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Seit Beginn der Covid-19-Pan­de­mie ver­an­stal­te­te der Ver­ein zur För­de­rung des deut­schen und inter­na­tio­na- len Wis­sen­schafts­rechts bereits drei Online-Tagun­gen am 30.10.2020, 15.1.2021 und 4.2.2022 mit Über­le­gun­gen zum Prü­fungs­recht in der Coro­na-Zeit und den damit ver­bun­de­nen recht­li­chen Fragestellungen.1 Nach dem Ende der Pan­de­mie sind die Hoch­schu­len zwar über­wie- gend zu Prä­senz­ver­an­stal­tun­gen zurück­ge­kehrt, jedoch wer­den auch in Zukunft digi­ta­le Leh­re und Prü­fungs­for- men eine nicht uner­heb­li­che Bedeu­tung haben.

Aus die­sem Grund beleuch­te­te der Ver­ein zur För- derung des deut­schen und inter­na­tio­na­len Wis­sen- schafts­rechts am 12.5.2023 aber­mals aktu­el­le recht­li­che Fra­ge­stel­lun­gen in Bezug auf digi­ta­le Prü­fun­gen, wel­che aus Pan­de­mie­zei­ten mit­ge­nom­men wer­den. Die Vor- stands­mit­glie­der des Ver­eins zur För­de­rung des deut- schen und inter­na­tio­na­len Wis­sen­schafts­rechts Prof. Dr. Vol­ker Epping und Dr. Micha­el Stück­radt beton­ten in ih- rer Begrü­ßung, dass die erneut 160 Teil­neh­men­den un- ter Beweis stell­ten, dass seit der Pan­de­mie ent­stan­de­ne Fra­gen rund um digi­ta­le Prü­fun­gen die Hoch­schu­len wei­ter­hin vor Her­aus­for­de­run­gen stel­len. Die Ver­an­s­tal- tung sol­le ins­be­son­de­re eine Ana­ly­se mitt­ler­wei­le ergan- gener gericht­li­cher Ent­schei­dun­gen sowie die Dis­kus­si- on über neue Her­aus­for­de­run­gen wie Künst­li­che Intel­li- genz in Prü­fun­gen bieten.

I. Prü­fungs­recht im digi­ta­len Zeitalter

Im ers­ten Impuls­vor­trag stell­ten Edgar Fischer (Vor­sit- zen­der Rich­ter am Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin) und Dr.

  1. 1  Berich­te die­ser Tagun­gen sind ver­öf­fent­licht in OdW 2021, 59 ff. und 201 ff. sowie OdW 2022, 215 ff.
  2. 2  Bei­de sind Autoren der 2022 erschie­ne­nen 8. Auf­la­ge des Stan- dard­werks Fischer/Jere­mi­as/Die­te­rich, Prü­fungs­recht.
  3. 3  Dies bestä­ti­gen auch VG Frank­furt (Oder), Beschluss v. 11.5.2021
    – 1 L 124/21; VG Mün­chen, Urteil v. 25.2.2021 – M 3 K 20.4723;
    a.A. VG Frei­burg, Urteil v. 15.2.2022 – 8 K 183/21, wel­ches eine geson­der­te Rechts­grund­la­ge für erfor­der­lich ansieht, da ande­re Rechts­po­si­tio­nen betrof­fen sei­en. Ggf. sei eine Anpas­sung der Prü­fungs­ord­nung den­noch not­wen­dig, wenn die­se z.B. expli­zit die Öffent­lich­keit einer münd­li­chen Prü­fung vor­schrei­be, vgl. bereits OdW 2021, 201 (202). Mög­lich sei auch, dass der Prüf­ling der

Peter Die­te­rich, LL.M. (Rich­ter am Ver­wal­tungs­ge­richt Berlin)2 aktu­el­le Ent­schei­dun­gen im Hin­blick auf digi­ta- le Prü­fun­gen vor. Die­sen sei zu ent­neh­men, dass die all- gemei­nen Grund­sät­ze des Prü­fungs­rechts auch auf Online-Prü­fun­gen anwend­bar seien.

Rekur­rie­rend auf die letz­ten Ver­an­stal­tun­gen wur­de die Online-Prü­fung in den Kanon der Prü­fungs­ar­ten ein­ge­ord­net. Da zwi­schen den Prü­fungs­ar­ten kom­pe- tenz­ba­siert abge­grenzt wer­de, sei die Online-Prü­fung kei­ne eige­ne Prü­fungs­art, son­dern nur eine ande­re Mo- dali­tät bzw. Durch­füh­rungs­va­ri­an­te der klas­si­schen Prü- fungs­ar­ten, nament­lich der münd­li­chen oder schrift­li- chen Prü­fun­gen. Aus die­sem Grund sei aus prü­fungs- recht­li­cher Sicht nicht stets eine geson­der­te Rechts- grund­la­ge für die Durch­füh­rung der Prü­fung als Online-Prü­fung und daher auch kei­ne Ände­rung der Prü­fungs­ord­nung angezeigt.3 Im Gegen­satz dazu sei eine elek­tro­ni­sche Prü­fung eine ande­re Prü­fungs­art, bei der die Prü­fungs­ant­wort am Com­pu­ter unmit­tel­bar in ein Daten­ver­ar­bei­tungs­sys­tem der Prü­fungs­be­hör­de ein­ge­ge­ben wird.4 Da Klau­su­ren grund­sätz­lich als Auf- sichts­ar­bei­ten zu ver­ste­hen sei­en, sei für die Durch­füh- rung einer Online-Klau­sur eine Form der Auf­sicht erfor- der­lich, nicht zuletzt auch um Chan­cen­gleich­heit und Aus­sa­ge­kraft der Prü­fung zu gewährleisten.5

Auf­grund der Ent­span­nung der pan­de­mi­schen Lage und der weit­ge­hen­den Rück­kehr zu Prä­senz­prü­fun­gen, wel­che nicht mehr unter Son­der­be­din­gun­gen durch­ge- führt wer­den müs­sen, fin­de eine Funk­ti­ons­ver­schieb- ung der Online-Prü­fun­gen statt: Zu Beginn der Covid-19-Pan­de­mie sei­en die­se not­wen­dig gewe­sen, um

Abwei­chung der Prü­fungs­ord­nung zustim­me. Auf einen Ver­stoß gegen die Prü­fungs­ord­nung kön­ne er sich dann im Anschluss nach dem Grund­satz von Treu und Glau­ben nicht mehr beru­fen, vgl. zuletzt VG Ber­lin, Urteil v. 19.4.2022 – 12 K 20/21.

