi­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten, 2021, Abruf­bar unter: https://www.bbaw.de/files-bbaw/user_upload/publikationen/Broschuere-WiD_16_PDFA-1b.pdf (letz­ter Zugriff: 01.05.2023).
    3 Neuberger/Bartsch/Reinemann/Fröhlich/Hanitzsch/Schindler, Der digi­ta­le Wan­del der Wis­sens­ord­nung. Theo­rie­rah­men für die Ana­ly­se von Wahr­heit, Wis­sen und Ratio­na­li­tät in der öffent­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­on, M&K Medi­en & Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft, 2019, S. 167.
    4 Gray, Goog­le Rules. The his tory and future of copy­right under the influence of Goog­le, Oxford Uni­ver­si­ty Press, 2020, S. 5–6.
    5 Vgl. u. a.: EuGH v. 26.04.2017, C‑527/15, ECLI:EU:C:2017:300; BGH v. 11.06.2015, I ZR 19/14, Tausch­bör­se I; BGH v. 12.07.2012, I ZR 18/11, Alo­ne in the Dark.
    6 Gemein­sam is t die­sen Bes tim­mun­gen, dass sie die Haf­tung des Inter­me­di­ärs als blo­ßer Ver­mitt­ler auf die Haf­tung nach Kennt­nis beschrän­ken und sie somit nicht zu akti­ven Über­prü­fungs pflich ten, son­dern „nur“ zu einem Noti­ce-and-Take-Down-Ver­fah­ren ver­pflich­ten.
    7 Gray, Goog­le Rules. The his tory and future of copy­right under the influence of Goog­le, Oxford Uni­ver­si­ty Press, 2020, S. 130.
    8 Perel/El­kin-Koren, Accoun­ta­bi­li­ty in Algo­rith­mic Enforce­ment: Les­sons from Copy­right Enforce­ment by Online Inter­me­dia­ries, Stand­ford Tech­no­lo­gy Law Review 2016, S. 476–477.
    Ord­nung der Wis­sen­schaft 2023, ISSN 2197–9197
    1 4 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 9 — 1 4 6
    9 Perel/El­kin-Koren, Accoun­ta­bi­li­ty in Algo­rith­mic Enforce­ment:
    Les­sons from Copy­right Enforce­ment by Online Inter­me­dia­ries,
    Stand­ford Tech­no­lo­gy Law Review 2016, S. 473
    10 Spind­ler, Der Vor­schlag für ein neu­es Haf­tungs­re­gime für Inter­net­pro­vi­der
    – der EU-Digi­tal Ser­vices Act, GRUR 2021, S. 545;
    Gray, Goog­le Rules. The his tory and future of copy­right under the
    influence of Goog­le, Oxford Uni­ver­si­ty Press, 2020, S. 160; Fenwick/
    McCahery/Vermeulen, The End of ‘Cor­po­ra­te’ Gover­nan­ce:
    Hel­lo ‘Plat­form’ Gover­nan­ce, Euro­pean Busi­ness Orga­niza­ti­on
    Law Review, 2019, S. 196.
    11 Wimmers/Barudi, Der Mythos vom Value Gap, GRUR 2017, S. 327.
    12 Natio­nal Aca­de­my of Sci­en­ces, Natio­nal Aca­de­my of Engi­nee­ring,
    and Ins titu­te of Medi­ci­ne, Faci­li­ta­ting Inter­di­sci­pli­na­ry Rese­arch,
    The Natio­nal Aca­de­mies Press, 2005, S. 2
    13 Hil­gen­dorf, Bedin­gun­gen gelin­gen­der Inter­dis­zi­pli­na­ri­tät – am
    Beis piel der Rechts­wis­sen­schaft, Juris ten Zei­tung (JZ), 2010, S. 913-
    922.
    kon­text­sen­si­ti­ve Ent­schei­dun­gen zu treffen9 — haben dabei
    eben­so zu einer Dis­kus­si­on über die Ver­ant­wort­lich­keit
    der Platt­form­be­trei­ber geführt wie die sog. „Value
    Gap”-Diskussion.10 Im Rah­men die­ser wird kri­ti­siert,
    dass ein Miss­ver­hält­nis zwi­schen den Ein­nah­men besteht,
    die die Medi­en­in­ter­me­diä­re durch die, teil­wei­se
    unbe­rech­tigt, auf ihren Platt­for­men ver­öf­fent­lich­ten
    Wer­ken erzie­len, und den Ein­nah­men der
    Rechtsinhaber.11
    Die­sen neu­en Her­aus­for­de­run­gen kann sich die
    Rechts­wis­sen­schaft nur in inter­dis­zi­pli­nä­ren Part­ner­schaf­ten
    ange­mes­sen stel­len. Um nicht los­ge­löst von gesell­schaft­li­chen
    Debat­ten und den Bedürf­nis­sen der betrof­fe­nen
    Grup­pen zu agie­ren und um grund­le­gen­de poli­ti­sche
    Wer­te und Rechts­gü­ter auch bei der Regu­lie­rung
    von digi­ta­len Medien- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­for­men
    zu sichern, ist es unab­ding­bar, zunächst die gesell­schaft­li­chen
    Erfor­der­nis­se zu eru­ie­ren, um davon aus­ge­hend
    forschungs- und evi­denz­ba­sier­te Regu­lie­rungs­op­tio­nen
    auf­zu­zei­gen. Idea­ler­wei­se kön­nen dann inter­dis­zi­pli­nä­re
    Koope­ra­tio­nen, bei­spiels­wei­se zwi­schen den
    Rechts- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten dazu bei­tra­gen, die gesell­schaft­li­che
    Teil­ha­be von Bürger:innen, die Hand­lungs­fä­hig­keit
    von Poli­tik und nicht zuletzt fai­re Bedin­gun­gen
    in öffent­li­chen Dis­kur­sen und in der Digi­tal­wirt­schaft
    zu sichern.
    Wie eine frucht­ba­re inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit
    gelin­gen kann, möch­ten wir im Fol­gen­den am Bei­spiel
    eines durch das Baye­ri­sche For­schungs­in­sti­tut für
    Digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on (bidt) geför­der­ten Pro­jekts zei­gen,
    an dem Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Rechts­wis­sen­schaft
    gemein­sam aus­ge­wähl­te Her­aus­for­de­run­gen der Medi­en-
    und Platt­form­re­gu­lie­rung bear­bei­ten.
    II. Inter­dis­zi­pli­na­ri­tät in der Rechts­wis­sen­schaft
    Inter­dis­zi­pli­na­ri­tät ist ein Schlag­wort, das an Hoch­schu­len
    im Rah­men von For­schungs­pro­jek­ten, Dritt­mit­tel­an­trä­gen
    oder der Kon­zep­ti­on von (neu­en) Stu­di­en­gän­gen
    viel dis­ku­tiert wird. Auch wenn die Debat­te an sich eine
    län­ge­re Tra­di­ti­on hat, ist die­se häu­fig der Beob­ach­tung
    geschul­det, dass sich aktu­el­le gesell­schaft­li­che Pro­blem­la­gen
    nicht (mehr) allei­ne mono­dis­zi­pli­när lösen las­sen,
    son­dern viel­mehr gemein­sa­me Bemü­hun­gen um
    Erkennt­nis­ge­winn und hin­sicht­lich der Imple­men­tie­rung
    von Lösun­gen nötig sind.
    In der Hoch­schul­pra­xis ist unter dem Begriff meist
    gemeint, dass min­des­tens eine wei­te­re, „ande­re“ Dis­zi­plin
    zu einem Stu­di­en­gang oder im Rah­men eines For­schungs­pro­jekts
    hin­zu­ge­zo­gen wird. An die­ser Stel­le endet
    dann häu­fig die Zusam­men­ar­beit und gestal­tet sich
    eher als freund­li­ches „Neben­ein­an­der­her­ar­bei­ten“, bei
    dem sich die erziel­ten Erkennt­nis­se im Ide­al­fall zumin­dest
    ergän­zen. Die Natio­nal Aca­de­my of Sci­en­ces defi­niert
    Inter­dis­zi­pli­na­ri­ät als eine For­schungs­form, bei der
    Infor­ma­tio­nen, Daten, Metho­den, Per­spek­ti­ven, Kon­zep­te
    und/oder Theo­rien aus ver­schie­de­nen Dis­zi­pli­nen
    inte­griert wer­den, um gesell­schaft­li­che Pro­ble­me zu lösen,
    deren Reich­wei­te über eine ein­zel­ne Dis­zi­plin hin­aus
    geht.12 Die­se Inte­gra­ti­on benö­tigt eine gro­ße Offen­heit
    von den betei­lig­ten Akteu­ren und setzt zudem eine
    hohe Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­reit­schaft vor­aus, da im Rah­men
    einer jeden inter­dis­zi­pli­nä­ren Koope­ra­ti­on sehr viel
    Erklärungs‑, Über­set­zungs- und Ver­stän­di­gungs­ar­beit
    nötig ist.
    Hil­gen­dorf kon­sta­tiert, dass in der Rechts­wis­sen­schaft
    übli­cher­wei­se inter­dis­zi­pli­nä­re Koope­ra­tio­nen
    nur wenig ver­brei­tet sind.13 Als Ursa­che nennt er dafür
    bei­spiels­wei­se, dass die Begrif­fe und Metho­den der
    Rechts­wis­sen­schaf­ten häu­fig sehr spe­zi­ell sind. Dadurch
    wird im Rah­men einer Zusam­men­ar­beit der Erklä­rungs­auf­wand
    sehr hoch und der Zugang zu rechts­wis­sen­schaft­lich
    akku­mu­lier­tem Wis­sen für ande­re Dis­zi­pli­nen
    schwie­rig. Dar­über hin­aus neigt die Rechts­wis­sen­schaft
    sei­ner Ansicht nach zu einer eige­nen Begriffs­bil­dung
    ohne dar­auf zurück­zu­grei­fen, was bereits in ande­ren
    Dis­zi­pli­nen zu die­sen vor­han­den ist. Die­se, zumin­dest
    par­ti­el­le, Abge­schlos­sen­heit erschwert inter­dis­zi­pli­nä­re
    Koope­ra­tio­nen.
    Vie­le Berei­che der Rechts­wis­sen­schaft arbei­ten sehr
    anwen­dungs­ori­en­tiert. Gera­de die­se Anwen­dungs­ori­en­tie­rung
    macht es nötig, auf Wis­sen aus ver­schie­de­nen
    Schmid-Petri/­Do­se­va/­Schill­möl­ler/Heck­mann · Inter­dis­zi­pli­nä­re For­schung 1 4 1
    14 Drey­er, Wis­sen zum Recht machen, Impuls­vor­trag im Rah­men des
    Work­shops „Die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft als Impuls­ge­ber
    für eine evi­denz­ba­sier­te Medi­en- und Platt­form­re­gu­lie­rung im
    Online-Zeit­al­ter“ von Schmid-Petri/ Doseva/ Stark/ Schneiders/
    Drey­er, Jah­res tagung der DGPuK, 2022.
    15 RL (EU) 2019/790 des Euro­päi­schen Par­la­ments und des Rates v.
    17.4.2019 über das Urhe­ber­recht und die ver­wand­ten Schutz­rech­te
    im digi­ta­len Bin­nen­markt und zur Ände­rung der RL 96/9/EG und
    RL 2001/29/EG (ABl. 2019 L 130, 92).
    16 Wandtke/Hauck, Ein neu­es Haf­tungs­sys tem im Urhe­ber­recht
    – Zur Umset­zung von Art. 17 DSM-RL in einem „Urhe­ber­rechts-
    Diens tean­bie­ter-Gesetz“, ZUM 2020; Ludy­ga, Die EU-Urhe­ber­rechts­re­form:
    „Digi­ta­les Update“, jM 2019, 442; Gielen/Tissen, Die
    neue Platt­form­haf­tung nach der Richt­li­nie über das Urhe­ber­recht
    im digi­ta­len Bin­nen­markt, EuZW 2019.
    gesell­schaft­li­chen Berei­chen zurück­grei­fen zu kön­nen,
    um fun­dier­te und begrün­de­te Ent­schei­dun­gen tref­fen zu
    kön­nen. Drey­er unter­schei­det hier zwi­schen Hand­lungs­vor­aus­set­zungs­wis­sen
    und Hand­lungs­wir­kungs­wis­sen,
    das das Rechts­sys­tem idea­ler­wei­se benö­tigt, um zum einen
    rele­van­te Regu­lie­rungs­be­rei­che zu iden­ti­fi­zie­ren
    und zum ande­ren bestehen­de Nor­men und/oder getrof­fe­ne
    Ent­schei­dun­gen zu evaluieren.14 Unter Hand­lungs­vor­aus­set­zungs­wis­sen
    fal­len bei­spiels­wei­se Erkennt­nis­se
    oder empi­ri­sche Daten dar­über, wel­che gesell­schaft­li­chen
    Pro­ble­me oder auch Fehl­ent­wick­lun­gen vor­lie­gen
    und als wie rele­vant und per­sis­tent die­se ein­zu­stu­fen
    sind. Zum Bereich des Hand­lungs­wir­kungs­wis­sens gehört
    bei­spiels­wei­se eine Abschät­zung der Wir­kungs­wei­se
    und Effek­ti­vi­tät von bestimm­ten Regu­lie­rungs­op­tio­nen
    oder auch eine retro­spek­ti­ve Bewer­tung dahin­ge­hend,
    ob eine bestimm­te Regu­lie­rung die gewünsch­ten
    Effek­te erzielt hat (oder nicht).
    Für die evi­denz­ba­sier­te Fun­die­rung bestimm­ter
    Rechts­vor­schrif­ten kann die Rechts­wis­sen­schaft folg­lich
    in hohem Maße von den Erkennt­nis­sen aus ande­ren
    Dis­zi­pli­nen pro­fi­tie­ren. Im Bereich der Medi­en- und
    Platt­form­re­gu­lie­rung ist hier die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft
    eine (unter vie­len wei­te­ren) sozi­al­wis­sen­schaft­li­che
    Dis­zi­plin, die rele­van­tes Wis­sen in Regu­lie­rungs­pro­zes­se
    ein­spei­sen kann. Dies möch­ten wir im
    Fol­gen­den am Bei­spiel einer Stu­die, die im Rah­men der
    Novel­lie­rung des Urhe­ber­rechts durch­ge­führt wur­de,
    ver­deut­li­chen. Ziel die­ses Bei­tra­ges ist es folg­lich, exem­pla­risch
    dar­zu­stel­len, wie die inter­dis­zi­pli­nä­re For­schung
    beson­ders wert­vol­le Erkennt­nis­se her­vor­brin­gen
    kann, die im poli­ti­schen Pro­zess den ange­mes­se­nen Inter­es­sen­aus­gleich
    bei regu­la­to­ri­schen Vor­ha­ben ent­schei­dend
    ver­bes­sern. Die­se kön­nen auch dazu bei­tra­gen,
    Regu­lie­rungs­vor­schlä­ge evi­denz­ba­siert zu eva­lu­ie­ren
    und auf Grund­la­ge der Empi­rie neue Regu­lie­rungs­vor­schlä­ge
    zu unter­brei­ten.
    III. Inter­dis­zi­pli­nä­re For­schung am Bei­spiel eines
    gemein­sa­men Pro­jekts zwi­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­und
    Rechts­wis­sen­schaft
  9. Die EU-Urhe­ber­rechts­re­form und ihre Umset­zung in
    Deutsch­land
    Als Reak­ti­on auf die Dis­kus­si­on über die Ver­ant­wort­lich­keit
    der Platt­form­be­trei­ber und der Fra­ge nach
    einem ange­mes­se­nen urhe­ber­recht­li­chen Inter­es­sen­aus­gleich
    sah sich die Euro­päi­sche Uni­on ver­an­lasst, die
    Rege­lun­gen zum Schutz des Urhe­ber­rechts im Bin­nen­markt
    nach­zu­schär­fen. Hier­zu wur­de die Digi­tal Sin­gle
    Mar­ket (DSM)-Richtlinie15 ver­ab­schie­det, die das Urhe­ber­recht
    an die neu­en tech­ni­schen und gesell­schaft­li­chen
    Gege­ben­hei­ten des Inter­nets anpas­sen, den Schutz
    der Urheber:innen ver­bes­sern und den Urhe­ber­rechts­schutz
    im Bin­nen­markt har­mo­ni­sie­ren soll.16
    Die bis­he­ri­gen Rege­lun­gen, ins­be­son­de­re die Haf­tungs­frei­stel­lung
    der Medi­en­in­ter­me­diä­re für die Urhe­ber­rechts­ver­let­zun­gen
    ihrer Nutzer:innen, solan­ge sie
    den betref­fen­den Bei­trag nach einem Hin­weis der
    Rechts­in­ha­ber unver­züg­lich ent­fer­nen (Arti­kel 14 der ECom­mer­ce-
    Richt­li­nie von 2000), stam­men noch aus der
    „Anfangs­zeit“ des Inter­nets und soll­te ein inno­va­ti­ons­und
    ent­wick­lungs­of­fe­nes regu­la­to­ri­sches Rah­men­werk
    für das Inter­net schaf­fen. Die DSM-RL rückt hier­von ab
    und regelt eine eige­ne täter­schaft­li­che Haf­tung der Platt­form­be­trei­ber
    für die Urhe­ber­rechts­ver­let­zun­gen ihrer
    Nutzer:innen (Art. 17 Abs. 1 DSM-RL). Gleich­zei­tig
    schafft die Regel aller­dings auch eine neue Exkul­pa­ti­ons­mög­lich­keit
    für die Platt­form­be­trei­ber: Art. 17 Abs. 4
    DSM-RL regelt, dass sie die­ser Haf­tung nicht nur durch
    den Abschluss von Lizen­zen ent­ge­hen kön­nen, son­dern
    auch indem sie „nach Maß­ga­be bran­chen­üb­li­cher Stan­dards“
    sicher­stel­len, dass „bestimm­te Wer­ke und sons­ti­ge
    Schutz­ge­gen­stän­de, zu denen die Rechts­in­ha­ber den
    1 4 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 9 — 1 4 6
    17 Gielen/Tissen, Die neue Platt­form­haf­tung nach der Richt­li­nie über
    das Urhe­ber­recht im digi­ta­len Bin­nen­markt, EuZW 2019, S. 644;
    Has tedt, Neue Her­aus­for­de­run­gen für das Recht durch „Impos­si­bi­li­ty
    Struc tures“, MMR, 2021, S. 696; Kaes­ling, Die EU-Urhe­ber­recht­no­vel­le
    – der Unter­gang des Inter­nets?, JZ 2019, S. 590;
    Ludy­ga, Die EU-Urhe­ber­rechts­re­form: „Digi­ta­les Update“, jM,
    2019, S. 444; Pra­ver­mann, Art. 17 der Richt­li­nie zum Urhe­ber­recht
    im digi­ta­len Bin­nen­markt, GRUR, 2019, S. 783; Rome­ro-Moreno,
    ‘Noti­ce and s tay­down’ and social media: amen­ding Artic­le 13 of
    the Pro­po­sed Direc tive on Copy­right, Inter­na­tio­nal Review of
    Law, Com­pu­ters & Tech­no­lo­gy, 2020, S. 154.
    18 Schill­möl­ler/­Do­se­va/­Schmid-Petri/Heck­mann, Con­tent ID vs.
    „Upload­fil­ter­pflicht” – Wahr­neh­mung und Bewer­tung von pri­va­ten
    und gesetz­lich vor­ge­se­he­nen Fil­ter­maß­nah­men, in Schrör/
    Keiner/ Müller/ Schu­ma­cher (Hrsg.), Ent­schei­dungs trä­ger im
    Inter­net: Pri­va­te Ent­schei­dungss truk­tu­ren und Platt­form­re­gu­lie­rung,
    Nomos Ver­lags­ge­sell­schaft, 2022, S. 21.
    19 Kaes­ling, Die EU-Urhe­ber­recht­no­vel­le – der Unter­gang des
    Inter­nets? JZ 2019, S. 588; Wandtke/Hauck, Ein neu­es Haf­tungs­sys
    tem im Urhe­ber­recht – Zur Umset­zung von Art. 17 DSM-RL in
    einem „Urhe­ber­rechts-Diens tean­bie­ter-Gesetz“, ZUM 2020, S. 675;
    Gielen/Tissen, Die neue Platt­form­haf­tung nach der Richt­li­nie über
    das Urhe­ber­recht im digi­ta­len Bin­nen­markt, EuZW 2019, S. 64.
    20 Gers ter, Die Legen­de von der Zers törung des Inter­nets, Frank­fur­ter
    All­ge­mei­ne Zei­tung v. 3.4.2019, https://www.faz.net/aktuell/
    politik/der‑s treit-um-das-urhe­ber­recht-und-der-kampf­be­griff­zen­sur-
    16116729.html (letz­ter Zugriff am 01.05.2023).
    21 Gielen/Tissen, Die neue Platt­form­haf­tung nach der Richt­li­nie über
    das Urhe­ber­recht im digi­ta­len Bin­nen­markt, EuZW, 2019, S. 645.
    22 Vgl. hier­zu u.a. auch Kraet­zig, Das Urhe­ber­recht als Zen­sur­recht,
    Mohr Sie­beck, 2022.
    23 Saga­tz, Auf­stand der Gene­ra­ti­on You­tube. Der Tagess pie­gel v.
    9.3.2019, https://www.tagess piegel.de/gesellschaft/medien/protes tge­gen-
    upload­fil­ter-aufs tand-der-gene­ra­ti­on-you­tube/24082412.
    html (letz­ter Zugriff am 01.05.2023).
    24 Bun­des­mi­nis teri­um der Jus tiz, Erklä­rung der Bun­des­re­pu­blik
    Deutsch­land zur Richt­li­nie über das Urhe­ber­recht und ver­wand­te
    Schutz­rech­te im Digi­ta­len Bin­nen­markt; ins­be­son­de­re zu Arti­kel
    17 der Richt­li­nie v. 15.04.2019, https://www.bmj.de/SharedDocs/
    Downloads/DE/News/PM/041519_Protokollerklaerung_Richtlinie_
    Urheberrecht.pdf;jsessionid=7D872BBAF20DB4A769A7BE1A
    7FFDCE21.1_cid297?__blob=publicationFile&v=1
    25 Zur Kri­tik sie­he Schillmöller/Doseva, „Chil­ling effec ts“ durch
    You­Tubes Con­tent ID?, MMR, 2022, S. 181
    26 game – Ver­band der deut­schen Games-Bran­che, Stel­lung­nah­me
    zum Refe­ren­ten­ent­wurf des Bun­des­mi­nis teri­ums der Jus tiz und
    für Ver­brau­cher­schutz zu einem Zwei­ten Gesetz zur Anpas­sung
    des Urhe­ber­rechts an die Erfor­der­nis­se des digi­ta­len
    Bin­nen­mark­tes v. 6.11.2020, https://www.game.de/wp-content/
    uploads/2020/11/2020–11-06-game-Entwurf-Stellungnahme-RefEUmsetzung-
    DSM-RL.pdf.
    Anbie­tern die­ser Diens­te ein­schlä­gi­ge und not­wen­di­ge
    Infor­ma­tio­nen bereit­ge­stellt haben, nicht ver­füg­bar
    sind“. Die­se Exkul­pa­ti­on setzt nach ein­hel­li­ger Mei­nung
    aller­dings vor­aus, dass die Medi­en­in­ter­me­diä­re sog. Upload­fil­ter
    ein­set­zen müs­sen, um die­sen „bran­chen­üb­li­chen
    Stan­dard“ zu erfüllen.17 Bei Upload­fil­tern han­delt es
    sich um „Tech­no­lo­gien, die Text‑, Video‑, Audio- oder
    ande­re Datei­en beim oder nach dem Upload, in jedem
    Fall aber noch vor der Ver­öf­fent­li­chung, prü­fen und im
    Fal­le einer Rechts­ver­let­zung, die Ver­öf­fent­li­chung ver­hin­dern,
    oder die­se an bestimm­te Maß­nah­men, zum
    Bei­spiel das Stumm­schal­ten einer Audio­spur, knüp­fen.“
    18 Art. 17 Abs. 4 DSM-RL regelt jedoch nicht – wie in
    der öffent­li­chen Dis­kus­si­on oft kol­por­tiert – eine Pflicht
    zum Ein­satz von Upload­fil­tern, son­dern viel­mehr nur
    eine Uploadfilterobliegenheit.19 Ihr Ein­satz dient ledig­lich
    dem Eigen­in­ter­es­se der Platt­for­men, näm­lich zur
    Ver­mei­dung von Rechts­nach­tei­len, die sich sonst aus der
    täter­schaft­li­chen Haf­tung erge­ben wür­den.
    Genau die Ein­füh­rung die­ser „Upload­fil­ter­pflicht“
    hat zu euro­pa­wei­ten Demons­tra­tio­nen gegen die Richt­li­nie
    geführt und zu Peti­tio­nen mit mehr als fünf Mil­lio­nen
    Unter­schrif­ten. Die Kritiker:innen befürch­ten, die
    „Zer­stö­rung des Internets“20, warn­ten vor einer schlei­chen­den
    Ein­füh­rung staat­li­cher Zen­sur­maß­nah­men,
    und einer Gefähr­dung der Mei­nungs­frei­heit durch ein
    soge­nann­tes „Overblocking“.21 Dem Gesetz­ge­ber wur­de
    vor­ge­wor­fen, das Urhe­ber­recht als Zen­sur­recht in Stel­lung
    zu bringen.22 Außer­dem wur­de kri­ti­siert, dass die
    DSM-Richt­li­nie – trotz der Pro­tes­te und der kon­tro­ver­sen
    öffent­li­chen Dis­kus­si­on — „hin­ter ver­schlos­se­nen Türen“
    beschlos­sen wur­de und dass die For­de­run­gen der
    (oft schwach orga­ni­sier­ten) Inhalteproduzent:innen im
    Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren nicht berück­sich­tigt wurden.23
    Als Reak­ti­on auf den anhal­ten­den öffent­li­chen Dis­kurs
    ver­sprach die dama­li­ge Bun­des­re­gie­rung, die DSMRL
    ohne eine ent­spre­chen­de Upload­fil­ter­ob­lie­gen­heit
    umzusetzen.24 Das der Umset­zung die­nen­de Urhe­ber­rechts-
    Diens­te­an­bie­ter-Gesetz (UrhDaG) kommt jedoch
    nicht ohne eine ent­spre­chen­de Vor­schrift aus. Den­noch
    wur­den im UrhDaG eini­ge über die DSM-RL hin­aus­ge­hen­de
    Mecha­nis­men ein­ge­führt, um die Aus­wir­kun­gen
    des Upload­fil­ter­ein­sat­zes zu begren­zen. Die Rech­te der
    Nutzer:innen sol­len durch die Ein­füh­rung von pro­ze­du­ra­len
    Mecha­nis­men abge­si­chert wer­den (§§ 10, 11 UrhDaG).
    Außer­dem wird ihnen ein neu­es Beschwer­de­ver­fah­ren
    zur Ver­fü­gung gestellt (§§ 13–17 UrhDaG).25
    Die Ein­füh­rung die­ser Mecha­nis­men war jedoch einer
    aus­gie­bi­gen Dis­kus­si­on der betei­lig­ten Stake­hol­der
    aus­ge­setzt. Die­se fand nicht nur im Rah­men des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens
    zum Refe­ren­ten­ent­wurf statt, son­dern
    auch dar­über hin­aus. Ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund
    der wort­laut­ge­treu­en Umset­zung der DSM-RL in
    Län­dern wie Frank­reich und Ita­li­en, wur­de der deut­sche
    Son­der­weg sowohl von den Medi­en­in­ter­me­diä­ren, als
    auch von den Rechts­in­ha­bern kri­ti­siert, unter ande­rem
    weil er gera­de dem Ziel der Har­mo­ni­sie­rung des Bin­nen­mark­tes
    zuwi­der­lau­fen würde.26 Auf­fäl­lig war gleich­Schmid-
    Petri/Doseva/Schillmöller/Heckmann · Inter­dis­zi­pli­nä­re For­schung 1 4 3
    27 Die­ses Unter­ka­pi­tel fasst Ergeb­nis­se aus einem empi­ri­schen
    Pro­jekt zusam­men, die im Rah­men fol­gen­der Arti­kel bereits
    publi­ziert wur­den: Dose­va/­Schmid-Petri/­Schill­möl­ler/ Heck­mann,
    Uploa­ders‘ per­cep­ti­ons of the Ger­man imple­men­ta­ti­on of the EU
    copy­right reform and their pre­fe­ren­ces for copy­right regu­la­ti­on,
    Inter­net Poli­cy Review, 2022; Schill­möl­ler/­Do­se­va/­Schmid-Petri/
    Heck­mann, Con­tent ID vs. „Upload­fil­ter­pflicht” – Wahr­neh­mung
    und Bewer­tung von pri­va­ten und gesetz­lich vor­ge­se­he­nen Fil­ter­maß­nah­men,
    in Schrör/ Keiner/ Müller/ Schu­ma­cher (Hrsg.),
    Ent­schei­dungs­trä­ger im Inter­net: Pri­va­te Ent­schei­dungss truk­tu­ren
    und Platt­form­re­gu­lie­rung, Nomos Ver­lags­ge­sell­schaft, 2022, S. 19-
    44; Schillmöller/Doseva, „Chil­ling effec ts“ durch You­Tubes Con­tent
    ID?, MMR, 2022, S. 181–183; Schill­möl­ler/­Do­se­va/­Schmid-Petri/
    Heck­mann, Urhe­ber­recht im digi­ta­len Zeit­al­ter – Gesetz­ge­bung
    im Inter­es­sen­kon­flikt, bidt-blog, 2021, https://www.bidt.digital/
    urhe­ber­recht-im-digi­ta­len-zeit­al­ter-gesetz­ge­bung-im-inter­es­sen­kon­flik­t/.
    zei­tig auch, dass zum Zeit­punkt des deut­schen Gesetz­ge­bungs­ver­fah­rens
    die öffent­li­che Dis­kus­si­on um die Ein­füh­rung
    von Upload­fil­tern abge­ebbt ist und es kei­ne Demons­tra­tio­nen
    gab, die ver­gleich­bar mit jenem im Jahr
    2019 waren.
    Wie an die­sem Bei­spiel dar­ge­stellt, voll­zieht sich die
    Platt­form­re­gu­lie­rung oft im Drei­ecks­ver­hält­nis zwi­schen
    Platt­form­be­trei­bern, Rechts­in­ha­bern sowie
    Nutzer:innen, deren Inter­es­sen gegen­ein­an­der abge­wo­gen
    wer­den müs­sen. Hoch­schu­len und ihre Mit­glie­der
    sind in die­sem Span­nungs­ver­hält­nis sowohl als Inha­ber
    von Urhe­ber­rech­ten an Inhal­ten, die auf Platt­for­men
    hoch­ge­la­den oder auch von ande­ren wei­ter­ver­ar­bei­tet
    wer­den, als auch als Nutzer:innen online ver­füg­ba­rer
    Medi­en­pro­duk­te ange­spro­chen. Gleich­zei­tig kön­nen sie
    im Rah­men der von ihnen bereit­ge­stell­ten Lern­in­fra­struk­tur
    aber auch in die Rol­le des Platt­form­be­trei­bers
    schlüp­fen, der die „Infra­struk­tur“ für die recht­mä­ßi­ge
    und rechts­wid­ri­ge Ver­brei­tung urhe­ber­recht­lich geschütz­ter
    Wer­ke bereitstellt.
  10. Gesetz­ge­bung im Inter­es­sen­kon­flikt: Nutzer:innen als
    die lei­sen Stim­men in der Gesetzgebung?27
    Um Regu­lie­run­gen evi­denz­ba­siert an gesell­schaft­li­che
    Erfor­der­nis­se anpas­sen zu kön­nen, ist es von Rele­vanz,
    die Posi­tio­nen, Inter­es­sens­la­gen und mög­li­che Kon­flikt­li­ni­en
    der unter­schied­li­chen betei­lig­ten Stake­hol­der­grup­pen
    zu ken­nen. Zur sys­te­ma­ti­schen Beant­wor­tung
    die­ser Fra­ge für den vor­lie­gen­den Fall der Reform des
    Urhe­ber­rechts haben wir im Rah­men des Pro­jekts zum
    einen eine qua­li­ta­ti­ve Inhalts­ana­ly­se aller abge­ge­be­nen
    Stel­lung­nah­men (N=107) zum Refe­ren­ten­ent­wurf vor­ge­nom­men.
    Zum ande­ren wur­den ergän­zend 19 akti­ve
    Nutzer:innen von Video­platt­for­men (d.h. Per­so­nen, die
    selbst dort Vide­os hoch­la­den) zu ihrer Ein­schät­zung im
    Rah­men von qua­li­ta­ti­ven Leit­fa­den­in­ter­views befragt.
    Die­se waren im offi­zi­el­len Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren unter­re­prä­sen­tiert,
    so dass ihre Per­spek­ti­ve, trotz ihrer gro­ßen
    Betrof­fen­heit von urhe­ber­recht­li­chen Regu­lie­run­gen,
    dort nur unzu­rei­chend abge­bil­det war. Die befrag­ten
    Nutzer:innen unter­schei­den sich sowohl hin­sicht­lich
    ihres Orga­ni­sa­ti­ongra­des (stark orga­ni­siert wie Unter­neh­men,
    Orga­ni­sa­tio­nen und Insti­tu­tio­nen, mäßig orga­ni­siert
    wie ein loser Zusam­men­schluss von zwei oder
    mehr Per­so­nen, die gemein­sam einen Kanal betrei­ben
    und schwach orga­ni­siert, z. B. Ein­zel­per­so­nen), als auch
    hin­sicht­lich ihrer Reich­wei­te (hohe Reich­wei­te mit über
    5.000 Abon­nen­ten, mitt­le­re Reich­wei­te mit 501 bis 5.000
    Abon­nen­ten und gerin­ge Reich­wei­te mit unter 500
    Abon­nen­ten).
    In den Stel­lung­nah­men zum Refe­ren­ten­ent­wurf las­sen
    sich zwei gegen­sätz­li­che Stand­punk­te iden­ti­fi­zie­ren,
    mit den Rechts­in­ha­bern und Ver­wer­tungs­ge­sell­schaf­ten
    wie der GEMA auf der einen, und den gro­ßen Platt­form­be­trei­bern
    wie Twit­ter oder Face­book, als auch
    Vertreter:innen der Zivil­ge­sell­schaft und ein­zel­nen
    Nutzer:innen auf der ande­ren Sei­te. Wäh­rend die Rechts­in­ha­ber­sei­te
    bestrebt ist, Ein­schrän­kun­gen ihrer Ver­trags­frei­heit
    (Art. 2 Abs. 1 GG) zu ver­hin­dern, um mög­lichst
    umfang­rei­che und unge­bun­den Lizen­zen mit den
    Platt­for­men ver­ein­ba­ren zu kön­nen und gleich­zei­tig für
    eine prä­ven­ti­ve Sper­rung nicht lizen­zier­ter Mate­ri­als
    plä­diert, möch­ten die Nutzer:innen, aber auch die Platt­form­be­trei­ber
    mög­lichst vie­le Inhal­te kos­ten­los oder gegen
    eine pau­scha­le Ver­gü­tung zugäng­lich machen. Für
    die Platt­form­an­bie­ter ist es ins­be­son­de­re zen­tral, kei­ne
    eige­nen urhe­ber­recht­li­chen Ent­schei­dun­gen tref­fen zu
    müs­sen, um ihr Haf­tungs­ri­si­ko zu mini­mie­ren. Die Upload­fil­ter­ob­lie­gen­heit
    wird von­sei­ten der Platt­for­men
    auf­grund ihrer tech­ni­schen Umsetz­bar­keit kri­tisch hin­ter­fragt.
    Ähn­lich kri­tisch sehen die Nutzer:innen den
    Ein­satz auto­ma­ti­sier­ter Sys­te­me im urhe­ber­recht­li­chen
    Kon­text. Grund dafür sei die Gefahr vor Over­blo­cking,
    also das Löschen und Sper­ren von Inhal­ten, die nicht gegen
    das Urhe­ber­recht ver­sto­ßen und auch nicht aus ande­ren
    Grün­den rechts­wid­rig sind. Die vom BMJV ein­ge­führ­ten
    Mecha­nis­men wer­den von Nutzer:innen als
    nicht weit­rei­chend genug ange­se­hen, um Over­blo­cking
    zu ver­mei­den.
    Dies ist inso­fern von beson­de­rem Inter­es­se, da eini­ge
    der in den Inter­views befrag­ten Nutzer:innen ihre Tätig­keit
    der Con­tent-Erstel­lung für Kommunikationsplatt1
    4 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 9 — 1 4 6
    28 Hil­der­brand, You­tube: Whe­re cul­tu­ral memo­ry and copy­right
    con­ver­ge, Film Quar­ter­ly, 2007, S. 56.
    for­men nicht nur als Hob­by betrei­ben, son­dern als Beruf
    und die­se damit eine wich­ti­ge finan­zi­el­le Ein­nah­me­quel­le
    dar­stellt. Von den Ände­run­gen im Bereich des Urhe­ber­rechts
    sind sie dem­zu­fol­ge direkt finan­zi­ell betrof­fen.
    Auf­grund ihrer bereits gesam­mel­ten Erfah­run­gen mit
    dem auto­ma­ti­sier­ten Sys­tem von You­Tube zur Iden­ti­fi­ka­ti­on
    von Urhe­ber­rechts­ver­let­zun­gen, Con­tent ID, ste­hen
    sie der kom­men­den Upload­fil­ter­ob­lie­gen­heit eher
    skep­tisch gegen­über. Die Feh­ler­an­fäl­lig­keit sol­cher Erken­nungs­sys­te­me
    führt oft dazu, dass die Uploa­der ihre
    Vide­os nicht mone­ta­ri­sie­ren kön­nen, obwohl sie kei­ne
    Urhe­ber­rechts­ver­let­zun­gen began­gen haben. Dies ist
    ins­be­son­de­re dann pro­ble­ma­tisch, wenn es sich bei den
    hoch­ge­la­de­nen Inhal­ten um sog. „appro­pria­ti­ve con­tent“
    28 han­delt – d.h. Inhal­te, die auf urhe­ber­recht­lich
    geschütz­ten Wer­ken ande­rer beru­hen, aber den­noch
    neue Wer­ke dar­stel­len und urhe­ber­recht­lich zuläs­sig
    sind, zum Bei­spiel Remix-Vide­os, Par­odien, Memes und
    Mas­hups. Da mög­li­che Feh­ler bei der auto­ma­ti­schen Erken­nung
    von Urhe­ber­rechts­ver­let­zun­gen die Mone­ta­ri­sie­rung
    unter­bin­den, sehen sich die Uploa­der benach­tei­ligt.
    Im Fal­le einer feh­ler­haf­ten Erken­nung und dar­auf­fol­gen­der
    Blo­ckie­rung ihrer Inhal­te, for­dern die inter­view­ten
    Uploa­der, dass zumin­dest ein­ge­reich­te
    Beschwer­den von Men­schen und nicht von auto­ma­ti­sier­ten
    Sys­te­men über­prüft und bear­bei­tet wer­den. Dar­über
    hin­aus for­dern sie, dass gro­ße Platt­for­men wie You-
    Tube mehr Lizenz­ver­ein­ba­run­gen mit den Rechts­in­ha­bern
    abschlie­ßen, um den Ein­satz von Upload­fil­tern
    über­flüs­sig zu machen oder zumin­dest ihren Anwen­dungs­be­reich
    ein­zu­schrän­ken.
    Die Ein­füh­rung von pro­ze­du­ra­len Mecha­nis­men als
    Absi­che­rung der Rech­te von Nut­ze­rin­nen und Nut­zern
    wird von den befrag­ten Uploa­dern eben­falls kri­ti­siert.
    Die Uploa­der betrach­ten die vor­ge­schla­ge­nen Mecha­nis­men,
    wie zum Bei­spiel die gering­fü­gi­ge Nut­zung (sog.
    Baga­tell­gren­ze, § 10 UrhDaG) als will­kür­lich und nicht
    pra­xis­taug­lich. Wei­te­re Regu­lie­rungs­me­cha­nis­men wie
    die Mög­lich­keit, einen Upload als gesetz­lich erlaub­te
    Nut­zung zu kenn­zeich­nen (sog. Pre-Flag­ging, § 11 UrhDaG),
    wer­den im All­ge­mei­nen posi­tiv und als ein ers­ter
    Schritt, um Over­blo­cking zu ver­hin­dern, bewer­tet.
    Ver­gli­chen mit den vor­ge­schla­ge­nen Baga­tell­gren­zen
    wird das Pre-Flag­ging als pra­xis­taug­li­cher wahr­ge­nom­men,
    ins­be­son­de­re bei Fäl­len in der Grau­zo­ne, in denen
    eine Ein­zel­fall­ent­schei­dung erfor­der­lich ist.
    Des Wei­te­ren wün­schen sich die befrag­ten Uploa­der
    die Mög­lich­keit, direkt mit den Rechts­in­ha­bern in Kon­takt
    zu tre­ten und ver­han­deln zu kön­nen. Zugleich sind
    eini­ge Uploa­der der Mei­nung, dass die Platt­form­be­trei­ber
    mehr Ver­ant­wor­tung über­neh­men und damit auch
    sicher­stel­len sol­len, dass die Inter­es­sen der Uploa­der sowie
    die Inter­es­sen der Rechts­in­ha­ber stär­ker berück­sich­tigt
    wer­den.
    IV. Fazit und Aus­blick: Evi­denz­ba­sier­te Regu­lie­rung -
    Chan­ce für einen bes­se­ren Inter­es­sen­aus­gleich im
    Gesetz­ge­bungs­pro­zess
    Wie dar­ge­stellt, stel­len die ver­än­der­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­din­gun­gen
    in Online-Umge­bun­gen gera­de das
    Urhe­ber­recht vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen. Dies betrifft
    auch Hoch­schu­len, da die­se sowohl als Urheber:innen,
    als auch als Nutzer:innen in Kom­mu­ni­ka­ti­on auf Platt­for­men
    ein­ge­bun­den sind. Dar­über machen Her­aus­for­de­run­gen
    die­ser Art deut­lich, dass es in den meis­ten Fäl­len
    die Per­spek­ti­ven unter­schied­li­cher Dis­zi­pli­nen
    braucht, um einen sinn­vol­len gesell­schaft­li­chen Umgang
    mit sol­chen Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­sen zu fin­den.
    Das hier vor­ge­stell­te Bei­spiel hat illus­triert, wie sich
    eine frucht­ba­re Zusam­men­ar­beit – in die­sem Fall zwi­schen
    Rechts- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft – gestal­ten
    kann. Die Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und auch ande­re
    Sozi­al­wis­sen­schaf­ten kön­nen einen Bei­trag dazu leis­ten,
    dass Bedürf­nis­se unter­schied­li­cher gesell­schaft­li­cher
    Grup­pen Ein­gang in den Gesetz­ge­bungs­pro­zess fin­den
    und/oder geplan­te oder bestehen­de Regu­lie­run­gen eva­lu­iert
    wer­den. Vor allem nicht orga­ni­sier­te Grup­pen mit
    wenig Res­sour­cen lau­fen Gefahr, im Gesetz­ge­bungs­pro­zess
    „unter­zu­ge­hen“ oder nicht gese­hen zu wer­den. Sie
    ver­fü­gen in der Regel über kei­ne orga­ni­sier­te Inter­es­sens­ver­tre­tung
    und sind in offi­zi­el­le Ver­fah­ren (wie
    bspw. Kon­sul­ta­ti­ons­pro­zes­se) häu­fig nicht ein­ge­bun­den.
    Dar­über hin­aus bie­tet die gro­ße Anwen­dungs­ori­en­tie­rung
    der Rechts­wis­sen­schaft viel­fäl­ti­ge Anknüp­fungs­punk­te
    für inter­dis­zi­pli­nä­re Zusam­men­ar­beit und gera­de
    die­se macht es zudem nötig, auf die Erkennt­nis­se ande­rer
    Dis­zi­pli­nen zurück­zu­grei­fen, um sicher­zu­stel­len,
    dass sich die Pra­xis nicht von den gesell­schaft­li­chen Erfor­der­nis­sen
    und Rea­li­tä­ten ent­fernt.
    Die hier illus­trier­te und emp­foh­le­ne inter­dis­zi­pli­nä­re
    Koope­ra­ti­on der Rechts­wis­sen­schaft mit ande­ren (SoziSchmid-
    Petri/Doseva/Schillmöller/Heckmann · Inter­dis­zi­pli­nä­re For­schung 1 4 5
    al-)Wissenschaften birgt natür­lich nicht nur anwen­dungs­be­zo­ge­ne
    Poten­zia­le im Sin­ne ver­bes­ser­ter Wis­sens­grund­la­gen
    für Regu­lie­rungs­pro­zes­se und die ihnen
    vor­ge­schal­te­ten Kon­sul­ta­ti­ons- und Deli­be­ra­ti­ons­pro­zes­se.
    Auch die wis­sen­schaft­li­che For­schung selbst pro­fi­tiert
    im güns­tigs­ten Fall von sol­cher Zusam­men­ar­beit:
    Für die Rechts­wis­sen­schaft wer­den durch Metho­den
    und Ergeb­nis­se der Sozi­al­wis­sen­schaf­ten die „Betrof­fe­nen“
    mit ihren Inter­es­sen, Erfah­run­gen und Argu­men­ten
    greif­ba­rer und für eine sys­te­ma­ti­sche Refle­xi­on ver­füg­bar.
    Für Sozialwissenschaftler:innen wird aus sol­chen
    Koope­ra­tio­nen umge­kehrt die struk­tur­prä­gen­de
    Rol­le von Recht und Regu­lie­rung – als eine wesent­li­che
    Deter­mi­nan­te sozia­len Han­delns – sehr viel deut­li­cher
    erfass­bar und kann in Stu­di­en wie etwa Inter­views oder
    Inhalts­ana­ly­sen gezielt berück­sich­tigt wer­den.
    Für die Hoch­schu­len haben die­se Per­spek­ti­ven in
    mehr­fa­cher Hin­sicht Bedeu­tung. Zum einen wür­den
    ins­be­son­de­re gro­ße Uni­ver­si­tä­ten von der stär­ke­ren koope­ra­ti­ven
    Ver­net­zung der Rechts­wis­sen­schaft mit ande­ren
    Fach­ge­bie­ten im oben beschrie­be­nen Sin­ne pro­fi­tie­ren.
    Sie wür­den damit auch ihren ‚Impact‘, ihren Bei­trag
    zur Bear­bei­tung gesell­schaft­li­cher Her­aus­for­de­run­gen,
    noch ein­mal ver­grö­ßern. Zugleich sind Hoch­schu­len
    und ihre Ange­hö­ri­gen wie ein­gangs erwähnt aber auch
    „Betrof­fe­ne“ in Regu­lie­rungs­fra­gen wie etwa der Neu­fas­sung
    von Urhe­ber­rech­ten und dem Digi­tal Ser­vices Act,
    weil die Wis­sen­schaft auch Pro­du­zent von Inhal­ten ist
    und sich publi­zis­tisch betä­tigt. Digi­ta­li­sie­rung und Kom­mer­zia­li­sie­rung
    der Wis­sen­schafts­pu­bli­zis­tik stel­len
    auch Hoch­schu­len und ihr Per­so­nal vor ähn­li­che Fra­gen
    und Sor­gen wie jene, die in der vor­ge­stell­ten Inter­viewstu­die
    von Video-Uploa­dern geäu­ßert wur­den. Auch
    Hoch­schu­len und Wissenschaftler:innen sind von der
    zen­tra­len Stel­lung digi­ta­ler Medi­en­in­ter­me­diä­re abhän­gig
    und müs­sen sich mit den gül­ti­gen Regu­lie­run­gen arran­gie­ren.
