Menü Schließen
Klicke hier zur PDF-Version des Beitrags!

I. Ein­lei­tung
Die Coro­na-Pan­de­mie hat der Res­sort­for­schung in mehr­fa­cher Hin­sicht zu unge­ahn­ter Auf­merk­sam­keit ver­hol­fen. Zum einen wur­den Insti­tu­tio­nen der Res­sort­for­schung, dar­un­ter das Robert Koch-Insti­tut, funk­tio­nal-poli­tisch beson­ders rele­vant und ent­fal­te­ten eine medi­al zuvor nicht gekann­te Prä­senz, zum ande­ren wur­de die schon in den 1960er Jah­ren einen ers­ten Höhe­punkt erle­ben­de Fra­ge nach dem ange­mes­se­nen Ver­hält­nis von wis­sen­schaft­li­chen Exper­ten und poli­ti­schen Ent­schei­dern, in deren Rah­men die insti­tu­tio­na­li­sier­te Res­sort­for­schung eine Son­der­stel­lung ein­nimmt, durch die Pan­de­mie wie­der in den Fokus gerückt. Die Pan­de­mie­be­wäl­ti­gung warf die Fra­ge auf, wel­chen Ein­fluss eine Res­sort­for­schungs­ein­rich­tung auf die poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen hat bzw. ob sie auch zu regu­la­to­ri­schen Instru­men­ten ermäch­tigt wer­den soll­te und ließ damit die Pro­ble­ma­tik um die Tren­nung oder Sym­bio­se von Risi­ko­be­wer­tun­gen und poli­ti­schen Risi­koent­schei­dun­gen viru­lent wer­den. Bei der gericht­li­chen Über­prü­fung von staat­lich ver­ord­ne­ten Coro­na-Maß­nah­men stell­ten sich ganz kon­kret auch Fra­gen nach den Ein­schät­zungs­spiel­räu­men von Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen. Der vor­lie­gen­de Bei­trag soll in die recht­li­che Dimen­si­on der Res­sort­for­schung einführen,1 die trotz ihrer weit­rei­chen­den Bedeu­tung in der Pra­xis noch immer ein gewis­ses Nischen­da­sein im Wis­sen­schafts­recht führt2.
Die Unsicht­bar­keit der Res­sort­for­schung als eige­ne For­schungs­säu­le liegt in ihrer dop­pel­ten Sys­tem­zu­ge­hö­rig­keit begrün­det, aber auch in ihrer hete­ro­ge­nen Struk­tur als his­to­risch gewach­se­nes Phä­no­men, das durch sach­li­che und poli­ti­sche Not­wen­dig­kei­ten geformt wur­de. Im Sys­tem der For­schungs­land­schaft zäh­len Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen zu den außer­uni­ver­si­tä­ren For­schungs­ein­rich­tun­gen, orga­ni­sa­to­risch sind sie aber zugleich regel­mä­ßig Teil des nach­ge­ord­ne­ten Geschäfts­be­rei­ches eines Minis­te­ri­ums. Die Zuge­hö­rig­keit zur Minis­te­ri­al­ver­wal­tung im wei­te­ren Sin­ne wirft die Fra­ge auf, inwie­weit For­schung, die per defi­ni­tio­nem in ihrem Kern allein wis­sen­schaft­li­chen und nicht poli­ti­schen Vor­ga­ben fol­gen darf, im Rah­men einer Bun­des­ober­be­hör­de zuläs­sig ist und unter wel­chen Umstän­den Res­sort­for­schung gebo­ten sein kann. Poli­ti­sches Han­deln ist auf eine macht­er­hal­ten­de Pro­blem­lö­sung gerich­tet und erfragt von der Wis­sen­schaft vor allem Ein­deu­tig­keit und dadurch geschaf­fe­ne Legi­ti­ma­ti­on der Ent­schei­dun­gen, wohin­ge­gen die Wis­sen­schaft dahin strebt, sich „ernst­haft und plan­mä­ßig“ dem Unge­wis­sen zur Erkennt­nis­ge­win­nung bzw. der „Ermitt­lung der Wahr­heit“ zu widmen.3
Auf­ga­be und Funk­ti­on der Res­sort­for­schung ist es, die Minis­te­ri­al­ver­wal­tung in Wahr­neh­mung ihrer Auf­ga­ben wis­sen­schaft­lich zu unter­stüt­zen. Dadurch sol­len poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen und das Ver­wal­tungs­han­deln eine Rück­bin­dung zur Wis­sen­schaft erhal­ten und den Kri­te­ri­en ratio­na­len Staats­han­delns gerecht wer­den. Dabei kann das Auf­ga­ben­spek­trum von der Grund­la­gen­for­schung im Sin­ne einer „Vor­lauf­for­schung“ sowie der spe­zi­fi­schen Auf­trags­for­schung ein­schließ­lich von Doku­men­ta­tio­nen und Daten­samm­lun­gen als Grund­la­ge poli­ti­schen Han­delns über ver­schie­de­ne For­men lang­fris­ti­ger und kurz­fris­ti­ger wis­sen­schaft­li­cher Poli­tik­be­ra­tung bis hin zu regu­la­ti­ven Tätig­kei­ten rei­chen. Die Res­sort­for­schung beglei­tet nicht nur kon­kre­te Geset­zes­vor­ha­ben und Poli­ti­ken der Exe­ku­ti­ve, son­dern soll auch vor­aus­den­kend The­men set­zen, die für die jewei­li­gen Poli­tik­fel­der in Zukunft wich­tig wer­den kön­nen („Anten­nen­funk­ti­on“). Sie ent­zieht sich durch die­se Funk­ti­on einer sie prä­de­sti­nie­ren­den Ver­ein­nah­mung durch die Exe­ku­ti­ve.
Die Ursprün­ge der insti­tu­tio­na­li­sier­ten Res­sort­for­schung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land rei­chen bereits in die Zeit des Nord­deut­schen Bun­des zurück. So kann
A. Kata­ri­na Wei­lert
Res­sort­for­schung. Eine insti­tu­tio­na­li­sier­te
Ratio­na­li­tät im poli­tisch-guber­na­ti­ven Gefü­ge
1 Der Arti­kel basiert auf den Ergeb­nis­sen des DFG-geför­der­ten For­schungs pro­jekts zur Res­sort­for­schung, das mit der Mono­gra­phie (Habi­li­ta­ti­ons­schrift) 2022 in der Rei­he Jus Publi­cum im Ver­lag Mohr Sie­beck unter dem Titel „Res­sort­for­schung. For­schung zur Erfül­lung öffent­li­cher Auf­ga­ben unter beson­de­rer Berück­sich­ti­gung des Bereichs s taat­li­cher und uni­ons­recht­li­cher Gesund­heits­ver­ant­wor­tung“ sei­nen vor­läu­fi­gen Abschluss gefun­den hat. Wort­glei­che Zita­te aus der vor­ge­nann­ten Schrift wur­den nicht eigens gekenn­zeich­net.
2 Vgl. zu den Grün­den für die Domi­nanz des Hoch­schul­rechts im Wis­sen­schafts­recht: Schmidt-Aßmann, Die For­schung zwi­schen grund­recht­li­cher Frei­heit und s taat­li­cher Ins titu­tio­na­li­sie­rung, in: Broemel/Kuhlmann/Pilniok, FS für H.-H. Tru­te, 2023, S. 3 (4).
3 BVerfGE 35, 79 (113, juris Rn. 92) – Hoch­schul­ur­teil.
Ord­nung der Wis­sen­schaft 2023, ISSN 2197–9197
1 4 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 4 7 — 1 6 0
4 Sie­he Wei­lert Fn. 1.
5 Vgl. zu den Ratio­na­li­täts­an­for­de­run­gen des Rechtss taats prin­zips:
Britz, in: Drei­er (Hrsg.), GG, Bd. I, 3. Aufl.2013, Art. 5 III (Wis­sen­schaft)
Rn. 17; Gartz, Begrün­dungs pflicht des Gesetz­ge­bers, 2015,
S. 206 ff.; Grzes­zick, Ratio­na­li­täts­an­for­de­run­gen an die par­la­men­ta­ri­sche
Recht­set­zung im demo­kra­ti­schen Rechtss taat, VVDStRL
71 (2012), S. 49 (51 f.); Hes­se, Der Rechtss taat im Ver­fas­sungs­sys
tem des Grund­ge­set­zes, in: Hesse/Reicke/Scheuner (Hrsg.),
Staats­ver­fas­sung und Kir­chen­ord­nung, FS Rudolf Smend, 1962, S.
71 (83 f.); H. Krü­ger, All­ge­mei­ne Staats­leh­re, 1966, S. 58 ff.; Schul­ze-
Fie­litz, Ratio­na­li­tät als rechtss taat­li­ches Prin­zip für den Orga­ni­sa­ti­ons­ge­setz­ge­ber,
in: Rodi (Hrsg.), Staa­ten und Steu­ern, FS Klaus
Vogel, 2000, S. 311 ff. (ins­bes. 322); Tru­te, Die For­schung zwi­schen
grund­recht­li­cher Frei­heit und s taat­li­cher Ins titu­tio­na­li­sie­rung,
1994, S. 193 ff.; Tru­te, Die Ver­wal­tung und das Ver­wal­tungs­recht
zwi­schen gesell­schaft­li­cher Selbs tre­gu­lie­rung und s taat­li­cher
Steue­rung, DVBl 1996, S. 950 (956); Voß­kuh­le, Sach­vers tän­di­ge
Bera­tung des Staa­tes, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd.
III, 3. Aufl. 2005 § 43, ins­bes. Rn. 1.
6 Tru­te, in: Weingart/Wagner (Hrsg.), Wis­sen­schaft­li­che Poli­tik­be­ra­tung
im Pra­xis tes t, 2015, S. 115.
7 Fass­ben­der, Wis­sen als Grund­la­ge s taat­li­chen Han­delns in: Isensee/
Kirch­hof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IV, 3. Aufl. 2006, § 76.
8 Fass­ben­der, Wis­sen, Fn. 7, § 76 Rn. 2.
9 Fass­ben­der, Wis­sen, Fn. 7, § 76 Rn. 3.
10 BVerfGE 157, 30 (161 f., Rn. 240) ‒ Kli­ma­schutz.
11 BVerfGE ebd.
12 Vgl. zur Rs pr. des BVerfG nur Führ, Ratio­na­le Gesetz­ge­bung, 1998,
S. 11 ff.
13 Vgl. für eine mög­li­che metho­di­sche Aus­fül­lung von all­ge­mei­nen
Ratio­na­li­täts­an­for­de­run­gen an den Gesetz­ge­ber Führ Fn. 12, S. 32
ff.
die dama­li­ge in der Nord­deut­schen Maß- und Gewichts­ord­nung
von 1868 vor­ge­se­he­ne „Nor­mal-Eichungs-
Kom­mis­si­on“, die zen­tra­le Lei­tungs- und Auf­sichts­stel­le
für Maße und Gewich­te, als ers­te wis­sen­schaft­li­che Bun­des­be­hör­de
in Form einer Bun­des­an­stalt gel­ten. Die­se
wur­de dann spä­ter als Kai­ser­li­che-Nor­mal-Eichungs-
Kom­mis­si­on (1871 bis 1918) fort­ge­führt. Ein Mei­len­stein
war die Errich­tung des Kai­ser­li­chen Gesund­heits­am­tes
durch das Reichs­haus­halts­ge­setz von 1876, des­sen Grün­dung
dies­be­züg­li­che Kom­pe­tenz­strei­tig­kei­ten zwi­schen
den Län­dern und dem Reich vor­aus­gin­gen. Damals wie
heu­te liegt die Zustän­dig­keit für For­schung bei den Län­dern
und auch vor die­sem Hin­ter­grund sind die Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
des Bun­des in ihrer Exis­tenz
begrün­dungs­be­dürf­tig.
Der Begriff der Res­sort­for­schung kann auch auf insti­tu­tio­na­li­sier­te
poli­tik­die­nen­de For­schungs­struk­tu­ren
des Uni­ons­rechts über­tra­gen wer­den, da der aus dem
Fran­zö­si­schen stam­men­de Aus­druck „res­sort“ den Zustän­dig­keits-
oder auch Amts­be­reich bezeich­net und damit
offen ist für eine Beschrei­bung einer poli­tik­die­nen­den
For­schung auch außer­halb der deut­schen Minis­te­ri­al-
und Ver­wal­tungs­struk­tu­ren.
Im Fol­gen­den soll der zuläs­si­ge und gebo­te­ne Rah­men
von Res­sort­for­schung in eini­gen Eck­punk­ten mar­kiert
wer­den. Dabei begrenzt sich die hie­si­ge Dar­stel­lung
auf all­ge­mei­ne Struk­tu­ren der Res­sort­for­schung.
Für den Bereich der Gesund­heits­res­sort­for­schung, an
dem die­se Struk­tu­ren ver­deut­licht wer­den kön­nen, wird
auf die die­sem Bei­trag zugrun­de­lie­gen­de For­schungs­ar­beit
verwiesen.4
II. Pflicht zum wis­sens­ba­sier­ten Han­deln des Staa­tes
und der Euro­päi­schen Uni­on
Die Res­sort­for­schung fin­det ihren Aus­gangs­punkt in der
Not­wen­dig­keit, staat­li­ches Han­deln ratio­nal, effek­tiv
und ziel­füh­rend auszurichten.

  1. Ratio­na­li­täts­ge­bot
    Eine staat­li­che Pflicht zum wis­sens­ba­sier­ten poli­ti­schen
    Han­deln kann aus dem mate­ri­el­len Gehalt des Rechts­staats­prin­zips
    abge­lei­tet wer­den, das die Ratio­na­li­tät
    staat­li­chen Han­delns fordert.5 Der Staat bezieht sei­ne
    Legi­ti­mi­tät neben demo­kra­ti­scher Reprä­sen­ta­ti­on aus
    wis­sen­schaft­li­cher Rationalität.6 „Wis­sen“ gilt als die
    Grund­la­ge staat­li­chen Han­delns für den ratio­na­len
    Staat.7 Das „Vor­han­den­sein von Wis­sen“ gehört „zu den
    Grund­la­gen, den Vor­aus­set­zun­gen staat­li­chen Han­delns,
    so wie das staat­li­che Per­so­nal, die Finanz­mit­tel
    und die Orga­ni­sa­ti­on des Staates“9; „staat­li­che Ent­schei­dun­gen
    und Hand­lun­gen“ müs­sen „einer Über­prü­fung
    am Maß­stab ‚ver­nünf­ti­gen‘ Wis­sens stand­hal­ten“ . Der
    Staat muss also sein Han­deln, und zwar das exe­ku­ti­ve,
    legis­la­ti­ve und judi­ka­ti­ve, auf ent­spre­chen­des Wis­sen
    grün­den und die­ses bei­brin­gen. Schwie­ri­ger zu beur­tei­len
    ist aller­dings, in wel­cher Inten­si­tät und auf wel­che
    Wei­se der Staat Zugriff auf Wis­sen haben bzw. neh­men
    muss. Im Kli­ma­be­schluss des BVerfG10 räum­te das
    Gericht dem Gesetz­ge­ber im Hin­blick auf die Ratio­na­li­täts­an­for­de­run­gen
    einen wei­ten Spiel­raum ein. Eine
    gene­rel­le aus der Ver­fas­sung abge­lei­te­te Sach­auf­klä­rungs­pflicht
    des Gesetz­ge­bers, nach der alle zugäng­li­chen
    Erkennt­nis­quel­len aus­ge­schöpft wer­den müss­ten,
    bestün­de nicht.11 Frü­he­re Urtei­le des BVerfG haben pro­ze­du­ra­le
    Min­dest­an­for­de­run­gen (wie den Rekurs auf
    ver­läss­li­che Quel­len, eine Pro­gno­se­pflicht, Begrün­dungs­pflicht
    und ggf. die Ver­an­las­sung einer Daten­er­he­bung
    in Bezug auf die Wir­kun­gen eines Geset­zes) auf­ge­stellt.