4 Schließ­lich könn­ten in elek­tro­ni­schen Prü­fun­gen auch Audio- und Video­se­quen­zen abge­spielt wer­den, das Zurück­kli­cken ver­hin­dert, und unter­schied­li­che Fra­gen ange­zeigt wer­den, sodass sich das For­mat wesent­lich von einer her­kömm­li­chen schrift­li­chen Prü­fung unter­schei­de. S. dazu auch bereits Haa­ke, OdW 2021, 59 (60).

5 So auch OVG NRW, Beschluss v. 4.3.2021 – 14 B 278/21.NE, ähn­lich VG Frank­furt (Oder), Beschluss v. 11.5.2021 – 1 L 124/21.

Karo­li­ne Haake

Prü­fun­gen im digi­ta­len Zeit­al­ter – aktu­el­le recht­li- che Fra­ge­stel­lun­gen
Bericht über die Tagung des Ver­eins zur För­de- rung des deut­schen und inter­na­tio­na­len Wis­sen- schafts­rechts e.V. am 12.5.2023

Ord­nung der Wis­sen­schaft 2023, ISSN 2197–9197

236 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2023), 235–242

den ver­fas­sungs­recht­li­chen Anspruch der Prüflinge6 auf Durch­füh­rung der Prü­fun­gen aus Art. 12 Abs. 1 GG durch­zu­set­zen, da Prä­senz­prü­fun­gen nicht mög­lich wa- ren.7 Da die Durch­füh­rung der Online-Prü­fun­gen – auch mit­hil­fe von Video­auf­sicht bei Online-Klau­su­ren – zur Erfül­lung die­ses Prü­fungs­an­spru­ches erfor­der­lich gewe­sen sei, sei die Daten­ver­ar­bei­tung durch die Prü- fung auch in daten­schutz­recht­li­cher Hin­sicht nach Art. 6 Abs. 1 lit e) DS-GVO gerecht­fer­tigt gewesen.8

Dies sei nach dem Ende der Pan­de­mie nicht mehr der Fall. Online-Prü­fun­gen könn­ten daher vor dem Hin- ter­grund des Daten­schutz­rech­tes wei­ter­hin als Instru- ment genutzt wer­den, wenn Prüf­lin­ge nach Art. 6 Abs. 1 lit a) DS-GVO in die­se ein­wil­lig­ten. Dies sei jedoch mit Fol­ge­fra­gen der Ein­wil­li­gung ver­bun­den: Die­se müs­se einer­seits frei­wil­lig sein. Dies sei grund­sätz- lich auch im Über- und Unter­ord­nungs­ver­hält­nis zwi- schen Prü­fungs­be­hör­de und Prüf­ling mög­lich. Ein (zeit- naher) alter­na­ti­ver Prü­fungs­ter­min in Prä­senz spre­che zudem eben­falls für die Frei­wil­lig­keit der Ein­wil­li­gung in die Online-Prü­fung. Ande­rer­seits müs­se die Ein­wil­li- gung nach Art. 7 Abs. 3 DS-GVO auch frei wider­ruf­lich sein. Aus Sicht des Prü­fungs­rechts wäre dies in den Au- gen von Fischer und Die­te­rich jedoch als – in der Regel nicht gerecht­fer­tig­ter – Rück­tritt zu wer­ten, so dass die Ein­wil­li­gung in die Daten­ver­ar­bei­tung zwar jeder­zeit wi- der­ru­fen, prü­fungs­recht­lich jedoch aus Grün­den der Chan­cen­gleich­heit nicht fol­gen­los blei­ben könne.9

Im Fal­le von Stö­run­gen bei Online-Prü­fun­gen hin- gen die Fol­gen der Stö­run­gen – wie bei Prä­senz­prü­fun- gen – davon ab, in wes­sen Ver­ant­wor­tungs­sphä­re die­se fal­len. Die Hoch­schu­le tra­ge die Beweis­last, dass der Feh­ler nicht in ihrer Ver­ant­wor­tungs­sphä­re liege.10 Lie­ge der Feh­ler bei der Hoch­schu­le, so sei die Prü­fung zu un- ter­bre­chen, die Stö­rung zu behe­ben und die Prü­fung an- schlie­ßend fort­zu­set­zen, wobei ggf. ein Aus­gleich für die Stö­rung gewährt wer­den müs­se. Sei Abhil­fe nicht oder nicht recht­zei­tig mög­lich, sei die Prü­fung abzu­bre­chen und zu wie­der­ho­len. Fik­ti­ve Leis­tun­gen dürf­ten bei Stö- run­gen nicht bewer­tet werden.

Für tech­ni­sche Stö­run­gen wie auch für ande­re Stö- run­gen im Prü­fungs­ver­fah­ren gel­te die unver­züg­li­che Rüge­o­b­lie­gen­heit für den Prüf­ling, ansons­ten kön­ne sich

  1. 6  Soweit im Fol­gen­den allein aus Grün­den bes­se­rer Les­bar­keit die Form des gene­ri­schen Mas­ku­li­nums ver­wen­det wird, sind stets alle Geschlech­ter mitumfasst.
  2. 7  Aus­führ­lich Haa­ke, OdW 2021, 59 (59).
  3. 8  Haa­ke, OdW 2021, 201 (204) und OdW 2022, 215 (216 ff.).
  4. 9  Vgl. Die­te­rich, NVwZ 2021, 511 (519).
  5. 10  So zuletzt VG Köln, Beschluss v. 15.7.2022 – 6 L 651/22, wel­ches bei­ei­ner Stö­rung beim Zugang zur Online-Klau­sur eine Wür­di­gung der Gesamt­um­stän­de vor­nahm und zum Ergeb­nis kam, dass die

die­ser nicht mehr auf die Beacht­lich­keit des Feh­lers be- rufen. Bei Ver­dacht einer „Flucht in die tech­ni­sche Stö- rung“ lie­ge es im Ermes­sen der Prü­fungs­be­hör­de, für die Wie­der­ho­lungs­prü­fung eine Ein­zel­prü­fung in den Räu- men der Hoch­schu­le durch­zu­füh­ren, um eine sol­che er- neu­te Mög­lich­keit aus­zu­schlie­ßen, wel­che dafür kei­ne geson­der­te Rechts­grund­la­ge benötige.11 Um Stö­run­gen und Feh­ler im Prü­fungs­ver­fah­ren von Anfang an zu ver- mei­den, rie­ten Fischer und Die­te­rich dazu, kla­re tech­ni- sche Vor­ga­ben zu machen12 und ggf. Tuto­ri­als oder ei- nen Pro­be­durch­gang anzubieten.