    Die eige­nen Inter­es­sen in die­sem Kon­text zu
    ver­tre­ten, erfor­dert indes ein hohes Maß an Exper­ti­se
    und Enga­ge­ment – bei­des wür­de zwei­fels­oh­ne von einer
    aktiv betrie­be­nen inter­dis­zi­pli­nä­ren Koope­ra­ti­on inner­halb
    und zwi­schen Uni­ver­si­tä­ten erheb­lich pro­fi­tie­ren.
    Prof. Dr. Han­nah Schmid-Petri ist Inha­be­rin des Lehr­stuhls
    für Wis­sen­schafts­kom­mu­ni­ka­ti­on an der Uni­ver­si­tät
    Pas­sau und lei­tet die For­schungs­grup­pe „Wis­sen­schafts­kom­mu­ni­ka­ti­on“
    am Fraun­ho­fer-Exzel­lenz­clus­ter
    „Inte­grier­te Ener­gie­sys­te­me“ CINES. Außer­dem ist
    sie Mit­glied im Direk­to­ri­um des Baye­ri­schen For­schungs­in­sti­tuts
    für Digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on und im
    Baye­ri­schen Sach­ver­stän­di­gen­rat für Bio­öko­no­mie,
    der das Baye­ri­sche Wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um berät. Ihre
    For­schungs­schwer­punk­te sind das Zusam­men­spiel
    von Online- und Off­line-Kom­mu­ni­ka­ti­on, Umwelt­kom­mu­ni­ka­ti­on,
    poli­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on und com­pu­ter­ge­stütz­te
    Sozi­al­wis­sen­schaf­ten.
    Ste­li­ya­na Dose­va (M.A.) ist wis­sen­schaft­li­che Refe­ren­tin
    am Baye­ri­schen For­schungs­in­sti­tut für Digi­ta­le
    Trans­for­ma­ti­on in Mün­chen und Dok­to­ran­din an der
    Uni­ver­si­tät Pas­sau. Ihre For­schungs­in­ter­es­sen umfas­sen
    die Berei­che poli­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on, Medi­en­po­li­tik
    und Platt­form­re­gu­lie­rung.
    Jan Schill­möl­ler (M. Iur.) ist wis­sen­schaft­li­cher Refe­rent
    am Baye­ri­schen For­schungs­in­sti­tut für Digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on
    in Mün­chen und Dok­to­rand an der School
    of Social Sci­ence and Tech­no­lo­gy der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät
    Mün­chen. Sein For­schungs­in­ter­es­se gilt dem
    Schutz von Grund­rech­ten durch und gegen­über Platt­for­men.
    Prof. Dr. Dirk Heck­mann ist Inha­ber des Lehr­stuhls für
    Recht und Sicher­heit in der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on
    an der TU Mün­chen. Außer­dem ist er Mit­glied des
    Direk­to­ri­ums des Baye­ri­schen For­schungs­in­sti­tuts für
    Digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on und Rich­ter am Baye­ri­schen
    Ver­fas­sungs­ge­richts­hof. Er ist ein aus­ge­wie­se­ner Spe­zia­list
    für das Daten­schutz­recht, das IT-Sicher­heits­recht,
    E‑Government und Rechts­in­for­ma­tik. Sei­ne For­schungs­ar­beit
    dient seit vie­len Jah­ren der Rechts­ge­stal­tung
    für einen men­schen­wür­di­gen und dem
    Gemein­wohl die­nen­den digi­ta­len Wan­del, etwa in den
    Berei­chen Per­sön­lich­keits­schutz im Inter­net oder Digi­ta­li­sie­rung
    des Gesund­heits­we­sens.
    1 4 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 9 — 1 4 6
    I. Ein­lei­tung
    Die Coro­na-Pan­de­mie hat der Res­sort­for­schung in mehr­fa­cher Hin­sicht zu unge­ahn­ter Auf­merk­sam­keit ver­hol­fen. Zum einen wur­den Insti­tu­tio­nen der Res­sort­for­schung, dar­un­ter das Robert Koch-Insti­tut, funk­tio­nal-poli­tisch beson­ders rele­vant und ent­fal­te­ten eine medi­al zuvor nicht gekann­te Prä­senz, zum ande­ren wur­de die schon in den 1960er Jah­ren einen ers­ten Höhe­punkt erle­ben­de Fra­ge nach dem ange­mes­se­nen Ver­hält­nis von wis­sen­schaft­li­chen Exper­ten und poli­ti­schen Ent­schei­dern, in deren Rah­men die insti­tu­tio­na­li­sier­te Res­sort­for­schung eine Son­der­stel­lung ein­nimmt, durch die Pan­de­mie wie­der in den Fokus gerückt. Die Pan­de­mie­be­wäl­ti­gung warf die Fra­ge auf, wel­chen Ein­fluss eine Res­sort­for­schungs­ein­rich­tung auf die poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen hat bzw. ob sie auch zu regu­la­to­ri­schen Instru­men­ten ermäch­tigt wer­den soll­te und ließ damit die Pro­ble­ma­tik um die Tren­nung oder Sym­bio­se von Risi­ko­be­wer­tun­gen und poli­ti­schen Risi­koent­schei­dun­gen viru­lent wer­den. Bei der gericht­li­chen Über­prü­fung von staat­lich ver­ord­ne­ten Coro­na-Maß­nah­men stell­ten sich ganz kon­kret auch Fra­gen nach den Ein­schät­zungs­spiel­räu­men von Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen. Der vor­lie­gen­de Bei­trag soll in die recht­li­che Dimen­si­on der Res­sort­for­schung einführen,1 die trotz ihrer weit­rei­chen­den Bedeu­tung in der Pra­xis noch immer ein gewis­ses Nischen­da­sein im Wis­sen­schafts­recht führt2.
    Die Unsicht­bar­keit der Res­sort­for­schung als eige­ne For­schungs­säu­le liegt in ihrer dop­pel­ten Sys­tem­zu­ge­hö­rig­keit begrün­det, aber auch in ihrer hete­ro­ge­nen Struk­tur als his­to­risch gewach­se­nes Phä­no­men, das durch sach­li­che und poli­ti­sche Not­wen­dig­kei­ten geformt wur­de. Im Sys­tem der For­schungs­land­schaft zäh­len Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen zu den außer­uni­ver­si­tä­ren For­schungs­ein­rich­tun­gen, orga­ni­sa­to­risch sind sie aber zugleich regel­mä­ßig Teil des nach­ge­ord­ne­ten Geschäfts­be­rei­ches eines Minis­te­ri­ums. Die Zuge­hö­rig­keit zur Minis­te­ri­al­ver­wal­tung im wei­te­ren Sin­ne wirft die Fra­ge auf, inwie­weit For­schung, die per defi­ni­tio­nem in ihrem Kern allein wis­sen­schaft­li­chen und nicht poli­ti­schen Vor­ga­ben fol­gen darf, im Rah­men einer Bun­des­ober­be­hör­de zuläs­sig ist und unter wel­chen Umstän­den Res­sort­for­schung gebo­ten sein kann. Poli­ti­sches Han­deln ist auf eine macht­er­hal­ten­de Pro­blem­lö­sung gerich­tet und erfragt von der Wis­sen­schaft vor allem Ein­deu­tig­keit und dadurch geschaf­fe­ne Legi­ti­ma­ti­on der Ent­schei­dun­gen, wohin­ge­gen die Wis­sen­schaft dahin strebt, sich „ernst­haft und plan­mä­ßig“ dem Unge­wis­sen zur Erkennt­nis­ge­win­nung bzw. der „Ermitt­lung der Wahr­heit“ zu widmen.3
    Auf­ga­be und Funk­ti­on der Res­sort­for­schung ist es, die Minis­te­ri­al­ver­wal­tung in Wahr­neh­mung ihrer Auf­ga­ben wis­sen­schaft­lich zu unter­stüt­zen. Dadurch sol­len poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen und das Ver­wal­tungs­han­deln eine Rück­bin­dung zur Wis­sen­schaft erhal­ten und den Kri­te­ri­en ratio­na­len Staats­han­delns gerecht wer­den. Dabei kann das Auf­ga­ben­spek­trum von der Grund­la­gen­for­schung im Sin­ne einer „Vor­lauf­for­schung“ sowie der spe­zi­fi­schen Auf­trags­for­schung ein­schließ­lich von Doku­men­ta­tio­nen und Daten­samm­lun­gen als Grund­la­ge poli­ti­schen Han­delns über ver­schie­de­ne For­men lang­fris­ti­ger und kurz­fris­ti­ger wis­sen­schaft­li­cher Poli­tik­be­ra­tung bis hin zu regu­la­ti­ven Tätig­kei­ten rei­chen. Die Res­sort­for­schung beglei­tet nicht nur kon­kre­te Geset­zes­vor­ha­ben und Poli­ti­ken der Exe­ku­ti­ve, son­dern soll auch vor­aus­den­kend The­men set­zen, die für die jewei­li­gen Poli­tik­fel­der in Zukunft wich­tig wer­den kön­nen („Anten­nen­funk­ti­on“). Sie ent­zieht sich durch die­se Funk­ti­on einer sie prä­de­sti­nie­ren­den Ver­ein­nah­mung durch die Exe­ku­ti­ve.
    Die Ursprün­ge der insti­tu­tio­na­li­sier­ten Res­sort­for­schung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land rei­chen bereits in die Zeit des Nord­deut­schen Bun­des zurück. So kann
    A. Kata­ri­na Wei­lert
    Res­sort­for­schung. Eine insti­tu­tio­na­li­sier­te
    Ratio­na­li­tät im poli­tisch-guber­na­ti­ven Gefü­ge
    1 Der Arti­kel basiert auf den Ergeb­nis­sen des DFG-geför­der­ten For­schungs pro­jekts zur Res­sort­for­schung, das mit der Mono­gra­phie (Habi­li­ta­ti­ons­schrift) 2022 in der Rei­he Jus Publi­cum im Ver­lag Mohr Sie­beck unter dem Titel „Res­sort­for­schung. For­schung zur Erfül­lung öffent­li­cher Auf­ga­ben unter beson­de­rer Berück­sich­ti­gung des Bereichs s taat­li­cher und uni­ons­recht­li­cher Gesund­heits­ver­ant­wor­tung“ sei­nen vor­läu­fi­gen Abschluss gefun­den hat. Wort­glei­che Zita­te aus der vor­ge­nann­ten Schrift wur­den nicht eigens gekenn­zeich­net.
    2 Vgl. zu den Grün­den für die Domi­nanz des Hoch­schul­rechts im Wis­sen­schafts­recht: Schmidt-Aßmann, Die For­schung zwi­schen grund­recht­li­cher Frei­heit und s taat­li­cher Ins titu­tio­na­li­sie­rung, in: Broemel/Kuhlmann/Pilniok, FS für H.-H. Tru­te, 2023, S. 3 (4).
    3 BVerfGE 35, 79 (113, juris Rn. 92) – Hoch­schul­ur­teil.
    Ord­nung der Wis­sen­schaft 2023, ISSN 2197–9197
    1 4 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 4 7 — 1 6 0
    4 Sie­he Wei­lert Fn. 1.
    5 Vgl. zu den Ratio­na­li­täts­an­for­de­run­gen des Rechtss taats prin­zips:
    Britz, in: Drei­er (Hrsg.), GG, Bd. I, 3. Aufl.2013, Art. 5 III (Wis­sen­schaft)
    Rn. 17; Gartz, Begrün­dungs pflicht des Gesetz­ge­bers, 2015,
    S. 206 ff.; Grzes­zick, Ratio­na­li­täts­an­for­de­run­gen an die par­la­men­ta­ri­sche
    Recht­set­zung im demo­kra­ti­schen Rechtss taat, VVDStRL
    71 (2012), S. 49 (51 f.); Hes­se, Der Rechtss taat im Ver­fas­sungs­sys
    tem des Grund­ge­set­zes, in: Hesse/Reicke/Scheuner (Hrsg.),
    Staats­ver­fas­sung und Kir­chen­ord­nung, FS Rudolf Smend, 1962, S.
    71 (83 f.); H. Krü­ger, All­ge­mei­ne Staats­leh­re, 1966, S. 58 ff.; Schul­ze-
    Fie­litz, Ratio­na­li­tät als rechtss taat­li­ches Prin­zip für den Orga­ni­sa­ti­ons­ge­setz­ge­ber,
    in: Rodi (Hrsg.), Staa­ten und Steu­ern, FS Klaus
    Vogel, 2000, S. 311 ff. (ins­bes. 322); Tru­te, Die For­schung zwi­schen
    grund­recht­li­cher Frei­heit und s taat­li­cher Ins titu­tio­na­li­sie­rung,
    1994, S. 193 ff.; Tru­te, Die Ver­wal­tung und das Ver­wal­tungs­recht
    zwi­schen gesell­schaft­li­cher Selbs tre­gu­lie­rung und s taat­li­cher
    Steue­rung, DVBl 1996, S. 950 (956); Voß­kuh­le, Sach­vers tän­di­ge
    Bera­tung des Staa­tes, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd.
    III, 3. Aufl. 2005 § 43, ins­bes. Rn. 1.
    6 Tru­te, in: Weingart/Wagner (Hrsg.), Wis­sen­schaft­li­che Poli­tik­be­ra­tung
    im Pra­xis tes t, 2015, S. 115.
    7 Fass­ben­der, Wis­sen als Grund­la­ge s taat­li­chen Han­delns in: Isensee/
    Kirch­hof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IV, 3. Aufl. 2006, § 76.
    8 Fass­ben­der, Wis­sen, Fn. 7, § 76 Rn. 2.
    9 Fass­ben­der, Wis­sen, Fn. 7, § 76 Rn. 3.
    10 BVerfGE 157, 30 (161 f., Rn. 240) ‒ Kli­ma­schutz.
    11 BVerfGE ebd.
    12 Vgl. zur Rs pr. des BVerfG nur Führ, Ratio­na­le Gesetz­ge­bung, 1998,
    S. 11 ff.
    13 Vgl. für eine mög­li­che metho­di­sche Aus­fül­lung von all­ge­mei­nen
    Ratio­na­li­täts­an­for­de­run­gen an den Gesetz­ge­ber Führ Fn. 12, S. 32
    ff.
    die dama­li­ge in der Nord­deut­schen Maß- und Gewichts­ord­nung
    von 1868 vor­ge­se­he­ne „Nor­mal-Eichungs-
    Kom­mis­si­on“, die zen­tra­le Lei­tungs- und Auf­sichts­stel­le
    für Maße und Gewich­te, als ers­te wis­sen­schaft­li­che Bun­des­be­hör­de
    in Form einer Bun­des­an­stalt gel­ten. Die­se
    wur­de dann spä­ter als Kai­ser­li­che-Nor­mal-Eichungs-
    Kom­mis­si­on (1871 bis 1918) fort­ge­führt. Ein Mei­len­stein
    war die Errich­tung des Kai­ser­li­chen Gesund­heits­am­tes
    durch das Reichs­haus­halts­ge­setz von 1876, des­sen Grün­dung
    dies­be­züg­li­che Kom­pe­tenz­strei­tig­kei­ten zwi­schen
    den Län­dern und dem Reich vor­aus­gin­gen. Damals wie
    heu­te liegt die Zustän­dig­keit für For­schung bei den Län­dern
    und auch vor die­sem Hin­ter­grund sind die Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    des Bun­des in ihrer Exis­tenz
    begrün­dungs­be­dürf­tig.
    Der Begriff der Res­sort­for­schung kann auch auf insti­tu­tio­na­li­sier­te
    poli­tik­die­nen­de For­schungs­struk­tu­ren
    des Uni­ons­rechts über­tra­gen wer­den, da der aus dem
    Fran­zö­si­schen stam­men­de Aus­druck „res­sort“ den Zustän­dig­keits-
    oder auch Amts­be­reich bezeich­net und damit
    offen ist für eine Beschrei­bung einer poli­tik­die­nen­den
    For­schung auch außer­halb der deut­schen Minis­te­ri­al-
    und Ver­wal­tungs­struk­tu­ren.
    Im Fol­gen­den soll der zuläs­si­ge und gebo­te­ne Rah­men
    von Res­sort­for­schung in eini­gen Eck­punk­ten mar­kiert
    wer­den. Dabei begrenzt sich die hie­si­ge Dar­stel­lung
    auf all­ge­mei­ne Struk­tu­ren der Res­sort­for­schung.
    Für den Bereich der Gesund­heits­res­sort­for­schung, an
    dem die­se Struk­tu­ren ver­deut­licht wer­den kön­nen, wird
    auf die die­sem Bei­trag zugrun­de­lie­gen­de For­schungs­ar­beit
    verwiesen.4
    II. Pflicht zum wis­sens­ba­sier­ten Han­deln des Staa­tes
    und der Euro­päi­schen Uni­on
    Die Res­sort­for­schung fin­det ihren Aus­gangs­punkt in der
    Not­wen­dig­keit, staat­li­ches Han­deln ratio­nal, effek­tiv
    und ziel­füh­rend auszurichten.
  11. Ratio­na­li­täts­ge­bot
    Eine staat­li­che Pflicht zum wis­sens­ba­sier­ten poli­ti­schen
    Han­deln kann aus dem mate­ri­el­len Gehalt des Rechts­staats­prin­zips
    abge­lei­tet wer­den, das die Ratio­na­li­tät
    staat­li­chen Han­delns fordert.5 Der Staat bezieht sei­ne
    Legi­ti­mi­tät neben demo­kra­ti­scher Reprä­sen­ta­ti­on aus
    wis­sen­schaft­li­cher Rationalität.6 „Wis­sen“ gilt als die
    Grund­la­ge staat­li­chen Han­delns für den ratio­na­len
    Staat.7 Das „Vor­han­den­sein von Wis­sen“ gehört „zu den
    Grund­la­gen, den Vor­aus­set­zun­gen staat­li­chen Han­delns,
    so wie das staat­li­che Per­so­nal, die Finanz­mit­tel
    und die Orga­ni­sa­ti­on des Staates“9; „staat­li­che Ent­schei­dun­gen
    und Hand­lun­gen“ müs­sen „einer Über­prü­fung
    am Maß­stab ‚ver­nünf­ti­gen‘ Wis­sens stand­hal­ten“ . Der
    Staat muss also sein Han­deln, und zwar das exe­ku­ti­ve,
    legis­la­ti­ve und judi­ka­ti­ve, auf ent­spre­chen­des Wis­sen
    grün­den und die­ses bei­brin­gen. Schwie­ri­ger zu beur­tei­len
    ist aller­dings, in wel­cher Inten­si­tät und auf wel­che
    Wei­se der Staat Zugriff auf Wis­sen haben bzw. neh­men
    muss. Im Kli­ma­be­schluss des BVerfG10 räum­te das
    Gericht dem Gesetz­ge­ber im Hin­blick auf die Ratio­na­li­täts­an­for­de­run­gen
    einen wei­ten Spiel­raum ein. Eine
    gene­rel­le aus der Ver­fas­sung abge­lei­te­te Sach­auf­klä­rungs­pflicht
    des Gesetz­ge­bers, nach der alle zugäng­li­chen
    Erkennt­nis­quel­len aus­ge­schöpft wer­den müss­ten,
    bestün­de nicht.11 Frü­he­re Urtei­le des BVerfG haben pro­ze­du­ra­le
    Min­dest­an­for­de­run­gen (wie den Rekurs auf
    ver­läss­li­che Quel­len, eine Pro­gno­se­pflicht, Begrün­dungs­pflicht
    und ggf. die Ver­an­las­sung einer Daten­er­he­bung
    in Bezug auf die Wir­kun­gen eines Geset­zes) auf­ge­stellt.
    12
    Das Rechts­staats­prin­zip schreibt zwar kei­ne bestimm­te
    Art und Wei­se der Aus­rich­tung des staat­li­chen
    Han­delns an der Wis­sen­schaft vor,13 jedoch soll­te im Sin­ne
    eines Unter­maß­ver­bo­tes ein Min­dest­maß an Ratio­na­li­tät
    im Sin­ne einer Aus­rich­tung an wis­sen­schaft­li­chen
    Grund­la­gen gefor­dert wer­den, womit ein Auf­trag zu einer
    pro­ze­du­ra­len Aus­ge­stal­tung und Gewähr­leis­tung
    Wei­lert · Res­sort­for­schung 1 4 9
    15 Vgl. zu einer pro­ze­du­ra­len Bin­dung des Gesetz­ge­bers: Gartz Fn. 5,
    S. 181.
    15 Vgl. zu den Vor- und Nach­tei­len einer inte­gra­ti­ven Struk­tur durch
    die Res­sort­for­schung als Teil der Minis teri­al­ver­wal­tung: Wei­lert
    Fn. 1, S. 134 ff.
    16 Scott/Vos, The Juri­di­fi­ca­ti­on of Uncer­tain­ty: Obser­va­tions on the
    Ambi­va­lence of the Pre­cau­tio­na­ry Prin­ci­ple within the EU and
    the WTO, in: Joerges/Dehousse (Hrsg.), Good Gover­nan­ce in
    Europe´s Inte­gra­ted Mar­ket, 2007, S. 253 (253).
    17 Umfas­send zum unio­na­len Vor­sor­ge­prin­zip: B. Arndt, Das
    Vor­sor­ge­prin­zip im EU-Recht, 2009, S. 69 ff. Ers tmals nähe­re
    Kon­tu­ren erhielt das Vor­sor­ge­prin­zip in der Euro­päi­schen Uni­on
    durch das Grün­buch der Kom­mis­si­on, All­ge­mei­ne Grund­sät­ze
    des Lebens­mit­tel­rechts in der Euro­päi­schen Uni­on, KOM (97) 176
    endg. sowie durch Mit­tei­lung der Kom­mis­si­on, Gesund­heit der
    Ver­brau­cher und Lebens­mit­tel­si­cher­heit, KOM (97) 183 endg.;
    wei­te­re (rechts­un­ver­bind­li­che) Klä­run­gen wur­den vor­ge­nom­men
    durch Mit­tei­lung der Kom­mis­si­on, Die Anwend­bar­keit des Vor­sor­ge­prin­zips,
    KOM (2000) 1 endg.; wei­te­re Nach­wei­se bei Wei­lert
    Fn. 1, S. 389 in Anm. 9.
    18 Vgl. Alber-Mal­cho­w/Steig­le­der, Defi­ni­ti­on der Begrif­fe Wis­sen­schaft
    und For­schung – Eigen­ge­setz­lich­keit von Wis­sen­schaft und
    For­schung, in: Wag­ner (Hrsg.), Recht­li­che Rah­men­be­din­gun­gen
    für Wis­sen­schaft und For­schung, 2015, S. 23 ff. (32).
    19 Trie­pel, Die Kom­pe­ten­zen des Bun­dess taa­tes und die geschrie­be­ne
    Ver­fas­sung, in: FS Paul Laband, Bd. II, 1908, S. 303.
    20 Kött­gen, Der Ein­fluß des Bun­des auf die deut­sche Ver­wal­tung und
    die Orga­ni­sa­ti­on der bun­des­ei­ge­nen Ver­wal­tung (Berichts­zeit:
    Legis­la­tur­pe­ri­ode des 1. Bun­des tages), JöR 3 (1954), S. 67 (110 f., aller­dings
    ohne s pezi­fi­schen Rekurs auf Annex­kom­pe­tenz); Meu­sel,
    Außer­uni­ver­si­tä­re For­schung im Wis­sen­schafts­recht, 2. Aufl. 1999,
    § 6 Rn. 124 und § 14 Rn. 226; Kös tlin, Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen,
    in: Flä­mig et al. (Hrsg.), Hdb. Wis­sen­schafts­recht, Bd. II,
  12. Aufl. 1996, S. 1365 (1370); Oebb­ecke, Ver­wal­tungs­zus tän­dig­keit,
    in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 136
    Rn. 108.; Wei­lert Fn. 1, S. 236 (mit umfang­rei­chen Nach­wei­sen in
    Anmer­kung 320).
    21 Schmidt-Aßmann, Die Bun­des­kom­pe­ten­zen für die Wis­sen­schafts­för­de­rung
    nach der Föde­ra­lis­mus­re­form, in: Depen­heu­er et al.
    (Hrsg.), Staat im Wort, FS Josef Isen­see, 2007, S. 405 (419).
    ver­bun­den ist.14 Dabei soll­te gel­ten, dass der Grad der
    Wis­sen­schafts­ab­hän­gig­keit staat­li­cher Auf­ga­ben über
    das Aus­maß der Pflicht zur Bei­brin­gung wis­sen­schaft­li­cher
    Exper­ti­se ent­schei­det, sei es durch Ein­ho­lung ent­spre­chen­den
    Sach­ver­stan­des oder Vor­hal­ten des­sel­ben
    in der Ver­wal­tung. Die insti­tu­tio­na­li­sier­te Res­sort­for­schung
    ist dabei eine Mög­lich­keit des Staa­tes, dem Ratio­na­li­täts­ge­bot
    Rech­nung zu tragen.15
    Im Uni­ons­recht lässt sich eine sol­che Ratio­na­li­täts­pflicht
    aus Art. 114 Abs. 3 AEUV (jeden­falls für bin­nen­markt­po­li­ti­sches
    Han­deln) ablei­ten, aber auch aus dem ‒
    ursprüng­lich dem deut­schen Recht entspringenden16 ‒
    Vorsorgeprinzip,17 das sich, zunächst im Umwelt­recht
    behei­ma­tet, auf Uni­ons­ebe­ne mitt­ler­wei­le fest eta­bliert
    hat. Im Kern besagt das uni­ons­recht­li­che Vor­sor­ge­prin­zip,
    dass trotz bestehen­der wis­sen­schaft­li­cher Unsi­cher­heit
    das Ergrei­fen von Vor­sor­ge­maß­nah­men mög­lich ist,
    auch wenn die Wahr­schein­lich­keit für den Risi­ko­ein­tritt
    und die Schwe­re des mög­li­chen Scha­dens­aus­ma­ßes
    noch nicht hin­rei­chend abschätz­bar sind. Die Rai­son für
    die­ses Prin­zip liegt dar­in, dass wis­sen­schaft­li­che Unsi­cher­hei­ten
    bei begrün­de­ter Besorg­nis für gefähr­li­che
    Umwelt- oder Gesund­heits­schä­den dem recht­zei­ti­gen
    poli­ti­schen Han­deln nicht ent­ge­gen­ste­hen sol­len. Die­se
    Erlaub­nis zu Risi­ko­ma­nage­men­tent­schei­dun­gen in einem
    Bereich wis­sen­schaft­li­cher Unsi­cher­hei­ten setzt einen
    Pro­zess der Risi­ko­be­wer­tung vor­aus, ohne den der­ar­ti­ge
    poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen will­kür­lich wären.
    Das Ratio­na­li­täts­ge­bot ver­langt mit­hin die Ver­pflich­tung
    und Befä­hi­gung zu „infor­mier­ten“ Ent­schei­dun­gen
    und Hand­lun­gen einer demo­kra­tisch legi­ti­mier­ten Instanz.
    Infor­mier­te Ent­schei­dun­gen müs­sen nicht not­wen­di­ger­wei­se
    „rich­ti­ge“ oder „wah­re“ Ent­schei­dun­gen sein,
    aber sie soll­ten in einem den rechts­staat­li­chen Anfor­de­run­gen
    genü­gen­den Pro­zess zustan­de gekom­men sein.
    Die Ratio­na­li­täts­pflicht des Rechts­staats­prin­zips darf
    nicht dazu füh­ren, das for­ma­le Rechts­staats­prin­zip, das
    sich vor allem durch die Geset­zes­bin­dung aus­zeich­net,
    oder auch das Demo­kra­tie­prin­zip aus­zu­höh­len. Ent­schei­dun­gen
    legi­ti­mie­ren sich im Rechts­staat nicht in
    ers­ter Linie durch ihren Wahr­heits­ge­halt, son­dern durch
    ihre Rechtmäßigkeit.18
  13. For­schungs­auf­ga­ben als Annex zur sach­ge­rech­ten
    Wahr­neh­mung der Ver­wal­tungs­kom­pe­ten­zen des Bun­des
    und der unio­na­len Sach­be­reichs­kom­pe­ten­zen
    a) Annex zu Bun­des­kom­pe­ten­zen
    Eng mit dem Ratio­na­li­täts­ge­bot ver­bun­den ist die
    Begrün­dungs­li­nie der Bun­des­zu­stän­dig­keit für die For­schungs­auf­ga­ben
    der Res­sort­for­schungs­be­hör­den. Die­se
    wird – schon seit Triepel19 – im Wesent­li­chen aus der
    Annex­zu­stän­dig­keit zur sach­ge­rech­ten Wahr­neh­mung
    der jewei­li­gen (und jeweils zu expli­zie­ren­den) Bun­des­ver­wal­tungs­kom­pe­tenz
    abgeleitet.20 Die Minis­te­ri­en sol­len
    in die Lage ver­setzt wer­den, ihre Auf­ga­ben ent­spre­chend
    dem Stand von Wis­sen­schaft und For­schung aus­zu­üben.
    Die Annex­zu­stän­dig­keit mar­kiert aber zugleich
    auch die Gren­ze der Bun­des­kom­pe­tenz, denn rei­ne For­schung,
    die kei­nen minis­te­ri­el­len Nah- oder Fern­zwe­cken
    dient, kann nicht mehr mit dem Annex­ge­dan­ken
    begrün­det werden.21 Inso­fern Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    ver­wal­ten­de Auf­ga­ben (z.B. Zulas­sungs­ver­fah­ren)
    aus­füh­ren, ergibt sich eine Bun­des­zu­stän­dig­keit
    bereits direkt durch die Bun­des­ver­wal­tungs­kom­pe­tenz
    selbst, das heißt durch Spe­zi­al­zu­wei­sun­gen (vgl.
    1 5 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 4 7 — 1 6 0
    22 von Bogdandy/Wes tphal, Der recht­li­che Rah­men eines auto­no­men
    Euro­päi­schen Wis­sen­schafts­ra­tes, WissR 37 (2004), S. 224
    (234); Glaes­ner, Außer­uni­ver­si­tä­re For­schung in der euro­päi­schen
    Rechts­ord­nung, in: Flä­mig et al. (Hrsg.), Hdb. Wis­sen­schafts­recht,
    Bd. II, 2. Aufl. 1996, S. 1281 (1285 f.).
    23 So die Rs pr. seit Fédéchar, zusam­men­fas­send: Net­tes­heim, in:
    Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Euro­päi­schen
    Uni­on, Werks tand: 71. EL Augus t 2020, Art. 1 AEUV (41. EL Juli
    2020) Rn. 14.
    24 Statt vie­ler: Berg, Die öffent­lich-recht­li­che Ans talt, NJW 1985,
    S. 2294 (2297).
    25 Vgl. Gröb, Die rechts­fä­hi­ge öffent­li­che Schu­le, 2014, S. 58.
    Art. 87 Abs. 1 und Art. 87 b GG) oder über die gene­ral­klau­sel­ar­ti­ge
    Aus­nah­me­er­mäch­ti­gung nach
    Art. 87 Abs. 3 GG.
    b) Annex zu Uni­ons­kom­pe­ten­zen
    Auch im Uni­ons­recht lässt sich eine Kom­pe­tenz zur Res­sort­for­schung
    aus dem Annex­ge­dan­ken her­lei­ten. Dabei
    darf der uni­ons­recht­li­che Grund­satz der begrenz­ten
    Ein­zel­er­mäch­ti­gung (Art. 5 Abs. 1 und 2 EUV) nicht
    unter­gra­ben wer­den. Auch das Sub­si­dia­ri­täts­prin­zip fin­det
    auf die Res­sort­for­schung und For­schungs­po­li­tik der
    Uni­on Anwendung.22 In der Ter­mi­no­lo­gie des Uni­ons­rechts
    wird die Annex­kom­pe­tenz als impli­ed powers
    gefasst. Impli­ed powers wer­den ange­nom­men, wenn
    ohne die unge­schrie­be­ne Kom­pe­tenz eine vor­han­de­ne
    Kom­pe­tenz der Uni­on sinn­los wer­den wür­de bzw. wenn
    die vor­han­de­ne Vor­schrift „nicht in ver­nünf­ti­ger Wei­se
    zur Anwen­dung gelan­gen“ könnte.23 Impli­ed powers sol­len
    also die vor­han­de­nen Kom­pe­ten­zen effek­tu­ie­ren,
    nicht jedoch, wie in der EuGH-Judi­ka­tur teils zu fin­den,
    eine uni­ons­recht­li­che Auf­ga­ben- oder Ziel­vor­ga­be zu
    einer Kom­pe­tenz aus­wei­ten. Eine Res­sort­for­schungs­kom­pe­tenz
    besteht also, inso­weit sie not­wen­dig ist, um
    eine vor­han­de­ne Kom­pe­tenz sach­ge­recht aus­üben zu
    kön­nen. Die Uni­on hat im Rah­men der ihr über­tra­ge­nen
    Poli­ti­ken wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se ein­zu­ho­len
    und ein­zu­be­zie­hen.
    III. Insti­tu­tio­na­li­sier­te Ressortforschung
  14. Insti­tu­tio­na­li­sier­te Res­sort­for­schung als Hybrid: Teil
    der deut­schen Minis­te­ri­al­ver­wal­tung und Säu­le der
    außer­uni­ver­si­tä­ren For­schung
    a) Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen als Teil der Minis­te­ri­al­ver­wal­tung
    Die insti­tu­tio­na­li­sier­te Res­sort­for­schung fin­det schwer­punkt­mä­ßig
    in Bun­des­ein­rich­tun­gen mit For­schungs­und
    Ent­wick­lungs­auf­ga­ben (FuE) in behörd­li­cher Form
    statt, dane­ben bestehen auch insti­tu­tio­na­li­sier­te For­schungs­ko­ope­ra­tio­nen.
    Eine ver­wal­tungs­recht­li­che
    Beson­der­heit besteht dar­in, dass Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    als Bun­des­ober­be­hör­den regel­mä­ßig zugleich
    in der Form nicht­rechts­fä­hi­ger Anstal­ten orga­ni­siert
    sind. Der Grund für die Wahl die­ser Rechts­for­men
    liegt dar­in, dass die Res­sort­for­schung eine die­nen­de,
    aber auf­grund ihres For­schungs- und Exper­ten­cha­rak­ters
    auch eigen­stän­di­ge Funk­ti­on im Rah­men der Staats­ver­wal­tung
    ein­nimmt. Bis heu­te gibt es Unklar­hei­ten
    dar­über, durch wel­che Kri­te­ri­en sich eine nicht­rechts­fä­hi­ge
    Anstalt auszeichnet24 und wel­che Rechts­fol­gen sich
    aus ihrer Orga­ni­sa­ti­ons­form erge­ben. Mit der Bezeich­nung
    der Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen als nicht­rechts­fä­hi­ge
    Anstal­ten soll von minis­te­ri­el­ler Sei­te vor
    allem zum Aus­druck gebracht wer­den, dass es sich hier
    um ver­selbst­stän­dig­te Verwaltungseinheiten25 han­delt.
    Letzt­lich ist die Ein­ord­nung als nicht­rechts­fä­hi­ge Anstalt
    teil­wei­se his­to­ri­scher, jeden­falls vor­nehm­lich aka­de­mi­scher
    Natur, da in ers­ter Linie für die recht­li­che Ein­ord­nung
    aus­schlag­ge­bend die Tat­sa­che ist, dass es sich bei
    Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen um (selb­stän­di­ge Bun­des­ober-)
    Behör­den han­delt.
    Die Rechts­form bedingt die Mög­lich­kei­ten des staat­li­chen
    Ein­flus­ses auf die Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen.
    Das Sat­zungs­recht für die nicht­rechts­fä­hi­gen Anstal­ten
    liegt beim Bund und wird durch die Bun­des­mi­nis­te­ri­en
    nach ihrem Ermes­sen aus­ge­übt, gleich­wie die
    Minis­te­ri­en über weit­rei­chen­de Kom­pe­ten­zen im Per­so­na­lernen­nungs­recht
    für die Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    ver­fü­gen. Ins­be­son­de­re aber steht den Minis­te­ri­en
    über ihre Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen die Rechts­und
    Fach­auf­sicht zu, die jedoch ange­sichts des Cha­rak­ters
    der Ein­rich­tun­gen als wis­sen­schaft­li­che Behör­den
    scho­nend und koope­ra­tiv aus­ge­übt wird. Der recht­li­chen
    Ein­ge­bun­den­heit in das hier­ar­chi­sche Sys­tem der
    Minis­te­ri­al­ver­wal­tung steht als fak­ti­sches Gegen­ge­wicht
    die beson­de­re Sach­kom­pe­tenz der Behör­den gegen­über,
    die zu einer grö­ße­ren Unab­hän­gig­keit von der Minis­te­ri­al­ver­wal­tung
    füh­ren kann. Die Ein­bin­dung in die
    behörd­li­chen Struk­tu­ren bedeu­tet aber auch, dass Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    hoheit­li­che Tätig­kei­ten
    (z.B. im Rah­men von Zulas­sungs­ver­fah­ren) über­tra­gen
    wer­den kön­nen. Auf­grund des Res­sort­prin­zips füh­ren
    die Minis­te­ri­en in ihrem Geschäfts­be­reich die Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    im Ein­zel­nen sehr
    unter­schied­lich.
    Der Begriff „Res­sort­for­schung“ oder „Res­sort­for­schungs­ein­rich­tung“
    ist eine minis­te­ri­ell zuge­wie­se­ne
    Wei­lert · Res­sort­for­schung 1 5 1
    26 Die­se Span­nung wird ange­deu­tet bereits von Jakob, For­schungs­fi­nan­zie­rung
    durch den Bund, Der Staat 24 (1985), S. 527 (560).
    27 Vgl. zu den Auf­sichts­mit­teln der Staats­auf­sicht: Kahl, Die Staats­auf­sicht,
    2000, S. 505 f.
    28 Vgl. Meu­sel Fn. 20, § 19 Rn. 301.
    Klas­si­fi­zie­rung, kein nor­ma­ti­ver Begriff mit kla­ren recht­li­chen
    Kon­tu­ren. Dem soll hier eine nach Kri­te­ri­en defi­nier­te
    Defi­ni­ti­on ent­ge­gen­ge­setzt wer­den: Als Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    im enge­ren Sin­ne sind danach jene
    behörd­lich orga­ni­sier­ten Bun­des­ein­rich­tun­gen mit FuE­Auf­ga­ben
    zu bezeich­nen, die in rele­van­tem Umfang For­schung
    (und nicht nur For­schungs­för­de­rung) betrei­ben,
    so dass die minis­te­ri­el­le Bezeich­nung eines Insti­tuts als
    Res­sort­for­schungs­ein­rich­tung nur als rich­tungs­wei­send,
    nicht aber als kon­sti­tu­ie­rend für die Res­sort­for­schungs­ei­gen­schaft
    betrach­tet wird. Als Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    im wei­te­ren Sin­ne gel­ten die­je­ni­gen Ein­rich­tun­gen,
    die durch ent­spre­chen­de Gre­mi­en­ver­tre­tung
    von Staats­be­diens­te­ten oder auf sons­ti­ge Wei­se durch
    den Staat gesteu­ert wer­den und über­wie­gend Res­sort­for­schungs­auf­ga­ben
    wahr­neh­men, was auf die von der
    Bun­des­re­gie­rung so bezeich­ne­ten FuE-Ein­rich­tun­gen in
    kon­ti­nu­ier­li­cher Zusam­men­ar­beit zutrifft, aber auch für
    ande­re Ein­rich­tun­gen gel­ten kann, die die genann­ten
    Kri­te­ri­en erfül­len.
    b) Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen als Teil der außer­uni­ver­si­tä­ren
    For­schung
    Die Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen bil­den neben ihrer
    minis­te­ri­el­len Zuge­hö­rig­keit eine Säu­le im Rah­men der
    außer­uni­ver­si­tä­ren For­schungs­ein­rich­tun­gen. Einer­seits
    sind sie durch ihre behörd­li­che Orga­ni­sa­ti­on klar von
    ande­ren außer­uni­ver­si­tä­ren For­schungs­ein­rich­tun­gen
    abge­grenzt. Ande­rer­seits wei­chen die Rän­der zuneh­mend
    auf, da die strik­te Ver­säu­lung und Domä­nen­auf­tei­lung
    der deut­schen For­schungs­land­schaft selbst mitt­ler­wei­le
    einer fort­schrei­ten­den Ver­net­zung zwi­schen
    den außer­uni­ver­si­tä­ren For­schungs­ein­rich­tun­gen und
    Hoch­schu­len gewi­chen ist. Die Grün­de hier­für lie­gen in
    der Euro­päi­sie­rung der For­schungs­för­de­rung sowie der
    deut­schen For­schungs­po­li­tik, die durch Eta­blie­rung
    einer Kon­kur­renz um For­schungs­mit­tel und der Anfor­de­rung
    an koope­ra­ti­ves und ver­netz­tes For­schen den
    Sta­tus quo der For­schungs­land­schaft tief­grei­fend ver­än­dert
    hat.
    In der Pra­xis gibt es Über­schnei­dun­gen, da die
    Spann­brei­te zwi­schen Grund­la­gen­for­schung, ange­wand­ter
    For­schung und der Über­nah­me staat­li­cher Auf­ga­ben
    oder spe­zi­el­ler minis­te­ri­el­ler Bera­tung unter den ein­zel­nen
    Res­sort­for­schungs­in­sti­tu­ten vari­iert und auch in der
    wei­te­ren öffent­li­chen außer­uni­ver­si­tä­ren For­schung teils
    umfang­rei­che Zweck­for­schung und poli­ti­sche Bera­tung
    erfolgt.26 So deckt die Fraun­ho­fer-Gesell­schaft ent­spre­chend
    ihrer Sat­zung auch For­schungs­auf­ga­ben ab, die
    ihr von Bund und Län­dern über­tra­gen wer­den, und unter­hält
    ins­be­son­de­re vom Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um
    mit­fi­nan­zier­te wehr­wis­sen­schaft­lich for­schen­de
    Insti­tu­te. Die Helm­holtz-Gemein­schaft ver­folgt nach ihrem
    Sat­zungs­zweck lang­fris­ti­ge For­schungs­zie­le des
    Staa­tes und der Gesell­schaft (staat­li­che Vor­sor­ge­for­schung)
    und ver­bin­det Grund­la­gen- mit ange­wand­ter
    For­schung. Auch bei der Leib­niz-Gemein­schaft gibt es
    Über­schnei­dun­gen in den For­schungs­pro­jek­ten der Insti­tu­te
    zur Res­sort­for­schung. Ein­zel­ne minis­te­ri­el­le Res­sorts,
    denen Leib­niz-Ein­rich­tun­gen zuge­ord­net sind, sehen
    die­se als Teil oder Ergän­zung ihrer Res­sort­for­schung.
    Der staat­li­che Ein­fluss auf die Leib­niz-Insti­tu­te
    erfolgt nicht nur durch Ver­ga­be von ent­spre­chen­den
    Dritt­mit­teln, son­dern auch auf insti­tu­tio­nel­ler Ebe­ne
    durch ent­spre­chen­de staat­li­che Gre­mi­en­ver­tre­ter in den
    Ein­rich­tun­gen. Im Ein­zel­fall kann daher bei Leib­niz-
    Ein­rich­tun­gen die Schwel­le zu einer Res­sort­for­schungs­ein­rich­tung
    im wei­te­ren Sin­ne über­schrit­ten sein. Obwohl
    das Aus­maß der staat­li­chen Auf­sicht und Kon­trol­le
    nicht not­wen­di­ger­wei­se in Kor­re­la­ti­on zu der orga­ni­sa­to­ri­schen
    Ver­fasst­heit der For­schungs­ein­rich­tung
    steht, folgt doch aus der pri­va­ten oder öffent­li­chen Orga­ni­sa­ti­ons­form
    eine bedeu­ten­de Unter­schei­dung, da die
    Auf­sichts­mit­tel der klas­si­schen Staatsaufsicht27 nur bei
    öffent­lich-recht­lich orga­ni­sier­ten For­schungs­ein­rich­tun­gen
    ange­wen­det wer­den kön­nen, wäh­rend der Staat
    die pri­vat­recht­lich orga­ni­sier­te For­schung über die aus
    der öffent­li­chen Finan­zie­rung fol­gen­den Kon­troll­me­cha­nis­men
    (vor allem in Form von Wirt­schafts­plan­ver­hand­lun­gen,
    Neben­be­stim­mun­gen zu Zuwen­dungs­be­schei­den
    und Gre­mi­en­ver­tre­tun­gen) beauf­sich­tigt und
    steuert.28
  15. For­men einer uni­ons­recht­li­chen Res­sort­for­schung
    a) Res­sort­for­schung im Rah­men der Uni­ons­ver­wal­tung
    Die Aus­übung der der Euro­päi­schen Uni­on über­tra­ge­nen
    Poli­ti­ken und Ver­wal­tungs­kom­pe­ten­zen bedarf
    eben­so wie die Auf­ga­ben­wahr­neh­mung durch die natio­na­len
    Minis­te­ri­en der wis­sen­schaft­li­chen Bera­tung und
    Unter­stüt­zung. Zum Teil erhält die Uni­on die­se durch
    die mit­glied­staat­li­chen Res­sort­for­schungs­ar­ran­ge­ments.
    1 5 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 4 7 — 1 6 0
    29 von Bog­dan­dy, Die Infor­ma­ti­ons­be­zie­hun­gen im euro­päi­schen
    Ver­wal­tungs­ver­bund, in: Hoff­mann-Rie­m/­Schmidt-Aßman­n/
    Voß­kuh­le (Hrsg.), Grund­la­gen des Ver­wal­tungs­rechts, Bd. II, 3.
    Aufl. 2022, § 25 Rn. 34 ff.; Kahl, Der Euro­päi­sche Ver­wal­tungs­ver­bund:
    Struk­tu­ren – Typen – Phä­no­me­ne, Der Staat 50 (2011), S. 353
    (360, 365, 384 ff.); Schmidt-Aßmann, Ein­lei­tung: Der Euro­päi­sche
    Ver­wal­tungs­ver­bund und die Rol­le des Euro­päi­schen Ver­wal­tungs­rechts,
    in: Schmidt-Aßman­n/­Schön­dorf-Hau­bold (Hrsg.),
    Der Euro­päi­sche Ver­wal­tungs­ver­bund und die Rol­le des Euro­päi­schen
    Ver­wal­tungs­rechts, 2005, S. 1 ff.
    30 Vgl. zum Wis­sens­ma­nage­ment in der Euro­päi­schen Uni­on: Kai­ser,
    Wis­sens­ma­nage­ment im Meh­re­be­nen­sys tem, in: Schuppert/Voßkuhle
    (Hrsg.), Gover­nan­ce von und durch Wis­sen, 2008, S. 217 ff.
    31 EuGH, Rs. 9/56 (Mero­ni I/Hohe Behör­de), Urt. v. 13. Juni 1958, Slg.
    1958, 11 (36 ff.); EuGH, Rs. 10/56 (Mero­ni II/Hohe Behör­de), Urt. v.
