Seit Beginn der Covid-19-Pandemie veranstaltete der Verein zur Förderung des deutschen und internationa- len Wissenschaftsrechts bereits drei Online-Tagungen am 30.10.2020, 15.1.2021 und 4.2.2022 mit Überlegungen zum Prüfungsrecht in der Corona-Zeit und den damit verbundenen rechtlichen Fragestellungen.1 Nach dem Ende der Pandemie sind die Hochschulen zwar überwie- gend zu Präsenzveranstaltungen zurückgekehrt, jedoch werden auch in Zukunft digitale Lehre und Prüfungsfor- men eine nicht unerhebliche Bedeutung haben.
Aus diesem Grund beleuchtete der Verein zur För- derung des deutschen und internationalen Wissen- schaftsrechts am 12.5.2023 abermals aktuelle rechtliche Fragestellungen in Bezug auf digitale Prüfungen, welche aus Pandemiezeiten mitgenommen werden. Die Vor- standsmitglieder des Vereins zur Förderung des deut- schen und internationalen Wissenschaftsrechts Prof. Dr. Volker Epping und Dr. Michael Stückradt betonten in ih- rer Begrüßung, dass die erneut 160 Teilnehmenden un- ter Beweis stellten, dass seit der Pandemie entstandene Fragen rund um digitale Prüfungen die Hochschulen weiterhin vor Herausforderungen stellen. Die Veranstal- tung solle insbesondere eine Analyse mittlerweile ergan- gener gerichtlicher Entscheidungen sowie die Diskussi- on über neue Herausforderungen wie Künstliche Intelli- genz in Prüfungen bieten.
I. Prüfungsrecht im digitalen Zeitalter
Im ersten Impulsvortrag stellten Edgar Fischer (Vorsit- zender Richter am Verwaltungsgericht Berlin) und Dr.
- 1 Berichte dieser Tagungen sind veröffentlicht in OdW 2021, 59 ff. und 201 ff. sowie OdW 2022, 215 ff.
- 2 Beide sind Autoren der 2022 erschienenen 8. Auflage des Stan- dardwerks Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht.
- 3 Dies bestätigen auch VG Frankfurt (Oder), Beschluss v. 11.5.2021
– 1 L 124/21; VG München, Urteil v. 25.2.2021 – M 3 K 20.4723;
a.A. VG Freiburg, Urteil v. 15.2.2022 – 8 K 183/21, welches eine gesonderte Rechtsgrundlage für erforderlich ansieht, da andere Rechtspositionen betroffen seien. Ggf. sei eine Anpassung der Prüfungsordnung dennoch notwendig, wenn diese z.B. explizit die Öffentlichkeit einer mündlichen Prüfung vorschreibe, vgl. bereits OdW 2021, 201 (202). Möglich sei auch, dass der Prüfling der
Peter Dieterich, LL.M. (Richter am Verwaltungsgericht Berlin)2 aktuelle Entscheidungen im Hinblick auf digita- le Prüfungen vor. Diesen sei zu entnehmen, dass die all- gemeinen Grundsätze des Prüfungsrechts auch auf Online-Prüfungen anwendbar seien.
Rekurrierend auf die letzten Veranstaltungen wurde die Online-Prüfung in den Kanon der Prüfungsarten eingeordnet. Da zwischen den Prüfungsarten kompe- tenzbasiert abgegrenzt werde, sei die Online-Prüfung keine eigene Prüfungsart, sondern nur eine andere Mo- dalität bzw. Durchführungsvariante der klassischen Prü- fungsarten, namentlich der mündlichen oder schriftli- chen Prüfungen. Aus diesem Grund sei aus prüfungs- rechtlicher Sicht nicht stets eine gesonderte Rechts- grundlage für die Durchführung der Prüfung als Online-Prüfung und daher auch keine Änderung der Prüfungsordnung angezeigt.3 Im Gegensatz dazu sei eine elektronische Prüfung eine andere Prüfungsart, bei der die Prüfungsantwort am Computer unmittelbar in ein Datenverarbeitungssystem der Prüfungsbehörde eingegeben wird.4 Da Klausuren grundsätzlich als Auf- sichtsarbeiten zu verstehen seien, sei für die Durchfüh- rung einer Online-Klausur eine Form der Aufsicht erfor- derlich, nicht zuletzt auch um Chancengleichheit und Aussagekraft der Prüfung zu gewährleisten.5
Aufgrund der Entspannung der pandemischen Lage und der weitgehenden Rückkehr zu Präsenzprüfungen, welche nicht mehr unter Sonderbedingungen durchge- führt werden müssen, finde eine Funktionsverschieb- ung der Online-Prüfungen statt: Zu Beginn der Covid-19-Pandemie seien diese notwendig gewesen, um
Abweichung der Prüfungsordnung zustimme. Auf einen Verstoß gegen die Prüfungsordnung könne er sich dann im Anschluss nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht mehr berufen, vgl. zuletzt VG Berlin, Urteil v. 19.4.2022 – 12 K 20/21.