Zahl­rei­che gericht­li­che Ent­schei­dun­gen zu Online- Prü­fun­gen befass­ten sich mit der Fra­ge der Täu­schung bei der Erbrin­gung der Prü­fungs­leis­tung. Dies zei­ge, dass die Täu­schungs­an­fäl­lig­keit bei Online-Prü­fun­gen groß sei, ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund erschwer­ter Auf­sichts­mög­lich­kei­ten. Die Täu­schung habe dabei so- wohl eine objek­ti­ve als auch sub­jek­ti­ve Kom­po­nen­te. Objek­tiv sei eine Täu­schungs­hand­lung erfor­der­lich, also die Vor­spie­ge­lung einer selbst­stän­di­gen und regu­lä­ren Prü­fungs­leis­tung, obwohl in Wahr­heit uner­laub­te bzw. nicht offen geleg­te Hil­fen genutzt wer­den. Dies sei etwa bei uner­laub­ter Zusam­men­ar­beit oder Ver­wen­dung nicht frei­ge­ge­be­ner Hilfs­mit­tel, ins­be­son­de­re auch bei der (nicht zuge­las­se­nen) Nut­zung von Künst­li­cher Intel- ligenz wie ChatGPT der Fall. Die Gren­ze zwi­schen einer zuläs­si­gen Vorbereitung13 und einer sank­ti­ons­wür­di­gen Täu­schungs­hand­lung wer­de über­tre­ten, wenn der Prüf- ling bei Beginn der Prü­fung das unzu­läs­si­ge Hilfs­mit­tel bei sich füh­re, nicht erst, wenn auf das Hilfs­mit­tel zu- rück­ge­grif­fen wer­de. Es rei­che für eine objek­ti­ve Täu- schungs­hand­lung daher bei­spiels­wei­se aus, das Smart- pho­ne mit zum Prü­fungs­platz zu neh­men, obwohl dies nicht zuläs­sig sei. Zudem müs­se in sub­jek­ti­ver Hin­sicht noch der zumin­dest beding­te Vor­satz zur Täu­schung hinzukommen.

Bereits aus Art. 12 Abs. 1 GG erge­be sich, dass die Rechts­fol­gen der Täu­schung in der jewei­li­gen Prü- fungs­ord­nung gere­gelt sein müss­ten. Da die Sank­ti­on re- gel­mä­ßig im Nicht­be­stehen bis hin zur Exma­tri­ku­la­ti­on lie­ge, sei­en dies schwer­wie­gen­de Rechts­fol­gen, die un- mit­tel­bar die Grund­rech­te des Prüf­lings berüh­ren. Die Prü­fungs­ord­nung sol­le des­halb unter­schied­li­che Sankti-

Hoch­schu­le hier­für ver­ant­wort­lich (und die Prü­fung somit zu wie- der­ho­len) sei, da nicht auf das Erfor­der­nis der aktu­ells­ten Ver­si­on des Brow­sers Goog­le Chro­me hin­ge­wie­sen wor­den sei.

11 Vgl. auch VG Düs­sel­dorf, Urteil v. 26.4.2021 – 6 K 957/20.
12 VG Köln, Beschluss v. 15.7.2022 – 6 L 651/22.
13 Sächs. OVG, Beschluss v. 16.2.2022 – 2 B 274/21 zur gemeinsamen

Erstel­lung von Lern­ma­te­ria­li­en, Bespre­chung bei Mor­gen­roth, OdW 2022, 273 ff.

ons­re­ge­lun­gen je nach Schwe­re des Ver­sto­ßes tref­fen, vom Nicht­be­stehen der Prü­fung bis zu einer Ver­sa­gung wei­te­rer Prüfungschancen.14 Bei der Ent­schei­dung über die kon­kre­te Sank­tio­nie­rung sei dann ins­be­son­de­re die Ver­hält­nis­mä­ßig­keit der Maß­nah­me zu beach­ten, indem die Rech­te des Prüf­lings aus Art. 12 Abs. 1 GG mit dem Inter­es­se der Hoch­schu­le an der Red­lich­keit der Wis­sen- schaft sowie der Gewähr­leis­tung der Chan­cen­gleich­heit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG) abge­wo­gen werden.

Die Prü­fungs­be­hör­de tref­fe die Beweis­last im Hin- blick auf die objek­ti­ve Täu­schungs­hand­lung und den Täu­schungs­vor­satz. Aller­dings kön­ne die Beweis­füh- rung durch das Füh­ren eines Anscheins­be­wei­ses erleich- tert werden.15 Im Rah­men der frei­en Beweis­wür­di­gung wer­de hier­bei die all­ge­mei­ne Lebens­er­fah­rung berück- sich­tigt, wenn nach die­ser ein typi­scher Gesche­hens­ab- lauf auf eine bestimm­te Ursa­che oder Fol­ge hin­deu­te. Dies sei z.B. bei deckungs­glei­chen Arbei­ten, ins­be­son­de- re bei Feh­ler­iden­ti­tät der Fall: die uner­laub­te Zusam- men­ar­beit erschei­ne dann nach der all­ge­mei­nen Lebens- erfah­rung naheliegend.16 Es blei­be dem Prüf­ling aller- dings unbe­nom­men, den Anscheins­be­weis zu erschüt- tern und einen aty­pi­schen Gesche­hens­ab­lauf nachzuweisen.

Der Anscheins­be­weis kön­ne sowohl für die objek­ti- ve als auch die sub­jek­ti­ve Kom­po­nen­te der Täu­schung geführt wer­den, z.B. auch für das bewuss­te Mit­füh­ren ei- nes Smart­phones als uner­laub­tes Hilfsmittel.17

Fischer und Die­te­rich warn­ten vor einer „Flucht in die prü­fungs­recht­li­che Ohn­macht“: Um die Zweck­mä- ßig­keit der Prü­fung für die Berufs­qua­li­fi­ka­ti­on und die Chan­cen­gleich­heit i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG auf­recht­zu­er- hal­ten, sei­en die Prü­fungs­be­hör­den zudem zu einem Min­dest­maß an Täu­schungs­ab­wehr­maß­nah­men ver- pflich­tet. Schließ­lich kom­me auch die All­ge­mein­heit spä­ter mit der beruf­li­chen Leis­tungs­er­brin­gung in Be- rüh­rung und habe ein Recht dar­auf, dass die Eig­nung für den Beruf durch eine zweck­mä­ßi­ge, ins­be­son­de­re hin- rei­chend aus­sa­ge­kräf­ti­ge, Prü­fung nach­ge­wie­sen wur­de, z.B. im Anwen­dungs­be­reich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG für die Tätig­keit eines Arz­tes. Über­dies sei die Chan­cen- gleich­heit aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG im Hin­blick auf die­je­ni­gen Prüf­lin­ge ver­letzt, die nur mit zuge­las­se­nen Hilfs­mit­teln arbei­ten. Weit­rei­chen­de Täu-

14 So z.B. VG Ber­lin, Urteil v. 6.2.2023 – 12 K 52/22.
15 So für das Prü­fungs­recht schon vor der Covid-19-Pan­de­mie das

BVerwG, Beschluss v. 23.1.2018 – 6 B 67.17.
16 S. z.B. VG Ber­lin, Beschluss v. 28.1.2022 – 12 K 65/21; Urteil v.

