I. Einleitung
Die Digitalisierung und die damit verbundenen neuen Kommunikations‑, Produktions- und Vervielfältigungsmöglichkeiten stellen auch die Wissenschaft vor Herausforderungen. Aufgrund der leicht zugänglichen Fülle an Informationen und der vielfältigen Verarbeitungsmöglichkeiten, haben sich die Rollen von Konsument:innen und Nutzer:innen mit denen der Produzent:innen von Inhalten vermischt: In Online-Umgebungen kann jede/r vergleichsweise einfach Inhalte generieren, neu zusammenstellen und publizieren.1
Dies führt dazu, dass sich durch die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten traditionelle Prozesse der Wissensgenese, ‑prüfung und ‑verbreitung grundlegend verändern.2 Gerade in der Produktion von neuem Wissen haben urheberrechtliche Fragen eine große Relevanz, die durch neue Praktiken in digitale Umgebungen vor Herausforderungen gestellt werden. Vor allem durch plattformkuratierte Inhalte ergeben sich Fragen dahingehend, wer „Wissen, Wahrheit und Rationalität im öffentlichen Diskurs für sich beanspruchen kann“3– was durch die nicht immer eindeutig identifizierbaren Urheber:innen von Kommunikationsprodukten und das Verwischen vormals relativ klar getrennter Rollen in Online-Umgebungen zusätzlich erschwert wird.
Vor diesem Hintergrund sind zahlreiche Herausforderungen für das Urheberrecht entstanden. Insbesondere haben die Rechtsinhaber, zu denen auch Hochschulen und einzelne Wissenschaftler:innen zählen, in einer Welt, in der Inhalte von jedem ohne große Kosten erstellt, verbreitet und rezipiert werden können, ihre Verfügungsgewalt über die Werke verloren.4 Hierzu haben nicht nur Filesharing-Dienste beigetragen, deren Geschäftsmodelle die deutsche und europäische Rechtsprechung in den vergangenen Jahren intensiv beschäftigt haben,5 sondern insbesondere in den letzten Jahren auch die „Plattformisierung“ des Internets. Große Medienintermediäre wie zum Beispiel „Youtube“ spielen nicht nur eine zentrale Rolle bei der Verbreitung von urheberrechtlich geschützten Inhalten, sie werden gleichsam auch zum Normensetzer für das Urheberrecht. Im Rahmen von privaten Richtlinien und geschützt von Haftungsprivilegien wie sie im US-amerikanischen Digital Millennium Copyright Act, der europäischen E‑Commerce-Richtlinie und nun auch im Digital Services Act vorgesehen sind,6 bestimmen sie den Umfang und die Anwendung des Urheberrechts in einem großen Teil des digitalen Ökosystems.7 Diese Entwicklungen und auch die Diskussion über die Verantwortlichkeit der Medienintermediäre für die auf ihren Plattformen begangenen Urheberrechtsverletzungen hat dazu geführt, dass das Urheberrecht schon seit den 1990er Jahren die Speerspitze der digitalen Rechtsdurchsetzung bildet.8 So nimmt die algorithmische Filterung von Inhalten und die automatisierte Suche nach Urheberrechtsverletzungen zu. Probleme bei der algorithmischen Rechtsdurchsetzung — vor allem die mangelnde Fähigkeit der Algorithmen
Hannah Schmid-Petri, Steliyana Doseva, Jan Schillmöller, Dirk Heckmann
Interdisziplinäre Forschung als möglicher Impulsgeber für eine evidenzbasierte Regulierung – Programmatische Überlegungen am Beispiel des Urheberrechts im
digitalen Zeitalter
1 Bruns, Blogs, Wikipedia, Second Life, and beyond: From production to produsage, Peter Lang, 2008.
2 Neuberger/Weingart/Fähnrich/Fecher/Schäfer/Schmid-Petri/Wagner, Der digitale Wandel der Wissenschaftskommunikation. Wissenschaftspolitik im Dialog, eine Schriftenreihe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2021, Abrufbar unter: https://www.bbaw.de/files-bbaw/user_upload/publikationen/Broschuere-WiD_16_PDFA-1b.pdf (letzter Zugriff: 01.05.2023).
3 Neuberger/Bartsch/Reinemann/Fröhlich/Hanitzsch/Schindler, Der digitale Wandel der Wissensordnung. Theorierahmen für die Analyse von Wahrheit, Wissen und Rationalität in der öffentlichen Kommunikation, M&K Medien & Kommunikationswissenschaft, 2019, S. 167.
4 Gray, Google Rules. The his tory and future of copyright under the influence of Google, Oxford University Press, 2020, S. 5–6.
5 Vgl. u. a.: EuGH v. 26.04.2017, C‑527/15, ECLI:EU:C:2017:300; BGH v. 11.06.2015, I ZR 19/14, Tauschbörse I; BGH v. 12.07.2012, I ZR 18/11, Alone in the Dark.
6 Gemeinsam is t diesen Bes timmungen, dass sie die Haftung des Intermediärs als bloßer Vermittler auf die Haftung nach Kenntnis beschränken und sie somit nicht zu aktiven Überprüfungs pflich ten, sondern „nur“ zu einem Notice-and-Take-Down-Verfahren verpflichten.