4 Schließlich könnten in elektronischen Prüfungen auch Audio- und Videosequenzen abgespielt werden, das Zurückklicken verhindert, und unterschiedliche Fragen angezeigt werden, sodass sich das Format wesentlich von einer herkömmlichen schriftlichen Prüfung unterscheide. S. dazu auch bereits Haake, OdW 2021, 59 (60).
5 So auch OVG NRW, Beschluss v. 4.3.2021 – 14 B 278/21.NE, ähnlich VG Frankfurt (Oder), Beschluss v. 11.5.2021 – 1 L 124/21.
Karoline Haake
Prüfungen im digitalen Zeitalter – aktuelle rechtli- che Fragestellungen
Bericht über die Tagung des Vereins zur Förde- rung des deutschen und internationalen Wissen- schaftsrechts e.V. am 12.5.2023
Ordnung der Wissenschaft 2023, ISSN 2197–9197
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den verfassungsrechtlichen Anspruch der Prüflinge6 auf Durchführung der Prüfungen aus Art. 12 Abs. 1 GG durchzusetzen, da Präsenzprüfungen nicht möglich wa- ren.7 Da die Durchführung der Online-Prüfungen – auch mithilfe von Videoaufsicht bei Online-Klausuren – zur Erfüllung dieses Prüfungsanspruches erforderlich gewesen sei, sei die Datenverarbeitung durch die Prü- fung auch in datenschutzrechtlicher Hinsicht nach Art. 6 Abs. 1 lit e) DS-GVO gerechtfertigt gewesen.8
Dies sei nach dem Ende der Pandemie nicht mehr der Fall. Online-Prüfungen könnten daher vor dem Hin- tergrund des Datenschutzrechtes weiterhin als Instru- ment genutzt werden, wenn Prüflinge nach Art. 6 Abs. 1 lit a) DS-GVO in diese einwilligten. Dies sei jedoch mit Folgefragen der Einwilligung verbunden: Diese müsse einerseits freiwillig sein. Dies sei grundsätz- lich auch im Über- und Unterordnungsverhältnis zwi- schen Prüfungsbehörde und Prüfling möglich. Ein (zeit- naher) alternativer Prüfungstermin in Präsenz spreche zudem ebenfalls für die Freiwilligkeit der Einwilligung in die Online-Prüfung. Andererseits müsse die Einwilli- gung nach Art. 7 Abs. 3 DS-GVO auch frei widerruflich sein. Aus Sicht des Prüfungsrechts wäre dies in den Au- gen von Fischer und Dieterich jedoch als – in der Regel nicht gerechtfertigter – Rücktritt zu werten, so dass die Einwilligung in die Datenverarbeitung zwar jederzeit wi- derrufen, prüfungsrechtlich jedoch aus Gründen der Chancengleichheit nicht folgenlos bleiben könne.9
Im Falle von Störungen bei Online-Prüfungen hin- gen die Folgen der Störungen – wie bei Präsenzprüfun- gen – davon ab, in wessen Verantwortungssphäre diese fallen. Die Hochschule trage die Beweislast, dass der Fehler nicht in ihrer Verantwortungssphäre liege.10 Liege der Fehler bei der Hochschule, so sei die Prüfung zu un- terbrechen, die Störung zu beheben und die Prüfung an- schließend fortzusetzen, wobei ggf. ein Ausgleich für die Störung gewährt werden müsse. Sei Abhilfe nicht oder nicht rechtzeitig möglich, sei die Prüfung abzubrechen und zu wiederholen. Fiktive Leistungen dürften bei Stö- rungen nicht bewertet werden.
Für technische Störungen wie auch für andere Stö- rungen im Prüfungsverfahren gelte die unverzügliche Rügeobliegenheit für den Prüfling, ansonsten könne sich
- 6 Soweit im Folgenden allein aus Gründen besserer Lesbarkeit die Form des generischen Maskulinums verwendet wird, sind stets alle Geschlechter mitumfasst.
- 7 Ausführlich Haake, OdW 2021, 59 (59).
- 8 Haake, OdW 2021, 201 (204) und OdW 2022, 215 (216 ff.).
- 9 Vgl. Dieterich, NVwZ 2021, 511 (519).
- 10 So zuletzt VG Köln, Beschluss v. 15.7.2022 – 6 L 651/22, welches beieiner Störung beim Zugang zur Online-Klausur eine Würdigung der Gesamtumstände vornahm und zum Ergebnis kam, dass die
dieser nicht mehr auf die Beachtlichkeit des Fehlers be- rufen. Bei Verdacht einer „Flucht in die technische Stö- rung“ liege es im Ermessen der Prüfungsbehörde, für die Wiederholungsprüfung eine Einzelprüfung in den Räu- men der Hochschule durchzuführen, um eine solche er- neute Möglichkeit auszuschließen, welche dafür keine gesonderte Rechtsgrundlage benötige.11 Um Störungen und Fehler im Prüfungsverfahren von Anfang an zu ver- meiden, rieten Fischer und Dieterich dazu, klare techni- sche Vorgaben zu machen12 und ggf. Tutorials oder ei- nen Probedurchgang anzubieten.