6.2.2023 – 12 K 52/22.

schun­gen kön­nen zudem auch die rela­ti­ve Bewer­tungs- ebe­ne der Kor­rek­to­ren verschieben.18

Nach Fischer und Die­te­rich soll­ten daher sowohl „sanf­te“ Gegen­maß­nah­men zur Täu­schungs­prä­ven­ti­on ergrif­fen wer­den, um Täu­schungs­hand­lun­gen von Vorn- her­ein zu erschwe­ren, z.B. ein hoher Zeit­druck, das Er- for­der­nis hand­schrift­li­cher Aus­ar­bei­tun­gen, die Umstel- lung auf Haus­ar­bei­ten oder die Aus­wahl ran­do­mi­sier­ter Fra­gen und Fra­ge­rei­hen­fol­gen. Die­se „sanf­ten Maß­nah- men“ zur Täu­schungs­ab­wehr könn­ten jedoch kei­nen Er- satz für eine Auf­sicht bei Auf­sichts­ar­bei­ten (Klau­su­ren) dar­stel­len, son­dern nur zusätz­lich ergrif­fen wer­den. „Har­te“ Gegen­maß­nah­men, die daten- und per­sön­lich- keits­recht­li­che Fra­gen auf­wer­fen, könn­ten zudem die Authen­ti­fi­zie­rung mit­tels Aus­wei­ses bzw. Licht­bil­des vor der Prü­fung bzw. die Video­auf­sicht oder Nut­zung eines Lock­down-Brow­sers wäh­rend der Prü­fung sein. Zur rechts­si­che­ren Täu­schungs­prä­ven­ti­on sei zu beach­ten, dass ins­be­son­de­re bei Open-Book-Prü­fun­gen nicht ohne wei­te­res von einer Zitier­pflicht bzgl. ver­wen­de­ter Quel­len aus­ge­gan­gen wer­den könne.19 Hier sei­en des- halb ein­deu­ti­ge Hin­wei­se der Prü­fungs­be­hör­de erfor- der­lich, wel­che Anfor­de­run­gen bei den unter­schied­li- chen Prü­fungs­for­ma­ten gestellt werden.

Über­dies stel­le die Nut­zung künst­li­cher Intel­li­genz das Prü­fungs­recht vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen. Die uner­laub­te oder (erlaub­te, aber) unge­kenn­zeich­ne­te Ver­wen­dung von Ergeb­nis­sen, die mit­tels ChatGPT er- zeugt wor­den sind, stel­le nach prü­fungs­recht­li­chen Grund­sät­zen eine Täu­schung dar, da eine selbst­stän­di­ge Prü­fungs­leis­tung vor­ge­spie­gelt wer­de, jedoch man­gels eige­ner For­mu­lie­rung kei­ne eigen­stän­di­ge Leis­tung vor- lie­ge. Ein Pla­gi­at dürf­te hin­ge­gen man­gels zitier­fä­hi­ger Quel­le nicht vor­lie­gen. Zur Inspi­ra­ti­on dür­fe KI aller- dings genutzt wer­den, wenn dies einem wis­sen­schaft­li- chen Aus­tausch glei­che, nur die Ant­wor­ten dürf­ten nicht in die Arbeit kopiert wer­den. Eine Sank­tio­nie­rung der uner­laub­ten bzw. nicht offen geleg­ten Nut­zung von ChatGPT sei meist bereits durch die bestehen­den Prü- fungs­ord­nun­gen recht­lich mög­lich. Pro­ble­ma­tisch sei viel­mehr die Nach­weis­bar­keit sol­cher unter Ein­satz von KI erfolg­ter Täuschungen.

Es sei­en zwei ver­schie­de­ne prü­fungs­recht­li­che Reak- tions­mög­lich­kei­ten gege­ben: Es kön­ne ver­sucht wer­den, die Nut­zung von KI zu ver­hin­dern, indem hauptsächlich

17 OVG NRW, Beschluss v. 16.2.2021 – 6 B 1868/20.
18 So im Zusam­men­hang mit Täu­schun­gen bei Online-Prüfungen

VG Frankfurt/Oder, Beschluss v. 11.5.2021 – VG 1 L 124/21. 19 So VG Dres­den, Beschluss v. 16.2.2021 – 5 L 5/21.

Haa­ke · Prü­fun­gen im digi­ta­len Zeit­al­ter 2 3 7

238 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2023), 235–242

Prä­senz­prü­fun­gen durch­ge­führt wür­den. Zur Unter­bin- dung der Nut­zung in Haus­ar­bei­ten schlu­gen Fischer und Die­te­rich die Kom­bi­na­ti­on der Prü­fungs­leis­tung aus der Haus­ar­beit und einer anschlie­ßen­den Dis­pu­ta­tio vor, um zu über­prü­fen, ob der Prüf­ling die Leis­tung tat­säch- lich durch­drun­gen habe. Zudem kön­ne der Leis­tungs- pro­zess in die Bewer­tung ein­ge­hen, indem z.B. mit den Prüf­lin­gen im Lau­fe des Pro­zes­ses über die Zwi­sche­ner- geb­nis­se dis­ku­tiert wer­de. Fer­ner könn­ten die Auf­ga­ben- stel­lun­gen geän­dert wer­den, sodass kei­ne rei­ne Wis­sens- abfra­ge statt­fin­de. Es kön­ne z.B. die Ver­wen­dung be- stimm­ter Quel­len oder Auf­bau­tech­ni­ken in der Hausar- beit vor­aus­ge­setzt wer­den, wel­che in der Lehr­ver­an­stal­tung behan­delt wur­den. Dies erschwe­re, eine Lösung mit Hil­fe der KI zu erarbeiten.

Als wei­te­re Reak­ti­ons­mög­lich­keit sei auch die aus- drück­li­che Zulas­sung der Nut­zung von KI denk­bar: Wäre dies für alle Prüf­lin­ge mög­lich, blei­be deren Chan- cen­gleich­heit gewahrt. Hier müs­se dann aber gewähr- leis­tet sein, dass der Zweck der Prü­fung, nament­lich die Abfra­ge von Kom­pe­ten­zen, die für den spä­te­ren Beruf erfor­der­lich sind, erhal­ten bleibt.