  16. Juni 1958, Slg. 1958, 53 (75 ff.). Ein­ge­hend zu der Mero­ni-Rs pr.:
    Ber­ger, Ver­trag­lich nicht vor­ge­se­he­ne Ein­rich­tun­gen des Gemein­schafts­rechts
    mit eige­ner Rechts per­sön­lich­keit. Ihre Grün­dung
    und die Fol­gen für Rechts­schutz und Haf­tung, 1999, S. 76 ff.
    32 Über­sich­ten und Ana­ly­sen der Rs pr. fin­den sich bei: Cal­liess, in:
    Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 13 EUV
    Rn. 47 ff.; Ora­tor, Mög­lich­kei­ten und Gren­zen der Ein­rich­tung
    von Uni­ons­agen­tu­ren, 2017, S. 235 ff.; Bie­nert, Euro­päi­sche Regu­lie­rungs­agen­tu­ren,
    2018, S. 111 ff.
    Der Rekurs der euro­päi­schen Guber­na­ti­ve und Ver­wal­tung
    auf mit­glied­staat­li­che Infor­ma­ti­ons­be­stän­de ist
    kenn­zeich­nend für den Ver­wal­tungs­ver­bund, der auch
    als Infor­ma­ti­ons­ver­bund cha­rak­te­ri­siert wor­den ist.29
    Die Infor­ma­ti­ons­flüs­se voll­zie­hen sich viel­fach unsicht­bar
    bzw. über die Ver­wal­tun­gen ver­mit­telt, indem Res­sort­for­schungs­in­for­ma­tio­nen
    die natio­na­len Behör­den
    und Stel­len in ihrer Wis­sens­kom­pe­tenz stär­ken und Res­sort­for­schungs­wis­sen
    durch sie auch in die Uni­ons­ver­wal­tung
    und die guber­na­ti­ven Uni­ons­tä­tig­kei­ten ein­fließt.
    Res­sort­for­schung ist ein spe­zi­fi­scher Bau­stein im Gefü­ge
    von wis­sen­schaft­li­cher Poli­tik­be­ra­tung und sons­ti­ger
    Ver­wal­tungs­exper­ti­se­be­schaf­fung. Da die Euro­päi­sche
    Uni­on als supra­na­tio­na­le Gemein­schaft nicht mit
    dem deut­schen Staats­auf­bau ein­schließ­lich der Behör­den­or­ga­ni­sa­ti­on
    ver­gleich­bar ist, haben sich in der Uni­on
    eige­ne For­men uni­ons­recht­li­cher Res­sort­for­schung
    her­aus­ge­bil­det. Wäh­rend in Deutsch­land die Ver­wal­tungs­be­hör­den
    bis hin zu ihrer minis­te­ri­el­len Spit­ze
    über beson­de­res Fach­wis­sen ver­fü­gen, in das sich die
    Res­sort­for­schungs­be­hör­den als wis­sen­schaft­li­che Behör­den
    ein­fü­gen, kann die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on
    nicht in glei­cher Wei­se auf einen hier­ar­chi­schen Unter­bau
    an nach­ge­ord­ne­ten Behör­den zurück­grei­fen. Aller­dings
    haben sich ande­re For­men her­aus­ge­bil­det, die die­sen
    Raum ein­neh­men, dar­un­ter vor allem das wis­sen­schaft­li­che
    Aus­schuss­we­sen und die Grün­dung von Uni­ons­agen­tu­ren.
    30 Eine sin­gu­lä­re Form als Teil der
    unmit­tel­ba­ren Kom­mis­si­ons­ver­wal­tung bil­det die Gemein­sa­me
    For­schungs­stel­le, die heu­te eine Gene­ral­di­rek­ti­on
    (vor­mals eine Dienstel­le) der Kom­mis­si­on ist
    und als ein­zi­ge Res­sort­for­schungs­ein­rich­tung auch pri­mär­recht­lich
    ver­an­kert ist.
    Wer­den Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen als Teil der
    unmit­tel­ba­ren Uni­ons­ver­wal­tung geschaf­fen, sind recht­lich
    ver­an­ker­te Vor­keh­run­gen not­wen­dig, damit die
    nor­ma­ler­wei­se in die­sem Rah­men bestehen­de Wei­sungs­ab­hän­gig­keit
    nicht zu einer poli­ti­schen Ver­ein­nah­mung
    der For­schung führt. Bei der Gemein­sa­men For­schungs­stel­le
    hat sich die Kom­mis­si­on durch das Orga­ni­sa­ti­ons­sta­tut
    selbst eine Ein­schrän­kung der Wei­sungs­be­fug­nis­se
    auf­er­legt (Selbst­bin­dung).
    Art. 298 AEUV nor­miert die Grund­sät­ze der offe­nen,
    effi­zi­en­ten und unab­hän­gi­gen euro­päi­schen Ver­wal­tung.
    Effi­zi­enz und Unab­hän­gig­keit bedür­fen einer Ratio­na­li­tät,
    für die Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen Garant sein
    kön­nen. Da gera­de die Unab­hän­gig­keit der For­schung in
    Span­nung zu einer Ver­wal­tungs­hier­ar­chie steht, kommt
    ins­be­son­de­re dem wis­sen­schaft­li­chen Aus­schuss­we­sen
    sowie der Grün­dung von Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    in Form von Uni­ons­agen­tu­ren gro­ße Bedeu­tung zu.
    Wis­sen­schaft­li­che Aus­schüs­se sind sowohl direkt bei den
    Gene­ral­di­rek­tio­nen der Euro­päi­schen Uni­on als auch –
    und zwar im Zuge der fort­ge­schrit­te­nen Aus­dif­fe­ren­zie­rung
    der Agen­tur­grün­dun­gen – zuneh­mend bei ein­zel­nen
    Agen­tu­ren ange­sie­delt. Gera­de weil die Agen­tu­ren
    als orga­ni­sa­to­risch unab­hän­gi­ge Ver­wal­tungs­ein­hei­ten
    mit eige­ner Rechts­per­sön­lich­keit ein gewis­ses demo­kra­ti­sches
    Defi­zit auf­wei­sen, sind an die Über­tra­gung for­schungs­be­zo­ge­ner
    hoheit­li­cher Auf­ga­ben wie etwa Regu­lie­rungs­auf­ga­ben
    die von der Recht­spre­chung in Meroni31
    und den nach­fol­gen­den Urtei­len her­aus­ge­ar­bei­te­ten
    Grundsätze32 in Bezug auf die Begren­zung der Auf­ga­ben­über­tra­gung
    an Agen­tu­ren zu beach­ten. Der Grad
    der mög­li­chen hoheit­li­chen Befug­nis­über­tra­gung und
    des in die­sem Rah­men über­trag­ba­ren Ermes­sens hängt
    in einer Gesamt­ab­wä­gung von den Ein­wir­kungs­mög­lich­kei­ten
    der Kom­mis­si­on und einer nach­träg­li­chen
    Rechts­kon­trol­le ab. Für die eigent­li­che For­schungs­tä­tig­keit
    besteht das Legi­ti­ma­ti­ons­pro­blem, das in Bezug auf
    die Unab­hän­gig­keit von Uni­ons­ein­rich­tun­gen dis­ku­tiert
    wird, nicht, da die For­schungs­tä­tig­keit selbst nur die
    Vor­aus­set­zung für rechts­wirk­sa­me Akte ist und über­dies
    gera­de nach einer Struk­tur ver­langt, die eine gewis­se Unab­hän­gig­keit
    gewähr­leis­tet.
    Wei­lert · Res­sort­for­schung 1 5 3
    b) Typi­sie­rung der unio­na­len Res­sort­for­schung
    Die insti­tu­tio­nel­len Res­sort­for­schungs­ar­ran­ge­ments
    kön­nen sich in zwei For­men ein­tei­len las­sen, näm­lich
    eine „insti­tu­tio­na­li­sier­te unio­na­le Eigen­res­sort­for­schung“
    und eine „insti­tu­tio­na­li­sier­te und netz­werk­ar­ti­ge
    Ver­bund­res­sort­for­schung“.
    aa) Insti­tu­tio­na­li­sier­te unio­na­le Eigen­res­sort­for­schung
    Mit der insti­tu­tio­na­li­sier­ten unio­na­len Eigen­res­sort­for­schung
    soll die Res­sort­for­schung bezeich­net wer­den, die
    sich nicht auf mit­glied­staat­li­cher Ebe­ne voll­zieht bzw.
    nicht durch mit­glied­staat­li­che For­schung und For­schungs­stät­ten
    gestützt wird, son­dern ori­gi­när auf Uni­ons­ebe­ne
    in insti­tu­tio­na­li­sier­ter Form ange­sie­delt ist. In
    ihrer rei­nen Form trifft dies gegen­wär­tig nur auf die
    Gemein­sa­me For­schungs­stel­le zu. Die Mit­ar­bei­ter der
    For­schungs­stel­le sind Bediens­te­te der Euro­päi­schen
    Uni­on und nicht abge­sand­te Exper­ten der Mit­glied­staa­ten.
    Die Gemein­sa­me For­schungs­stel­le ist als ein­zi­ge
    Res­sort­for­schungs­ein­rich­tung pri­mär­recht­lich
    (Art. 8 EAGV) ver­an­kert, jedoch ist die Grund­la­ge im
    Eura­tom-Ver­trag ange­sichts des nicht mehr auf die
    Kern­for­schung beschränk­ten For­schungs­auf­trags heu­te
    sys­tem­fremd, so dass eine Ver­an­ke­rung im AEUV ange­zeigt
    erscheint. Res­sort­for­schung als wis­sen­schaft­li­che
    und tech­ni­sche Unter­stüt­zung bei der Aus­ar­bei­tung und
    Durch­füh­rung der Uni­ons­po­li­ti­ken und des Uni­ons­rechts
    fin­det heu­te durch die Gemein­sa­me For­schungs­stel­le
    im Rah­men der direk­ten (unmit­tel­ba­re Auf­trä­ge
    aus den For­schungs­pro­gram­men) und der indi­rek­ten
    (wett­be­werb­lich ein­ge­wor­be­ne Auf­trags­for­schung aus
    dem For­schungs­rah­men­pro­gramm) For­schung statt.
    Die Gemein­sa­me For­schungs­stel­le über­nimmt ins­be­son­de­re
    auch Wis­sens­ma­nage­ment­auf­ga­ben, die im
    Hin­blick auf die ste­tig anstei­gen­den Daten­men­gen und
    das wach­sen­de ver­füg­ba­re Wis­sen eine zen­tra­le Res­sort­for­schungs­auf­ga­be
    dar­stel­len. Im Ver­gleich zu der deut­schen
    Res­sort­for­schung ist die Gemein­sa­me For­schungs­stel­le
    stär­ker wis­sen­schaft­lich aus­ge­rich­tet und ist gegen­wär­tig
    nicht mit wis­sen­schaft­li­chen Rou­ti­ne­ar­bei­ten
    beauf­tragt.
    Außer­halb ihrer spe­zi­fi­schen auf die Uni­ons­or­ga­ne
    und Uni­ons­ein­rich­tun­gen bezo­ge­nen Tätig­kei­ten erstreckt
    sich die Funk­ti­on der Gemein­sa­men For­schungs­stel­le
    im Ver­wal­tungs­ver­bund pri­mär auf den ver­bes­ser­ten
    Infor­ma­ti­ons­aus­tausch zwi­schen den mit­glied­staat­li­chen
    Behör­den sowie zwi­schen den Behör­den
    der Mit­glied­staa­ten (ein­schließ­lich der Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen)
    und der Gemein­sa­men For­schungs­stel­le.
    Ein Aus­druck des Ver­wal­tungs­ver­bun­des
    liegt auch in dem durch mit­glied­staat­li­che Exper­ten besetz­ten
    Ver­wal­tungs­rat. Die Gemein­sa­me For­schungs­stel­le
    über­nimmt hin­ge­gen kei­ne Funk­tio­nen im Rah­men
    von admi­nis­tra­ti­ven Ver­fah­ren, etwa der Zulas­sung
    im Risi­ko­ver­wal­tungs­recht. Sie erar­bei­tet kei­ne Beschluss­vor­la­gen
    oder ‑ent­wür­fe für die Kom­mis­si­on, wie
    es für eine Gene­ral­di­rek­ti­on nahe­lie­gend gewe­sen wäre.
    Ihr sind damit kei­ne Auf­ga­ben im unmit­tel­ba­ren poli­ti­schen
    Risi­ko­ma­nage­ment zuge­wie­sen, son­dern ihre For­schun­gen
    und Risi­ko­be­wer­tun­gen die­nen als Unter­stüt­zung
    der Poli­ti­ken (ein­schließ­lich der Rechts­set­zungs­vor­be­rei­tung)
    der Uni­ons­or­ga­ne, vor­nehm­lich der
    Kom­mis­si­on.
    bb) Insti­tu­tio­na­li­sier­te und netz­werk­ar­ti­ge Ver­bund­res­sort­for­schung
    Im Gegen­satz zur insti­tu­tio­na­li­sier­ten unio­na­len Res­sort­for­schung
    stam­men die Exper­ti­se und die zugrun­de­lie­gen­den
    For­schun­gen bei der insti­tu­tio­na­li­sier­ten und
    netz­werk­ar­ti­gen Ver­bund­res­sort­for­schung aus den Mit­glied­staa­ten,
    die aber auf Uni­ons­ebe­ne in insti­tu­tio­na­li­sier­ten
    For­men als Ver­bund­res­sort­for­schung eine eige­ne
    Dimen­si­on gefun­den haben. Bei­spie­le für eine sol­che
    Ver­bund­res­sort­for­schung sind das wis­sen­schaft­li­che
    Aus­schuss­we­sen, Wis­sens­ge­ne­rie­run­gen inner­halb von
    Infor­ma­ti­ons- und Wis­sen­schafts­agen­tu­ren und sekun­där­recht­lich
    ver­fes­tig­te Infor­ma­ti­ons­netz­wer­ke. Dabei
    kön­nen sich die­se For­men mit­ein­an­der ver­men­gen, so
    etwa wenn das Aus­schuss­we­sen und das Netz­werk unter
    dem Über­bau einer Agen­tur bestehen oder wenn eine
    Agen­tur, so wie es bei der Euro­päi­schen Arz­nei­mit­tel-
    Agen­tur der Fall ist, durch die Beset­zung ihrer Gre­mi­en
    ein Netz­werk zwi­schen den natio­na­len Zulas­sungs­be­hör­den
    spannt. Die Ver­bund­res­sort­for­schung geht über
    eine blo­ße Ver­net­zung der Res­sort­for­schun­gen der ein­zel­nen
    Mit­glied­staa­ten hin­aus und schafft auf der Uni­ons­ebe­ne
    insti­tu­tio­na­li­sier­te Arran­ge­ments. Die­se unio­na­le
    Ver­bin­dung führt nicht nur zu einer Addi­ti­on des
    vor­han­de­nen Wis­sens, son­dern auch zu einer Gene­rie­rung
    neu­en Wis­sens. Zum einen bedeu­tet allein schon
    die Syn­the­se von Wis­sens­be­stän­den einen über die
    Kumu­la­ti­on hin­aus­rei­chen­den Wis­sens­zu­wachs, da
    hier­durch Din­ge ver­gleich­bar wer­den, Defi­zi­te augen­fäl­lig,
    unter­schied­li­che For­schungs­an­sät­ze sicht­bar und da
    dar­über hin­aus eine Plu­ra­li­tät von For­schung und Wis­sen
    ein­tritt. So wird übli­cher­wei­se bereits die Dar­stel­lung
    und Ergrün­dung des For­schungs­stan­des selbst als
    Teil wis­sen­schaft­li­chen Arbei­tens gewer­tet. Vor allem
    aber reicht die Arbeit wis­sen­schaft­li­cher Aus­schüs­se (sei
    es auf Kom­mis­si­ons­ebe­ne oder im Rah­men von Agentu1
    5 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 4 7 — 1 6 0
    33 Kahl, Der Euro­päi­sche Ver­wal­tungs­ver­bund, Fn. 29, S. 363.
    34 Kahl, Der Euro­päi­sche Ver­wal­tungs­ver­bund, Fn. 29, S. 358.
    35 Vgl. Schmidt-Aßmann, For­schung, Fn. 2, S. 6; Schul­ze-Fie­litz,
    in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Hdb. des Verfassungsrechts,
  17. Aufl. 1994, § 27 Rn. 24.
    ren) über das Zusam­men­tra­gen vor­han­de­ner For­schungs­be­stän­de
    hin­aus, und es wird in der Aus­schuss­ar­beit
    durch wis­sen­schaft­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on ein neu­er
    Erkennt­nis­pro­zess beför­dert. Die Arbeit
    wis­sen­schaft­li­cher Aus­schüs­se kann daher als eige­ne
    Kate­go­rie der Ver­bund­res­sort­for­schung gel­ten. Wis­sen­schaft­li­che
    Aus­schüs­se die­nen der Risi­ko­ein­schät­zung
    tech­nisch und wis­sen­schaft­lich kom­ple­xer Sach­ver­hal­te
    und unter­stüt­zen die poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger
    sowohl bei legis­la­ti­ven als auch exe­ku­ti­ven Auf­ga­ben.
    Agen­tu­ren und wis­sen­schaft­li­che Aus­schüs­se kön­nen
    eine spe­zi­fi­sche Funk­ti­on im Ver­wal­tungs­ver­bund, ins­be­son­de­re
    im Regulierungsverbund33, ein­neh­men. Wer­den
    admi­nis­tra­tiv-poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen durch das
    (Regulierungs-)Recht in einer Wei­se deter­mi­niert, dass
    die­se maß­geb­lich von der Risi­ko­be­wer­tung abhän­gig
    macht, kön­nen die Gut­ach­ten und Stel­lung­nah­men von
    wis­sen­schaft­li­chen Aus­schüs­sen beson­de­res admi­nis­tra­tiv-
    poli­ti­sches Gewicht ent­fal­ten und die Ent­schei­dun­gen
    der for­mal dazu beru­fe­nen poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger
    fak­tisch vor­ge­ben. Der Ermes­sens­spiel­raum
    der poli­ti­schen Hand­lungs­trä­ger wird emp­find­lich,
    zuwei­len sogar gänz­lich, redu­ziert, wenn ent­spre­chen­de
    Voten wis­sen­schaft­lich hoch­ka­rä­tig besetz­ter Aus­schüs­se
    erge­hen, die die zen­tra­len Wis­sens- und For­schungs­be­stän­de
    uni­ons­weit ein­be­zie­hen. Ins­be­son­de­re wenn
    die Aus­schuss­mit­glie­der pari­tä­tisch nach Mit­glied­staa­ten­zu­ge­hö­rig­keit
    besetzt sind oder zugleich als Behör­den­ver­tre­ter
    der Mit­glied­staa­ten fun­gie­ren (wie beim
    Human­arz­nei­mit­tel­aus­schuss der Euro­päi­schen Arz­nei­mit­tel-
    Agen­tur), tritt zu der Legi­ti­ma­ti­on kraft Sach­ver­stan­des
    eine spe­zi­fi­sche demo­kra­ti­sche Legi­ti­ma­ti­on.
    Die Res­sort­for­schung als Mix­t­um zwi­schen For­schung
    und Poli­tik zeich­net sich in die­sen Fäl­len zusätz­lich
    durch die hybri­de Struk­tur unio­na­len und mit­glied­staat­li­chen
    Ent­schei­dens aus, die gera­de für Agen­tu­ren
    als Akteu­ren im Ver­wal­tungs­ver­bund typisch ist. Die
    Struk­tur und Orga­ni­sa­ti­on von Uni­ons­agen­tu­ren, die
    eine Schnitt­men­ge unio­na­ler und mit­glied­staat­li­cher
    Ver­wal­tung dar­stel­len, „eine Zwi­schen­form zen­tra­li­sier­ter
    und dezen­tra­li­sier­ter Integration“34 bil­den und in einer
    Span­nung zwi­schen ver­wal­tungs­recht­li­chem Ein­ge­bun­den­sein
    und ver­wal­tungs­recht­li­cher Unab­hän­gig­keit
    ste­hen, stel­len eine geeig­ne­te Form für die Ver­bund­res­sort­for­schung
    dar, die noch aus­bau­fä­hig ist.
    Eine über den Regu­lie­rungs­ver­bund hin­aus­wei­sen­de
    Funk­ti­on kann die Ver­bund­res­sort­for­schung im soge­nann­ten
    Infor­ma­ti­ons­ver­bund ein­neh­men. Hier geht es
    um eine brei­te­re Ver­wen­dung von Wis­sen jen­seits klar
    defi­nier­ter Regu­lie­rungs­ver­fah­ren. Wis­sens­aus­tau­schund
    Wis­sens­ak­ku­mu­la­ti­on sowie Daten­samm­lun­gen
    die­nen als Grund­la­ge für weni­ger klar vor­ge­zeich­ne­te
    poli­tisch-admi­nis­tra­ti­ve Ent­schei­dun­gen sowohl durch
    Uni­ons­or­ga­ne als auch die mit­glied­staat­li­chen Ver­wal­tun­gen
    und Regie­run­gen. Es geht um Berei­che, in denen,
    wie bei Fra­gen der Infek­ti­ons­ab­wehr, prä­ven­ti­ve Maß­nah­men
    zum Schut­ze der Bevöl­ke­rung (oder im Umwelt­be­reich
    der natür­li­chen Lebens­grund­la­gen) ergrif­fen
    wer­den sol­len, aber ver­schie­de­ne poli­ti­sche Hand­lungs­mög­lich­kei­ten
    in Kon­kur­renz zuein­an­der ste­hen.
    Die zu ergrei­fen­den Maß­nah­men sind hier nicht nur Teil
    eines recht­lich vor­be­stimm­ten Ver­wal­tungs­ver­fah­rens,
    son­dern des poli­ti­schen Aus­lo­tens von guber­na­ti­ven
    Ent­schei­dun­gen.
    Hier berei­tet Res­sort­for­schung, vor allem in Form
    von Netz­wer­ken zur Daten- und Infor­ma­ti­ons­samm­lung,
    den Nähr­bo­den, um infor­mier­te poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen
    tref­fen zu kön­nen. Die Auf­ga­be der Exper­ten
    ist die Sach­in­for­ma­ti­on und die Explo­ra­ti­on von Risi­ken,
    wäh­rend die Nut­zen-Risi­ko-Abwä­gung ein­schließ­lich
    der dar­aus zu ergrei­fen­den kon­kre­ten
    Maß­nah­men auf­grund ihrer weit­rei­chen­den poli­ti­schen
    Trag­wei­te (etwa für die Wirt­schaft eines Lan­des oder
    den euro­päi­schen Bin­nen­markt) durch die Exper­ten
    nicht vor­ge­ge­ben wer­den kann. In jenen Poli­tik­be­rei­chen,
    in denen die Euro­päi­sche Uni­on ledig­lich über koor­di­nie­ren­de,
    unter­stüt­zen­de und ergän­zen­de Kom­pe­ten­zen
    ver­fügt, ist eine Ver­bund­res­sort­for­schung (anstel­le
    einer insti­tu­tio­na­li­sier­ten unio­na­len Eigen­res­sort­for­schung)
    schon kom­pe­tenz­recht­lich gebo­ten, da eine
    For­schungs-Annex­kom­pe­tenz der sach­be­reichs­spe­zi­fi­schen
    Uni­ons­kom­pe­tenz auch in ihrem Umfang folgt.
    IV. Res­sort­for­schung und Wissenschaftsfreiheit
  18. Res­sort­for­schungs­frei­heit als Aus­fluss des Rechts­staats­prin­zips
    in Ver­bin­dung mit der objek­tiv­recht­li­chen
    Garan­tie der grund­recht­li­chen Wis­sen­schafts­frei­heit
    Die Frei­heit der Wis­sen­schaft und For­schung nach
    Art. 5 Abs. 3 GG genießt dank der nur durch ver­fas­sungs­im­ma­nen­te
    Schran­ken mög­li­chen Begren­zung
    einen beson­de­ren ver­fas­sungs­recht­li­chen Sta­tus und ist
    prä­gend für das gesam­te Wissenschaftsrecht.35 Der
    Grund für die­se her­aus­ge­ho­be­ne Stel­lung liegt dar­in,
    dass sie nicht nur die Wis­sen­schaft­ler selbst schützt und
    Wei­lert · Res­sort­for­schung 1 5 5
    36 Ein­ge­hend zur Fra­ge, ob Res­sort­for­schung als For­schung im Sin­ne
    von Art. 5 Abs. 3 GG gel­ten kann: Wei­lert Fn. 1, S. 217 ff., S. 224 ff.
    (mit umfang­rei­chen Nach­wei­sen) sowie Britz Fn. 5, Art. 5 III (Wis­sen­schaft)
    Rn. 22 („[a]uch bei der s taat­li­chen Res­sort­for­schung
    kann begriff­lich durch­aus For­schungs tätig­keit vor­lie­gen“), Rn. 24:
    („solan­ge der Metho­de nach auto­no­me wis­sen­schaft­li­che Arbeit
    gege­ben is t.“); Tru­te, Wis­sen­schaft und Tech­nik, in: Isensee/
    Kirch­hof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IV, 3. Aufl. 2006, § 88 Rn. 25; Tru­te,
    For­schung, Fn. 5, S. 102.
    37 Ein­ge­hend zur objek­tiv­recht­li­chen Funk­ti­on der Wis­sen­schafts­frei­heit:
    Wei­lert Fn. 1, S. 228 ff.
    38 Stern, Idee und Ele­men­te eines Sys tems der Grund­rech­te, in:
    Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, 3. Aufl. 2011, § 185 Rn. 80..
    39 BVerfGE 35, 79 (112, juris Rn. 91) ‒ Hoch­schul­ur­teil.
    40 BVerfGE 35, 79 (114, juris Rn. 95).
    41 Näher Wei­lert Fn. 1, S. 232 f.
    42 Vgl. aus­führ­lich und mit wei­te­ren Nach­wei­sen zur Ver­hält­nis­bes
    tim­mung von objek­tiv­recht­li­chem Gehalt und sub­jek­ti­vem Recht
    Wei­lert Fn. 1, S. 233 ff. sowie Stern, Das Staats­recht der Bun­des­re­pu­blik
    Deutsch­land, Bd. III/1, 1988, § 69 VI, S. 978 (bes. auch
    S. 988 f.).
    43 Vgl. zur Ver­fas­sungshis torie Schul­ze-Fie­lietz, in: Drei­er (Hrsg.),
    GG, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtss taat) Rn. 19; zur
    „vor­nehm­li­chen Ver­an­ke­rung“ des Rechtss taats prin­zips in
    Art. 20 Abs. 3 GG: Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022,
    Art. 20 Rn. 37; zu den ver­fas­sungs­recht­li­chen Aus prä­gun­gen des
    Rechtss taats prin­zips in ande­ren Grund­rechts- und Ver­fas­sungs­bes
    tim­mun­gen sie­he Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021,
    Rn. 77.
    den staat­li­chen Uni­ver­si­tä­ten eine ent­spre­chen­de Selbst­ver­wal­tung
    garan­tiert, son­dern dass in Art. 5 Abs. 3 GG
    auch eine Garan­tie der frei­en Wis­sen­schaft zum Woh­le
    der Gesell­schaft ver­bürgt ist. Pro­ble­ma­tisch ist jedoch
    die Wis­sen­schafts­frei­heit in Bezug auf staat­li­che Res­sort­for­schungs­ei­rich­tun­gen
    und die hier täti­gen Wis­sen­schaft­ler,
    da für die Res­sort­for­schung als Teil der Minis­te­ri­al­ver­wal­tung
    inner­halb der behörd­li­chen Hier­ar­chie
    in Bezug auf die Auf­ga­ben­er­fül­lung grund­sätz­lich kei­ne
    Staats­frei­heit ein­ge­for­dert wer­den kann. Aus­gangs­punkt
    einer Argu­men­ta­ti­on hat jedoch die Über­le­gung zu sein,
    dass For­schung sich in einem Kern­be­reich dadurch kon­sti­tu­iert,
    dass sie staats­frei ist und nur ihrer Eigen­ge­setz­lich­keit
    unter­liegt. Damit geht es weni­ger um die grund­recht­lich
    sonst im Vor­der­grund ste­hen­de indi­vi­du­el­le
    Ent­fal­tungs­frei­heit, als viel­mehr um die Gewähr­leis­tung
    des Ver­spre­chens selbst, dass Res­sort­for­schung auch
    For­schung ent­hält. Den For­schungs­cha­rak­ter ver­liert die
    Res­sort­for­schung weder durch ihre Zweck­ge­bun­den­heit
    noch auto­ma­tisch durch die Ein­bin­dung in den Ver­wal­tungs­ap­pa­rat.
    Ent­schei­dend für die Abgren­zung zwi­schen
    For­schung und Ver­wal­tungs­tä­tig­keit ist das Stre­ben
    nach neu­en Erkennt­nis­sen unter Ein­satz einer wis­sen­schaft­li­chen,
    d.h. der Eigen­ge­setz­lich­keit der
    Wis­sen­schaft fol­gen­den, Metho­dik. Damit ist die Res­sort­for­schung,
    jeden­falls in ihren tat­säch­lich for­schungs­be­zo­ge­nen
    Auf­ga­ben, ein poten­ti­el­les Schutz­gut im Sin­ne
    von Art. 5 Abs. 3 GG.36
    Um die Fra­ge nach der Gel­tung der Wis­sen­schafts­frei­heit
    im Rah­men der Res­sort­for­schung einer ange­mes­se­nen
    Lösung zuzu­füh­ren, ist an die objek­tiv­recht­li­che
    Dimen­si­on der Wissenschaftsfreiheit37 anzu­knüp­fen,
    die beson­ders für dog­ma­ti­sche Wei­ter­ent­wick­lun­gen offen
    ist38, und die­se in Ver­bin­dung mit dem Rechts­staats­prin­zip
    (Ver­fas­sungs­bin­dung der Staats­ge­wal­ten) dahin­ge­hend
    aus­zu­le­gen, dass der Staat auch die Res­sort­for­schung
    in bestimm­ten Grund­pa­ra­me­tern frei­heit­lich
    aus­zu­ge­stal­ten und eine die­sen Min­dest­an­for­de­run­gen
    genü­gen­de Res­sort­for­schung struk­tu­rell zu gewähr­leis­ten
    hat. Im Hoch­schul­ur­teil von 1973 führt das BVerfG
    die aus Art. 5 Abs. 3 GG fol­gen­de „objek­ti­ve, das Ver­hält­nis
    von Wis­sen­schaft, For­schung und Leh­re zum Staat
    regeln­de wert­ent­schei­den­de Grund­satz­norm“ näher
    aus39 und betont die „Schlüs­sel­funk­ti­on, die einer frei­en
    Wis­sen­schaft […] auch für die gesamt­ge­sell­schaft­li­che
    Ent­wick­lung zukommt“.40
    Auch wenn sich die Pos­tu­la­te, die das BVerfG im vor­ge­nann­ten
    Hoch­schul­ur­teil als Leit­plan­ken ein­ge­schla­gen
    hat, nicht unmit­tel­bar auf die Res­sort­for­schung bezie­hen
    lassen,41 so kann immer­hin fest­ge­hal­ten wer­den,
    dass Art. 5 Abs. 3 GG in objek­tiv­recht­li­cher Hin­sicht ein
    Inter­es­se an einer frei­en, mit­hin nicht durch den Staat
    ver­form­ten, Wis­sen­schaft ver­bürgt. Die­se objek­tiv­recht­li­che
    Begren­zung staat­li­chen Han­delns besteht nicht nur
    zur Ver­stär­kung indi­vi­du­al­recht­li­cher Posi­tio­nen, son­dern
    auch im gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Interesse.42
    Gleich­falls gilt nach dem Ratio­na­li­täts­ge­bot des Rechts­staats­prin­zips,
    dass der Staat sein Han­deln nicht auf nur
    ver­meint­li­che wis­sen­schaft­li­che Kennt­nis­se stüt­zen darf
    und dass er die­je­ni­ge For­schung, auf die er sich zu stüt­zen
    vor­gibt, auch ermög­li­chen muss. Das Gemein­we­sen
    hat ein berech­tig­tes Inter­es­se an wis­sen­schaft­li­chen Ergeb­nis­sen,
    die im Rah­men der Eigen­ge­setz­lich­keit der
    Wis­sen­schaft vor­ge­bracht wur­den, gera­de auch dann,
    wenn wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se zur Grund­la­ge
    staat­li­chen Han­delns gemacht wer­den.
    Dog­ma­tisch las­sen sich hier ver­schie­de­ne Wege beschrei­ten:
    Mög­lich ist es, den objek­tiv­recht­li­chen Gehalt
    der Wis­sen­schafts­frei­heit als jen­seits sub­jek­ti­ver Rech­te
    bestehen­des Rechts­prin­zip zu ver­ste­hen, auf das durch
    Art. 20 Abs. 3 GG, der zen­tra­len Norm des Rechts­staats­prin­zips,
    43 Bezug genom­men wird. Damit wür­de die
    Wis­sen­schafts­frei­heit im Kon­text der Res­sort­for­schung
    nicht direkt, son­dern über Art. 20 Abs. 3 GG ver­mit­telt
    gel­ten. Denk­bar wäre aber auch, die Anfor­de­run­gen an
    die Aus­ge­stal­tung der Res­sort­for­schung als Teil des Rati1
    5 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 4 7 — 1 6 0
    44 Den Begriff der Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung führt bereits Clas­sen,
    Wis­sen­schafts­frei­heit außer­halb der Hoch­schu­le, 1994, S. 351, ein.
    45 Vgl. Gär­ditz, Poli­ti­sier­te Wis­sen­schaft als Macht­tech­nik – Bes pre­chung
    von Cas par Hir­schi, Skan­dal­ex­per­ten – Exper­ten­skan­da­le,
    WissR 2018, S. 244 (247).
    46 BVerfGE 35, 79 (115, juris Rn. 96 f.) ‒ Hoch­schul­ur­teil. Zum
    Grund­rechts­schutz durch Orga­ni­sa­ti­on und Ver­fah­ren: früh schon
    K. Hes­se, Bes tand und Bedeu­tung der Grund­rech­te in der Bun­des­re­pu­blik
    Deutsch­land, EuGRZ 1978, S. 427 (434 ff.). Aus dem jün­ge­ren
    Schrift­tum: Drei­er, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. I, 3. Aufl. 2013,
    Vorb. vor Art. 1 Rn. 105 f; Schmidt-Aßmann, Die Wis­sen­schafts­frei­heit
    nach Art. 5 Abs. 3 GG als Orga­ni­sa­ti­ons­grund­recht, in:
    Becker/Bull/Seewald (Hrsg.), FS Wer­ner Thie­me, 1993, S. 697 ff.
    47 BVerfGE 35, 79 (115, juris Rn. 97) ‒ Hoch­schul­ur­teil.
    48 BVerfGE 35, 79 (115 f., juris Rn. 97).
    49 Näher Wei­lert Fn. 1, S. 254 ff.
    50 Vgl. zur Fach­auf­sicht Wei­lert Fn. 1, S. 54; zur Unter­schei­dung
    zwi­schen Len­kung und Kon­trol­le sowie der Ein­ord­nung von
    Geneh­mi­gungs­vor­be­hal­ten sie­he Groß, Was bedeu­tet „Fach­auf­sicht“?,
    DVBl 2002, S. 793 (797 ff.).
    51 Graf von Kiel­man­segg, Das Son­ders tat­us­ver­hält­nis, JA 2012, S. 881
    ff.; Losch­el­der, Grund­rech­te im Son­ders tat­us, in: Isensee/Kirchhof
    (Hrsg.), HdbStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 202; Starck, in: v. Mangoldt/
    Klein/Starck, GG, Bd. I, 7. Aufl. 2018, Art. 1 Rn. 298.
    52 So auch Graf von Kiel­man­segg Fn. 51, S. 885.
    ona­li­täts­ge­bo­tes des Rechts­staats­prin­zips zu begrei­fen
    und die für die For­schungs­frei­heit ent­wi­ckel­ten Gehal­te
    nur als Ori­en­tie­rungs­punk­te im Rah­men des Ratio­na­li­täts­ge­bots
    des Rechts­staats­prin­zips zu betrach­ten. Letz­te­res
    wür­de aber, da der Begriff der Ratio­na­li­tät als Ver­fas­sungs­be­griff
    unter­be­stimmt ist, die Gefahr einer belie­bi­gen
    Rechts­aus­le­gung mit sich brin­gen.
    Das sich aus dem objek­tiv­recht­li­chen Gehalt der
    Wis­sen­schafts­frei­heit und dem Rechts­staats­prin­zip ablei­ten­de
    Ver­bot einer Legitimationsforschung44 bedeu­tet,
    dass nicht nur ein Anschein von Ratio­na­li­tät erzeugt
    wer­den darf. Die Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung ist in mehr­fa­cher
    Hin­sicht pro­ble­ma­tisch, ers­tens durch das Täu­schen
    über die Grund­la­gen der poli­ti­schen Entscheidungen,45
    zwei­tens auf­grund der feh­len­den Ratio­na­li­tät des Exe­ku­tiv­han­delns
    dort, wo sie ihr Han­deln hät­te auf For­schung
    stüt­zen müs­sen, dies aber nicht getan hat, und drit­tens
    durch die poli­ti­sche Ver­ein­nah­mung von For­schung in
    einer Wei­se, die in den For­schungs­pro­zess ein­greift und
    auf­grund der bestehen­den For­schungs­kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­zie­hun­gen
    die außer­staat­li­che For­schung zu beein­flus­sen
    geeig­net ist.
    For­schungs­me­tho­den und Ergeb­nis­in­ter­pre­ta­ti­on
    dür­fen staat­lich nicht vor­ge­ge­ben oder beein­flusst wer­den,
    da sol­che Regle­men­tie­run­gen den For­schungs­cha­rak­ter
    selbst unter­gra­ben. Das BVerfG hat auf die Bedeu­tung
    der Bezie­hung von Orga­ni­sa­ti­on und Grund­rechts­ver­wirk­li­chung
    hingewiesen.46 Die inner­be­trieb­li­chen
    Anfor­de­run­gen für die Orga­ni­sa­ti­on von Wis­sen­schafts­ein­rich­tun­gen
    bemä­ßen sich danach, „daß das Grund­recht
    der frei­en wis­sen­schaft­li­chen Betä­ti­gung soweit
    unan­ge­tas­tet bleibt, wie das unter Berück­sich­ti­gung der
    ande­ren legi­ti­men Auf­ga­ben der Wis­sen­schafts­ein­rich­tun­gen
    und der Grund­rech­te der ver­schie­de­nen Betei­lig­ten
    möglich“47 ist. Dies kann auch indi­vi­du­al­recht­li­che
    Posi­tio­nen ein­schlie­ßen, um dem „Inter­es­se des Gemein­we­sens
    an einem funk­tio­nie­ren­den Wis­sen­schafts­be­trieb“
    48 gerecht zu wer­den. Der die For­schung
    aus­ma­chen­de Kern­ge­halt der For­schungs­frei­heit ist orga­ni­sa­ti­ons­recht­lich
    durch gesetz­li­che und unter­ge­setz­li­che
    Vor­schrif­ten abzu­si­chern, ins­be­son­de­re auch durch
    Vor­ga­ben für die Aus­übung der minis­te­ri­el­len Auf­sichts­rech­te.
    49 Dies gilt ins­be­son­de­re für Ele­men­te der steu­ern­den
    oder auch „prä­ven­ti­ven“ Fachaufsicht.50 Es sind
    gesi­cher­te Struk­tu­ren zu schaf­fen, in denen nicht nur die
    minis­te­ri­el­len Belan­ge aus­schlag­ge­bend sind, son­dern
    auch die Ideen der betei­lig­ten For­scher zum Tra­gen
    kom­men. Die Ein­bin­dung der For­scher in die sci­en­ti­fic
    com­mu­ni­ty ist ent­schei­dend für die For­schungs­qua­li­tät
    und Ver­mei­dung einer Dege­ne­ra­ti­on zur blo­ßen Ver­wal­tungs­ein­heit.
    All­ge­mei­ne Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten, Wei­sun­gen
    im Ein­zel­fall und Geneh­mi­gungs­vor­be­hal­te etwa
    für For­schungs­pro­gram­me müs­sen sich jeweils an den
    hier dar­ge­stell­ten ver­fas­sungs­recht­li­chen Vor­ga­ben mes­sen
    las­sen.
    Die Effek­tu­ie­rung die­ser Kern­ge­hal­te der For­schungs­frei­heit
    bedarf der pro­zes­sua­len Absi­che­rung,
    die über die par­ti­ku­la­re Zuer­ken­nung sub­jek­ti­ver Rech­te
    erfol­gen kann, die ihrer­seits ganz im Diens­te der objek­tiv­recht­li­chen
    Ver­pflich­tung des Staa­tes ste­hen, kei­ne
    Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung zu betrei­ben, und hier­durch
    auch ihre Begren­zung erfah­ren. Im Ein­zel­nen tan­giert
    die Fra­ge nach dem Umfang sub­jek­ti­ver Rech­te der Res­sort­for­scher
    zwei Pro­blem­fel­der, näm­lich die Anwend­bar­keit
    der Wis­sen­schafts­frei­heit inner­halb der behörd­li­chen
    Res­sort­for­schung und die Pro­ble­ma­tik der Reich­wei­te
    der Grund­rechts­gel­tung inner­halb der heu­te so genann­ten
    Sonderstatusverhältnisse.51 Wei­sun­gen, die auf
    die Art und Aus­füh­rung der Dienst­auf­ga­ben zie­len, betref­fen
    den Bediens­te­ten zunächst nur als Teil der Staats­ver­wal­tung.
    52 Eine Grund­rechts­gel­tung im öffent­lich­recht­li­chen
    Dienst­ver­hält­nis setzt eine per­sön­li­che Betrof­fen­heit
    vor­aus. Doch ist die­se hier frag­lich, da es sich
    beim Ansin­nen eines Beschäf­tig­ten einer Res­sort­for­schungs­be­hör­de,
    ein ande­res The­ma zu ver­fol­gen oder
    ande­re Metho­den zu wäh­len, nicht in ers­ter Linie um ein
    Wei­lert · Res­sort­for­schung 1 5 7
    53 von Münch/Mager, Staats­recht I, 9. Aufl. 2021, Rn. 512.; Mager,
    Ein­rich­tungs­ga­ran­tien, 2003, S. 358, 362.
    54 Die Kom­ple­xi­tät der recht­li­chen Situa­ti­on im Hin­blick auf den
    ein­zel­nen Res­sort­for­scher kann hier nicht abge­bil­det wer­den,
    inso­fern wird auf Wei­lert Fn. 1, S. 258 ff. ver­wie­sen.
    55 Für wei­te­re Ein­zel­hei­ten sie­he Wei­lert Fn. 1, S. 266 ff.
    56 EuGH, Rs. 35/72 (Kley/Kommission), Urt. v. 27. Juni 1973, Slg. 1973,
    679.
    57 GA Trabuc­chi­ni, Schluss­antr. Rs. 35/72, Slg. 1973, 679 (702).
    58 Aus­führ­lich Wei­lert Fn. 1, S. 566 ff., ins­bes. 568 ff.; sie­he auch
    Thie­le, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Hdb. der Euro­päi­schen
    Grund­rech­te, 2. Aufl. 2020, § 30 Rn. 29.
    59 Vgl. zu den unter­schied­li­chen Rechts tra­di­tio­nen sub­jek­tiv ein­klag­ba­rer
    Rech­te und objek­tiv­recht­li­cher Kon­zep­te: Kadel­bach,
    Euro­pean Admi­nis tra­ti­ve Law and the Law of a Euro­pea­ni­zed
    Admi­nis tra­ti­on, in: Joerges/Dehousse (Hrsg.), Good Gover­nan­ce
    in Europe´s Inte­gra­ted Mar­ket, 2007, S. 167 (186 f.).
    frei­heits­recht­li­ches Begeh­ren, son­dern ein leis­tungs­recht­li­ches
    han­delt. Es geht zunächst nur um einen bestimm­ten
    Dienst­auf­trag, der außer­halb des For­schungs­kon­tex­tes
    auch weit­ge­hend unpro­ble­ma­tisch wäre. Hei­kel
    ist hier nicht der Dienst­auf­trag selbst, son­dern die
    Cau­sa der unzu­läs­si­gen Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung. Um das
    Ver­bot die­ser Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung zu effek­tu­ie­ren
    soll­te ver­gleich­bar der „im Inter­es­se der Funk­ti­ons­fä­hig­keit
    des Berufsbeamtentums“53 im Ein­zel­fall mög­li­chen
    sub­jek­tiv­recht­li­chen Durch­set­zung „her­ge­brach­ter
    Grund­sät­ze des Berufs­be­am­ten­tums“, auch hier ein pro­zes­sua­ler
    Weg nicht gänz­lich ver­sperrt blei­ben. Es
    scheint dabei aus­rei­chend und ange­mes­sen, die­se Effek­tu­ie­rungs­funk­ti­on
    auf die lei­ten­den For­scher der Ein­rich­tungs­lei­tung
    zu begrenzen.54
    Ob den Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen selbst ein
    sub­jek­ti­ves Recht zukommt, ist in Abhän­gig­keit von ihrer
    Orga­ni­sa­ti­ons­form zu bestim­men. Den – so der Nor­mal­fall
    – als nicht­rechts­fä­hi­gen Anstal­ten des öffent­li­chen
    Rechts orga­ni­sier­ten Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    in Form von Bun­des­ober­be­hör­den kommt kein
    Recht auf Ein­for­de­rung der For­schungs­frei­heit zu. Auch
    die weni­gen (teil-)rechtsfähigen Anstal­ten des öffent­li­chen
    Rechts kön­nen sich nicht auf ein Indi­vi­du­al­recht
    beru­fen, da sie sich nicht in einer hier­für erfor­der­li­chen
    grund­rechts­ty­pi­schen Gefähr­dungs­la­ge befinden.55
    Dar­über hin­aus bleibt es allen Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    unbe­nom­men, auf poli­ti­schem Wege die
    über das Rechts­staats­prin­zip in Ver­bin­dung mit den objek­tiv­recht­li­chen
    Gehal­ten der Wis­sen­schafts­frei­heit gel­ten­den
    Anfor­de­run­gen an die Aus­ge­stal­tung der Res­sort­for­schung
    ein­zu­for­dern.
    Schließ­lich ist anzu­mer­ken, dass auf­grund der zen­tra­len
    Bedeu­tung der frei­en For­schung für eine Gesell­schaft
    aus dem objek­tiv­recht­li­chen Gehalt der Wis­sen­schafts­frei­heit
    auch eine Sub­si­dia­ri­tät der Staats­for­schung
    abzu­lei­ten ist. Insti­tu­tio­na­li­sier­te Res­sort­for­schung
    ist damit nur legi­tim, wenn sie zur minis­te­ri­el­len
    Auf­ga­ben­er­fül­lung im wei­te­ren Sin­ne not­wen­dig und
    erfor­der­lich ist, mit­hin kei­ne ande­ren gleich effek­ti­ven
    Mög­lich­kei­ten für die Minis­te­ri­al­ver­wal­tung zur Ver­fü­gung
    ste­hen.