    12
    Das Rechts­staats­prin­zip schreibt zwar kei­ne bestimm­te
    Art und Wei­se der Aus­rich­tung des staat­li­chen
    Han­delns an der Wis­sen­schaft vor,13 jedoch soll­te im Sin­ne
    eines Unter­maß­ver­bo­tes ein Min­dest­maß an Ratio­na­li­tät
    im Sin­ne einer Aus­rich­tung an wis­sen­schaft­li­chen
    Grund­la­gen gefor­dert wer­den, womit ein Auf­trag zu einer
    pro­ze­du­ra­len Aus­ge­stal­tung und Gewähr­leis­tung
    Wei­lert · Res­sort­for­schung 1 4 9
    15 Vgl. zu einer pro­ze­du­ra­len Bin­dung des Gesetz­ge­bers: Gartz Fn. 5,
    S. 181.
    15 Vgl. zu den Vor- und Nach­tei­len einer inte­gra­ti­ven Struk­tur durch
    die Res­sort­for­schung als Teil der Minis teri­al­ver­wal­tung: Wei­lert
    Fn. 1, S. 134 ff.
    16 Scott/Vos, The Juri­di­fi­ca­ti­on of Uncer­tain­ty: Obser­va­tions on the
    Ambi­va­lence of the Pre­cau­tio­na­ry Prin­ci­ple within the EU and
    the WTO, in: Joerges/Dehousse (Hrsg.), Good Gover­nan­ce in
    Europe´s Inte­gra­ted Mar­ket, 2007, S. 253 (253).
    17 Umfas­send zum unio­na­len Vor­sor­ge­prin­zip: B. Arndt, Das
    Vor­sor­ge­prin­zip im EU-Recht, 2009, S. 69 ff. Ers tmals nähe­re
    Kon­tu­ren erhielt das Vor­sor­ge­prin­zip in der Euro­päi­schen Uni­on
    durch das Grün­buch der Kom­mis­si­on, All­ge­mei­ne Grund­sät­ze
    des Lebens­mit­tel­rechts in der Euro­päi­schen Uni­on, KOM (97) 176
    endg. sowie durch Mit­tei­lung der Kom­mis­si­on, Gesund­heit der
    Ver­brau­cher und Lebens­mit­tel­si­cher­heit, KOM (97) 183 endg.;
    wei­te­re (rechts­un­ver­bind­li­che) Klä­run­gen wur­den vor­ge­nom­men
    durch Mit­tei­lung der Kom­mis­si­on, Die Anwend­bar­keit des Vor­sor­ge­prin­zips,
    KOM (2000) 1 endg.; wei­te­re Nach­wei­se bei Wei­lert
    Fn. 1, S. 389 in Anm. 9.
    18 Vgl. Alber-Mal­cho­w/Steig­le­der, Defi­ni­ti­on der Begrif­fe Wis­sen­schaft
    und For­schung – Eigen­ge­setz­lich­keit von Wis­sen­schaft und
    For­schung, in: Wag­ner (Hrsg.), Recht­li­che Rah­men­be­din­gun­gen
    für Wis­sen­schaft und For­schung, 2015, S. 23 ff. (32).
    19 Trie­pel, Die Kom­pe­ten­zen des Bun­dess taa­tes und die geschrie­be­ne
    Ver­fas­sung, in: FS Paul Laband, Bd. II, 1908, S. 303.
    20 Kött­gen, Der Ein­fluß des Bun­des auf die deut­sche Ver­wal­tung und
    die Orga­ni­sa­ti­on der bun­des­ei­ge­nen Ver­wal­tung (Berichts­zeit:
    Legis­la­tur­pe­ri­ode des 1. Bun­des tages), JöR 3 (1954), S. 67 (110 f., aller­dings
    ohne s pezi­fi­schen Rekurs auf Annex­kom­pe­tenz); Meu­sel,
    Außer­uni­ver­si­tä­re For­schung im Wis­sen­schafts­recht, 2. Aufl. 1999,
    § 6 Rn. 124 und § 14 Rn. 226; Kös tlin, Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen,
    in: Flä­mig et al. (Hrsg.), Hdb. Wis­sen­schafts­recht, Bd. II,
  2. Aufl. 1996, S. 1365 (1370); Oebb­ecke, Ver­wal­tungs­zus tän­dig­keit,
    in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 136
    Rn. 108.; Wei­lert Fn. 1, S. 236 (mit umfang­rei­chen Nach­wei­sen in
    Anmer­kung 320).
    21 Schmidt-Aßmann, Die Bun­des­kom­pe­ten­zen für die Wis­sen­schafts­för­de­rung
    nach der Föde­ra­lis­mus­re­form, in: Depen­heu­er et al.
    (Hrsg.), Staat im Wort, FS Josef Isen­see, 2007, S. 405 (419).
    ver­bun­den ist.14 Dabei soll­te gel­ten, dass der Grad der
    Wis­sen­schafts­ab­hän­gig­keit staat­li­cher Auf­ga­ben über
    das Aus­maß der Pflicht zur Bei­brin­gung wis­sen­schaft­li­cher
    Exper­ti­se ent­schei­det, sei es durch Ein­ho­lung ent­spre­chen­den
    Sach­ver­stan­des oder Vor­hal­ten des­sel­ben
    in der Ver­wal­tung. Die insti­tu­tio­na­li­sier­te Res­sort­for­schung
    ist dabei eine Mög­lich­keit des Staa­tes, dem Ratio­na­li­täts­ge­bot
    Rech­nung zu tragen.15
    Im Uni­ons­recht lässt sich eine sol­che Ratio­na­li­täts­pflicht
    aus Art. 114 Abs. 3 AEUV (jeden­falls für bin­nen­markt­po­li­ti­sches
    Han­deln) ablei­ten, aber auch aus dem ‒
    ursprüng­lich dem deut­schen Recht entspringenden16 ‒
    Vorsorgeprinzip,17 das sich, zunächst im Umwelt­recht
    behei­ma­tet, auf Uni­ons­ebe­ne mitt­ler­wei­le fest eta­bliert
    hat. Im Kern besagt das uni­ons­recht­li­che Vor­sor­ge­prin­zip,
    dass trotz bestehen­der wis­sen­schaft­li­cher Unsi­cher­heit
    das Ergrei­fen von Vor­sor­ge­maß­nah­men mög­lich ist,
    auch wenn die Wahr­schein­lich­keit für den Risi­ko­ein­tritt
    und die Schwe­re des mög­li­chen Scha­dens­aus­ma­ßes
    noch nicht hin­rei­chend abschätz­bar sind. Die Rai­son für
    die­ses Prin­zip liegt dar­in, dass wis­sen­schaft­li­che Unsi­cher­hei­ten
    bei begrün­de­ter Besorg­nis für gefähr­li­che
    Umwelt- oder Gesund­heits­schä­den dem recht­zei­ti­gen
    poli­ti­schen Han­deln nicht ent­ge­gen­ste­hen sol­len. Die­se
    Erlaub­nis zu Risi­ko­ma­nage­men­tent­schei­dun­gen in einem
    Bereich wis­sen­schaft­li­cher Unsi­cher­hei­ten setzt einen
    Pro­zess der Risi­ko­be­wer­tung vor­aus, ohne den der­ar­ti­ge
    poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen will­kür­lich wären.
    Das Ratio­na­li­täts­ge­bot ver­langt mit­hin die Ver­pflich­tung
    und Befä­hi­gung zu „infor­mier­ten“ Ent­schei­dun­gen
    und Hand­lun­gen einer demo­kra­tisch legi­ti­mier­ten Instanz.
    Infor­mier­te Ent­schei­dun­gen müs­sen nicht not­wen­di­ger­wei­se
    „rich­ti­ge“ oder „wah­re“ Ent­schei­dun­gen sein,
    aber sie soll­ten in einem den rechts­staat­li­chen Anfor­de­run­gen
    genü­gen­den Pro­zess zustan­de gekom­men sein.
    Die Ratio­na­li­täts­pflicht des Rechts­staats­prin­zips darf
    nicht dazu füh­ren, das for­ma­le Rechts­staats­prin­zip, das
    sich vor allem durch die Geset­zes­bin­dung aus­zeich­net,
    oder auch das Demo­kra­tie­prin­zip aus­zu­höh­len. Ent­schei­dun­gen
    legi­ti­mie­ren sich im Rechts­staat nicht in
    ers­ter Linie durch ihren Wahr­heits­ge­halt, son­dern durch
    ihre Rechtmäßigkeit.18
  3. For­schungs­auf­ga­ben als Annex zur sach­ge­rech­ten
    Wahr­neh­mung der Ver­wal­tungs­kom­pe­ten­zen des Bun­des
    und der unio­na­len Sach­be­reichs­kom­pe­ten­zen
    a) Annex zu Bun­des­kom­pe­ten­zen
    Eng mit dem Ratio­na­li­täts­ge­bot ver­bun­den ist die
    Begrün­dungs­li­nie der Bun­des­zu­stän­dig­keit für die For­schungs­auf­ga­ben
    der Res­sort­for­schungs­be­hör­den. Die­se
    wird – schon seit Triepel19 – im Wesent­li­chen aus der
    Annex­zu­stän­dig­keit zur sach­ge­rech­ten Wahr­neh­mung
    der jewei­li­gen (und jeweils zu expli­zie­ren­den) Bun­des­ver­wal­tungs­kom­pe­tenz
    abgeleitet.20 Die Minis­te­ri­en sol­len
    in die Lage ver­setzt wer­den, ihre Auf­ga­ben ent­spre­chend
    dem Stand von Wis­sen­schaft und For­schung aus­zu­üben.
    Die Annex­zu­stän­dig­keit mar­kiert aber zugleich
    auch die Gren­ze der Bun­des­kom­pe­tenz, denn rei­ne For­schung,
    die kei­nen minis­te­ri­el­len Nah- oder Fern­zwe­cken
    dient, kann nicht mehr mit dem Annex­ge­dan­ken
    begrün­det werden.21 Inso­fern Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    ver­wal­ten­de Auf­ga­ben (z.B. Zulas­sungs­ver­fah­ren)
    aus­füh­ren, ergibt sich eine Bun­des­zu­stän­dig­keit
    bereits direkt durch die Bun­des­ver­wal­tungs­kom­pe­tenz
    selbst, das heißt durch Spe­zi­al­zu­wei­sun­gen (vgl.
    1 5 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 4 7 — 1 6 0
    22 von Bogdandy/Wes tphal, Der recht­li­che Rah­men eines auto­no­men
    Euro­päi­schen Wis­sen­schafts­ra­tes, WissR 37 (2004), S. 224
    (234); Glaes­ner, Außer­uni­ver­si­tä­re For­schung in der euro­päi­schen
    Rechts­ord­nung, in: Flä­mig et al. (Hrsg.), Hdb. Wis­sen­schafts­recht,
    Bd. II, 2. Aufl. 1996, S. 1281 (1285 f.).
    23 So die Rs pr. seit Fédéchar, zusam­men­fas­send: Net­tes­heim, in:
    Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Euro­päi­schen
    Uni­on, Werks tand: 71. EL Augus t 2020, Art. 1 AEUV (41. EL Juli
    2020) Rn. 14.
    24 Statt vie­ler: Berg, Die öffent­lich-recht­li­che Ans talt, NJW 1985,
    S. 2294 (2297).
    25 Vgl. Gröb, Die rechts­fä­hi­ge öffent­li­che Schu­le, 2014, S. 58.
    Art. 87 Abs. 1 und Art. 87 b GG) oder über die gene­ral­klau­sel­ar­ti­ge
    Aus­nah­me­er­mäch­ti­gung nach
    Art. 87 Abs. 3 GG.
    b) Annex zu Uni­ons­kom­pe­ten­zen
    Auch im Uni­ons­recht lässt sich eine Kom­pe­tenz zur Res­sort­for­schung
    aus dem Annex­ge­dan­ken her­lei­ten. Dabei
    darf der uni­ons­recht­li­che Grund­satz der begrenz­ten
    Ein­zel­er­mäch­ti­gung (Art. 5 Abs. 1 und 2 EUV) nicht
    unter­gra­ben wer­den. Auch das Sub­si­dia­ri­täts­prin­zip fin­det
    auf die Res­sort­for­schung und For­schungs­po­li­tik der
    Uni­on Anwendung.22 In der Ter­mi­no­lo­gie des Uni­ons­rechts
    wird die Annex­kom­pe­tenz als impli­ed powers
    gefasst. Impli­ed powers wer­den ange­nom­men, wenn
    ohne die unge­schrie­be­ne Kom­pe­tenz eine vor­han­de­ne
    Kom­pe­tenz der Uni­on sinn­los wer­den wür­de bzw. wenn
    die vor­han­de­ne Vor­schrift „nicht in ver­nünf­ti­ger Wei­se
    zur Anwen­dung gelan­gen“ könnte.23 Impli­ed powers sol­len
    also die vor­han­de­nen Kom­pe­ten­zen effek­tu­ie­ren,
    nicht jedoch, wie in der EuGH-Judi­ka­tur teils zu fin­den,
    eine uni­ons­recht­li­che Auf­ga­ben- oder Ziel­vor­ga­be zu
    einer Kom­pe­tenz aus­wei­ten. Eine Res­sort­for­schungs­kom­pe­tenz
    besteht also, inso­weit sie not­wen­dig ist, um
    eine vor­han­de­ne Kom­pe­tenz sach­ge­recht aus­üben zu
    kön­nen. Die Uni­on hat im Rah­men der ihr über­tra­ge­nen
    Poli­ti­ken wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se ein­zu­ho­len
    und ein­zu­be­zie­hen.
    III. Insti­tu­tio­na­li­sier­te Ressortforschung
  4. Insti­tu­tio­na­li­sier­te Res­sort­for­schung als Hybrid: Teil
    der deut­schen Minis­te­ri­al­ver­wal­tung und Säu­le der
    außer­uni­ver­si­tä­ren For­schung
    a) Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen als Teil der Minis­te­ri­al­ver­wal­tung
    Die insti­tu­tio­na­li­sier­te Res­sort­for­schung fin­det schwer­punkt­mä­ßig
    in Bun­des­ein­rich­tun­gen mit For­schungs­und
    Ent­wick­lungs­auf­ga­ben (FuE) in behörd­li­cher Form
    statt, dane­ben bestehen auch insti­tu­tio­na­li­sier­te For­schungs­ko­ope­ra­tio­nen.