II. Daten­schutz im digi­ta­len Zeitalter

Dar­auf­hin setz­te sich Prof. Dr. Rolf Schwart­mann (Tech- nische Hoch­schu­le Köln und Lei­ter der Köl­ner For- schungs­stel­le für Medi­en­recht) mit aktu­el­len daten- schutz­recht­li­chen Fra­ge­stel­lun­gen rund um Online- Prü­fun­gen auseinander.20

Zunächst ging Schwart­mann aus­führ­lich auf Her- aus­for­de­run­gen im Zusam­men­hang mit dem Ein­satz von Lar­ge Lan­guage Models (LLM) wie ChatGPT und ande­ren Bots in Prü­fun­gen ein, wel­che Tex­te, Bil­der oder ähn­li­ches gene­rie­ren. In LLM wie ChatGPT basiert die Aus­wahl der Ergeb­nis­se von Anfra­gen („prompts“) auf einer Wahr­schein­lich­keits­ver­tei­lung, die sich sto- chas­tisch aus dem Kon­text der vor­her­ge­hen­den Wör­ter ergibt. Es han­de­le sich somit um eine Simu­la­ti­on auf Grund­la­ge des vor­he­ri­gen Trai­nings der Daten­ba­sis des Sprach­mo­dells. Da die­se offen­kun­dig auch aus fal­schen Tat­sa­chen bestehen, sei­en Chat Bots wie ChatGPT problematisch.21

Bei der Ver­wen­dung sol­cher gene­ra­ti­ver KI sei zwi- schen Leh­re und Prü­fun­gen zu dif­fe­ren­zie­ren: Es sei mög­lich, die­se bewusst in der Leh­re ein­zu­set­zen. Eine Ver­wen­dung in Prü­fun­gen sei jedoch auszuschließen.

20 Schwart­mann ist zudem Sach­ver­stän­di­ger des Deut­schen Hoch- schul­ver­ban­des für IT- und Daten­recht und Vor­sit­zen­der der Ge- sell­schaft für Daten­schutz und Daten­si­cher­heit (GDD) e.V. sowie Her­aus­ge­ber der daten­schutz­recht­li­chen Kom­men­ta­re Schwart-

Dies sei allein schon der Viel­zahl von Unsi­cher­hei­ten und Unter­schied­lich­kei­ten bzgl. der Daten­ba­sis der Bots, wel­che auch von den genutz­ten Stand­or­ten abhän­gig sei, sowie der sto­chas­ti­schen Pro­gram­mie­rung geschul­det. Auf­grund die­ser tech­ni­schen Bedin­gun­gen wie­der­ho­len sich die Ant­wor­ten nicht, der Nut­zer erhal­te kei­ne repro- duzier­ba­ren Ergeb­nis­se, wes­halb Schwart­mann auch die Zitier­fä­hig­keit von ChatGPT als Quel­le ent­schie­den ab- lehn­te. Man­gels Repro­du­zier­bar­keit sei­en die Ant­wor­ten nicht wis­sen­schaft­lich überprüfbar.

In Prü­fun­gen müs­se die Ver­wen­dung durch die Prüf- lin­ge des­halb unter­bun­den wer­den. Es sei ledig­lich vor- stell­bar, dass die Prü­fungs­be­hör­de durch die KI einen Text gene­rier­te, wel­che die Prüf­lin­ge bewer­ten müss­ten. Die Prüf­lin­ge jedoch als Prü­fungs­leis­tung selbst etwas gene­rie­ren zu las­sen, füh­re auf­grund der tech­ni­schen Beson­der­hei­ten immer zu ande­ren Ergeb­nis­se und ver- sto­ße daher gegen die prü­fungs­recht­li­che Chan­cen- gleich­heit des Art. 3 Abs. 1 GG.

Zum Aus­schluss der Nut­zung von Bots durch Prüf- lin­ge kön­ne daher in die Prü­fungs­ord­nung auf­ge­nom- men wer­den, dass KI-basier­te Sys­te­me (z.B. LLM wie ChatGPT) grund­sätz­lich kei­ne zuläs­si­gen Hilfs- mit­tel sei­en. Über Aus­nah­men ent­schei­de der Prüfungsausschuss.

In Klau­su­ren und münd­li­chen Prü­fun­gen sowie Prä- sen­ta­tio­nen sei die Nut­zung von LLM auch zu ver­hin- dern. Schwie­rig­kei­ten berei­ten hin­ge­gen Haus­ar­bei­ten: Die Über­prü­fung der selbst­stän­di­gen Erstel­lung der Prü­fungs­leis­tung sei nicht mög­lich. Anders als bei Pla­gi- aten kön­ne kei­ne Soft­ware die Nut­zung eines Bots wie ChatGPT nach­wei­sen. Für den Nach­weis der Täu­schung tra­ge aber die Prü­fungs­be­hör­de die Beweis­last. Ins­be- son­de­re ange­sichts der schnel­len Ent­wick­lung der KI sei es nicht mög­lich, mit­hil­fe eines Pro­gramms einen siche- ren Nach­weis einer Nut­zung zu führen.

Schwart­mann plä­dier­te daher ähn­lich wie Fischer und Die­te­rich dafür, rei­ne Haus­ar­bei­ten durch eine Prü- fungs­leis­tung, wel­che aus der Kom­bi­na­ti­on aus einer Haus­ar­beit sowie einer münd­li­chen Prü­fung bestehe, zu erset­zen. Nach der Anfer­ti­gung der Haus­ar­beit kön­ne so in einer münd­li­chen Prü­fung abge­prüft wer­den, ob der Prüf­ling das in der Vor­le­sung behan­del­te Wis­sen tat- säch­lich durch­drun­gen habe. Bei einer rei­nen Ver­tei­di- gung der Arbeit kön­ne dies jedoch nicht nach­ge­wie­sen wer­den, sodass Schwart­mann eine ggf. von dem Stoff der Haus­ar­beit los­ge­lös­te münd­li­che Prü­fung favorisierte.

mann/Jas­pers/Thü­sing/Kugel­mann, Hei­del­ber­ger Kom­men­tar zu DS-GVO/BDSG und Schwart­mann/Pabst, Kom­men­tar zum LDG NRW.

21 Dazu Schwart­mann, For­schung & Leh­re 2023, 414 f.

Bei ein­fa­chen Haus­ar­bei­ten sei die­se Ände­rung „im lau- fen­den Geschäft“ mög­lich, bei Abschluss­ar­bei­ten wie Mas­ter- und Bache­lor­ar­bei­ten müs­se die Prü­fungs­be- hör­de dazu jedoch die For­mu­lie­rung ihrer Prü­fungs­ord- nung über­prü­fen und die­se ggf. geän­dert wer­den. Dies kön­ne auch bei der Akkre­di­tie­rung und Re-Akkre­di­tie- run­gen zu berück­sich­ti­gen sein.