7 Gray, Google Rules. The his tory and future of copyright under the influence of Google, Oxford University Press, 2020, S. 130.
8 Perel/Elkin-Koren, Accountability in Algorithmic Enforcement: Lessons from Copyright Enforcement by Online Intermediaries, Standford Technology Law Review 2016, S. 476–477.
Ordnung der Wissenschaft 2023, ISSN 2197–9197
1 4 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 9 — 1 4 6
9 Perel/Elkin-Koren, Accountability in Algorithmic Enforcement:
Lessons from Copyright Enforcement by Online Intermediaries,
Standford Technology Law Review 2016, S. 473
10 Spindler, Der Vorschlag für ein neues Haftungsregime für Internetprovider
– der EU-Digital Services Act, GRUR 2021, S. 545;
Gray, Google Rules. The his tory and future of copyright under the
influence of Google, Oxford University Press, 2020, S. 160; Fenwick/
McCahery/Vermeulen, The End of ‘Corporate’ Governance:
Hello ‘Platform’ Governance, European Business Organization
Law Review, 2019, S. 196.
11 Wimmers/Barudi, Der Mythos vom Value Gap, GRUR 2017, S. 327.
12 National Academy of Sciences, National Academy of Engineering,
and Ins titute of Medicine, Facilitating Interdisciplinary Research,
The National Academies Press, 2005, S. 2
13 Hilgendorf, Bedingungen gelingender Interdisziplinarität – am
Beis piel der Rechtswissenschaft, Juris ten Zeitung (JZ), 2010, S. 913-
922.
kontextsensitive Entscheidungen zu treffen9 — haben dabei
ebenso zu einer Diskussion über die Verantwortlichkeit
der Plattformbetreiber geführt wie die sog. „Value
Gap”-Diskussion.10 Im Rahmen dieser wird kritisiert,
dass ein Missverhältnis zwischen den Einnahmen besteht,
die die Medienintermediäre durch die, teilweise
unberechtigt, auf ihren Plattformen veröffentlichten
Werken erzielen, und den Einnahmen der
Rechtsinhaber.11
Diesen neuen Herausforderungen kann sich die
Rechtswissenschaft nur in interdisziplinären Partnerschaften
angemessen stellen. Um nicht losgelöst von gesellschaftlichen
Debatten und den Bedürfnissen der betroffenen
Gruppen zu agieren und um grundlegende politische
Werte und Rechtsgüter auch bei der Regulierung
von digitalen Medien- und Kommunikationsplattformen
zu sichern, ist es unabdingbar, zunächst die gesellschaftlichen
Erfordernisse zu eruieren, um davon ausgehend
forschungs- und evidenzbasierte Regulierungsoptionen
aufzuzeigen. Idealerweise können dann interdisziplinäre
Kooperationen, beispielsweise zwischen den
Rechts- und Sozialwissenschaften dazu beitragen, die gesellschaftliche
Teilhabe von Bürger:innen, die Handlungsfähigkeit
von Politik und nicht zuletzt faire Bedingungen
in öffentlichen Diskursen und in der Digitalwirtschaft
zu sichern.
Wie eine fruchtbare interdisziplinäre Zusammenarbeit
gelingen kann, möchten wir im Folgenden am Beispiel
eines durch das Bayerische Forschungsinstitut für
Digitale Transformation (bidt) geförderten Projekts zeigen,
an dem Kommunikations- und Rechtswissenschaft
gemeinsam ausgewählte Herausforderungen der Medien-
und Plattformregulierung bearbeiten.
II. Interdisziplinarität in der Rechtswissenschaft
Interdisziplinarität ist ein Schlagwort, das an Hochschulen
im Rahmen von Forschungsprojekten, Drittmittelanträgen
oder der Konzeption von (neuen) Studiengängen
viel diskutiert wird. Auch wenn die Debatte an sich eine
längere Tradition hat, ist diese häufig der Beobachtung
geschuldet, dass sich aktuelle gesellschaftliche Problemlagen
nicht (mehr) alleine monodisziplinär lösen lassen,
sondern vielmehr gemeinsame Bemühungen um
Erkenntnisgewinn und hinsichtlich der Implementierung
von Lösungen nötig sind.
In der Hochschulpraxis ist unter dem Begriff meist
gemeint, dass mindestens eine weitere, „andere“ Disziplin
zu einem Studiengang oder im Rahmen eines Forschungsprojekts
hinzugezogen wird. An dieser Stelle endet
dann häufig die Zusammenarbeit und gestaltet sich
eher als freundliches „Nebeneinanderherarbeiten“, bei
dem sich die erzielten Erkenntnisse im Idealfall zumindest
ergänzen. Die National Academy of Sciences definiert
Interdisziplinariät als eine Forschungsform, bei der
Informationen, Daten, Methoden, Perspektiven, Konzepte
und/oder Theorien aus verschiedenen Disziplinen
integriert werden, um gesellschaftliche Probleme zu lösen,
deren Reichweite über eine einzelne Disziplin hinaus
geht.12 Diese Integration benötigt eine große Offenheit
von den beteiligten Akteuren und setzt zudem eine
hohe Kommunikationsbereitschaft voraus, da im Rahmen
einer jeden interdisziplinären Kooperation sehr viel
Erklärungs‑, Übersetzungs- und Verständigungsarbeit
nötig ist.