    Eine ver­wal­tungs­recht­li­che
    Beson­der­heit besteht dar­in, dass Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    als Bun­des­ober­be­hör­den regel­mä­ßig zugleich
    in der Form nicht­rechts­fä­hi­ger Anstal­ten orga­ni­siert
    sind. Der Grund für die Wahl die­ser Rechts­for­men
    liegt dar­in, dass die Res­sort­for­schung eine die­nen­de,
    aber auf­grund ihres For­schungs- und Exper­ten­cha­rak­ters
    auch eigen­stän­di­ge Funk­ti­on im Rah­men der Staats­ver­wal­tung
    ein­nimmt. Bis heu­te gibt es Unklar­hei­ten
    dar­über, durch wel­che Kri­te­ri­en sich eine nicht­rechts­fä­hi­ge
    Anstalt auszeichnet24 und wel­che Rechts­fol­gen sich
    aus ihrer Orga­ni­sa­ti­ons­form erge­ben. Mit der Bezeich­nung
    der Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen als nicht­rechts­fä­hi­ge
    Anstal­ten soll von minis­te­ri­el­ler Sei­te vor
    allem zum Aus­druck gebracht wer­den, dass es sich hier
    um ver­selbst­stän­dig­te Verwaltungseinheiten25 han­delt.
    Letzt­lich ist die Ein­ord­nung als nicht­rechts­fä­hi­ge Anstalt
    teil­wei­se his­to­ri­scher, jeden­falls vor­nehm­lich aka­de­mi­scher
    Natur, da in ers­ter Linie für die recht­li­che Ein­ord­nung
    aus­schlag­ge­bend die Tat­sa­che ist, dass es sich bei
    Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen um (selb­stän­di­ge Bun­des­ober-)
    Behör­den han­delt.
    Die Rechts­form bedingt die Mög­lich­kei­ten des staat­li­chen
    Ein­flus­ses auf die Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen.
    Das Sat­zungs­recht für die nicht­rechts­fä­hi­gen Anstal­ten
    liegt beim Bund und wird durch die Bun­des­mi­nis­te­ri­en
    nach ihrem Ermes­sen aus­ge­übt, gleich­wie die
    Minis­te­ri­en über weit­rei­chen­de Kom­pe­ten­zen im Per­so­na­lernen­nungs­recht
    für die Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    ver­fü­gen. Ins­be­son­de­re aber steht den Minis­te­ri­en
    über ihre Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen die Rechts­und
    Fach­auf­sicht zu, die jedoch ange­sichts des Cha­rak­ters
    der Ein­rich­tun­gen als wis­sen­schaft­li­che Behör­den
    scho­nend und koope­ra­tiv aus­ge­übt wird. Der recht­li­chen
    Ein­ge­bun­den­heit in das hier­ar­chi­sche Sys­tem der
    Minis­te­ri­al­ver­wal­tung steht als fak­ti­sches Gegen­ge­wicht
    die beson­de­re Sach­kom­pe­tenz der Behör­den gegen­über,
    die zu einer grö­ße­ren Unab­hän­gig­keit von der Minis­te­ri­al­ver­wal­tung
    füh­ren kann. Die Ein­bin­dung in die
    behörd­li­chen Struk­tu­ren bedeu­tet aber auch, dass Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    hoheit­li­che Tätig­kei­ten
    (z.B. im Rah­men von Zulas­sungs­ver­fah­ren) über­tra­gen
    wer­den kön­nen. Auf­grund des Res­sort­prin­zips füh­ren
    die Minis­te­ri­en in ihrem Geschäfts­be­reich die Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    im Ein­zel­nen sehr
    unter­schied­lich.
    Der Begriff „Res­sort­for­schung“ oder „Res­sort­for­schungs­ein­rich­tung“
    ist eine minis­te­ri­ell zuge­wie­se­ne
    Wei­lert · Res­sort­for­schung 1 5 1
    26 Die­se Span­nung wird ange­deu­tet bereits von Jakob, For­schungs­fi­nan­zie­rung
    durch den Bund, Der Staat 24 (1985), S. 527 (560).
    27 Vgl. zu den Auf­sichts­mit­teln der Staats­auf­sicht: Kahl, Die Staats­auf­sicht,
    2000, S. 505 f.
    28 Vgl. Meu­sel Fn. 20, § 19 Rn. 301.
    Klas­si­fi­zie­rung, kein nor­ma­ti­ver Begriff mit kla­ren recht­li­chen
    Kon­tu­ren. Dem soll hier eine nach Kri­te­ri­en defi­nier­te
    Defi­ni­ti­on ent­ge­gen­ge­setzt wer­den: Als Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    im enge­ren Sin­ne sind danach jene
    behörd­lich orga­ni­sier­ten Bun­des­ein­rich­tun­gen mit FuE­Auf­ga­ben
    zu bezeich­nen, die in rele­van­tem Umfang For­schung
    (und nicht nur For­schungs­för­de­rung) betrei­ben,
    so dass die minis­te­ri­el­le Bezeich­nung eines Insti­tuts als
    Res­sort­for­schungs­ein­rich­tung nur als rich­tungs­wei­send,
    nicht aber als kon­sti­tu­ie­rend für die Res­sort­for­schungs­ei­gen­schaft
    betrach­tet wird. Als Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    im wei­te­ren Sin­ne gel­ten die­je­ni­gen Ein­rich­tun­gen,
    die durch ent­spre­chen­de Gre­mi­en­ver­tre­tung
    von Staats­be­diens­te­ten oder auf sons­ti­ge Wei­se durch
    den Staat gesteu­ert wer­den und über­wie­gend Res­sort­for­schungs­auf­ga­ben
    wahr­neh­men, was auf die von der
    Bun­des­re­gie­rung so bezeich­ne­ten FuE-Ein­rich­tun­gen in
    kon­ti­nu­ier­li­cher Zusam­men­ar­beit zutrifft, aber auch für
    ande­re Ein­rich­tun­gen gel­ten kann, die die genann­ten
    Kri­te­ri­en erfül­len.
    b) Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen als Teil der außer­uni­ver­si­tä­ren
    For­schung
    Die Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen bil­den neben ihrer
    minis­te­ri­el­len Zuge­hö­rig­keit eine Säu­le im Rah­men der
    außer­uni­ver­si­tä­ren For­schungs­ein­rich­tun­gen. Einer­seits
    sind sie durch ihre behörd­li­che Orga­ni­sa­ti­on klar von
    ande­ren außer­uni­ver­si­tä­ren For­schungs­ein­rich­tun­gen
    abge­grenzt. Ande­rer­seits wei­chen die Rän­der zuneh­mend
    auf, da die strik­te Ver­säu­lung und Domä­nen­auf­tei­lung
    der deut­schen For­schungs­land­schaft selbst mitt­ler­wei­le
    einer fort­schrei­ten­den Ver­net­zung zwi­schen
    den außer­uni­ver­si­tä­ren For­schungs­ein­rich­tun­gen und
    Hoch­schu­len gewi­chen ist. Die Grün­de hier­für lie­gen in
    der Euro­päi­sie­rung der For­schungs­för­de­rung sowie der
    deut­schen For­schungs­po­li­tik, die durch Eta­blie­rung
    einer Kon­kur­renz um For­schungs­mit­tel und der Anfor­de­rung
    an koope­ra­ti­ves und ver­netz­tes For­schen den
    Sta­tus quo der For­schungs­land­schaft tief­grei­fend ver­än­dert
    hat.
    In der Pra­xis gibt es Über­schnei­dun­gen, da die
    Spann­brei­te zwi­schen Grund­la­gen­for­schung, ange­wand­ter
    For­schung und der Über­nah­me staat­li­cher Auf­ga­ben
    oder spe­zi­el­ler minis­te­ri­el­ler Bera­tung unter den ein­zel­nen
    Res­sort­for­schungs­in­sti­tu­ten vari­iert und auch in der
    wei­te­ren öffent­li­chen außer­uni­ver­si­tä­ren For­schung teils
    umfang­rei­che Zweck­for­schung und poli­ti­sche Bera­tung
    erfolgt.26 So deckt die Fraun­ho­fer-Gesell­schaft ent­spre­chend
    ihrer Sat­zung auch For­schungs­auf­ga­ben ab, die
    ihr von Bund und Län­dern über­tra­gen wer­den, und unter­hält
    ins­be­son­de­re vom Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um
    mit­fi­nan­zier­te wehr­wis­sen­schaft­lich for­schen­de
    Insti­tu­te. Die Helm­holtz-Gemein­schaft ver­folgt nach ihrem
    Sat­zungs­zweck lang­fris­ti­ge For­schungs­zie­le des
    Staa­tes und der Gesell­schaft (staat­li­che Vor­sor­ge­for­schung)
    und ver­bin­det Grund­la­gen- mit ange­wand­ter
    For­schung. Auch bei der Leib­niz-Gemein­schaft gibt es
    Über­schnei­dun­gen in den For­schungs­pro­jek­ten der Insti­tu­te
    zur Res­sort­for­schung. Ein­zel­ne minis­te­ri­el­le Res­sorts,
    denen Leib­niz-Ein­rich­tun­gen zuge­ord­net sind, sehen
    die­se als Teil oder Ergän­zung ihrer Res­sort­for­schung.
    Der staat­li­che Ein­fluss auf die Leib­niz-Insti­tu­te
    erfolgt nicht nur durch Ver­ga­be von ent­spre­chen­den
    Dritt­mit­teln, son­dern auch auf insti­tu­tio­nel­ler Ebe­ne
    durch ent­spre­chen­de staat­li­che Gre­mi­en­ver­tre­ter in den
    Ein­rich­tun­gen. Im Ein­zel­fall kann daher bei Leib­niz-
    Ein­rich­tun­gen die Schwel­le zu einer Res­sort­for­schungs­ein­rich­tung
    im wei­te­ren Sin­ne über­schrit­ten sein. Obwohl
    das Aus­maß der staat­li­chen Auf­sicht und Kon­trol­le
    nicht not­wen­di­ger­wei­se in Kor­re­la­ti­on zu der orga­ni­sa­to­ri­schen
    Ver­fasst­heit der For­schungs­ein­rich­tung
    steht, folgt doch aus der pri­va­ten oder öffent­li­chen Orga­ni­sa­ti­ons­form
    eine bedeu­ten­de Unter­schei­dung, da die
    Auf­sichts­mit­tel der klas­si­schen Staatsaufsicht27 nur bei
    öffent­lich-recht­lich orga­ni­sier­ten For­schungs­ein­rich­tun­gen
    ange­wen­det wer­den kön­nen, wäh­rend der Staat
    die pri­vat­recht­lich orga­ni­sier­te For­schung über die aus
    der öffent­li­chen Finan­zie­rung fol­gen­den Kon­troll­me­cha­nis­men
    (vor allem in Form von Wirt­schafts­plan­ver­hand­lun­gen,
    Neben­be­stim­mun­gen zu Zuwen­dungs­be­schei­den
    und Gre­mi­en­ver­tre­tun­gen) beauf­sich­tigt und
    steuert.28
  5. For­men einer uni­ons­recht­li­chen Res­sort­for­schung
    a) Res­sort­for­schung im Rah­men der Uni­ons­ver­wal­tung
    Die Aus­übung der der Euro­päi­schen Uni­on über­tra­ge­nen
    Poli­ti­ken und Ver­wal­tungs­kom­pe­ten­zen bedarf
    eben­so wie die Auf­ga­ben­wahr­neh­mung durch die natio­na­len
    Minis­te­ri­en der wis­sen­schaft­li­chen Bera­tung und
    Unter­stüt­zung. Zum Teil erhält die Uni­on die­se durch
    die mit­glied­staat­li­chen Res­sort­for­schungs­ar­ran­ge­ments.
    1 5 2 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 4 7 — 1 6 0
    29 von Bog­dan­dy, Die Infor­ma­ti­ons­be­zie­hun­gen im euro­päi­schen
    Ver­wal­tungs­ver­bund, in: Hoff­mann-Rie­m/­Schmidt-Aßman­n/
    Voß­kuh­le (Hrsg.), Grund­la­gen des Ver­wal­tungs­rechts, Bd. II, 3.
    Aufl. 2022, § 25 Rn. 34 ff.; Kahl, Der Euro­päi­sche Ver­wal­tungs­ver­bund:
    Struk­tu­ren – Typen – Phä­no­me­ne, Der Staat 50 (2011), S. 353
    (360, 365, 384 ff.); Schmidt-Aßmann, Ein­lei­tung: Der Euro­päi­sche
    Ver­wal­tungs­ver­bund und die Rol­le des Euro­päi­schen Ver­wal­tungs­rechts,
    in: Schmidt-Aßman­n/­Schön­dorf-Hau­bold (Hrsg.),
    Der Euro­päi­sche Ver­wal­tungs­ver­bund und die Rol­le des Euro­päi­schen
    Ver­wal­tungs­rechts, 2005, S. 1 ff.
    30 Vgl. zum Wis­sens­ma­nage­ment in der Euro­päi­schen Uni­on: Kai­ser,
    Wis­sens­ma­nage­ment im Meh­re­be­nen­sys tem, in: Schuppert/Voßkuhle
    (Hrsg.), Gover­nan­ce von und durch Wis­sen, 2008, S. 217 ff.
    31 EuGH, Rs. 9/56 (Mero­ni I/Hohe Behör­de), Urt. v. 13. Juni 1958, Slg.
    1958, 11 (36 ff.); EuGH, Rs. 10/56 (Mero­ni II/Hohe Behör­de), Urt. v.
  6. Juni 1958, Slg. 1958, 53 (75 ff.). Ein­ge­hend zu der Mero­ni-Rs pr.:
    Ber­ger, Ver­trag­lich nicht vor­ge­se­he­ne Ein­rich­tun­gen des Gemein­schafts­rechts
    mit eige­ner Rechts per­sön­lich­keit. Ihre Grün­dung
    und die Fol­gen für Rechts­schutz und Haf­tung, 1999, S. 76 ff.
    32 Über­sich­ten und Ana­ly­sen der Rs pr. fin­den sich bei: Cal­liess, in:
    Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 13 EUV
    Rn. 47 ff.; Ora­tor, Mög­lich­kei­ten und Gren­zen der Ein­rich­tung
    von Uni­ons­agen­tu­ren, 2017, S. 235 ff.; Bie­nert, Euro­päi­sche Regu­lie­rungs­agen­tu­ren,
    2018, S. 111 ff.
    Der Rekurs der euro­päi­schen Guber­na­ti­ve und Ver­wal­tung
    auf mit­glied­staat­li­che Infor­ma­ti­ons­be­stän­de ist
    kenn­zeich­nend für den Ver­wal­tungs­ver­bund, der auch
    als Infor­ma­ti­ons­ver­bund cha­rak­te­ri­siert wor­den ist.29
    Die Infor­ma­ti­ons­flüs­se voll­zie­hen sich viel­fach unsicht­bar
    bzw. über die Ver­wal­tun­gen ver­mit­telt, indem Res­sort­for­schungs­in­for­ma­tio­nen
    die natio­na­len Behör­den
    und Stel­len in ihrer Wis­sens­kom­pe­tenz stär­ken und Res­sort­for­schungs­wis­sen
    durch sie auch in die Uni­ons­ver­wal­tung
    und die guber­na­ti­ven Uni­ons­tä­tig­kei­ten ein­fließt.