Die Durch­füh­rung von Fern­klau­su­ren sieht Schwart- mann wei­ter­hin als schwie­rig an.22 Da sich unter Klau­su- ren Auf­sichts­ar­bei­ten ver­ste­hen las­sen, wer­den die­se mit­tels Video­auf­sicht beauf­sich­tigt. Da jedoch die Open Book-Arbeit ohne Auf­sicht als schrift­li­che Arbeit ein mil­de­res Mit­tel dar­stel­le, sei­en Fern­klau­su­ren unter Vi- deo­auf­sicht meist nicht zur Durch­füh­rung einer schrift- lichen Online-Prü­fung erfor­der­lich. Zwar han­de­le es sich um eine ande­re Prü­fungs­form, nament­lich eine Haus­ar­beit anstel­le einer Klau­sur, es kön­nen aber oft trotz­dem ähn­li­che Kom­pe­ten­zen wie in einer Klau­sur abge­fragt wer­den. In vie­len Fäl­len sei­en daher weni­ger ein­griffs­in­ten­si­ve Alter­na­ti­ven vor­han­den. Eine Recht- fer­ti­gung der Video­über­wa­chung nach Art.6Abs.1lit.e)DS-GVOgelingedaherinvielenFäl- len nicht. Zudem bezwei­felt Schwart­mann wei­ter­hin die Eig­nung der Video­auf­sicht zur Täu­schungs­prä­ven­ti­on, da die­se außer­halb des Erfas­sungs­be­reichs der Kame­ra wei­ter­hin pro­blem­los mög­lich seien.

Die Durch­füh­rung einer Video­auf­sicht sei auch nicht durch Ein­ho­len einer Ein­wil­li­gung der Prüf­lin­ge nach Art. 6 Abs. 1 lit. a) DS-GVO zu recht­fer­ti­gen. Denn für eine wirk­sa­me Ein­wil­li­gung feh­le es an deren Frei­wil­lig- keit i.S.d. Art. 7 Abs. 4 DS-GVO. Selbst beim Ange­bot ei- ner alter­na­ti­ven Prä­senz­prü­fung habe zumin­dest zu Zei- ten der Covid-19-Pan­de­mie wegen der Gefahr der Infek- tion kei­ne Frei­wil­lig­keit vorgelegen.

Über daten­schutz­recht­li­che Pro­ble­me hel­fe auch kei- ne Erlaub­nis zur Video­auf­sicht durch den Lan­des­ge­setz- oder ‑ver­ord­nungs­ge­ber hin­weg: Auch die­se müs­sen sich an der höher­ran­gi­gen DS-GVO mes­sen lassen.

Anders als ein Ver­stoß gegen das Prü­fungs­recht möge eine daten­schutz­recht­li­che Ver­let­zung nicht zu Feh­lern im Ver­fah­ren oder der Bewer­tung der Prü­fung füh­ren. Dies kön­ne nach § 46 VwVfG (ggf. ana­log) nur der Fall sein, wenn sich der daten­schutz­recht­li­che Ver- stoß auf das Ergeb­nis der Prü­fung auswirke.23 Allerdings

  1. 22  S. Haa­ke, OdW 2022, 215 (219). Ins­be­son­de­re sei wei­ter­hin das Proc­to­ring, also die Video­auf­sicht mit­tels einer dafür vor­ge- sehe­nen Soft­ware abzu­leh­nen, da dar­in ein Ver­stoß gegen das Grund­recht auf Gewähr­leis­tung der Ver­trau­lich­keit und Integ- rität infor­ma­ti­ons­tech­ni­scher Sys­te­me aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG liege.
  2. 23  Dies lehn­ten sowohl Schwart­mann als auch Fischer und Die­te­rich bereits in vor­he­ri­gen Dis­kus­sio­nen ab, Haa­ke,

wies Schwart­mann erneut dar­auf hin, dass ein Ver­stoß die Sank­ti­ons­mög­lich­kei­ten der DS-GVO aus­lö­se. Ein Buß­geld nach Art. 83 DS-GVO sei gem. § 43 Abs. 3 BDSG zwar für öffent­li­che Stel­len wie staat­li­che Hoch­schu­len aus­ge­schlos­sen. In Betracht kämen aller­dings Scha­dens- ersatz­an­sprü­che gegen die Hoch­schu­le nach Art. 82 DS- GVO. Dem­nach kann der Ersatz eines mate­ri­el­len oder imma­te­ri­el­len Scha­dens auf­grund einer Daten­schutz­ver- let­zung ver­langt wer­den. Die DS-GVO ken­ne daher auch anders als das deut­sche Recht kei­ne Baga­tell­gren­ze, wel- che für die Gel­tend­ma­chung eines Schmer­zens­geld­an- spruchs über­schrit­ten wer­den müs­se. Der Scha­den kön- ne bereits im Unwohl­sein der Betrof­fe­nen über den Kon- troll­ver­lust ihrer rechts­wid­ri­gen Daten­ver­ar­bei­tung lie- gen.24 Ins­be­son­de­re vor die­sem Hin­ter­grund warn­te Schwart­mann vor daten­schutz­recht­li­chen Rechts­strei­tig- kei­ten mit Scha­dens­er­satz­for­de­run­gen der Studierenden.

III. Fra­ge­run­de / Diskussion

Anschlie­ßend beant­wor­te­ten die drei Refe­ren­ten zunächst im Vor­feld ein­ge­reich­te Fra­gen der Tagungs- teil­neh­men­den. Die­se Fra­ge­run­de und die anschlie­ßen- de Dis­kus­si­on wur­den von Prof. Ulf Pall­me König25 und Prof. Dr. Vol­ker Epping mode­riert.

Zum Füh­ren eines Anscheins­be­wei­ses über die un- zuläs­si­ge Zusam­men­ar­beit wäh­rend einer Online-Prü- fung sei laut Fischer und Die­te­rich nicht allein das gleich- zei­ti­ge Absen­den der Ant­wor­ten geeig­net, wel­ches am elek­tro­ni­schen Zeit­stem­pel erkenn­bar sei. Es müs­sen wei­te­re Anhalts­punk­te wie bei­spiels­wei­se Feh­ler­iden­ti­tät hinzukommen.