Zahlreiche gerichtliche Entscheidungen zu Online- Prüfungen befassten sich mit der Frage der Täuschung bei der Erbringung der Prüfungsleistung. Dies zeige, dass die Täuschungsanfälligkeit bei Online-Prüfungen groß sei, insbesondere vor dem Hintergrund erschwerter Aufsichtsmöglichkeiten. Die Täuschung habe dabei so- wohl eine objektive als auch subjektive Komponente. Objektiv sei eine Täuschungshandlung erforderlich, also die Vorspiegelung einer selbstständigen und regulären Prüfungsleistung, obwohl in Wahrheit unerlaubte bzw. nicht offen gelegte Hilfen genutzt werden. Dies sei etwa bei unerlaubter Zusammenarbeit oder Verwendung nicht freigegebener Hilfsmittel, insbesondere auch bei der (nicht zugelassenen) Nutzung von Künstlicher Intel- ligenz wie ChatGPT der Fall. Die Grenze zwischen einer zulässigen Vorbereitung13 und einer sanktionswürdigen Täuschungshandlung werde übertreten, wenn der Prüf- ling bei Beginn der Prüfung das unzulässige Hilfsmittel bei sich führe, nicht erst, wenn auf das Hilfsmittel zu- rückgegriffen werde. Es reiche für eine objektive Täu- schungshandlung daher beispielsweise aus, das Smart- phone mit zum Prüfungsplatz zu nehmen, obwohl dies nicht zulässig sei. Zudem müsse in subjektiver Hinsicht noch der zumindest bedingte Vorsatz zur Täuschung hinzukommen.
Bereits aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebe sich, dass die Rechtsfolgen der Täuschung in der jeweiligen Prü- fungsordnung geregelt sein müssten. Da die Sanktion re- gelmäßig im Nichtbestehen bis hin zur Exmatrikulation liege, seien dies schwerwiegende Rechtsfolgen, die un- mittelbar die Grundrechte des Prüflings berühren. Die Prüfungsordnung solle deshalb unterschiedliche Sankti-
Hochschule hierfür verantwortlich (und die Prüfung somit zu wie- derholen) sei, da nicht auf das Erfordernis der aktuellsten Version des Browsers Google Chrome hingewiesen worden sei.
11 Vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil v. 26.4.2021 – 6 K 957/20.
12 VG Köln, Beschluss v. 15.7.2022 – 6 L 651/22.
13 Sächs. OVG, Beschluss v. 16.2.2022 – 2 B 274/21 zur gemeinsamen
Erstellung von Lernmaterialien, Besprechung bei Morgenroth, OdW 2022, 273 ff.
onsregelungen je nach Schwere des Verstoßes treffen, vom Nichtbestehen der Prüfung bis zu einer Versagung weiterer Prüfungschancen.14 Bei der Entscheidung über die konkrete Sanktionierung sei dann insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu beachten, indem die Rechte des Prüflings aus Art. 12 Abs. 1 GG mit dem Interesse der Hochschule an der Redlichkeit der Wissen- schaft sowie der Gewährleistung der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG) abgewogen werden.
Die Prüfungsbehörde treffe die Beweislast im Hin- blick auf die objektive Täuschungshandlung und den Täuschungsvorsatz. Allerdings könne die Beweisfüh- rung durch das Führen eines Anscheinsbeweises erleich- tert werden.15 Im Rahmen der freien Beweiswürdigung werde hierbei die allgemeine Lebenserfahrung berück- sichtigt, wenn nach dieser ein typischer Geschehensab- lauf auf eine bestimmte Ursache oder Folge hindeute. Dies sei z.B. bei deckungsgleichen Arbeiten, insbesonde- re bei Fehleridentität der Fall: die unerlaubte Zusam- menarbeit erscheine dann nach der allgemeinen Lebens- erfahrung naheliegend.16 Es bleibe dem Prüfling aller- dings unbenommen, den Anscheinsbeweis zu erschüt- tern und einen atypischen Geschehensablauf nachzuweisen.
Der Anscheinsbeweis könne sowohl für die objekti- ve als auch die subjektive Komponente der Täuschung geführt werden, z.B. auch für das bewusste Mitführen ei- nes Smartphones als unerlaubtes Hilfsmittel.17
Fischer und Dieterich warnten vor einer „Flucht in die prüfungsrechtliche Ohnmacht“: Um die Zweckmä- ßigkeit der Prüfung für die Berufsqualifikation und die Chancengleichheit i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG aufrechtzuer- halten, seien die Prüfungsbehörden zudem zu einem Mindestmaß an Täuschungsabwehrmaßnahmen ver- pflichtet. Schließlich komme auch die Allgemeinheit später mit der beruflichen Leistungserbringung in Be- rührung und habe ein Recht darauf, dass die Eignung für den Beruf durch eine zweckmäßige, insbesondere hin- reichend aussagekräftige, Prüfung nachgewiesen wurde, z.B. im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG für die Tätigkeit eines Arztes. Überdies sei die Chancen- gleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG im Hinblick auf diejenigen Prüflinge verletzt, die nur mit zugelassenen Hilfsmitteln arbeiten. Weitreichende Täu-
14 So z.B. VG Berlin, Urteil v. 6.2.2023 – 12 K 52/22.
15 So für das Prüfungsrecht schon vor der Covid-19-Pandemie das
BVerwG, Beschluss v. 23.1.2018 – 6 B 67.17.