    Res­sort­for­schung ist ein spe­zi­fi­scher Bau­stein im Gefü­ge
    von wis­sen­schaft­li­cher Poli­tik­be­ra­tung und sons­ti­ger
    Ver­wal­tungs­exper­ti­se­be­schaf­fung. Da die Euro­päi­sche
    Uni­on als supra­na­tio­na­le Gemein­schaft nicht mit
    dem deut­schen Staats­auf­bau ein­schließ­lich der Behör­den­or­ga­ni­sa­ti­on
    ver­gleich­bar ist, haben sich in der Uni­on
    eige­ne For­men uni­ons­recht­li­cher Res­sort­for­schung
    her­aus­ge­bil­det. Wäh­rend in Deutsch­land die Ver­wal­tungs­be­hör­den
    bis hin zu ihrer minis­te­ri­el­len Spit­ze
    über beson­de­res Fach­wis­sen ver­fü­gen, in das sich die
    Res­sort­for­schungs­be­hör­den als wis­sen­schaft­li­che Behör­den
    ein­fü­gen, kann die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on
    nicht in glei­cher Wei­se auf einen hier­ar­chi­schen Unter­bau
    an nach­ge­ord­ne­ten Behör­den zurück­grei­fen. Aller­dings
    haben sich ande­re For­men her­aus­ge­bil­det, die die­sen
    Raum ein­neh­men, dar­un­ter vor allem das wis­sen­schaft­li­che
    Aus­schuss­we­sen und die Grün­dung von Uni­ons­agen­tu­ren.
    30 Eine sin­gu­lä­re Form als Teil der
    unmit­tel­ba­ren Kom­mis­si­ons­ver­wal­tung bil­det die Gemein­sa­me
    For­schungs­stel­le, die heu­te eine Gene­ral­di­rek­ti­on
    (vor­mals eine Dienstel­le) der Kom­mis­si­on ist
    und als ein­zi­ge Res­sort­for­schungs­ein­rich­tung auch pri­mär­recht­lich
    ver­an­kert ist.
    Wer­den Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen als Teil der
    unmit­tel­ba­ren Uni­ons­ver­wal­tung geschaf­fen, sind recht­lich
    ver­an­ker­te Vor­keh­run­gen not­wen­dig, damit die
    nor­ma­ler­wei­se in die­sem Rah­men bestehen­de Wei­sungs­ab­hän­gig­keit
    nicht zu einer poli­ti­schen Ver­ein­nah­mung
    der For­schung führt. Bei der Gemein­sa­men For­schungs­stel­le
    hat sich die Kom­mis­si­on durch das Orga­ni­sa­ti­ons­sta­tut
    selbst eine Ein­schrän­kung der Wei­sungs­be­fug­nis­se
    auf­er­legt (Selbst­bin­dung).
    Art. 298 AEUV nor­miert die Grund­sät­ze der offe­nen,
    effi­zi­en­ten und unab­hän­gi­gen euro­päi­schen Ver­wal­tung.
    Effi­zi­enz und Unab­hän­gig­keit bedür­fen einer Ratio­na­li­tät,
    für die Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen Garant sein
    kön­nen. Da gera­de die Unab­hän­gig­keit der For­schung in
    Span­nung zu einer Ver­wal­tungs­hier­ar­chie steht, kommt
    ins­be­son­de­re dem wis­sen­schaft­li­chen Aus­schuss­we­sen
    sowie der Grün­dung von Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    in Form von Uni­ons­agen­tu­ren gro­ße Bedeu­tung zu.
    Wis­sen­schaft­li­che Aus­schüs­se sind sowohl direkt bei den
    Gene­ral­di­rek­tio­nen der Euro­päi­schen Uni­on als auch –
    und zwar im Zuge der fort­ge­schrit­te­nen Aus­dif­fe­ren­zie­rung
    der Agen­tur­grün­dun­gen – zuneh­mend bei ein­zel­nen
    Agen­tu­ren ange­sie­delt. Gera­de weil die Agen­tu­ren
    als orga­ni­sa­to­risch unab­hän­gi­ge Ver­wal­tungs­ein­hei­ten
    mit eige­ner Rechts­per­sön­lich­keit ein gewis­ses demo­kra­ti­sches
    Defi­zit auf­wei­sen, sind an die Über­tra­gung for­schungs­be­zo­ge­ner
    hoheit­li­cher Auf­ga­ben wie etwa Regu­lie­rungs­auf­ga­ben
    die von der Recht­spre­chung in Meroni31
    und den nach­fol­gen­den Urtei­len her­aus­ge­ar­bei­te­ten
    Grundsätze32 in Bezug auf die Begren­zung der Auf­ga­ben­über­tra­gung
    an Agen­tu­ren zu beach­ten. Der Grad
    der mög­li­chen hoheit­li­chen Befug­nis­über­tra­gung und
    des in die­sem Rah­men über­trag­ba­ren Ermes­sens hängt
    in einer Gesamt­ab­wä­gung von den Ein­wir­kungs­mög­lich­kei­ten
    der Kom­mis­si­on und einer nach­träg­li­chen
    Rechts­kon­trol­le ab. Für die eigent­li­che For­schungs­tä­tig­keit
    besteht das Legi­ti­ma­ti­ons­pro­blem, das in Bezug auf
    die Unab­hän­gig­keit von Uni­ons­ein­rich­tun­gen dis­ku­tiert
    wird, nicht, da die For­schungs­tä­tig­keit selbst nur die
    Vor­aus­set­zung für rechts­wirk­sa­me Akte ist und über­dies
    gera­de nach einer Struk­tur ver­langt, die eine gewis­se Unab­hän­gig­keit
    gewähr­leis­tet.
    Wei­lert · Res­sort­for­schung 1 5 3
    b) Typi­sie­rung der unio­na­len Res­sort­for­schung
    Die insti­tu­tio­nel­len Res­sort­for­schungs­ar­ran­ge­ments
    kön­nen sich in zwei For­men ein­tei­len las­sen, näm­lich
    eine „insti­tu­tio­na­li­sier­te unio­na­le Eigen­res­sort­for­schung“
    und eine „insti­tu­tio­na­li­sier­te und netz­werk­ar­ti­ge
    Ver­bund­res­sort­for­schung“.
    aa) Insti­tu­tio­na­li­sier­te unio­na­le Eigen­res­sort­for­schung
    Mit der insti­tu­tio­na­li­sier­ten unio­na­len Eigen­res­sort­for­schung
    soll die Res­sort­for­schung bezeich­net wer­den, die
    sich nicht auf mit­glied­staat­li­cher Ebe­ne voll­zieht bzw.
    nicht durch mit­glied­staat­li­che For­schung und For­schungs­stät­ten
    gestützt wird, son­dern ori­gi­när auf Uni­ons­ebe­ne
    in insti­tu­tio­na­li­sier­ter Form ange­sie­delt ist. In
    ihrer rei­nen Form trifft dies gegen­wär­tig nur auf die
    Gemein­sa­me For­schungs­stel­le zu. Die Mit­ar­bei­ter der
    For­schungs­stel­le sind Bediens­te­te der Euro­päi­schen
    Uni­on und nicht abge­sand­te Exper­ten der Mit­glied­staa­ten.
    Die Gemein­sa­me For­schungs­stel­le ist als ein­zi­ge
    Res­sort­for­schungs­ein­rich­tung pri­mär­recht­lich
    (Art. 8 EAGV) ver­an­kert, jedoch ist die Grund­la­ge im
    Eura­tom-Ver­trag ange­sichts des nicht mehr auf die
    Kern­for­schung beschränk­ten For­schungs­auf­trags heu­te
    sys­tem­fremd, so dass eine Ver­an­ke­rung im AEUV ange­zeigt
    erscheint. Res­sort­for­schung als wis­sen­schaft­li­che
    und tech­ni­sche Unter­stüt­zung bei der Aus­ar­bei­tung und
    Durch­füh­rung der Uni­ons­po­li­ti­ken und des Uni­ons­rechts
    fin­det heu­te durch die Gemein­sa­me For­schungs­stel­le
    im Rah­men der direk­ten (unmit­tel­ba­re Auf­trä­ge
    aus den For­schungs­pro­gram­men) und der indi­rek­ten
    (wett­be­werb­lich ein­ge­wor­be­ne Auf­trags­for­schung aus
    dem For­schungs­rah­men­pro­gramm) For­schung statt.
    Die Gemein­sa­me For­schungs­stel­le über­nimmt ins­be­son­de­re
    auch Wis­sens­ma­nage­ment­auf­ga­ben, die im
    Hin­blick auf die ste­tig anstei­gen­den Daten­men­gen und
    das wach­sen­de ver­füg­ba­re Wis­sen eine zen­tra­le Res­sort­for­schungs­auf­ga­be
    dar­stel­len. Im Ver­gleich zu der deut­schen
    Res­sort­for­schung ist die Gemein­sa­me For­schungs­stel­le
    stär­ker wis­sen­schaft­lich aus­ge­rich­tet und ist gegen­wär­tig
    nicht mit wis­sen­schaft­li­chen Rou­ti­ne­ar­bei­ten
    beauf­tragt.
    Außer­halb ihrer spe­zi­fi­schen auf die Uni­ons­or­ga­ne
    und Uni­ons­ein­rich­tun­gen bezo­ge­nen Tätig­kei­ten erstreckt
    sich die Funk­ti­on der Gemein­sa­men For­schungs­stel­le
    im Ver­wal­tungs­ver­bund pri­mär auf den ver­bes­ser­ten
    Infor­ma­ti­ons­aus­tausch zwi­schen den mit­glied­staat­li­chen
    Behör­den sowie zwi­schen den Behör­den
    der Mit­glied­staa­ten (ein­schließ­lich der Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen)
    und der Gemein­sa­men For­schungs­stel­le.
    Ein Aus­druck des Ver­wal­tungs­ver­bun­des
    liegt auch in dem durch mit­glied­staat­li­che Exper­ten besetz­ten
    Ver­wal­tungs­rat. Die Gemein­sa­me For­schungs­stel­le
    über­nimmt hin­ge­gen kei­ne Funk­tio­nen im Rah­men
    von admi­nis­tra­ti­ven Ver­fah­ren, etwa der Zulas­sung
    im Risi­ko­ver­wal­tungs­recht. Sie erar­bei­tet kei­ne Beschluss­vor­la­gen
    oder ‑ent­wür­fe für die Kom­mis­si­on, wie
    es für eine Gene­ral­di­rek­ti­on nahe­lie­gend gewe­sen wäre.
    Ihr sind damit kei­ne Auf­ga­ben im unmit­tel­ba­ren poli­ti­schen
    Risi­ko­ma­nage­ment zuge­wie­sen, son­dern ihre For­schun­gen
    und Risi­ko­be­wer­tun­gen die­nen als Unter­stüt­zung
    der Poli­ti­ken (ein­schließ­lich der Rechts­set­zungs­vor­be­rei­tung)
    der Uni­ons­or­ga­ne, vor­nehm­lich der
    Kom­mis­si­on.
    bb) Insti­tu­tio­na­li­sier­te und netz­werk­ar­ti­ge Ver­bund­res­sort­for­schung
    Im Gegen­satz zur insti­tu­tio­na­li­sier­ten unio­na­len Res­sort­for­schung
    stam­men die Exper­ti­se und die zugrun­de­lie­gen­den
    For­schun­gen bei der insti­tu­tio­na­li­sier­ten und
    netz­werk­ar­ti­gen Ver­bund­res­sort­for­schung aus den Mit­glied­staa­ten,
    die aber auf Uni­ons­ebe­ne in insti­tu­tio­na­li­sier­ten
    For­men als Ver­bund­res­sort­for­schung eine eige­ne
    Dimen­si­on gefun­den haben. Bei­spie­le für eine sol­che
    Ver­bund­res­sort­for­schung sind das wis­sen­schaft­li­che
    Aus­schuss­we­sen, Wis­sens­ge­ne­rie­run­gen inner­halb von
    Infor­ma­ti­ons- und Wis­sen­schafts­agen­tu­ren und sekun­där­recht­lich
    ver­fes­tig­te Infor­ma­ti­ons­netz­wer­ke. Dabei
    kön­nen sich die­se For­men mit­ein­an­der ver­men­gen, so
    etwa wenn das Aus­schuss­we­sen und das Netz­werk unter
    dem Über­bau einer Agen­tur bestehen oder wenn eine
    Agen­tur, so wie es bei der Euro­päi­schen Arz­nei­mit­tel-
    Agen­tur der Fall ist, durch die Beset­zung ihrer Gre­mi­en
    ein Netz­werk zwi­schen den natio­na­len Zulas­sungs­be­hör­den
    spannt. Die Ver­bund­res­sort­for­schung geht über
    eine blo­ße Ver­net­zung der Res­sort­for­schun­gen der ein­zel­nen
    Mit­glied­staa­ten hin­aus und schafft auf der Uni­ons­ebe­ne
    insti­tu­tio­na­li­sier­te Arran­ge­ments. Die­se unio­na­le
    Ver­bin­dung führt nicht nur zu einer Addi­ti­on des
    vor­han­de­nen Wis­sens, son­dern auch zu einer Gene­rie­rung
    neu­en Wis­sens. Zum einen bedeu­tet allein schon
    die Syn­the­se von Wis­sens­be­stän­den einen über die
    Kumu­la­ti­on hin­aus­rei­chen­den Wis­sens­zu­wachs, da
    hier­durch Din­ge ver­gleich­bar wer­den, Defi­zi­te augen­fäl­lig,
    unter­schied­li­che For­schungs­an­sät­ze sicht­bar und da
    dar­über hin­aus eine Plu­ra­li­tät von For­schung und Wis­sen
    ein­tritt. So wird übli­cher­wei­se bereits die Dar­stel­lung
    und Ergrün­dung des For­schungs­stan­des selbst als
    Teil wis­sen­schaft­li­chen Arbei­tens gewer­tet. Vor allem
    aber reicht die Arbeit wis­sen­schaft­li­cher Aus­schüs­se (sei
    es auf Kom­mis­si­ons­ebe­ne oder im Rah­men von Agentu1
    5 4 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 4 7 — 1 6 0
    33 Kahl, Der Euro­päi­sche Ver­wal­tungs­ver­bund, Fn. 29, S. 363.
    34 Kahl, Der Euro­päi­sche Ver­wal­tungs­ver­bund, Fn. 29, S. 358.
    35 Vgl. Schmidt-Aßmann, For­schung, Fn. 2, S. 6; Schul­ze-Fie­litz,
    in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Hdb. des Verfassungsrechts,
  7. Aufl. 1994, § 27 Rn. 24.
    ren) über das Zusam­men­tra­gen vor­han­de­ner For­schungs­be­stän­de
    hin­aus, und es wird in der Aus­schuss­ar­beit
    durch wis­sen­schaft­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on ein neu­er
    Erkennt­nis­pro­zess beför­dert. Die Arbeit
    wis­sen­schaft­li­cher Aus­schüs­se kann daher als eige­ne
    Kate­go­rie der Ver­bund­res­sort­for­schung gel­ten. Wis­sen­schaft­li­che
    Aus­schüs­se die­nen der Risi­ko­ein­schät­zung
    tech­nisch und wis­sen­schaft­lich kom­ple­xer Sach­ver­hal­te
    und unter­stüt­zen die poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger
    sowohl bei legis­la­ti­ven als auch exe­ku­ti­ven Auf­ga­ben.