Feh­ler­iden­ti­tät oder eine Viel­zahl gleich­lau­ten­der Lösun­gen müs­se nicht zwin­gend das Ergeb­nis einer un- erlaub­ten Zusam­men­ar­beit von Prüf­lin­gen sein, son­dern kön­ne auch dar­auf zurück­zu­füh­ren sein, dass von einem Prüf­ling abge­schrie­ben wur­de. Der Urhe­ber der Lösung bege­he dabei kei­nen Täu­schungs­ver­such durch das Ab- schrei­ben­las­sen. Für eine Sank­tio­nie­rung die­ser – von der Prü­fungs­be­hör­de nach­zu­wei­sen­den – unzu­läs­si­gen Beein­flus­sung der Prü­fung sei wegen des Geset­zes­vor­be- halts daher eine eige­ne Rechts­grund­la­ge in der Prü- fungs­ord­nung erforderlich.26

OdW 2021, 201 (205).
24 EuGH, Urteil v. 4.5.2023 – C‑300/21.
25 Pall­me König ist Kanz­ler der Uni­ver­si­tät Düs­sel­dorf a.D. und

Vor­stands­mit­glied des Ver­eins zur För­de­rung des deut­schen und

inter­na­tio­na­len Wis­sen­schaft­rechts.
26 Die­ses Ver­hal­ten sei in vie­len Prü­fungs­ord­nun­gen als „unzu­läs­si­ge

Beein­flus­sung der Prü­fung“ oder „Stö­rung des ord­nungs­ge­mä­ßen Prü­fungs­ab­laufs“ sanktioniert.

Haa­ke · Prü­fun­gen im digi­ta­len Zeit­al­ter 2 3 9

240 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2023), 235–242

Was die Mit­nah­me von eige­nen Gerä­ten wie Lap- tops angeht, so tref­fe die Prüf­lin­ge aus dem Grund­satz von Treu und Glau­ben eine Mit­wir­kungs­pflicht dahin­ge- hend, dass die Prü­fungs­be­hör­den eine heut­zu­ta­ge übli- che tech­ni­sche Aus­stat­tung grund­sätz­lich vor­aus­set­zen kön­nen. Ähn­lich wie zum Gebrauch eines eige­nen Ta- schen­rech­ners oder Buches könn­ten die­se des­halb aus prü­fungs­recht­li­cher Sicht auch zur Ver­wen­dung eines eigenenLaptopsverpflichten.MachederPrüflingaller- dings im Ein­zel­fall glaub­haft, dass er über kei­nen Lap­top ver­fü­ge, müs­se die Hoch­schu­le Abhil­fe schaf­fen. Tre­te am (eige­nen) Gerät in der Prü­fung ein Defekt auf, lie­ge das grund­sätz­lich in der Ver­ant­wor­tungs­sphä­re des Prüf­lings. Die Hoch­schu­le sei nicht ver­pflich­tet, ein Er- satz­ge­rät wäh­rend der Prü­fung bereit zu stel­len. Aus Ku- lanz sei jedoch zu emp­feh­len, eini­ge Ersatz­stü­cke vorzuhalten.

Dage­gen sah Schwart­mann das Mit­brin­gen des eige- nen Lap­tops zu Prü­fungs­zwe­cken kri­tisch: Denn wie an- dere pri­va­te Hilfs­mit­tel müss­ten die­se zur Täu­schungs- prä­ven­ti­on im Vor­feld oder wäh­rend der Prü­fung kont- rol­liert wer­den. Dies sei bei einem Lap­top jedoch nicht das glei­che wie bei einem Taschen­rech­ner: Bei der Kon- trol­le des Inhalts eines pri­va­ten Lap­tops gera­te die Prü- fungs­be­hör­de in Kol­li­si­on mit dem Grund­recht auf Ge- währ­leis­tung und Inte­gri­tät infor­ma­ti­ons­tech­ni­scher Sys­te­me des Prüf­lings und ver­ar­bei­te des­sen per­so­nen- bezo­ge­ne Daten, ohne dass dies erfor­der­lich sei. Auch eine Ein­wil­li­gung des Prüf­lings hel­fe dar­über nicht hin- weg, da die­se nicht frei­wil­lig sein kön­ne, wenn der Prüf- ling auf ande­re Wei­se nicht an der Prü­fung teil­neh­men kön­ne. Es han­de­le sich daher um einen daten­schutz- recht­li­chen Ver­stoß, der ver­mie­den wer­den soll­te, indem die Hoch­schu­le eige­ne Gerä­te bereitstelle.

Fischer und Die­te­rich stimm­ten Schwart­mann in der Hin­sicht zu, dass ein Ver­stoß gegen das Daten­schutz- recht grund­sätz­lich nicht auf das Prü­fungs­recht durch- schla­ge und zur Feh­ler­haf­tig­keit der Prü­fung füh­re. Sie wie­sen jedoch dar­auf hin, dass ein Daten­schutz­ver­stoß ggf. Pro­ble­me beim Nach­weis einer Täu­schung berei­ten kön­ne: Sol­le die­ser mit­tels einer daten­schutz­rechts­wid­ri- gen Proc­to­ring-Soft­ware geführt wer­den, möge die­se für die Beweis­füh­rung unge­eig­net sein. Der Beweis wäre dann auf rechts­wid­ri­ge Wei­se erlangt, sodass ggf. an ein Beweis­ver­wer­tungs­ver­bot ähn­lich wie im Straf­pro­zess zu den­ken sei.

In Zusam­men­hang mit der erlaub­ten Nut­zung von ChatGPT durch Stu­die­ren­de in Leh­re und Prü­fun­gen warf Schwart­mann die Fra­ge auf, wie es mit der Haf­tung für Rechts­ver­stö­ße aus­se­he, ent­we­der bei Datenschutz-

oder Urhe­ber­rechts­ver­stö­ßen der KI, indem die­se bei- spiels­wei­se Inter­views mit rea­len Per­so­nen erfin­de. Un- geklärt blei­be, wem sol­che Ver­stö­ße zuzu­rech­nen sei­en. Zudem sei undurch­sich­tig, wel­che Daten ihrer Nut­zer die KI selbst zu wel­chen Zwe­cken ver­ar­bei­te und spei- che­re. Bevor Bots wie ChatGPT als „gene­ral pur­po­se“ Anwen­dun­gen in Leh­re und Prü­fun­gen ver­wen­det wer­den, sei­en die­se Fra­gen drin­gend zu klä­ren. Die sei allein schon der Pflich­ten der Hoch­schu­le aus Art. 32 ff. DS-GVO, ins­be­son­de­re der Pflicht zur Daten- schutz-Fol­gen­ab­schät­zung des Art. 35 geschul­det, wel­che ohne Klar­heit über die­se Fra­gen nicht mög­lich sei.