16 S. z.B. VG Berlin, Beschluss v. 28.1.2022 – 12 K 65/21; Urteil v.
6.2.2023 – 12 K 52/22.
schungen können zudem auch die relative Bewertungs- ebene der Korrektoren verschieben.18
Nach Fischer und Dieterich sollten daher sowohl „sanfte“ Gegenmaßnahmen zur Täuschungsprävention ergriffen werden, um Täuschungshandlungen von Vorn- herein zu erschweren, z.B. ein hoher Zeitdruck, das Er- fordernis handschriftlicher Ausarbeitungen, die Umstel- lung auf Hausarbeiten oder die Auswahl randomisierter Fragen und Fragereihenfolgen. Diese „sanften Maßnah- men“ zur Täuschungsabwehr könnten jedoch keinen Er- satz für eine Aufsicht bei Aufsichtsarbeiten (Klausuren) darstellen, sondern nur zusätzlich ergriffen werden. „Harte“ Gegenmaßnahmen, die daten- und persönlich- keitsrechtliche Fragen aufwerfen, könnten zudem die Authentifizierung mittels Ausweises bzw. Lichtbildes vor der Prüfung bzw. die Videoaufsicht oder Nutzung eines Lockdown-Browsers während der Prüfung sein. Zur rechtssicheren Täuschungsprävention sei zu beachten, dass insbesondere bei Open-Book-Prüfungen nicht ohne weiteres von einer Zitierpflicht bzgl. verwendeter Quellen ausgegangen werden könne.19 Hier seien des- halb eindeutige Hinweise der Prüfungsbehörde erfor- derlich, welche Anforderungen bei den unterschiedli- chen Prüfungsformaten gestellt werden.
Überdies stelle die Nutzung künstlicher Intelligenz das Prüfungsrecht vor große Herausforderungen. Die unerlaubte oder (erlaubte, aber) ungekennzeichnete Verwendung von Ergebnissen, die mittels ChatGPT er- zeugt worden sind, stelle nach prüfungsrechtlichen Grundsätzen eine Täuschung dar, da eine selbstständige Prüfungsleistung vorgespiegelt werde, jedoch mangels eigener Formulierung keine eigenständige Leistung vor- liege. Ein Plagiat dürfte hingegen mangels zitierfähiger Quelle nicht vorliegen. Zur Inspiration dürfe KI aller- dings genutzt werden, wenn dies einem wissenschaftli- chen Austausch gleiche, nur die Antworten dürften nicht in die Arbeit kopiert werden. Eine Sanktionierung der unerlaubten bzw. nicht offen gelegten Nutzung von ChatGPT sei meist bereits durch die bestehenden Prü- fungsordnungen rechtlich möglich. Problematisch sei vielmehr die Nachweisbarkeit solcher unter Einsatz von KI erfolgter Täuschungen.
Es seien zwei verschiedene prüfungsrechtliche Reak- tionsmöglichkeiten gegeben: Es könne versucht werden, die Nutzung von KI zu verhindern, indem hauptsächlich
17 OVG NRW, Beschluss v. 16.2.2021 – 6 B 1868/20.
18 So im Zusammenhang mit Täuschungen bei Online-Prüfungen
VG Frankfurt/Oder, Beschluss v. 11.5.2021 – VG 1 L 124/21. 19 So VG Dresden, Beschluss v. 16.2.2021 – 5 L 5/21.
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Präsenzprüfungen durchgeführt würden. Zur Unterbin- dung der Nutzung in Hausarbeiten schlugen Fischer und Dieterich die Kombination der Prüfungsleistung aus der Hausarbeit und einer anschließenden Disputatio vor, um zu überprüfen, ob der Prüfling die Leistung tatsäch- lich durchdrungen habe. Zudem könne der Leistungs- prozess in die Bewertung eingehen, indem z.B. mit den Prüflingen im Laufe des Prozesses über die Zwischener- gebnisse diskutiert werde. Ferner könnten die Aufgaben- stellungen geändert werden, sodass keine reine Wissens- abfrage stattfinde. Es könne z.B. die Verwendung be- stimmter Quellen oder Aufbautechniken in der Hausar- beit vorausgesetzt werden, welche in der Lehrveranstaltung behandelt wurden. Dies erschwere, eine Lösung mit Hilfe der KI zu erarbeiten.
Als weitere Reaktionsmöglichkeit sei auch die aus- drückliche Zulassung der Nutzung von KI denkbar: Wäre dies für alle Prüflinge möglich, bleibe deren Chan- cengleichheit gewahrt. Hier müsse dann aber gewähr- leistet sein, dass der Zweck der Prüfung, namentlich die Abfrage von Kompetenzen, die für den späteren Beruf erforderlich sind, erhalten bleibt.