Hilgendorf konstatiert, dass in der Rechtswissenschaft
üblicherweise interdisziplinäre Kooperationen
nur wenig verbreitet sind.13 Als Ursache nennt er dafür
beispielsweise, dass die Begriffe und Methoden der
Rechtswissenschaften häufig sehr speziell sind. Dadurch
wird im Rahmen einer Zusammenarbeit der Erklärungsaufwand
sehr hoch und der Zugang zu rechtswissenschaftlich
akkumuliertem Wissen für andere Disziplinen
schwierig. Darüber hinaus neigt die Rechtswissenschaft
seiner Ansicht nach zu einer eigenen Begriffsbildung
ohne darauf zurückzugreifen, was bereits in anderen
Disziplinen zu diesen vorhanden ist. Diese, zumindest
partielle, Abgeschlossenheit erschwert interdisziplinäre
Kooperationen.
Viele Bereiche der Rechtswissenschaft arbeiten sehr
anwendungsorientiert. Gerade diese Anwendungsorientierung
macht es nötig, auf Wissen aus verschiedenen
Schmid-Petri/Doseva/Schillmöller/Heckmann · Interdisziplinäre Forschung 1 4 1
14 Dreyer, Wissen zum Recht machen, Impulsvortrag im Rahmen des
Workshops „Die Kommunikationswissenschaft als Impulsgeber
für eine evidenzbasierte Medien- und Plattformregulierung im
Online-Zeitalter“ von Schmid-Petri/ Doseva/ Stark/ Schneiders/
Dreyer, Jahres tagung der DGPuK, 2022.
15 RL (EU) 2019/790 des Europäischen Parlaments und des Rates v.
17.4.2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte
im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der RL 96/9/EG und
RL 2001/29/EG (ABl. 2019 L 130, 92).
16 Wandtke/Hauck, Ein neues Haftungssys tem im Urheberrecht
– Zur Umsetzung von Art. 17 DSM-RL in einem „Urheberrechts-
Diens teanbieter-Gesetz“, ZUM 2020; Ludyga, Die EU-Urheberrechtsreform:
„Digitales Update“, jM 2019, 442; Gielen/Tissen, Die
neue Plattformhaftung nach der Richtlinie über das Urheberrecht
im digitalen Binnenmarkt, EuZW 2019.
gesellschaftlichen Bereichen zurückgreifen zu können,
um fundierte und begründete Entscheidungen treffen zu
können. Dreyer unterscheidet hier zwischen Handlungsvoraussetzungswissen
und Handlungswirkungswissen,
das das Rechtssystem idealerweise benötigt, um zum einen
relevante Regulierungsbereiche zu identifizieren
und zum anderen bestehende Normen und/oder getroffene
Entscheidungen zu evaluieren.14 Unter Handlungsvoraussetzungswissen
fallen beispielsweise Erkenntnisse
oder empirische Daten darüber, welche gesellschaftlichen
Probleme oder auch Fehlentwicklungen vorliegen
und als wie relevant und persistent diese einzustufen
sind. Zum Bereich des Handlungswirkungswissens gehört
beispielsweise eine Abschätzung der Wirkungsweise
und Effektivität von bestimmten Regulierungsoptionen
oder auch eine retrospektive Bewertung dahingehend,
ob eine bestimmte Regulierung die gewünschten
Effekte erzielt hat (oder nicht).
Für die evidenzbasierte Fundierung bestimmter
Rechtsvorschriften kann die Rechtswissenschaft folglich
in hohem Maße von den Erkenntnissen aus anderen
Disziplinen profitieren. Im Bereich der Medien- und
Plattformregulierung ist hier die Kommunikationswissenschaft
eine (unter vielen weiteren) sozialwissenschaftliche
Disziplin, die relevantes Wissen in Regulierungsprozesse
einspeisen kann. Dies möchten wir im
Folgenden am Beispiel einer Studie, die im Rahmen der
Novellierung des Urheberrechts durchgeführt wurde,
verdeutlichen. Ziel dieses Beitrages ist es folglich, exemplarisch
darzustellen, wie die interdisziplinäre Forschung
besonders wertvolle Erkenntnisse hervorbringen
kann, die im politischen Prozess den angemessenen Interessenausgleich
bei regulatorischen Vorhaben entscheidend
verbessern. Diese können auch dazu beitragen,
Regulierungsvorschläge evidenzbasiert zu evaluieren
und auf Grundlage der Empirie neue Regulierungsvorschläge
zu unterbreiten.