Was den Aus­schluss von ChatGPT von der Lis­te zu- läs­si­ger Hilfs­mit­tel angeht, so stell­ten die Refe­ren­ten klar, dass die Schwie­rig­keit der Über­prü­fung und des Nach­wei­ses nicht die recht­li­che Opti­on des Aus­schlus­ses ver­schlie­ße. Nur, wenn nicht mehr über­prüf­bar sei, ob eine eigen­stän­di­ge Leis­tung vor­lie­ge, habe die Prü­fung kei­nen Aus­sa­ge­ge­halt mehr, sodass deren Zweck vor dem Hin­ter­grund des Art. 12 Abs. 1 GG nicht mehr er- füllt wer­den könne.

Fischer und Die­te­rich stell­ten klar, dass das Füh­ren ei- nes Anscheins­be­wei­ses für die Nut­zung von ChatGPT vom Ein­zel­fall abhän­gig blei­be: Brü­che in der For­mu­lie- rung oder Argu­men­ta­ti­on reich­ten dafür regel­mä­ßig nicht allein aus, da dies ins­be­son­de­re bei län­ge­ren Arbei- ten auch mit der glei­chen Wahr­schein­lich­keit aus ande- ren Umstän­den her­rüh­ren kön­ne. Fer­ner gebe es auch man­che Pro­gram­me, die ggf. Hin­wei­se auf die Nut­zung von ChatGPT lie­fer­ten. Man­che Hoch­schu­len wähl­ten z.B. auch ver­steck­te Wer­te und Begrif­fe, wel­che erst beim Ein­ko­pie­ren der Prü­fungs­auf­ga­be in ein Pro­gramm sicht­bar wür­den und dazu führ­ten, die uner­laub­te Ver- wen­dung von Hilfs­mit­teln auf­zu­de­cken. Dar­über hin­aus plä­dier­ten Fischer und Die­te­rich ins­be­son­de­re auch für eine Anpas­sung der Auf­ga­ben­stel­lun­gen, um die Nut- zung von Bots zu ver­mei­den (z.B. die Ein­be­zie­hung von Metho­den und Quel­len aus der Lehrveranstaltung).

Will die Hoch­schu­le die Nut­zung von KI in Prü­fun- gen dage­gen zulas­sen, so herrsch­te unter den Refe­ren­ten Unei­nig­keit hin­sicht­lich der Zitier­fä­hig­keit von Bots wie ChatGPT.

Es han­de­le sich nach Fischer und Die­te­rich zwar nicht um eine zitier­fä­hi­ge Quel­le im klas­si­schen Sin­ne, da kei- ne geis­ti­ge Eigen­leis­tung vor­lie­ge, die einer Per­son zuzu- ord­nen sei, sodass es an einem iden­ti­fi­zier­ba­ren Urhe­ber feh­le. Ein Ver­weis auf den jewei­li­gen „Prompt“ sei auch nicht als Beleg geeig­net, da sich die KI-basier­te Ant­wort hier­auf jeder­zeit ändern kön­ne. Es sei aber denk­bar, die Ant­wor­ten von ChatGPT als Anla­ge einer Hausarbeit

bei­zu­fü­gen, wenn dies von der Prü­fungs­be­hör­de vor­ge- geben wer­de, etwa als Screen­shot einer Kom­mu­ni­ka­ti­on mit ChatGPT. In prü­fungs­recht­li­cher Hin­sicht kön­ne auf die­se Wei­se zumin­dest das Maß an Eigen­stän­dig­keit, mit wel­cher der Prüf­ling die Leis­tung erbracht habe, nach­ge- wie­sen wer­den. Dage­gen hielt Schwart­mann ChatGPT auch auf die­se Wei­se nicht für zitier­fä­hig. Auch die An- lagen sei­en nicht repro­du­zier- und damit nicht über- prüf­bar, sodass die Prü­fungs­be­hör­de nicht kon­trol­lie­ren kön­ne, ob es sich um ein Fehl­zi­tat handele.

IV. Resü­mee und Ausblick

Nach der Rück­kehr in den „Nor­mal­be­trieb“ der Hoch- schu­len mit dem Ende der Covid-19-Pan­de­mie wer­den digi­ta­le For­ma­te da bestehen blei­ben, wo sie einen Mehr- wert für Leh­re und Prü­fun­gen bie­ten. Zumin­dest in prü- fungs­recht­li­cher Hin­sicht bestehen drei Jah­re nach Beginn der Pan­de­mie genug Judi­ka­te, um rechts­si­cher digi­ta­le Prü­fun­gen durch­zu­füh­ren. In daten­schutz­recht- licher Hin­sicht ist dage­gen bis­her kei­ne rich­tungs­wei- sen­de gericht­li­che Ent­schei­dung erfolgt. Dies mag auch der Zustän­dig­keit des EuGH für die Aus­le­gung der DS- GVO geschul­det sein und hat zur Fol­ge, dass die Hoch-

schu­len eige­ne daten­schutz­recht­li­che Risi­ko­ab­wä­gun­gen vor­neh­men müssen.

Seit Ende letz­ten Jah­res beschäf­tigt die Prü­fungs­be- hör­den zuneh­mend die Nut­zung von Bots wie ChatGPT durch die Prüf­lin­ge. Dazu bestehen vie­le unge­klär­te Fra- gen, ins­be­son­de­re auf prak­ti­scher Ebe­ne: Dass die uner- laub­te Nut­zung eine Täu­schung dar­stellt, mag fests­te- hen, die­se nach­zu­wei­sen, fällt dage­gen jedoch erheb­lich schwerer.

Epping beton­te aller­dings, dass die Hoch­schu­len In- nova­tio­nen wie ChatGPT nicht igno­rie­ren dürf­ten: Statt- des­sen sol­le der Ent­wick­lung Rech­nung getra­gen wer- den und die Hoch­schu­len müs­sen ggf. ande­re Prü­fungs- for­men ent­wi­ckeln, um eigen­stän­di­ge Leis­tun­gen durch die Prüf­lin­ge sicherzustellen.

Stück­radt resü­mier­te, dass die Nut­zung künst­li­cher Intel­li­genz durch Stu­die­ren­de und Prüf­lin­ge in Zukunft ein Schwer­punkt­the­ma sein könn­te. Des­halb bestehe ggf. in Zukunft das Bedürf­nis, sich mit die­ser in einer ge- son­der­ten Ver­an­stal­tung auseinanderzusetzen.

Karo­li­ne Haa­ke ist Rechts­re­fe­ren­da­rin am Ober­lan- des­ge­richt Cel­le und Dok­to­ran­din an der Leib­niz Uni- ver­si­tät Hannover.

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