  19. Ver­bot der Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung auf der Ebe­ne der
    Euro­päi­schen Uni­on
    Die Eru­ie­rung der Wis­sen­schafts­frei­heit unio­na­ler Res­sort­for­schung
    wirft ähn­li­che Fra­gen auf wie die bereits
    im grund­recht­li­chen Kon­text erör­ter­ten, hat aber zu
    beach­ten, dass eine unre­flek­tier­te Gleich­stel­lung von
    Grund­rechts­dog­ma­tik und Uni­ons­grund­rechts­sys­te­ma­tik
    die Eigen­stän­dig­keit der Uni­ons­rechts­ord­nung negie­ren
    wür­de. Die Euro­päi­sche Uni­on ist bei Aus­übung
    ihrer Kom­pe­ten­zen an die Wis­sen­schafts­frei­heit nach
    Art. 13 GRCh gebun­den, die Teil des Pri­mär­rechts ist.
    Die ein­zig rele­van­te Judi­ka­tur im Fall Kley umgeht die
    Klä­rung der For­schungs­frei­heit inner­halb der hier als
    Res­sort­for­schungs­ein­rich­tung ein­ge­ord­ne­ten Gemein­sa­men
    Forschungsstelle.56 In der Sache ging es um die
    Ver­än­de­rung der Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tur und dadurch
    beding­te Neu­aus­rich­tung der Arbeit des Klä­gers weg
    von einer for­schungs­aus­ge­rich­te­ten Tätig­keit in der
    expe­ri­men­tel­len Phy­sik hin zu einer mit vie­len Ver­wal­tungs­auf­ga­ben
    ver­bun­de­nen Ver­ant­wor­tung für den
    Reak­tor Ispra I. Der EuGH umging jeg­li­che Aus­füh­run­gen
    zur Wis­sen­schafts­frei­heit. Der Gene­ral­an­walt führ­te
    aus: „Die Frei­heit der Wis­sen­schaft schließt nicht aus,
    daß dem Wis­sen­schaft­ler auch auf orga­ni­sa­to­ri­schem
    Gebiet Auf­ga­ben gestellt sind. Eura­tom ist auch eine
    recht­li­che Orga­ni­sa­ti­on mit ihren prak­ti­schen und funk­tio­nel­len
    Erfor­der­nis­sen, aus denen sich zwangs­läu­fig
    Ein­schrän­kun­gen für die Frei­heit der wis­sen­schaft­li­chen
    Beam­ten in der Wahl ihrer jewei­li­gen Tätig­keit und für
    das Inter­es­se ihrer per­sön­li­chen For­schun­gen erge­ben
    müs­sen. Ihre Arbeits­stät­ten sind kei­ne Aka­de­mien und
    haben auch nicht die rei­ne For­schung zum Gegen­stand,
    wie es viel­leicht in einem Uni­ver­si­täts­la­bo­ra­to­ri­um
    denk­bar ist.“57 Die Aus­füh­run­gen des Gene­ral­an­wal­tes
    sind selbst kei­ne dog­ma­ti­schen Klä­run­gen, son­dern deu­ten
    nur auf dog­ma­tisch noch zu durch­drin­gen­de Pro­blem­la­gen
    hin.
    Es kann jedoch davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass
    Res­sort­for­schung unter den For­schungs­be­griff des
    Art. 13 GRCh fällt.58 Da die Rech­te der Grund­rech­te-
    Char­ta nicht mit­tels eines Indi­vi­du­al­be­schwer­de­ver­fah­rens
    sub­jek­tiv­recht­lich ein­klag­bar sind,59 liegt es nahe,
    1 5 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 4 7 — 1 6 0
    60 Berns­dorff, in: Mey­er (Hrsg.), Char­ta der Grund­rech­te der Euro­päi­schen
    Uni­on, 5. Aufl. 2019, Art. 13 Rn. 5; Say­ers, in: Peers et
    al. (Hrsg.), The Char­ter of Fun­da­men­tal Rights, A Com­men­ta­ry,
    2014, Art. 13 Rn. 13.40; Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/AEUV,
  20. Aufl. 2018, Art. 13 GRCh Rn. 3. Zieht man die Ver­fas­sungs­bes
    tim­mun­gen der ein­zel­nen Mit­glieds taa­ten als Aus­le­gungs­hil­fe
    her­an, so ergibt sich eben­falls kein ein­heit­li­ches Bild: In man­chen
    Mit­glieds taa­ten is t die Wis­sen­schafts­frei­heit ver­fas­sungs­recht­lich
    als sub­jek­ti­ves Abwehr­recht ver­bürgt, in ande­ren nur ein­fach­ge­setz­lich,
    in wie­der ande­ren wird kein sol­ches sub­jek­ti­ves Recht
    gewährt (sie­he Pel­zer, Die Kom­pe­ten­zen der EG im Bereich For­schung,
    2004, S. 155 f., sowie zuvor bereits Groß, Die Auto­no­mie
    der Wis­sen­schaft im euro­päi­schen Rechts­ver­gleich, 1992, S. 36 ff.).
    61 Ruf­fert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022,
    Art. 13 EU-GRCh Rn. 7, unter Bezug­nah­me auf BVerfGE 35, 79
    (113) ‒ Hoch­schul­ur­teil.
    62 Ruf­fert Fn. 61, Art. 13 EU-GRCh Rn. 7.
    63 Näher Wei­lert Fn. 1, S. 572 ff.
    64 So hat der EuGH die Grund­sät­ze des Ver­trau­ens­schut­zes, des
    Rück­wir­kungs­ver­bots, der Rechts­si­cher­heit, des Bes timmt­heits­grund­sat­zes,
    der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit und einer Rechts­schutz­ga­ran­tie
    ent­wi­ckelt; sie­he Cal­liess Fn. 32, Art. 2 EUV Rn. 26
    sowie Pechs tein, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018,
    Art. 2 EUV Rn. 6, jeweils mit Nach­wei­sen aus der R s pr.; Ana­ly­se
    der Rs pr. bei Clas­sen, Rechtss taat­lich­keit als Pri­mär­rechts­ge­bot
    in der Euro­päi­schen Uni­on ‒ Ver­trags­recht­li­che Grund­la­gen und
    Rechts pre­chung der Gemein­schafts­ge­rich­te, EuR 2008, Bei­heft 3,
    S. (18 ff.).
    65 Vgl. auch A. Weber, Euro­päi­sche Ver­fas­sungs­ver­glei­chung, 2010,
    S. 145.
    66 Mit­tei­lung der Kom­mis­si­on, Ein neu­er EU-Rah­men zur Stär­kung
    des Rechtss taats prin­zips, COM/2014/158 final, S. 4 sowie ähn­lich
    im Anhang I (Das Rechtss taats prin­zip als tra­gen­des Prin­zip der
    Uni­on), S. 4; sie­he auch von Dan­witz, The Rule of Law in the Recent
    Juris pru­dence of the ECJ, Ford­ham Inter­na­tio­nal Law Jour­nal
    2014, S. 1310 (1346); Schmahl, Rechtss taat­lich­keit, in: Schulze/
    Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Euro­pa­recht. Hdb. für die deut­sche
    Rechts pra­xis, 4. Aufl. 2020, § 6 Rn. 4 u. Rn. 20 ff.
    ihre Wir­kungs­kraft zu ver­stär­ken, indem die Idee objek­tiv­recht­li­cher
    Gehal­te im Sin­ne von „Rechts­prin­zi­pi­en“
    bzw. „Rechts­grund­sät­zen“ auch auf Uni­ons­ebe­ne ver­folgt
    wird; dies gilt umso mehr als der EuGH ursprüng­lich
    die Grund­rechts­gel­tung über die all­ge­mei­nen
    Grund­sät­ze in das Uni­ons­recht ein­ge­bracht hat (vgl. die
    Wei­ter­gel­tung in Art. 6 Abs. 3 EUV) und über­dies umstrit­ten
    ist, ob Art. 13 GRCh ein sub­jek­ti­ves Recht ver­bürgt.
    60 Noch ist das Uni­ons­recht im Hin­blick auf die
    Dog­ma­tik der Char­ta-Grund­rech­te und die Fra­ge einer
    objek­tiv­recht­li­chen Grund­rechts­gel­tung nicht aus­ge­reift.
    Ruf­fert betont unter Bezug auf das Hoch­schul­ur­teil des
    BVerfG von 1973, dass die „Schlüs­sel­funk­ti­on frei­er Wis­sen­schaft
    für die gesell­schaft­li­che Ent­wick­lung“ auch für
    die Euro­päi­sche Uni­on gelte.61 Er unter­streicht, dass For­schung
    für das Gemein­we­sen not­wen­dig sei, aber nur
    freie For­schung die­sen Zweck erfül­len kann.62 Es las­sen
    sich mit­hin gute Grün­de aus­ma­chen, auch den Uni­ons­grund­rech­ten
    durch Zuer­ken­nung eines objek­tiv­recht­li­chen
    Gehalts zu grö­ße­rer Wirk­sam­keit zu ver­hel­fen. Jeden­falls
    bedarf auch die unio­na­le Res­sort­for­schung eines
    Min­dest­ma­ßes an Frei­heit, um ihrer Funk­ti­on gerecht
    zu wer­den.
    Neben einer im Kern aus dem Gebot der Wis­sen­schafts­frei­heit
    gel­ten­den Frei­heit­lich­keit der Res­sort­for­schung
    kann auch aus dem unio­na­len Rechts­staats­prin­zip
    das Ver­bot einer Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung abge­lei­tet
    werden.63 Auch hier dür­fen die Gehal­te des deut­schen
    Rechts­staats­prin­zips jedoch nicht unbe­se­hen auf das
    unio­na­le über­tra­gen wer­den, zumal die Euro­päi­sche
    Uni­on als supra­na­tio­na­le Orga­ni­sa­ti­on auch ande­ren
    Kon­sti­tu­ti­ons­be­din­gun­gen und Anfor­de­run­gen unter­liegt
    als der deut­sche Bun­des­staat. Wel­che Ele­men­te das
    Rechts­staats­prin­zip im Ein­zel­nen umfasst, ist durch den
    EuGH erst teil­wei­se ent­wi­ckelt wor­den und vom Gerichts­hof
    nicht immer in kla­re Zuord­nung zum Rechts­staats­prin­zip
    gestellt worden.64 Schon bei einem rein for­ma­len
    Ver­ständ­nis des Rechts­staats­prin­zip, aus dem sich
    die Ver­fas­sungs- und Geset­zes­bin­dung ablei­ten lässt,
    wür­de die Befol­gung der Grund­rech­te­char­ta und der in
    ihr ver­bürg­ten Wis­sen­schafts­frei­heit verstärkt.65 Das
    unio­na­le Rechts­staats­prin­zip umfasst aber dar­über hin­aus
    als Gegen­kon­zept zur Will­kür auch Ratio­na­li­täts­an­for­de­run­gen
    an das Recht. In die­se Rich­tung weist auch
    das Recht auf eine neu­tra­le, unpar­tei­ische und gerech­te
    Ver­wal­tung (Art. 41 Abs. 1 GRCh), das nur zu ver­wirk­li­chen
    ist, wenn Ent­schei­dun­gen rück­ge­bun­den an das zur
    Ver­fü­gung ste­hen­de Wis­sen getrof­fen wer­den und Exper­ten
    nicht von Fremd­in­ter­es­sen gelei­tet wer­den. Aner­kannt
    als Teil des uni­ons­recht­li­chen Rechts­staats­prin­zips
    ist wei­ter­hin das Recht­mä­ßig­keits­prin­zip, das einen
    „trans­pa­ren­ten, rechen­schafts­pflich­ti­gen, demo­kra­ti­schen
    und plu­ra­lis­ti­schen Gesetz­ge­bungs­pro­zess impli­ziert“.
    66 Teil eines trans­pa­ren­ten Ver­fah­rens ist es, dass
    ersicht­lich wird, auf wel­cher Grund­la­ge wel­ches Exper­ten­wis­sen
    ein­ge­bracht wird. Mit dem vor­ste­hend skiz­zier­ten
    Gehalt kann also auch aus dem unio­na­len Rechts­staats­prin­zip
    ein Ver­bot der Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung abge­lei­tet
    wer­den.
    V. Beur­tei­lungs­spiel­raum (ressort-)forschungsgestützter
    Ent­schei­dun­gen
    Eine spe­zi­fi­sche Fra­ge im Rah­men der Span­nung von
    Koope­ra­ti­on und Tren­nung zwi­schen Wis­sen­schaft und
    Ent­schei­dung betrifft den Beur­tei­lungs­spiel­raum (res­Wei­lert
    · Res­sort­for­schung 1 5 9
    67 Vgl. zu die­ser Pro­ble­ma­tik auch Gärditz/Linzbach, Gesund­heits­wis­sen
    aus Behör­den­hand, 2022, S. 155 ff.
    68 Aus­führ­li­che Nach­wei­se bei Wei­lert Fn. 1, S. 368 ff.
    69 Bachof ent­wi­ckel­te 1955 die Leh­re vom „Beur­tei­lungss piel­raum“
    (Bachof, Beur­tei­lungss piel­raum, Ermes­sen und unbes timm­ter
    Rechts­be­griff im Ver­wal­tungs­recht, JZ 1955, S. 97 ff.). Ihm folg­ten
    vie­le Stim­men in der Lite­ra­tur, teils mit eige­nen Akzen­ten (vgl.
    „Ver­tret­bar­keits­leh­re“ nach Ule, Rechtss taat und Ver­wal­tung,
    Ver­w­Arch 76 [1985], S. 1 [9 ff.]); aus­führ­li­che Nach­wei­se: Wei­lert
    Fn. 1, S. 367 (dort Anmer­kung 396); ein­ge­hend für den Bereich des
    Arz­nei­mit­tel­rechts: Di Fabio, Risi­koent­schei­dun­gen im Rechtss
    taat, 1994, S. 265 ff.
    70 Vgl. Klaf­ki, Risi­ko und Recht, 2017, S. 79; Hoff­mann-Riem, Inno­va­ti­on
    und Recht – Recht und Inno­va­ti­on, 2016, S. 357.
    71 In die­se Rich­tung ten­die­rend Jae­ckel, Gefah­ren­ab­wehr­recht und
    Risi­ko­dog­ma­tik, 2010, S. 217 ff.
    72 BVerfGE 149, 407 (415, Rn. 23) – Rot­mi­lan.
    73 BVerfGE ebd.
    74 BVerfGE ebd.
    75 Eich­ber­ger, Gericht­li­che Kon­troll­dich­te, natur­schutz­fach­li­che Ein­schät­zungs
    prä­ro­ga­ti­ve und Gren­zen wis­sen­schaft­li­cher Erkennt­nis,
    NVwZ 2019, 1560 (1563 f.).
    76 Aus­führ­lich mit wei­te­ren Nach­wei­sen Wei­lert Fn. 1, S. 374 ff.
    77 VGH Baden-Würt­tem­berg, Beschluss v. 29. Apr. 2021 – 1 S 1204/21
    –, Rn. 79 ff.; VGH Baden-Würt­tem­berg, Beschluss v. 12. Aug.
    2021 – 1 S 2315/21 –, Rn. 41 ff. (Gericht prüft hier nur kur­so­risch,
    auf wel­che Grund­la­gen sich das Robert Koch-Ins titut ges tützt hat
    und betont aber­mals die beson­de­re Beru­fung des Ins tituts nach
    § 4 Abs. 1 S. 1 IfSG).
    sort-)forschungsgestützter Ent­schei­dun­gen. Beur­tei­lungs­spiel­räu­me
    sind dabei – klas­sisch – unmit­tel­bar
    aber auch mit­tel­bar (ent­schei­dungs­vor­be­rei­tend) denk­bar.
    67
    Die Recht­spre­chung hat einen Beur­tei­lungs­spiel­raum
    der Ver­wal­tung bei der Bewer­tung von kom­ple­xen
    und dyna­mi­schen Berei­chen (Pro­gno­se­ent­schei­dun­gen
    und Risi­ko­be­wer­tun­gen) zur Aus­fül­lung unbe­stimm­ter
    Rechts­be­grif­fe unter Ver­weis auf die enge­re Sach­nä­he
    der Ver­wal­tung und die Funk­ti­ons­gren­zen der Recht­spre­chung
    anerkannt.68 Dabei folgt das Gericht der nor­ma­ti­ven
    Ermäch­ti­gungs­leh­re, wonach der Beur­tei­lungs­spiel­raum
    „nor­ma­tiv ange­legt“ sein müs­se. Im Hin­ter­grund
    ste­hen zwei ver­schie­de­ne Argu­men­ta­ti­ons­li­ni­en,
    näm­lich einer­seits die Funk­ti­ons­gren­ze der Recht­spre­chung
    und ande­rer­seits die höhe­re Sach­nä­he der Exe­ku­ti­ve.
    Das Schrift­tum hat die Leh­re vom Beur­tei­lungs­spiel­raum
    wei­ter aus­dif­fe­ren­ziert und sich teil­wei­se
    groß­zü­gi­ger in der Annah­me ver­wal­tungs­recht­li­cher
    Beur­tei­lungs­spiel­räu­me gezeigt.69 Argu­men­ta­tiv wird
    teils ein aus­ba­lan­cier­tes Ver­ständ­nis der Gewal­ten­tei­lung
    bemüht70 oder eher prag­ma­tisch auf eine sach­nä­he­re
    und damit „bes­se­re“ Ent­schei­dung durch die Behör­de
    abgestellt71.
    Mit dem Rot­mi­lan-Beschluss (Okto­ber 2018) hat das
    BVerfG neben dem Beur­tei­lungs­spiel­raum eine wei­te­re
    Kate­go­rie ein­ge­schränkt gericht­li­cher Über­prü­fun­gen
    gebil­det, näm­lich die der außer­recht­li­chen Erkennt­nis­de­fi­zi­te.
    72 Es han­de­le sich bei objek­ti­ven Erkennt­nis­gren­zen
    um eine Situa­ti­on, in der es „am Maß­stab zur siche­ren
    Unter­schei­dung von rich­tig und falsch“ fehle.73 Die­se
    „fak­ti­sche Gren­ze ver­wal­tungs­ge­richt­li­cher Kon­trol­le“
    sei kei­ne „gewill­kür­te Ver­schie­bung der Ent­schei­dungs­zu­stän­dig­keit“
    74 und daher vom Beur­tei­lungs­spiel­raum
    zu unter­schei­den. Die Kon­trol­le des Gerichts redu­zie­re
    sich hier auf eine Ver­tret­bar­keits­kon­trol­le, d.h. ob die
    Behör­de ver­tret­ba­re fach­li­che Maß­stä­be und Metho­den
    her­an­ge­zo­gen habe. Wäh­rend es hier also um den Fall
    wis­sen­schaft­lich nicht auf­klär­ba­rer Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen
    geht, kön­ne sich ein Beur­tei­lungs­spiel­raum nur auf
    nor­ma­ti­ve Bewer­tun­gen bezie­hen, etwa dar­auf, ob eine
    Risi­ko­er­hö­hung „signi­fi­kant“ ist.75
    Bis­lang fehlt in der Recht­spre­chung eine kla­re Aus­ein­an­der­set­zung
    über die Maß­stä­be eines Beur­tei­lungs­spiel­raums
    bei fach­lich beson­ders aus­ge­wie­se­nen (Res­sort­for­schungs-)
    Behörden.76 Nur punk­tu­ell las­sen sich
    Hin­wei­se auf die beson­de­re Sach­kom­pe­tenz im Ver­gleich
    zur sons­ti­gen Exe­ku­ti­ve aus­ma­chen. Im Rah­men
    der Coro­na-Recht­spre­chung fin­den sich immer­hin Hin­wei­se
    auf die Aner­ken­nung der ent­schei­dungs­vor­be­rei­ten­den
    beson­de­ren Sach­kun­de von Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen.
    Hier geht es um die gericht­li­che Über­prü­fung
    von Maß­nah­men der Exe­ku­ti­ve bzw. des Erlas­ses
    von Rechts­ver­ord­nun­gen nach dem
    Infek­ti­ons­schutz­ge­setz, bei denen die Exe­ku­ti­ve ihrer
    Hand­lung die Ein­schät­zung etwa des Robert Koch-Insti­tuts
    zugrun­de gelegt hat­te. So befand der VGH Baden-
    Würt­tem­berg, dass der Beur­tei­lungs­spiel­raum des Ver­ord­nungs­ge­bers
    nicht über­schrit­ten sei, wenn er sich auf
    die Ein­schät­zung des Robert Koch-Insti­tuts, wel­ches
    „gemäß § 4 IfSG unter ande­rem zur früh­zei­ti­gen Erken­nung
    und Ver­hin­de­rung der Wei­ter­ver­brei­tung von Infek­tio­nen
    und dahin­ge­hen­der Ana­ly­sen und For­schun­gen“
    beru­fen sei, gestützt hat und kei­ne wis­sen­schaft­li­chen
    Erkennt­nis­se vor­lie­gen, die es „recht­fer­ti­gen wür­den“,
    von die­ser Ein­schät­zung abzuweichen.77 Im
    Ergeb­nis wur­de der Exe­ku­ti­ve ein Beur­tei­lungs­spiel­raum
    ein­ge­räumt, den die­se legi­tim durch die Über­nah­me
    der Ein­schät­zung einer Res­sort­for­schungs­be­hör­de
    aus­fül­len durf­te. Der hier grund­ge­leg­te Gedan­ke der beson­de­ren
    Sach­kom­pe­tenz von Res­sort­for­schungs­be­hör­den
    ist als Ele­ment der Leh­re vom Beur­tei­lungs­spiel­raum
    wei­ter aus­zu­bau­en. Die Zuer­ken­nung eines Beur­tei­lungs­spiel­raums
    kann sich nicht allein an pau­scha­lier­ten
    Annah­men über eine sach­nä­he­re Ver­wal­tung
    fest­ma­chen, son­dern hat die Beson­der­hei­ten der ent­schei­den­den
    Behör­de zu wür­di­gen. Zeich­net sich die Behör­de
    auf­grund ihres (gesetz­li­chen) Auf­trags und ihrer
    1 6 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 4 7 — 1 6 0
    78 Vgl. hier auch Gärditz/Linzbach Fn. 67, S. 97 ff.
    Struk­tur, wie dies für die Res­sort­for­schungs­be­hör­den
    gilt, durch eine beson­de­re Kom­pe­tenz zur Risi­ko­be­wer­tung
    und Pro­gno­se­ein­schät­zung aus, hat sich dies in der
    Bewer­tung der Dich­te der gericht­li­chen Über­prü­fung
    abzu­bil­den. Damit hängt der Beur­tei­lungs­spiel­raum
    nicht nur von der tat­be­stand­li­chen Fas­sung der Norm
    (Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge bzw. Befug­nis­norm) ab, son­dern
    auch von der jewei­li­gen Behör­den­kom­pe­tenz, die
    (soweit es hier­über kei­ne gesetz­li­chen Fest­le­gun­gen in
    Form von Beur­tei­lungs­spiel­räu­men gibt) durch das Gericht
    fest­zu­stel­len ist. Eine gericht­li­che Kon­trol­le von Beur­tei­lungs­feh­lern
    bleibt bei alle­dem unan­ge­tas­tet.
    Frucht­bar gemacht wer­den kann hier auch die „Plau­si­bi­li­täts­prü­fung“
    bei außer­recht­li­chen Erkennt­nis­de­fi­zi­ten
    (Rot­mi­lan-Beschluss), die bei objek­ti­ven Erkennt­nis­gren­zen
    die behörd­li­che Ein­schät­zung nur auf ihre Ver­tret­bar­keit
    hin prü­fen lässt und sie nicht ein­fach durch
    eine ande­re (gericht­li­che) Ent­schei­dung ersetzt, die ihrer­seits
    auf einer bei­gezo­ge­nen (und nicht über alle
    Zwei­fel erha­be­nen) Exper­ti­se beruht. Als Hybrid­form
    zwi­schen Wis­sen­schaft und Ver­wal­tung ist die wis­sen­schaft­li­che
    Ein­schät­zung der Res­sort­for­schungs­be­hör­de
    im Gegen­satz zu einem rei­nen Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten
    demo­kra­tisch legi­ti­miert, was ins­be­son­de­re dann ins
    Gewicht fällt, wenn es um Fra­gen geht, die wis­sen­schaft­lich
    nicht ein­deu­tig zu beant­wor­ten sind. Eine Ent­schei­dung
    nur durch eine ande­re zu erset­zen, ohne dass es
    hin­rei­chen­de Grün­de dafür gibt, dass die erset­zen­de
    Ent­schei­dung „rich­ti­ger“ oder demo­kra­tisch legi­ti­mier­ter
    bzw. rechts­staat­lich gebo­te­ner ist als die ersetz­te, wäre
    kein Gebot rechts­staat­li­cher Kon­trol­le, son­dern
    will­kür­lich.
    Mit einer sol­chen Rechts­ent­wick­lung nähert sich das
    deut­sche Recht dem Uni­ons­recht an, inner­halb des­sen
    ein Beur­tei­lungs­spiel­raum bezüg­lich von Nor­men, die
    zu einer kom­ple­xen, wis­sen­schaft­lich-tech­ni­schen Ein­schät­zung
    Anlass geben, weit­rei­chend aner­kannt ist. Die
    gericht­li­che Prü­fung erstreckt sich hier ledig­lich auf for­ma­le
    Kri­te­ri­en und Schlüs­sig­keit. Auch hier lie­ße sich aller­dings
    die Dog­ma­tik wei­ter­ent­wi­ckeln, indem der Beur­tei­lungs­spiel­raum
    auch davon abhän­gig gemacht wird,
    wie die Exper­ti­se zustan­de gekom­men ist. Wur­den im
    Rah­men der Ver­bund­res­sort­for­schung wis­sen­schaft­li­che
    Behör­den der Mit­glied­staa­ten ein­ge­bun­den, so begrün­det
    sich in dem wis­sen­schaft­li­chen Kon­sens der Mit­glied­staa­ten
    nicht nur eine erhöh­te fach­li­che Exper­ti­se,
    son­dern auch eine gewis­se demo­kra­ti­sche Legi­ti­ma­ti­on.
    VI. Aus­blick
    An die­ser Stel­le konn­ten nur eini­ge gro­be Pflö­cke zur
    Dar­stel­lung und recht­li­chen Ana­ly­se der Res­sort­for­schung
    als insti­tu­tio­na­li­sier­ter Ratio­na­li­tät im poli­tisch­gu­ber­na­ti­ven
    Gefü­ge der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land
    und der Euro­päi­schen Uni­on ein­ge­schla­gen wer­den. Die
    Hete­ro­ge­ni­tät der ein­zel­nen deut­schen Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    und die ver­schie­de­nen Res­sort­kul­tu­ren,
    in denen sie ver­or­tet sind, ihre jewei­li­ge his­to­ri­sche
    Grün­dungs­ge­schich­te und die Span­nung zwi­schen
    einer Ein­ge­bun­den­heit in eine Minis­te­ri­al­ver­wal­tung
    bei gleich­zei­ti­gem Aner­kennt­nis eines For­schungs­frei­raums,
    füh­ren zu einer Rei­he an juris­tisch-dog­ma­ti­schen
    Pro­ble­men, die auch in Zukunft noch wei­ter – und
    zuneh­mend auf euro­päi­scher Ebe­ne – zu ven­ti­lie­ren
    sind. Es zeigt sich, dass ein rei­nes Tren­nungs­mo­dell zwi­schen
    Wis­sen­schaft und poli­ti­scher Ent­schei­dung nicht
    der deut­schen Res­sort­for­schungs­pra­xis ent­spricht und
    auch auf euro­päi­scher Ebe­ne nicht in Rein­form vor­find­lich
    ist.78 So sind die Fra­gen zum Zusam­men­spiel und
    der Tren­nung zwi­schen Risi­ko­be­wer­tung und Risi­ko­ma­nage­ment,
    die natio­nal und uni­ons­recht­lich durch­aus
    unter­schied­lich bewer­tet wer­den, in Zukunft immer
    wie­der neu zu jus­tie­ren. Auch wird man die direk­ten
    und indi­rek­ten Ent­schei­dungs­spiel­räu­me wis­sen­schaft­li­cher
    Behör­den dog­ma­tisch noch wei­ter anhand der
    künf­ti­gen Recht­spre­chung auf die­sem Gebiet zu klä­ren
    haben und hier­für auch in nähe­re Ver­net­zung zur uni­ons­recht­li­chen
    Ent­wick­lung tre­ten müs­sen. Die Coro­na-
    Pan­de­mie hat die dies­be­züg­li­che Rechts­ent­wick­lung
    her­aus­ge­for­dert und beschleu­nigt und es wird sich zei­gen,
    wel­che wei­te­ren (rechts-)politischen Kon­se­quen­zen
    hier­aus für die Res­sort­for­schung auf deut­scher und
    euro­päi­scher Ebe­ne gezo­gen wer­den.
    Priv.-Doz. Dr. A. Kata­ri­na Wei­lert ist wis­sen­schaft­li­che
    Refe­ren­tin an der For­schungs­stät­te der Ev. Stu­di­en­ge­mein­schaft
    e.V. — Insti­tut für inter­dis­zi­pli­nä­re For­schung.
    Sie lehrt als Pri­vat­do­zen­tin an der Ruprecht-
    Karls-Uni­ver­si­tät Hei­del­berg mit einer Venia Legen­di
    für die Fächer Öffent­li­ches Recht, Gesund­heits­recht,
    Völ­ker- und Euro­pa­recht.
    I. Ein­lei­tung
    Seit dem Beschluss des BAG vom 13.9.20221, mit dem das Gericht den Stand­punkt ein­ge­nom­men hat, Arbeit­ge­ber sei­en ver­pflich­tet, ein Sys­tem ein­zu­füh­ren, das Beginn und Ende der täg­li­chen Arbeits­zeit ihrer Arbeit­neh­mer erfasst, ist über die wei­te­ren Kon­se­quen­zen die­ser Ent­schei­dung viel dis­ku­tiert worden.2 Klar­heit besteht dar­über, dass sich die Pflicht zur Arbeits­zeit­er­fas­sung nicht nur auf den pri­vat­wirt­schaft­li­chen Bereich beschränkt, auch öffent­lich-recht­li­che Arbeit­ge­ber sind davon betrof­fen, da auch dort neben Beam­ten Arbeit­neh­mer beschäf­tigt wer­den.
    Cas­pers hat sich in der Vor­aus­aus­ga­be mit der Fra­ge befasst, wel­che Aus­wir­kun­gen der Beschluss des BAG für die Arbeits­zeit­er­fas­sung an Hoch­schu­len hat.3 Über­zeu­gend wur­de hier dar­ge­legt, dass sich die Zeit­er­fas­sungs­pflicht auf die (nicht­pro­fes­so­ra­len) wis­sen­schaft­li­chen und nicht­wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter erstreckt, die Arbeits­zeit­er­fas­sung dem­ge­gen­über aber nicht für die an den Hoch­schu­len täti­gen Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren gilt. Soweit die­se in einem Beam­ten­ver­hält­nis ste­hen, gel­ten ohne­hin weder die Bestim­mun­gen des Arbeits­schutz- noch des Arbeitszeitgesetzes4. Beam­te­te Pro­fes­so­ren sind nach den ein­schlä­gi­gen Bestim­mun­gen der Hoch­schul­ge­set­ze der Länder5 von den Arbeits­zeit­be­stim­mun­gen der Lan­des­be­am­ten­ge­set­ze aus­ge­nom­men, z.T. fin­den sich der­ar­ti­ge Rege­lun­gen auch in den Beam­ten­ge­set­zen der Länder.6 Soweit Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren in pri­vat­recht­li­chen Anstel­lungs­ver­hält­nis­sen tätig sind, sind sie eben­falls von den Arbeits­zeit­be­stim­mun­gen aus­ge­nom­men. Wenn etwa § 45 Abs. 2 S. 2 LHG BW bestimmt, dass die Vor­schrif­ten über die Arbeits­zeit auf „Hoch­schul­leh­rer“ nicht anzu­wen­den sind, meint er damit auch die nicht beam­te­ten Hoch­schul­leh­rer und nutzt für die­se die Ermäch­ti­gung in § 19 ArbZG.7
    Der Bei­trag von Cas­pers kon­zen­triert sich auf Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren, die an den staat­li­chen, dem­nach öffent­lich-recht­lich ver­fass­ten, Hoch­schu­len tätig sind. Ob die hier­zu ver­tre­te­ne Auf­fas­sung auch für die an pri­va­ten Hoch­schu­len täti­gen Hoch­schul­leh­rer gilt, wird nicht expli­zit unter­sucht. Die­ser Fra­ge nach­zu­ge­hen, ist Auf­ga­be die­ses Bei­trags. Zum Zeit­punkt des Erschei­nens der letz­ten OdW-Aus­ga­be, die den Bei­trag von Cas­pers ent­hält, lag auch der Refe­ren­ten­ent­wurf (RefE) des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Arbeit und Sozia­les vom 27.3.2023 noch nicht vor. Wel­che Aus­wir­kun­gen die­ser für die Erfas­sungs­pflicht der Arbeits­zei­ten von an Pri­vat­hoch­schu­len täti­gen Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren hat, wird im Fol­gen­den in den Blick genom­men.
    II. Arbeits­zeit­er­fas­sungs­pflicht gem. § 16 Abs. 2 – 8 ArbZG RefE
  21. All­ge­mei­nes
    Das BAG hat die Zeit­er­fas­sungs­pflicht – durch­aus über­ra­schend – aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG abge­lei­tet. Der Refe­ren­ten­ent­wurf vom 27.3.2023 regelt die The­ma­tik im Arbeits­zeit­ge­setz, wo sie auch hin­ge­hört. Wäh­rend die Ent­schei­dung des BAG vom 13.9.2022 noch offen ließ, wie die Zeit­er­fas­sung, dem­nach deren Moda­li­tä­ten, zu erfol­gen habe, legt die Neu­fas­sung von § 16 Abs. 2 S. 1 gem. des Refe­ren­ten­ent­wurfs fest, dass Arbeit­ge­ber ver­pflich­tet sind, Beginn, Ende und Dau­er der täg­li­chen Arbeits­zeit der Arbeit­neh­mer jeweils am Tag der Arbeits­leis­tung elek­tro­nisch auf­zu­zeich­nen. Die neu hin­zu­ge­füg­ten Absät­ze 3 – 8 ent­hal­ten sodann Spe­zi­fi­ka­tio­nen, wobei Abs. 7 Nr. 3 Aus­nah­men der Auf­zeich­nungs­pflicht für bestimm­te Arbeit­neh­mer zulässt, wenn dies in einem Tarif­ver­trag oder auf Grund eines Tarif­ver­trags in einer Betriebs- oder Dienst­ver­ein­ba­rung zuge­las­sen wird.
    Frank Wert­hei­mer
    Arbeits­zeit­er­fas­sungs­pflicht an pri­va­ten
    Hoch­schu­len – auch für Pro­fes­so­rin­nen und
    Pro­fes­so­ren?
    1 1 ABR 22/21, NZA 2022, 1616
    2 Sie­he z.B. Schulze/Wetzel, AiB 2022, Nr. 11, S. 47; Spitz, juris­PR-ITR 2/2023 Anm. 4; Düwell, juris­PR-ArbR 17/2023 Anm. 1; Thüsing/Bleckmann, BB 2023, 52–54; Fuhlrott/Fischer, ArbR 2023, 1–5.
    3 Cas pers, Arb­zeits­er­fas­sung an Hoch­schu­len – Anmer­kung zum Beschluss des BAG vom 13.9.2022 – 1 ABR 22/21 — , OdW 2023, 99.
    4 AR/Krauss, 10. Aufl. 2021, § 2 ArbZG Rn. 15.
    5 Vgl. etwa § 45 Abs. 2 S. 2 LHG BW; § 60 Abs. 1 S. 1 Bay­HIG oder § 77 Abs. 1 Säch­si­sches HG.
    6 Z.B. § 123 Abs. 1 S. 1 LBG NRW.
    7 Wertheimer/Meißner, in: Hartmer/Detmer, Hoch­schul­recht, 4. Aufl. 2022, Kapi­tel 11, Rn. 72.
    Ord­nung der Wis­sen­schaft 2023, ISSN 2197–9197
    1 6 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 6 1 — 1 6 4
    8 Z.B. BAG v. 5.6.2014, 2 AZR 615/13, NZA 2015, 40; Löwisch/Kaiser/
    Kai­ser, BetrVG (Bd. 1), 7. Aufl. 2017, § 5 Rn. 23 mit zahl­rei­chen
    Nach­wei­sen.
    9 Löwisch/Kaiser/Kaiser, a.a.O., § 5 Rn. 24 mwN.
    10 Vgl. BAG v. 16.4.2002, 1 ABR 23/01, BB 2002, 2387; Löwisch/Kaiser/
    Kai­ser, a.a.O., § 5 Rn. 29 mwN.
    11 Löwisch/Kaiser/Kaiser, a.a.O., § 5 Rn. 29 und 30.
    12 Wertheimer/Meißner, a.a.O., Rn. 78.
    13 S. 14.
  22. Erfass­ter Per­so­nen­kreis
    Wenn § 16 Abs. 2 ArbZG RefE all­ge­mein von der „täg­li­chen
    Arbeits­zeit der Arbeit­neh­mer“ spricht, gilt der
    Arbeit­neh­mer­be­griff in § 2 Abs. 2 ArbZG, d.h. erfasst
    wer­den alle Arbei­ter und Ange­stell­ten sowie die zu ihrer
    Berufs­aus­bil­dung Beschäf­tig­ten. Aus­zu­ge­hen ist damit
    vom all­ge­mei­nen Arbeit­neh­mer­be­griff in
    § 611a Abs. 1 BGB, wonach Arbeit­neh­mer alle Per­so­nen
    sind, die im Diens­te eines ande­ren zur Leis­tung wei­sungs­ge­bun­de­ner,
    fremd­be­stimm­ter Arbeit in per­sön­li­cher
    Abhän­gig­keit ver­pflich­tet sind.
    a) Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren
    Pro­fes­so­ren an pri­va­ten Hoch­schu­len ste­hen regel­mä­ßig
    in einem pri­vat­recht­li­chen Anstel­lungs­ver­hält­nis, wes­halb
    das in den Lan­des­hoch­schul- oder Lan­des­be­am­ten­ge­set­zen
    gere­gel­te Pri­vi­leg für Beam­te, nicht unter das
    Arbeits­zeit­recht zu fal­len, für sie nicht gilt. Auch
    § 19 ArbZG hilft hier nicht wei­ter, weil es an einer hoheit­li­chen
    Tätig­keit im öffent­li­chen Dienst fehlt. Dass sich
    die Tätig­keit von Hoch­schul­leh­rern an pri­va­ten Hoch­schu­len
    inhalt­lich nicht von der Tätig­keit eines Hoch­schul­leh­rers
    an einer staat­li­chen Hoch­schu­le unter­schei­det,
    ändert dar­an nichts.
    Kei­ne Ver­pflich­tung zur Erfas­sung ihrer Arbeits­zeit
    bestün­de, wenn Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren an pri­va­ten
    Hoch­schu­len lei­ten­de Ange­stell­te wären, es wür­de
    dann die Bereichs­aus­nah­me des § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG
    grei­fen. Maß­geb­lich sind für den Begriff des lei­ten­den
    Ange­stell­ten die Defi­ni­tio­nen in § 5 Abs. 3 BetrVG. Ob
    sie erfüllt sind, lässt sich nicht pau­schal beant­wor­ten, es
    bedarf dazu jeweils einer Ein­zel­fall­be­trach­tung. Vor­aus­set­zung
    ist zunächst, dass ein Ange­stell­ter sowohl nach
    sei­nem Arbeits­ver­trag als auch nach sei­ner Stel­lung im
    Unter­neh­men oder Betrieb lei­ten­der Ange­stell­ter ist,
    d.h. er muss einer­seits zu den lei­ten­den Funk­tio­nen nach
    Abs. 3 S. 2 Nr. 1–3 recht­lich befugt sein, ande­rer­seits muss
    er sie auch tat­säch­lich ausüben.8 Schließ­lich muss die
    Aus­übung die­ser Befug­nis­se einen wesent­li­chen Teil sei­ner
    Tätig­keit aus­ma­chen und sei­ne Stel­lung im Unter­neh­men
    oder Betrieb damit prägen.9
    Von den Kate­go­rien des § 5 Abs. 3 BetrVG kommt für
    das pro­fes­so­ra­le Lehr­per­so­nal nur die Nr. 1 in Betracht,
    d.h. Pro­fes­so­ren müss­ten zur selb­stän­di­gen Ein­stel­lung
    und Ent­las­sung von im Betrieb oder in der Betriebs­ab­tei­lung
    beschäf­tig­ten Arbeit­neh­mern berech­tigt sein. An
    pri­va­ten Hoch­schu­len fehlt es – wie auch an den staat­li­chen
    Hoch­schu­len – zumeist schon an der arbeits­ver­trag­li­chen
    Berech­ti­gung, Ent­schei­dun­gen über Ein­stel­lung
    und Ent­las­sung eigen­ver­ant­wort­lich tref­fen zu dür­fen.
    Die­se recht­li­che Befug­nis wird regel­mä­ßig bei der
    Lei­tung der Per­so­nal­ab­tei­lung lie­gen. Pro­fes­so­ren wäh­len
    zwar die in ihren Berei­chen täti­gen wis­sen­schaft­li­chen
    Mit­ar­bei­ter und idR auch die nicht­wis­sen­schaft­li­chen
    Mit­ar­bei­ter selbst aus und geben zudem den maß­geb­li­chen
    Anstoß für eine Kün­di­gung. Die Ent­schei­dung
    selbst sowie der Voll­zug von Ein­stel­lung und Ent­las­sung
    liegt aber im Regel­fall nicht in ihren Hän­den. Selbst
    dann, wenn der mit ihnen geschlos­se­ne Arbeits­ver­trag
    die­se Befug­nis ein­räu­men wür­de oder sie dort als lei­ten­de
    Ange­stell­te bezeich­net wären, wür­de das noch nicht
    aus­rei­chen. Die for­ma­le Befug­nis des
    § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BetrVG begrün­det den Sta­tus als lei­ten­der
    Ange­stell­ter nur, wenn sie von erheb­li­cher unter­neh­me­ri­scher
    Bedeu­tung ist.10 Ange­nom­men wird dies,
    wenn sich die Ein­stel­lungs- und Ent­las­sungs­be­rech­ti­gung
    auf eine bedeu­ten­de Anzahl von Arbeit­neh­mern
    erstreckt oder einen qua­li­ta­tiv bedeut­sa­men Per­so­nen­kreis
    erfasst.11 Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind im Nor­mal­fall
    nicht erfüllt, der Sta­tus als lei­ten­der Ange­stell­ter wird im
    Pro­fes­so­ren­be­reich eher bei Lei­te­rin­nen oder Lei­tern
    von grö­ße­ren For­schungs­ein­rich­tun­gen anzu­neh­men
    sein.12
    Der Refe­ren­ten­ent­wurf des Minis­te­ri­ums für Arbeit
    und Sozia­les sieht für die Pflicht zur Auf­zeich­nung von
    Beginn, Ende und Dau­er der täg­li­chen Arbeits­zeit in
    § 16 Abs. 7 Nr. 3 ArbZG eine Aus­nah­me für Arbeit­neh­mer
    vor, bei denen die gesam­te Arbeits­zeit wegen der beson­de­ren
    Merk­ma­le der aus­ge­üb­ten Tätig­keit nicht gemes­sen
    oder nicht im Vor­aus fest­ge­legt wird oder von
    den Arbeit­neh­mern selbst fest­ge­legt wer­den kann. In der
    Begründung13 wird aus­ge­führt, dass die Vor­aus­set­zun­gen
    für die Anwen­dung die­ser Aus­nah­me­re­ge­lung bei
    Füh­rungs­kräf­ten, her­aus­ge­ho­be­nen Exper­ten oder Wis­sen­schaft­lern
    gege­ben sein kön­nen, die nicht ver­pflich­tet
    sind, zu fest­ge­setz­ten Zei­ten am Arbeits­platz anwe­send
    zu sein, son­dern über den Umfang und die Ein­tei­lung
    ihrer Arbeits­zeit selbst ent­schei­den kön­nen. Die­ser Gedan­ke
    trifft auf Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren an pri­va­ten
    Hoch­schu­len zu. Eben­so wie bei Hoch­schul­leh­Wert­hei­mer
    · Arbeits­zeit­er­fas­sungs­pflicht 1 6 3
    14 Det­mer, in: Hartmer/Detmer, Hoch­schul­recht, 4. Aufl. 2022, Kapi­tel
    4, Rn. 209; Cas pers, OdW 2023, 102.
    15 Sie­he hier­zu Cas pers, a.a.O., S. 102.
    16 Löwisch, BB 47.2018, Die ers­te Sei­te; ders., Dis­kri­mi­nie­rung nicht
    tarif­ge­bun­de­ner Arbeit­ge­ber im neu­en AÜG, DB Rechts­board,
    15.05.2017.
    17 Löwisch, a.a.O.
    18 Grzes­zick, in: Geis, Hoch­schul­recht in Bay­ern, 2. Aufl. 2017, Kapi­tel
    3, Rn. 235; Cas pers, OdW 2023, 102.
    19 OdW 2023, 102.
    20 BAG v. 5.5.2010, 7 ABR 97/08, AP Nr. 74 zu § 5 BetrVG 1972; LAG
    Nürn­berg v. 24.8.2016, 2 Sa 201/16, juris; Wertheimer/Meißner,
    a.a.O., Kapi­tel 11, Rn. 80.
    rern an staat­li­chen Hoch­schu­len trägt er dem Umstand
    Rech­nung, dass Zeit­sou­ve­rä­ni­tät eine wesent­li­che Vor­aus­set­zung
    für wis­sen­schaft­li­ches Arbei­ten ist, es geht
    dar­um, die für das wis­sen­schaft­li­che Arbei­ten erfor­der­li­che
    Krea­ti­vi­tät zu wah­ren und zu fördern.14 Gedeckt ist
    die­se Aus­nah­me­re­ge­lung von Art. 17 Abs. 1 der Richt­li­nie
    2003/88/EG.15
    Der Refe­ren­ten­ent­wurf ver­langt aller­dings, dass die
    Her­aus­nah­me der in § 16 Abs. 7 Nr. 3 ArbZG genann­ten
    Arbeit­neh­mer von der Auf­zeich­nungs­pflicht in einem
    Tarif­ver­trag oder auf Grund eines Tarif­ver­tra­ges in einer
    Betriebs­ver­ein­ba­rung (oder Dienst­ver­ein­ba­rung) zuge­las­sen
    ist. Damit läuft die Norm für pri­va­te Hoch­schu­len
    ins Lee­re, da Tarif­ver­trä­ge dort bis­lang kei­ne Rol­le spie­len.
    Ganz abge­se­hen davon wür­de ein Tarif­ver­trag für
    pri­va­te Hoch­schu­len vor­nehm­lich auch die nicht­wis­sen­schaft­li­chen
    sowie die nach­ge­ord­ne­ten wis­sen­schaft­li­chen
    Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter im Blick­feld haben,
    wie dies auch im staat­li­chen Bereich der Fall ist.
    Dort sind Pro­fes­so­ren gem. § 1 Abs. 3 lit. a) aus dem Gel­tungs­be­reich
    des TV‑L aus­ge­nom­men.
    Dass die im Refe­ren­ten­ent­wurf vor­ge­se­he­ne Aus­nah­me­re­ge­lung
    für die Auf­zeich­nungs­pflicht eine Rege­lung
    in einem Tarif­ver­trag oder auf Grund eines Tarif­ver­tra­ges
    in einer Betriebs­ver­ein­ba­rung vor­aus­setzt, bedeu­tet
    eine wei­te­re Pri­vi­le­gie­rung tarif­ge­bun­de­ner Arbeits­ver­hält­nis­se.