II. Datenschutz im digitalen Zeitalter
Daraufhin setzte sich Prof. Dr. Rolf Schwartmann (Tech- nische Hochschule Köln und Leiter der Kölner For- schungsstelle für Medienrecht) mit aktuellen daten- schutzrechtlichen Fragestellungen rund um Online- Prüfungen auseinander.20
Zunächst ging Schwartmann ausführlich auf Her- ausforderungen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Large Language Models (LLM) wie ChatGPT und anderen Bots in Prüfungen ein, welche Texte, Bilder oder ähnliches generieren. In LLM wie ChatGPT basiert die Auswahl der Ergebnisse von Anfragen („prompts“) auf einer Wahrscheinlichkeitsverteilung, die sich sto- chastisch aus dem Kontext der vorhergehenden Wörter ergibt. Es handele sich somit um eine Simulation auf Grundlage des vorherigen Trainings der Datenbasis des Sprachmodells. Da diese offenkundig auch aus falschen Tatsachen bestehen, seien Chat Bots wie ChatGPT problematisch.21
Bei der Verwendung solcher generativer KI sei zwi- schen Lehre und Prüfungen zu differenzieren: Es sei möglich, diese bewusst in der Lehre einzusetzen. Eine Verwendung in Prüfungen sei jedoch auszuschließen.
20 Schwartmann ist zudem Sachverständiger des Deutschen Hoch- schulverbandes für IT- und Datenrecht und Vorsitzender der Ge- sellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD) e.V. sowie Herausgeber der datenschutzrechtlichen Kommentare Schwart-
Dies sei allein schon der Vielzahl von Unsicherheiten und Unterschiedlichkeiten bzgl. der Datenbasis der Bots, welche auch von den genutzten Standorten abhängig sei, sowie der stochastischen Programmierung geschuldet. Aufgrund dieser technischen Bedingungen wiederholen sich die Antworten nicht, der Nutzer erhalte keine repro- duzierbaren Ergebnisse, weshalb Schwartmann auch die Zitierfähigkeit von ChatGPT als Quelle entschieden ab- lehnte. Mangels Reproduzierbarkeit seien die Antworten nicht wissenschaftlich überprüfbar.
In Prüfungen müsse die Verwendung durch die Prüf- linge deshalb unterbunden werden. Es sei lediglich vor- stellbar, dass die Prüfungsbehörde durch die KI einen Text generierte, welche die Prüflinge bewerten müssten. Die Prüflinge jedoch als Prüfungsleistung selbst etwas generieren zu lassen, führe aufgrund der technischen Besonderheiten immer zu anderen Ergebnisse und ver- stoße daher gegen die prüfungsrechtliche Chancen- gleichheit des Art. 3 Abs. 1 GG.
Zum Ausschluss der Nutzung von Bots durch Prüf- linge könne daher in die Prüfungsordnung aufgenom- men werden, dass KI-basierte Systeme (z.B. LLM wie ChatGPT) grundsätzlich keine zulässigen Hilfs- mittel seien. Über Ausnahmen entscheide der Prüfungsausschuss.
In Klausuren und mündlichen Prüfungen sowie Prä- sentationen sei die Nutzung von LLM auch zu verhin- dern. Schwierigkeiten bereiten hingegen Hausarbeiten: Die Überprüfung der selbstständigen Erstellung der Prüfungsleistung sei nicht möglich. Anders als bei Plagi- aten könne keine Software die Nutzung eines Bots wie ChatGPT nachweisen. Für den Nachweis der Täuschung trage aber die Prüfungsbehörde die Beweislast. Insbe- sondere angesichts der schnellen Entwicklung der KI sei es nicht möglich, mithilfe eines Programms einen siche- ren Nachweis einer Nutzung zu führen.
Schwartmann plädierte daher ähnlich wie Fischer und Dieterich dafür, reine Hausarbeiten durch eine Prü- fungsleistung, welche aus der Kombination aus einer Hausarbeit sowie einer mündlichen Prüfung bestehe, zu ersetzen. Nach der Anfertigung der Hausarbeit könne so in einer mündlichen Prüfung abgeprüft werden, ob der Prüfling das in der Vorlesung behandelte Wissen tat- sächlich durchdrungen habe. Bei einer reinen Verteidi- gung der Arbeit könne dies jedoch nicht nachgewiesen werden, sodass Schwartmann eine ggf. von dem Stoff der Hausarbeit losgelöste mündliche Prüfung favorisierte.
mann/Jaspers/Thüsing/Kugelmann, Heidelberger Kommentar zu DS-GVO/BDSG und Schwartmann/Pabst, Kommentar zum LDG NRW.
21 Dazu Schwartmann, Forschung & Lehre 2023, 414 f.
Bei einfachen Hausarbeiten sei diese Änderung „im lau- fenden Geschäft“ möglich, bei Abschlussarbeiten wie Master- und Bachelorarbeiten müsse die Prüfungsbe- hörde dazu jedoch die Formulierung ihrer Prüfungsord- nung überprüfen und diese ggf. geändert werden. Dies könne auch bei der Akkreditierung und Re-Akkreditie- rungen zu berücksichtigen sein.