III. Interdisziplinäre Forschung am Beispiel eines
gemeinsamen Projekts zwischen Kommunikationsund
Rechtswissenschaft
- Die EU-Urheberrechtsreform und ihre Umsetzung in
Deutschland
Als Reaktion auf die Diskussion über die Verantwortlichkeit
der Plattformbetreiber und der Frage nach
einem angemessenen urheberrechtlichen Interessenausgleich
sah sich die Europäische Union veranlasst, die
Regelungen zum Schutz des Urheberrechts im Binnenmarkt
nachzuschärfen. Hierzu wurde die Digital Single
Market (DSM)-Richtlinie15 verabschiedet, die das Urheberrecht
an die neuen technischen und gesellschaftlichen
Gegebenheiten des Internets anpassen, den Schutz
der Urheber:innen verbessern und den Urheberrechtsschutz
im Binnenmarkt harmonisieren soll.16
Die bisherigen Regelungen, insbesondere die Haftungsfreistellung
der Medienintermediäre für die Urheberrechtsverletzungen
ihrer Nutzer:innen, solange sie
den betreffenden Beitrag nach einem Hinweis der
Rechtsinhaber unverzüglich entfernen (Artikel 14 der ECommerce-
Richtlinie von 2000), stammen noch aus der
„Anfangszeit“ des Internets und sollte ein innovationsund
entwicklungsoffenes regulatorisches Rahmenwerk
für das Internet schaffen. Die DSM-RL rückt hiervon ab
und regelt eine eigene täterschaftliche Haftung der Plattformbetreiber
für die Urheberrechtsverletzungen ihrer
Nutzer:innen (Art. 17 Abs. 1 DSM-RL). Gleichzeitig
schafft die Regel allerdings auch eine neue Exkulpationsmöglichkeit
für die Plattformbetreiber: Art. 17 Abs. 4
DSM-RL regelt, dass sie dieser Haftung nicht nur durch
den Abschluss von Lizenzen entgehen können, sondern
auch indem sie „nach Maßgabe branchenüblicher Standards“
sicherstellen, dass „bestimmte Werke und sonstige
Schutzgegenstände, zu denen die Rechtsinhaber den
1 4 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 9 — 1 4 6
17 Gielen/Tissen, Die neue Plattformhaftung nach der Richtlinie über
das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt, EuZW 2019, S. 644;
Has tedt, Neue Herausforderungen für das Recht durch „Impossibility
Struc tures“, MMR, 2021, S. 696; Kaesling, Die EU-Urheberrechtnovelle
– der Untergang des Internets?, JZ 2019, S. 590;
Ludyga, Die EU-Urheberrechtsreform: „Digitales Update“, jM,
2019, S. 444; Pravermann, Art. 17 der Richtlinie zum Urheberrecht
im digitalen Binnenmarkt, GRUR, 2019, S. 783; Romero-Moreno,
‘Notice and s taydown’ and social media: amending Article 13 of
the Proposed Direc tive on Copyright, International Review of
Law, Computers & Technology, 2020, S. 154.
18 Schillmöller/Doseva/Schmid-Petri/Heckmann, Content ID vs.
„Uploadfilterpflicht” – Wahrnehmung und Bewertung von privaten
und gesetzlich vorgesehenen Filtermaßnahmen, in Schrör/
Keiner/ Müller/ Schumacher (Hrsg.), Entscheidungs träger im
Internet: Private Entscheidungss trukturen und Plattformregulierung,
Nomos Verlagsgesellschaft, 2022, S. 21.
19 Kaesling, Die EU-Urheberrechtnovelle – der Untergang des
Internets? JZ 2019, S. 588; Wandtke/Hauck, Ein neues Haftungssys
tem im Urheberrecht – Zur Umsetzung von Art. 17 DSM-RL in
einem „Urheberrechts-Diens teanbieter-Gesetz“, ZUM 2020, S. 675;
Gielen/Tissen, Die neue Plattformhaftung nach der Richtlinie über
das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt, EuZW 2019, S. 64.
20 Gers ter, Die Legende von der Zers törung des Internets, Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 3.4.2019, https://www.faz.net/aktuell/
politik/der‑s treit-um-das-urheberrecht-und-der-kampfbegriffzensur-
16116729.html (letzter Zugriff am 01.05.2023).
21 Gielen/Tissen, Die neue Plattformhaftung nach der Richtlinie über
das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt, EuZW, 2019, S. 645.
22 Vgl. hierzu u.a. auch Kraetzig, Das Urheberrecht als Zensurrecht,
Mohr Siebeck, 2022.
23 Sagatz, Aufstand der Generation Youtube. Der Tagess piegel v.
9.3.2019, https://www.tagess piegel.de/gesellschaft/medien/protes tgegen-
uploadfilter-aufs tand-der-generation-youtube/24082412.
html (letzter Zugriff am 01.05.2023).
24 Bundesminis terium der Jus tiz, Erklärung der Bundesrepublik
Deutschland zur Richtlinie über das Urheberrecht und verwandte
Schutzrechte im Digitalen Binnenmarkt; insbesondere zu Artikel
17 der Richtlinie v. 15.04.2019, https://www.bmj.de/SharedDocs/
Downloads/DE/News/PM/041519_Protokollerklaerung_Richtlinie_
Urheberrecht.pdf;jsessionid=7D872BBAF20DB4A769A7BE1A
7FFDCE21.1_cid297?__blob=publicationFile&v=1
25 Zur Kritik siehe Schillmöller/Doseva, „Chilling effec ts“ durch
YouTubes Content ID?, MMR, 2022, S. 181
26 game – Verband der deutschen Games-Branche, Stellungnahme
zum Referentenentwurf des Bundesminis teriums der Jus tiz und
für Verbraucherschutz zu einem Zweiten Gesetz zur Anpassung
des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen
Binnenmarktes v. 6.11.2020, https://www.game.de/wp-content/
uploads/2020/11/2020–11-06-game-Entwurf-Stellungnahme-RefEUmsetzung-
DSM-RL.pdf.