    Agen­tu­ren und wis­sen­schaft­li­che Aus­schüs­se kön­nen
    eine spe­zi­fi­sche Funk­ti­on im Ver­wal­tungs­ver­bund, ins­be­son­de­re
    im Regulierungsverbund33, ein­neh­men. Wer­den
    admi­nis­tra­tiv-poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen durch das
    (Regulierungs-)Recht in einer Wei­se deter­mi­niert, dass
    die­se maß­geb­lich von der Risi­ko­be­wer­tung abhän­gig
    macht, kön­nen die Gut­ach­ten und Stel­lung­nah­men von
    wis­sen­schaft­li­chen Aus­schüs­sen beson­de­res admi­nis­tra­tiv-
    poli­ti­sches Gewicht ent­fal­ten und die Ent­schei­dun­gen
    der for­mal dazu beru­fe­nen poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger
    fak­tisch vor­ge­ben. Der Ermes­sens­spiel­raum
    der poli­ti­schen Hand­lungs­trä­ger wird emp­find­lich,
    zuwei­len sogar gänz­lich, redu­ziert, wenn ent­spre­chen­de
    Voten wis­sen­schaft­lich hoch­ka­rä­tig besetz­ter Aus­schüs­se
    erge­hen, die die zen­tra­len Wis­sens- und For­schungs­be­stän­de
    uni­ons­weit ein­be­zie­hen. Ins­be­son­de­re wenn
    die Aus­schuss­mit­glie­der pari­tä­tisch nach Mit­glied­staa­ten­zu­ge­hö­rig­keit
    besetzt sind oder zugleich als Behör­den­ver­tre­ter
    der Mit­glied­staa­ten fun­gie­ren (wie beim
    Human­arz­nei­mit­tel­aus­schuss der Euro­päi­schen Arz­nei­mit­tel-
    Agen­tur), tritt zu der Legi­ti­ma­ti­on kraft Sach­ver­stan­des
    eine spe­zi­fi­sche demo­kra­ti­sche Legi­ti­ma­ti­on.
    Die Res­sort­for­schung als Mix­t­um zwi­schen For­schung
    und Poli­tik zeich­net sich in die­sen Fäl­len zusätz­lich
    durch die hybri­de Struk­tur unio­na­len und mit­glied­staat­li­chen
    Ent­schei­dens aus, die gera­de für Agen­tu­ren
    als Akteu­ren im Ver­wal­tungs­ver­bund typisch ist. Die
    Struk­tur und Orga­ni­sa­ti­on von Uni­ons­agen­tu­ren, die
    eine Schnitt­men­ge unio­na­ler und mit­glied­staat­li­cher
    Ver­wal­tung dar­stel­len, „eine Zwi­schen­form zen­tra­li­sier­ter
    und dezen­tra­li­sier­ter Integration“34 bil­den und in einer
    Span­nung zwi­schen ver­wal­tungs­recht­li­chem Ein­ge­bun­den­sein
    und ver­wal­tungs­recht­li­cher Unab­hän­gig­keit
    ste­hen, stel­len eine geeig­ne­te Form für die Ver­bund­res­sort­for­schung
    dar, die noch aus­bau­fä­hig ist.
    Eine über den Regu­lie­rungs­ver­bund hin­aus­wei­sen­de
    Funk­ti­on kann die Ver­bund­res­sort­for­schung im soge­nann­ten
    Infor­ma­ti­ons­ver­bund ein­neh­men. Hier geht es
    um eine brei­te­re Ver­wen­dung von Wis­sen jen­seits klar
    defi­nier­ter Regu­lie­rungs­ver­fah­ren. Wis­sens­aus­tau­schund
    Wis­sens­ak­ku­mu­la­ti­on sowie Daten­samm­lun­gen
    die­nen als Grund­la­ge für weni­ger klar vor­ge­zeich­ne­te
    poli­tisch-admi­nis­tra­ti­ve Ent­schei­dun­gen sowohl durch
    Uni­ons­or­ga­ne als auch die mit­glied­staat­li­chen Ver­wal­tun­gen
    und Regie­run­gen. Es geht um Berei­che, in denen,
    wie bei Fra­gen der Infek­ti­ons­ab­wehr, prä­ven­ti­ve Maß­nah­men
    zum Schut­ze der Bevöl­ke­rung (oder im Umwelt­be­reich
    der natür­li­chen Lebens­grund­la­gen) ergrif­fen
    wer­den sol­len, aber ver­schie­de­ne poli­ti­sche Hand­lungs­mög­lich­kei­ten
    in Kon­kur­renz zuein­an­der ste­hen.
    Die zu ergrei­fen­den Maß­nah­men sind hier nicht nur Teil
    eines recht­lich vor­be­stimm­ten Ver­wal­tungs­ver­fah­rens,
    son­dern des poli­ti­schen Aus­lo­tens von guber­na­ti­ven
    Ent­schei­dun­gen.
    Hier berei­tet Res­sort­for­schung, vor allem in Form
    von Netz­wer­ken zur Daten- und Infor­ma­ti­ons­samm­lung,
    den Nähr­bo­den, um infor­mier­te poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen
    tref­fen zu kön­nen. Die Auf­ga­be der Exper­ten
    ist die Sach­in­for­ma­ti­on und die Explo­ra­ti­on von Risi­ken,
    wäh­rend die Nut­zen-Risi­ko-Abwä­gung ein­schließ­lich
    der dar­aus zu ergrei­fen­den kon­kre­ten
    Maß­nah­men auf­grund ihrer weit­rei­chen­den poli­ti­schen
    Trag­wei­te (etwa für die Wirt­schaft eines Lan­des oder
    den euro­päi­schen Bin­nen­markt) durch die Exper­ten
    nicht vor­ge­ge­ben wer­den kann. In jenen Poli­tik­be­rei­chen,
    in denen die Euro­päi­sche Uni­on ledig­lich über koor­di­nie­ren­de,
    unter­stüt­zen­de und ergän­zen­de Kom­pe­ten­zen
    ver­fügt, ist eine Ver­bund­res­sort­for­schung (anstel­le
    einer insti­tu­tio­na­li­sier­ten unio­na­len Eigen­res­sort­for­schung)
    schon kom­pe­tenz­recht­lich gebo­ten, da eine
    For­schungs-Annex­kom­pe­tenz der sach­be­reichs­spe­zi­fi­schen
    Uni­ons­kom­pe­tenz auch in ihrem Umfang folgt.
    IV. Res­sort­for­schung und Wissenschaftsfreiheit
  8. Res­sort­for­schungs­frei­heit als Aus­fluss des Rechts­staats­prin­zips
    in Ver­bin­dung mit der objek­tiv­recht­li­chen
    Garan­tie der grund­recht­li­chen Wis­sen­schafts­frei­heit
    Die Frei­heit der Wis­sen­schaft und For­schung nach
    Art. 5 Abs. 3 GG genießt dank der nur durch ver­fas­sungs­im­ma­nen­te
    Schran­ken mög­li­chen Begren­zung
    einen beson­de­ren ver­fas­sungs­recht­li­chen Sta­tus und ist
    prä­gend für das gesam­te Wissenschaftsrecht.35 Der
    Grund für die­se her­aus­ge­ho­be­ne Stel­lung liegt dar­in,
    dass sie nicht nur die Wis­sen­schaft­ler selbst schützt und
    Wei­lert · Res­sort­for­schung 1 5 5
    36 Ein­ge­hend zur Fra­ge, ob Res­sort­for­schung als For­schung im Sin­ne
    von Art. 5 Abs. 3 GG gel­ten kann: Wei­lert Fn. 1, S. 217 ff., S. 224 ff.
    (mit umfang­rei­chen Nach­wei­sen) sowie Britz Fn. 5, Art. 5 III (Wis­sen­schaft)
    Rn. 22 („[a]uch bei der s taat­li­chen Res­sort­for­schung
    kann begriff­lich durch­aus For­schungs tätig­keit vor­lie­gen“), Rn. 24:
    („solan­ge der Metho­de nach auto­no­me wis­sen­schaft­li­che Arbeit
    gege­ben is t.“); Tru­te, Wis­sen­schaft und Tech­nik, in: Isensee/
    Kirch­hof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IV, 3. Aufl. 2006, § 88 Rn. 25; Tru­te,
    For­schung, Fn. 5, S. 102.
    37 Ein­ge­hend zur objek­tiv­recht­li­chen Funk­ti­on der Wis­sen­schafts­frei­heit:
    Wei­lert Fn. 1, S. 228 ff.
    38 Stern, Idee und Ele­men­te eines Sys tems der Grund­rech­te, in:
    Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, 3. Aufl. 2011, § 185 Rn. 80..
    39 BVerfGE 35, 79 (112, juris Rn. 91) ‒ Hoch­schul­ur­teil.
    40 BVerfGE 35, 79 (114, juris Rn. 95).
    41 Näher Wei­lert Fn. 1, S. 232 f.
    42 Vgl. aus­führ­lich und mit wei­te­ren Nach­wei­sen zur Ver­hält­nis­bes
    tim­mung von objek­tiv­recht­li­chem Gehalt und sub­jek­ti­vem Recht
    Wei­lert Fn. 1, S. 233 ff. sowie Stern, Das Staats­recht der Bun­des­re­pu­blik
    Deutsch­land, Bd. III/1, 1988, § 69 VI, S. 978 (bes. auch
    S. 988 f.).
    43 Vgl. zur Ver­fas­sungshis torie Schul­ze-Fie­lietz, in: Drei­er (Hrsg.),
    GG, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtss taat) Rn. 19; zur
    „vor­nehm­li­chen Ver­an­ke­rung“ des Rechtss taats prin­zips in
    Art. 20 Abs. 3 GG: Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022,
    Art. 20 Rn. 37; zu den ver­fas­sungs­recht­li­chen Aus prä­gun­gen des
    Rechtss taats prin­zips in ande­ren Grund­rechts- und Ver­fas­sungs­bes
    tim­mun­gen sie­he Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021,
    Rn. 77.
    den staat­li­chen Uni­ver­si­tä­ten eine ent­spre­chen­de Selbst­ver­wal­tung
    garan­tiert, son­dern dass in Art. 5 Abs. 3 GG
    auch eine Garan­tie der frei­en Wis­sen­schaft zum Woh­le
    der Gesell­schaft ver­bürgt ist. Pro­ble­ma­tisch ist jedoch
    die Wis­sen­schafts­frei­heit in Bezug auf staat­li­che Res­sort­for­schungs­ei­rich­tun­gen
    und die hier täti­gen Wis­sen­schaft­ler,
    da für die Res­sort­for­schung als Teil der Minis­te­ri­al­ver­wal­tung
    inner­halb der behörd­li­chen Hier­ar­chie
    in Bezug auf die Auf­ga­ben­er­fül­lung grund­sätz­lich kei­ne
    Staats­frei­heit ein­ge­for­dert wer­den kann. Aus­gangs­punkt
    einer Argu­men­ta­ti­on hat jedoch die Über­le­gung zu sein,
    dass For­schung sich in einem Kern­be­reich dadurch kon­sti­tu­iert,
    dass sie staats­frei ist und nur ihrer Eigen­ge­setz­lich­keit
    unter­liegt. Damit geht es weni­ger um die grund­recht­lich
    sonst im Vor­der­grund ste­hen­de indi­vi­du­el­le
    Ent­fal­tungs­frei­heit, als viel­mehr um die Gewähr­leis­tung
    des Ver­spre­chens selbst, dass Res­sort­for­schung auch
    For­schung ent­hält. Den For­schungs­cha­rak­ter ver­liert die
    Res­sort­for­schung weder durch ihre Zweck­ge­bun­den­heit
    noch auto­ma­tisch durch die Ein­bin­dung in den Ver­wal­tungs­ap­pa­rat.
    Ent­schei­dend für die Abgren­zung zwi­schen
    For­schung und Ver­wal­tungs­tä­tig­keit ist das Stre­ben
    nach neu­en Erkennt­nis­sen unter Ein­satz einer wis­sen­schaft­li­chen,
    d.h. der Eigen­ge­setz­lich­keit der
    Wis­sen­schaft fol­gen­den, Metho­dik. Damit ist die Res­sort­for­schung,
    jeden­falls in ihren tat­säch­lich for­schungs­be­zo­ge­nen
    Auf­ga­ben, ein poten­ti­el­les Schutz­gut im Sin­ne
    von Art. 5 Abs. 3 GG.36
    Um die Fra­ge nach der Gel­tung der Wis­sen­schafts­frei­heit
    im Rah­men der Res­sort­for­schung einer ange­mes­se­nen
    Lösung zuzu­füh­ren, ist an die objek­tiv­recht­li­che
    Dimen­si­on der Wissenschaftsfreiheit37 anzu­knüp­fen,
    die beson­ders für dog­ma­ti­sche Wei­ter­ent­wick­lun­gen offen
    ist38, und die­se in Ver­bin­dung mit dem Rechts­staats­prin­zip
    (Ver­fas­sungs­bin­dung der Staats­ge­wal­ten) dahin­ge­hend
    aus­zu­le­gen, dass der Staat auch die Res­sort­for­schung
    in bestimm­ten Grund­pa­ra­me­tern frei­heit­lich
    aus­zu­ge­stal­ten und eine die­sen Min­dest­an­for­de­run­gen
    genü­gen­de Res­sort­for­schung struk­tu­rell zu gewähr­leis­ten
    hat. Im Hoch­schul­ur­teil von 1973 führt das BVerfG
    die aus Art. 5 Abs. 3 GG fol­gen­de „objek­ti­ve, das Ver­hält­nis
    von Wis­sen­schaft, For­schung und Leh­re zum Staat
    regeln­de wert­ent­schei­den­de Grund­satz­norm“ näher
    aus39 und betont die „Schlüs­sel­funk­ti­on, die einer frei­en
    Wis­sen­schaft […] auch für die gesamt­ge­sell­schaft­li­che
    Ent­wick­lung zukommt“.40
    Auch wenn sich die Pos­tu­la­te, die das BVerfG im vor­ge­nann­ten
    Hoch­schul­ur­teil als Leit­plan­ken ein­ge­schla­gen
    hat, nicht unmit­tel­bar auf die Res­sort­for­schung bezie­hen
    lassen,41 so kann immer­hin fest­ge­hal­ten wer­den,
    dass Art. 5 Abs. 3 GG in objek­tiv­recht­li­cher Hin­sicht ein
    Inter­es­se an einer frei­en, mit­hin nicht durch den Staat
    ver­form­ten, Wis­sen­schaft ver­bürgt. Die­se objek­tiv­recht­li­che
    Begren­zung staat­li­chen Han­delns besteht nicht nur
    zur Ver­stär­kung indi­vi­du­al­recht­li­cher Posi­tio­nen, son­dern
    auch im gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Interesse.42
    Gleich­falls gilt nach dem Ratio­na­li­täts­ge­bot des Rechts­staats­prin­zips,
    dass der Staat sein Han­deln nicht auf nur
    ver­meint­li­che wis­sen­schaft­li­che Kennt­nis­se stüt­zen darf
    und dass er die­je­ni­ge For­schung, auf die er sich zu stüt­zen
    vor­gibt, auch ermög­li­chen muss. Das Gemein­we­sen
    hat ein berech­tig­tes Inter­es­se an wis­sen­schaft­li­chen Ergeb­nis­sen,
    die im Rah­men der Eigen­ge­setz­lich­keit der
    Wis­sen­schaft vor­ge­bracht wur­den, gera­de auch dann,
    wenn wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se zur Grund­la­ge
    staat­li­chen Han­delns gemacht wer­den.