Die Durchführung von Fernklausuren sieht Schwart- mann weiterhin als schwierig an.22 Da sich unter Klausu- ren Aufsichtsarbeiten verstehen lassen, werden diese mittels Videoaufsicht beaufsichtigt. Da jedoch die Open Book-Arbeit ohne Aufsicht als schriftliche Arbeit ein milderes Mittel darstelle, seien Fernklausuren unter Vi- deoaufsicht meist nicht zur Durchführung einer schrift- lichen Online-Prüfung erforderlich. Zwar handele es sich um eine andere Prüfungsform, namentlich eine Hausarbeit anstelle einer Klausur, es können aber oft trotzdem ähnliche Kompetenzen wie in einer Klausur abgefragt werden. In vielen Fällen seien daher weniger eingriffsintensive Alternativen vorhanden. Eine Recht- fertigung der Videoüberwachung nach Art.6Abs.1lit.e)DS-GVOgelingedaherinvielenFäl- len nicht. Zudem bezweifelt Schwartmann weiterhin die Eignung der Videoaufsicht zur Täuschungsprävention, da diese außerhalb des Erfassungsbereichs der Kamera weiterhin problemlos möglich seien.
Die Durchführung einer Videoaufsicht sei auch nicht durch Einholen einer Einwilligung der Prüflinge nach Art. 6 Abs. 1 lit. a) DS-GVO zu rechtfertigen. Denn für eine wirksame Einwilligung fehle es an deren Freiwillig- keit i.S.d. Art. 7 Abs. 4 DS-GVO. Selbst beim Angebot ei- ner alternativen Präsenzprüfung habe zumindest zu Zei- ten der Covid-19-Pandemie wegen der Gefahr der Infek- tion keine Freiwilligkeit vorgelegen.
Über datenschutzrechtliche Probleme helfe auch kei- ne Erlaubnis zur Videoaufsicht durch den Landesgesetz- oder ‑verordnungsgeber hinweg: Auch diese müssen sich an der höherrangigen DS-GVO messen lassen.
Anders als ein Verstoß gegen das Prüfungsrecht möge eine datenschutzrechtliche Verletzung nicht zu Fehlern im Verfahren oder der Bewertung der Prüfung führen. Dies könne nach § 46 VwVfG (ggf. analog) nur der Fall sein, wenn sich der datenschutzrechtliche Ver- stoß auf das Ergebnis der Prüfung auswirke.23 Allerdings
- 22 S. Haake, OdW 2022, 215 (219). Insbesondere sei weiterhin das Proctoring, also die Videoaufsicht mittels einer dafür vorge- sehenen Software abzulehnen, da darin ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integ- rität informationstechnischer Systeme aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG liege.
- 23 Dies lehnten sowohl Schwartmann als auch Fischer und Dieterich bereits in vorherigen Diskussionen ab, Haake,
wies Schwartmann erneut darauf hin, dass ein Verstoß die Sanktionsmöglichkeiten der DS-GVO auslöse. Ein Bußgeld nach Art. 83 DS-GVO sei gem. § 43 Abs. 3 BDSG zwar für öffentliche Stellen wie staatliche Hochschulen ausgeschlossen. In Betracht kämen allerdings Schadens- ersatzansprüche gegen die Hochschule nach Art. 82 DS- GVO. Demnach kann der Ersatz eines materiellen oder immateriellen Schadens aufgrund einer Datenschutzver- letzung verlangt werden. Die DS-GVO kenne daher auch anders als das deutsche Recht keine Bagatellgrenze, wel- che für die Geltendmachung eines Schmerzensgeldan- spruchs überschritten werden müsse. Der Schaden kön- ne bereits im Unwohlsein der Betroffenen über den Kon- trollverlust ihrer rechtswidrigen Datenverarbeitung lie- gen.24 Insbesondere vor diesem Hintergrund warnte Schwartmann vor datenschutzrechtlichen Rechtsstreitig- keiten mit Schadensersatzforderungen der Studierenden.
III. Fragerunde / Diskussion
Anschließend beantworteten die drei Referenten zunächst im Vorfeld eingereichte Fragen der Tagungs- teilnehmenden. Diese Fragerunde und die anschließen- de Diskussion wurden von Prof. Ulf Pallme König25 und Prof. Dr. Volker Epping moderiert.
Zum Führen eines Anscheinsbeweises über die un- zulässige Zusammenarbeit während einer Online-Prü- fung sei laut Fischer und Dieterich nicht allein das gleich- zeitige Absenden der Antworten geeignet, welches am elektronischen Zeitstempel erkennbar sei. Es müssen weitere Anhaltspunkte wie beispielsweise Fehleridentität hinzukommen.