    Der­ar­ti­ge Pri­vi­le­gie­run­gen fin­det man bei­spiels­wei­se
    bei der Arbeit­neh­mer­über­las­sung: Tarif­ge­bun­de­ne
    Arbeit­ge­ber kön­nen die dort vor­ge­se­he­ne
    Höchst­dau­er der Über­las­sung aus­deh­nen, nicht tarif­ge­bun­de­nen
    Arbeit­ge­bern ist das nur bis zur Höchst­dau­er
    von 24 Mona­ten gestat­tet und auch nur dann, wenn tarif­lich
    ent­spre­chen­de Betriebs- oder Dienst­ver­ein­ba­run­gen
    vor­ge­se­hen sind.16 In die glei­che Rich­tung geht
    § 9a Abs. 6 TzBfG zur sog. Brü­cken­teil­zeit, nach der
    durch einen Tarif­ver­trag der Rah­men für den Zeit­raum
    der Arbeits­zeit­ver­rin­ge­rung abwei­chend von
    § 9a Abs. 1 S. 2 TzBfG auch zuun­guns­ten des Arbeit­neh­mers
    gere­gelt wer­den kann. Ver­fas­sungs­recht­lich sind
    der­ar­ti­ge Bestim­mun­gen und damit auch die Rege­lung
    des Refe­ren­ten­ent­wurfs in 16 Abs. 7 nicht halt­bar. Ver­sagt
    der Gesetz­ge­ber den nicht tarif­ge­bun­de­nen Arbeit­ge­bern
    eine Rege­lung, die er den tarif­ge­bun­de­nen eigens
    erlaubt, liegt dar­in eine Dis­kri­mi­nie­rung, wel­che der nega­ti­ven
    Koali­ti­ons­frei­heit nach Art. 9 Abs. 3 GG zuwi­der­läuft.
    17 Dass das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Arbeit und
    Sozia­les die Aus­nah­me­re­ge­lung in § 16 Abs. 7 des Refe­ren­ten­ent­wurfs
    dafür ein­set­zen möch­te, mehr Tarif­bin­dung
    zu errei­chen, liegt auf der Hand.
    Eine Ver­pflich­tung zur Arbeits­zeit­er­fas­sung bei Pro­fes­so­ren
    an pri­va­ten Hoch­schu­len begeg­net im Übri­gen
    auch im Hin­blick auf Art. 5 Abs. 3 GG Bedenken.18 Auch
    mit Art. 3 Abs. 1 GG wäre sie nicht ver­ein­bar, da kein
    sach­li­cher Grund ersicht­lich ist, Pro­fes­so­rin­nen und
    Pro­fes­so­ren an pri­va­ten Hoch­schu­len arbeits­zeit­recht­lich
    anders zu behan­deln als deren Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen
    an staat­li­chen Hoch­schu­len.
    Wie Caspers19 zuletzt auf­ge­zeigt hat, ist die Her­aus­nah­me
    von Pro­fes­so­ren aus dem Arbeits­zeit­schutz uni­ons­recht­lich
    zuläs­sig. Somit wäre eine Erwei­te­rung der
    Bereichs­aus­nah­men in § 18 Abs. 1 ArbZG, die das BAG
    in sei­nem Beschluss vom 13.9.2022 als zuläs­si­ge Aus­nah­me­re­ge­lung
    iSd Art. 17 Abs. 1 RL 2003/88/EG sieht, auf
    Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren, die an pri­va­ten Hoch­schu­len
    tätig sind, mög­lich und auch der rich­ti­ge Weg.
    Die Ergän­zung um die­sen Per­so­nen­kreis wür­de dort
    auch sys­te­ma­tisch hin­ein­pas­sen. Außer­halb der lei­ten­den
    Ange­stell­ten nennt § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG Chef­ärz­te.
    Auch wenn sie in den Kran­ken­häu­sern eine her­aus­ge­ho­be­ne
    Funk­ti­on ein­neh­men, sind sie in aller Regel kei­ne
    lei­ten­den Angestellten.20 Der Rege­lungs­ge­halt von
    Art. 17 Abs. 1 RL 2003/88/EG trifft auf sie aber in glei­chem
    Maße zu wie auf Hoch­schul­leh­rer, mögen auch die
    Grün­de, wes­halb das Arbeits­zeit­recht auf Chef­ärz­te und
    Hoch­schul­leh­rer nicht passt, unter­schied­lich aus­ge­prägt
    sein.
    Bedenkt man, dass aktu­ell an 113 Pri­va­ten Hoch­schu­len
    in Deutsch­land über 350.000 Stu­die­ren­de von einer
    gro­ßen Anzahl an pri­vat­recht­lich ange­stell­ten Pro­fes­so­rin­nen
    und Pro­fes­so­ren auf ihren aka­de­mi­schen Abschluss
    vor­be­rei­tet wer­den, täte der Gesetz­ge­ber gut dar­an,
    bei der jetzt anste­hen­den Anpas­sung des Arbeits­zeit­ge­set­zes
    kla­re Ver­hält­nis­se zu schaf­fen und die Pro­fes­so­ren
    aus dem Anwen­dungs­be­reich des Arbeits­zeit­schut­zes
    her­aus­zu­neh­men. Blie­be es bei der Rege­lung im Refe­ren­ten­ent­wurf
    vom 27.3.2023 und einer dar­aus fol­gen­den
    Auf­zeich­nungs­pflicht, wird eine Ver­fas­sungs­be­schwer­de
    nicht lan­ge auf sich war­ten las­sen. Das ist ver­meid­bar.
    1 6 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 6 1 — 1 6 4
    21 z.B. EuGH v. 11.11.2010, C‑232/09, DB 2011, 2270 – Dano­sa.
    22 Löwisch/Kaiser/Kaiser, § 5 Rn. 24 mwN.
    23 BAG v. 5.3.1974, 1 ABR 19/73, BB 1974, 553.
    24 Z.B. BAG v. 5.6.2014, 2 AZR 615/13, NZA 2015, 40; Löwisch/Kaiser/
    Kai­ser, § 5 Rn. 36.
    b) Wis­sen­schaft­li­che und nicht­wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter
    Ohne dies wei­ter ver­tie­fen zu müs­sen, fal­len die wis­sen­schaft­li­chen
    und nicht­wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­te­rin­nen
    und Mit­ar­bei­ter pri­va­ter Hoch­schu­len unter den
    Arbeit­neh­mer­be­griff von § 2 Abs. 2 ArbZG und
    § 611a BGB. Deren Arbeits­zeit ist zukünf­tig eben­so zu
    erfas­sen ist wie bei den ent­spre­chen­den Mit­ar­bei­ter­grup­pen
    an staat­li­chen Hoch­schu­len, unab­hän­gig davon,
    ob es sich um staat­li­che Uni­ver­si­tä­ten, Hoch­schu­len für
    Ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten, Päd­ago­gi­sche Hoch­schu­len
    oder Kunst- und Musik­hoch­schu­len han­delt.
    c) Organ­mit­glie­der
    Pri­va­te Hoch­schu­len wer­den in den Rechts­for­men der
    GmbH, gGmbH, des Ver­eins (e. V.), der Akti­en­ge­sell­schaft
    (AG) oder als Stif­tungs­hoch­schu­le geführt. Deren
    Orga­ne, etwa die Geschäfts­füh­rer einer GmbH, Vor­stands­mit­glie­der
    einer Akti­en­ge­sell­schaft oder die Vor­stän­de
    eines Ver­eins sind kei­ne Arbeit­neh­mer gem.
    § 2 Abs. 2 ArbZG, deren Arbeits­zeit ist dem­nach nach
    § 16 Abs. 2 ArbZG RefE nicht zu erfas­sen. Dass der
    EuGH z.T. Richt­li­ni­en auch auf Orga­ne einer Gesell­schaft
    anwendet21, hat für den Arbeit­neh­mer­be­griff des
    Arbeits­zeit­ge­set­zes kei­ne Außen­wir­kun­gen.
    d) Prä­si­di­ums- oder Rek­to­rats­mit­glie­der
    Eben­falls nicht zu erfas­sen ist die Arbeits­zeit der Prä­si­di­ums-
    oder Rek­to­rats­mit­glie­der einer pri­va­ten Hoch­schu­le.
    Die­se fal­len als lei­ten­de Ange­stell­te unter die
    Bereichs­aus­nah­me des § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG, auf die
    das Arbeits­zeit­ge­setz ins­ge­samt nicht anwend­bar ist.
    Prä­si­di­ums- oder Rek­to­rats­mit­glie­der einer pri­va­ten
    Hoch­schu­le erfül­len zunächst die all­ge­mei­nen Vor­aus­set­zun­gen
    des § 5 Abs. 3 S. 2, da sie einer­seits zu ihrer lei­ten­den
    Funk­ti­on recht­lich befugt sind, die­se ande­rer­seits
    auch tat­säch­lich aus­üben. Schließ­lich macht die Aus­übung
    die­ser Befug­nis­se einen wesent­li­chen Teil ihrer
    Tätig­keit aus und prägt ihre Stel­lung in der Hoch­schu­le.
    22 Regel­mä­ßig ein­schlä­gig sein wird bei ihnen
    § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BetrVG: Lei­ten­der Ange­stell­ter ist
    danach, wer regel­mä­ßig sons­ti­ge Auf­ga­ben wahr­nimmt,
    die für den Bestand und die Ent­wick­lung des Unter­neh­mens
    oder eines Betriebs von Bedeu­tung sind und deren
    Erfül­lung beson­de­re Erfah­run­gen und Kennt­nis­se vor­aus­setzt,
    wenn er dabei ent­we­der die Ent­schei­dun­gen im
    Wesent­li­chen frei von Wei­sun­gen trifft oder sie maß­geb­lich
    beein­flusst. Vor­aus­set­zung dafür ist, dass die dem
    Arbeit­neh­mer über­tra­ge­ne Auf­ga­be ein sol­ches Gewicht
    hat, dass sie sich von den Auf­ga­ben abhebt, die eine nor­ma­le
    Ange­stell­ten-Tätig­keit ausmacht.23 Das ist der Fall,
    wenn die betref­fen­de Per­son maß­geb­li­chen Ein­fluss auf
    die wirt­schaft­li­che, tech­ni­sche, kauf­män­ni­sche, orga­ni­sa­to­ri­sche
    oder wis­sen­schaft­li­che Lei­tung des Unter­neh­mens
    oder Betriebs hat, sich dem­nach in einer Schlüs­sel­po­si­ti­on
    befindet.24 In einer der­ar­ti­gen Ver­ant­wor­tung
    ste­hen die Mit­glie­der der Lei­tung einer pri­va­ten Hoch­schu­le.
    Eines Zugriffs auf den Hilfs­tat­be­stand des
    § 5 Abs. 4 BetrVG bedarf es daher nicht. Rich­tig dürf­te es
    auch sein, Deka­ne oder Fach­be­reichs­lei­ter einer pri­va­ten
    Hoch­schu­le unter den Anwen­dungs­be­reich des
    § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BetrVG zu sub­su­mie­ren, auf die die
    Bereichs­aus­nah­me des § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG dann
    eben­falls anzu­wen­den ist. Auch deren Arbeits­zei­ten
    müss­ten somit nicht erfasst wer­den.
    Frank Wert­hei­mer ist Part­ner der Kanz­lei KRAUSS LAW
    in Lahr/Schwarzwald. Zuvor war er 17 Jah­re im Uni­ver­si­täts­be­reich,
    davon über 10 Jah­re in der Hoch­schul­me­di­zin
    tätig. Zu sei­nen Bera­tungs­fel­dern gehört im
    Bereich des Arbeits­rechts auch das Hoch­schul­recht. Er
    ist Gast­mit­glied der For­schungs­stel­le für Hoch­schul­recht
    und Hoch­schul­ar­beits­recht an der Rechts­wis­sen­schaft­li­chen
    Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Frei­burg
    Sozia­le Medi­en oder sozia­le Netz­wer­ke wie Face­book, Twit­ter, Insta­gram, Lin­ke­dIn, Tik­Tok oder You­Tube gehö­ren zu den meist­ge­nutz­ten Diens­ten im Internet.1 Seit fast nun­mehr 20 Jah­ren haben sie eine Ver­brei­tung gefun­den, dass durch­schnitt­lich fast die Hälf­te der Welt­be­völ­ke­rung eines oder meh­re­re die­ser Medi­en zumin­dest gele­gent­lich nutzt.2 Ihre erheb­li­che Bedeu­tung für Infor­ma­ti­on und Kom­mu­ni­ka­ti­on ist unbe­strit­ten. Viel­fach wird bereits kon­sta­tiert, dass der Rück­gang der Nut­zer­zah­len bei „klas­si­schen Medi­en“ wie Zei­tun­gen, Rund­funk und (linea­rem) Fern­se­hen auch mit dem Auf­kom­men der sozia­len Medi­en als Ort moder­ner Infor­ma­ti­on und Kom­mu­ni­ka­ti­on zusammenhängt.3
    Auch wenn der über­wie­gen­de Anteil die pri­va­te Kom­mu­ni­ka­ti­on betref­fen mag, ist die Nut­zung sozia­ler Medi­en durch Ein­rich­tun­gen des öffent­li­chen Sek­tors doch signifikant.4 So sind fast alle Bun­des­mi­nis­te­ri­en und vie­le Lan­des­mi­nis­te­ri­en, aber genau­so die Euro­päi­sche Kommission5 sowie zahl­rei­che Kom­mu­nen auf Face­book ver­tre­ten. Sie infor­mie­ren dort über ihre Tätig­keit und tre­ten somit in Kon­takt mit jenen, deren Inter­es­sen die­se Behör­den (aber auch vie­le Par­la­men­te oder Gerich­te) ver­tre­ten: die Öffent­lich­keit, die Bevöl­ke­rung, Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, Unter­neh­men oder Ver­ei­ni­gun­gen aller Art. Sozia­le Netz­wer­ke sind ein Ort des öffent­li­chen Lebens.
    Das betrifft glei­cher­ma­ßen auch die Hoch­schu­len und alle rele­van­ten For­schungs­ein­rich­tun­gen. „Fan­pages“ auf Face­book haben neben den Tech­ni­schen Universitäten6 auch die Deut­sche Forschungsgemeinschaft7, die Max-Planck-Gesell­schaf­t8, die Fraun­ho­fer-Gesell­schaf­t9 und natür­lich auch das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und Forschung10. Dane­ben sind auch zahl­rei­che Lehr­stüh­le, Insti­tu­te und For­schungs­stel­len auf Face­book, Insta­gram, Twit­ter oder Lin­ke­dIn ver­tre­ten, zum Teil mit eige­nen Sei­ten für ein­zel­ne Vor­le­sun­gen oder Semi­na­re.
    So rele­vant die sozia­len Medi­en und Netz­wer­ke also für die Öffent­lich­keits­ar­beit auch im Wis­sen­schafts­be­reich sind, so sehr stellt sich aktu­ell (im Früh­jahr 2023) die Fra­ge: Ste­hen all die­se Inter­net­prä­sen­zen mit zusam­men vie­len Mil­lio­nen Nut­ze­rin­nen und Nut­zern vor dem Aus? Anlass für die­se Fra­ge gibt eine Ver­fü­gung des Bun­des­be­auf­trag­ten für Daten­schutz und Infor­ma­ti­ons­frei­heit (BfDI), mit der die­ser am 17.2.2023 dem Pres­se- und Infor­ma­ti­ons­amt der Bun­des­re­gie­rung (BPA) den Betrieb der „Face­book-Fan­page“ der Bun­des­re­gie­rung unter­sagt hat.11 Soll­te des­sen Recht­mä­ßig­keit in dem derAn­ne
    Pasch­ke
    Social Media-Nut­zung von Hoch­schu­len vor dem Aus? Ver­fas­sungs­recht­li­che Ana­ly­se der
    Unter­sa­gungs­ver­fü­gung des BfDI gegen das BPA vom 17.02.2023
    1 Vgl. We are Social, Hoot­suite, Data­Re­por­tal, 2023, Ran­king der größ­ten Social Net­works und Mes­sen­ger nach Anzahl der Nut­zer im Janu­ar 2023 (in Mil­lio­nen), abruf­bar unter https://de.s tatis ta.com/s tatis tik/daten/s tudie/181086/­um­fra­ge/­die-welt­weit-groess­ten-social-net­works-nach-anzahl-der-user/, sowie Sta­tis ta, 2022, Ran­king der wich­tigs ten sozia­len Netz­wer­ke in Deutsch­land nach Mar­ken­be­kannt­heit im Jahr 2022, https://de.s tatis ta.com/s tatis tik/daten/s tudie/1309960/umfrage/bekanntes te-sozia­le-netz­wer­ke-in-deutsch­lan­d/ (sämt­li­che Online-Quel­len wur­den am 29.05.2023 abge­ru­fen).
    2 Allei­ne Face­book zählt nach eige­nen Anga­ben der­zeit 2,9 Mrd. monat­lich akti­ve Nut­zer, Meta Plat­forms, 2023, Anzahl der monat­lich akti­ven Face­book Nut­zer welt­weit vom 1. Quar­tal 2009 bis zum 4. Quar­tal 2022 (in Mil­lio­nen), https://de.s tatis ta.com/s tatis tik/daten/s tudie/37545/­um­fra­ge/an­zahl-der-akti­ven-nut­zer-von-face­boo­k/.
    3 Aus dem Reu­ters Ins titu­te Digi­tal News Report von 2020 geht her­vor, dass sozia­le Medi­en zu Infor­ma­ti­ons­zwe­cken über das Tages­ge­sche­hen zuneh­men­de Bedeu­tung erlan­gen, https://www.digitalnewsreport.org/survey/2020/overview-key-findings-2020/.
    4 So nut­zen bs pw. Bun­des­mi­nis teri­en (exem­pla­risch: https://www.facebook.com/bmdv, https://www.facebook.com/bmbf.de, https://www.facebook.com/BMWK), regio­na­le Behör­den (exemp-larisch: https://www.facebook.com/s tadt­braun­schweig, https://www.facebook.com/s tadt.koeln50, https://www.facebook.com/Stadt.Muenchen) oder auch Poli­zei­be­hör­den (exem­pla­risch: https://www.facebook.com/PolizeiHannover, https://www.facebook.com/PolizeiBerlin) sozia­le Medi­en, um über ihre Inhal­te zu berich­ten.
    5 https://www.facebook.com/eu.kommission.
    6 Vgl. z.B. die Fan­page der TU9, https://www.facebook.com/TU9.de.
    7 https://www.facebook.com/Deutsche-Forschungsgemeinschaft.
    8 https://www.facebook.com/maxplanckgesellschaft.
    9 https://www.facebook.com/fraunhofer.de.
    10 https://www.facebook.com/bmbf.de/.
    11 Der Bescheid is t abruf­bar unter https://www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/DokumenteBfDI/Dokumente-allg/2023/Bescheid-Facebook-Fanpage.html.
    Ord­nung der Wis­sen­schaft 2023, ISSN 2197–9197
    1 6 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 6 5 — 1 7 2
    12 Die Kla­ge is t am 16.03.2023 beim VG Köln ein­ge­gan­gen und wird
    dort unter dem Akten­zei­chen 13 K 1419/23 geführt, https://www.
    vg-koeln.nrw.de/behoerde/presse/Interssante-Verfahren/index.
    php.
    13 https://www.facebook.com/Bundesregierung/.
    14 Vgl. Rund­schrei­ben des BfDI an die behörd­li­chen Daten­schutz­be­auf­trag­ten
    der obers ten Bun­des­be­hör­den v. 20.05.2019, abruf­bar
    unter: https://www.bfdi.bund.de/DE/DerBfDI/Dokumente/Rundschreiben/
    Allgemein/Rundschreiben_allg-node.html.
    15 Vgl. Bescheid des BfDI vom 17.2.2023, S. 1, abruf­bar unter https://
    www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/DokumenteBfDI/
    Dokumente-allg/2023/Bescheid-Facebook-Fanpage.html.
    16 Vgl. Bescheid des BfDI vom 17.2.2023, S. 20.
    17 Vgl. Bescheid des BfDI vom 17.2.2023, S. 20.
    18 Auf die­ses Daten­schutz­ins tru­ment soll hier nicht näher ein­ge­gan­gen
    wer­den, vgl. hier­zu Nguy­en, in: Gola/Heckmann (Hrsg.),
    DSGVO – BDSG, 3. Auf­la­ge 2022, Art. 58 DS-GVO Rn. 14.
    19 Vgl. Mit­tei­lung auf der Web­site des BfDI v. 09.11.2022, https://
    www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Kurzanmeldungen/DE/2022/20_
    BfDI-loescht-Twitter-Account.html?nn=251928.
    zeit anhän­gi­gen ver­wal­tungs­ge­richt­li­chen Verfahren12
    bestä­tigt wer­den, ist davon aus­zu­ge­hen, dass auch der
    Betreib von allen wei­te­ren „Fan­pages“ unter­sagt wird,
    mit­hin auch jene im Bereich von Hoch­schu­len und
    Wis­sen­schaft.
    Der vor­lie­gen­de Bei­trag unter­sucht die Recht­mä­ßig­keit
    die­ser Unter­sa­gungs­ver­fü­gung und zeigt mög­li­che
    Kon­se­quen­zen für die digi­ta­le Infor­ma­ti­on und Kom­mu­ni­ka­ti­on
    im Wis­sen­schafts­be­reich auf.
    I. Vor­ge­schich­te: Unter­sa­gungs­ver­fü­gung gegen das
    BPA
    Das BPA ist für die Öffent­lich­keits­ar­beit der Bun­des­re­gie­rung
    zustän­dig. Wäh­rend in der Ver­gan­gen­heit die
    Pres­se­kon­fe­renz das klas­si­sche Medi­um der Öffent­lich­keits­ar­beit
    einer Bun­des­re­gie­rung war und sich Men­schen
    anschlie­ßend über die Tex­te, die Jour­na­lis­tin­nen
    und Jour­na­lis­ten auf die­ser Grund­la­ge geschaf­fen haben,
    infor­mie­ren konn­ten, nutzt die Bun­des­re­gie­rung über
    das BPA inzwi­schen sozia­le Medi­en, um Bür­ge­rin­nen
    und Bür­ger unmit­tel­bar zu infor­mie­ren.
    Daher betreibt das BPA wie vie­le ande­ren Behör­den
    ver­schie­de­ne Web­sei­ten in sozia­len Medi­en. Eine die­ser
    Web­sei­ten ist eine Fan­page für die Bun­des­re­gie­rung auf
    der Platt­form Facebook.13 Bereits 2019 hat­te der BfDI die
    obers­ten Bun­des­be­hör­den ange­schrie­ben und mit­ge­teilt,
    dass eine daten­schutz­kon­for­me Nut­zung von Face­book
    nicht mög­lich sei.14 Mit Bescheid vom 17.2.2023 wur­de
    der Betrieb nun­mehr durch den Bun­des­be­auf­trag­ten für
    Daten­schutz und Infor­ma­ti­ons­frei­heit untersagt.15
    Der BfDI unter­sagt dem BPA also den Betrieb sei­ner
    Bun­des­re­gie­rungs-Fan­page auf Face­book, der über eine
    Mil­li­on Men­schen fol­gen. Gleich­zei­tig erkennt der BfDI
    jedoch an, dass eine ent­spre­chen­de Fan­page für das BPA
    des­halb von gro­ßem Inter­es­se ist, weil sich vie­le Men­schen
    ihre Infor­ma­tio­nen vor­ran­gig über das Netz­werk
    Face­book beschaffen.16 Wird die­se Fan­page abge­schal­tet,
    geht der BfDI selbst davon aus, dass Infor­ma­tio­nen der
    Bun­des­re­gie­rung von bestimm­ten Nut­zer­krei­sen nicht
    mehr wahr­ge­nom­men werden.17 Die­sem Risi­ko zum
    Trotz ist die Unter­sa­gungs­ver­fü­gung ergan­gen. Dar­über
    hin­aus wur­de das BPA in ver­schie­de­nen wei­te­ren Punk­ten
    im Zusam­men­hang mit dem Betrieb der Face­book-
    Fan­page verwarnt.18
    Die­se Reak­ti­on des BfDI ist inso­fern bemer­kens­wert,
    als der Lei­ter die­ser obers­ten Bun­des­be­hör­de und frü­he­re
    Staats­se­kre­tär im sei­ner­zei­ti­gen Bun­des­mi­nis­te­ri­um
    der Jus­tiz und für Ver­brau­cher­schutz (BMJV) in sei­nen
    fast 35.000 Tweets gegen­über eben­so vie­len Fol­lo­wern
    auf Twit­ter kom­mu­ni­ziert und damit selbst als Abge­ord­ne­ter,
    Staats­se­kre­tär und eben Beauf­trag­ter für den Daten­schutz
    Öffent­lich­keits­ar­beit betrie­ben hat – jeden­falls
    bis zu dem Zeit­punkt, als er Twit­ter Ende 2022 ver­las­sen
    hat. Der Bun­des­be­auf­trag­te für den Daten­schutz, der
    jah­re­lang das sozia­le Netz­werk eines US-ame­ri­ka­ni­schen
    Tech-Kon­zerns als Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nal genutzt
    hat19, ver­bie­tet nun dem BPA die Nut­zung von Face­book
    für des­sen Öffent­lich­keits­ar­beit.
    II. Rechts­fra­gen im Umgang mit der Unter­sa­gungs­ver­fü­gung
    vom 17.2.2023
    Die zen­tra­len Rechts­fra­gen, die sich in Bezug auf die
    Unter­sa­gungs­ver­fü­gung erge­ben, sind:
    ––Liegt tat­säch­lich ein Daten­schutz­ver­stoß durch das
    Betrei­ben von Face­book-Fan­pages vor (II.1)?
    ––Wel­che Rol­le spielt in die­sem Zusam­men­hang der
    Öffent­lich­keits­auf­trag des Staa­tes (II.2)?
    ––Wie wirkt sich die­ser Aus­gangs­fall auf die Social
    Media-Pra­xis der Hoch­schu­len aus (III.)?
  23. Ver­stößt der Betrieb einer Face­book-Fan­page gegen
    die DSGVO?
    Zunächst stellt sich die Fra­ge, ob über­haupt ein Daten­schutz­ver­stoß
    vor­liegt. Es ist wohl unstrei­tig, dass die
    Daten­ver­ar­bei­tung durch die Face­book Platt­form, die
    inzwi­schen vom Meta Kon­zern betrie­ben wird, teil­wei­se
    Pasch­ke · Social Media-Nut­zung an Hoch­schu­len vor dem Aus? 1 6 7
    20 Zur daten­schutz­recht­li­chen Dis­kus­si­on um Face­book vgl. etwa
    Hoffmann/Schmidt, GRUR 2021, 679; Loh­se, NZKart 2020, 292;
    Schwe­da, ZD-Aktu­ell 2015, 04659; Sol­me­cke, Hand­buch Mul­ti­me­dia-
    Recht, Teil 21.1 Social Media, Rn. 43 ff. Auch gericht­lich
    wur­de das Ver­hal­ten von Face­book bereits daten­schutz-recht­lich
    beans tan­det, vgl. hier­zu BVerwG, Urt. v. 11.09.2019 – 6 C 15.18 =
    NJW 2020, 414.
    21 Vgl. Kurz­gut­ach­ten zur daten­schutz­recht­li­chen Kon­for­mi­tät des
    Betriebs von Face­book-Fan­pages v. 18.03.2022, abruf­bar unter https://
    www.datenschutzkonferenz-online.de/media/weitere_dokumente/
    DSK_Kurzgutachten_Facebook-Fanpages_V1_18.03.2022.
    pdf.
    22 EuGH, MMR 2019, 732 –„Planet49“; vgl. hier­zu auch: Baumann/
    Ale­xiou, ZD 2021, 349.
    23 Unter Ver­weis auf Erwä­gungs­grund 42 der DS-GVO auch Bescheid
    des BfDI vom 17.2.2023, S. 31 ff.
    24 Vgl. hier­zu Möl­ler, VuR 2022, 449, 453 ff.
    25 Vgl. Kurz­gut­ach­ten zur daten­schutz­recht­li­chen Kon­for­mi­tät des
    Betriebs von Face­book-Fan­pages v. 18.03.2022, S. 19.
    26 https://www.facebook.com/legal/terms/page_controller_addendum.
    Vgl. auch https://www.facebook.com/legal/controller_addendum.
    27 Vgl. Kurz­gut­ach­ten zur daten­schutz­recht­li­chen Kon­for­mi­tät des
    Betriebs von Face­book-Fan­pages v. 18.03.2022, S. 19.
    28 Har­tung, in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2020,
    Art. 26 DS-GVO Rn. 13.
    29 EuGH, NJW 2018, 2537, Rn. 31 – „Wirt­schafts­aka­de­mie“.
    30 Vgl. EuGH, MMR 2019, 579 – „Fashion ID“ wonach das Kri­te­ri­um
    der gemein­sa­men Ver­ant­wort­lich­keit zum wirk­sa­men Schutz von
    Betrof­fe­nen weit aus­zu­le­gen ist; ansons­ten: EuGH NJW 2018, 2537
    – „Wirt­schafts­aka­de­mie“.
    31 Leit­li­ni­en 07/2020 des Euro­pean Data Pro­tec tion Board zu den
    Begrif­fen „Ver­ant­wort­li­cher“ und „Auf­trags­ver­ar­bei­ter“ in der
    DSGVO.
    32 Vgl. Bescheid des BfDI vom 17.2.2023, S. 14 unter Ver­weis auf die
    Rechts pre­chung des EuGH NJW 2018, 2537 – „Wirt­schafts­aka­de­mie“.
    33 EuGH, NJW 2018, 2537 – „Wirt­schafts­aka­de­mie“.
    daten­schutz­rechts­wid­rig erfolgt.20 Die Haupt­vor­wür­fe
    sind vor­lie­gend das rechts­wid­ri­ge Set­zen von Coo­kies
    und das Feh­len einer wirk­sa­men Ver­ein­ba­rung in Bezug
    auf eine gemein­sa­me Verantwortlichkeit.21
    Eine Daten­ver­ar­bei­tung auch mit Hil­fe von Cookies22
    ist auf­grund des daten­schutz­recht­li­chen Ver­bots mit Erlaub­nis­vor­be­halt
    nur zuläs­sig, wenn der Nut­zer in die­se
    Daten­ver­ar­bei­tung ein­ge­wil­ligt hat oder ein gesetz­li­cher
    Erlaub­nis­tat­be­stand vor­liegt, vgl. Art. 6 DSGVO. Da
    Meta nicht hin­rei­chend trans­pa­rent über die ver­wen­de­ten
    Coo­kies und dar­über infor­miert, wel­che per­so­nen­be­zo­ge­nen
    Daten hier­über erfasst wer­den, kann dar­in
    ein Daten­schutz­ver­stoß gese­hen werden.23 Es fehlt man­gels
    wirk­sa­mer Ein­wil­li­gung somit an einer taug­li­chen
    Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge für die Datenverarbeitung.24
    Auch wei­te­re recht­li­che Ermäch­ti­gungs­grund­la­gen
    sind nicht ersicht­lich: Meta nutzt näm­lich Coo­kies, um
    Nut­zer­pro­fi­le anzu­le­gen und auf die­ser Grund­la­ge Wer­bung
    aus­zu­spie­len. Die so adres­sier­te Wer­bung ist Teil
    des Geschäfts­mo­dells von Face­book, wel­ches vor­lie­gend
    das eigent­li­che Pro­blem dar­stellt. Es besteht somit für
    die Daten­ver­ar­bei­tung mit­hil­fe von Coo­kies zumeist kei­ne
    tech­ni­sche, son­dern ledig­lich eine öko­no­mi­sche Not­wen­dig­keit,
    für wel­che teil­wei­se kei­ne Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge
    ersicht­lich ist.
    Dar­über hin­aus wer­den die Anfor­de­run­gen des
    Art. 26 DSGVO an die Ver­ein­ba­rung bei einer gemein­sa­men
    Verantwortlichkeit25 nicht ein­ge­hal­ten. Face­book
    über­nimmt zwar in sei­nen Sei­ten zu Page Insights-Ergän­zun­gen
    (das sog. Page Insights Adden­dum) die Ver­ant­wor­tung
    für die Daten­ver­ar­bei­tung auf der Plattform26,
    legt jedoch die Daten­ver­ar­bei­tungs­schrit­te, die
    Face­book mit den erfass­ten per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten
    sei­ner Nut­ze­rin­nen und Nut­zer im Ein­zel­nen voll­zieht,
    nicht offen. Die­ser Text ist damit nicht als hin­rei­chen­de
    Ver­ein­ba­rung i.S.d. Art. 26 DSGVO anzusehen.27
    Wie sind die­se Daten­schutz­ver­stö­ße von Meta nun aber
    dem BPA zuzu­rech­nen?
    Für eine gemein­sa­me Ver­ant­wort­lich­keit müs­sen die
    Ver­ant­wort­li­chen die Zwe­cke und Mit­tel der Ver­ar­bei­tung
    fest­le­gen, vgl. Art. 4 Nr. 7 DSGVO. Dabei ist auf die
    tat­säch­li­che jewei­li­ge Funk­ti­on bei der Ver­ar­bei­tung abzu­stel­len.
    28 Eine gemein­sa­me Ver­ant­wort­lich­keit ist bei
    einem tat­säch­li­chen Ein­fluss auf die Ent­schei­dung der
    Ver­ar­bei­tung anzunehmen.29 Nach der Recht­spre­chung
    des EuGH30 und den Leit­li­ni­en des Euro­päi­schen Datenschutzausschusses31
    kommt es dar­auf an, ob die Bei­trä­ge
    der Ver­ant­wort­li­chen mit­ur­säch­lich für die Daten­ver­ar­bei­tung
    sind. Der BfDI wer­tet das Betrei­ben der Fan­page
    durch eine Bun­des­be­hör­de als das Set­zen der pri­mä­ren
    Ursa­che, die es Meta erst ermög­licht, Daten über Besu­che­rin­nen
    und Besu­cher der Fan­page zu erhe­ben. Zudem
    pro­fi­tie­ren sowohl Meta als auch das BPA von der
    Daten­ver­ar­bei­tung. Das BPA erhöht als Fan­page-Betrei­ber
    die Reich­wei­te sei­ner Öffent­lich­keits­ar­beit und Meta
    pro­fi­tiert inso­weit, als es mit­hil­fe der über die Fan­page
    gewon­ne­nen Daten die auf dem Netz­werk bereit­ge­stell­te
    Wer­bung opti­mie­ren kann. Somit ist von einer gemein­sa­men
    Ver­ant­wort­lich­keit nach Art. 4 Nr. 7, Art. 26 DSGVO
    auszugehen.32
    Auch der EuGH hat in sei­ner Ent­schei­dung zu Fan­pages
    von 201833 fest­ge­stellt, dass Face­book und Betrei­ber
    einer Fan­page auf die­ser Platt­form in Bezug auf die
    Ver­ar­bei­tung der per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten der Besu­che­rin­nen
    und Besu­cher die­ser Fan­page grund­sätz­lich
    1 6 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 6 5 — 1 7 2
    34 https://www.facebook.com/legal/terms/page_controller_addendum;
    https://www.facebook.com/legal/controller_addendum.
    35 Zur Zus tän­dig­keit all­ge­mein Eichler/Matzke, in: Wolff/Brink
    (Hrsg.), Beck­OK Daten­schutz­recht, 43. Edi­ti­on, Art. 55 DSGVO.
    36 BVerwG, NJW 2020, 414.
    37 BVerwG, NJW 2020, 414, 417.
    38 EuGH, NJW 2018, 2537.
    39 Vgl. Nguy­en, in: Gola/Heckmann (Hrsg.), Daten­schutz-Grund­ver­ord­nung
    – Bun­des­da­ten­schutz­ge­setz, 3. Aufl. 2022, Art. 58
    DS-GVO Rn. 17; Sel­mayr, in: Ehmann/Selmayr (Hrsg.), Daten­schutz-
    Grund­ver­ord­nung, 2. Auf­la­ge 2018, Art. 58 Rn. 18. Zur
    Berück­sich­ti­gung wei­te­rer Grund­rech­te vgl. Heckmann/Paschke,
    in: Stern/Sodan/Mös tl (Hrsg.), Staats­recht der BRD, 2. Auf­la­ge
    2022, Bd. I § 103 Rn. 120.
    40 Vgl. BVerfGE 7, 198.
    41 BVerfG, NJW 1977, 751. Horn s pricht von der „Öffent­lich­keit als
    Lebens­ge­setz der Demo­kra­tie“ in VVDStRL 68 (2009), 413, 418.
    42 Pasch­ke, Digi­ta­le Gerichts­öf­fent­lich­keit, S. 148. Hier­zu auch Grez­szick,
    in: Dürig/Herzog/Scholz (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar,
  24. EL Sep­tem­ber 2022, Art. 20 Rn. 22; Pieroth, in: Jarass/Pieroth
    (Hrsg.), Grund­ge­setz für die Bun­des­re­pu­blik Deutschland,
  25. Aufl. 2022, Art. 20 Rn. 15 f.
    43 Heckmann/Paschke, in: Stern/Sodan/Mös tl (Hrsg.), Staats­recht
    der BRD, 2. Auf­la­ge 2022, Bd. I § 121 Rn. 10.
    als gemein­sa­me Ver­ant­wort­li­che zu wer­ten sind. Dar­an
    ändert nach h.M. auch der Umstand nichts, dass Meta
    die Ver­ant­wor­tung für die Daten­ver­ar­bei­tung auf der eige­nen
    Platt­form übernimmt.34 Den­noch müs­sen wir uns
    fra­gen: Darf eine Daten­schutz­auf­sichts­be­hör­de trotz die­ser
    Ver­ant­wor­tungs­über­nah­me durch Meta ein­fach gegen
    das BPA vor­ge­hen, obwohl die Daten­schutz­ver­stö­ße
    durch Meta erfol­gen? Der BfDI kann selbst nicht gegen
    Face­book vor­ge­hen, da für die­ses Unter­neh­men die iri­sche
    Daten­schutz­auf­sichts­be­hör­de zustän­dig ist.35
    In die­sem Zusam­men­hang hat sich das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt
    2019 bereits ein­deu­tig positioniert36: Mit
    der gemein­sa­men Ver­ant­wort­lich­keit geht eine „Gesamt­schuld“
    ein­her, so dass Auf­sichts­maß­nah­men auch
    gegen­über dem Fan­page­be­trei­ber mög­lich sind, obwohl
    die­ser kaum Mög­lich­kei­ten hat, auf die tech­ni­sche
    Gestal­tung Ein­fluss zu nehmen.37 Zwar kann das BPA
    gewis­se Ein­stel­lun­gen tref­fen und sich Sta­tis­ti­ken beim
    Betrei­ben der Fan­page aus­blen­den las­sen; hier­durch
    wer­den jedoch Daten­schutz­ver­stö­ße durch das Unter­neh­men
    Meta nicht ver­hin­dert.
    Der BfDI als zustän­di­ge Auf­sichts­be­hör­de zur Ahn­dung
    von Daten­schutz­ver­stö­ßen durch öffent­li­che Stel­len
    des Bun­des kann nach § 9 Abs. 1 BDSG bzw.
    § 29 Abs. 2 TTDSG bei der Wahl des Maß­nah­me­geg­ners
    eine „Stö­rer­aus­wahl“ tref­fen.
    Nach gel­ten­der Recht­spre­chung haf­tet das BPA damit
    auch für Daten­schutz­ver­stö­ße durch den Kon­zern Meta,
    dem Betrei­ber des sozia­len Netz­werks Facebook.38 Der
    BfDI nimmt das BPA vor­lie­gend aus pro­zess­öko­no­mi­schen
    Grün­den in Anspruch. Eine Inan­spruch­nah­me
    von Meta wäre schwie­ri­ger, zumal hier­für die iri­sche Daten­schutz­auf­sicht
    zustän­dig ist. Fak­tisch adres­siert der
    BfDI ein (durch­aus frag­wür­di­ges) Geschäfts­mo­dell von
    Meta, beschränkt sich aber (inkon­se­quen­ter­wei­se) auf
    eine ein­zi­ge Fan­page, statt den Betrieb sämt­li­cher Fan­pages
    in sei­nem Zustän­dig­keits­be­reich zu untersagen.
  26. Die Rol­le des Öffent­lich­keits­auf­trags des Staa­tes
    Geht man von einem Ver­stoß gegen die DSGVO und das
    Tele­kom­mu­ni­ka­ti­on-Tele­me­di­en-Daten­schutz-Gesetz
    (TTDSG) aus, stellt sich als zwei­tes die Fra­ge, wel­che
    Rol­le der Öffent­lich­keits­auf­trag des Staa­tes in die­sem
    Fall spielt.
    Daten­schutz­auf­sichts­maß­nah­men müs­sen nach
    pflicht­ge­mä­ßem Ermes­sen unter Berück­sich­ti­gung des
    Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­grund­sat­zes getrof­fen werden.39 Ist
    die­ser ver­fas­sungs- bzw. euro­pa­recht­li­che Grund­satz
    nicht hin­rei­chend bei der Abwä­gung berück­sich­tigt wor­den,
    kann die Untersagung/Abschaltung der Face­book-
    Fan­page die ver­fas­sungs­recht­li­che Pflicht der Bun­des­re­gie­rung
    zur Öffent­lich­keits­ar­beit beein­träch­ti­gen.
    Dabei müs­sen wir uns zunächst die Fra­ge stel­len: Ist der
    Öffent­lich­keits­auf­trag eine Pflicht aus der Ver­fas­sung
    bzw. aus dem EU-Pri­mär­recht? Dies ist im Ergeb­nis zu
    beja­hen. Die Meinungs‑, Presse‑, Infor­ma­ti­ons- und
    Ver­samm­lungs­frei­heit ist schlecht­hin kon­sti­tu­ie­rend in
    einer Demokratie.40 Das ver­fas­sungs­recht­li­che Gebot
    der Öffent­lich­keits­ar­beit wird durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt
    aus dem Demo­kra­tie­prin­zip, d.h. aus Art.
    20 Abs. 1 GG abge­lei­tet und hat die Auf­ga­be, demo­kra­ti­sche
    Teil­ha­be und gleich­zei­tig demo­kra­ti­sche Kon­trol­le
    zu sichern.41 Der Staat muss nicht nur sei­ne Bür­ge­rin­nen
    und Bür­ger infor­mie­ren, son­dern es besteht eine gene­rel­le
    Pflicht zur Trans­pa­renz staat­li­chen Handelns.42
    Demo­kra­tie­theo­re­tisch ist die rein reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie
    nicht mehr die aktu­ell geleb­te Erwar­tungs­hal­tung
    des Vol­kes. Es genügt dem mün­di­gen Sou­ve­rän somit
    nicht mehr, sich nur alle vier Jah­re zur Wahl in den
    poli­ti­schen Dis­kurs ein­brin­gen zu können.43 Viel­mehr
    lebt die Demo­kra­tie von der Kom­mu­ni­ka­ti­on und Inter­ak­ti­on
    des Staa­tes mit sei­nen Bür­ge­rin­nen und Bür­gern.
    Über Mei­nungs­bil­der und Kor­rek­tu­ren bzw. die Anpas­sung
    der Poli­tik auf die­ser Grund­la­ge wer­den Erwar­tun­gen
    von Bür­ge­rin­nen und Bür­gern in den poli­ti­schen
    Pasch­ke · Social Media-Nut­zung an Hoch­schu­len vor dem Aus? 1 6 9
    44 Hier­zu all­ge­mein: Emmer, in: Schmidt/Taddicken (Hrsg.), Hand­buch
    Sozia­le Medi­en, 2. Auf­la­ge 2022, S. 57–80.
    45 Hier­zu u.a. Emmer, in: Schmidt/Taddicken (Hrsg.), Hand­buch
    Sozia­le Medi­en, 2. Auf­la­ge 2022, S. 63.
    46 BVerfG, NJW 1977, 751, 753.
    47 Vgl. auch Pasch­ke, Digi­ta­le Gerichts­öf­fent­lich­keit, S. 96 ff., 148.
    48 Brandt, 2023, Print-Reich­wei­te schrumpft, https://de.s tatis ta.com/
    info­gra­fi­k/29857/­um­fra­ge-zur-nut­zung-von-ver­lags­me­di­en-indeutsch­lan­d/.
    49 So BVerfG, NVwZ 2015, 2019, 212 unter Ver­weis auf BVerfG, NJW
    2002, 2621.
    50 All­ge­mein zum Kul­tur­wan­del im Pro­zess der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on
    Video­mit­schnitt des Leo­pol­di­na-Sym­po­si­ums „Die Digi­ta­li­sie­rung
    und ihre Aus­wir­kun­gen auf Mensch und Gesell­schaft“,
    https://www.leopoldina.org/verans taltungen/verans taltung/
    event/2464/. Zur Grund­rechts­ver­wirk­li­chung im Kon­text der
    Digi­ta­li­sie­rung vgl. Heckmann/Paschke, in: Stern/Sodan/Mös tl
    (Hrsg.), Staats­recht der BRD, 2. Auf­la­ge 2022, Bd. I § 121 Rn. 1 ff.
    51 Vgl. Infor­ma­ti­ons­zu­sam­mens tel­lung des BfDI über den Betrieb
    von Face­book-Fan­pages auf der eige­nen Web­site, https://www.
    bfdi.bund.de/DE/Fachthemen/Inhalte/Telemedien/FacebookFanpages.
    html.
    52 Hier­zu etwa Rog­gen­kamp, in: Barzsch/Briner (Hrsg.), DGRI Jahr­buch
    2010, 197.
    53 Heckmann/Paschke, in: Stern/Sodan/Mös tl (Hrsg.), Staats­recht der
    BRD, 2. Auf­la­ge 2022, Bd. I § 121 Rn.4.
    54 Zum Begriff der Medi­en­in­ter­me­diä­re vgl. Ory, ZUM 2021, 472,
  27. Zur Platt­form­öko­no­mie unter recht­li­chen As pek­ten vgl.
    Wis­sen­schaft­li­che Diens te des Bun­des tages, WD 6–3000-058/17, abruf­bar
    unter: https://www.bundes tag.de/resource/blob/532608/…/
    wd‑6–058-17-pdf-data.pdf.
    55 Hier ange­lehnt an die Über­wa­chungs­ge­samt­rech­nung von Roß­na­gel,
    NJW 2010, 1238 ff.; eine ähn­li­che Anlei­he im Sin­ne einer
    Deter­mi­nie­rungs­ge­samt­rech­nung fin­det sich auch bei Pasch­ke,
    MMR 2019, 563, 567.
    56 Die­se Über­le­gung folgt der Annah­me, dass weder die USA, noch
    Chi­na ein ange­mes­se­nes Daten­schutz­ni­veau gewähr­leis­ten. Vgl.
    hier­zu eine Ana­ly­se der deut­schen Daten­schutz­be­hör­den und des
    Euro­päi­schen Daten­schutz­aus­schus­ses, https://www.taylorwessing.
    com/­de/in­sights-and-event­s/in­sights/2022/02/­whe­re-is-datapro­ces­sing-
    s till-pos­si­ble.