Anbietern dieser Dienste einschlägige und notwendige
Informationen bereitgestellt haben, nicht verfügbar
sind“. Diese Exkulpation setzt nach einhelliger Meinung
allerdings voraus, dass die Medienintermediäre sog. Uploadfilter
einsetzen müssen, um diesen „branchenüblichen
Standard“ zu erfüllen.17 Bei Uploadfiltern handelt es
sich um „Technologien, die Text‑, Video‑, Audio- oder
andere Dateien beim oder nach dem Upload, in jedem
Fall aber noch vor der Veröffentlichung, prüfen und im
Falle einer Rechtsverletzung, die Veröffentlichung verhindern,
oder diese an bestimmte Maßnahmen, zum
Beispiel das Stummschalten einer Audiospur, knüpfen.“
18 Art. 17 Abs. 4 DSM-RL regelt jedoch nicht – wie in
der öffentlichen Diskussion oft kolportiert – eine Pflicht
zum Einsatz von Uploadfiltern, sondern vielmehr nur
eine Uploadfilterobliegenheit.19 Ihr Einsatz dient lediglich
dem Eigeninteresse der Plattformen, nämlich zur
Vermeidung von Rechtsnachteilen, die sich sonst aus der
täterschaftlichen Haftung ergeben würden.
Genau die Einführung dieser „Uploadfilterpflicht“
hat zu europaweiten Demonstrationen gegen die Richtlinie
geführt und zu Petitionen mit mehr als fünf Millionen
Unterschriften. Die Kritiker:innen befürchten, die
„Zerstörung des Internets“20, warnten vor einer schleichenden
Einführung staatlicher Zensurmaßnahmen,
und einer Gefährdung der Meinungsfreiheit durch ein
sogenanntes „Overblocking“.21 Dem Gesetzgeber wurde
vorgeworfen, das Urheberrecht als Zensurrecht in Stellung
zu bringen.22 Außerdem wurde kritisiert, dass die
DSM-Richtlinie – trotz der Proteste und der kontroversen
öffentlichen Diskussion — „hinter verschlossenen Türen“
beschlossen wurde und dass die Forderungen der
(oft schwach organisierten) Inhalteproduzent:innen im
Gesetzgebungsverfahren nicht berücksichtigt wurden.23
Als Reaktion auf den anhaltenden öffentlichen Diskurs
versprach die damalige Bundesregierung, die DSMRL
ohne eine entsprechende Uploadfilterobliegenheit
umzusetzen.24 Das der Umsetzung dienende Urheberrechts-
Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) kommt jedoch
nicht ohne eine entsprechende Vorschrift aus. Dennoch
wurden im UrhDaG einige über die DSM-RL hinausgehende
Mechanismen eingeführt, um die Auswirkungen
des Uploadfiltereinsatzes zu begrenzen. Die Rechte der
Nutzer:innen sollen durch die Einführung von prozeduralen
Mechanismen abgesichert werden (§§ 10, 11 UrhDaG).
Außerdem wird ihnen ein neues Beschwerdeverfahren
zur Verfügung gestellt (§§ 13–17 UrhDaG).25
Die Einführung dieser Mechanismen war jedoch einer
ausgiebigen Diskussion der beteiligten Stakeholder
ausgesetzt. Diese fand nicht nur im Rahmen des Konsultationsverfahrens
zum Referentenentwurf statt, sondern
auch darüber hinaus. Insbesondere vor dem Hintergrund
der wortlautgetreuen Umsetzung der DSM-RL in
Ländern wie Frankreich und Italien, wurde der deutsche
Sonderweg sowohl von den Medienintermediären, als
auch von den Rechtsinhabern kritisiert, unter anderem
weil er gerade dem Ziel der Harmonisierung des Binnenmarktes
zuwiderlaufen würde.26 Auffällig war gleichSchmid-
Petri/Doseva/Schillmöller/Heckmann · Interdisziplinäre Forschung 1 4 3
27 Dieses Unterkapitel fasst Ergebnisse aus einem empirischen
Projekt zusammen, die im Rahmen folgender Artikel bereits
publiziert wurden: Doseva/Schmid-Petri/Schillmöller/ Heckmann,
Uploaders‘ perceptions of the German implementation of the EU
copyright reform and their preferences for copyright regulation,
Internet Policy Review, 2022; Schillmöller/Doseva/Schmid-Petri/
Heckmann, Content ID vs. „Uploadfilterpflicht” – Wahrnehmung
und Bewertung von privaten und gesetzlich vorgesehenen Filtermaßnahmen,
in Schrör/ Keiner/ Müller/ Schumacher (Hrsg.),
Entscheidungsträger im Internet: Private Entscheidungss trukturen
und Plattformregulierung, Nomos Verlagsgesellschaft, 2022, S. 19-
44; Schillmöller/Doseva, „Chilling effec ts“ durch YouTubes Content
ID?, MMR, 2022, S. 181–183; Schillmöller/Doseva/Schmid-Petri/
Heckmann, Urheberrecht im digitalen Zeitalter – Gesetzgebung
im Interessenkonflikt, bidt-blog, 2021, https://www.bidt.digital/
urheberrecht-im-digitalen-zeitalter-gesetzgebung-im-interessenkonflikt/.
zeitig auch, dass zum Zeitpunkt des deutschen Gesetzgebungsverfahrens
die öffentliche Diskussion um die Einführung
von Uploadfiltern abgeebbt ist und es keine Demonstrationen
gab, die vergleichbar mit jenem im Jahr
2019 waren.