Fehleridentität oder eine Vielzahl gleichlautender Lösungen müsse nicht zwingend das Ergebnis einer un- erlaubten Zusammenarbeit von Prüflingen sein, sondern könne auch darauf zurückzuführen sein, dass von einem Prüfling abgeschrieben wurde. Der Urheber der Lösung begehe dabei keinen Täuschungsversuch durch das Ab- schreibenlassen. Für eine Sanktionierung dieser – von der Prüfungsbehörde nachzuweisenden – unzulässigen Beeinflussung der Prüfung sei wegen des Gesetzesvorbe- halts daher eine eigene Rechtsgrundlage in der Prü- fungsordnung erforderlich.26
OdW 2021, 201 (205).
24 EuGH, Urteil v. 4.5.2023 – C‑300/21.
25 Pallme König ist Kanzler der Universität Düsseldorf a.D. und
Vorstandsmitglied des Vereins zur Förderung des deutschen und
internationalen Wissenschaftrechts.
26 Dieses Verhalten sei in vielen Prüfungsordnungen als „unzulässige
Beeinflussung der Prüfung“ oder „Störung des ordnungsgemäßen Prüfungsablaufs“ sanktioniert.
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Was die Mitnahme von eigenen Geräten wie Lap- tops angeht, so treffe die Prüflinge aus dem Grundsatz von Treu und Glauben eine Mitwirkungspflicht dahinge- hend, dass die Prüfungsbehörden eine heutzutage übli- che technische Ausstattung grundsätzlich voraussetzen können. Ähnlich wie zum Gebrauch eines eigenen Ta- schenrechners oder Buches könnten diese deshalb aus prüfungsrechtlicher Sicht auch zur Verwendung eines eigenenLaptopsverpflichten.MachederPrüflingaller- dings im Einzelfall glaubhaft, dass er über keinen Laptop verfüge, müsse die Hochschule Abhilfe schaffen. Trete am (eigenen) Gerät in der Prüfung ein Defekt auf, liege das grundsätzlich in der Verantwortungssphäre des Prüflings. Die Hochschule sei nicht verpflichtet, ein Er- satzgerät während der Prüfung bereit zu stellen. Aus Ku- lanz sei jedoch zu empfehlen, einige Ersatzstücke vorzuhalten.
Dagegen sah Schwartmann das Mitbringen des eige- nen Laptops zu Prüfungszwecken kritisch: Denn wie an- dere private Hilfsmittel müssten diese zur Täuschungs- prävention im Vorfeld oder während der Prüfung kont- rolliert werden. Dies sei bei einem Laptop jedoch nicht das gleiche wie bei einem Taschenrechner: Bei der Kon- trolle des Inhalts eines privaten Laptops gerate die Prü- fungsbehörde in Kollision mit dem Grundrecht auf Ge- währleistung und Integrität informationstechnischer Systeme des Prüflings und verarbeite dessen personen- bezogene Daten, ohne dass dies erforderlich sei. Auch eine Einwilligung des Prüflings helfe darüber nicht hin- weg, da diese nicht freiwillig sein könne, wenn der Prüf- ling auf andere Weise nicht an der Prüfung teilnehmen könne. Es handele sich daher um einen datenschutz- rechtlichen Verstoß, der vermieden werden sollte, indem die Hochschule eigene Geräte bereitstelle.
Fischer und Dieterich stimmten Schwartmann in der Hinsicht zu, dass ein Verstoß gegen das Datenschutz- recht grundsätzlich nicht auf das Prüfungsrecht durch- schlage und zur Fehlerhaftigkeit der Prüfung führe. Sie wiesen jedoch darauf hin, dass ein Datenschutzverstoß ggf. Probleme beim Nachweis einer Täuschung bereiten könne: Solle dieser mittels einer datenschutzrechtswidri- gen Proctoring-Software geführt werden, möge diese für die Beweisführung ungeeignet sein. Der Beweis wäre dann auf rechtswidrige Weise erlangt, sodass ggf. an ein Beweisverwertungsverbot ähnlich wie im Strafprozess zu denken sei.
In Zusammenhang mit der erlaubten Nutzung von ChatGPT durch Studierende in Lehre und Prüfungen warf Schwartmann die Frage auf, wie es mit der Haftung für Rechtsverstöße aussehe, entweder bei Datenschutz-
oder Urheberrechtsverstößen der KI, indem diese bei- spielsweise Interviews mit realen Personen erfinde. Un- geklärt bleibe, wem solche Verstöße zuzurechnen seien. Zudem sei undurchsichtig, welche Daten ihrer Nutzer die KI selbst zu welchen Zwecken verarbeite und spei- chere. Bevor Bots wie ChatGPT als „general purpose“ Anwendungen in Lehre und Prüfungen verwendet werden, seien diese Fragen dringend zu klären. Die sei allein schon der Pflichten der Hochschule aus Art. 32 ff. DS-GVO, insbesondere der Pflicht zur Daten- schutz-Folgenabschätzung des Art. 35 geschuldet, welche ohne Klarheit über diese Fragen nicht möglich sei.