    Dis­kurs eingebracht.44 Das Feh­len von staat­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on
    bedingt heu­te mehr denn je das Risi­ko von
    Des­in­for­ma­ti­ons­kam­pa­gnen und ist in der Fol­ge demo­kra­tie­ge­fähr­dend.
    45 Wenn der Staat Des­in­for­ma­ti­on oder
    Akzep­tanz­de­fi­zi­te igno­riert, wer­den die Grund­fes­ten des
    demo­kra­ti­schen Rechts­staa­tes brü­chig. Hier­zu hat das
    Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt aus­ge­führt, dass die Öffent­lich­keits­ar­beit
    einer Regie­rung und gesetz­ge­ben­den
    Kör­per­schaf­ten auch not­wen­dig ist, um den Grund­kon­sens
    im demo­kra­ti­schen Gemein­we­sen leben­dig zu erhal­ten.
    46 Somit über­nimmt die Öffent­lich­keits­ar­beit eine
    wich­ti­ge ver­fas­sungs­recht­li­che Aufgabe.47
    Die Her­stel­lung von Öffent­lich­keit ist auch über eine
    Prä­senz in sozia­len Netz­wer­ken mög­lich. Öffent­lich­keits­ar­beit
    ist näm­lich nicht auf ein bestimm­tes Medi­um
    beschränkt. Ins­be­son­de­re besteht kei­ne Begren­zung auf
    „klas­si­sche Medi­en“ wie Rund­funk und Pres­se. Die­se
    wer­den von vie­len Per­so­nen­grup­pen immer weni­ger
    konsumiert.48 Im Gegen­teil: Die Öffent­lich­keits­ar­beit
    der Bun­des­re­gie­rung muss sich an neue Medi­en und
    Kom­mu­ni­ka­ti­ons­räu­me anpassen.49 Durch die sozia­len
    Medi­en und die die­sen imma­nen­te Schaf­fung neu­er
    Kom­mu­ni­ka­ti­ons­räu­me mani­fes­tiert sich ein Kul­tur­wan­del.
    50 Die­sen darf der Staat nicht igno­rie­ren.
    Es besteht ver­fas­sungs­recht­lich auch kei­ne Beschrän­kung
    auf bestimm­te alter­na­ti­ve Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nä­le.
    Sozia­le Netz­wer­ke sind nicht durch Rund­funk und Pres­se
    zu erset­zen. Der Staat darf und soll­te dort sein, wo
    sich sei­ne Bür­ge­rin­nen und Bür­ger auf­hal­ten. Die Kom­mu­ni­ka­ti­on
    hat sich gewan­delt. Auch der BfDI erkennt
    an, dass Fan­pages geeig­net sind, ein gewis­ses Ziel­pu­bli­kum
    zu erreichen.51 Zudem sind Sozia­le Medi­en der ein­zi­ge
    Ort, an dem eine dia­log­ori­en­tier­te Öffent­lich­keits­ar­beit
    erfol­gen kann, und eine unmit­tel­ba­re Reak­ti­on
    des Adres­sa­ten mög­lich ist. Die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit
    dem Staat über die­se soge­nann­ten neu­en Medi­en erhöht
    deren Wirk­macht gegen­über einer ein­di­men­sio­na­len Infor­ma­ti­on
    über den Staat, wie dies für klas­si­sche Medi­en
    üblich ist.
    Der Wan­del der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kul­tur durch digi­ta­le
    Inter­ak­ti­on hat sich in den letz­ten 15 Jah­ren voll­zo­gen,
    seit das Inter­net mit dem web 2.0 sog. „user gene­ra­ted
    content“52 über Platt­for­men ermöglicht.53 Die über­ra­gen­de
    Bedeu­tung für den Staat ergibt sich nicht nur für
    des­sen Infor­ma­ti­on, son­dern auch wegen der Unter­bin­dung
    von Des­in­for­ma­ti­on. Dem kann man nur durch
    eine Mode­ra­ti­on und einen per­ma­nen­ten Dis­kurs gegen­steu­ern.
    Platt­form­be­trei­ber sind die neu­en Inter­me­diä­re
    in der Kommunikation.54
    Die Unter­sa­gung des Betrei­bens einer Fan­page hat
    der BfDI nach § 29 Abs. 3 TTDSG iVm Art. 58 Abs. 2 lit. f)
    der DSGVO ver­hängt. Dem müss­te jedoch eine ermes­sens­feh­ler­freie
    Ent­schei­dung nach § 40 VwVfG zugrun­de­lie­gen.
    Genau die­se kann jedoch bezwei­felt wer­den.
    Hier­für hät­te es einer Fol­gen­ab­schät­zung im Sin­ne einer
    „Belastungsgesamtrechnung“55 bedurft. Denn nicht nur
    das BPA hat den Betrieb sei­ner Fan­page ein­zu­stel­len.
    Wenn man der Rechts­auf­fas­sung des BfDI folgt, müss­ten
    tat­säch­lich alle (!) Behör­den Face­book fern­blei­ben. Zudem
    gilt dies nicht nur für eine Prä­senz auf Face­book,
    son­dern auch für Insta­gram, Twit­ter, Tik­Tok, You­tube,
    etc. Alle Behör­den­sei­ten bei den gro­ßen ame­ri­ka­ni­schen
    und chi­ne­si­schen Diens­te­an­bie­tern müss­ten danach wegen
    Daten­schutz­be­den­ken geschlos­sen werden.56
    Damit wür­de ein Groß­teil der Öffent­lich­keits­ar­beit
    in der heu­ti­gen Zeit weg­bre­chen bzw. auf den Stand vor
    1 7 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 6 5 — 1 7 2
    57 Vgl. F.A.Z.-Interview mit dem Lei­ter der Deut­schen Jour­na­lis ten­schu­le,
    Jörg Sadro­zinski, wonach nur noch rund 30 Pro­zent der
    Jour­na­lis ten eine Fest­an­stel­lung erhal­ten, abruf­bar unter https://
    www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/buero-co/journalis ten­be­ruf-
    in-der-kri­se-nur-30-pro­zent-mit-fes ter‑s telle-12162566.html.
    All­ge­mein zum Ver­hält­nis von sozia­len Medi­en zu Jour­na­lis­mus:
    Neu­ber­ger, in: Schmidt/Taddicken (Hrsg.), Hand­buch Sozia­le
    Medi­en, 2. Auf­la­ge 2022, S. 81–102.
    58 Mit­tei­lung auf der Web­site des Medi­en­ver­band der frei­en Pres­se
    v. 07.03.2018, https://www.mvfp.de/nachricht/artikel/offener-briefeuropa-
    darf-die-daten­re­vo­lu­ti­on-nicht-ver­pas­sen/.
    59 Vgl. hier­zu Egger/Gattringer/Kupferschmitt, Media Pers pek­ti­ven
    5/2021, 270, 270.
    60 Unter den meis tge­nutz­ten sozia­len Netz­wer­ken befin­det sich kein
    euro­päi­sches Netz­werk, We are Social, Hoot­suite, Data­Re­por­tal,
    2023, Ran­king der größ­ten Social Net­works und Mes­sen­ger
    nach Anzahl der Nut­zer im Janu­ar 2023 (in Mil­lio­nen), https://
    de.s tatis ta.com/s tatis tik/daten/s tudie/181086/­um­fra­ge/­die-welt­weit-
    groess ten-social-net­works-nach-anzahl-der-user/. Die in
    Deutsch­land betrie­be­ne Platt­form Xing wird pri­mär im deutschs
    pra­chi­gen Raum aber vor­ran­ging als Berufs­ver­net­zungs platt­form
    ver­wen­det, vgl. hier­zu Simi­lar­Web, 2023, Anteil des Desk­top-
    Traf­fics von xing.com nach Her­kunfts­land im März 2023, https://
    de.s tatis ta.com/s tatis tik/daten/s tudie/501513/­um­fra­ge/laen­der-mit­dem-
    hoechs ten-anteil-am-traf­fic-von-xin­g/.
    61 Hier­zu etwa VG Karls­ru­he, Beck­RS 2005, 24209, VG Bre­men,
    Beck­RS 2014, 55577. All­ge­mein zur er-mes­sens­feh­ler­frei­en Stö­rer­aus­wahl
    Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, Poli­zei­recht in
    Baden-Wür­ten­berg, 7. Auf­la­ge 2017, Rn. 358 ff.
    62 Pres­se­mit­tei­lung 6/2023 des BfDI, https://www.bfdi.bund.de/
    Shared­Docs/­Pres­se­mit­tei­lun­gen/­DE/2023/06-Unter­sa­gung-Betrieb-
    Fanpage-BReg.html.
    2005, also zur alten Pres­se­kon­fe­renz, zurück­ge­wor­fen.
    Dies ist inso­weit als kri­tisch anzu­se­hen, da die Pres­se
    auf­grund des wirt­schaft­li­chen Drucks durch das digi­ta­le
    Kon­sum­ver­hal­ten der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger immer
    weni­ger fes­te Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten beschäf­tigt.
    57 Zudem könn­ten Bür­ge­rin­nen und Bür­ger staat­li­che
    Infor­ma­tio­nen nicht mehr kos­ten­frei erhal­ten, son­dern
    müss­ten ent­we­der Pres­se­er­zeug­nis­se erwer­ben
    oder auf den Web­sei­ten der Pres­se­ver­la­ge in die Ver­ar­bei­tung
    und Wei­ter­ga­be von per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten
    auch an Dritt­un­ter­neh­men ein­wil­li­gen. Die Pres­se­ver­la­ge
    und Medi­en­häu­ser haben sich im Zuge der Ver­hand­lun­gen
    zur ePri­va­cy-Ver­ord­nung in einem offe­nen Brief
    für die aktu­ell gel­ten­de sei­ten­in­di­vi­du­el­le Coo­kie­pra­xis
    und gegen eine daten­schutz­freund­li­che­re brow­ser­ba­sier­te
    Rege­lung zu track­ing­ba­sier­ter Wer­bung aus­ge­spro­chen.
    58 Auch für die soge­nann­ten klas­si­schen Medi­en
    sind die auf Basis von Track­ing­diens­ten erziel­ten Wer­be­ein­nah­men
    ein wich­ti­ges neu­es Geschäfts­mo­dell
    gewor­den.
    Inso­fern erscheint es wider­sprüch­lich, wenn der
    BfDI beklagt, dass Behör­den mit­tel­bar Pro­fil­bil­dung für
    Wer­be­zwe­cke auf Face­book durch ihre Fan­pages unter­stüt­zen,
    obwohl dies nicht vom Öffent­lich­keits­auf­trag
    gedeckt sei – um dann wie­der­um auf ande­re Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nä­le,
    etwa die Pres­se­be­richt­erstat­tung, zu ver­wei­sen,
    auf deren Online-Prä­sen­zen nichts Ande­res
    statt­fin­det.
    Gera­de für Hoch­schu­len, aber auch vie­le wei­te­re Behör­den
    wür­de mit die­ser Ent­schei­dung eine wich­ti­ge
    Quel­le für Recrui­ting-Kam­pa­gnen weg­fal­len. Über sozia­le
    Medi­en wer­den näm­lich jun­ge Men­schen adres­siert,
    die sich poten­ti­ell für ein Stu­di­um oder eine Aus­bil­dung
    begeis­tern kön­nen. Über Fern­seh­spots und Pres­se­kon­fe­ren­zen
    wer­den gan­ze Gene­ra­tio­nen kaum mehr erreicht.
    59 Und ein breit genutz­tes euro­päi­sches sozia­les
    Netz­werk zur pri­va­ten Kom­mu­ni­ka­ti­on gibt es seit der
    Abschal­tung von Stu­diVZ nicht mehr.60
    Legt man dem­entspre­chend die Rechts­auf­fas­sung des
    BfDI zugrun­de, dürf­te eigent­lich kei­ne (Bundes-)Behörde
    irgend­ein Ange­bot in den sozia­len Medi­en nut­zen.
    Inso­fern erscheint es will­kür­lich, wenn der BfDI eine
    ein­zi­ge Sei­te einer ein­zi­gen Behör­de in einem ein­zi­gen
    Netz­werk unter­sagt – alles ande­re aber bestehen lässt.
    Das erin­nert auch an die Recht­spre­chung der Ver­wal­tungs­ge­rich­te
    zur Stö­rer­aus­wahl im Gefahrenabwehrrecht61:
    Wenn bei einem Fes­ti­val hun­der­te Autos ille­gal
    geparkt wur­den, wäre es will­kür­lich, ein her­vor­ste­chen­des
    Auto her­aus­zu­grei­fen und nur die­ses abzu­schlep­pen,
    wenn dadurch die bestehen­de Gefah­ren­la­ge nicht effek­tiv
    besei­tigt wird. Dem Ein­wand, es könn­ten ja nicht alle
    Fahr­zeu­ge gleich­zei­tig abge­schleppt wer­den, ist zu ent­geg­nen,
    dass die Effek­ti­vi­tät der Gefah­ren­ab­wehr ein belast­ba­res
    Kon­zept for­dert. So könn­ten die Fahr­zeu­ge
    zum Bei­spiel von vor­ne nach hin­ten kon­se­quent abge­schleppt
    wer­den, um so den rechts­wid­ri­gen Zustand effek­tiv
    zu besei­ti­gen. Ein sol­ches trans­pa­ren­tes Kon­zept,
    wel­che Web­sei­te und wel­che Social Media-Nut­zung als
    nächs­tes unter­sagt wer­den, fehlt vor­lie­gend.
    In sei­ner Abwä­gung unter­schlägt der BfDI, dass er eigent­lich
    gegen­über allen Bun­des­be­hör­den vor­ge­hen
    müss­te und alle Fan­pages auf allen sozia­len Netz­wer­ken
    fak­tisch mit sei­nen Über­le­gun­gen abschal­ten möch­te.
    Die­se Annah­me unter­stützt auch die Aus­füh­rung des
    BfDI, wonach „alle Behör­den in der Ver­ant­wor­tung ste­hen,
    sich vor­bild­lich an Recht und Gesetz zu halten“.62
    Pasch­ke · Social Media-Nut­zung an Hoch­schu­len vor dem Aus? 1 7 1
    63 Vgl. Rep­ly auf dem Mas todon-Account des BfDI (@bfdi@social.
    bund.de) vom 27.2.2023 „Wir s tecken unse­re Ener­gie jetzt gera­de
    ers tmal in die­ses Ver­fah­ren. In ein paar Wochen wis­sen wir, ob
    das Bun­des pres­se­amt gegen unse­ren Bescheid klagt oder nicht.
    Dann sehen wir wei­ter. Aber selbs tvers tänd­lich hof­fen wir auf eine
    gewis­se Signal­wir­kung die­ses „Mus ter“-Verfahrens.“ https://social.
    bund.de/@bfdi/with_replies.
    64 Bescheid des BfDI vom 17.2.2023, S. 43.
    65 https://mas todon.help/de.
    66 You­Gov, 2022, Bekannt­heit der Twit­ter-Alter­na­ti­ve Mas todon in
    Deutsch­land ins­ge­samt und nach Alters­grup­pen im Jahr 2022,
    https://de.s tatis ta.com/statistik/daten/s tudie/1346383/umfrage/
    bekannt­heit-von-mas todon-in-deutsch­lan­d/.
    67 Hier­zu bereits Uppen­dahl, ZParl. 1981, 123 ff.; vgl. auch Rom­mel­fan­ger,
    Das kon­sul­ta­ti­ve Refe­ren­dum, 1988, S. 103 ff.; Zit­tel, Mehr
    Res pon­si­vi­tät durch digi­ta­le Medi­en?, 2010; sowie Wür­ten­ber­ger,
    Poli­tik und Kul­tur, 1985, S. 51 ff., 59 ff.
    68 All­ge­mein zur Bedeu­tung von Akzep­tanz Wür­ten­ber­ger, Die
    Akzep­tanz von Ver­wal­tungs­ent­schei­dun­gen, 1996; vgl. auch Drefs,
    Die Öffent­lich­keits­ar­beit des Staa­tes und die Akzep­tanz sei­ner
    Ent­schei­dun­gen, 2019.
    Die Hoff­nung auf eine ent­spre­chen­de Signal­wir­kung des
    vor­lie­gen­den Ver­fah­rens hat der BfDI bereits öffent­lich
    anklin­gen lassen.63
    Zudem ver­weist der BfDI nur für die Face­book-Fan­page-
    Pro­ble­ma­tik auf Alternativen.64 Es ist aber davon
    aus­zu­ge­hen, dass bei einer Ver­la­ge­rung der Öffent­lich­keits­ar­beit
    auf Tik­Tok oder Insta­gram auch die­se Kanä­le
    sehr schnell daten­schutz­recht­lich in Fra­ge gestellt wer­den.
    Das ange­ge­be­ne Tool Mast­o­don ist eben kei­ne adäqua­te
    Alter­na­ti­ve, da sich dort Men­schen nicht in einem
    Netz­werk aufhalten.65 Zudem nut­zen die­ses Tool
    nur sehr weni­ge Bür­ge­rin­nen und Bürger.66
    Es wur­de damit die Dimen­si­on, die die­se Rechts­auf­fas­sung
    auch für den demo­kra­ti­schen Rechts­staat hat, in
    der getrof­fe­nen Abwä­gung nicht erkannt. Ins­be­son­de­re
    feh­len empi­ri­sche Daten zur Anzahl der Behör­den auf
    Face­book, wie­viel Kom­mu­ni­ka­ti­on dort statt­fin­det, und
    eine Wirk­sam­keits­mes­sung, wel­che Infor­ma­tio­nen über
    wel­chen Kanal wie rezi­piert wer­den.
    Vor die­sem Hin­ter­grund hät­te sich der BfDI vor­ab
    aus­führ­lich mit der Fra­ge aus­ein­an­der­set­zen müs­sen,
    wel­che Rol­le der Öffent­lich­keits­auf­trag des Staa­tes in
    die­sem Zusam­men­hang spielt. Will er den Vor­wurf der
    Will­kür ver­mei­den, müss­te er sämt­li­che daten­schutz­wid­ri­gen
    Akti­vi­tä­ten auf sozia­len Netz­wer­ken unter­sa­gen,
    nicht nur jene des BPA auf Face­book. Dann aber
    wird eine (entscheidungs-)erhebliche Beein­träch­ti­gung
    staat­li­cher Öffent­lich­keits­ar­beit her­bei­ge­führt. Die­se ist
    (ein­schließ­lich empi­ri­scher Daten) in den Abwä­gungs­pro­zess
    der Daten­schutz­auf­sicht ein­zu­brin­gen; aktu­ell
    ist daher davon aus­zu­ge­hen, dass ein Abwä­gungs­de­fi­zit
    vor­liegt.
    III. Aus­wir­kun­gen der Ent­schei­dung des BfDI auf die
    Hoch­schu­len
    Natür­lich kann man der­zeit noch nicht abse­hen, wie das
    Ver­wal­tungs­ge­richt Köln und mög­li­che wei­te­re Instanz­ge­rich­te
    im Fall BfDI vs. BPA ent­schei­den wer­den. Folgt
    man der hier ver­tre­te­nen Rechts­auf­fas­sung, müss­te die
    Unter­sa­gungs­ver­fü­gung des BfDI wegen des Abwä­gungs­de­fi­zits
    wohl auf­ge­ho­ben wer­den. Je nach­dem, wie
    die Ent­schei­dung im Detail begrün­det wird und wel­cher
    Stel­len­wert den Daten­schutz­ri­si­ken einer­seits und dem
    Öffent­lich­keits­auf­trag des Staa­tes ande­rer­seits zuge­mes­sen
    wird, könn­te ein Ver­bleib staat­li­cher Behör­den in
    sozia­len Netz­wer­ken kurz- oder lang­fris­tig mög­lich sein.
    Was nach der­zei­ti­gem Kennt­nis- und Ver­fah­rens­stand
    aber sicher ist: Die Ent­schei­dung hat erheb­li­che
    Aus­wir­kun­gen auf die Hoch­schu­len und wis­sen­schaft­li­chen
    Ein­rich­tun­gen. Wie ein­gangs geschil­dert, sind die­se
    viel­fach mit Face­book-Fan­pages, Insta­gram- und
    Twit­ter-Accounts oder gar auf Tik­Tok ver­tre­ten. Auch
    sie betrei­ben Öffent­lich­keits­ar­beit in die­sen sozia­len
    Medi­en, um ins­be­son­de­re Schü­le­rin­nen und Schü­ler
    oder Stu­die­ren­de dort zu errei­chen, wo die­se sich viel­fach
    auf­hal­ten. Zwar sind die Mög­lich­kei­ten zur Öffent­lich­keits­ar­beit
    der Hoch­schu­len kei­nes­wegs auf sozia­le
    Medi­en beschränkt. Die­se spie­len aber eine durch­aus
    wesent­li­che Rol­le, wenn man sich nur exem­pla­risch die
    Face­book-Fan­pages von Hoch­schu­len anschaut. So infor­miert
    etwa die Albert-Lud­wigs-Uni­ver­si­tät Frei­burg
    im Breis­gau ihre mehr als 18.000 Fol­lower mehr­fach in
    der Woche über aktu­el­le Ereig­nis­se, For­schungs­er­kennt­nis­se
    oder stu­den­ti­sche Belan­ge. Das gilt in ähn­li­cher
    Wei­se für die Tech­ni­sche Uni­ver­si­tät Mün­chen mit
    104.000 Fol­lo­wern auf Face­book. Es sind aber nicht nur
    sol­che empi­ri­schen Zah­len, die die Rele­vanz von sozia­len
    Medi­en in der öffent­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­on von
    Hoch­schu­len bele­gen. Öffent­lich­keits­ar­beit zumin­dest
    bei den staat­li­chen Hoch­schu­len hat einen ver­gleich­ba­ren
    ver­fas­sungs­recht­li­chen Hin­ter­grund wie jene der
    Bun­des­re­gie­rung oder Bun­des­ver­wal­tung. Sie lässt sich
    glei­cher­ma­ßen ver­fas­sungs­recht­lich auf das Demo­kra­tie­prin­zip
    zurück­füh­ren. Man könn­te auch so weit gehen
    und eine Ver­bin­dung zum Prin­zip der respon­si­ven Demokratie67
    her­stel­len. Will der Staat mit sei­nen Ein­rich­tun­gen
    (wie eben auch den Hoch­schu­len) im 21. Jahr­hun­dert
    sein „Ohr am Puls der Zeit“ hal­ten, muss er die
    Befind­lich­kei­ten, Erwar­tun­gen und Akti­vi­tä­ten sei­ner
    Bür­ge­rin­nen und Bür­ger dort erkun­den, wo die­se sich
    befin­den: in den sozia­len Medi­en. Dies stärkt auch Akzep­tanz
    und Ver­trau­en des Staa­tes, nicht zuletzt durch
    die par­ti­zi­pa­ti­ven Elemente.68
    1 7 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 6 5 — 1 7 2
    69 Eine Ana­ly­se der deut­schen Daten­schutz­be­hör­den und des Euro­päi­schen
    Daten­schutz­aus­schus­ses hat erge­ben, dass das Daten­schutz­ni­veau
    in den USA, Indi­en, Chi­na und Russ­land als nicht
    ange­mes­sen zu beur­tei­len sei, hier­zu: https://www.taylorwessing.
    com/­de/in­sights-and-event­s/in­sights/2022/02/­whe­re-is-datapro­ces­sing-
    s till-pos­si­ble.
    70 Vgl. etwa Hin­wei­se und Ori­en­tie­rungs­hil­fen der Daten­schutz-
    Auf­sichts­be­hör­den zu daten­schutz­kon­for­men Video­kon­fe­renz­sys­te­men,
    exem­pla­risch: https://www.bfdi.bund.de/DE/Fachthemen/
    Inhal­te/­Te­le­fon-Inter­ne­t/­Da­ten­schutz­pra­xis/­Vi­deo­kon­fe­renz­sys teme.
    html.
    Auch das Hoch­schul­recht erkennt die Bedeu­tung öffent­li­cher
    Kom­mu­ni­ka­ti­on der Hoch­schu­len an. So unter­rich­ten
    die Hoch­schu­len gem. § 2 Abs. 9 LHG (Lan­des­hoch­schul­ge­setz
    Baden-Würt­tem­berg) „die Öffent­lich­keit
    regel­mä­ßig über die Erfül­lung ihrer Auf­ga­ben
    und die dabei erziel­ten Ergeb­nis­se.“ Auch nach
    § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 NGH (Nie­der­säch­si­sches Hoch­schul­ge­setz)
    ist die Öffent­lich­keit durch die Hoch­schu­len
    über die Erfül­lung ihrer Auf­ga­ben sowie über ihre
    Ver­an­stal­tun­gen zu unter­rich­ten. Ergän­zend wird die
    Kon­takt­pfle­ge mit ehe­ma­li­gen Mit­glie­dern der Hoch­schu­le
    als Auf­ga­be defi­niert (§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 NGH).
    Eine sol­che Kon­takt­pfle­ge erfolgt ins­be­son­de­re auch in
    sozia­len Medi­en. Bemer­kens­wert ist auch § 2 Abs. 2 Bay-
    HIG (Baye­ri­sches Hoch­schul­in­no­va­ti­ons­ge­setz): Danach
    wir­ken die Hoch­schu­len als offe­ne und dyna­mi­sche
    Bil­dungs­ein­rich­tun­gen in die Gesell­schaft hin­ein. Sie betrei­ben
    und för­dern den Wis­sens- und Tech­no­lo­gie­trans­fer
    für die sozia­le, öko­lo­gi­sche und öko­no­mi­sche Ent­wick­lung.
    Durch eine kon­ti­nu­ier­li­che Wis­sen­schafts­kom­mu­ni­ka­ti­on
    und künst­le­ri­schen Aus­tausch set­zen sich
    die Hoch­schu­len für ein bes­se­res Ver­ständ­nis von Wis­sen­schaft
    und Kunst ein, befä­hi­gen im öffent­li­chen Dis­kurs
    zur Ein­brin­gung wis­sen­schaft­lich geprüf­ter Fak­ten und
    zur Auf­de­ckung mani­pu­la­ti­ver Fehl­in­for­ma­tio­nen. Sie
    nut­zen und unter­stüt­zen den Fort­schritt durch Digi­ta­li­sie­rung
    in allen Berei­chen. Um all die­se Auf­ga­ben zu erfül­len,
    bedarf es eines umfas­sen­den Sys­tems der öffent­li­chen
    Kom­mu­ni­ka­ti­on, Platt­for­men für die öffent­li­che
    Debat­te und einer Feed­back­struk­tur, die den ein­zel­nen
    erreicht, um ihn zu infor­mie­ren, vor Des­in­for­ma­ti­on zu
    bewah­ren und gleich­zei­tig auf­nimmt, wie die­se Per­so­nen
    sich äußern, wie sie agie­ren und wie sie sich zu die­sen
    Infor­ma­tio­nen ver­hal­ten. Kon­ven­tio­nel­le Pres­se­kon­fe­ren­zen,
    das linea­re Fern­se­hen oder Print­me­di­en errei­chen
    die­se Form der unmit­tel­ba­ren Kom­mu­ni­ka­ti­on
    nicht.
    So gese­hen müss­ten die zustän­di­gen Daten­schutz­auf­sichts­be­hör­den
    ähn­li­che wie die hier ange­stell­ten Abwä­gun­gen
    vor­neh­men, bevor sie die Nut­zung sozia­ler
    Medi­en durch die Hoch­schu­len unter­sa­gen. Es ist alle­mal
    emp­foh­len, dass die Hoch­schu­len und ihre Inter­es­sen­ver­bän­de
    den Rechts­streit vor dem VG Köln beob­ach­ten
    und zu gege­be­ner Zeit auf die­se Ent­wick­lung
    reagie­ren bzw. sich für ver­gleich­ba­re Ver­fah­ren wapp­nen.
    IV. Fazit: Von Köln nach Euro­pa und wie­der zurück
    Die daten­schutz­recht­li­che Situa­ti­on in Euro­pa ist para­dox.
    Der­zeit betreibt selbst die EU-Kom­mis­si­on als
    Hüte­rin der Ver­trä­ge und der Ein­hal­tung des Euro­pa­rechts
    eine Prä­senz auf Face­book und die iri­sche Daten­schutz­auf­sichts­be­hör­de,
    die für die Auf­sicht gegen­über
    Meta und ande­ren gro­ßen inter­na­tio­na­len Digi­tal­kon­zer­nen
    zustän­dig ist, da die­se in Irland ihren euro­päi­schen
    Sitz haben, sieht sie selbst kei­nen Bedarf, in die­sem
    Zusam­men­hang gegen die Daten­ver­ar­bei­tung bzw.
    die teil­wei­se unvoll­stän­di­ge Bereit­stel­lung von Infor­ma­tio­nen
    zur Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten auf
    der Platt­form Face­book vor­zu­ge­hen. Die­se Ent­schei­dung
    ist eben­falls kri­tisch zu hin­ter­fra­gen. Es zeigt
    zumin­dest, dass wir von dem Ziel der DSGVO der euro­päi­schen
    Har­mo­ni­sie­rung der Daten­schutz­stan­dards in
    der Pra­xis noch weit ent­fernt sind.
    Der der­zeit vor dem VG Köln geführ­te Rechts­streit
    zwi­schen zwei deut­schen Bun­des­be­hör­den ist geeig­net,
    auch Aus­wir­kung auf das euro­päi­sche Ver­ständ­nis der
    DSGVO zu haben. Es bleibt den­noch zu hof­fen, dass die
    Ent­schei­dung den Instan­zen­zug beschrei­tet und die Jus­tiz
    über den Ein­zel­fall hin­aus­ge­hend die dahin­ter­lie­gen­de
    kom­ple­xe demo­kra­ti­sche und kom­mu­ni­ka­ti­ve Her­aus­for­de­rung
    in ihre Über­le­gun­gen ein­be­zieht.
    Wir erle­ben aktu­ell einen Kul­tur­wan­del durch die
    Digi­ta­li­sie­rung der Kom­mu­ni­ka­ti­on. Die­ser kann nicht
    durch die Abschal­tung einer ein­zel­nen Fan­page auf einer
    Platt­form durch eine Behör­de gelöst wer­den. Gleich­sam
    stellt ein kol­lek­ti­ves Ver­bot für Behör­den, sozia­le Medi­en
    zu nut­zen und damit die­sen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­raum
    zu ver­las­sen, kei­ne adäqua­te Lösung dar. Über­tra­gen
    stel­len sich die­se Her­aus­for­de­run­gen näm­lich in vie­len
    wei­te­ren Zusam­men­hän­gen, ins­be­son­de­re auch bei allen
    Soft­ware­an­ge­bo­ten von ame­ri­ka­ni­schen und chi­ne­si­schen
    Anbie­tern, die über eine Cloud betrie­ben werden69,
    allen ande­ren sozia­len Netz­wer­ken und natür­lich
    bei Video­kon­fe­renz­sys­te­men, was in der Daten­schutz­pra­xis
    bereits die ver­schie­dens­ten Blü­ten getrie­ben hat. 70
    Die natio­na­le und euro­päi­sche Jus­tiz kann zwar dabei
    hel­fen, eine ein­heit­li­che Daten­schutz­pra­xis in Euro­pa
    zu for­men, es wäre jedoch wün­schens­wert, wenn die
    Daten­schutz­auf­sichts­be­hör­den statt natio­na­ler Allein­gän­ge
    die prak­ti­schen und recht­li­chen Mög­lich­kei­ten
    aus­schöp­fen, um auf eine ein­heit­li­che euro­päi­sche DaWie
    lan­ge ist man eigent­lich Nachwuchs?1 Die­se Fra­ge wirft die Debat­te rund um die Neu­ge­stal­tung der Arbeits­be­din­gun­gen des wis­sen­schaft­li­chen Mit­tel­baus regel­mä­ßig auf. Hoch­schu­len und For­schungs­ein­rich­tun­gen beschäf­ti­gen For­schen­de und Leh­ren­de regel­mä­ßig als „aka­de­mi­schen Nach­wuchs“ bis Mit­te 402 befris­tet. 2021 muss­ten sich das VG Freiburg3 und der VGH Mannheim4 mit die­ser Pro­ble­ma­tik aus recht­li­cher Sicht befas­sen. Der Antrags­stel­ler begehr­te, der Antrags­geg­ne­rin, einer Uni­ver­si­tät, zu unter­sa­gen, eine Ten­ure-Track-Pro­fes­sur ‚Neue­re Deut­sche Lite­ra­tur mit dem Schwer­punkt Inter­kul­tu­rel­le Lite­ra­tur­wis­sen­schaft‘ zu beset­zen. Die Aus­wahl­kom­mis­si­on der Uni­ver­si­tät hielt den pro­mo­vier­ten, zunächst noch nicht habi­li­tier­ten Antrags­stel­ler nicht mehr für einen „Nach­wuchs­wis­sen­schaft­ler in einer frü­hen Karrierephase“.5
    Der vor­lie­gen­de Bei­trag will der Fra­ge nach­ge­hen, wie lan­ge man auf Juni­or­pro­fes­su­ren mit und ohne Ten­ure-Track beru­fen wer­den kann. Hier­zu lohnt sich ein Blick zurück: Wie hat sich die Juni­or­pro­fes­sur ent­wi­ckelt (I)? Die Ten­ure-Track-Pro­fes­sur soll­te wesent­li­che Defi­zi­te der Juni­or­pro­fes­sur aus­glei­chen. Hier muss die gesetz­ge­be­ri­sche Inten­ti­on näher betrach­tet wer­den (II). Dabei wer­den ein Kon­flikt der Juni­or­pro­fes­sur mit und ohne Ten­ure-Track mit wesent­li­chen Wer­tun­gen des WissZeitVG und eine Dis­pa­ri­tät der lan­des­recht­li­chen Kon­zep­tio­nen sicht­bar. Mit den Fol­gen hat­ten auch die bei­den Ver­wal­tungs­ge­rich­te zu kämp­fen (III). Die Reform des WissZeitVG könn­te womög­lich dazu bei­tra­gen, die­se Wer­tungs­wi­der­sprü­che auf­zu­lö­sen (IV).
    I. Ent­wick­lung der Juni­or­pro­fes­sur
    Will man das aka­de­mi­sche Höchst­al­ter zur Beru­fung auf eine Juni­or­pro­fes­sur bestim­men, muss man ihre Wur­zeln ver­ste­hen. Die Juni­or­pro­fes­sur ist Teil einer inten­dier­ten umfas­sen­den Umge­stal­tung der Hochschullandschaft.6 Es wird sich zei­gen: Die­se umfas­sen­de Umge­stal­tung hat nicht stattgefunden.
  28. Die Vor­stel­lun­gen des Bun­des­ge­setz­ge­bers
    Die Juni­or­pro­fes­sur ist eine Erfin­dung des Bun­des. Mit dem Fünf­ten Gesetz zur Ände­rung des Hoch­schul­rah­men­ge­set­zes und ande­rer Vor­schrif­ten (5. HRG­ÄndG) vom 16.02.2002 soll­te ein „neu­er Weg zur Pro­fes­sur an Uni­ver­si­tä­ten und gleich­ge­stell­ten Hoch­schu­len“ geschaf­fen werden.7 Der dar­aus resul­tie­ren­den neu­en Per­so­nal­ka­te­go­rie soll­te ein Recht zu selb­stän­di­ger For­Si­mon
    Pschorr
    Aka­de­mi­sches Höchst­al­ter für die Juni­or­pro­fes­sur
    Zur Ein­ord­nung der Juni­or­pro­fes­sur mit und ohne Ten­ure-Track in das Sys­tem wis­sen­schaft­li­cher
    Qua­li­fi­zie­rung
    1 Die For­mu­lie­rung „wis­sen­schaft­li­cher Nach­wuchs“ beschreibt For­schen­de und Leh­ren­de, die nicht auf eine Pro­fes­sur beru­fen wur­den. Er wird noch immer weit­hin ver­wen­det, vgl. etwa § 72 SHSG; § 33 BbgHG; https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/wissenschaftlicher-nachwuchs/wissenschaftlicher-nachwuchs.html, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023; Beck­OK Hoch­schul­recht Niedersachsen/Pautsch § 4 NHG Rn. 15; Epping/Epping § § 24 NHG Rn. 45; Barns tedt, Die Ver­ant­wor­tung der Hoch­schu­len für den wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuchs, OdW 2018, 223, 224 ff.; Sie­we­ke, Die Rech­te des wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuch­ses im Rah­men der Pro­mo­ti­on, JuS 2009, 283. Der Bun­des­be­richt wis­sen­schaft­li­cher Nach­wuchs selbs t kri­ti­siert dabei die Begriff­lich­keit, vgl. BuWin 2021, abruf­bar unter https://www.buwin.de/dateien/buwin-2021.pdf, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023, S. 62; sie­he auch BuWin 2017, abruf­bar unter https://www.buwin.de/dateien/buwin-2017.pdf, S. 65; zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023; Döring, Wol­len wir wirk­lich BeStI(e)n sein? Ein Plä­doy­er an und gegen „den wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuchs“, abruf­bar unter https://mittelalter.hypotheses.org/9774, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023; Wilms, Wer wächs t wohin? Zum Begriff des wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuch­ses, abruf­bar unter https://www.praefaktisch.de/wissenschaftlicher-nachwuchs/wer-waechs t‑wo­hin-zum-begriff-des-wis­sen­schaft­li­chen-nach­wuch­ses/, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023. Im Fol­gen­den wird für die Sta­tus­grup­pe der Beschäf­tig­ten unter­halb der Pro­fes­sur des­halb der neu­tra­le­re Ter­mi­nus „wis­sen­schaft­li­cher Mit­tel­bau“ ver­wen­det.
    2 Vgl. BuWin 2021, abruf­bar unter https://www.buwin.de/dateien/buwin-2021.pdf, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023, S. 196; https://www.s tatis tik-bw.de/Presse/Pressemitteilungen/2023069
    3 VG Frei­burg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = Beck­RS 2021, 10384.
    4 VGH Mann­heim, Beschluss vom 07.07.2021 – 4 S 1541/21 = Beck­RS 2021, 19932.
    5 VG Frei­burg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = Beck­RS 2021, 10384 Rn. 63.
    6 Zur Kon­zep­ti­on Hoins, Die Juni­or­pro­fes­sur als Zen­tral­fi­gur der Per­so­nals truk­tur­re­form an den Hoch­schu­len, NVwZ 2003, 1343.
    7 BT-Drs. 14/6853, S. 1.
    Ord­nung der Wis­sen­schaft 2023, ISSN 2197–9197
    1 7 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 7 3 — 1 8 0
    8 BT-Drs. 14/6853, S. 1; zu den prak­ti­schen Fol­gen im Lehr­de­pu­tat
    vgl. OVG Lüne­burg, Beschluss vom 29.06.2004 — 2 NB 859/04 =
    NJOZ 2004, 3095, 3096.
    9 BT-Drs. 14/6853, S. 14.
    10 BT-Drs. 14/6853, S. 14.
    11 BT-Drs. 14/6853, S. 15, 18 f.
    12 BT-Drs. 14/6853, S. 16.
    13 BT-Drs. 14/6853, S. 16.
    14 BT-Drs. 14/6853, S. 17.
    15 Dem Ver­fas­ser is t bewuss t, dass die Beru­fungs pra­xis den Begriff
    gering­fü­gig anders ver­wen­det. Das aka­de­mi­sche Alter wird
    in Beru­fungs­ver­fah­ren als Kenn­grö­ße der wis­sen­schaft­li­chen
    Leis tun­gen rela­tiv zur Lebens­zeit bzw. akti­ven Publi­ka­ti­ons­zeit
    genutzt. Sie­he hier­zu etwa OVG Müns ter, Beschluss vom
    17.01.2022 – 6 B 1512/21 = Beck­RS 2022, 294 Rn. 20 ff.; VG Min­den,
    Beschluss vom 31.08.2021 – 4 L 265/21 = Beck­RS 2021, 46261 Rn.
    23; Beck­OK Hoch­schul­recht Bayern/Jaburek Art. 18 BayHSchPG
    Rn. 56; https://gb.uni-koeln.de/e2106/e2113/e37146/Handreichung_
    akad_Alter_UzK_ger.pdf; https://www.ufz.de/export/
    data/2/272592_262666_Infoblatt_Akademisches%20Alter.pdf;
    https://www.tu.berlin/s tabbk/berufungen/berufungsverfahren/
    aka­de­mi­sches-alter; https://www.uni-frankfurt.de/83947891/
    FAQ_de_2020.pdf; https://www.uni-kons tanz.de/forschen/
    aka­de­mi­sche-kar­rie­re­ent­wick­lun­g/­kons tan­zer-kodex/; https://tudresden.
    de/­tu-dres­den/­uni­ver­si­taets­kul­tur/­di­ver­si­taet-inklu­si­on/
    ressourcen/dateien/gleichs tel­lun­g/­be­ru­fun­gen/­chan­cen­gleich­he­it­in-
    berufungsverfahren?lang=de, S. 2, jeweils zuletzt abge­ru­fen am
    06.04.2023.
    16 Mit der Ter­mi­no­lo­gie des Bun­des­ge­setz­ge­bers wird im Fol­gen­den
    die ori­gi­nä­re Pro­fes­sur auf Lebens­zeit als Lebens­zeit­pro­fes­sur
    bezeich­net.
    17 BT-Drs. 14/6853, S. 17.
    18 Dazu nächer BT-Drs. 14/6853, S. 20 ff.
    19 Geis/Krause WissZeitVG Einf. Rn. 4, 7; Erf­Kom­m/­Mül­ler-Glö­ge
    § 1 WissZeitVG Rn. 4; Ascheid/Preis/Schmidt/Schmidt
    § 1 WissZeitVG Rn. 3; Boecken/Düwell/Diller/Hanau/Boemke
    § 1 WissZeitVG Rn. 1; anders aber Nomos­Komm-BR/­Jous­sen
    § 1 Rn. 3; Löwisch, Die Ablö­sung der Befris tungs­bes tim­mun­gen
    des Hoch­schul­rah­men­ge­set­zes durch das Wis­sen­schafts­zeit­ver­trags­ge­setz,
    NZA 2007, 479; zu den Modi­fi­ka­tio­nen des Anwen­dungs­be­reichs
    auch Meiß­ner, Ents tehung und Ent­wick­lung des
    Hoch­schul­be­fris­tungs­rechts, OdW 2016, 181, 184.
    20 Zu den Fol­gen für das Befris tungs­recht der §§ 57a ff. HRG sie­he
    Löwisch, Befris tun­gen im Hoch­schul­be­reich — Rechts­la­ge nach
    dem Urteil des BVerfG zur Juni­or­pro­fes­sur, NZA 2004, 1065 und
    Dieterich/Preis, Das Hoch­schul­ar­beits­recht in der Verfassungsfalle?
  • Erwi­de­rung auf Löwisch, NZA 2004, 1065 ff., NZA 2004, 1241.
    21 BVerfG, Urteil vom 27.07.2004 — 2 BvF 2/02 = NJW 2004, 2803.
    22 BVerfG, Urteil vom 27.07.2004 — 2 BvF 2/02 = NJW 2004, 2803,
    2804.
    23 BVerfG, Urteil vom 27.07.2004 — 2 BvF 2/02 = NJW 2004, 2803,
    2804 f.
    24 BVerfG, Urteil vom 27.07.2004 — 2 BvF 2/02 = NJW 2004, 2803,
    2807.
    25 Janz, Aus für die Juni­or­pro­fes­sur?, JuS 2004, 852, 855.
    26 Zur Ter­mi­no­lo­gie vgl. Löwisch, Die gesetz­li­che Repa­ra­tur des
    Hoch­schul­be­fris tungs­rechts, NZA 2005, 321.
    27 Bezeich­net als Besei­ti­gung von Rechts­un­si­cher­hei­ten, vgl. BT-Drs.
    15/4132, S. 1; beck­link 129957.
    schung und Lehre8 zukom­men, um „die im inter­na­tio­na­len
    Ver­gleich unzu­rei­chen­de Selb­stän­dig­keit der Post­dok­to­ran­din­nen
    und Post­dok­to­ran­den zu beseitigen“.9
    Dar­über hin­aus soll­te sie ein Instru­ment gegen die „lan­ge
    Qua­li­fi­ka­ti­ons­dau­er des wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuch­ses“
    und „das hohe Erst­be­ru­fungs­al­ter von Pro­fes­so­rin­nen
    und Pro­fes­so­ren“ sein.10 In Abkehr vom klas­si­schen
    Habilitationsmodell11 soll­te die Juni­or­pro­fes­sur als
    neue „Bewäh­rungs­pha­se für eine Lebens­zeit­pro­fes­sur“
    eta­bliert werden.12 Die Juni­or­pro­fes­sur soll­te nach Vor­stel­lung
    des Bun­des­ge­setz­ge­bers in mög­lichst zeit­na­hem
    Anschluss an die Pro­mo­ti­on ange­tre­ten wer­den, wobei
    die Län­ge der Pro­mo­ti­ons- und Beschäf­ti­gungs­pha­se vor
    der Juni­or­pro­fes­sur ins­ge­samt nicht mehr als sechs Jah­re
    betra­gen sollte.13 Jedoch war kei­ne gesetz­li­che Alters­gren­ze
    vorgesehen.14 Die­se (Vor-)Beschäftigungszeit in
    der Wis­sen­schaft soll im Fol­gen­den als aka­de­mi­sches
    Alter bezeich­net werden.15 Nach einer Zwi­schen­eva­lua­ti­on
    im Rah­men der Juni­or­pro­fes­sur nach drei Jah­ren und
    nach Ablauf von vier bis höchs­tens sechs Jah­ren soll­te
    eine Bewer­bung auf eine Lebenszeitprofessur16 erfol­gen.
    17 Im glei­chen Gesetz wur­de der Grund­stein für das
    Befris­tungs­recht des aka­de­mi­schen Mit­tel­baus gelegt:
    §§ 57a – 57b HRG aF,18 die im Rege­lungs­kern weit­ge­hend
    unmo­di­fi­ziert in das WissZeitVG über­nom­men wur­den.
    19
    Doch die Kon­zep­ti­on des Bun­des­ge­setz­ge­bers hielt
    vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt nicht stand. Es erklär­te
    die Juniorprofessur20 für mit dem Grund­ge­setz
    unvereinbar.21 Zwar stand dem Bund zu die­sem Zeit­punkt
    (noch) die Rah­men­ge­setz­ge­bungs­kom­pe­tenz zur
    Nor­mie­rung der all­ge­mei­nen Grund­sät­ze des Hoch­schul­we­sens
    gem. Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a GG aF zu.
    Doch über­schritt der Bund die­sen Kom­pe­tenz­ti­tel, weil
    er nicht nur eine Rah­men­vor­ga­be setz­te, son­dern den
    Län­dern die Mög­lich­keit ent­zog, die Sach­ma­te­rie ent­spre­chend
    den beson­de­ren Ver­hält­nis­sen des Lan­des zu
    regeln.22 Mit sei­ner detail­lier­ten Rege­lung des neu­en
    Hoch­schul­per­so­nal­mo­dells über­schritt er zugleich Art.
    75 Abs. 2 GG aF.23 Das Dienst­recht erwies sich für den
    Bun­des­ge­setz­ge­ber als ver­fas­sungs­wid­ri­ges Mit­tel, um
    die per­so­nel­le Orga­ni­sa­ti­on der Hoch­schu­len und damit
    das Hoch­schul­we­sen ins­ge­samt grund­le­gend umzu­ge­stal­ten.