Wie an diesem Beispiel dargestellt, vollzieht sich die
Plattformregulierung oft im Dreiecksverhältnis zwischen
Plattformbetreibern, Rechtsinhabern sowie
Nutzer:innen, deren Interessen gegeneinander abgewogen
werden müssen. Hochschulen und ihre Mitglieder
sind in diesem Spannungsverhältnis sowohl als Inhaber
von Urheberrechten an Inhalten, die auf Plattformen
hochgeladen oder auch von anderen weiterverarbeitet
werden, als auch als Nutzer:innen online verfügbarer
Medienprodukte angesprochen. Gleichzeitig können sie
im Rahmen der von ihnen bereitgestellten Lerninfrastruktur
aber auch in die Rolle des Plattformbetreibers
schlüpfen, der die „Infrastruktur“ für die rechtmäßige
und rechtswidrige Verbreitung urheberrechtlich geschützter
Werke bereitstellt. - Gesetzgebung im Interessenkonflikt: Nutzer:innen als
die leisen Stimmen in der Gesetzgebung?27
Um Regulierungen evidenzbasiert an gesellschaftliche
Erfordernisse anpassen zu können, ist es von Relevanz,
die Positionen, Interessenslagen und mögliche Konfliktlinien
der unterschiedlichen beteiligten Stakeholdergruppen
zu kennen. Zur systematischen Beantwortung
dieser Frage für den vorliegenden Fall der Reform des
Urheberrechts haben wir im Rahmen des Projekts zum
einen eine qualitative Inhaltsanalyse aller abgegebenen
Stellungnahmen (N=107) zum Referentenentwurf vorgenommen.
Zum anderen wurden ergänzend 19 aktive
Nutzer:innen von Videoplattformen (d.h. Personen, die
selbst dort Videos hochladen) zu ihrer Einschätzung im
Rahmen von qualitativen Leitfadeninterviews befragt.
Diese waren im offiziellen Konsultationsverfahren unterrepräsentiert,
so dass ihre Perspektive, trotz ihrer großen
Betroffenheit von urheberrechtlichen Regulierungen,
dort nur unzureichend abgebildet war. Die befragten
Nutzer:innen unterscheiden sich sowohl hinsichtlich
ihres Organisationgrades (stark organisiert wie Unternehmen,
Organisationen und Institutionen, mäßig organisiert
wie ein loser Zusammenschluss von zwei oder
mehr Personen, die gemeinsam einen Kanal betreiben
und schwach organisiert, z. B. Einzelpersonen), als auch
hinsichtlich ihrer Reichweite (hohe Reichweite mit über
5.000 Abonnenten, mittlere Reichweite mit 501 bis 5.000
Abonnenten und geringe Reichweite mit unter 500
Abonnenten).
In den Stellungnahmen zum Referentenentwurf lassen
sich zwei gegensätzliche Standpunkte identifizieren,
mit den Rechtsinhabern und Verwertungsgesellschaften
wie der GEMA auf der einen, und den großen Plattformbetreibern
wie Twitter oder Facebook, als auch
Vertreter:innen der Zivilgesellschaft und einzelnen
Nutzer:innen auf der anderen Seite. Während die Rechtsinhaberseite
bestrebt ist, Einschränkungen ihrer Vertragsfreiheit
(Art. 2 Abs. 1 GG) zu verhindern, um möglichst
umfangreiche und ungebunden Lizenzen mit den
Plattformen vereinbaren zu können und gleichzeitig für
eine präventive Sperrung nicht lizenzierter Materials
plädiert, möchten die Nutzer:innen, aber auch die Plattformbetreiber
möglichst viele Inhalte kostenlos oder gegen
eine pauschale Vergütung zugänglich machen. Für
die Plattformanbieter ist es insbesondere zentral, keine
eigenen urheberrechtlichen Entscheidungen treffen zu
müssen, um ihr Haftungsrisiko zu minimieren. Die Uploadfilterobliegenheit
wird vonseiten der Plattformen
aufgrund ihrer technischen Umsetzbarkeit kritisch hinterfragt.
Ähnlich kritisch sehen die Nutzer:innen den
Einsatz automatisierter Systeme im urheberrechtlichen
Kontext. Grund dafür sei die Gefahr vor Overblocking,
also das Löschen und Sperren von Inhalten, die nicht gegen
das Urheberrecht verstoßen und auch nicht aus anderen
Gründen rechtswidrig sind. Die vom BMJV eingeführten
Mechanismen werden von Nutzer:innen als
nicht weitreichend genug angesehen, um Overblocking
zu vermeiden.