Was den Ausschluss von ChatGPT von der Liste zu- lässiger Hilfsmittel angeht, so stellten die Referenten klar, dass die Schwierigkeit der Überprüfung und des Nachweises nicht die rechtliche Option des Ausschlusses verschließe. Nur, wenn nicht mehr überprüfbar sei, ob eine eigenständige Leistung vorliege, habe die Prüfung keinen Aussagegehalt mehr, sodass deren Zweck vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 1 GG nicht mehr er- füllt werden könne.
Fischer und Dieterich stellten klar, dass das Führen ei- nes Anscheinsbeweises für die Nutzung von ChatGPT vom Einzelfall abhängig bleibe: Brüche in der Formulie- rung oder Argumentation reichten dafür regelmäßig nicht allein aus, da dies insbesondere bei längeren Arbei- ten auch mit der gleichen Wahrscheinlichkeit aus ande- ren Umständen herrühren könne. Ferner gebe es auch manche Programme, die ggf. Hinweise auf die Nutzung von ChatGPT lieferten. Manche Hochschulen wählten z.B. auch versteckte Werte und Begriffe, welche erst beim Einkopieren der Prüfungsaufgabe in ein Programm sichtbar würden und dazu führten, die unerlaubte Ver- wendung von Hilfsmitteln aufzudecken. Darüber hinaus plädierten Fischer und Dieterich insbesondere auch für eine Anpassung der Aufgabenstellungen, um die Nut- zung von Bots zu vermeiden (z.B. die Einbeziehung von Methoden und Quellen aus der Lehrveranstaltung).
Will die Hochschule die Nutzung von KI in Prüfun- gen dagegen zulassen, so herrschte unter den Referenten Uneinigkeit hinsichtlich der Zitierfähigkeit von Bots wie ChatGPT.
Es handele sich nach Fischer und Dieterich zwar nicht um eine zitierfähige Quelle im klassischen Sinne, da kei- ne geistige Eigenleistung vorliege, die einer Person zuzu- ordnen sei, sodass es an einem identifizierbaren Urheber fehle. Ein Verweis auf den jeweiligen „Prompt“ sei auch nicht als Beleg geeignet, da sich die KI-basierte Antwort hierauf jederzeit ändern könne. Es sei aber denkbar, die Antworten von ChatGPT als Anlage einer Hausarbeit
beizufügen, wenn dies von der Prüfungsbehörde vorge- geben werde, etwa als Screenshot einer Kommunikation mit ChatGPT. In prüfungsrechtlicher Hinsicht könne auf diese Weise zumindest das Maß an Eigenständigkeit, mit welcher der Prüfling die Leistung erbracht habe, nachge- wiesen werden. Dagegen hielt Schwartmann ChatGPT auch auf diese Weise nicht für zitierfähig. Auch die An- lagen seien nicht reproduzier- und damit nicht über- prüfbar, sodass die Prüfungsbehörde nicht kontrollieren könne, ob es sich um ein Fehlzitat handele.
IV. Resümee und Ausblick
Nach der Rückkehr in den „Normalbetrieb“ der Hoch- schulen mit dem Ende der Covid-19-Pandemie werden digitale Formate da bestehen bleiben, wo sie einen Mehr- wert für Lehre und Prüfungen bieten. Zumindest in prü- fungsrechtlicher Hinsicht bestehen drei Jahre nach Beginn der Pandemie genug Judikate, um rechtssicher digitale Prüfungen durchzuführen. In datenschutzrecht- licher Hinsicht ist dagegen bisher keine richtungswei- sende gerichtliche Entscheidung erfolgt. Dies mag auch der Zuständigkeit des EuGH für die Auslegung der DS- GVO geschuldet sein und hat zur Folge, dass die Hoch-
schulen eigene datenschutzrechtliche Risikoabwägungen vornehmen müssen.
Seit Ende letzten Jahres beschäftigt die Prüfungsbe- hörden zunehmend die Nutzung von Bots wie ChatGPT durch die Prüflinge. Dazu bestehen viele ungeklärte Fra- gen, insbesondere auf praktischer Ebene: Dass die uner- laubte Nutzung eine Täuschung darstellt, mag festste- hen, diese nachzuweisen, fällt dagegen jedoch erheblich schwerer.
Epping betonte allerdings, dass die Hochschulen In- novationen wie ChatGPT nicht ignorieren dürften: Statt- dessen solle der Entwicklung Rechnung getragen wer- den und die Hochschulen müssen ggf. andere Prüfungs- formen entwickeln, um eigenständige Leistungen durch die Prüflinge sicherzustellen.
Stückradt resümierte, dass die Nutzung künstlicher Intelligenz durch Studierende und Prüflinge in Zukunft ein Schwerpunktthema sein könnte. Deshalb bestehe ggf. in Zukunft das Bedürfnis, sich mit dieser in einer ge- sonderten Veranstaltung auseinanderzusetzen.
Karoline Haake ist Rechtsreferendarin am Oberlan- desgericht Celle und Doktorandin an der Leibniz Uni- versität Hannover.
Haake · Prüfungen im digitalen Zeitalter 2 4 1
242 ORDNUNG DER WISSENSCHAFT 4 (2023), 235–242