    Dog­ma­tisch las­sen sich hier ver­schie­de­ne Wege beschrei­ten:
    Mög­lich ist es, den objek­tiv­recht­li­chen Gehalt
    der Wis­sen­schafts­frei­heit als jen­seits sub­jek­ti­ver Rech­te
    bestehen­des Rechts­prin­zip zu ver­ste­hen, auf das durch
    Art. 20 Abs. 3 GG, der zen­tra­len Norm des Rechts­staats­prin­zips,
    43 Bezug genom­men wird. Damit wür­de die
    Wis­sen­schafts­frei­heit im Kon­text der Res­sort­for­schung
    nicht direkt, son­dern über Art. 20 Abs. 3 GG ver­mit­telt
    gel­ten. Denk­bar wäre aber auch, die Anfor­de­run­gen an
    die Aus­ge­stal­tung der Res­sort­for­schung als Teil des Rati1
    5 6 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 4 7 — 1 6 0
    44 Den Begriff der Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung führt bereits Clas­sen,
    Wis­sen­schafts­frei­heit außer­halb der Hoch­schu­le, 1994, S. 351, ein.
    45 Vgl. Gär­ditz, Poli­ti­sier­te Wis­sen­schaft als Macht­tech­nik – Bes pre­chung
    von Cas par Hir­schi, Skan­dal­ex­per­ten – Exper­ten­skan­da­le,
    WissR 2018, S. 244 (247).
    46 BVerfGE 35, 79 (115, juris Rn. 96 f.) ‒ Hoch­schul­ur­teil. Zum
    Grund­rechts­schutz durch Orga­ni­sa­ti­on und Ver­fah­ren: früh schon
    K. Hes­se, Bes tand und Bedeu­tung der Grund­rech­te in der Bun­des­re­pu­blik
    Deutsch­land, EuGRZ 1978, S. 427 (434 ff.). Aus dem jün­ge­ren
    Schrift­tum: Drei­er, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. I, 3. Aufl. 2013,
    Vorb. vor Art. 1 Rn. 105 f; Schmidt-Aßmann, Die Wis­sen­schafts­frei­heit
    nach Art. 5 Abs. 3 GG als Orga­ni­sa­ti­ons­grund­recht, in:
    Becker/Bull/Seewald (Hrsg.), FS Wer­ner Thie­me, 1993, S. 697 ff.
    47 BVerfGE 35, 79 (115, juris Rn. 97) ‒ Hoch­schul­ur­teil.
    48 BVerfGE 35, 79 (115 f., juris Rn. 97).
    49 Näher Wei­lert Fn. 1, S. 254 ff.
    50 Vgl. zur Fach­auf­sicht Wei­lert Fn. 1, S. 54; zur Unter­schei­dung
    zwi­schen Len­kung und Kon­trol­le sowie der Ein­ord­nung von
    Geneh­mi­gungs­vor­be­hal­ten sie­he Groß, Was bedeu­tet „Fach­auf­sicht“?,
    DVBl 2002, S. 793 (797 ff.).
    51 Graf von Kiel­man­segg, Das Son­ders tat­us­ver­hält­nis, JA 2012, S. 881
    ff.; Losch­el­der, Grund­rech­te im Son­ders tat­us, in: Isensee/Kirchhof
    (Hrsg.), HdbStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 202; Starck, in: v. Mangoldt/
    Klein/Starck, GG, Bd. I, 7. Aufl. 2018, Art. 1 Rn. 298.
    52 So auch Graf von Kiel­man­segg Fn. 51, S. 885.
    ona­li­täts­ge­bo­tes des Rechts­staats­prin­zips zu begrei­fen
    und die für die For­schungs­frei­heit ent­wi­ckel­ten Gehal­te
    nur als Ori­en­tie­rungs­punk­te im Rah­men des Ratio­na­li­täts­ge­bots
    des Rechts­staats­prin­zips zu betrach­ten. Letz­te­res
    wür­de aber, da der Begriff der Ratio­na­li­tät als Ver­fas­sungs­be­griff
    unter­be­stimmt ist, die Gefahr einer belie­bi­gen
    Rechts­aus­le­gung mit sich brin­gen.
    Das sich aus dem objek­tiv­recht­li­chen Gehalt der
    Wis­sen­schafts­frei­heit und dem Rechts­staats­prin­zip ablei­ten­de
    Ver­bot einer Legitimationsforschung44 bedeu­tet,
    dass nicht nur ein Anschein von Ratio­na­li­tät erzeugt
    wer­den darf. Die Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung ist in mehr­fa­cher
    Hin­sicht pro­ble­ma­tisch, ers­tens durch das Täu­schen
    über die Grund­la­gen der poli­ti­schen Entscheidungen,45
    zwei­tens auf­grund der feh­len­den Ratio­na­li­tät des Exe­ku­tiv­han­delns
    dort, wo sie ihr Han­deln hät­te auf For­schung
    stüt­zen müs­sen, dies aber nicht getan hat, und drit­tens
    durch die poli­ti­sche Ver­ein­nah­mung von For­schung in
    einer Wei­se, die in den For­schungs­pro­zess ein­greift und
    auf­grund der bestehen­den For­schungs­kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­zie­hun­gen
    die außer­staat­li­che For­schung zu beein­flus­sen
    geeig­net ist.
    For­schungs­me­tho­den und Ergeb­nis­in­ter­pre­ta­ti­on
    dür­fen staat­lich nicht vor­ge­ge­ben oder beein­flusst wer­den,
    da sol­che Regle­men­tie­run­gen den For­schungs­cha­rak­ter
    selbst unter­gra­ben. Das BVerfG hat auf die Bedeu­tung
    der Bezie­hung von Orga­ni­sa­ti­on und Grund­rechts­ver­wirk­li­chung
    hingewiesen.46 Die inner­be­trieb­li­chen
    Anfor­de­run­gen für die Orga­ni­sa­ti­on von Wis­sen­schafts­ein­rich­tun­gen
    bemä­ßen sich danach, „daß das Grund­recht
    der frei­en wis­sen­schaft­li­chen Betä­ti­gung soweit
    unan­ge­tas­tet bleibt, wie das unter Berück­sich­ti­gung der
    ande­ren legi­ti­men Auf­ga­ben der Wis­sen­schafts­ein­rich­tun­gen
    und der Grund­rech­te der ver­schie­de­nen Betei­lig­ten
    möglich“47 ist. Dies kann auch indi­vi­du­al­recht­li­che
    Posi­tio­nen ein­schlie­ßen, um dem „Inter­es­se des Gemein­we­sens
    an einem funk­tio­nie­ren­den Wis­sen­schafts­be­trieb“
    48 gerecht zu wer­den. Der die For­schung
    aus­ma­chen­de Kern­ge­halt der For­schungs­frei­heit ist orga­ni­sa­ti­ons­recht­lich
    durch gesetz­li­che und unter­ge­setz­li­che
    Vor­schrif­ten abzu­si­chern, ins­be­son­de­re auch durch
    Vor­ga­ben für die Aus­übung der minis­te­ri­el­len Auf­sichts­rech­te.
    49 Dies gilt ins­be­son­de­re für Ele­men­te der steu­ern­den
    oder auch „prä­ven­ti­ven“ Fachaufsicht.50 Es sind
    gesi­cher­te Struk­tu­ren zu schaf­fen, in denen nicht nur die
    minis­te­ri­el­len Belan­ge aus­schlag­ge­bend sind, son­dern
    auch die Ideen der betei­lig­ten For­scher zum Tra­gen
    kom­men. Die Ein­bin­dung der For­scher in die sci­en­ti­fic
    com­mu­ni­ty ist ent­schei­dend für die For­schungs­qua­li­tät
    und Ver­mei­dung einer Dege­ne­ra­ti­on zur blo­ßen Ver­wal­tungs­ein­heit.
    All­ge­mei­ne Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten, Wei­sun­gen
    im Ein­zel­fall und Geneh­mi­gungs­vor­be­hal­te etwa
    für For­schungs­pro­gram­me müs­sen sich jeweils an den
    hier dar­ge­stell­ten ver­fas­sungs­recht­li­chen Vor­ga­ben mes­sen
    las­sen.
    Die Effek­tu­ie­rung die­ser Kern­ge­hal­te der For­schungs­frei­heit
    bedarf der pro­zes­sua­len Absi­che­rung,
    die über die par­ti­ku­la­re Zuer­ken­nung sub­jek­ti­ver Rech­te
    erfol­gen kann, die ihrer­seits ganz im Diens­te der objek­tiv­recht­li­chen
    Ver­pflich­tung des Staa­tes ste­hen, kei­ne
    Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung zu betrei­ben, und hier­durch
    auch ihre Begren­zung erfah­ren. Im Ein­zel­nen tan­giert
    die Fra­ge nach dem Umfang sub­jek­ti­ver Rech­te der Res­sort­for­scher
    zwei Pro­blem­fel­der, näm­lich die Anwend­bar­keit
    der Wis­sen­schafts­frei­heit inner­halb der behörd­li­chen
    Res­sort­for­schung und die Pro­ble­ma­tik der Reich­wei­te
    der Grund­rechts­gel­tung inner­halb der heu­te so genann­ten
    Sonderstatusverhältnisse.51 Wei­sun­gen, die auf
    die Art und Aus­füh­rung der Dienst­auf­ga­ben zie­len, betref­fen
    den Bediens­te­ten zunächst nur als Teil der Staats­ver­wal­tung.
    52 Eine Grund­rechts­gel­tung im öffent­lich­recht­li­chen
    Dienst­ver­hält­nis setzt eine per­sön­li­che Betrof­fen­heit
    vor­aus. Doch ist die­se hier frag­lich, da es sich
    beim Ansin­nen eines Beschäf­tig­ten einer Res­sort­for­schungs­be­hör­de,
    ein ande­res The­ma zu ver­fol­gen oder
    ande­re Metho­den zu wäh­len, nicht in ers­ter Linie um ein
    Wei­lert · Res­sort­for­schung 1 5 7
    53 von Münch/Mager, Staats­recht I, 9. Aufl. 2021, Rn. 512.; Mager,
    Ein­rich­tungs­ga­ran­tien, 2003, S. 358, 362.
    54 Die Kom­ple­xi­tät der recht­li­chen Situa­ti­on im Hin­blick auf den
    ein­zel­nen Res­sort­for­scher kann hier nicht abge­bil­det wer­den,
    inso­fern wird auf Wei­lert Fn. 1, S. 258 ff. ver­wie­sen.
    55 Für wei­te­re Ein­zel­hei­ten sie­he Wei­lert Fn. 1, S. 266 ff.
    56 EuGH, Rs. 35/72 (Kley/Kommission), Urt. v. 27. Juni 1973, Slg. 1973,
    679.
    57 GA Trabuc­chi­ni, Schluss­antr. Rs. 35/72, Slg. 1973, 679 (702).
    58 Aus­führ­lich Wei­lert Fn. 1, S. 566 ff., ins­bes. 568 ff.; sie­he auch
    Thie­le, in: Heselhaus/Nowak (Hrsg.), Hdb. der Euro­päi­schen
    Grund­rech­te, 2. Aufl. 2020, § 30 Rn. 29.
    59 Vgl. zu den unter­schied­li­chen Rechts tra­di­tio­nen sub­jek­tiv ein­klag­ba­rer
    Rech­te und objek­tiv­recht­li­cher Kon­zep­te: Kadel­bach,
    Euro­pean Admi­nis tra­ti­ve Law and the Law of a Euro­pea­ni­zed
    Admi­nis tra­ti­on, in: Joerges/Dehousse (Hrsg.), Good Gover­nan­ce
    in Europe´s Inte­gra­ted Mar­ket, 2007, S. 167 (186 f.).
    frei­heits­recht­li­ches Begeh­ren, son­dern ein leis­tungs­recht­li­ches
    han­delt. Es geht zunächst nur um einen bestimm­ten
    Dienst­auf­trag, der außer­halb des For­schungs­kon­tex­tes
    auch weit­ge­hend unpro­ble­ma­tisch wäre. Hei­kel
    ist hier nicht der Dienst­auf­trag selbst, son­dern die
    Cau­sa der unzu­läs­si­gen Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung. Um das
    Ver­bot die­ser Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung zu effek­tu­ie­ren
    soll­te ver­gleich­bar der „im Inter­es­se der Funk­ti­ons­fä­hig­keit
    des Berufsbeamtentums“53 im Ein­zel­fall mög­li­chen
    sub­jek­tiv­recht­li­chen Durch­set­zung „her­ge­brach­ter
    Grund­sät­ze des Berufs­be­am­ten­tums“, auch hier ein pro­zes­sua­ler
    Weg nicht gänz­lich ver­sperrt blei­ben. Es
    scheint dabei aus­rei­chend und ange­mes­sen, die­se Effek­tu­ie­rungs­funk­ti­on
    auf die lei­ten­den For­scher der Ein­rich­tungs­lei­tung
    zu begrenzen.54
    Ob den Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen selbst ein
    sub­jek­ti­ves Recht zukommt, ist in Abhän­gig­keit von ihrer
    Orga­ni­sa­ti­ons­form zu bestim­men. Den – so der Nor­mal­fall
    – als nicht­rechts­fä­hi­gen Anstal­ten des öffent­li­chen
    Rechts orga­ni­sier­ten Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    in Form von Bun­des­ober­be­hör­den kommt kein
    Recht auf Ein­for­de­rung der For­schungs­frei­heit zu. Auch
    die weni­gen (teil-)rechtsfähigen Anstal­ten des öffent­li­chen
    Rechts kön­nen sich nicht auf ein Indi­vi­du­al­recht
    beru­fen, da sie sich nicht in einer hier­für erfor­der­li­chen
    grund­rechts­ty­pi­schen Gefähr­dungs­la­ge befinden.55
    Dar­über hin­aus bleibt es allen Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    unbe­nom­men, auf poli­ti­schem Wege die
    über das Rechts­staats­prin­zip in Ver­bin­dung mit den objek­tiv­recht­li­chen
    Gehal­ten der Wis­sen­schafts­frei­heit gel­ten­den
    Anfor­de­run­gen an die Aus­ge­stal­tung der Res­sort­for­schung
    ein­zu­for­dern.