Dies ist insofern von besonderem Interesse, da einige
der in den Interviews befragten Nutzer:innen ihre Tätigkeit
der Content-Erstellung für Kommunikationsplatt1
4 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 3 9 — 1 4 6
28 Hilderbrand, Youtube: Where cultural memory and copyright
converge, Film Quarterly, 2007, S. 56.
formen nicht nur als Hobby betreiben, sondern als Beruf
und diese damit eine wichtige finanzielle Einnahmequelle
darstellt. Von den Änderungen im Bereich des Urheberrechts
sind sie demzufolge direkt finanziell betroffen.
Aufgrund ihrer bereits gesammelten Erfahrungen mit
dem automatisierten System von YouTube zur Identifikation
von Urheberrechtsverletzungen, Content ID, stehen
sie der kommenden Uploadfilterobliegenheit eher
skeptisch gegenüber. Die Fehleranfälligkeit solcher Erkennungssysteme
führt oft dazu, dass die Uploader ihre
Videos nicht monetarisieren können, obwohl sie keine
Urheberrechtsverletzungen begangen haben. Dies ist
insbesondere dann problematisch, wenn es sich bei den
hochgeladenen Inhalten um sog. „appropriative content“
28 handelt – d.h. Inhalte, die auf urheberrechtlich
geschützten Werken anderer beruhen, aber dennoch
neue Werke darstellen und urheberrechtlich zulässig
sind, zum Beispiel Remix-Videos, Parodien, Memes und
Mashups. Da mögliche Fehler bei der automatischen Erkennung
von Urheberrechtsverletzungen die Monetarisierung
unterbinden, sehen sich die Uploader benachteiligt.
Im Falle einer fehlerhaften Erkennung und darauffolgender
Blockierung ihrer Inhalte, fordern die interviewten
Uploader, dass zumindest eingereichte
Beschwerden von Menschen und nicht von automatisierten
Systemen überprüft und bearbeitet werden. Darüber
hinaus fordern sie, dass große Plattformen wie You-
Tube mehr Lizenzvereinbarungen mit den Rechtsinhabern
abschließen, um den Einsatz von Uploadfiltern
überflüssig zu machen oder zumindest ihren Anwendungsbereich
einzuschränken.
Die Einführung von prozeduralen Mechanismen als
Absicherung der Rechte von Nutzerinnen und Nutzern
wird von den befragten Uploadern ebenfalls kritisiert.
Die Uploader betrachten die vorgeschlagenen Mechanismen,
wie zum Beispiel die geringfügige Nutzung (sog.
Bagatellgrenze, § 10 UrhDaG) als willkürlich und nicht
praxistauglich. Weitere Regulierungsmechanismen wie
die Möglichkeit, einen Upload als gesetzlich erlaubte
Nutzung zu kennzeichnen (sog. Pre-Flagging, § 11 UrhDaG),
werden im Allgemeinen positiv und als ein erster
Schritt, um Overblocking zu verhindern, bewertet.
Verglichen mit den vorgeschlagenen Bagatellgrenzen
wird das Pre-Flagging als praxistauglicher wahrgenommen,
insbesondere bei Fällen in der Grauzone, in denen
eine Einzelfallentscheidung erforderlich ist.
Des Weiteren wünschen sich die befragten Uploader
die Möglichkeit, direkt mit den Rechtsinhabern in Kontakt
zu treten und verhandeln zu können. Zugleich sind
einige Uploader der Meinung, dass die Plattformbetreiber
mehr Verantwortung übernehmen und damit auch
sicherstellen sollen, dass die Interessen der Uploader sowie
die Interessen der Rechtsinhaber stärker berücksichtigt
werden.
IV. Fazit und Ausblick: Evidenzbasierte Regulierung -
Chance für einen besseren Interessenausgleich im
Gesetzgebungsprozess
Wie dargestellt, stellen die veränderten Kommunikationsbedingungen
in Online-Umgebungen gerade das
Urheberrecht vor große Herausforderungen. Dies betrifft
auch Hochschulen, da diese sowohl als Urheber:innen,
als auch als Nutzer:innen in Kommunikation auf Plattformen
eingebunden sind. Darüber machen Herausforderungen
dieser Art deutlich, dass es in den meisten Fällen
die Perspektiven unterschiedlicher Disziplinen
braucht, um einen sinnvollen gesellschaftlichen Umgang
mit solchen Transformationsprozessen zu finden.
Das hier vorgestellte Beispiel hat illustriert, wie sich
eine fruchtbare Zusammenarbeit – in diesem Fall zwischen
Rechts- und Kommunikationswissenschaft – gestalten
kann. Die Kommunikations- und auch andere
Sozialwissenschaften können einen Beitrag dazu leisten,
dass Bedürfnisse unterschiedlicher gesellschaftlicher
Gruppen Eingang in den Gesetzgebungsprozess finden
und/oder geplante oder bestehende Regulierungen evaluiert
werden. Vor allem nicht organisierte Gruppen mit
wenig Ressourcen laufen Gefahr, im Gesetzgebungsprozess
„unterzugehen“ oder nicht gesehen zu werden. Sie
verfügen in der Regel über keine organisierte Interessensvertretung
und sind in offizielle Verfahren (wie
bspw. Konsultationsprozesse) häufig nicht eingebunden.