    24 Die Lite­ra­tur erkann­te umge­hend, dass der
    Spruch des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts die grund­le­gen­de
    Umstruk­tu­rie­rung der Hoch­schul­land­schaft been­de­te,
    jedoch die Juni­or­pro­fes­sur nicht beerdigte.25
    Dies besie­gel­te spä­tes­tens das „Reparaturgesetz“26 zur
    Ände­rung dienst- und arbeits­recht­li­cher Vor­schrif­ten
    im Hoch­schul­be­reich vom 27.12.2004. Mit die­sem ret­te­te
    der Bund das Kon­zept der Juniorprofessur,27 indem er in
    den §§ 42 S. 1, 47 f. HRG nur noch die Per­so­nal­ka­te­go­rie
    Pschorr · Aka­de­mi­sches Höchst­al­ter für die Juni­or­pro­fes­sur 1 7 5
    28 Näher BT-Drs. 15/4132, S. 13 ff.
    29 BT-Drs. 15/4132, S. 14.
    30 BT-Drs. 15/4132, S. 14.
    31 BT-Drs. 15/4132, S. 15.
    32 beck­link 143916.
    33 2018 waren 276 von ins­ge­samt 1580 Juni­or­pro­fes­su­ren Teil des
    Ten­ure-Track-Pro­gramms, sie­he BuWin 2021, abruf­bar unter
    https://www.buwin.de/dateien/buwin-2021.pdf, zuletzt abge­ru­fen
    am 06.04.2023, S. 93.
    34 Sta­tis tisches Bun­des­amt, Anzahl der Juni­or­pro­fes­so­rin­nen und
    -Pro­fes­so­ren nach Geschlecht in Deutsch­land in den Jah­ren von
    2005 bis 2018, abruf­bar unter https://de.s tatis ta.com/s tatis tik/
    daten/s tudie/1244537/­um­fra­ge/­ju­ni­or­pro­fes­so­rin­nen-und-pro­fes­so­ren-
    nach-geschlech­t/, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023.
    35 Näher sowie zum hohen Frau­en­an­teil sie­he BuWin 2021, abruf­bar
    unter https://www.buwin.de/dateien/buwin-2021.pdf, zuletzt
    abge­ru­fen am 06.04.2023, S. 88 ff.
    36 Die maß­geb­li­chen Nor­men sind § 51 BWLHG; § 54 RPF­HocSchG;
    § 42 SHSG; § 30 NHG; Art. 14 ff. BayHSchPersG aF bzw. Art. 63 ff.
    Bay­HIG nF; §§ 45 f. BbgHG; § 64 S‑HHSG; §§ 101, 102a f. BerlHG;
    § 89 ThürHG; §§ 18 f. HmbHG; § 62 M‑VLHG; § 63 SächsHSFG;
    §§ 40 f. LSAHSG; §§ 17 f. BremHG; §§ 36, 39 Abs. 5 f. NRWHG.
    37 Die­se Aus­nah­me soll als Über­brü­ckungs­mög­lich­keit bei nega­ti­ver
    Eva­lua­ti­on die­nen, vgl. Beck­OK Hoch­schul­recht Hessen/Globuschütz
    § 70 HessHG Rn. 2. Hier­für is t sie dis­funk­tio­nal – is t bei
    Eva­lua­ti­on ja bereits eine Qua­li­fi­ka­ti­ons pro­fes­sur begrün­det.
    38 Der Begriff der Juni­or­pro­fes­sur wur­de auf­grund der Stig­ma­ti­sie­rungs­wir­kung
    ver­mie­den, vgl. Beck­OK Hoch­schul­recht Hessen/
    Glo­buschütz § 70 HessHG Rn. 2.
    39 Auch hier is t die Lebens­zeit­pro­fes­sur gemeint. Das Gesetz soll
    jedoch wört­lich wie­der­ge­ge­ben wer­den.
    40 So auch § 51 Abs. 1 S. 1 BWLHG; § 42 Abs. 1 SHSG;
    § 30 Abs. 1 S. 1 NHG; Art. 63 Abs. 6 S. 1 Bay­PersHG;
    § 64 Abs. 1 SHSG; § 89 Abs. 1 S. 1 ThürHG.
    41 So auch § 49 Abs. 2 S. 1 RPF­Hoch­SchG; § 41 Abs. 2 S. 1 BbgHG;
    § 100 Abs. 2 S. 1 BerlHG; § 15 Abs. 2 HmbHG.
    42 Näher Hartmer/Detmer/Hartmer Kap. 5 Rn. 115.
    43 Zu den anrech­nungs­fä­hi­gen Zei­ten vgl. OVG Ham­burg, Beschlus
    vom 06.07.2005 — 1 Bs 190/05 = NVwZ-RR 2006, 186, 187.
    44 So auch § 42 Abs. 4 SHSG; § 102a S. 4 BerlHG;
    § 89 Abs. 3 S. 1 ThürHG; § 18 Abs. 4 S. 1 HmbHG;
    § 63 Abs. 3 S. 1 SächsHSFG.
    als sol­che und weni­ge Beru­fungs­vor­aus­set­zun­gen nor­mier­te.
    28 Den­noch schien er das umfas­sen­de Reform­vor­ha­ben
    nicht auf­ge­ge­ben zu haben. Das zeigt sich, wenn
    man die Aus­füh­run­gen in den Geset­zes­ma­te­ria­li­en zum
    Rege­lungs­zweck näher betrach­tet: Erneut wird die spä­te
    Beru­fung auf die Lebens­zeit­pro­fes­sur betont.29 Neu­er­lich
    wird ein erheb­li­cher Ver­lust klu­ger Köp­fe an den aus­län­di­schen
    Wis­sen­schafts­ar­beits­markt beklagt.30 Anders als
    2002 wur­de nun­mehr sogar das aka­de­mi­sche Höchst­al­ter
    von sechs Jah­ren als Soll-Rege­lung in § 47 S. 2 HRG
    auf­ge­nom­men. Dies sei durch das „Ziel der frü­he­ren
    Selb­stän­dig­keit des wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuch­ses in
    For­schung und Leh­re gerechtfertigt“.31 Als Aus­nah­me
    wur­de auf neue Rege­lun­gen zur fami­li­en- und behin­der­ten­po­li­ti­schen
    Kom­po­nen­te ver­wie­sen (heu­te
    § 2 Abs. 5 WissZeitVG).
    Die zustän­di­ge Bun­des­bil­dungs­mi­nis­te­rin Buhl­mann
    erklär­te die Juni­or­pro­fes­sur zum Erfolgsmodell.32 Doch
    wur­den bis 2018 nur 1304 Juni­or­pro­fes­su­ren ohne Ten­ure-
    Track33 bun­des­weit eta­bliert – die Zahl ist rückläufig.34
    In den unter­schied­li­chen Fach­rich­tun­gen wird unter­schied­lich
    oft auf die Juni­or­pro­fes­sur zurückgegriffen.35
  1. Die Kon­zep­ti­on der Län­der
    Die Bun­des­län­der haben die Juni­or­pro­fes­sur in ihre
    Lan­des­hoch­schul­ge­set­ze aufgenommen.36 Mit der Föde­ra­lis­mus­re­form
    II ver­lor der Bun­des­ge­setz­ge­ber sei­ne
    Rege­lungs­kom­pe­tenz des Hoch­schul­rechts völ­lig, sodass
    die Lan­des­nor­men gem. Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG fort­gel­ten­des
    Bun­des­recht ablös­ten. Das neue Hes­si­sche Hoch­schul­ge­setz
    bil­det inso­weit die Aus­nah­me. Hier ist in
    § 70 Abs. 3 ff. HessHG eine sog. Qua­li­fi­ka­ti­ons­pro­fes­sur
    vor­ge­se­hen, die nur ausnahmsweise37
    (§ 70 Abs. 5 S. 1 HessHG) ohne eine sog. Ent­wick­lungs­zu­sa­ge
    gem. § 70 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 HessGH begrün­det
    wer­den darf. Obschon ande­re Begriff­lich­kei­ten ver­wen­det
    werden,38 han­delt es sich inhalt­lich um Juni­or­pro­fes­su­ren
    mit und ohne Ten­ure-Track.
    Auf­ga­be der Juni­or­pro­fes­sur ist es, sich durch die
    selbst­stän­di­ge Wahr­neh­mung der ihrer Uni­ver­si­tät oblie­gen­den
    Auf­ga­ben in For­schung, Kunst, Leh­re und
    Wei­ter­bil­dung für die Beru­fung auf eine Professur39 an
    einer Uni­ver­si­tät zu qua­li­fi­zie­ren. So for­mu­liert es
    § 35 Abs. 4 S. 2 NRWHG ausdrücklich.40 In ande­ren Bun­des­län­dern,
    bei­spiels­wei­se Sach­sen-Anhalt, ergibt sich
    dies impli­zit aus den Beru­fungs­vor­aus­set­zun­gen auf eine
    Lebens­zeit­pro­fes­sur (§ 35 Abs. 3 S. 1 LSAHSG).41 In allen
    Bun­des­län­dern kann man sich auf eine Lebens­zeit­pro­fes­sur
    bewer­ben, auch wenn man zuvor kei­ne Juni­or­pro­fes­sur
    beklei­de­te. Dem Grun­de nach haben somit alle
    Bun­des­län­der das Rege­lungs­kon­zept des Bun­des, auf
    dem die Juni­or­pro­fes­sur basiert, über­nom­men.
    Span­nend wird es aller­dings, wenn man die lan­des­recht­li­chen
    Rege­lun­gen zum aka­de­mi­schen Höchst­al­ter
    betrach­tet. Trotz iden­ti­scher Grund­kon­zep­ti­on nor­mie­ren
    die Län­der unter­schied­li­che Höchst­vor­be­schäf­ti­gungs­zei­ten
    in der Wis­sen­schaft. In Baden-Würt­tem­berg
    etwa soll42 eine Beru­fung auf eine Juni­or­pro­fes­sur
    nur erfol­gen, wenn auf­sum­mier­te Beschäftigungszeiten43
    an deut­schen Hoch­schu­len oder wis­sen­schaft­li­chen Ein­rich­tun­gen
    (vgl. den Ver­weis in § 51 Abs. 3 S. 3 BWLHG
    auf § 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG) vor und nach der Pro­mo­ti­on
    sechs Jah­re nicht überschreiten.44 Die­se zeit­li­che Begren­zung
    lei­tet Fren­zel aus der Funk­ti­on als Qualifikati1
    7 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 7 3 — 1 8 0
    45 Beck­OK Hoch­schul­recht Baden-Würt­tem­ber­g/F­ren­zel § 51 Rn. 14.
    46 § 64 Abs. 3 S. 1 S‑HHSG.
    47 § 62 Abs. 1 S. 4 M‑VLHG.
    48 So auch § 45 Abs. 2 S. 1 BbgHG.
    49 BayLT-Drs. 18/22504, S. 119.
    50 In der Medi­zin neun Jah­re.
    51 So auch § 40 S. 2 LSAHSG.
    52 § 70 Abs. 3 S. 3 Hs. 2, Abs. 4 S. 2 HessHG; § 45 Abs. 2 S. 3 BbgHG;
    Art. 63 Abs. 1 S. 7 Bay­HIG; § 102a S. 4 Hs. 2 BerlHG;
    § 51 Abs. 3 S. 2 BWLHG, § 89 Abs. 3 S. 2 ThürHG,
    § 18 Abs. 4 S. 2 HmbHG, § 62 Abs. 1 S. 5 M‑VLHG,
    § 63 Abs. 3 S. 2 SächsHSFG und § 64 Abs. 3 S. 2 S‑HHSG jeweils
    i.V.m. § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 1, 3 WissZeitVG.
    53 § 42 Abs. 4 S. 2 SHSG und § 63 Abs. 3 S. 2 SächsHSFG i.V.m.
    § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 WissZeitVG
    54 § 51 Abs. 3 S. 2 BWLHG, § 64 Abs. 3 S. 2 SH-HSG,
    § 89 Abs. 3 S. 2 ThürHG, § 18 Abs. 4 S. 2 HmbHG,
    § 62 Abs. 1 S. 5 M‑VLHG, § 63 Abs. 3 S. 2 SächsHSFG und
    § 42 Abs. 4 S. 2 SHSG jeweils i.V.m. § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 4, 5 WissZeitVG.
    55 Geis/Krause WissZeitVG Einf. Rn. 4.
    56 Meck­len­burg-Vor­pom­mern hat die­ses Sys tem im Wesent­li­chen
    über­nom­men, da auch bei Aus­schöp­fung der Höchs tbe­fris tungs­dau­er
    in der Pro­mo­ti­ons pha­se nach § 2 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG
    noch drei Jah­re Pos tdoc-Pha­se ver­blei­ben, bevor die Bewer­bung
    auf die Juni­or­pro­fes­sur regel­wei­se ges perrt is t.
    57 Sie­he expli­zit Beck­OK Hoch­schul­recht Hessen/Globuschütz
    § 70 Rn. 2.
    58 Wis­sen­schafts­rat, Emp­feh­lun­gen zu Kar­rie­re­zie­len und ‑wegen
    an Uni­ver­si­tä­ten, Drs. 400 9 ‑14, abruf­bar unter https://
    www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4009–14.pdf?__
    blob=publicationFile&v=2, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023, S. 18.
    ons­stel­le ab.45 In Schles­wig-Hol­stein (sie­ben Jahre)46 und
    in Meck­len­burg-Vor­pom­mern (neun Jahre)47 wur­den
    höhe­re Gren­zen gewählt.
    Bay­ern hat kürz­lich eine ver­gleich­ba­re Vor­schrift
    (Art. 14 S. 3 BayHSchPersG) abge­schafft und durch
    Art. 63 Abs. 1 S. 5 Bay­HIG ersetzt. Hier­nach soll auf eine
    Juni­or­pro­fes­sur beru­fen wer­den, wes­sen Pro­mo­ti­on zum
    Ende der Aus­schrei­bungs­pflicht nicht mehr als vier Jah­re
    zurückliegt.48 Auch dies wird mit der Eigen­schaft der
    Juni­or­pro­fes­sur als Qua­li­fi­ka­ti­ons­stel­le begründet.49
    Hier wird also nicht auf das gesam­te aka­de­mi­sche Alter,
    son­dern nur auf die Län­ge der Post­doc-Pha­se zurück­ge­grif­fen.
    In Rhein­land-Pfalz kön­nen gem.
    § 54 Abs. 1 S. 4 RPF­Hoch­SchG sogar sechs Jahre50 seit der
    Pro­mo­ti­on ver­gan­gen sein.51
    Schließ­lich hat Hes­sen ein Zwit­ter­mo­dell nor­miert.
    Dort soll gem. § 70 Abs. 3 S. 3, Abs. 5 S. 2 HessHG eine
    Beru­fung nur bis zu einem aka­de­mi­schen Gesamt­höchst­al­ter
    von 9 Jah­ren und einer Post­doc-Pha­se von
    bis zu vier Jah­ren erfol­gen. Nur Bre­men
    (§ 18 Abs. 4 BremHG), Nord­rhein-West­fa­len und Nie­der­sach­sen
    haben kei­ne aus­drück­li­che Rege­lung.
    Alle Bun­des­län­der mit aka­de­mi­scher Höchst­al­ters­be­gren­zung
    berück­sich­ti­gen Kin­der­er­zie­hungs­zei­ten expli­zit.
    52 Ein­schrän­kun­gen durch Behin­de­rung bzw. lan­ge
    Krank­heit wer­den in eini­gen Lan­des­ge­set­zen durch Bezug­nah­me
    auf das WissZeitVG expli­zit Rech­nung getragen53
    und kön­nen ansons­ten als Aus­nah­me­kon­stel­la­ti­on
    in der „Soll-Rege­lung“ ver­or­tet wer­den. Schließ­lich brin­gen
    eini­ge Bun­des­län­der auch Wehr­dienst- und Gre­mi­en­zei­ten
    in Abzug.54 Dadurch ent­steht ein sog. berei­nig­tes
    aka­de­mi­sches Alter.
  2. Ver­gleich der lan­des­ge­setz­li­chen Kon­zep­ti­on mit dem
    WissZeitVG
    Unter der Lupe der Rege­lungs­zie­le des Bun­des­ge­setz­ge­bers
    2002 und 2004 wirkt das Rege­lungs­mo­dell des aka­de­mi­schen
    Höchst­al­ters von sechs Jah­ren kohä­rent: Wie
    oben skiz­ziert soll­te der Weg zur Pro­fes­sur umge­stal­tet
    wer­den und die Juni­or­pro­fes­sur an die Stel­le der Habi­li­ta­ti­on
    tre­ten. Die Habi­li­ta­ti­ons­schrift wur­de regel­mä­ßig
    wäh­rend einer Beschäf­ti­gung als Post­doc auf einer Stel­le
    als wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter ange­fer­tigt. Für die­se
    Tätig­keit soll­te ein zeit­li­cher Höch­st­rah­men von sechs
    Jah­ren gesetzt wer­den (sog. Qualifikationsphase).55 Die
    sechs­jäh­ri­ge Juni­or­pro­fes­sur soll­te der bevor­zug­te Qua­li­fi­ka­ti­ons­weg
    für zukünf­ti­ge Lebens­zeit­pro­fes­su­ren
    sein. Damit wird ein drei­stu­fi­ger Kar­rie­re­auf­bau vor­ge­zeich­net:
    Pro­mo­ti­ons­pha­se (R1), Qua­li­fi­ka­ti­ons­pha­se als
    wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter oder Juni­or­pro­fes­sor
    (R2), Lebens­zeit­pha­se (R3).
    Die­je­ni­gen Länder,56 wel­che sich vom aka­de­mi­schen
    Gesamt­höchst­al­ter gelöst haben und nur noch oder auch
    die Post­doc-Pha­se betrach­ten, fol­gen einem ande­ren Rege­lungs­mo­dell:
    Sie ori­en­tie­ren sich57 an einem vier­stu­fi­gen
    Kar­rie­re­auf­bau, den der Wis­sen­schafts­rat 2014 bewarb.
    58 Auf die Pro­mo­ti­ons­pha­se (R1) soll­te eine Post­doc-
    Pha­se (R2) fol­gen, die die Eva­lua­ti­ons­pha­se (R3)
    vor­be­rei­tet, die schließ­lich in der Lebens­zeit­pha­se (R4)
    enden soll. Die Juni­or­pro­fes­sur wird so zum Bau­stein
    der Eva­lua­ti­ons­pha­se (R3). Statt also nach der Vor­stel­lung
    des Bun­des­ge­setz­ge­bers von 2002 bzw. 2004 die
    Lauf­zeit bis zur Lebens­zeit­pro­fes­sur zu ver­kür­zen, ver­län­gert
    die­ses Sys­tem den wis­sen­schaft­li­chen Kar­rie­re­weg
    um vier bis sechs Jah­re.
    Pschorr · Aka­de­mi­sches Höchst­al­ter für die Juni­or­pro­fes­sur 1 7 7
    59 Wis­sen­schafts­rat, Emp­feh­lun­gen zu Kar­rie­re­zie­len und ‑wegen
    an Uni­ver­si­tä­ten, Drs. 400 9 ‑14, abruf­bar unter https://
    www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4009–14.pdf?_ blob=publicationFile&v=2, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023, S. 11. 60 Nähe­res sie­he https://www.tenuretrack.de/de/tenure-trackprogramm/ das-bund-laen­der-pro­gramm, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023. 61 https://www.tenuretrack.de/de/tenure-track-programm/das-bundlaender- pro­gramm, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023. 62 https://www.tenuretrack.de/de/tenure-track-programm/die-tenure- track-pro­fes­sur, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023. 63 Ver­wal­tungs­ver­ein­ba­rung zwi­schen Bund und Län­dern gemäß Arti­kel 91b Absatz 1 des Grund­ge­set­zes über ein Pro­gramm zur För­de­rung des wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuch­ses vom 19.10.2016, abruf­bar unter https://www.tenuretrack.de/de/dateien/ ten­ure-track/­ver­wal­tungs­ver­ein­ba­rung-wis­sen­schaft­li­cher-nach­wuchs- 2016.pdf, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023. 64 Zum inter­na­tio­na­len Vor­bild Kau­haus, Pos tdoc Fore­ver: Is t das Wis­sen­schafts­zeit­ver­trags­ge­setz zu groß­zü­gig?, https://www.almameta. de/pos tdoc-fore­ver-is t‑das-wis­sen­schafts­zeit­ver­trags­ge­setz­zu- grosszuegig/, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023. 65 Wis­sen­schafts­rat, Emp­feh­lun­gen zu Kar­rie­re­zie­len und ‑wegen an Uni­ver­si­tä­ten, Drs. 4009 ‑14, abruf­bar unter https:// www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4009–14.pdf?_
    blob=publicationFile&v=2, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023, S. 11.
    66 https://www.dfg.de/foerderung/programme/einzelfoerderung/
    emmy_noether/index.html, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023.
    67 In Baden-Würt­tem­berg liegt das Ers tbe­ru­fungs­al­ter auf eine
    Lebens­zeit­pro­fes­sur aktu­ell bei durch­schnitt­lich 42 Jah­ren,
    sie­he unter https://www.s tatis tik-bw.de/Presse/Pressemitteilungen/
    2023069, zuletzt abge­ru­fen am 06.04.2023.
    68 Sie­he auch VG Frei­burg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 =
    Beck­RS 2021, 10384 Rn. 6.
    69 § 51b BWLHG; § 43 Abs. 2 S. 8 SHSG; § 55 Abs. 1 RPF­Hoch-
    SchG; § 30 Abs. 4 S. 4 NHG; Art. 63 Abs. 4 S. 1 Bay­HIG;
    § 62a Abs. 1 S. 1 S‑HHSG; § 45 Abs. 2 S. 1 BbgHG; § 102c BerlHG;
    § 85 Abs. 1 S 4 Nr. 4 ThürHG; § 14 Abs. 6 Nr. 3 HmbHG;
    § 62a Abs. 1 S 1 M‑VLHG; § 59 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SächsHSFG;
    § 36 Abs. 2 S. 4 Nr. 2 LSAHSG; § 18a BremHG;
    § 38a Abs. 1 NRWHG.
    II. Der Ten­ure-Track als „Juni­or­pro­fes­sur Plus“
    Die­ser vier­stu­fi­ge Kar­rie­re­auf­bau des Wis­sen­schafts­rats
    von 2014 sieht jedoch in der Eva­lua­ti­ons­pha­se (R3) eine
    wei­te­re Modi­fi­ka­ti­on vor: Den Ten­ure-Track. Die­ser sol­le
    eine kon­zep­tio­nel­le Wei­ter­ent­wick­lung der Juni­or­pro­fes­sur
    sein.59 Die recht­li­che Rege­lungs­struk­tur die­ser
    Beschäf­ti­gungs­form wird im Fol­gen­den betrachtet.
  3. Kon­zep­ti­on des Ten­ure-Track-Pro­gramms
    Auch das Instru­ment des Ten­ure-Tracks wur­de durch
    den Bund initi­iert, aller­dings man­gels Kom­pe­tenz nicht
    als Gesetz­ge­ber, son­dern mit dem Ten­ure-Track-Pro­gramm
    des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Bil­dung und For­schung
    2016.60 Hier­mit för­dert der Bund die Ein­rich­tung
    von ins­ge­samt 1000 sog. Ten­ure-Track-Pro­fes­su­ren für
    ins­ge­samt 15 Jah­re. Auch die­ses Pro­gramm zielt auf einen
    „Kul­tur­wan­del an den deut­schen Uni­ver­si­tä­ten“ ab und
    soll „ein[en] zusätzliche[n] Kar­rie­re­weg zur Pro­fes­sur“
    etablieren.61 Dane­ben spielt nun­mehr aber auch die man­geln­de
    Sicher­heit der Kar­rie­re­ent­wick­lung eine Rolle.62
    Bund und Län­der haben hin­sicht­lich der Details des
    Pro­gramms eine Ver­wal­tungs­ver­ein­ba­rung gem.
    Art. 91b Abs. 1 GG getroffen.63 Sog. „jun­gen“ Wis­sen­schaft­le­rin­nen
    und Wis­sen­schaft­lern sol­le nach der Prä­am­bel
    die­ser Ver­ein­ba­rung frü­her als bis­her eine Ent­schei­dung
    über den dau­er­haf­ten Ver­bleib im Wis­sen­schafts­sys­tem
    ermög­licht wer­den. Die
    Ten­ure-Track-Pro­fes­sur sol­le als eigen­stän­di­ger Kar­rie­re­weg
    neben dem her­kömm­li­chen Beru­fungs­ver­fah­ren
    auf eine Pro­fes­sur an deut­schen Uni­ver­si­tä­ten stär­ker
    eta­bliert wer­den.
    Die Idee lau­te­te also schein­bar: Die Ten­ure-Track-
    Pro­fes­sur sol­le neben die bereits ein­ge­führ­ten Instru­men­te
    Post­doc-Pha­se im gem. § 2 Abs. 1 S. 2 WissZeitVG
    befris­te­ten Arbeits­ver­hält­nis und Juni­or­pro­fes­sur ohne
    Ten­ure-Track tre­ten. Dies deu­te­te dar­auf hin, die Ten­ure-
    Track-Pro­fes­sur sei der Qua­li­fi­ka­ti­ons­pha­se (R2) in
    einem drei­stu­fi­gen Kar­rie­re­auf­bau zuzu­ord­nen. In eine
    ande­re Rich­tung weist jedoch bereits § 4 Abs. 1 der Ver­wal­tungs­ver­ein­ba­rung,
    die ein Haus­be­ru­fungs­ver­bot als
    Soll-Vor­schrift regelt. Dem­nach sol­len Beschäf­tig­te die
    Uni­ver­si­tät wech­seln oder zwei Jah­re außer­halb der Pro­mo­ti­ons­hoch­schu­le
    tätig gewe­sen sein, bevor sie sich auf
    eine hie­si­ge Ten­ure-Track-Pro­fes­sur bewer­ben. Ansons­ten
    ist im fünf­ten Spie­gel­strich von § 4 Abs. 1 der Ver­wal­tungs­ver­ein­ba­rung
    nur von einer „frü­hen Kar­rie­re­pha­se“
    die Rede. Des Wei­te­ren soll­ten gem. § 4 Abs. 2 S. 1 der
    Ver­wal­tungs­ver­ein­ba­rung Beschäf­tig­te berück­sich­tigt
    wer­den, die bereits auf einem ande­ren Qua­li­fi­zie­rungs­pfad
    unter­wegs sei­en. Blickt man in den vor­bild­ge­ben­den
    Bericht des Wis­sen­schafts­rats, wird die Ten­ure-
    Track-Pro­fes­sur der Eva­lua­ti­ons­pha­se (R3) zuge­ord­net
    und soll auf eine bis zu vierjährige64 Post­doc-Pha­se (R2)
    folgen.65 An die­ser Kar­rie­re­struk­tur ori­en­tiert sich auch
    das Emmy-Noe­ther-Pro­gramm der DFG.66 Das heißt im
    Ergeb­nis: bis zu 6+4+6 = 16 Jah­re bis zur Beru­fung auf
    die Lebenszeitprofessur;67 deut­lich län­ger als der Bun­des­ge­setz­ge­ber
    2002 und 2004 zu nor­mie­ren
    beab­sich­tig­te.
  4. Lan­des­recht­li­che Umset­zung
    Bun­des­ge­setz­lich oder in einer Ver­wal­tungs­ver­ein­ba­rung
    ver­an­kert ist die­se Kar­rie­re­struk­tur nicht.68 Ein
    Blick in die Lan­des­ge­set­ze zeigt: Die Kon­zep­ti­on bil­det
    sich im Recht nur teil­wei­se ab. Zwar ist die Ten­ure-
    Track-Pro­fes­sur in allen Lan­des­hoch­schul­ge­set­zen geregelt69
    – in Hes­sen unter dem Namen Qualifikationspro1
    7 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 7 3 — 1 8 0
    70 Aus­nahms­wei­se W2-Pro­fes­su­ren, zB gem.
    § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 RPF­Hoch­SchG in Rhein­land-Pfalz und gem.
    § 62a Abs. 1 S. 1 S‑HHSG in Schles­wig-Hols tein.
    71 So auch § 18a Abs. 3 BremHG.
    72 Zur Über­tra­gung der Vor­aus­set­zun­gen der Juni­or­pro­fes­sur auf die
    Ten­ure-Track-Pro­fes­sur auch Beck­OK Hoch­schul­recht Nord­rhein-
    Wes tfa­len/­Per­nice-Warn­ke § 36 Rn. 24; offen las­send Hartmer/
    Dettmer/Hartmer Kap. 5 Rn. 113.
    73 Zu den feh­len­den Rege­lun­gen in Bre­men, Nie­der­sach­sen und
    Nord­rhein-Wes tfa­len s.o.
    74 VG Frei­burg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = Beck­RS
    2021, 10384.
    75 Wobei das aka­de­mi­sche Alter des Bewer­bers wäh­rend des lang­wie­ri­gen
    Beset­zungs­ver­fah­rens deut­lich ange­wach­sen war VG
    Frei­burg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = Beck­RS 2021,
    10384 Rn. 57.
    76 VG Frei­burg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = Beck­RS
    2021, 10384 Rn. 49.
    77 VG Frei­burg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = Beck­RS
    2021, 10384 Rn. 51.
    78 Sie­he BWLT-Drs. 16/3248, S. 41.
    79 VG Frei­burg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = Beck­RS
    2021, 10384 Rn. 30.
    80 VG Frei­burg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = Beck­RS
    2021, 10384 Rn. 6 f.
    fes­sur gem. § 70 Abs. 3 HessHG. Aller­dings hat das aka­de­mi­sche
    Höchst­al­ter für die Ten­ure-Track-Pro­fes­sur
    nur in Bran­den­burg eine Son­der­re­ge­lung gefun­den. Hier
    kann man sich gem. § 45 Abs. 2 S. 2 BbgHG bis zu sechs
    Beschäf­ti­gungs­jah­re, also zwei Jah­re län­ger als nach der
    Kon­zep­ti­on des Wis­sen­schafts­rats, nach der Pro­mo­ti­on
    auf eine sol­che Stel­le bewer­ben.
    In den ande­ren Bun­des­län­dern sind Ten­ure-Track-
    Pro­fes­su­ren im Regelfall70 Juni­or­pro­fes­su­ren mit Zusa­ge
    einer spä­te­ren Über­nah­me auf eine Lebens­zeit­pro­fes­sur,
    sofern eine Eva­lua­ti­on posi­tiv aus­fällt. In Baden-Würt­tem­berg
    wird in § 51b Abs. 1 S. 1 BWLHG dezi­diert auf
    § 51 LHG ver­wie­sen. In Rhein­land-Pfalz wird aus­drück­lich
    das aka­de­mi­sche Höchst­al­ter für Juni­or­pro­fes­su­ren
    gem. § 54 Abs. 1 S. 4 RPF­Hoch­SchG in Bezug genom­men.
    71 Das bedeu­tet: Das aka­de­mi­sche Höchst­al­ter der
    Juni­or­pro­fes­sur begrenzt unmit­tel­bar auch den Bewer­ber­kreis
    der Tenure-Track-Professur.72 In Bay­ern, Bran­den­burg,
    Hes­sen, Meck­len­burg-Vor­pom­mern und
    Rhein­land-Pfalz kor­re­spon­diert die­ses mit dem vier­stu­fi­gen
    Karrieremodell.73 In den ande­ren Bun­des­län­dern
    nicht. Mit­hin hat sich dort das Kon­zept des Wis­sen­schafts­rats
    nicht nor­ma­tiv nie­der­ge­schla­gen. Viel­mehr
    wird ein dem Grund­satz drei­stu­fi­ger Kar­rie­re­auf­bau und
    zugleich das Ten­ure-Track-Modell ver­folgt, wobei letz­te­res
    der Logik des vier­stu­fi­gen Kar­rie­re­auf­baus folgt.
    III. Aka­de­mi­sches Höchst­al­ter zur Beru­fung auf die
    Ten­ure-Track-Pro­fes­sur nach der ver­wal­tungs­recht­li­chen
    Judi­ka­tur
    Das VG Freiburg74 muss­te in Anwen­dung die­ses wider­sprüch­li­chen
    Lan­des­rechts über den Antrag auf Erlass
    einer einst­wei­li­gen Anord­nung eines erfolg­lo­sen Bewer­bers
    um eine Ten­ure-Track-Pro­fes­sur an der Uni­ver­si­tät
    Frei­burg ent­schei­den. Der Antrag hat­te erst­in­stanz­lich
    Erfolg.
    Der Bewer­ber blick­te zum Entscheidungszeitpunkt75
    auf eine Vor­be­schäf­ti­gungs­zeit von 11 Jah­ren zurück, wobei
    das Gericht offen las­sen konn­te, ob die­ses aka­de­mi­sche
    Alter nach § 51 Abs. 3 S. 2, 3 BWLHG i.V.m.
    § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 1, 3–5 WissZeitVG zu kor­ri­gie­ren war.76
    Jeden­falls über­schritt der Bewer­ber das aka­de­mi­sche
    Höchst­al­ter von sechs Jah­ren deut­lich. Den­noch hielt
    das Gericht den Bewer­ber nicht grund­sätz­lich für unge­eig­net.
    Das Gericht nahm an, das Ten­ure-Track-Ver­fah­ren
    sei als sys­te­mi­sche Aus­nah­me von der Soll-Rege­lung
    des aka­de­mi­schen Höchst­al­ters anzusehen.77
    Dem ist nicht zu fol­gen. Wie gezeigt, hat Baden-
    Würt­tem­berg zwar das Ten­ure-Track-Pro­gramm, jedoch
    nicht die Wer­tun­gen des Wis­sen­schafts­rats in das Gesetz
    imple­men­tiert. Statt­des­sen ver­weist die Son­der­re­ge­lung
    des § 51b Abs. 1 S. 1 BWLHG dezi­diert auf § 51 LHG. Hät­te
    der Lan­des­ge­setz­ge­ber für das Ten­ure-Track-Ver­fah­ren
    ein von § 51 BWLHG abwei­chen­des aka­de­mi­sches
    Höchst­al­ter regeln wol­len, so hät­te er dies in
    § 51b BWLHG ver­an­kert oder jeden­falls den Ver­weis
    ein­ge­grenzt. Dies ist nicht der Fall. Durch die Ver­an­ke­rung
    der Ten­ure-Track-Pro­fes­sur im Gesetz kann auch
    nicht von einer Aus­nah­me­kon­stel­la­ti­on gespro­chen wer­den
    – viel­mehr han­delt es sich um einen Stan­dard­fall der
    Beset­zung einer Juni­or­pro­fes­sur. Schließ­lich bestehen
    auch kei­ne Anhalts­punk­te dafür, dass der Lan­des­ge­setz­ge­ber
    die Rege­lungs­pro­ble­ma­tik über­se­hen hat, es sich
    mit­hin um eine plan­wid­ri­ge über­schie­ßen­de Rege­lung
    handelte.78
    Sodann frag­te sich das Ver­wal­tungs­ge­richt, ob der
    Bewer­ber habe aus­schei­den müs­sen, weil er kein „Nach­wuchs­wis­sen­schaft­ler
    in einer frü­hen Kar­rie­re­pha­se“
    sei.79 Aus die­sem Grun­de hat­te die Beru­fungs­kom­mis­si­on
    den zunächst auf Platz eins ein­ge­ord­ne­ten Bewer­ber
    for­mal ausgeschieden.80 Dabei war die­ses Kri­te­ri­um
    nicht Teil des Aus­schrei­bungs­tex­tes gewe­sen – dort war
    nur von „hoch­qua­li­fi­zier­ten Nach­wuchs­wis­sen­schaft­lePs­chorr
    · Aka­de­mi­sches Höchst­al­ter für die Juni­or­pro­fes­sur 1 7 9
    81 VG Frei­burg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = Beck­RS
    2021, 10384 Rn. 4.
    82 VG Frei­burg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = Beck­RS
    2021, 10384 Rn. 33.
    83 VG Frei­burg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = Beck­RS
    2021, 10384 Rn. 42.
    84 VG Frei­burg, Beschluss vom 12.04.2021 – 1 K 348/21 = Beck­RS
    2021, 10384 Rn. 45.
    85 VGH Mann­heim, Beschluss vom 07.07.2021 – 4 S 1541/21 = Beck­RS
    2021, 19932 Rn. 9.
    86 VGH Mann­heim, Beschluss vom 07.07.2021 – 4 S 1541/21 = Beck­RS
    2021, 19932 Rn. 9 f.
    87 VGH Mann­heim, Beschluss vom 07.07.2021 – 4 S 1541/21 = Beck­RS
    2021, 19932 Rn. 11.
    88 aA Herr­mann, Kein Ten­ure Track wegen „Über­qua­li­fi­ka­ti­on“,
    For­schung & Leh­re 2020, 218, 219 f., ver­ken­nend, dass der Wis­sen­schafts­rat
    nur aktu­ell qua­li­fi­zie­ren­den, nicht aber qua­li­fi­zier­ten
    Wis­sen­schaft­lern einen zusätz­li­chen Weg zur Pro­fes­sur eröff­nen
    woll­te – unge­ach­tet der Nicht-Berück­sich­ti­gungs­fä­hig­keit die­ser
    Wer­tun­gen man­gels Umset­zungs­wil­le des Gesetz­ge­bers. So wohl
    auch Beck­OK Hoch­schul­recht Nord­rhein-Wes tfa­len/­Per­nice-
    Warn­ke § 36 Rn. 18; widers prüch­lich Hartmer/Dettmer/Hartmer
    Kap. 5 Rn. 113.
    89 VGH Mann­heim, Beschluss vom 01.07.2022 – 4 S 483/22 = Beck­RS
    2022, 17418 Rn. 5, bezug­neh­mend auf BVerfG, Beschluss vom
    05.02.2020 – 1 BvR 1586/14 = NVwZ 2020, 1829, 1831 Rn. 23.
    90 In die­se Rich­tung auch Hartmer/Dettmer/Hartmer Kap. 5 Rn. 113.
    91 Nicht auf­ge­lös t bei Hartmer/Dettmer/Hartmer Kap. 5 Rn. 113.
    rin­nen und ‑wis­sen­schaft­lern“ die Rede.81 Auch auf die
    Ver­wal­tungs­ver­ein­ba­rung zum Bund-Län­der-Pro­gramm
    war nicht ver­wie­sen worden.82 Das Ver­wal­tungs­ge­richt
    hielt die­ses Kri­te­ri­um schließ­lich nicht für geeig­net,
    weil die dar­aus resul­tie­ren­den Anfor­de­run­gen an
    die Bewer­bung nicht kon­kre­ti­sier­bar seien.83
    Inso­fern ist dem Gericht zuzu­stim­men. Wie lan­ge die
    „frü­he Kar­rie­re­pha­se“ dau­ert, ist man­gels gesetz­li­cher
    Kon­zi­pie­rung einer Kar­rie­re­pha­se vor der Ten­ure-Track-
    Pro­fes­sur (R2) in Baden-Würt­tem­berg nicht auf­grund
    eines kon­tu­rier­ten Gesetz­ge­ber­wil­lens bestimm­bar. Die
    Über­le­gun­gen des Wis­sen­schafts­rats kön­nen man­gels
    demo­kra­ti­scher Legi­ti­ma­ti­on nicht her­an­ge­zo­gen wer­den,
    zumal es an einem gesetz­li­chen Anker fehlt, zu des­sen
    Aus­le­gung sie her­an­ge­zo­gen wer­den könn­ten.
    Schließ­lich kon­sta­tier­te das Ver­wal­tungs­ge­richt,
    auch der Begriff des „Nach­wuchs­wis­sen­schaft­lers“ kön­ne
    nicht bestimmt wer­den, sodass auch die­ser nicht als
    for­ma­les Aus­schluss­kri­te­ri­um geeig­net sei.84 Dem aller­dings
    wider­sprach der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof. Die­ser
    stell­te fest, dass der Bewer­ber wegen sei­ner zwi­schen­zeit­li­chen
    Habi­li­ta­ti­on nicht mehr im Rah­men des Ten­ure-
    Track-Pro­gramms för­der­fä­hig und nicht mehr „auf
    dem Kar­rie­re­weg zur Pro­fes­sur“ i.S.d. § 4 Abs. 2 der Ver­wal­tungs­ver­ein­ba­rung
    zum Bund-Län­der-Pro­gramm
    war, son­dern die­sen viel­mehr abge­schlos­sen habe.85 Mit
    der Beru­fungs­fä­hig­keit sei der Bewer­ber kein Adres­sat
    des Ten­ure-Track-Pro­gramms mehr.86 Dies wer­de dadurch
    bestä­tigt, dass die Ten­ure-Track-Pro­fes­sur lan­des­recht­lich
    eine Juni­or­pro­fes­sur sei, zu deren Auf­ga­ben es
    gehö­re, sich zu qualifizieren.87 Des­halb muss­te sich der
    Ver­wal­tungs­ge­richts­hof zur Anwen­dung des
    § 51 Abs. 3 S. 1 LHG nicht äußern.
    Wäh­rend das ers­te­re Argu­ment des Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs
    man­gels kla­rer Ver­an­ke­rung der Anfor­de­run­gen
    des Ten­ure-Track-Pro­gramms in der Aus­schrei­bung
    nicht ver­fängt, greift der zwei­te Begrün­dungs­an­satz. Die
    Juni­or­pro­fes­sur ist nach der Kon­zep­ti­on des Gesetz­ge­bers
    Bau­stein der Qua­li­fi­ka­ti­ons­pha­se (R2). Die Juni­or­pro­fes­sur
    auch für die Lebens­zeit­pha­se im drei­stu­fi­gen
    Kar­rie­re­auf­bau (R3) zu öff­nen, wider­spricht die­sem Gesetz­ge­ber­wil­len.
    Durch das Qua­li­fi­zie­rungs­ziel fin­det
    die­ser Gesetz­ge­ber­wil­le auch einen Anker im Geset­zes­text.
    Mit­hin schei­den habi­li­tier­te Per­so­nen aus dem Bewer­ber­kreis
    um die Juni­or­pro­fes­sur mit und ohne Ten­ure-
    Track aus.88 Glei­ches gilt für Per­so­nen, die habi­li­ta­ti­ons­äqui­va­len­te
    Leis­tun­gen erbracht haben. Dies ist aller­dings
    dahin­ge­hend unglück­lich, als bei der Bewer­tung,
    ob sol­che vor­lie­gen, einer Beru­fungs­kom­mis­si­on ein erheb­li­cher
    Ein­schät­zungs­spiel­raum zukommt.89 Um
    Art. 33 Abs. 2 GG Rech­nung zu tra­gen, kön­nen des­we­gen
    nur evi­dent beru­fungs­fä­hi­ge Per­so­nen ausscheiden.90
    Habi­li­tie­ren­de sind noch auf dem Kar­rie­re­weg zur Pro­fes­sur
    und des­halb geeig­ne­te Bewerber.91
    IV. Ver­ein­heit­li­chungs­im­puls durch die Reform des
    WissZeitVG
    Wie gezeigt kor­re­spon­diert die lan­des­recht­li­che Aus­ge­stal­tung
    der Juni­or­pro­fes­sur mit Ten­ure-Track in vie­len
    Bun­des­län­dern nicht mit dem zugrun­de­lie­gen­den vier­stu­fi­gen
    Kar­rie­re­auf­bau. Dies ver­ur­sacht Aus­le­gungs­kon­flik­te
    und Rechts­un­si­cher­heit in Beru­fungs­ver­fah­ren.
    In den Bun­des­län­dern, die die­se Pro­ble­ma­tik adres­sier­ten,
    passt die Juni­or­pro­fes­sur ohne Ten­ure-Track
    jedoch nicht mehr zum drei­stu­fi­gen Kar­rie­re­auf­bau, der
    den befris­tungs­recht­li­chen Rege­lun­gen des WissZeitVG
    zugrun­de­liegt. Die Juni­or­pro­fes­sur schafft mit­hin in
    allen Bun­des­län­dern Frik­tio­nen im Kar­rie­re­auf­bau.
    Ange­sichts des­sen zeich­net sich eine Ten­denz an den
    Hoch­schu­len ab, die Rege­lun­gen zum aka­de­mi­schen
    Gesamt­höchst­al­ter oder zur Beschäf­ti­gungs­dau­er nach
    der Pro­mo­ti­on schlicht zu igno­rie­ren und die Juni­or­pro­fes­sur
    als Kar­rie­re­op­ti­on nach Aus­schöp­fung der
    Höchst­be­fris­tungs­dau­er nach § 2 Abs. 1 S. 2 WissZeitVG
    zu sehen. Das führt ent­ge­gen des Gesetz­ge­ber­wil­lens
    1 8 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 7 3 — 1 8 0
    92 Vgl. zu den Eck­punk­ten der bis­her geplan­ten Reform https://
    www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/de/2023/230317-wisszeitvg.
    pdf?__blob=publicationFile&v=1, zuletzt abge­ru­fen am
    06.04.2023.
    93 Sie­he hier­zu Pschorr, Ein Kom­pro­miss, der sei­nen Namen ver­dient,
    abruf­bar unter https://www.jmwiarda.de/2023/03/28/einkompromiss-
    der-sei­nen-namen-ver­dien­t/, zuletzt abge­ru­fen am
    06.04.2023.
    94 Zwar wird nicht über­se­hen, dass die Juni­or­pro­fes­sur als Alter­na­ti­ve
    zur Habi­li­ta­ti­on kon­zi­piert war. In der Beru­fungs pra­xis
    wird das erfolg­reich eva­lu­ier­te Durch­lau­fen der Juni­or­pro­fes­sur
    jedoch noch nicht all­ge­mein als habi­li­ta­ti­ons­äqui­va­len­te Leis tung
    aner­kannt, wes­halb noch immer „zur Sicher­heit“ in die­ser Pha­se
    habi­li­tiert wird.
    95 Dar­über hin­aus könn­te ange­dacht wer­den, auch ein aka­de­mi­sches
    Höchs tal­ter für die Bewer­bung auf die Ent­wick­lungs pha­se zu
    nor­mie­ren, um Bewer­bun­gen aus dem Aus­land bzw. von Pos tdocs,
    die nach einer die Ori­en­tie­rungs pha­se über­schrei­ten­den Aus­lands­pha­se
    mit Wett­be­werbs­vor­tei­len zurück­keh­ren. Dies kann aller­dings
    Aus­wir­kun­gen auf die Durch­läs­sig­keit der Kar­rie­re­pfa­de
    unter­ein­an­der haben. Inso­weit is t Beschäf­tig­ten­fle­xi­bi­li­tät gegen
    Ega­li­tät bei der Stel­len­be­set­zung abzu­wä­gen.
    nicht zu einer schnel­le­ren und trans­pa­ren­te­ren Wis­sen­schafts­kar­rie­re,
    son­dern zur Zuord­nung von Wis­sen­schaft­lern
    zum Mit­tel­bau bis in das fünf­ten Lebens­jahr­zehnt.