    Schließ­lich ist anzu­mer­ken, dass auf­grund der zen­tra­len
    Bedeu­tung der frei­en For­schung für eine Gesell­schaft
    aus dem objek­tiv­recht­li­chen Gehalt der Wis­sen­schafts­frei­heit
    auch eine Sub­si­dia­ri­tät der Staats­for­schung
    abzu­lei­ten ist. Insti­tu­tio­na­li­sier­te Res­sort­for­schung
    ist damit nur legi­tim, wenn sie zur minis­te­ri­el­len
    Auf­ga­ben­er­fül­lung im wei­te­ren Sin­ne not­wen­dig und
    erfor­der­lich ist, mit­hin kei­ne ande­ren gleich effek­ti­ven
    Mög­lich­kei­ten für die Minis­te­ri­al­ver­wal­tung zur Ver­fü­gung
    ste­hen.
  9. Ver­bot der Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung auf der Ebe­ne der
    Euro­päi­schen Uni­on
    Die Eru­ie­rung der Wis­sen­schafts­frei­heit unio­na­ler Res­sort­for­schung
    wirft ähn­li­che Fra­gen auf wie die bereits
    im grund­recht­li­chen Kon­text erör­ter­ten, hat aber zu
    beach­ten, dass eine unre­flek­tier­te Gleich­stel­lung von
    Grund­rechts­dog­ma­tik und Uni­ons­grund­rechts­sys­te­ma­tik
    die Eigen­stän­dig­keit der Uni­ons­rechts­ord­nung negie­ren
    wür­de. Die Euro­päi­sche Uni­on ist bei Aus­übung
    ihrer Kom­pe­ten­zen an die Wis­sen­schafts­frei­heit nach
    Art. 13 GRCh gebun­den, die Teil des Pri­mär­rechts ist.
    Die ein­zig rele­van­te Judi­ka­tur im Fall Kley umgeht die
    Klä­rung der For­schungs­frei­heit inner­halb der hier als
    Res­sort­for­schungs­ein­rich­tung ein­ge­ord­ne­ten Gemein­sa­men
    Forschungsstelle.56 In der Sache ging es um die
    Ver­än­de­rung der Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tur und dadurch
    beding­te Neu­aus­rich­tung der Arbeit des Klä­gers weg
    von einer for­schungs­aus­ge­rich­te­ten Tätig­keit in der
    expe­ri­men­tel­len Phy­sik hin zu einer mit vie­len Ver­wal­tungs­auf­ga­ben
    ver­bun­de­nen Ver­ant­wor­tung für den
    Reak­tor Ispra I. Der EuGH umging jeg­li­che Aus­füh­run­gen
    zur Wis­sen­schafts­frei­heit. Der Gene­ral­an­walt führ­te
    aus: „Die Frei­heit der Wis­sen­schaft schließt nicht aus,
    daß dem Wis­sen­schaft­ler auch auf orga­ni­sa­to­ri­schem
    Gebiet Auf­ga­ben gestellt sind. Eura­tom ist auch eine
    recht­li­che Orga­ni­sa­ti­on mit ihren prak­ti­schen und funk­tio­nel­len
    Erfor­der­nis­sen, aus denen sich zwangs­läu­fig
    Ein­schrän­kun­gen für die Frei­heit der wis­sen­schaft­li­chen
    Beam­ten in der Wahl ihrer jewei­li­gen Tätig­keit und für
    das Inter­es­se ihrer per­sön­li­chen For­schun­gen erge­ben
    müs­sen. Ihre Arbeits­stät­ten sind kei­ne Aka­de­mien und
    haben auch nicht die rei­ne For­schung zum Gegen­stand,
    wie es viel­leicht in einem Uni­ver­si­täts­la­bo­ra­to­ri­um
    denk­bar ist.“57 Die Aus­füh­run­gen des Gene­ral­an­wal­tes
    sind selbst kei­ne dog­ma­ti­schen Klä­run­gen, son­dern deu­ten
    nur auf dog­ma­tisch noch zu durch­drin­gen­de Pro­blem­la­gen
    hin.
    Es kann jedoch davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass
    Res­sort­for­schung unter den For­schungs­be­griff des
    Art. 13 GRCh fällt.58 Da die Rech­te der Grund­rech­te-
    Char­ta nicht mit­tels eines Indi­vi­du­al­be­schwer­de­ver­fah­rens
    sub­jek­tiv­recht­lich ein­klag­bar sind,59 liegt es nahe,
    1 5 8 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 4 7 — 1 6 0
    60 Berns­dorff, in: Mey­er (Hrsg.), Char­ta der Grund­rech­te der Euro­päi­schen
    Uni­on, 5. Aufl. 2019, Art. 13 Rn. 5; Say­ers, in: Peers et
    al. (Hrsg.), The Char­ter of Fun­da­men­tal Rights, A Com­men­ta­ry,
    2014, Art. 13 Rn. 13.40; Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/AEUV,
  10. Aufl. 2018, Art. 13 GRCh Rn. 3. Zieht man die Ver­fas­sungs­bes
    tim­mun­gen der ein­zel­nen Mit­glieds taa­ten als Aus­le­gungs­hil­fe
    her­an, so ergibt sich eben­falls kein ein­heit­li­ches Bild: In man­chen
    Mit­glieds taa­ten is t die Wis­sen­schafts­frei­heit ver­fas­sungs­recht­lich
    als sub­jek­ti­ves Abwehr­recht ver­bürgt, in ande­ren nur ein­fach­ge­setz­lich,
    in wie­der ande­ren wird kein sol­ches sub­jek­ti­ves Recht
    gewährt (sie­he Pel­zer, Die Kom­pe­ten­zen der EG im Bereich For­schung,
    2004, S. 155 f., sowie zuvor bereits Groß, Die Auto­no­mie
    der Wis­sen­schaft im euro­päi­schen Rechts­ver­gleich, 1992, S. 36 ff.).
    61 Ruf­fert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022,
    Art. 13 EU-GRCh Rn. 7, unter Bezug­nah­me auf BVerfGE 35, 79
    (113) ‒ Hoch­schul­ur­teil.
    62 Ruf­fert Fn. 61, Art. 13 EU-GRCh Rn. 7.
    63 Näher Wei­lert Fn. 1, S. 572 ff.
    64 So hat der EuGH die Grund­sät­ze des Ver­trau­ens­schut­zes, des
    Rück­wir­kungs­ver­bots, der Rechts­si­cher­heit, des Bes timmt­heits­grund­sat­zes,
    der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit und einer Rechts­schutz­ga­ran­tie
    ent­wi­ckelt; sie­he Cal­liess Fn. 32, Art. 2 EUV Rn. 26
    sowie Pechs tein, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018,
    Art. 2 EUV Rn. 6, jeweils mit Nach­wei­sen aus der R s pr.; Ana­ly­se
    der Rs pr. bei Clas­sen, Rechtss taat­lich­keit als Pri­mär­rechts­ge­bot
    in der Euro­päi­schen Uni­on ‒ Ver­trags­recht­li­che Grund­la­gen und
    Rechts pre­chung der Gemein­schafts­ge­rich­te, EuR 2008, Bei­heft 3,
    S. (18 ff.).
    65 Vgl. auch A. Weber, Euro­päi­sche Ver­fas­sungs­ver­glei­chung, 2010,
    S. 145.
    66 Mit­tei­lung der Kom­mis­si­on, Ein neu­er EU-Rah­men zur Stär­kung
    des Rechtss taats prin­zips, COM/2014/158 final, S. 4 sowie ähn­lich
    im Anhang I (Das Rechtss taats prin­zip als tra­gen­des Prin­zip der
    Uni­on), S. 4; sie­he auch von Dan­witz, The Rule of Law in the Recent
    Juris pru­dence of the ECJ, Ford­ham Inter­na­tio­nal Law Jour­nal
    2014, S. 1310 (1346); Schmahl, Rechtss taat­lich­keit, in: Schulze/
    Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Euro­pa­recht. Hdb. für die deut­sche
    Rechts pra­xis, 4. Aufl. 2020, § 6 Rn. 4 u. Rn. 20 ff.
    ihre Wir­kungs­kraft zu ver­stär­ken, indem die Idee objek­tiv­recht­li­cher
    Gehal­te im Sin­ne von „Rechts­prin­zi­pi­en“
    bzw. „Rechts­grund­sät­zen“ auch auf Uni­ons­ebe­ne ver­folgt
    wird; dies gilt umso mehr als der EuGH ursprüng­lich
    die Grund­rechts­gel­tung über die all­ge­mei­nen
    Grund­sät­ze in das Uni­ons­recht ein­ge­bracht hat (vgl. die
    Wei­ter­gel­tung in Art. 6 Abs. 3 EUV) und über­dies umstrit­ten
    ist, ob Art. 13 GRCh ein sub­jek­ti­ves Recht ver­bürgt.
    60 Noch ist das Uni­ons­recht im Hin­blick auf die
    Dog­ma­tik der Char­ta-Grund­rech­te und die Fra­ge einer
    objek­tiv­recht­li­chen Grund­rechts­gel­tung nicht aus­ge­reift.
    Ruf­fert betont unter Bezug auf das Hoch­schul­ur­teil des
    BVerfG von 1973, dass die „Schlüs­sel­funk­ti­on frei­er Wis­sen­schaft
    für die gesell­schaft­li­che Ent­wick­lung“ auch für
    die Euro­päi­sche Uni­on gelte.61 Er unter­streicht, dass For­schung
    für das Gemein­we­sen not­wen­dig sei, aber nur
    freie For­schung die­sen Zweck erfül­len kann.62 Es las­sen
    sich mit­hin gute Grün­de aus­ma­chen, auch den Uni­ons­grund­rech­ten
    durch Zuer­ken­nung eines objek­tiv­recht­li­chen
    Gehalts zu grö­ße­rer Wirk­sam­keit zu ver­hel­fen. Jeden­falls
    bedarf auch die unio­na­le Res­sort­for­schung eines
    Min­dest­ma­ßes an Frei­heit, um ihrer Funk­ti­on gerecht
    zu wer­den.
    Neben einer im Kern aus dem Gebot der Wis­sen­schafts­frei­heit
    gel­ten­den Frei­heit­lich­keit der Res­sort­for­schung
    kann auch aus dem unio­na­len Rechts­staats­prin­zip
    das Ver­bot einer Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung abge­lei­tet
    werden.63 Auch hier dür­fen die Gehal­te des deut­schen
    Rechts­staats­prin­zips jedoch nicht unbe­se­hen auf das
    unio­na­le über­tra­gen wer­den, zumal die Euro­päi­sche
    Uni­on als supra­na­tio­na­le Orga­ni­sa­ti­on auch ande­ren
    Kon­sti­tu­ti­ons­be­din­gun­gen und Anfor­de­run­gen unter­liegt
    als der deut­sche Bun­des­staat. Wel­che Ele­men­te das
    Rechts­staats­prin­zip im Ein­zel­nen umfasst, ist durch den
    EuGH erst teil­wei­se ent­wi­ckelt wor­den und vom Gerichts­hof
    nicht immer in kla­re Zuord­nung zum Rechts­staats­prin­zip
    gestellt worden.64 Schon bei einem rein for­ma­len
    Ver­ständ­nis des Rechts­staats­prin­zip, aus dem sich
    die Ver­fas­sungs- und Geset­zes­bin­dung ablei­ten lässt,
    wür­de die Befol­gung der Grund­rech­te­char­ta und der in
    ihr ver­bürg­ten Wis­sen­schafts­frei­heit verstärkt.65 Das
    unio­na­le Rechts­staats­prin­zip umfasst aber dar­über hin­aus
    als Gegen­kon­zept zur Will­kür auch Ratio­na­li­täts­an­for­de­run­gen
    an das Recht. In die­se Rich­tung weist auch
    das Recht auf eine neu­tra­le, unpar­tei­ische und gerech­te
    Ver­wal­tung (Art. 41 Abs. 1 GRCh), das nur zu ver­wirk­li­chen
    ist, wenn Ent­schei­dun­gen rück­ge­bun­den an das zur
    Ver­fü­gung ste­hen­de Wis­sen getrof­fen wer­den und Exper­ten
    nicht von Fremd­in­ter­es­sen gelei­tet wer­den. Aner­kannt
    als Teil des uni­ons­recht­li­chen Rechts­staats­prin­zips
    ist wei­ter­hin das Recht­mä­ßig­keits­prin­zip, das einen
    „trans­pa­ren­ten, rechen­schafts­pflich­ti­gen, demo­kra­ti­schen
    und plu­ra­lis­ti­schen Gesetz­ge­bungs­pro­zess impli­ziert“.
    66 Teil eines trans­pa­ren­ten Ver­fah­rens ist es, dass
    ersicht­lich wird, auf wel­cher Grund­la­ge wel­ches Exper­ten­wis­sen
    ein­ge­bracht wird. Mit dem vor­ste­hend skiz­zier­ten
    Gehalt kann also auch aus dem unio­na­len Rechts­staats­prin­zip
    ein Ver­bot der Legi­ti­ma­ti­ons­for­schung abge­lei­tet
    wer­den.
    V. Beur­tei­lungs­spiel­raum (ressort-)forschungsgestützter
    Ent­schei­dun­gen
    Eine spe­zi­fi­sche Fra­ge im Rah­men der Span­nung von
    Koope­ra­ti­on und Tren­nung zwi­schen Wis­sen­schaft und
    Ent­schei­dung betrifft den Beur­tei­lungs­spiel­raum (res­Wei­lert
    · Res­sort­for­schung 1 5 9
    67 Vgl. zu die­ser Pro­ble­ma­tik auch Gärditz/Linzbach, Gesund­heits­wis­sen
    aus Behör­den­hand, 2022, S. 155 ff.
    68 Aus­führ­li­che Nach­wei­se bei Wei­lert Fn. 1, S. 368 ff.
    69 Bachof ent­wi­ckel­te 1955 die Leh­re vom „Beur­tei­lungss piel­raum“
    (Bachof, Beur­tei­lungss piel­raum, Ermes­sen und unbes timm­ter
    Rechts­be­griff im Ver­wal­tungs­recht, JZ 1955, S. 97 ff.). Ihm folg­ten
    vie­le Stim­men in der Lite­ra­tur, teils mit eige­nen Akzen­ten (vgl.
    „Ver­tret­bar­keits­leh­re“ nach Ule, Rechtss taat und Ver­wal­tung,
    Ver­w­Arch 76 [1985], S. 1 [9 ff.]); aus­führ­li­che Nach­wei­se: Wei­lert
    Fn. 1, S. 367 (dort Anmer­kung 396); ein­ge­hend für den Bereich des
    Arz­nei­mit­tel­rechts: Di Fabio, Risi­koent­schei­dun­gen im Rechtss
    taat, 1994, S. 265 ff.
    70 Vgl. Klaf­ki, Risi­ko und Recht, 2017, S. 79; Hoff­mann-Riem, Inno­va­ti­on
    und Recht – Recht und Inno­va­ti­on, 2016, S. 357.
    71 In die­se Rich­tung ten­die­rend Jae­ckel, Gefah­ren­ab­wehr­recht und
    Risi­ko­dog­ma­tik, 2010, S. 217 ff.
    72 BVerfGE 149, 407 (415, Rn. 23) – Rot­mi­lan.
    73 BVerfGE ebd.
    74 BVerfGE ebd.
    75 Eich­ber­ger, Gericht­li­che Kon­troll­dich­te, natur­schutz­fach­li­che Ein­schät­zungs
    prä­ro­ga­ti­ve und Gren­zen wis­sen­schaft­li­cher Erkennt­nis,
    NVwZ 2019, 1560 (1563 f.).