Darüber hinaus bietet die große Anwendungsorientierung
der Rechtswissenschaft vielfältige Anknüpfungspunkte
für interdisziplinäre Zusammenarbeit und gerade
diese macht es zudem nötig, auf die Erkenntnisse anderer
Disziplinen zurückzugreifen, um sicherzustellen,
dass sich die Praxis nicht von den gesellschaftlichen Erfordernissen
und Realitäten entfernt.
Die hier illustrierte und empfohlene interdisziplinäre
Kooperation der Rechtswissenschaft mit anderen (SoziSchmid-
Petri/Doseva/Schillmöller/Heckmann · Interdisziplinäre Forschung 1 4 5
al-)Wissenschaften birgt natürlich nicht nur anwendungsbezogene
Potenziale im Sinne verbesserter Wissensgrundlagen
für Regulierungsprozesse und die ihnen
vorgeschalteten Konsultations- und Deliberationsprozesse.
Auch die wissenschaftliche Forschung selbst profitiert
im günstigsten Fall von solcher Zusammenarbeit:
Für die Rechtswissenschaft werden durch Methoden
und Ergebnisse der Sozialwissenschaften die „Betroffenen“
mit ihren Interessen, Erfahrungen und Argumenten
greifbarer und für eine systematische Reflexion verfügbar.
Für Sozialwissenschaftler:innen wird aus solchen
Kooperationen umgekehrt die strukturprägende
Rolle von Recht und Regulierung – als eine wesentliche
Determinante sozialen Handelns – sehr viel deutlicher
erfassbar und kann in Studien wie etwa Interviews oder
Inhaltsanalysen gezielt berücksichtigt werden.
Für die Hochschulen haben diese Perspektiven in
mehrfacher Hinsicht Bedeutung. Zum einen würden
insbesondere große Universitäten von der stärkeren kooperativen
Vernetzung der Rechtswissenschaft mit anderen
Fachgebieten im oben beschriebenen Sinne profitieren.
Sie würden damit auch ihren ‚Impact‘, ihren Beitrag
zur Bearbeitung gesellschaftlicher Herausforderungen,
noch einmal vergrößern. Zugleich sind Hochschulen
und ihre Angehörigen wie eingangs erwähnt aber auch
„Betroffene“ in Regulierungsfragen wie etwa der Neufassung
von Urheberrechten und dem Digital Services Act,
weil die Wissenschaft auch Produzent von Inhalten ist
und sich publizistisch betätigt. Digitalisierung und Kommerzialisierung
der Wissenschaftspublizistik stellen
auch Hochschulen und ihr Personal vor ähnliche Fragen
und Sorgen wie jene, die in der vorgestellten Interviewstudie
von Video-Uploadern geäußert wurden. Auch
Hochschulen und Wissenschaftler:innen sind von der
zentralen Stellung digitaler Medienintermediäre abhängig
und müssen sich mit den gültigen Regulierungen arrangieren.
Die eigenen Interessen in diesem Kontext zu
vertreten, erfordert indes ein hohes Maß an Expertise
und Engagement – beides würde zweifelsohne von einer
aktiv betriebenen interdisziplinären Kooperation innerhalb
und zwischen Universitäten erheblich profitieren.
Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri ist Inhaberin des Lehrstuhls
für Wissenschaftskommunikation an der Universität
Passau und leitet die Forschungsgruppe „Wissenschaftskommunikation“
am Fraunhofer-Exzellenzcluster
„Integrierte Energiesysteme“ CINES. Außerdem ist
sie Mitglied im Direktorium des Bayerischen Forschungsinstituts
für Digitale Transformation und im
Bayerischen Sachverständigenrat für Bioökonomie,
der das Bayerische Wirtschaftsministerium berät. Ihre
Forschungsschwerpunkte sind das Zusammenspiel
von Online- und Offline-Kommunikation, Umweltkommunikation,
politische Kommunikation und computergestützte
Sozialwissenschaften.
Steliyana Doseva (M.A.) ist wissenschaftliche Referentin
am Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale
Transformation in München und Doktorandin an der
Universität Passau. Ihre Forschungsinteressen umfassen
die Bereiche politische Kommunikation, Medienpolitik
und Plattformregulierung.
Jan Schillmöller (M. Iur.) ist wissenschaftlicher Referent
am Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation
in München und Doktorand an der School
of Social Science and Technology der Technischen Universität
München. Sein Forschungsinteresse gilt dem
Schutz von Grundrechten durch und gegenüber Plattformen.
Prof. Dr. Dirk Heckmann ist Inhaber des Lehrstuhls für
Recht und Sicherheit in der digitalen Transformation
an der TU München. Außerdem ist er Mitglied des
Direktoriums des Bayerischen Forschungsinstituts für
Digitale Transformation und Richter am Bayerischen
Verfassungsgerichtshof. Er ist ein ausgewiesener Spezialist
für das Datenschutzrecht, das IT-Sicherheitsrecht,
E‑Government und Rechtsinformatik. Seine Forschungsarbeit
dient seit vielen Jahren der Rechtsgestaltung
für einen menschenwürdigen und dem
Gemeinwohl dienenden digitalen Wandel, etwa in den
Bereichen Persönlichkeitsschutz im Internet oder Digitalisierung
des Gesundheitswesens.
ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 3 (2023), 139–146 1 4 6