    Mög­li­cher­wei­se könn­te die Reform des WissZeitVG92
    einen Impuls zur Ver­ein­heit­li­chung der Kar­rie­re­we­ge in
    allen Bun­des­län­dern set­zen. Hier ist das sog. Anschluss­zu­sa­ge­mo­dell
    in Diskussion.93 Die­ses sieht in sei­ner Vari­an­te
    als „Drei-Pha­sen-Modell“ eine maxi­mal zwei­jäh­ri­ge
    Ori­en­tie­rungs­pha­se vor. Hier­auf soll eine Ent­wick­lungs­pha­se
    fol­gen, die (wie die Ten­ure-Track-Pro­fes­sur)
    bei posi­ti­ver Eva­lua­ti­on anhand einer Ziel- und Leis­tungs­ver­ein­ba­rung
    auf eine unbe­fris­te­te Beschäf­ti­gung
    füh­ren soll. Unter­schied: Hier wird eine Beschäf­ti­gung
    im aka­de­mi­schen Mit­tel­bau ange­strebt, wäh­rend die
    Ten­ure-Track-Pro­fes­sur auf eine Lebens­zeit­pro­fes­sur
    führt. Mit die­sem Modell wird ein ver­läss­li­cher Kar­rie­re­pfad
    nach der Pro­mo­ti­on ange­strebt, um die nach­hal­ti­ge
    Pre­ka­ri­sie­rung Pro­mo­vier­ter durch Ket­ten­be­fris­tun­gen
    zu bekämp­fen. Das­sel­be Ziel ver­folgt die
    Ten­ure-Track-Pro­fes­sur.
    Anschluss­zu­sa­ge­mo­dell, sowie Juni­or­pro­fes­sur ohne
    und mit Ten­ure-Track kön­nen in einem kohä­ren­ten Kar­rie­re­mo­dell
    ver­ein­bart wer­den: Ver­steht man die Ori­en­tie­rungs­pha­se
    i.S.d. Anschluss­zu­sa­ge­mo­dells als Post­doc-
    Pha­se (R2), könn­te die Ten­ure-Track-Pro­fes­sur der
    „schnel­le“ Weg zur Lebens­zeit­pro­fes­sur (Eva­lua­ti­ons­pha­se
    R3) für risi­ko­be­rei­te Bewer­ber dar­stel­len, wäh­rend
    das Durch­lau­fen der Ent­wick­lungs­pha­se (i.S.d. Eva­lua­ti­ons­pha­se
    R3) von den­je­ni­gen favo­ri­siert wer­den könn­te,
    die nicht unbe­dingt eine Pro­fes­sur anstre­ben oder den
    Weg der klas­si­schen Habi­li­ta­ti­on beschrei­ten wol­len. Die
    Juni­or­pro­fes­sur ohne Ten­ure-Track könn­te schließ­lich
    für die­je­ni­gen ver­blei­ben, die erwar­ten, eine Habilitation94
    oder habi­li­ta­ti­ons­äqui­va­len­te Leis­tun­gen in sechs
    Jah­ren erbrin­gen zu kön­nen bzw. kei­ne dau­er­haf­te Beschäf­ti­gung
    in der Wis­sen­schaft anstre­ben. Es ergä­be
    sich mit­hin ein „Drei-Pfa­de-Kar­rie­re­mo­dell“ nach der
    Pro­mo­ti­on.
    Schlüs­sig wird die­ses „Drei-Pfa­de-Kar­rie­re­mo­dell“,
    wenn die Lan­des­ge­setz­ge­ber das aka­de­mi­sche Höchst­al­ter
    zur Bewer­bung auf eine Juni­or­pro­fes­sur par­al­lel zu
    den Pha­sen des Anschluss­zu­sa­ge­mo­dells normierten.95
    Das bedeu­te­te: Auf eine Juni­or­pro­fes­sur sol­le sich bewer­ben
    kön­nen, wer ein berei­nig­tes aka­de­mi­sches
    Höchst­al­ter von maxi­mal acht Jah­ren auf­weist. Nach der
    Ori­en­tie­rungs­pha­se ste­hen sodann drei Wege offen: Von
    der Juni­or­pro­fes­sur (1) mit und (2) ohne Ten­ure-Track
    unmit­tel­bar auf die Lebens­zeit­pro­fes­sur („up or out“)
    und (3) über die Ent­wick­lungs­pha­se auf eine ent­fris­te­te
    Stel­le im aka­de­mi­schen Mit­tel­bau, von der aus man sich
    auf eine Füh­rungs­po­si­ti­on in Wis­sen­schaft und For­schung
    – ein­schließ­lich der Lebens­zeit­pro­fes­sur – bewer­ben
    kann. Die­ses neue Kar­rie­re­mo­dell wür­de eine
    Selbst­ver­ständ­lich­keit des all­ge­mei­nen Arbeits­markts
    auch im Wis­sen­schafts­sys­tem eta­blie­ren: Nicht alle wol­len
    Füh­rungs­kraft wer­den und trotz­dem auf siche­rer Beschäf­ti­gungs­grund­la­ge
    mit ihrem Fleiß und ihrem
    Know-How zum Erfolg des Arbeit­ge­bers bei­tra­gen.
    Simon Pschorr ist Staats­an­walt und Abge­ord­ne­ter
    Prak­ti­ker an der Uni­ver­si­tät Kon­stanz. Er lehrt und pro­mo­viert
    im Straf­recht. Dar­über hin­aus forscht er im
    Hoch­schul­ar­beits­recht.
    Prof. Dr. Vol­ker Epping, Prä­si­dent der Gott­fried Wil­helm Leib­niz Uni­ver­si­tät und Vor­stands­mit­glied des Ver­eins zur För­de­rung des deut­schen und inter­na­tio­na­len Wis­sen­schafts­rechts, stell­te ein­lei­tend die Bedeu­tung der Export­kon­trol­le für die Wis­sen­schaft dar. Durch die­se Rege­lun­gen erfüh­ren die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 GG ver­an­ker­te Wis­sen­schafts­frei­heit eben­so wie die ver­fas­sungs­recht­lich abge­si­cher­te Außenwirtschaftsfreiheit1 ihre Schran­ken.
    Rele­vant wer­de die Export­kon­trol­le in jedem Bereich der Wis­sen­schaft, was für die Betrof­fe­nen nicht immer intui­tiv erkenn­bar sei. Ver­stö­ße gegen das Export­kon­troll­recht führ­ten im Ein­zel­fall zu straf­recht­li­chen Sank­tio­nen, wes­halb gute Kennt­nis­se in die­sem Bereich spe­zi­ell für die jewei­li­ge Insti­tuts­lei­tung als Ausfuhrverantwortliche2 unent­behr­lich sei­en. Epping erklär­te als Ziel der Ver­an­stal­tung, Ein­bli­cke in die Grund­zü­ge des Export­kon­troll­rechts zu ver­mit­teln und anhand prak­ti­scher Bei­spie­le Hil­fe­stel­lun­gen für den Umgang mit dem Regime zu geben.
    I. Grund­la­gen des deut­schen und euro­päi­schen Export­kon­troll­rechts
    Ein­füh­rend beton­te Prof. Dr. Hans-Micha­el Wolff­gang, Direk­tor des Insti­tuts für Zoll- und Außen­wirt­schafts­recht an der West­fä­li­schen Wil­helms-Uni­ver­si­tät Müns­ter, die Not­wen­dig­keit der Eta­blie­rung eines Export­kon­troll­me­cha­nis­mus in wis­sen­schaft­li­chen Ein­rich­tun­gen. Stets bestün­de die Mög­lich­keit einer Außen­wirt­schafts­prü­fung, es droh­ten Straf- oder Buß­geld­ver­fah­ren sowie Repu­ta­ti­ons­schä­den. Zugleich gin­gen mit der Export­kon­trol­le aber auch Sicher­heits­aspek­te ein­her, indem Wis­sen und Tech­no­lo­gie vor Miss­brauch geschützt wer­den wür­den. Anschlie­ßend stell­te Wolff­gang die wesent­li­chen Struk­tu­ren des Export­kon­troll­rechts auf euro­päi­scher und deut­scher Ebe­ne dar.
  5. Zie­le und Rechts­rah­men der Export­kon­trol­le
    Die Export­kon­trol­le ver­fol­ge unter­schied­li­che Zie­le: Mit der Ver­hin­de­rung der Ver­brei­tung von Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen und kon­ven­tio­nel­len Rüs­tungs­gü­tern wer­de die Wah­rung natio­na­ler Sicher­heits­in­ter­es­sen sowie die Gewähr­leis­tung der Sicher­heit der Euro­päi­schen Uni­on ein­schließ­lich ihrer Mit­glied­staa­ten und Bür­ger bezweckt. Im Rah­men der Zusam­men­ar­beit mit ande­ren Uni­ver­si­tä­ten müs­se etwa berück­sich­tigt wer­den, dass nicht all die­se in einer Wei­se wie die deut­schen Ein­rich­tun­gen abge­si­chert sei­en. Fer­ner sol­le das fried­li­che Zusam­men­le­ben der Völ­ker eben­so wie der Zweck erreicht wer­den, Kon­flikt­stär­kung in Kri­sen­ge­bie­ten zu ver­hin­dern. Die Export­kon­trol­le die­ne fer­ner dem Schutz vor Ter­ro­ris­mus, der Ein­hal­tung von Men­schen­rech­ten und letzt­lich auch der Durch­set­zung poli­ti­scher und öko­no­mi­scher Zie­le.
    Die­se Zie­le könn­ten durch Bedro­hungs­la­gen ins­be­son­de­re im Bereich von Waf­fen und der Trä­ger­tech­no­lo­gie sowie im Bereich des Ter­ro­ris­mus kon­ter­ka­riert wer­den. Ent­spre­chen­de Bedro­hun­gen ergä­ben sich spe­zi­ell unter Berück­sich­ti­gung der gro­ßen Reich­wei­te rus­si­scher Rake­ten sowie der zahl­rei­chen aktu­el­len Krie­ge und Kon­flik­te welt­weit, wie dem rus­si­schen Angriff auf die Ukraine3. Bedro­hun­gen gin­gen auch von Chi­nas dekla­rier­tem Anspruch auf Taiwan4 aus, wobei sich ent­spre­chen­de Kon­flik­te vom regio­na­len auf welt­wei­te Berei­che aus­wei­ten könn­ten.
    Ange­sichts die­ser Hin­ter­grün­de ver­deut­lich­te Wolff­gang die Rele­vanz der Zusam­men­ar­beit im Export­kon­tAn­to­nia
    Hage­dorn
    Wis­sen­schaft und Export­kon­trol­le
    Bericht über die Tagung des Ver­eins zur För­de­rung des deut­schen und inter­na­tio­na­len
    Wis­sen­schafts­rechts e.V. am 27. April 2023
    1 Grund­le­gend Epping, Die Außen­wirt­schafts­frei­heit, Tübin­gen 1998.
    2 Vgl. aktu­ell auch Ossenkopp/Wien, Der Aus­fuhr­ver­ant­wort­li­che in der Wis­sen­schaft, Eigen­schaft des Aus­fuhr­ver­ant­wort­li­chen in außer­uni­ver­si­tä­ren For­schungs­ein­rich­tun­gen und Hoch­schu­len, AW-Prax 2023, 157 (157 ff.).
    3 S. aktu­ell im Kon­text der Sank­tio­nen gegen­über Russ­land Schöff­ski, Sank­tio­nen gegen­über Russ­land und Bela­rus: Is t der „Aus­fuhr­ver­ant­wort­li­che“ auch für die Ein­hal­tung von import- und ein­kaufs­re­le­van­ten Sank­tio­nen ver­ant­wort­lich?, CCZ 2023, 115 (115 ff.).
    4 Hier­zu s. Deut­scher Bun­des tag, Wis­sen­schaft­li­che Diens te, Kurz­in­for­ma­ti­on, Zum Herr­schaftsans pruch der Volks­re­pu­blik Chi­na über Tai­wan, WD 2 – 3000 – 063/22 (30.8.2022), https://www.bundes tag.de/resource/blob/913192/5449ed870b974dd3543e235bda193df5/WD‑2–063-22-pdf-data.pdf (zul. aufg. am 1.5.2023).
    Ord­nung der Wis­sen­schaft 2023, ISSN 2197–9197
    1 8 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 8 1 — 1 8 6
    5 Vgl. Klo­ke, Der Sicher­heits­rat der Ver­ein­ten Natio­nen als Welt­ge­setz­ge­ber
    – eine kri­ti­sche Betrach­tung aus völ­ker­recht­li­cher Sicht,
    Ber­lin 2016.
    6 Dies­be­züg­lich vgl. die nähe­ren Infor­ma­tio­nen des BAFA, Infor­ma­tio­nen
    zum Embar­go gegen die Isla­mi­sche Repu­blik Iran, https://
    www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Ausfuhrkontrolle/Embargos/
    Iran/iran_node.html (zul. aufg. am 1.5.2023).
    7 S. Zimmermann/Elberling, Gren­zen der Legis­la­tiv­be­fug­nis­se des
    Sicher­heits­rats, Reso­lu­ti­on 1540 und abs trak­te Bedro­hung des
    Welt­frie­dens, Ver­ein­te Natio­nen 3/2004, 71 (71 ff.).
    8 Krapp/et al., Das bleibt von Viess­mann nach dem Ver­kauf an den
    US-Kon­zern, Han­dels­blatt v. 28.4.2023, https://www.handelsblatt.
    com/unternehmen/mittels tan­d/­fa­mi­li­en­un­ter­neh­mer/­waer­me­pum­pen-
    deal-das-bleibt-von-viess­mann-nach-ver­kauf-an-den-uskon­zern/
    29113834.html (zul. aufg. am 1.5.2023).
    9 S. zur Prü­fungs­an­kün­di­gung Habecks Olk, Habeck kün­digt Prü­fung
    von Viess­mann-Ver­kauf an, Han­dels­blatt v. 26.4.2023, https://
    www.handelsblatt.com/politik/deutschland/waermepumpen-dealhabeck-
    kuen­digt-prue­fung-von-viess­mann-ver­kauf-an/29115556.
    html sowie zur Stel­lung­nah­me des Bun­des­kanz­lers Scholz Welt v.
    26.4.2023, https://www.welt.de/wirtschaft/article245005826/Kanzler-
    Scholz-sieht-Ver­kauf-von-Viess­mann-Hei­zungss par­te-grund­saetz­lich-
    positiv.html (jew. zul. aufg. am 1.5.2023). Anwen­dung
    fin­det hier das sog. sek­tor­über­grei­fen­de Inves titi­ons prüf­ver­fah­ren
    gem. §§ 4 Abs. 1 Nr. 4, Nr. 4a, 5 Abs. 2 AWG i.V.m. §§ 55 ff. AWV
    (vgl. wei­ter­füh­rend Hage­dorn, Die Beschrän­kung aus­län­di­scher
    Direkt­in­ves titio­nen in sicher­heits­re­le­van­te zivi­le Unter­neh­men,
    Ber­lin 2023 [im Erschei­nen]; Wolffgang/Rogmann/Pietsch, AWR­Kom­men­tar,
    Stand: 2022).
    10 Vgl. zur Ver­län­ge­rung der unio­na­len Sank­tio­nen jüngs t Redak­ti­on
    AW-Prax, Sank­tio­nen gegen Russ­land I, EU ver­län­gert Beschluss
    zu den Res trik­tio­nen gegen­über den rus­sisch kon­trol­lier­ten Gebie­ten
    in der Ukrai­ne, AW-Prax 2023, 87 (87) m.w.N.
    roll­recht, die sich in einer Gemenge­la­ge von Rege­lun­gen
    auf drei Ebe­nen äußer­te: Auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne ver­öf­fent­lich­te
    der Sicher­heits­rat der Ver­ein­ten Nationen5
    Beschlüs­se wie die Anord­nung von Embar­gos etwa gegen
    den Iran6. Fer­ner sei­en die UN-Reso­lu­ti­on 1540 zum
    Kampf gegen Terror7 eben­so wie Ter­ro­ris­ten­lis­ten zu berück­sich­ti­gen.
    Hier­ne­ben sei­en inter­na­tio­na­le Ver­trä­ge
    wie etwa der Ver­trag über die Nicht­ver­brei­tung von
    Atom­waf­fen, das Che­mie- und das Bio­waf­fen­über­ein­kom­men
    rele­vant. Außer­dem fin­de eine inter­na­tio­na­le
    Zusam­men­ar­beit mit Soft-Law Regi­men wie der Nuclear
    Sup­pli­ers Group, der Aus­tra­lia Group, dem Mis­sile Tech­no­lo­gy
    Con­trol Regime und dem Was­sen­aar Arran­ge­ment
    statt. Schließ­lich sei im inter­na­tio­na­len Bereich
    auch die Welt­zoll­or­ga­ni­sa­ti­on von Bedeu­tung.
    Auf Euro­päi­scher Uni­ons­ebe­ne kämen Ver­ord­nun­gen
    wie ins­be­son­de­re die EU-Dual-Use-VO zur Anwen­dung;
    im natio­na­len Recht fin­de die Export­kon­trol­le ihren
    Aus­druck im deut­schen Krwaff­Kon­trG, dem AWG
    und der AWV. All jene Vor­schrif­ten ent­hiel­ten als Aus­nah­men
    zur Außen­wirt­schafts­frei­heit Ver­bo­te und Geneh­mi­gungs­vor­be­hal­te;
    als mög­li­che Rechts­fol­gen kämen
    im Ein­zel­nen eine Zuläs­sig­keit der beab­sich­tig­ten
    Akti­vi­tät (mit Geneh­mi­gung) sowie ein Ver­bot in
    Betracht.
    In Bezug auf außen­wirt­schaft­li­che Beschrän­kun­gen
    auf natio­na­ler Ebe­ne nann­te Wolff­gang als aktu­el­les Bei­spiel
    den beab­sich­tig­ten Ver­kauf des Kern­ge­schäfts Wär­me­pum­pen
    des Ener­gie­her­stel­ler­un­ter­neh­mens Viess­mann
    an das US-ame­ri­ka­ni­sche Unter­neh­men Carrier8,
    der auf Grund­la­ge der in AWG und AWV ver­an­ker­ten
    Rege­lun­gen durch das BMWK geprüft wird.9
  6. Anknüp­fungs­punk­te der Export­kon­trol­le
    Sodann stell­te Wolff­gang die zahl­rei­chen Anknüp­fungs­punk­te
    der Export­kon­trol­le dar. Ent­schei­dend sei zunächst
    die Fra­ge, wel­che Güter betrof­fen sind. Hier wür­de
    zwi­schen ver­kör­per­ten Waren sowie einer jeweils in
    Spei­cher­me­di­en ver­kör­per­ten Tech­no­lo­gie und Soft­ware
    unter­schie­den. Maß­geb­lich für die Export­kon­trol­le sei­en
    ins­be­son­de­re Kriegs­waf­fen, Rüs­tungs- und Dual-Use-
    Güter. Wäh­rend ers­te­re bei­de ledig­lich natio­nal gelis­tet
    sei­en, erfüh­ren Dual-Use-Güter auch eine Lis­tung auf
    Euro­päi­scher Uni­ons­ebe­ne. Außer­dem wer­de auf Uni­ons­ebe­ne
    an ein­zel­ne Län­der ange­knüpft, indem einer­seits
    gegen bestimm­te Län­der ein Total‑, Teil- oder ein
    Waf­fen­em­bar­go erlas­sen wer­de. Als Waf­fen­em­bar­go­län­der
    sei­en ins­be­son­de­re
    Chi­na, der Iran und Russland10
    beacht­lich. Ande­rer­seits wür­den bestimm­te Län­der auch
    als sen­si­tiv gem. Art. 4 Dual-Use-VO ein­ge­stuft. Sei­en
    Dual-Use-Güter nicht bereits in einer Lis­te auf­ge­führt,
    dann fin­de eine ver­wen­dungs­be­zo­ge­ne Kon­trol­le in
    Bezug auf mili­tä­ri­sche Zwe­cke statt, sofern die Güter in
    bestimm­te Län­der gem. Art. 4 EU-Dual-Use-VO i.V.m.
    Län­der­lis­ten oder gem. § 9 AWV aus­ge­führt wer­den sol­len.
    In die­sem Fall wer­de eine Kennt­nis des Aus­füh­rers
    von der spe­zi­fi­schen Ver­wen­dungs­ab­sicht ver­langt (sog.
    Ver­wen­dungs­be­zug).
    Wei­te­rer Anknüp­fungs­punkt der Export­kon­trol­le
    sei­en Tech­no­lo­gien, also spe­zi­fi­sches tech­ni­sches Wis­sen,
    wel­ches für die Ent­wick­lung, Her­stel­lung und Ver­wen­dung
    von Gütern not­wen­dig sei. Ent­wick­lung mei­ne
    hier­bei alle Stu­fen der Seri­en­fer­ti­gung und Her­stel­lung
    all jene der Fabri­ka­ti­on, wohin­ge­gen Ver­wen­dung die
    Berei­che Betrieb, War­tung, Repa­ra­tur, Über­ho­lung und
    Wie­der­auf­be­rei­tung bedeu­te. Der unter­such­te Tech­no­lo­gie­trans­fer
    erfas­se tech­ni­sche Unter­la­gen, die in
    Schrift­form oder auf einem sons­ti­gen Medi­um ver­kör­pert
    sind. Die Aus­fuhr die­ser Unter­la­gen unter­lie­ge der
    Güter­kon­trol­le. Bedeut­sam sei dane­ben aber auch der
    Trans­fer tech­ni­scher Unter­stüt­zung, wor­un­ter geis­ti­ge
    oder manu­el­le Dienst­leis­tun­gen gem. Art. 2 Nr. 9
    EU‑Dual‑Use‑VO, § 2 Abs. 16 AWG gefasst wer­den.
    Hier­von wür­de die Aus­bil­dung, Bera­tung und Wei­terg­a­Ha­ge­dorn
    · Wis­sen­schaft und Export­kon­trol­le 1 8 3
    11 Vgl. auch das Hand­buch der BAFA, Export­kon­trol­le und Academia,
  7. Auf­la­ge, Ber­lin 2022. S. wei­ter­füh­rend dass., Export­kon­trol­le
    in For­schung und und Wis­sen­schaft, https://www.bafa.de/
    SharedDocs/Downloads/DE/Aussenwirtschaft/afk_aca_broschuere_
    awareness.pdf?__blob=publicationFile&v=5 (zul. aufg. am
    1.5.2023).
    be von Infor­ma­tio­nen unab­hän­gig von der Fra­ge betrof­fen,
    ob sie münd­lich, fern­münd­lich oder elek­tro­nisch erfol­ge.
    Wolff­gang beton­te, dass somit unter Umstän­den
    auch der all­täg­li­che E‑Mail-Ver­kehr betrof­fen sein kann.
    Die Wei­ter­ga­be tech­no­lo­gi­scher Infor­ma­tio­nen sei
    grund­sätz­lich immer dann geneh­mi­gungs­pflich­tig,
    wenn auch ein ver­gleich­ba­rer Güter­ex­port geneh­mi­gungs­pflich­tig
    wäre. Dies ver­an­schau­lich­te Wolff­gang am
    Bei­spiel eines Pan­zer­ex­ports: Sei sei­ne Aus­fuhr nicht erlaubt,
    so dür­fe man auch kei­ne Infor­ma­tio­nen bezüg­li­che
    des­sen Ent­wick­lung und Her­stel­lung wei­ter­ge­ben.
    Als Aus­nah­me sei­en aller­dings all­ge­mein zugäng­li­che
    Infor­ma­tio­nen sowie Fra­gen der wis­sen­schaft­li­chen
    Grund­la­gen­for­schung vom Ver­bot aus­ge­nom­men.
    Letzt­lich unter­strich Wolff­gang noch­mals, dass der Ort
    der tech­ni­schen Unter­stüt­zung uner­heb­lich ist. Die Beschrän­kun­gen
    der Export­kon­trol­le fän­den dem­nach für
    Deut­sche welt­weit Anwen­dung, wenn sie Gebiets­frem­de
    außer­halb Deutsch­lands oder der Euro­päi­schen Uni­on
    unter­stütz­ten.
    Zuletzt knüp­fe die Export­kon­trol­le an bestimm­te
    Per­so­nen und Orga­ni­sa­tio­nen an. Es erfol­ge eine Lis­tung
    durch die Ver­ein­ten Natio­nen, die mit uni­ons­recht­li­chen
    Ver­ord­nun­gen umge­setzt wer­den, oder allein eine Lis­tung
    der Euro­päi­schen Uni­on. Gelis­tet wür­den ins­be­son­de­re
    Kriegs­ver­bre­cher, Ter­ro­ris­ten und poli­tisch Ver­ant­wort­li­che.
    In der Rechts­fol­ge wür­den Gel­der und
    wirt­schaft­li­che Res­sour­cen die­ser Per­so­nen oder Orga­ni­sa­tio­nen
    ein­ge­fro­ren, ihnen dürf­ten also weder direkt
    noch indi­rekt Gel­der zur Ver­fü­gung gestellt wer­den. In
    die­sem Bereich ent­fal­te­ten die Kon­troll­vor­schrif­ten eine
    uni­ons­wei­te Gel­tung, sodass in der Wis­sen­schaft etwa
    kei­ne Auf­trä­ge von die­sen Per­so­nen ange­nom­men wer­den
    dürf­ten.
    II. Pra­xis­bei­spie­le zum The­men­feld „Export­kon­trol­le
    und Wis­sen­schaft (Aca­de­mia)“
    Vol­ker Anders, Unter­ab­tei­lungs­lei­ter im Bun­des­amt für
    Wirt­schaft und Aus­fuhr­kon­trol­le (BAFA), und Dr. Mari­us
    Sie­bers, Tech­ni­sches Refe­rat im BAFA, stell­ten in
    ihrem nach­fol­gen­den Impuls­vor­trag aus der behörd­li­chen
    Sicht die Bedeu­tung der Export­kon­trol­le für die
    Wirt­schaft dar.11 Zu berück­sich­ti­gen sei für die Wis­sen­schaft
    ins­be­son­de­re, dass auch die zivi­le Aus­rich­tung der
    For­schungs- und Tätig­keits­be­rei­che nicht die Export­kon­trol­le
    aus­schließt; allein das objek­ti­ve Miss­brauchs­po­ten­zi­al
    sei ent­schei­dend. Der Kon­troll­me­cha­nis­mus
    grei­fe dem­nach auch, wenn mit der For­schung
    ein „heh­res“ Ziel, bei­spiels­wei­se die Ent­wick­lung eines
    Impf­stoffs, ver­folgt wer­de.
    Im Rah­men ein­zel­ner For­schungs­be­rei­che sei beacht­lich,
    dass jedem ein eige­nes Miss­brauchs­po­ten­zi­al
    imma­nent ist. So führ­te Anders für den Bereich der Bio­tech­no­lo­gie
    etwa die Vogel­grip­pe und für den Bereich
    der Luft- und Raum­fahrt­tech­nik die Zusam­men­ar­beit
    mit aus­län­di­schen For­schern, die selbst im Rüs­tungs­be­reich
    tätig sind, auf.
  8. Anwen­dungs­be­reich der Export­kon­trol­le und Lis­tung
    Anders nahm die Aus­fuhr eines in Anhang I der
    EU‑­Du­al-Use-VO gelis­te­ten Pro­to­typs zum Anlass für
    ein prak­ti­sches Bei­spiel der Export­kon­trol­le gem.
    Art. 3 Abs. 1 EU-Dual-Use-VO. Rele­vant sei, dass der
    Pro­to­typ aus tech­ni­scher Sicht von einer Posi­ti­on des
    Anhang I der E‑U-Dual-Use-VO erfasst ist und dass die­ser
    in ein Land außer­halb der EU mit­ge­nom­men wird.
    Damit lie­ge eine geneh­mi­gungs­pflich­ti­ge Aus­fuhr vor.
    Auf Zweck und Dau­er der Aus­fuhr kom­me es nicht an.
    Als wei­te­res Bei­spiel nann­te Anders die Über­sen­dung
    einer E‑Mail an einen Wis­sen­schaft­ler in einem Land außer­halb
    der EU, in der aus­führ­lich die For­schung zu einer
    in Anhang I der EU-Dual-Use-VO genann­ten Tech­no­lo­gie
    erläu­tert wird. Hier lie­ge eben­falls eine geneh­mi­gungs­pflich­ti­ge
    Aus­fuhr vor, weil wie in Bei­spiel 1 ein gelis­te­tes
    Gut in ein Dritt­land aus­ge­führt wür­de. Irrele­vant
    sei, in wel­cher Art und Wei­se die Tech­no­lo­gie über­mit­telt
    wird. Die Über­tra­gung von Tech­no­lo­gien mit­tels
    elek­tro­ni­scher Medi­en bzw. das Ein­räu­men von Zugriff­mög­lich­kei­ten
    auf Ser­ver sei der Aus­fuhr in kör­per­li­cher
    Form gleich­ge­stellt.
    Sodann erläu­ter­te Sie­bers die Lis­tung bestimm­ter
    Güter und ihre Struk­tur im Rah­men des Anhangs I der
    EU-Dual-Use-VO am Exem­pel der Fließ­drück­ma­schi­ne
    (Lis­tung: 2B009). Die­se Lis­tung set­ze sich aus der Kate­go­rie
    (2: Werk­stoff­be­ar­bei­tung), der Gat­tung (B: Prüf‑,
    Test- und Her­stel­lungs­aus­rüs­tung) und der Ken­nung
    (0xx: Was­sen­aar Arran­ge­ment [WA]) zusammen.
  9. Anwen­dungs­be­reich kon­kret im Rah­men der Tech­no­lo­gie­kon­trol­le
    Sie­bers fuhr in sei­nem Impuls­vor­trag mit einer nähe­ren
    Erläu­te­rung der Tech­no­lo­gie­kon­trol­le fort. In die­sem
    Bereich sei das wei­te Spek­trum von offen­sicht­lich nicht
    1 8 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 8 1 — 1 8 6
    12 Vgl. auch BAFA, Merk­blatt Fir­men­in­ter­ne Export­kon­trol­le (ICP),
  10. Aufl. 2022, https://www.bafa.de/SharedDocs/Downloads/DE/
    Aussenwirtschaft/afk_merkblatt_icp.html (zul. aufg. am 1.5.2023).
    13 S. wei­ter­füh­rend Urso, Step-by‑s tep: Ers tel­lung und inner­be­trieb­li­che
    Imple­men­tie­rung eines Inter­nal Com­pli­ance Pro­gram­me
    (ICP) im Bereich Zoll- und Export­kon­trol­le, CB 2016, 344 (344 ff.);
    Wolffgang/Witte, Com­pli­ance in der Export­kon­trol­le, Her­aus­for­de­run­gen
    für Unter­neh­men und Ver­ant­wort­li­che im grenz­über­schrei­ten­den
    Wirt­schafts­ver­kehr, CB 2015, 138 (138 ff.).
    kon­trol­lier­ter und offen­sicht­lich kon­trol­lier­ter Tech­no­lo­gie
    maß­geb­lich. Ers­te­re lie­ge etwa vor bei einem Bache­lor­stu­di­en­gang
    in nicht tech­ni­schen oder mathe­ma­ti­schen
    Fach­rich­tun­gen. Eine offen­sicht­lich kon­trol­lier­te
    Tech­no­lo­gie sei gege­ben, wenn an einem For­schungs­vor­ha­ben
    gear­bei­tet wer­de, in dem gelis­te­te Güter wei­ter­ent­wi­ckelt
    wer­den.
    Zwi­schen den bei­den ein­deu­tig bestimm­ba­ren Berei­chen
    befän­de sich eine Grau­zo­ne. Dies­be­züg­lich habe im
    Ein­zel­fall eine genaue­re Abgren­zung zu erfol­gen, bei der
    zunächst eine Vor­prü­fung dahin­ge­hend erfor­der­lich sei,
    ob eine offen­sicht­lich nicht kon­trol­lier­te Tech­no­lo­gie
    vor­liegt. Wäre dies abzu­leh­nen, dann erfol­ge eine Abgren­zung
    zu offen­sicht­lich kon­trol­lier­ten Tech­no­lo­gien
    anhand fol­gen­der Kri­te­ri­en: Maß­geb­lich sei inso­weit der
    Bezug der Tech­no­lo­gie zur Güter­lis­te, die Detail­tie­fe des
    zum Trans­fer beab­sich­tig­ten Wis­sens und das Vor­lie­gen
    einer Grund­la­gen­for­schung. Sofern ein Bezug zu den
    Güter­lis­ten bestün­de, kei­ne wis­sen­schaft­li­che Grund­la­gen­for­schung
    vor­lie­ge und die Arbei­ten nicht umfas­send
    ver­öf­fent­licht sei­en, soll­te ein Dia­log mit dem BAFA ange­strebt
    wer­den, um die Export­kon­troll­re­le­vanz zu
    klä­ren.
    In die­sem Kon­text nann­te Sie­bers als ers­tes Pra­xis­bei­spiel
    den vor­über­ge­hen­den Export einer Mul­ti­c­op­ter-
    Droh­ne nach Süd­afri­ka, um dort Agrar-Pro­jek­te vor Ort
    bei ihren Luft­auf­nah­men zu unter­stüt­zen. Als tech­ni­sche
    Daten hat die Droh­ne ein Gewicht von 907 g, maxi­ma­le
    Flug­zeit von 31 Minu­ten, maxi­ma­len Wind­wi­der­stand
    von 29–38 km/h, sie kann auto­nom flie­gen und ist im
    Ein­zel­han­del erhält­lich. Hier han­de­le es sich um kei­ne
    offen­sicht­lich nicht kon­trol­lier­te Tech­no­lo­gie. Die Droh­ne
    wei­se kei­nen Bezug zur Güter­lis­te, ins­be­son­de­re nicht
    zu 9A012 Anhang I EU-Dual-Use-VO auf, da ihr Wind­wi­der­stand
    zu gering ist. Eben­so sei­en die Merk­ma­le von
    9A112 Anhang I EU-Dual-Use-VO nicht erfüllt. Dem­nach
    han­de­le es sich um kei­ne offen­sicht­lich nicht kon­trol­lier­te
    Tech­no­lo­gie.
    Als zwei­tes Pra­xis­bei­spiel erläu­ter­te Sie­bers die Wei­ter­ent­wick­lung
    einer Virus-Kul­ti­vie­rungs­me­tho­de. Ein
    For­scher aus Deutsch­land arbei­tet mit einem For­scher
    aus Indi­en zusam­men an der Ent­wick­lung einer neu­en
    Kul­ti­vie­rungs­me­tho­de für das Nipah-Virus. In die­sem
    Kon­text über­sen­det er sei­ne For­schungs­er­geb­nis­se
    an
    den indi­schen For­scher per E‑Mail. Eine offen­sicht­lich
    nicht kon­trol­lier­te Tech­no­lo­gie lie­ge nicht vor. Das Nipah-
    Virus wer­de spe­zi­ell in 1C351 a) Nr. 35 Anhang I
    EU‑­Du­al-Use-VO und die Tech­no­lo­gie in 1E001 Anhang
    I EU-Dual-Use-VO gelis­tet. Da die For­schungs­er­geb­nis­se
    nicht all­ge­mein zugäng­lich oder Teil der
    Grund­la­gen­for­schung sei­en, wer­de gem. Art. 3 Abs. 1
    EU-Dual-Use-VO eine Geneh­mi­gung benö­tigt. Folg­lich
    sei das BAFA zu kontaktieren.
  11. Inter­nal Com­pli­ance Programme12
    Abschlie­ßend wur­de dar­auf hin­ge­wie­sen, dass ein Inter­nal
    Com­pli­ance Pro­gram­me (ICP) im Bereich der
    Export­kon­trol­le ein­zu­rich­ten ist. Die­ses kön­ne in das
    Com­pli­ance-Manage­ment-Sys­tem (CMS) der wis­sen­schaft­li­chen
    Ein­rich­tung ein­ge­bet­tet wer­den. In die­sem
    Pro­gramm müs­se die Son­der­ver­ant­wor­tung des Aus­fuhr­ver­ant­wort­li­chen
    berück­sich­tigt wer­den, der für die
    Ein­hal­tung der Export­kon­troll­vor­schrif­ten und die Eta­blie­rung
    eines ICP per­sön­lich ver­ant­wort­lich sei.13
    III. Best-Prac­ti­ce-Bei­spie­le
    Auf Grund­la­ge der vor­ste­hen­den theo­re­ti­schen Grund­la­gen
    der Export­kon­trol­le konn­te die­se im zwei­ten Teil
    der Ver­an­stal­tung aus prak­ti­scher Sicht­wei­se ihrer
    Hand­ha­bung an zwei wis­sen­schaft­li­chen Ein­rich­tun­gen
    näher erläu­tert wer­den. Neben der per­so­nel­len Orga­ni­sa­ti­on
    des jewei­li­gen Export­kon­troll­me­cha­nis­mus wur­de
    auch ihre fach­li­che Struk­tu­rie­rung inten­siv behandelt.
  12. Export­kon­trol­le an der Rhei­nisch-West­fä­li­schen
    Tech­ni­schen Hoch­schu­le Aachen
    Nico­las Lunz, Sach­ge­biets­lei­ter Außen­wirt­schafts­recht
    und Export­kon­troll­be­auf­trag­ter der Rhei­nisch-West­fä­li­schen
    Tech­ni­schen Hoch­schu­le (RWTH) Aachen, hat
    das ICP an sei­ner Hoch­schu­le ent­wi­ckelt, mit auf­ge­baut
    und hat hier bis­lang zwei Außen­wirt­schafts­prü­fun­gen
    mit­er­lebt. Lunz stell­te die Beob­ach­tung auf, dass die
    Export­kon­trol­le neben den bereits genann­ten Gefah­ren
    für die wis­sen­schaft­li­che Ein­rich­tung auch posi­ti­ve
    Aspek­te mit sich brin­gen kann, denn ein gutes inter­nes
    Kon­zept sei geeig­net, Mar­ke­ting­ef­fek­te für Dritt­mit­tel­ge­ber
    zu impli­zie­ren.
    Lunz erläu­ter­te sodann die nähe­re Aus­ge­stal­tung des
    ICP der RWTH Aachen. Per­so­nell sei die Export­kon­trol­le
    der­ge­stalt auf­ge­baut, dass ein Aus­fuhr­ver­ant­wort­li­Ha­ge­dorn
    · Wis­sen­schaft und Export­kon­trol­le 1 8 5
    cher an der Spit­ze und dar­un­ter ein Export­kon­troll­be­auf­trag­ter
    in der Zen­tra­len Hoch­schul­ver­wal­tung steht.
    Auf­ga­ben des Export­kon­troll­be­auf­trag­ten sei­en im Ein­zel­nen
    Infor­ma­ti­on, Schu­lung, Bera­tung, Ser­vice, Orga­ni­sa­ti­on
    und auch die Export­kon­trol­le als recht­li­che
    Prü­fung kon­kre­ter Sach­ver­hal­te wie etwa von Ver­trä­gen
    mit Ver­trags­part­nern aus Dritt­staa­ten.
    Beach­tung fin­de hier vor­der­grün­dig die beson­de­re
    Sen­si­bi­li­sie­rung der ein­zel­nen Mit­ar­bei­ter. Es sei unmög­lich,
    jeden ein­zel­nen als export­kon­troll­recht­lich
    even­tu­ell rele­van­ten Vor­gang zu unter­su­chen. Viel­mehr
    wür­den Hin­wei­se in Bezug auf rele­van­te Vor­gän­ge, ins­be­son­de­re
    betref­fend die Ver­sen­dung von Gütern und
    spe­zi­ell Rüs­tungs­gü­tern in Dritt­län­der, die Mit­nah­me
    von Gütern im Rei­se­ge­päck sowie die digi­ta­le Über­tra­gung
    gelis­te­ter Soft­ware bzw. Tech­no­lo­gie in Dritt­län­der,
    erteilt. Die Sen­si­bi­li­sie­rung erfol­ge auf unter­schied­li­che
    Art und Wei­se anhand von Erklär­vi­de­os, Merk­blät­tern,
    inter­nen Schu­lun­gen oder Onboar­ding-Gesprä­chen mit
    neu­en Dozen­ten. Für Lehr­stüh­le mit einer beson­ders hohen
    Export­kon­troll­re­le­vanz,
    etwa dem­je­ni­gen für Luft­und
    Raum­fahrt, wer­den indi­vi­du­el­le Insti­tuts­schu­lun­gen
    ange­bo­ten.
    Eine vor­he­ri­ge Kon­trol­le wer­de hin­ge­gen
    vor­nehm­lich bei beson­ders kri­ti­schen Akti­vi­tä­ten wie
    der Ver­sen­dung von Gütern in Dritt­staa­ten Prü­fung vor­ge­nom­men.
    Hier­für wer­de ein bestimm­tes For­mu­lar bereit­ge­stellt,
    das im Ein­zel­fall aus­zu­fül­len sei.
    Schließ­lich beton­te Lunz das Zusam­men­spiel von Export­kon­trol­le
    und Due-Dili­gence-Prü­fung. In der
    RWTH sei es üblich, dass nach einer Unter­su­chung der
    recht­li­chen Zuläs­sig­keit in Bezug auf das Export­kon­troll­recht
    auch die Ver­ein­bar­keit des Vor­ha­bens mit den
    poli­ti­schen und ethisch-mora­li­schen Vor­stel­lun­gen der
    Hoch­schu­le geprüft werde.
  13. Export­kon­trol­le am For­schungs­zen­trum Jülich
    Jochen Kuck, Rechts­an­walt und Beschäf­tig­ter im For­schungs­zen­trum
    Jülich, beschrieb ein­lei­tend die lang­jäh­ri­ge
    gro­ße Bedeu­tung des Außen­wirt­schafts­rechts für
    sei­ne Ein­rich­tung. Die­se sei eine ehe­ma­li­ge Kern­for­schungs­an­la­ge
    mit den For­schungs­schwer­punk­ten Infor­ma­ti­on,
    Ener­gie und Bio­öko­no­mie. Er nahm noch
    ein­mal näher auf die Ein­glie­de­rung der Export­kon­trol­le
    in die Struk­tur des Risi­ko­ma­nage­ments Bezug, der
    neben den Berei­chen der Infor­ma­ti­ons­si­cher­heit, der
    geschäfts­po­li­tisch-stra­te­gi­schen Ebe­ne sowie der Ethik
    eine erheb­li­che Rele­vanz zukom­me.
    Im For­schungs­zen­trum Jülich sei des­sen admi­nis­tra­ti­ver
    Geschäfts­füh­rer Aus­fuhr­ver­ant­wort­li­cher i.S.d. Export­kon­trol­le.
    Dar­un­ter unter­glie­de­re sich die per­so­nel­le
    Zustän­dig­keit in zwei Säu­len: Dem Aus­fuhr­ver­ant­wort­li­chen
    sei der Geschäfts­be­reich Rech­te und Paten­te
    unter­stellt, der den Fach­be­reich Recht impli­ziert. Hier
    wer­den Fra­gen des Per­so­nals, der Koope­ra­ti­on, Publi­ka­ti­on
    und spe­zi­ell des US-Rechts bear­bei­tet. Als zwei­te
    Säu­le unter­lie­ge der Geschäfts­be­reich Mate­ri­al­wirt­schaft
    und Ein­kauf sei­ner Auf­sicht. Letz­te­rer Geschäfts­be­reich
    betref­fe ins­be­son­de­re die Waren­aus­fuhr. Die Säu­len­auf­tei­lung
    sei von einem gegen­sei­ti­gen Aus­tausch geprägt.
    Die­se wie­der­um hät­ten gegen­über den wis­sen­schaft­li­chen
    Insti­tu­ten und der Ver­wal­tung ein Stopp- und Wei­sungs­recht.
    Prio­ri­tär inner­halb die­ser Berei­che sind
    nach Kucks Ein­schät­zung die Waren­aus­fuhr, das Per­so­nal
    und die Koope­ra­ti­on.
    Die Export­kon­trol­le begin­ne im For­schungs­zen­trum
    regel­mä­ßig mit einem Pro­zess­aus­lö­ser wie etwa der Ein­stel­lung
    eines aus­län­di­schen Wis­sen­schaft­lers. In die export­kon­troll­recht­li­che
    Prü­fung wer­de auch hier ein geschäfts­po­li­ti­scher
    Pro­zess inte­griert, der kon­kret einen
    chi­na-spe­zi­fi­schen Prüf­pro­zess sowie eine Chan­cen-Risi­ken
    Abwä­gung beinhal­tet. Sodann wer­de wei­te­res Input
    des Insti­tuts ange­for­dert, auf des­sen Grund­la­ge die
    export­kon­troll­recht­li­che Prü­fung erfol­gen kön­ne.
    IV. Resü­mee und Aus­blick
    Schluss­fol­gernd gewinnt die Export­kon­trol­le all­ge­mein
    und spe­zi­ell im Bereich der Wis­sen­schaft zuneh­mend an
    Bedeu­tung. Jede wis­sen­schaft­li­che Insti­tu­ti­on soll­te ihre
    Exper­ti­se im kom­ple­xen Bereich der Export­kon­trol­le
    auf- bzw. aus­bau­en. Die­ser Kom­ple­xi­tät kann mit for­ma­li­sier­ten
    Pro­zes­sen begeg­net wer­den, um dem steigen1
    8 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 8 1 — 1 8 6
    den Auf­wand der export­kon­troll­recht­li­chen Fra­ge­stel­lun­gen
    gewach­sen zu sein. Hier­bei stellt ins­be­son­de­re
    die Sen­si­bi­li­sie­rung ein­zel­ner Wis­sen­schaft­ler eine geeig­ne­te
    Hil­fe­stel­lung dar. Dane­ben ist ein Aus­tausch mit
    ande­ren Ein­rich­tun­gen anzu­stre­ben.
    Mit dem Wider­streit des für die Wis­sen­schaft ele­men­ta­ren
    Aus­tauschs einer­seits und der not­wen­di­gen
    Kon­trol­le von Expor­ten ande­rer­seits geht eine Her­aus­for­de­rung
    ein­her. Es gilt jedoch auch zu berück­sich­ti­gen,
    dass von der Export­kon­trol­le Chan­cen aus­ge­hen, indem
    eine wis­sen­schaft­li­che Ein­rich­tung mit einem sicher eta­blier­ten
    Export­kon­troll­kon­zept bei­spiels­wei­se wer­ben
    kann, um Dritt­mit­tel zu erhal­ten.
    Dr. Anto­nia Hage­dorn ist Rechts­re­fe­ren­da­rin am Ober­lan­des­ge­richt
    Mün­chen. Sie hat im Außen­wirt­schafts­recht
    pro­mo­viert.
    Sie besteht nicht nur in der Deut­lich­keit, son­dern auch in der Leben­dig­keit des Vor­trags. Eini­ge haben eine glück­li­che Emp­fäng­nis, aber eine schwe­re Geburt; ohne Klar­heit kön­nen die Kin­der des Geis­tes, die Gedan­ken und Beschlüs­se, nicht wohl zur Welt gebracht wer­den. Man­che glei­chen in ihrer Fas­sungs­kraft jenen Gefä­ßen, die zwar viel fas­sen, aber wenig von sich geben. Ande­re wie­der sagen sogar mehr, als sie gedacht haben. Was für den Wil­len die Ent­schlos­sen­heit, ist für den Ver­stand die Gabe des Vor­tra­ges: zwei hohe Vor­zü­ge.
    Bal­tha­sar Gra­ci­an
    Die Kunst des Aus­drucks besitzen:1
    1 Bal­tha­sar Gra­ci­ans Hand­ora­kel: Die Kuns t der Welt­klug­heit, deutsch von Arthur Scho­pen­hau­er, neu her­aus­ge­ge­ben von Hans Taba­rel­li, Wien und Ber­lin o. J., Nr. 216, S. 153.
    Ord­nung der Wis­sen­schaft 2023, ISSN 2197–9197
    RDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2023), 187–188