    76 Aus­führ­lich mit wei­te­ren Nach­wei­sen Wei­lert Fn. 1, S. 374 ff.
    77 VGH Baden-Würt­tem­berg, Beschluss v. 29. Apr. 2021 – 1 S 1204/21
    –, Rn. 79 ff.; VGH Baden-Würt­tem­berg, Beschluss v. 12. Aug.
    2021 – 1 S 2315/21 –, Rn. 41 ff. (Gericht prüft hier nur kur­so­risch,
    auf wel­che Grund­la­gen sich das Robert Koch-Ins titut ges tützt hat
    und betont aber­mals die beson­de­re Beru­fung des Ins tituts nach
    § 4 Abs. 1 S. 1 IfSG).
    sort-)forschungsgestützter Ent­schei­dun­gen. Beur­tei­lungs­spiel­räu­me
    sind dabei – klas­sisch – unmit­tel­bar
    aber auch mit­tel­bar (ent­schei­dungs­vor­be­rei­tend) denk­bar.
    67
    Die Recht­spre­chung hat einen Beur­tei­lungs­spiel­raum
    der Ver­wal­tung bei der Bewer­tung von kom­ple­xen
    und dyna­mi­schen Berei­chen (Pro­gno­se­ent­schei­dun­gen
    und Risi­ko­be­wer­tun­gen) zur Aus­fül­lung unbe­stimm­ter
    Rechts­be­grif­fe unter Ver­weis auf die enge­re Sach­nä­he
    der Ver­wal­tung und die Funk­ti­ons­gren­zen der Recht­spre­chung
    anerkannt.68 Dabei folgt das Gericht der nor­ma­ti­ven
    Ermäch­ti­gungs­leh­re, wonach der Beur­tei­lungs­spiel­raum
    „nor­ma­tiv ange­legt“ sein müs­se. Im Hin­ter­grund
    ste­hen zwei ver­schie­de­ne Argu­men­ta­ti­ons­li­ni­en,
    näm­lich einer­seits die Funk­ti­ons­gren­ze der Recht­spre­chung
    und ande­rer­seits die höhe­re Sach­nä­he der Exe­ku­ti­ve.
    Das Schrift­tum hat die Leh­re vom Beur­tei­lungs­spiel­raum
    wei­ter aus­dif­fe­ren­ziert und sich teil­wei­se
    groß­zü­gi­ger in der Annah­me ver­wal­tungs­recht­li­cher
    Beur­tei­lungs­spiel­räu­me gezeigt.69 Argu­men­ta­tiv wird
    teils ein aus­ba­lan­cier­tes Ver­ständ­nis der Gewal­ten­tei­lung
    bemüht70 oder eher prag­ma­tisch auf eine sach­nä­he­re
    und damit „bes­se­re“ Ent­schei­dung durch die Behör­de
    abgestellt71.
    Mit dem Rot­mi­lan-Beschluss (Okto­ber 2018) hat das
    BVerfG neben dem Beur­tei­lungs­spiel­raum eine wei­te­re
    Kate­go­rie ein­ge­schränkt gericht­li­cher Über­prü­fun­gen
    gebil­det, näm­lich die der außer­recht­li­chen Erkennt­nis­de­fi­zi­te.
    72 Es han­de­le sich bei objek­ti­ven Erkennt­nis­gren­zen
    um eine Situa­ti­on, in der es „am Maß­stab zur siche­ren
    Unter­schei­dung von rich­tig und falsch“ fehle.73 Die­se
    „fak­ti­sche Gren­ze ver­wal­tungs­ge­richt­li­cher Kon­trol­le“
    sei kei­ne „gewill­kür­te Ver­schie­bung der Ent­schei­dungs­zu­stän­dig­keit“
    74 und daher vom Beur­tei­lungs­spiel­raum
    zu unter­schei­den. Die Kon­trol­le des Gerichts redu­zie­re
    sich hier auf eine Ver­tret­bar­keits­kon­trol­le, d.h. ob die
    Behör­de ver­tret­ba­re fach­li­che Maß­stä­be und Metho­den
    her­an­ge­zo­gen habe. Wäh­rend es hier also um den Fall
    wis­sen­schaft­lich nicht auf­klär­ba­rer Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen
    geht, kön­ne sich ein Beur­tei­lungs­spiel­raum nur auf
    nor­ma­ti­ve Bewer­tun­gen bezie­hen, etwa dar­auf, ob eine
    Risi­ko­er­hö­hung „signi­fi­kant“ ist.75
    Bis­lang fehlt in der Recht­spre­chung eine kla­re Aus­ein­an­der­set­zung
    über die Maß­stä­be eines Beur­tei­lungs­spiel­raums
    bei fach­lich beson­ders aus­ge­wie­se­nen (Res­sort­for­schungs-)
    Behörden.76 Nur punk­tu­ell las­sen sich
    Hin­wei­se auf die beson­de­re Sach­kom­pe­tenz im Ver­gleich
    zur sons­ti­gen Exe­ku­ti­ve aus­ma­chen. Im Rah­men
    der Coro­na-Recht­spre­chung fin­den sich immer­hin Hin­wei­se
    auf die Aner­ken­nung der ent­schei­dungs­vor­be­rei­ten­den
    beson­de­ren Sach­kun­de von Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen.
    Hier geht es um die gericht­li­che Über­prü­fung
    von Maß­nah­men der Exe­ku­ti­ve bzw. des Erlas­ses
    von Rechts­ver­ord­nun­gen nach dem
    Infek­ti­ons­schutz­ge­setz, bei denen die Exe­ku­ti­ve ihrer
    Hand­lung die Ein­schät­zung etwa des Robert Koch-Insti­tuts
    zugrun­de gelegt hat­te. So befand der VGH Baden-
    Würt­tem­berg, dass der Beur­tei­lungs­spiel­raum des Ver­ord­nungs­ge­bers
    nicht über­schrit­ten sei, wenn er sich auf
    die Ein­schät­zung des Robert Koch-Insti­tuts, wel­ches
    „gemäß § 4 IfSG unter ande­rem zur früh­zei­ti­gen Erken­nung
    und Ver­hin­de­rung der Wei­ter­ver­brei­tung von Infek­tio­nen
    und dahin­ge­hen­der Ana­ly­sen und For­schun­gen“
    beru­fen sei, gestützt hat und kei­ne wis­sen­schaft­li­chen
    Erkennt­nis­se vor­lie­gen, die es „recht­fer­ti­gen wür­den“,
    von die­ser Ein­schät­zung abzuweichen.77 Im
    Ergeb­nis wur­de der Exe­ku­ti­ve ein Beur­tei­lungs­spiel­raum
    ein­ge­räumt, den die­se legi­tim durch die Über­nah­me
    der Ein­schät­zung einer Res­sort­for­schungs­be­hör­de
    aus­fül­len durf­te. Der hier grund­ge­leg­te Gedan­ke der beson­de­ren
    Sach­kom­pe­tenz von Res­sort­for­schungs­be­hör­den
    ist als Ele­ment der Leh­re vom Beur­tei­lungs­spiel­raum
    wei­ter aus­zu­bau­en. Die Zuer­ken­nung eines Beur­tei­lungs­spiel­raums
    kann sich nicht allein an pau­scha­lier­ten
    Annah­men über eine sach­nä­he­re Ver­wal­tung
    fest­ma­chen, son­dern hat die Beson­der­hei­ten der ent­schei­den­den
    Behör­de zu wür­di­gen. Zeich­net sich die Behör­de
    auf­grund ihres (gesetz­li­chen) Auf­trags und ihrer
    1 6 0 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 2 3 ) , 1 4 7 — 1 6 0
    78 Vgl. hier auch Gärditz/Linzbach Fn. 67, S. 97 ff.
    Struk­tur, wie dies für die Res­sort­for­schungs­be­hör­den
    gilt, durch eine beson­de­re Kom­pe­tenz zur Risi­ko­be­wer­tung
    und Pro­gno­se­ein­schät­zung aus, hat sich dies in der
    Bewer­tung der Dich­te der gericht­li­chen Über­prü­fung
    abzu­bil­den. Damit hängt der Beur­tei­lungs­spiel­raum
    nicht nur von der tat­be­stand­li­chen Fas­sung der Norm
    (Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge bzw. Befug­nis­norm) ab, son­dern
    auch von der jewei­li­gen Behör­den­kom­pe­tenz, die
    (soweit es hier­über kei­ne gesetz­li­chen Fest­le­gun­gen in
    Form von Beur­tei­lungs­spiel­räu­men gibt) durch das Gericht
    fest­zu­stel­len ist. Eine gericht­li­che Kon­trol­le von Beur­tei­lungs­feh­lern
    bleibt bei alle­dem unan­ge­tas­tet.
    Frucht­bar gemacht wer­den kann hier auch die „Plau­si­bi­li­täts­prü­fung“
    bei außer­recht­li­chen Erkennt­nis­de­fi­zi­ten
    (Rot­mi­lan-Beschluss), die bei objek­ti­ven Erkennt­nis­gren­zen
    die behörd­li­che Ein­schät­zung nur auf ihre Ver­tret­bar­keit
    hin prü­fen lässt und sie nicht ein­fach durch
    eine ande­re (gericht­li­che) Ent­schei­dung ersetzt, die ihrer­seits
    auf einer bei­gezo­ge­nen (und nicht über alle
    Zwei­fel erha­be­nen) Exper­ti­se beruht. Als Hybrid­form
    zwi­schen Wis­sen­schaft und Ver­wal­tung ist die wis­sen­schaft­li­che
    Ein­schät­zung der Res­sort­for­schungs­be­hör­de
    im Gegen­satz zu einem rei­nen Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten
    demo­kra­tisch legi­ti­miert, was ins­be­son­de­re dann ins
    Gewicht fällt, wenn es um Fra­gen geht, die wis­sen­schaft­lich
    nicht ein­deu­tig zu beant­wor­ten sind. Eine Ent­schei­dung
    nur durch eine ande­re zu erset­zen, ohne dass es
    hin­rei­chen­de Grün­de dafür gibt, dass die erset­zen­de
    Ent­schei­dung „rich­ti­ger“ oder demo­kra­tisch legi­ti­mier­ter
    bzw. rechts­staat­lich gebo­te­ner ist als die ersetz­te, wäre
    kein Gebot rechts­staat­li­cher Kon­trol­le, son­dern
    will­kür­lich.
    Mit einer sol­chen Rechts­ent­wick­lung nähert sich das
    deut­sche Recht dem Uni­ons­recht an, inner­halb des­sen
    ein Beur­tei­lungs­spiel­raum bezüg­lich von Nor­men, die
    zu einer kom­ple­xen, wis­sen­schaft­lich-tech­ni­schen Ein­schät­zung
    Anlass geben, weit­rei­chend aner­kannt ist. Die
    gericht­li­che Prü­fung erstreckt sich hier ledig­lich auf for­ma­le
    Kri­te­ri­en und Schlüs­sig­keit. Auch hier lie­ße sich aller­dings
    die Dog­ma­tik wei­ter­ent­wi­ckeln, indem der Beur­tei­lungs­spiel­raum
    auch davon abhän­gig gemacht wird,
    wie die Exper­ti­se zustan­de gekom­men ist. Wur­den im
    Rah­men der Ver­bund­res­sort­for­schung wis­sen­schaft­li­che
    Behör­den der Mit­glied­staa­ten ein­ge­bun­den, so begrün­det
    sich in dem wis­sen­schaft­li­chen Kon­sens der Mit­glied­staa­ten
    nicht nur eine erhöh­te fach­li­che Exper­ti­se,
    son­dern auch eine gewis­se demo­kra­ti­sche Legi­ti­ma­ti­on.
    VI. Aus­blick
    An die­ser Stel­le konn­ten nur eini­ge gro­be Pflö­cke zur
    Dar­stel­lung und recht­li­chen Ana­ly­se der Res­sort­for­schung
    als insti­tu­tio­na­li­sier­ter Ratio­na­li­tät im poli­tisch­gu­ber­na­ti­ven
    Gefü­ge der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land
    und der Euro­päi­schen Uni­on ein­ge­schla­gen wer­den. Die
    Hete­ro­ge­ni­tät der ein­zel­nen deut­schen Res­sort­for­schungs­ein­rich­tun­gen
    und die ver­schie­de­nen Res­sort­kul­tu­ren,
    in denen sie ver­or­tet sind, ihre jewei­li­ge his­to­ri­sche
    Grün­dungs­ge­schich­te und die Span­nung zwi­schen
    einer Ein­ge­bun­den­heit in eine Minis­te­ri­al­ver­wal­tung
    bei gleich­zei­ti­gem Aner­kennt­nis eines For­schungs­frei­raums,
    füh­ren zu einer Rei­he an juris­tisch-dog­ma­ti­schen
    Pro­ble­men, die auch in Zukunft noch wei­ter – und
    zuneh­mend auf euro­päi­scher Ebe­ne – zu ven­ti­lie­ren
    sind. Es zeigt sich, dass ein rei­nes Tren­nungs­mo­dell zwi­schen
    Wis­sen­schaft und poli­ti­scher Ent­schei­dung nicht
    der deut­schen Res­sort­for­schungs­pra­xis ent­spricht und
    auch auf euro­päi­scher Ebe­ne nicht in Rein­form vor­find­lich
    ist.78 So sind die Fra­gen zum Zusam­men­spiel und
    der Tren­nung zwi­schen Risi­ko­be­wer­tung und Risi­ko­ma­nage­ment,
    die natio­nal und uni­ons­recht­lich durch­aus
    unter­schied­lich bewer­tet wer­den, in Zukunft immer
    wie­der neu zu jus­tie­ren. Auch wird man die direk­ten
    und indi­rek­ten Ent­schei­dungs­spiel­räu­me wis­sen­schaft­li­cher
    Behör­den dog­ma­tisch noch wei­ter anhand der
    künf­ti­gen Recht­spre­chung auf die­sem Gebiet zu klä­ren
    haben und hier­für auch in nähe­re Ver­net­zung zur uni­ons­recht­li­chen
    Ent­wick­lung tre­ten müs­sen. Die Coro­na-
    Pan­de­mie hat die dies­be­züg­li­che Rechts­ent­wick­lung
    her­aus­ge­for­dert und beschleu­nigt und es wird sich zei­gen,
    wel­che wei­te­ren (rechts-)politischen Kon­se­quen­zen
    hier­aus für die Res­sort­for­schung auf deut­scher und
    euro­päi­scher Ebe­ne gezo­gen wer­den.
    Priv.-Doz. Dr. A. Kata­ri­na Wei­lert ist wis­sen­schaft­li­che
    Refe­ren­tin an der For­schungs­stät­te der Ev. Stu­di­en­ge­mein­schaft
    e.V. — Insti­tut für inter­dis­zi­pli­nä­re For­schung.
    Sie lehrt als Pri­vat­do­zen­tin an der Ruprecht-
    Karls-Uni­ver­si­tät Hei­del­berg mit einer Venia Legen­di
    für die Fächer Öffent­li­ches Recht, Gesund­heits­recht,
    Völ­ker- und Europarecht.